Gabi Schmid

 

 

Gleichklang

 

Roman

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

spiritbooks


Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

 

 

 

 

 

 

© 2013 spiritbooks, 73230 Kirchheim/Teck

Verlag: spiritbooks, www.spiritbooks.de

Autorin: Gabi Schmid, www.pcs-books.de

Lektorat: Susanne Feiner, Susanne Krawinkel, Andrea Oster

Covergestaltung: Corina Witte-Pflanz, www.ooografik.de

Coverfotos: Love text on a wooden background
© mythja -
Fotolia.com

Kapitelgrafik: Two hearts connected © GelatoPlus - iStockphoto LP

Autorenfotos: Nicole Geck, www.geck-fotografie.de

Druck und Verlagsdienstleister: www.tredition.de

Printed in Germany

 

 

ISBN: 978-3-944587-94-3

Vers. 1.1


Inhaltsverzeichnis

 

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Ein paar Wochen später

EPILOG

Fuß-/Endnoten

 

 

 

Für meine drei Männer;

ganz speziell für Patrick

 

Herz 3cm

Kapitel 1

„Sie machen das, Deborah. Das ist Ihr Fall.“

Der Tag war gerettet!

Dabei hatte er so mies begonnen. Eine wohlige Wärme durchflutete Deborah und sie war kurz davor, sich das kunstvoll verknotete Tuch vom Hals zu reißen. Nur wenige Sätze waren gefallen und der letzte schwebte noch immer im Raum.

Das ist Ihr Fall! Yippie Yeah! Deborah wiederholte immer wieder in Gedanken diese Worte, während ihr Blick durch das Büro schweifte. Die Frühlingssonne strahlte warm ins Zimmer und tauchte die dunklen, antiken Möbel in ein geheimnisvolles Licht. Nicht ein Staubkörnchen war auf der Oberfläche zu sehen und die Akten lagen fein säuberlich geordnet auf einem Sideboard. Deborah saß ihrem Chef gegenüber und wusste nicht, ob sie grinsen, jubeln oder triumphierend auflachen sollte.

Das ist Ihr Fall! Mit diesem einen Satz war ihr das bedeutendste Mandat in ihrer Laufbahn als Fachanwältin für Familienrecht zugeteilt worden. Dies konnte nur bedeuten, dass sie ihrem Traum, Partnerin in der Kanzlei zu werden, ein gutes Stück näher gerückt war.

Halleluja!

„Deborah, sind Sie noch bei mir? Sie sehen so abwesend aus.“

„Selbstverständlich, Herr Doktor von Serald. Ich bin schließlich multitaskingfähig und habe alles mitbekommen.“ Ihre Mundwinkel bewegten sich leicht nach oben. „Es gibt in dem Mandat einen Interessenskonflikt, haben Sie eben erklärt.“ Jetzt grinste sie richtig breit.

Walter von Serald faltete die Hände und lehnte sich lächelnd in seinem Ledersessel zurück. „Und ich fürchtete schon, ich müsste noch einmal von vorn beginnen.“

Der Seniorchef der Anwaltskanzlei von Serald, Winter & Partner klärte sie seit ein paar Minuten über alle bisher bekannten Tatsachen des anstehenden Scheidungsverfahrens auf. Die zweiunddreißigjährige Deborah Groth sollte die Ehefrau eines Stuttgarter Bauunternehmers vertreten, der seine Noch-Ehefrau völlig ungeniert über den Tisch ziehen wollte.

„Ich verlasse mich auf Sie, Deborah“, schloss Walter von Serald den Bericht ab. „Es ist eine kitzlige Angelegenheit. Wenn die Presse davon Wind bekommt, dann Gute Nacht dem guten Herrn Rabe. Vermutlich könnte er die Kandidatur für den Landtag glatt vergessen.“

„Sie wissen doch, dass ich mich immer auf die Schweigepflicht berufe und keine Auskunft gebe. Bei dieser heiklen Sache schon gar nicht.“ Das strahlende Lächeln war inzwischen in ihrem Gesicht wie festgezimmert. Sie stand auf und nahm die Akte, die ihr der Seniorchef über den Schreibtisch hinweg zuschob. „Vielen Dank für das Vertrauen.“

„Bei Fragen bin ich jederzeit für Sie zu sprechen, Deborah. Aber noch etwas anderes, wenn Sie schon mal hier sind. Hätten Sie noch ein paar Minuten Zeit für mich?“ Walter von Serald sah auf einmal sehr ernst aus.

„Sicher. Sehr gern.“ Deborah setzte sich wieder, legte die Akte auf ihren Schoß und musterte beklommen ihr Gegenüber. Die weißen Haare fielen in seine gerunzelte Stirn, er trommelte mit den Fingern auf dem Schreibtisch und schwieg, während sein Blick suchend umherschweifte.

„Wo habe ich es bloß?“, murmelte er.

Ein ungutes Gefühl beschlich Deborah. Das Schweigen schien endlos anzudauern.

„Ah, hier.“ Er zog einen Klarsichtordner hervor, in dem sich, wie sie wusste, ihre Personalakte befand. „Deborah, wir hatten am Wochenende unsere jährliche Partnerversammlung. Ich weiß nicht, ob Sie schon etwas gehört haben, aber in der Kanzlei wird sich einiges ändern. Wir müssen Mitte nächsten Jahres umziehen, unser Mietvertrag wurde nicht verlängert. Damit können wir auch gleich die Weichen für die Zukunft stellen. Wer geht mit, wer will sich verändern? Deshalb die Frage an Sie: Sie sind jetzt seit über sechs Jahren in unserer Kanzlei. Haben Sie sich schon mal über Ihre weitere Karriere Gedanken gemacht?

PUFF! Der riesengroße Ballon in Deborahs Kopf zerplatzte und die Hülle segelte langsam mit einem müden Pff-fff auf den Boden der Tatsachen hinab.

„Inwiefern?“ Zögernd fragte Deborah nach. Ihr Lächeln verschwand und in ihrer Brust bildete sich ein Knoten.

„Nun ja. Meist wechseln die Kollegen nach ein paar Jahren in eine größere Kanzlei, machen sich selbständig oder heiraten …“

Mist, Mist, Mist! Zu früh gefreut! Inzwischen war der Knoten zu einem Doppelknoten angewachsen und ein Schlucken glückte nur sehr mühevoll. Sie räusperte sich unmerklich. Du bist so eine blöde Kuh, schimpfte sie sich lautlos.

Von wegen, der Tag war gerettet – es wurde sogar noch unerfreulicher.

Deborah unterdrückte ein Stöhnen. Reichte es nicht, dass ihr heute Morgen Knall auf Fall zum Jahresende die Wohnung gekündigt worden war? Jetzt war auch noch der Job dahin. Sie war unfähig, den Blickkontakt zu Walter von Serald aufrechtzuerhalten, so sehr kämpfte sie mit den aufsteigenden Tränen. Die Niedergeschlagenheit von heute Morgen machte sich wieder breit und sie sank in sich zusammen. Abwesend zupfte sie mit dem Finger an der Akte in ihrem Schoß, während ihre Gedanken erneut einen Marathon absolvierten.

Verflucht! Sie hätte es ja ahnen können, dass ihr diese Frage irgendwann einmal gestellt wurde. Warum schob man eigentlich alle unbequemen Überlegungen immer gern so weit von sich? Ihre Glückssträhne musste ja mal ein Ende haben. Aber ausgerechnet jetzt, wenn im Spätsommer der Schulwechsel ihrer Tochter anstand? Das war der blödeste Zeitpunkt, eine Stelle zu suchen. Vor allem wären die Arbeitsbedingungen und ihre Arbeitszeiten in einem anderen Job dann bestimmt nicht so günstig wie hier. Als alleinerziehende Mutter musste man den Job nehmen, der einem angeboten wurde, da konnte man nicht großartig um Bedingungen feilschen.

Deborah schluckte erneut. Spitzenmäßig zu früh triumphiert! Erst Wohnung weg – jetzt Job weg!

Letzteres war noch das Schlimmste. Sie liebte ihren Job hier in der mittelständischen Kanzlei. Liebte die Arbeit mit den Kollegen. Alles hatte doch so wunderbar gepasst. Die Kanzlei bestand aus dem Seniorchef und drei Partnern, zu denen auch der Juniorchef gehörte. Nur sie und zwei Kollegen waren angestellt. Sie hatte bei ihrer Einstellung in die Kanzlei ein so wunderbares Arrangement treffen können, das all ihre Hoffnungen übertroffen hatte.

„Wir würden gerne wissen, wie wir planen können“, holte Walter von Serald sie aus ihren Gedanken. „Ich möchte Ihnen gerne die Vollpartnerschaft anbieten, Deborah.“

Deborah war so sehr in ihren Grübeleien versunken, dass sie nicht sofort erfasste, was der Seniorchef gesagt hatte.

„Ich muss gestehen, dass ich mir darüber bisher keine Gedanken gemacht habe. Ich fürchte, das war ein Fehler?“ Sie verzog ihren Mund. Dann erst erfasste sie den Sinn seines letzten Satzes. „Vollpartnerschaft?, stieß sie atemlos hervor.

„Vollpartnerschaft! Genau das sagte ich“, bestätigte Walter von Serald schmunzelnd. „Zum ersten Juli dieses Jahres. Außer, Sie wollten sich in Zukunft lieber mit uns vor Gericht duellieren“, fügte er mit seinem typischen trockenen, urschwäbischen Humor hinzu.

Deborah klappte der Mund auf. Sie setzte sich kerzengerade im Stuhl auf und versuchte, ihre durcheinanderwirbelnden Gedanken in einen vernünftigen Satz unterzubringen. Heraus kam aber nur ein gestottertes „Aber …? Ich …? Ach … was … für … eine … Überraschung.“ Sprachlos klappte sie den Mund wieder zu.

„Wir wären dankbar, wenn Sie es sich bis Ende des Monats überlegen könnten. Dann können wir in Ruhe über die Formalitäten sprechen. Nur kurz zur Info: Der Vorschlag ist einstimmig angenommen worden.“

Deborah riss nun die Augen auf. Sie war die erste Anwältin, die diese Chance bekam. Selbstverständlich würde sie nicht ablehnen. Schlagartig dämpfte dann aber ein Gedanke ihre Freude.

„Herr Doktor von Serald, ich freue mich wahnsinnig. Aber ich fürchte, das wird nicht gehen. Sie wissen doch, dass ich momentan nicht in Vollzeit arbeiten kann. Beide Kinder wechseln im Sommer auf die Realschule. Wir können die Kinder nicht den ganzen Tag alleine lassen.“

Ihr Chef wusste über ihr Privatleben recht gut Bescheid. Mehr musste sie also nicht erklären. Sie wechselte sich nämlich mit ihrer Schwester, die ebenfalls alleinerziehend war, bei der Betreuung der Kinder ab. Das Arrangement sah so aus: Jede von ihnen arbeitete eine Woche halbtags und war dann mittags bei den Kindern, während die andere in dieser Zeit ganztags arbeiten konnte; eine Änderung war momentan undenkbar.

„Ich kann in den nächsten Jahren nicht aufstocken“, erklärte sie leise.

„Deborah, wir wissen das natürlich. Daran soll sich auch als Partnerin nichts ändern … vorerst. Denn irgendwann kommt die Zeit, da braucht Adrienne Sie nicht mehr und möchte Sie auch gar nicht mehr ständig um sich haben. Sie wissen selbst, wie schnell die Zeit vergeht, dann können Sie gerne auf die volle Arbeitszeit umstellen.“ Er räusperte sich umständlich. „Es ist nun mal Maxime bei uns, dass wir auf die einzelnen Wünsche aller Mitarbeiter eingehen. Wir schätzen Ihre Arbeit sehr und wollen Sie nicht verlieren. Sie leisten schon mehr als genug mit Kind und Beruf.“

„Das ist Wahnsinn!“ Damit war sie alle finanziellen Sorgen los und die Wohnungsprobleme würden sich auch leichter lösen lassen.

„Da brauche ich nicht zu überlegen. Ich sage sofort zu. Auf der Stelle.“ Sie strahlte. All ihre Träume hatten sich auf einen Schlag erfüllt und der Tag hatte sich nun eindeutig zu einem Glückstag gewandelt.

Herz mini

„Entschuldigung. Ich hatte einen Not…“ Samantha Groth riss schwungvoll die Tür zum Besprechungsraum auf und blieb, mit dem letzten Wort auf den Lippen zur Salzsäule erstarrt, stehen.

„…fall“, ergänzte der Assistenzarzt, der ihr am nächsten stand.

Samantha schnappte nach Luft. Sie bemerkte gar nicht, dass die Tür hinter ihr so schwungvoll ins Schloss fiel, dass alle zusammenzuckten.

„Wenn uns Frau Doktor Groth nun auch endlich die Ehre gibt, dann können wir ja anfangen.“ Professor Holm, der ärztliche Direktor, drehte sich mit einem Glas Champagner in der Hand zu Samantha um und streckte es ihr entgegen. „Bitte sehr.“

Als sie nicht reagierte, fragte der Professor nach. „Samantha – ist alles in Ordnung?

„Bitte?“ Samantha riss sich zusammen und wandte den Blick dem Professor zu. Sie wusste im ersten Augenblick nicht, ob sie halluzinierte oder ob ihr jetzt das Leben – eben in diesem Moment – nicht einen besonders abenteuerlichen Streich spielte. Pure, fast atemlose Freude kroch Stück für Stück ihrer Wirbelsäule nach oben und blieb dann unvermittelt in Brusthöhe stecken.

Oh – mein – Gott!

„Danke“, murmelte sie fast tonlos. Mit zittriger Hand nahm sie dem Professor das Glas ab. Dabei schielte sie wieder vorsichtig in die Richtung, in der sie eben die Erscheinung erblickt hatte. Da stand er, leibhaftig!

Nachdem sie sich mühsam vom ersten Schreck erholt hatte, hob sie mit scheinbar stoischer Miene den Kopf und musterte die Erscheinung stumm von oben bis unten.

Es war keine Erscheinung – er war es!

Er stand noch immer auf der gleichen Stelle und starrte sie ebenfalls ungläubig an.

Tom!

Sie merkte, wie sich die Haare überall an ihrem Körper aufstellten. Schon damals war das ihre Reaktion auf ihn gewesen. Lang vermisste und doch vertraute Glücksgefühle keimten auf, dann aber holte sie sein schräges Grinsen in die Wirklichkeit zurück.

Großer Gott – was wollte der denn hier? Sie versuchte, ein hysterisches Lachen zu unterdrücken, das immer stärker in ihrer Kehle aufstieg. Sorge überlagerte schlagartig alle Glücksgefühle. Aus Freude wurde Angst, panikartige Kälte breitete sich aus. Ein Frösteln überlief sie und unwillkürlich schüttelte sie sich. Flugs senkte sie wieder den Kopf und starrte auf den matten, grauen Fußboden, der in jedem Raum im Krankenhaus derselbe war.

„Also meine lieben Kolleginnen und Kollegen – ich darf Ihnen den neuen Chefarzt der Orthopädie, Doktor Thomas Harsen, vorstellen.“

„Oh mein Gott!“, murmelte Samantha.

„Bitte?“ Professor Holm drehte sich wieder zu ihr um und sah sie fragend an. Sie zuckte nur mit den Schultern und fixierte ihre nigelnagelneuen weißen Turnschuhe.

„Also nochmal, Doktor Harsen ist ab sofort der neue Chefarzt der Orthopädie.“

„Gab es keinen anderen?“ Samanthas Bemerkung löste große Belustigung aus. Sie versuchte schnell, ihre Scharte auszuwetzen und machte damit die Sache nur noch schlimmer. „Äh, ich meine … Er ist doch Wissenschaftler, was will er hier?

„Woher wissen Sie das?“ Der Professor blickte zwischen dem neuen Chefarzt und ihr hin und her. „Sind Sie Doktor Harsen schon begegnet?

„Ich wünschte, es wäre nicht so!

Samantha sprach leise, aber der Professor hatte sie gehört.

„Samantha, wenn Sie gerne die Vorstellung übernehmen wollen, bitte sehr.“ Ihm war anzusehen, dass er mit Samanthas Reaktion nichts anzufangen wusste.

„Nein! Entschuldigung, ich wollte nicht unterbrechen.“ Samantha riskierte einen weiteren Blick zu Tom.

Er war hier! Was nun?

„Gut, dann mache ich weiter: Doktor Harsen hat einen erstaunlichen Werdegang hinter sich. Fünf Jahre lang war er als Arzt und Wissenschaftler …“, der Blick zu Samantha zwang sie den Mund zu halten, „auf der deutsch-französischen Forschungsstation auf Spitzbergen. Danach verschlug es ihn nach Vancouver, bevor er nach Deutschland zurückkam und im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf arbeitete. Doktor Harsen ist Kinderarzt und Facharzt für Orthopädie, außerdem Sportmediziner. Ich denke, wir haben einen würdigen Nachfolger für Doktor Bauer gefunden.“

Samantha hörte kaum zu. Ihr schlimmster Albtraum war gerade Wirklichkeit geworden. Keine fünf Meter entfernt, am anderen Ende des Besprechungsraums, stand der Mann, dem es völlig egal gewesen war, dass eine kurze Affäre mit ihr Folgen gehabt hatte. Und dessen Lächeln und Augen sie seit bald zehn Jahren jeden Morgen verschlafen anblinzelten. Nämlich dann, wenn ihr Sohn endlich aus dem Bett geschlüpft war und mit einem verschlafenen „Morgen, Mama!“ am Frühstückstisch erschien.

Oh Himmel! Wollte er womöglich plötzlich seinen Sohn sehen, von dem er bisher so rein gar nichts hatte wissen wollen?

„Haben Sie noch irgendwelche Fragen?“ Der Professor sah sich im Kreis um, alle schüttelten den Kopf.

Nur Samantha platzte erneut mit der Frage heraus. „Was will er hier?

Schallendes Gelächter ertönte und sie schloss entsetzt die Augen. Wie so häufig hatte sie gesprochen, bevor ihr Gehirn den Gedanken überhaupt vervollständigt hatte.

„Samantha, Sie sind ja heute besonders witzig. Was wird er hier schon wollen? Kartoffeln wird er hier wohl kaum anbauen.“

Wieder lachte die ganze Belegschaft.

Super, Samantha! Das hast du ja mal wieder glänzend hinbekommen. Sie wagte erneut einen Blick auf Tom. Er ließ sie nicht aus den Augen.

Wow! Heller Wahnsinn, wie gut der aussah! Samantha schluckte den Kloß hinunter, der fest und hartnäckig in ihrem Hals steckte. Toms Anblick hatte die gleiche Wirkung wie früher, ihr Herz raste und ihre Knie wurden weich wie Butter. Schon damals war Tom ein absolutes Prachtexemplar gewesen. Dunkelblonde Haare, am Haaransatz aber deutlich weniger als früher. Dafür leuchtend helle Augen und ein sehniger, drahtiger Körper, an dem kein Gramm Fett war, wie sie noch sehr deutlich in Erinnerung hatte. Er musste Ende dreißig sein. Heute wirkte er noch kräftiger, durchtrainierter und von Kopf bis Fuß so attraktiv, dass sie die Zehen in ihren Turnschuhen in die Sohlen pressen musste.

Tom war vom ersten Blick an ihr Traummann gewesen. Und sie hatte sich von diesem Bild so sehr blenden lassen, dass sie lange gebraucht hatte, ihre Enttäuschung zu überwinden. Widerstrebend bewegte sie sich vorwärts, als der Professor die einzelnen Mitarbeiter bat, näherzukommen.

„So ein Scheißtag! Ich hätte heut gar nicht erst aufstehen sollen“, meinte Samantha zerstreut und senkte den Blick.

„Also bitte, Samantha! Ich verstehe Sie wirklich nicht.“ Kopfschüttelnd wandte sich der Professor an Tom Harsen. „Doktor Harsen, kommen Sie. Ich stelle Ihnen alle Mitarbeiter vor. Offensichtlich kennen Sie Samantha Groth schon, unsere Oberärztin. Frau Doktor Groth leitet die Ambulanz und Tagesstation für Blutgerinnungsstörungen.“

„Ja, wir kennen uns. Hallo, Sam!“ Tom bewegte sich auf sie zu.

Wie erschlagen hob sie den Kopf. Zum ersten Mal trafen sich ihre Blicke und sie schaute in die blaugrünen Augen, die ihr vor zehn Jahren an einem eiskalten Wintertag so den Kopf verdreht hatten, dass sie alle Vorsicht vergessen hatte. Obwohl er ihr von vornherein erklärt hatte, dass er nur auf Urlaub in Vancouver war, hatte sie sich auf eine Affäre mit ihm eingelassen. Auf eine sehr heiße sogar! Mit Folgen, in mehr als einer Hinsicht!

Ihre Sorglosigkeit und Unbekümmertheit, mit der sie bis dahin durchs Leben geflattert war, hatte sie schnell abgelegt, als sie damals hatte erkennen müssen, dass für manche Männer das Wort Verantwortung eine andere Bedeutung hatte, als für sie.

Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland hatte sie bemerkt, dass sie schwanger war. Sie hatte Tom mehrere Briefe geschrieben, die alle, bis auf den ersten, ungeöffnet zurückgekommen waren. Er wusste also, dass sie ein gemeinsames Kind hatten, wusste aber bis heute nicht, ob es ein Mädchen oder ein Junge war. Nicht ein einziges Mal in all den Jahren hatte er sich gemeldet und sich nach seinem Kind erkundigt. Und nun war er hier!

Ausgerechnet hier in Stuttgart. Hunderte von Kliniken gab es in Deutschland, warum musste er ausgerechnet hier in ihrer Klinik als Orthopäde aufschlagen?

„Tom“, mehr sagte sie nicht, ergriff seine Hand und schüttelte sie flüchtig. Reflexartig wischte sie anschließend die Hand an ihrem Kittel ab. Tom kniff die Augen zusammen und die Kollegen in nächster Nähe tuschelten miteinander.

Samantha trat einen Schritt zurück und verfluchte sich. Peinlicher konnte es heute wirklich nicht mehr werden!

„Darf ich mir die Frage erlauben, woher Sie sich kennen?“ Professor Holms Stimme klang interessiert, wenn nicht sogar neugierig.

„Samantha war vor ewigen Zeiten zur Ausbildung im BC-Hospital in Vancouver. Dort haben wir uns kennengelernt.“ Tom Harsen sprach zum ersten Mal mehr als ein Wort. Seine tiefe Stimme durchdrang die Stille. „Sam, das ist ja eine Überraschung. Wie geht es dir?

„Als ob dich das je interessiert hätte“, blaffte sie ihn an.

„Bitte?

„Ach, vergiss es! Heute ist irgendwie so gar nicht mein Tag.“ Samantha lenkte ein. „Ich mache mal mit der Vorstellung weiter. Hier haben wir Doktor Groß – Chirurgie. Doktor Wartmann – Orthopädie – Assistenzärztin Doktor Valentin und die Oberschwester Friederike Hermann. Ohne sie wären wir verloren.“

So ging es weiter. Ein Mitarbeiter nach dem anderen trat nach vorn und schüttelte Tom zur Begrüßung die Hand. Tom jedoch wirkte abwesend und musterte sie immer wieder, als könne er auch nicht so recht glauben, dass sie es war.

„Hörst du mir überhaupt zu?“, fauchte sie, als sie bemerkte, dass er sie schon wieder anstarrte.

„Klar.“

Dieses rollende R, reichte schon aus, um ihr einen Schauer über den Rücken zu jagen. Samantha stöhnte unterdrückt auf. Gut, dass er nicht ahnen konnte, was für ein Gefühlschaos in ihr herrschte. Sämtliche Beschützerinstinkte erwachten schlagartig in ihr und sie wusste, dass sie ihren Sohn mit aller Macht davor bewahren würde, von Tom ebenfalls so verletzt zu werden wie sie. Nur über meine Leiche!

„Ist die immer so?“, fragte Tom mit einem Grinsen in die Runde und alle, auch der Professor, lachten lauthals los.

„Nur wenn jemand etwas ausgefressen hat“, meinte eine der Assistenzärztinnen. Samantha warf ihr einen wütenden Blick zu, was jedoch nur ein Kichern bei ihrer jungen Kollegin auslöste.

„Sie spricht aus Erfahrung“, retournierte sie schlagfertig und blickte wieder zu Tom. Er grinste sie immer noch an. Sah aus, als hätte er nicht mal ansatzweise ein schlechtes Gewissen. Genau mit diesem Lächeln hatte er sie damals eingewickelt. Selbst wenn sie stinkwütend auf ihn gewesen war, hatte er mit diesem Lächeln allen Ärger zerstreuen können.

Heute musste sie dagegen immun sein!

Sie wusste schließlich aus erster Hand, was für ein oberflächlicher Kerl er war. Mehr Schein als Sein!

Sobald er hätte Verantwortung übernehmen müssen, hatte er sich aus dem Staub gemacht. Obwohl, genau das hatte er doch von Anfang an verkündet. „Ich kann mir nicht vorstellen, mich noch einmal zu binden. Außerdem will ich das Leben nach meiner Scheidung erst mal in vollen Zügen genießen.“ Genau das waren seine Worte gewesen, als sie die erste Nacht miteinander verbracht hatten. Wie jung und unbedarft war sie damals nur gewesen – und so naiv!

Der wickelt mich nicht mehr ein, das bin ich Patrick schuldig! Das strahlende Gesicht ihres Sohnes, das dem seines Vaters so ähnelte, stand mahnend vor ihren Augen.

 

Herz 3cm

Kapitel 2

„Danke nochmals.“

Deborah tanzte buchstäblich zum Büro ihres Chefs hinaus und schloss die Tür hinter sich. Das muss ich sofort Samantha erzählen. Beim Gedanken an ihre Zwillingsschwester, die nur knapp zehn Minuten älter war und sich doch so sehr von ihr unterschied, stellte sich augenblicklich wieder Sorge ein. Samantha hatte die Nachricht über die Wohnungskündigung viel härter getroffen als sie.

Jeder, der die Schwestern kennenlernte, dachte, dass sie, die wesentlich kleinere und zierlichere, die schwächere Schwester war. Das Gegenteil war der Fall. Samantha war diejenige, die sich alles zu Herzen nahm, alles in sich hineinfraß und Wochen brauchte, um ein Problem abzuhaken. Dabei war Samantha so gar nicht auf den Mund gefallen und eher der spontane Typ, doch Problemen ging sie immer großräumig aus dem Weg.

Sie nicht! Sie ging jedes Problem logisch und pragmatisch an und arbeitete sofort an einer Lösung. Doch heute brauchte sie keine mehr, die Lösung hatte sich wunderbarerweise von selbst aufgetan. Ein zufriedenes Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus, sie ballte beide Hände zur Faust und streckte sie blitzartig nach oben. Gleichzeitig zog sie – so gut es in ihrem kurzen Rock möglich war – ihr rechtes Knie an und jubelte kurz auf. „Yeah!

„Ach? Weißt du schon Bescheid?“ Bendix von Serald bog um die Ecke und hatte ihren Gefühlsausbruch miterlebt.

Da war es wieder! Dieses magische Kribbeln, das immer verhalten begann und dann stärker wurde, wenn sich ihre Blicke mit denen von Bendix kreuzten. Das sie jedes Mal etwas atemlos und ratlos zurückließ. Denn eines war sicher! Sie war definitiv nicht in Bendix verliebt, auch wenn ihr Körper in seiner Nähe immer schlagartig unter Strom zu stehen schien. Sie ignorierte es und ging ihm lächelnd entgegen.

„Genial. So genial. Danke, Bendix, das verdanke ich bestimmt nur dir.“ Deborah blieb vor ihm stehen, legte den Kopf in den Nacken und sah ihn an. Der Sohn des Kanzleiinhabers war Ende dreißig, sehr groß und sehr schlank. Er wirkte dadurch fast lächerlich schlaksig und unbeholfen. Doch, wie hieß es immer so schön: Der Schein trügt und in seinem Fall sogar gewaltig. Denn, man konnte sich durch seine Art ganz schön in ihm täuschen. Vor Gericht war er ein brandgefährlicher, schneller Gegner, der jeden zur Strecke brachte.

Außerdem hatte er eine attraktive und männliche Aura, die Deborah jedes Mal aufs Neue faszinierte. Er wirkte immer etwas wild mit den dunklen Augen, den verwuschelten, lockigen Haaren und besaß ein winziges Grübchen an der linken Wange, das nur dann neben seinem kurzen, akkurat geschnittenen Bart zum Vorschein kam, wenn er wie jetzt die Mundwinkel bedächtig nach oben zog. Ein Mann, der jeder Frau den Kopf verdrehen konnte, aber nur, solange er nicht sprach oder sich nicht bewegte.

Tat er das, dann zog sich in Deborah alles zusammen und sie kam immer in Versuchung, ihm einen Schubs zu geben. Er war in jeder Hinsicht bedächtig. Nein, eher langsam und lahm, korrigierte sie sich.

Unendlich langsam – schneckenmäßig langsam.

Liebenswürdig langsam, aber einfach zu langsam – für ihr Tempo!

Jede seiner Bewegungen sah so zeitlupenmäßig aus, dass sie selbst immer hektisch wurde. Doch auch da täuschte man sich in ihm. Denn war Eile geboten, kam Bendix in Fahrt. Dann musste man manches Mal Angst bekommen, dass er über seine langen Beine stolperte, wenn er hastig durch die Kanzleigänge eilte.

Ein tollpatschiger, liebenswürdiger Mann war er, der sie, auch jetzt wieder, mit seinem Lächeln in seinen Bann zog. Sie mochte ihn, mehr nicht, auch wenn ihr Körper momentan starke Unruhe signalisierte, die sie gekonnt ignorierte.

„Gern geschehen, aber wie sagte schon Jean de La Fontaine: Man muss sich gegenseitig helfen, das ist ein Naturgesetz. Außerdem – es waren alle einstimmig dafür. Du verdienst endlich diese Chance. Also …“, wieder lächelte er Deborah bedächtig an. „Wenn du Fragen zum Sozietätsvertrag hast, frag mich. Ich habe immer Zeit für dich. Zeit, die wir uns nehmen, ist Zeit, die uns etwas gibt.

Klar, das war absolut glasklar! Und seine Sprüche auch, die er zu jeder Gelegenheit aus dem Ärmel zaubern konnte. Sie schenkte ihm ein Lächeln und ging mit ihm den Gang entlang. Von der ersten Minute an hatten sie sich gut verstanden, waren gute Freunde geworden, und sie hatten beide die gleiche logische Art, Fälle zu entwirren. Oftmals waren sie in den letzten Jahren vor Gericht ein unschlagbares Team gewesen.

Am Empfangsbereich blieb sie stehen und sah Bendix hinterher, der in seinem Büro verschwand. Kerstin Eppinger, Sekretärin des Seniorchefs und Empfangsdame, streckte ihr einen Zettel entgegen. „Kannst du Frau Großmann bitte zurückrufen?

„Klar, mach ich.“ Deborah drehte sich um, als ein kurzes Summen ertönte und sich Sekunden später die Eingangstür der Kanzlei öffnete. Zögernd kam eine junge Frau hereinspaziert, die unter dem Arm einen Fahrradhelm trug.

„Hallo, Natascha. Ach Gott, schon so spät. Würdest du bitte kurz warten? Meine Assistentin hat auch was für dich oder liegt es schon hier?“ Hektisch sah Deborah wieder zu Kerstin Eppinger. Die schüttelte den Kopf.

„Dann wird sie es bestimmt gleich bringen.“ Deborah lächelte die Frau an und musterte sie unauffällig. Natascha Linden kam seit Weihnachten jeden Tag in die Kanzlei, um die Gerichtspost abzuholen und per Fahrrad zuzustellen und – sie hatte jeden Tag dieselbe Kleidung an. Immer sauber, immer ordentlich, aber immer dieselbe Jeans, dasselbe Sweatshirt und einen Anorak, der mehr als schäbig wirkte. Natascha war zudem eher dünn als schmal, erstaunlich groß und hatte stechende grüne Augen, die einem sofort auffielen. Sie hatte mehrere Piercings und einen Nasenring, bei dessen Anblick sich Deborah insgeheim immer schüttelte. Dennoch täuschte das Aussehen, denn sie war stets überpünktlich, sehr zuverlässig und höflich und – sie redete nie ein Wort, wenn sie nicht angesprochen wurde. Auch heute blieb sie schüchtern im Hintergrund stehen und Deborah hatte nicht zum ersten Mal den Eindruck, dass sie ständig hungrig war. Wie üblich fiel Nataschas Blick auf einen Teller, der auf dem Empfangstresen stand und mit Plätzchen und Bonbons gefüllt war. Sie hielt ihr spontan den Teller hin. „Bedien dich.“

„Danke.“ Natascha griff zu und nahm bescheiden zwei Kekse. Sie räusperte sich und holte einen Zettel aus ihrer Kuriertasche, strich ihn glatt und legte ihn auf den Tresen. „Sie suchen eine Bürohilfe für die Kanzlei?

Kerstin Eppinger blickte überrascht auf und wechselte mit Deborah einen schnellen Blick. Deborah wusste, dass Kerstin erst gestern Natascha gebeten hatte, genau diesen Zettel beim Amtsgericht ans schwarze Brett zu hängen. Dahin war der Zettel aber augenscheinlich gar nicht erst gekommen.

„Ja, warum, hast du Interesse?“, fragte Kerstin Eppinger.

„Hier fürs Oberlandesgericht.“ Deborah lehnte sich jetzt an das Regal und händigte Natascha einen Umschlag aus, den Tina ihr soeben gebracht hatte. „Suchst du noch einen Zusatzjob?“

„Eigentlich schon.“ Natascha nahm den Umschlag und schien zu überlegen. „Würde es auch erst mittags gehen? Ich bin doch schon um die Mittagszeit fertig. Was müsste ich tun?

Wieder wechselten Deborah und Kerstin einen Blick. „Akten kopieren. Akten in die Regale abhängen, ab und zu Besorgungen erledigen. Wir haben mehr als genug Arbeit. Hast du ein Auto?“ Kerstin lächelte Natascha an.

„Nein.“ Nataschas Miene wirkte enttäuscht, aber sie straffte sich gleich wieder.

„Egal.“ Kerstin wischte die Antwort mit einer Handbewegung weg. „Du könntest meines nehmen.“

Natascha schüttelte wieder den Kopf. „Ich – ich habe keinen Führerschein. Schade! Naja, ein Versuch war es wert.“ Sie zog sich merklich zurück, nahm die Briefe, schrieb sorgfältig eine Quittung und reichte sie Kerstin. Dann nahm sie den Zettel mit dem Jobangebot und steckte ihn wieder ein. „Ich häng ihn auf.“ Schon drehte sie sich um und wollte gehen. „Wiedersehen.“

„Natascha, warte mal.“ Kerstin hielt sie zurück. „Hast du vielleicht irgendwelche Zeugnisse, Schulabschluss- oder ein Ausbildungszeugnis?

Die junge Frau nickte. „Ja, aber nicht dabei.“

„Macht nichts. Bring morgen alles mit und wenn du mittags noch Zeit hättest, komm vorbei. Ich kann dir ja mal alles zeigen.“

„Gern. Danke. Selbstverständlich habe ich Zeit.“ Auf einmal erschien ein Leuchten auf Nataschas Gesicht und man sah, wie hübsch sie war. „Vielen Dank! Tschüss, bis morgen.“

„Na, da hast du jetzt ein gutes Werk getan.“ Deborah hatte die ganze Zeit schweigend zugehört.

„Ich habe schon lange den Eindruck, dass es der Kleinen nicht gut geht.“ Kerstin Eppinger, Anfang fünfzig, wirkte trotz des eleganten Kostüms und des gepflegten Kurzhaarschnitts eher sportlich und mütterlich. Und genau das war sie, die gute Seele des Büros. Sie hatte immer ein Ohr für jeden und ein gutes Gespür, wenn jemand Hilfe benötigte. „Ich denke, sie kann das Geld gut gebrauchen. Als Kurier wird sie keine Reichtümer verdienen.“

Herz mini

Die Hälfte der Visite war vorüber. Tom hatte kaum geredet, alles fast schweigend beobachtet.

Schweigend deshalb, weil er noch mit der Überraschung kämpfte, dass er ausgerechnet in Stuttgart endlich der Frau gegenüberstand, die er lange vergeblich gesucht hatte. Im Leben hätte er nicht mehr damit gerechnet, sie doch noch einmal wiederzusehen. Und in den letzten Jahren hatte er sich erfolgreich verboten, an sie zu denken. Lang genug hatte er sich geärgert, dass er Samantha so leichtfertig hatte ziehen lassen. Aber sein Leben war zu dieser Zeit ein einziges Chaos gewesen.

Hätte ihm damals jemand gesagt, dass er ein halbes Jahr nach seiner Scheidung die Frau seines Lebens kennenlernen würde, hätte er ihn für verrückt erklärt. Er hatte zu dieser Zeit bewusst alle Brücken nach Deutschland abgebrochen. Hatte sich in der Arktis vergraben, um den Kummer und den Schmerz zu vergessen, der für das Ende seiner Ehe verantwortlich gewesen war. Und für das Ende seiner Träume.

Doch eines Tages war Samantha mitten im Berufsverkehr der Oak Street direkt vor ihm auf die Nase gefallen. Er hatte ihr aufgeholfen und in die schönsten Augen geblickt, die er jemals gesehen hatte. Große, dunkelbraune Augen mit goldenen Sprenkeln, die ihn vergnügt angeblitzt hatten. „Hoppla, das war wohl glatt“, hatte sie automatisch in deutscher Sprache zu ihm gesagt und er hatte grinsend, ebenfalls in Deutsch, geantwortet: „Arschglatt sogar.“

Von diesem Moment an waren sie während seines gesamten Urlaubs unzertrennlich gewesen. Nie hätte er gedacht, dass sie ihm schon ein paar Tage nach der Trennung so fehlen würde, dass er am liebsten alles stehen und liegen gelassen hätte und zu ihr geeilt wäre. Kaum war Monate später der nächste Urlaub fällig gewesen, war er nach Vancouver geflogen. Doch da war sie schon spurlos verschwunden. Damals hatte noch nicht jeder ein Handy in der Tasche und E-Mails waren auch noch nicht selbstverständlich gewesen. Er hatte keine Chance gehabt, sie zu finden.

Nun stand er also wieder neben Samantha, seiner Sam, die er nie vergessen hatte. Doch sie war sauer auf ihn, das war nicht zu übersehen. Die Frage war nur: Warum?

Sie war heute Morgen ins Zimmer getreten und ihr strahlendes Lächeln war in sich zusammengesackt, als würde sie dem Teufel persönlich gegenüberstehen. Pure Begeisterung, wie er sie verspürte, war das jedenfalls nicht. Wiedersehensfreude sah anders aus.

Warum wirkte sie also so ärgerlich und gleichzeitig verletzt? Sie hatten sich damals einvernehmlich getrennt. Es war der falsche Zeitpunkt gewesen, um ein gemeinsames Leben zu planen. Samantha war zu jung und viel zu beschäftigt gewesen, ihre eigene Zukunft aufzubauen. Und er leckte damals noch seine Wunden, die ihm das Leben zugefügt hatte. Die er auch heute noch schmerzlich spürte, wenn seine Schutzmauer ab und zu einen Knacks bekam. Als Samantha sich lautstark räusperte, erwachte er aus seinem Ausflug in die Vergangenheit.

„Ich möchte in den nächsten Tagen noch eine Tomografie machen. Der Ellbogen von Jonas macht wieder Ärger.“ Samantha zeigte auf einen rothaarigen kleinen Jungen, der verschüchtert in einem viel zu großen Krankenbett lag und die Bettdecke bis zum Kinn hochgezogen hatte.

„Entschuldige, ich habe nicht zugehört.“ Wenn Blicke töten könnten, wäre er jetzt mausetot umgefallen. Ihr giftiger Blick sagte mehr als tausend Worte.

Egal, ich habe unendlich viel Zeit und erkläre es gerne auch fünfmal.“

Er zuckte leicht zurück, als er ihre wütende Erklärung hörte, doch sie beachtete es gar nicht.

„Jonas ist vor anderthalb Jahren auf den Ellbogen gefallen. Er hat immer wieder Schmerzen, die Beugebewegung ist nie gut geworden. Wir finden keine Ursache für die ständigen Beschwerden. Aber wir vermuten eine Entzündung am Sehnenansatz.“

„Wie behandelst du ihn?“ Seine Stimme klang rau und unnatürlich. Er räusperte sich mehrmals, um die Enge in seinem Hals loszuwerden, die ihm fast die Luftröhre abdrückte, seit Samantha wie ein Wirbelwind ins Zimmer getreten war. Und er versuchte, sich endlich zu konzentrieren.

„Tschüss, Jonas. Ich komme morgen wieder“, meinte sie, nachdem er die Bewegungsfähigkeit des Armes kontrolliert und nach der Physiotherapie gefragt hatte.

„Wir müssen reden“, sagte sie zu ihm und zog ihn vor die Tür. Dort stemmte sie die Arme in ihre Hüften. „Tom, hast du überhaupt schon einmal mit hämophilen Patienten zu tun gehabt?

„Nicht wirklich“, gab er zähneknirschend zu. „Aber ich habe in den letzten Wochen alles gelesen, was ich in die Finger bekommen habe. Über die Vererbung der Bluterkrankheit, über die Risiken … Wie die Prophylaxe funktioniert, die Medikamente und die Forschung. Ich weiß, dass es viele Formen von angeborenen Gerinnungsstörungen gibt. Hämophilie A und B, Willebrand-Jürgens-Syndrom …“

„Faktor-V-Leiden und nicht zuletzt die erworbenen Gerinnungsstörungen“, ergänzte Samantha.

„Ich weiß, dass man Hämophilie A beispielsweise mit Faktor VIII behandelt und Hämophilie B mit Faktor IX. Das Krankheitsbild und die Folgen interessieren mich. Ich denke, als Orthopäde kann ich euch hier im Hämophiliezentrum gut helfen“, schloss er matt seinen Bericht, als er Samanthas skeptische Miene sah. „Okay, ich weiß fast gar nichts. Klär mich auf.“

„Sehr gern.“ Jetzt grinste sie fast übermütig. „Hier in Deutschland haben wir das Glück, dass die Versorgung überdurchschnittlich gut ist. Die Kinder steigen bei einer schweren Hämophilie mit spätestens zwei Jahren in eine regelmäßige Faktorgabe ein. Dadurch können wir das Blutungsrisiko minimieren, aber nicht vollständig ausschließen.“

Tom kratzte sich am Kopf. „Und wenn, wie bei Jonas ein Notfall eintritt, dann spritzt du täglich, vermute ich.

„Meistens, eventuell sogar zweimal am Tag. Nach einer so schweren Verletzung geben wir ihm in der ersten Woche eine höhere Dosis des Faktors und wägen danach erneut ab. Zudem bekommt er noch einmal am Tag ein entzündungshemmendes Mittel, beispielsweise Diclofenac. Seit gestern habe ich die Faktoreinheiten bei ihm reduziert, da die Verletzung gut heilt. Sobald alles normal läuft, möchte ich bei ihm einen Recovery-Test machen. Dabei lassen wir die Patienten auf Nullwert runterkommen, dann legen wir einen Zugang in die Vene, spritzen seinen Faktor und nehmen ihm in Intervallen Blut ab, das sofort im Labor untersucht wird. Damit können wir feststellen, wie der Faktor im Körper anflutet und wie der Patient den Faktor abbaut.“

„Ist das so unterschiedlich?

„Allerdings. Momentan wissen wir noch nicht, warum das so ist. Aber jedes Kind hat andere Werte. Man könnte Vermutungen anstellen, ob es sich um schlummernde Hemmkörper handelt, die man nicht nachweisen kann oder, ob wir grundsätzlich irgendetwas übersehen.“

So ging es weiter, aber Tom nahm nichts auf. Er sah nur Samantha, wie sie ihm alles erklärte, und konnte den Blick nicht von ihr wenden.

Sie hatte sich nicht verändert. Großartig sah sie aus. Selbst in weißer Jeans und Arztkittel kam sie ihm so verführerisch und sexy vor, dass er Mühe hatte, seine Reaktion zu verbergen. Diese Frau hatte von der ersten Sekunde an, als er sie vom Glatteis gezogen hatte, eine teuflische Wirkung auf ihn gehabt.

Allein schon der Tonfall ihrer Stimme reichte. Mal klang sie ernst und besorgt. Dann senkte sie die Stimme und erzählte mit einer Leidenschaft, mit der sie die ganze Freude an ihrer Arbeit preisgab, und strahlte dabei, ohne dass sie es selbst merkte. Auch jetzt! Als er ihr zum nächsten Zimmer folgte, stahl sich ein Grinsen in sein Gesicht.

Was für ein Glück! Jetzt hatte ihm das Schicksal überraschenderweise eine neue Chance geboten. Eine Chance, die er mit Sicherheit nutzen würde.

Wieder erschien ein Lächeln auf Samanthas Gesicht, als sie zu einem etwa vierjährigen Jungen traten, dessen Bein in einer Schiene steckte. Sie war mit Leib und Seele die Ärztin geworden, die sie hatte werden wollen, engagiert und immer für das Wohl ihrer Patienten da. Tom erkannte, dass ihre liebenswerte Art und ihr Lächeln noch genauso waren, wie er es in Erinnerung behalten hatte. Ihre Nase und die Wangen wurden von witzigen Sommersprossen dominiert. Samantha war nur größer, als er sie in Erinnerung hatte, dafür deutlich schlanker, aber kurvig wie früher. Ihre weiblichen Formen saßen an genau den richtigen Stellen und waren optimal proportioniert. Sein Körper reagierte bei dieser Erinnerung blitzartig. Samantha war anwesend und er hatte nur einen einzigen Gedanken – sie in seine Arme zu ziehen und nicht mehr loszulassen.

Himmel! An was dachte er denn da?

Wieder stellte sie ihm den Patienten vor und, während sie ihre Hand hob, schielte er auf ihren Ringfinger. Unbemerkt atmete er auf, ihre Hand war komplett schmucklos, kein Armband, keine Uhr und was weit wichtiger war – kein Ring!

Herz mini

Bendix stieß mit Deborah zusammen, als er aus seinem Zimmer kam.

„Hoppla.“ Er hielt sie fest und schob sie auf Armlänge von sich, doch Deborah machte sich lachend frei.

„Nichts passiert. Entschuldige, ich war in Gedanken.“ Sie ging rückwärts und lachte ihn an.

„Macht nichts, ich fang dich gerne auf.“

„Klar.“ Deborah hob lächelnd eine Augenbraue und schüttelte amüsiert den Kopf. „Sorry, Bendix, keine Zeit für einen Plausch, ich muss dringend telefonieren.“ Schon war sie in ihrem Büro verschwunden, das gegenüberlag.

Bendix seufzte, steckte die kribbelnden Hände in die Taschen und ballte sie zu Fäusten. Immer, wenn er Deborah zufälligerweise berührte, spürte er sie anschließend in jeder Pore des Körperteils, welches den Kontakt hatte. Ihr Körper schien eine chemische Reaktion in ihm hervorzurufen. Bei Deborah passierte wohl dagegen nichts dergleichen – jedenfalls ließ sie nie eine Reaktion erkennen. Sie hatte auch heute nicht einmal mit der Wimper gezuckt.

Er blickte auf die Tür, hinter der sie verschwunden war, trotzdem war ihr Bild unauslöschbar in sein Hirn gebrannt. Sie war so winzig und zierlich, wenn sie vor ihm stand und er verspürte immer den Wunsch, sie zu beschützen. Dabei brauchte sie seine Hilfe gar nicht. Sie kam sehr gut zurecht. Ihre Tochter und sie waren ein unschlagbares Team. Zudem war sie ein Wirbelwind, manches Mal hatte er Mühe, ihrem Tempo zu folgen.

Tatsächlich war er sich sicher, dass Deborah die Frau für ihn gewesen wäre, wenn sie ihm nur ein bisschen entgegenkommen würde. Wieder einmal bedauerte er es außerordentlich, dass sie nicht für ihn zu haben war. Alle Annäherungsversuche, die er bisher unternommen hatte, hatte sie lächelnd abgewehrt. Er fuhr mit der Hand über seinen Bart und ging grübelnd in die entgegengesetzte Richtung. Wie unzählige Male zuvor stellte er sich Fragen, die er nicht beantworten konnte:

Wann kam Deborah bloß in der Wirklichkeit an und wann würde sie endlich mit der Vergangenheit abschließen? Zehn Jahre waren es im Februar gewesen, dass ihr Verlobter tödlich verunglückt war. Aber sie hatte keinen Blick für ein männliches Wesen auf dieser Welt. Und für ihn schon gar nicht. Er seufzte, klopfte an der Bürotür seines Vaters und trat ein.

„Und? Was meinst du, wird sie zustimmen?

Sein Vater schmunzelte. Er schien sofort zu wissen, wen Bendix meinte. „Deborah hat sogar spontan zugestimmt. Sie war zwar total überrascht, denn sie dachte sicherlich im ersten Moment, ich würde ihr die Kündigung nahelegen. Und das alles nach dem Mandat, das ich ihr übertragen habe.“

Bendix fühlte den Blick seines Vaters auf sich ruhen, als er sich langsam in den Besucherstuhl sinken ließ und seine langen Beine zwischen Stuhl und Schreibtisch einfädelte. Wieder einmal überlegte er, ob sein Vater von seiner heimlichen Schwäche für Deborah wusste. Stattdessen fragte er: „Welches Mandat?

„Rabe gegen Rabe.“ Walter grinste verlegen.

Bendix sah seinen Vater freudig überrascht an. „Ach? Ist es jetzt endlich so weit?

Herz 3cm

Kapitel 3

Der Vormittag war rasend schnell verflogen. Gegen Mittag saß Deborah an ihrem Schreibtisch, als ihre nächste Mandantin angekündigt wurde.

„Ich komme.“ Sie legte die Akte zur Seite, die sie bearbeitet hatte, und dafür die neue von Dorothea Rabe auf ihren Tisch. Noch konnte sie nicht fassen, welch großartige Perspektive sich heute Morgen aufgetan hatte. Dieses Mandat, aber vor allem das Angebot zur Partnerschaft erfüllte sie mit Stolz und Genugtuung. Am liebsten hätte sie momentan die ganze Welt umarmt. So groß waren die Freude und die Erleichterung, dass sie es geschafft hatte.

Sie gestattete sich einen winzigen Moment der Schwäche, in welchem sie es bedauerte, keinen Partner zu haben, den sie jetzt anrufen konnte, um ihre Neuigkeiten mitzuteilen. Jemand, der sie liebte, der sich mit ihr freuen würde. Nur selten gestand sie sich ein, dass sie betrübt darüber war, dass sie ihr Leben ohne die Liebe zu einem Mann leben musste. Stopp, das stimmte nicht – sie hatte Adrien geliebt und er hatte sie geradezu vergöttert; sie waren überglücklich gewesen. Das musste wohl reichen. Sie liebte ihn noch heute, auch wenn er schon lange tot war.

Ein Gedankenblitz zog vorüber: Bendix hatte sich doch mit ihr gefreut.

Blödsinn! Dieser völlig verrückte Tag schien sie komplett durcheinanderzubringen. Deborah strich ihre Haare nach hinten und stand mit einem energischen Ruck auf. Sie sah kurz prüfend in ihrem Büro umher und war zufrieden mit dem, was sie sah. Auf ihrem Schreibtisch türmten sich zwar die Akten, aber alle waren feinsäuberlich zu Stapeln sortiert.

Ihr Schreibtisch war ein Schmuckstück, das sie sich von ihren ersten Gehältern gegönnt hatte. Der honigfarbene Tisch bestand aus Palisanderholz mit einer markanten Maserung und hatte eine außergewöhnliche Optik. Er war ein Unikat, in Handarbeit gefertigt und ihr ganzer Stolz. Als Blickfang hatte sie sich noch einen Beistelltisch sowie das passende Bücherregal geleistet. Bis heute hatte sie es keinen Tag bereut, dass sie dabei sehr tief in ihre Tasche hatte greifen müssen. Es war ihr egal, dass ihr Büro nicht groß war und nur ein Fenster hatte – es war ihr Reich und sie hatte es liebevoll eingerichtet. Auf dem Fenstersims standen Orchideen, die in voller Pracht blühten. Weitere Grünpflanzen auf dem Sideboard und dem Bücherregal ließen erkennen, dass hier jemand sehr gut mit Blumen umzugehen wusste.

Neben ihrem Bildschirm standen drei Bilder. Eines von ihrer Tochter, Adrienne, eines, auf dem sie beide mit Samantha und deren Sohn am Meer waren und schließlich das Bild ihres Verlobten und ihr, das aufgenommen worden war, kurz bevor sein Flugzeug abgestürzt war. Das Wrack und die drei Insassen waren nie gefunden geworden. Kurz dachte sie daran, wie sie jahrelang davon geträumt hatte, dass er eines Tages vor ihrer Tür stehen würde. Plötzlich hörte sie Stimmen, erinnerte sich, was sie eben hatte machen wollen, und eilte aus ihrem Büro Richtung Empfang.

Schon von weitem erblickte Deborah eine durch und durch gestylte, jugendlich wirkende Frau, die ihr erwartungsvoll entgegenblickte. Automatisch strich sie ihren Rock glatt und verbot sich, einen Kontrollblick auf ihre Hände zu werfen.

Dorothea Rabe erweckte schon beim ersten Anblick den Anschein, als ob sie in diese Jeans und das Poloshirt hineingeboren sei. Edel war kein Ausdruck, weder für die Kleidung noch für die Erscheinung. Sie war die Art Frau, die sich sofort durch ihr gepflegtes Äußeres von anderen Mitmenschen abhob, stellte Deborah neidlos fest. Auch der kurze, modische Haarschnitt stand ihr ausgezeichnet. Deborah entdeckte zu ihrer Erleichterung beim Näherkommen ein vorsichtiges, fast unsicheres Lächeln auf Dorothea Rabes Lippen. Fasziniert schloss sie die unauffällige Musterung ab und streckte ihr die Hand entgegen.

„Frau Rabe. Ich bin Deborah Groth. Wir haben vorhin miteinander telefoniert. Schön, dass Sie so schnell kommen konnten.“

„Ich danke Ihnen, Frau Doktor Groth, dass Sie mich dazwischenschieben konnten.“

„Das ist doch selbstverständlich. Gehen wir in mein Zimmer? Kann ich Ihnen vielleicht einen Kaffee oder ein Wasser anbieten?

„Gern, ein Wasser bitte.“

„Tina, bringst du uns bitte Wasser und Kekse?“ Deborah deutete den Weg an.

„Was kann ich für Sie tun?“, fragte sie, nachdem Dorothea Rabe Platz genommen hatte.

„Mein Mann hat mich vor die Tür gesetzt. Wie im Film. Ich kann es immer noch nicht fassen.“ Dorothea Rabe faltete ihre Hände und schaute zur Tür, als es klopfte.

„Herein. Danke, Tina.“

Nachdem sie wieder alleine waren, nahm Deborah den Faden wieder auf. „Erzählen Sie mir bitte alles von Anfang an.“

„Hm-hm.“ Dorothea Rabe räusperte sich. „Es ist mir entsetzlich unangenehm, in einer solchen Lage zu stecken. Aber …“, sie seufzte tief auf. „Mein Mann hatte mit Sicherheit viele Jahre lang ein Verhältnis mit seiner Sekretärin. Sehr diskret natürlich. Er stritt es mir gegenüber immer ab, aber die Vermutung lag nahe. Die Dame ist vor fünf Jahren gestorben. Unsere Ehe ist schon seit Jahren nur noch eine Farce, aber ich konnte ihm nie etwas nachweisen.“