Oh, du striemenreiche...
Zwei Kurzgeschichten aus dem Buch "Alles Liebe - zum Fest der Hiebe"

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Oh, du striemenreiche...

aus "Alles Liebe - zum Fest der Hiebe"

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ELYSION-BOOKS

O du striemenreiche

Antje Ippensen

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Zu Hause sitzen sie jetzt beim Weihnachtskaffee. Sie hat sich entschuldigen lassen; gegen Abend würde sie wieder da sein. Innerlich glühend ist sie seinen Anweisungen gefolgt und hat gemerkt, wie der alljährliche, grässliche Festvorbereitungs- und Konsumschlacht-Stress von ihr abfiel wie eine alte raschelnde Schlangenhaut.

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Es ist kühl. Dunkelheit füllt den kreisrunden Raum.

Über dieses an sich stimmige Detail ärgert sie sich ein bisschen, weil er so nicht sofort ihr sorgfältig ausgesuchtes Outfit bewundern kann. Doch sie wartet ruhig und so regungslos wie nur möglich … wartet … wartet … wenigstens hat dieses Warten eine andere Qualität als vor dem heimischen PC, wenn er nicht in den Messie kommt und ihr sogar die fade Gnade eines belanglosen Chats verweigert.

Jetzt ist es anders.

Oder?

Er wird sie doch nicht versetzen?

Er ist unberechenbar. Lässt sich nie in die Karten schauen.

Sie unterdrückt gerade noch ein nervöses Kichern.

»Aufrecht stehend, mit dem Rücken zur Tür, schweigend«, hat er ihr – telefonisch – befohlen. »Die Hände vor der Brust gekreuzt. Und: kein – einziger – Laut.«

So verharrt sie nun schon eine gute Weile.

Da! Ein Luftzug?

Ist er da? In ihren Gesäßbacken prickelt es leicht, sie spürt, wie sie noch ein kleines bisschen feuchter wird.

Dann entspannt sie sich wieder, da nichts passiert.

Nein, er ist wohl noch nicht d…

Seine Hand kommt aus der Finsternis und packt sie im Nacken.

Sie würde gern schreien, lustvoll wimmern oder seufzen, aber sie bleibt still. Ein Glück nur, dass sie in der Hinsicht recht gut trainiert ist, denn er hat sie total überrascht. Ihr Herz hämmert. Sie spürt es unter ihren Händen, die sie nach wie vor an die Brüste presst, gekreuzt.

Sein kehliges, warmes Lachen. Anerkennend. Und zugleich schwingt ein bedrohlicher Unterton in diesem Lachen mit, und sie weiß auch weshalb.

Denn er hat an ihrem Genick, ihrem Hals nach etwas getastet, was nicht da ist. Auf recht grobe Weise. Sie kann erklären, wieso es nicht da ist, aber während sie jetzt über diese Erklärung nachdenkt, kommt sie ihr … unzulänglich und peinlich vor. Zum einen. Zum anderen hat sie den starken Verdacht, dass ihre Rechtfertigungen ihn überhaupt nicht interessieren …

Obgleich im Grunde alles seine Richtigkeit hat. Sie hat nicht gegen eine Regel verstoßen. Nicht wirklich.

Denn er ist längst nicht mehr ihr Dom. Er hat sie freigegeben, schon vor Monaten, und dennoch blieb immer ein Band zwischen ihnen. Er hält sie seitdem eben nur noch an einem dünnen Seidenfaden, nicht mehr an einer Kette.

»Schweren Herzens gebe ich dich frei«, hat er geschrieben, Arbeitsüberlastung und daraus folgend zu wenig Zeit sei der Grund dafür, und obwohl sie ihm das manchmal nicht so ganz geglaubt hat – jetzt glaubt sie es wieder, will es glauben, denn er ist da und er hat sich auch noch sehr gut an ihre einzigen beiden kleinen Sessions erinnert. Wieder wie damals haben sie zuvor das eine oder andere Geplänkel per Chat und Telefon gehabt, und nun …

Nun treffen sie sich hier, in der neuen SM-Location »Tower of Torture« (liebevoll »Toto« genannt), die nur aus einem Vorraum und dieser kreisförmigen, stilvoll eingerichteten Turmzelle besteht, für bizarre Spiele bestens geeignet. Und zum Glück ist sie sogar an einem Feiertag wie diesem geöffnet.

Er zündet zwei kleine Fackeln an, die tanzendes Licht auf sie beide werfen, und freundlich befiehlt er ihr sich umzudrehen.

Sie tut es, und ohne nachzudenken, schaut sie ihm in die Augen, die so leuchtend blau sind wie in ihrer Erinnerung.

»So, du hast also das Halsband ›vergessen‹«, sagt er weich.

Sie will erwidern, doch gerade noch rechtzeitig fällt ihr ein, dass er ihr nicht erlaubt hat zu sprechen.

»Auf die Knie mit dir, Schlampe«, erklingt seine faszinierende Stimme, weiterhin ruhig, freundlich, sanft.