Der Spiegel spricht

Das Daumersche Haus lag neben dem sogenannten Annengärtlein auf der Insel Schütt; es war ein altes Gebäude mit vielen Winkeln und halbfinstern Kammern, doch erhielt Caspar ein ziemlich geräumiges und wohleingerichtetes Zimmer gegen den Fluß hinaus.

Er mußte sogleich zu Bett gebracht werden. Es zeigten sich jetzt mit einem Schlag die Folgen der jüngst durchlebten Zeit. Er war wieder ohne Sprache, ja bisweilen ohne Gefühl des Lebens. Auf den ungewohnten Kissen warf er sich fiebernd herum. Wie jammervoll, ihn bei jedem Knacken der Dielen erschaudern zu sehen; auch das Geräusch des Regens an den Fenstern versetzte ihn in aufgewühlte Bangnis. Er hörte die Schritte, die auf dem weiten Platz vor dem Haus verhallten, er vernahm mit Unruhe die metallenen Schläge aus einer fernen Schmiede, jeder Stimmenlärm brachte auf seiner eingeschrumpften Haut ein Zeichen des Schmerzes hervor, und von Moment zu Moment vertauschten seine Züge den Ausdruck der Erschöpfung mit dem gepeinigter Wachsamkeit.

Drei Tage lang wich Daumer kaum von seinem Bett. Diese Opferkraft und Hingebung erregte die Bewunderung der Seinen. „Er muß mir leben“, sagte er. Und Caspar fing an zu leben. Vom dritten Tag an besserte sich sein Zustand stetig und schnell. Als er am Morgen erwachte, lag ein besinnendes Lächeln auf seinen Lippen. Daumer triumphierte.

„Du tust ja, als ob du selbst dem Kerker entronnen wärst“, meinte seine Schwester, die nicht umhin konnte, an seiner Freude teilzunehmen.

„Ja, und ich habe eine Welt zum Geschenk erhalten“, antwortete er lebhaft. „Sieh ihn nur an! Es ist ein Menschenfrühling.“

Am andern Tag durfte Caspar das Bett verlassen. Daumer führte ihn in den Garten. Damit das grelle Tageslicht seinen Augen nicht schade, band er ihm einen grünen Papierschirm um die Stirn. Späterhin wurden die Dämmerungszeit oder die Stunden bewölkten Himmels für diese Ausgänge vorgezogen.“ Es waren ja Reisen, und nichts geschah, was nicht zum Ereignis wurde. Welche Mühe, ihn sehen, ihn das Gesehene nennen zu lehren. Er mußte erst zu den Dingen Vertrauen gewinnen, und ehe nicht ihre Wirklichkeit ihm selbstverständlich ward, machte ihn ihre unvermutete Nähe bestürzt. Als er endlich die Höhe des Himmels und auf der Erde die Entfernung von Weg zu Weg begriff, wurde sein Gang ein wenig leichter und sein Schritt mutiger. Alles lag am Mut, alles lag daran, den Mut zu kräftigen. „Das ist die Luft, Caspar, du kannst sie nicht greifen, aber sie ist da; wenn sie sich bewegt, wird sie zum Wind, du brauchst den Wind nicht zu fürchten. Was hinter der Nacht liegt, ist gestern, was über der nächsten Nacht liegt, ist morgen. Von gestern bis morgen vergeht Zeit, vergehen Stunden, Stunden sind geteilte Zeit. Dies ist ein Baum, dies ist ein Strauch, hier Gras, hier Steine, dort Sand, da sind Blätter, da Blüten, da Früchte ...“

Aus dem dumpfen Hören heraus erwuchs das Wort. Die Form wurde einleuchtend durch das unvergeßliche Wort. Caspar schmeckt das Wort auf der Zunge, er spürt es bitter oder süß, es sättigt ihn oder läßt ihn unzufrieden. Auch hatten viele Worte Gesichter, oder sie tönten wie Glockenschläge aus der Dunkelheit, oder sie standen wie Flammen in einem Nebel.

Es war ein langer Weg vom Ding bis zum Wort. Das Wort lief davon, man mußte nachlaufen, und hatte man es endlich erwischt, so war es eigentlich gar nichts und machte einen traurig. Gleichwohl führte derselbe Weg auch zu den Menschen. Ja, es war, als ob die Menschen hinter einem Gitter von Worten stünden, das ihre Züge fremd und schrecklich machte. Wenn man aber das Gitter zerriß oder dahinter kam, waren sie schön.

Hatte es am Morgen neu geklungen, zu sagen: die Blume – am Mittag war es schon vertraut, am Abend war es schon alt. „Dies Herz, dies Hirn, zur Fruchtbarkeit aufbewahrt durch lange Zeiten, treibt wie vertrockneter und endlich befeuchteter Humus Sprößlinge, Blüten und Früchte in einer Nacht“, notierte der fleißige Daumer. „Was dem matten Blick der Gewohnheit unwahrnehmbar geworden, erscheint diesem Auge frisch wie aus Gottes Hand. Und wo die Welt verschlossen ist und ihre Geheimnisse beginnen, da steht er noch seltsam drängend und fragt sein zuversichtliches Warum. Nach jedem Schall und jedem Schein tappt dies zweifelnde, erstaunte, hungrige, ehrfurchtslose Warum.“

Es ist nicht zu leugnen, Daumer wurde oft erschreckt durch das Gefühl eignen Ungenügens. Heißt das noch lehren, grübelte er, heißt das noch Gärtner sein, wenn das wilde Wachstum sich dem Pfleger entwindet, das maßlos wuchernde Getriebe keine Grenze achtet? Wie soll das enden? Zweifellos bin ich hier einem ungewöhnlichen Phänomen auf der Spur, und meine teuern Zeitgenossen werden sich herbeilassen müssen, ein wenig an Wunder zu glauben.

Noch immer war es die liebste Vorstellung Caspars, einst heimkehren zu dürfen. „Erst lernen, dann heim“, sagte er mit dem Ausdruck unbesiegbarer Entschiedenheit. „Aber du bist ja zu Hause, hier bei uns bist du zu Hause“, wandte Daumer ein. Aber Caspar schüttelte den Kopf.

Bisweilen stand er am Zaun und sah in den Nachbargarten hinüber, wo Kinder spielten, deren Wesen er mit komischem Befremden studierte. „So kleine Menschen“, sagte er zu Daumer, der ihn einmal dabei überraschte, „so kleine Menschen!“ Seine Stimme klang traurig und höchst verwundert.

Daumer unterdrückte ein Lächeln, und während sie zusammen ins Haus gingen, suchte er ihm klarzumachen, daß jeder Mensch einmal so klein gewesen, auch Caspar selbst. Caspar wollte das durchaus nicht zugeben. „O nein, o nein“, rief er aus, „Caspar nicht, Caspar immer so gewesen wie jetzt, Caspar nie so kurze Arme und Beine gehabt, o nein!“

Dennoch sei dem so, versicherte Daumer; nicht allein, daß er klein gewesen, sondern er wachse ja noch täglich, verändere sich täglich, sei heute ein ganz anderer als der Hauser auf dem Turm, und nach vielen Jahren werde er alt werden, seine Haare würden weiß sein, die Haut voller Runzeln.

Da wurde Caspar blaß vor Furcht, er fing an zu schluchzen und stotterte, das sei nicht möglich, er wolle es nicht, Daumer möge machen, daß es nicht geschehe.

Daumer flüsterte seiner Schwester etwas zu, diese ging in den Garten und brachte nach kurzer Weile eine Rosenknospe, eine aufgeblühte und eine verwelkte Rose mit herauf. Caspar streckte die Hand nach der vollblühenden aus, wandte sich aber gleich mit Ekel ab, denn sosehr er die rote Farbe vor allen andern liebte, der heftige Geruch der Blume war ihm unangenehm. Als ihm Daumer den Unterschied der Lebensalter an Knospe und Blüte erklären wollte, sagte Caspar: „Das hast du doch selbst gemacht, es ist ja tot, es hat keine Augen und keine Beine.“

„Ich hab’ es nicht gemacht“, entgegnete Daumer, „es ist lebendig, es ist gewachsen, alles Lebendige ist gewachsen.“

„Alles Lebendige gewachsen“, wiederholte Caspar fast atemlos, indem er nach jedem Wort pausierte. Hier drohte Verwirrung. Auch die Bäume im Garten seien lebendig, sagte man ihm, und er getraute sich nicht, den Bäumen zu nahen, das Rauschen ihrer Kronen machte ihn bestürzt. Er fuhr fort zu zweifeln und fragte, wer die vielen Blätter ausgeschnitten habe und warum? warum so viele? Auch sie seien gewachsen, wurde geantwortet.

Aber mitten auf dem Rasen stand eine alte Sandsteinstatue, die sollte tot sein, obwohl sie aussah wie ein Mensch. Caspar konnte stundenlang die Blicke nicht davon wenden, Verwunderung machte ihn stumm. „Warum hat es denn ein Gesicht?“ fragte er endlich. „Warum ist es so weiß und so schmutzig? Warum steht es immer und wird nicht müde?

Als seine Furcht besiegt war, ging er heran und wagte die Figur zu betasten, denn ohne zu tasten glaubte er nicht dem, was er sah. Er hatte den heftigen Wunsch, das Ding auseinandernehmen zu dürfen, um zu wissen, was innen war. – Wieviel war überall innen, wieviel steckte überall dahinter!

Es fiel ein Apfel vom Zweig und rollte ein Stück des abschüssigen Weges entlang. Daumer hob ihn auf, und Caspar fragte, ob der Apfel müde sei, weil er so schnell gelaufen. Mit Grauen wandte er sich ab, als Daumer ein Messer nahm und die Frucht entzweischnitt. Da ward ein Wurm sichtbar und krümmte seinen dünnen Leib gegen das Licht.

„Er war bis jetzt im Finstern gefangen wie du im Kerker“, sagte Daumer.

Das Wort machte Caspar nachdenklich, es machte ihn nachdenklich und mißtrauisch. – Wie vieles war da im Kerker, wovon er nicht wußte! Alles Innen war ein Kerker. – Und in wunderlicher Verworrenheit knüpfte sich an diesen Gedanken die Erinnerung an den Schlag, den er damals erhalten, nachdem ihn der Du gelehrt, wie man das Pferdchen frei bewegen könne. In allen fremden Dingen lauerte der Schlag, in allen unbekannten wohnte Gefahr. Eine gewisse strahlende Heiterkeit, die allmählich Caspars Wesen entströmte und die das Entzücken seiner Umgebung bildete, war daher stets an jene erwartungsvolle, ahnungsvolle Bangigkeit gebunden.

Nach regnerischen Stunden mit Daumer aus dem Tor tretend, gewahrte Caspar einen Regenbogen am Himmel. Er war starr vor Freude. Wer das gemacht habe, stammelte er endlich. Die Sonne. Wie, die Sonne? Die Sonne sei doch kein Mensch. Die natürlichen Erklärungen ließen Daumer im Stich, er mußte sich auf Gott berufen. „Gott ist der Schöpfer der belebten und unbelebten Natur“, sagte er.

Caspar schwieg. Der Name Gottes klang ihm seltsam düster. Das Bild, das er dazu suchte, glich dem Du, sah aus wie der Du, als die Decke, des Gefängnisses auf seinen Schultern ruhte, war unheimlich verborgen wie der Du, als er den Schlag geführt, weil Caspar zu laut gesprochen.

Wie geheimnisvoll war alles, was zwischen Morgen und Abend geschah! Das Regen und Raunen der Welt, das Fließen des Wassers im Fluß, das Ziehen luftig-dunkler Gegenstände hoch in der Luft, die man Wolken nannte, das Vorübergehen und Nichtwiederkommen undeutbarer Ereignisse, und vor allem das Flüchten der Menschen, ihre schmerzlichen Gebärden, ihr lautes Reden, ihr sonderbares Gelächter. Wieviel war da zu erfahren und zu lernen!

Es schnürte Daumer das Herz zusammen, wenn er den Jüngling in tiefem Nachdenken sah. Caspar schien dann wie erfroren, er hockte zusammengekauert da, seine Hände waren geballt, und er hörte und spürte nicht mehr, was um ihn vorging. Ja, es war zu solchen Zeiten eine vollständige Dunkelheit um Caspar, und nur, wenn er lange genug versunken war, hüpfte aus der Tiefe etwas wie ein Feuerfunken, und in der Brust begann eine undeutlich murmelnde Stimme zu sprechen. Wenn der Funken wieder verlosch, tat sich die äußere Welt wieder kund, aber eine schwermütige Unzufriedenheit hatte sich Caspars bemächtigt.

„Wir müssen einmal mit ihm hinaus aufs Land“, sagte Anna Daumer eines Tages, als der Bruder mit ihr darüber gesprochen. „Er braucht Zerstreuung.“

„Er braucht Zerstreuung“, gab Daumer lächelnd zu, „er ist zu gesammelt, das ganze Weltall lastet noch auf seinem Gemüt.“

„Da es sein erster Spaziergang sein wird, wäre es gut, die Sache möglichst still zu unternehmen, sonst sind wieder alle Neugierigen bei der Hand“, meinte die alte Frau Daumer. „Sie schwatzen ohnehin genug über ihn und über uns.“

Daumer nickte. Er wünschte nur, daß Herr von Tucher mit von der Partie sei.

Am ersten Feiertag im September fand der Ausflug statt. Es war schon fünf Uhr nachmittags, als sie vom Haus aufbrachen, und da sie auf Caspars langsame Gangart Rücksicht nehmen mußten, gelangten sie erst spät ins Freie. Die begegnenden Leute blieben stehen, um der Gesellschaft nachzuschauen, und oft hörte man die staunenden oder spöttischen Worte: „Das ist ja der Caspar Hauser! Ei, der Findling! Wie fein er’s treibt, wie nobel!“ Denn Caspar trug ein neues blaues Fräcklein, ein modisches Gilet, seine Beine staken in weißseidenen Strümpfen, und die Schuhe hatten silberne Schnallen.

Er ging zwischen den beiden Frauen und hatte sorgsam acht auf den Weg, der nicht mehr wie ehedem vor seinen Blicken auf- und abwärts schwankte. Die Männer schritten in gemessener Entfernung hinterdrein. Plötzlich erhob Daumer den rechten Arm nach vorn, und gleich darauf blieb Caspar stehen und sah sich fragend um.

Erfreut und in liebevollem Ton rief ihm Daumer zu, weiterzugehen. Nach ein paar Hundert Schritten hob er wieder den Arm, und abermals blieb Caspar stehen und blickte sich um.

„Was ist das? Was bedeutet das?“ fragte Herr von Tucher erstaunt.

„Darüber gibt es keine Erklärung“, antwortete Daumer voll stillen Triumphes. „Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen noch viel Merkwürdigeres zeigen.“

„Hexerei wird doch wohl kaum im Spiele sein“, meinte Herr von Tucher ein bißchen ironisch.

„Hexerei? Nein. Aber wie sagt Hamlet: Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde ...“

„Also sind Sie schon an den Grenzen der Schulweisheit angelangt?“ unterbrach Herr von Tucher noch immer mit Ironie. „Ich für mein Teil schlage mich zu den Skeptikern. Wir werden ja sehen.“

„Wir werden sehen“, wiederholte Daumer fröhlich.

Nach oftmaligem kurzem Rasten ward am Rand einer Wiese haltgemacht, und alle ließen sich im Gras nieder. Caspar schlief sogleich ein. Anna breitete ein Tuch über sein Gesicht und packte sodann einige mitgebrachte Eßwaren aus einem Körbchen. Schweigend begannen alle vier zu essen. Ein natürliches Schweigen war es nicht: der lieblich vergehende Tag, das sommerliche Blühen forderten eher zu heiteren Gesprächen auf, aber um den Schläfer lag ein eigener Bann, jeder spürte die Gegenwart des Jünglings jetzt stärker als vorher, und es hatte bei einigen gleichgültigen Redensarten sein Bewenden, die leiser klangen als selbst die Atemzüge des Schlummernden. Weit und breit war kein Mensch zu sehen, da man absichtlich einen selten begangenen Weg gewählt hatte.

Die Sonne war am Sinken, als Caspar erwachte und, sich aufrichtend, die Freunde der Reihe nach dankbar und etwas beschämt anblickte. „Sieh nur hinüber, Caspar, sieh den roten Feuerball“, sagte Daumer. „Hast du die Sonne schon einmal so groß gesehen?“

Caspar schaute hin. Es war ein schöner Anblick: die purpurne Scheibe rollte herab, als zerschnitte sie die Erde am Rand des Himmels; ein Meer von Scharlachglut strömte ihr nach, die Lüfte waren entzündet, blutiges Geäder bezeichnete einen Wald, und rosige Schatten bauschten langsam über die Ebene. Nur noch wenige Minuten, und schon zuckte die Dämmerung durch den sanften Karmin des Nebels, in den die Ferne getaucht war, einen Augenblick lang lebte das Gelände, und grünkristallene Strahlenbündel schössen über den Westen, der versunkenen Sonne nach.

Ein geisterhaftes Lächeln glitt über die Züge der beiden Männer und der zwei Frauen, als sie Caspar mit einer Gebärde stummer Angst hinübergreifen sahen gegen den Horizont. Daumer näherte sich ihm und ergriff seine Hand, die eiskalt geworden war. Caspars Gesicht wandte sich erzitternd ihm zu, voller Fragen, voller Furcht, und endlich bewegten sich die Lippen, und er murmelte schüchtern: „Wo geht sie hin, die Sonne? Geht sie ganz fort?“

Daumer vermochte nicht gleich zu antworten. So mag Adam vor seiner ersten Nacht im Paradies gezittert haben, dachte er, und es geschah nicht ohne Schauder, nicht ohne seltsame Ungewißheit, daß er den Jüngling tröstete, ihn der Wiederkunft der Sonne versicherte.

„Ist dort Gott?“ fragte Caspar hauchend. „Ist die Sonne Gott?“ Daumer deutete mit dem Arm weit ringsum und erwiderte: „Alles ist Gott.“

Indessen mochte ein solches Diktum pantheistischer Philosophie für die Auffassungsgabe des Jünglings ein wenig zu verwickelt sein. Er schüttelte ungläubig den Kopf, dann sagte er mit dem Ausdruck dumpf-abgöttischer Verehrung: „Caspar liebt die Sonne.“

Auf dem Heimweg war er ganz stumm; auch die übrigen, selbst die immer wohlgelaunte Anna, waren in einer wunderlich gedrückten Stimmung, als wären sie nie zuvor durch einen spät-sommerlichen Abend gewandert, oder als fühlten sie den Auftritt voraus, der ihnen das Beisammensein dieser Stunden unvergeßlich machen sollte.

Kurz vor dem Stadttor nämlich blieb Anna stehen und deutete mit einem Zuruf an alle in das herrlich gestirnte Firmament. Auch Caspar blickte hinauf. Er erstaunte maßlos. Kleine, jähe, wirre Laute eines leidenschaftlichen Entzückens kamen aus seinem Mund. „Sterne, Sterne“, stammelte er, das gehörte Wort von Annas Lippen raubend. Er preßte die Hände gegen die Brust, und ein unbeschreiblich seliges Lächeln verschönte seine Züge. Er konnte sich nicht satt sehen, immer wieder kehrte er zum Anschauen des Glanzes zurück, und aus seinen seufzerartig abgebrochenen Worten war vernehmbar, daß er die Sterngruppen und die ausgezeichnet hellen Sterne bemerkte. Er fragte mit einem Ton des Außersichseins, wer die vielen schönen Lichter da hinaufbringe, anzünde und wieder verlösche.

Daumer antwortete ihm, daß sie beständig leuchteten, jedoch nicht immer gesehen würden. Da fragte er, wer sie zuerst hinaufgesetzt, daß sie immerfort brennten.

Plötzlich fiel er in tiefe Grübelei. Er blieb eine Weile mit gesenktem Kopf stehen und sah und hörte nichts. Als er wieder zu sich kam, hatte sich seine Freude in Schwermut verwandelt, er ließ sich auf den Rasen nieder und brach in langes, nicht zu stillendes Weinen aus.

Es war weit über neun Uhr, als sie endlich nach Haus gelangten. Während Caspar mit den Frauen hinaufging, nahm Herr von Tucher am Gartentor von Daumer Abschied. „Was mag in ihm vorgegangen sein?“ meinte er. Und da Daumer schwieg, fuhr er sinnend fort: „Vielleicht spürt er schon die Unwiederbringlichkeit der Jahre, vielleicht zeigt ihm die Vergangenheit schon ihre wahre Gestalt.“

„Ohne Zweifel war es ihm ein Schmerz, das beglänzte Gewölbe zu schauen“, antwortete Daumer, „nie zuvor hat er den Blick zum nächtlichen Himmel erheben können. Ihm zeigt die Natur kein freundliches Antlitz, und von ihrer sogenannten Güte hat er wenig erfahren. “

Eine Zeitlang schwiegen sie, dann sagte Daumer: „Ich habe für morgen nachmittag einige Freunde und Bekannte zu mir gebeten. Es handelt sich um eine Reihe von höchst interessanten Erfahrungen und Beobachtungen, die ich an Caspar gemacht habe. Ich würde mich freuen, wenn Sie dabeisein wollten.“

Herr von Tucher versprach zu kommen. Zu seiner Verwunderung ward er, als er am andern Tag etwas verspätet erschien, in eine vollständig verfinsterte Kammer geführt. Die Produktion hatte schon begonnen. Von irgendeinem Winkel her vernahm man Caspars eintönige Stimme lesend. „Es ist eine Seite aus der Bibel, die der Herr Stadtbibliothekar aufgeschlagen hat“, flüsterte Daumer Herrn von Tucher zu. Die Dunkelheit war so groß, daß die Zuhörer einander nicht gewahren konnten, trotzdem las Caspar unbeirrt, als ob seine Augen selbst eine Quelle des Lichtes seien.

Man war erstaunt. Man wurde es noch mehr, als Caspar in der gleichen Dunkelheit die Farben verschiedener Gegenstände unterscheiden konnte, die bald der eine, bald der andere von den Anwesenden, um jeden Verdacht einer Verabredung oder Vorbereitung auszuschließen, ihm auf eine Entfernung von fünf oder sechs Schritten vorhielt.

„Ich will jetzt die Weinprobe machen“, sagte Daumer und öffnete die Läden. Caspar preßte die Hände vor die Augen und brauchte lange Zeit, bis er das Licht ertragen konnte. Jemand brachte Wein im durchsichtigen Glas, und Caspar roch es nicht nur sogleich, sondern es zeigten sich auch die Merkmale einer leichten Trunkenheit: seine Blicke flimmerten, sein Mund verzog sich schief. Konnte das mit rechten Dingen zugehen? War solche Empfindlichkeit denkbar oder möglich? Man wiederholte den Versuch zweimal, dreimal, und siehe, die Wirkung verstärkte sich. Beim viertenmal wurde draußen Wasser ins Glas gegossen, und nun sagte Caspar, er spüre nichts.

Doch viel wunderbarer war zu beobachten, wie er sich gegen Metalle verhielt. Ein Herr versteckte, während Caspar das Zimmer verlassen hatte, ein Stück Kupferblech. Caspar ward hereingelassen, und alle verfolgten mit Spannung, wie er zu dem Versteck förmlich hingezogen wurde; es sah aus, wie wenn ein Hund ein Stück Fleisch erschnuppert. Er fand es, man klatschte Beifall, man achtete nicht darauf, daß er blaß war und mit kühlem Schweiß bedeckt. Nur Herr von Tucher bemerkte es und mißbilligte das Treiben.

Es hatte natürlich nicht bei diesem einen Mal sein Bewenden. Die Sache redete sich schnell herum, und das Haus wurde zum Museum. Alles, was Namen und Ansehen in der Stadt hatte, lief herzu, und Caspar mußte immer bereit sein, immer tun, was man von ihm haben wollte. Wenn er müde war, durfte er schlafen, aber wenn er schlief, untersuchten sie die Festigkeit seines Schlafes, und Daumer schwamm in Glück, wenn der Herr Medizinalrat Rehbein behauptete, eine derartige Versteinerung des Schlummers habe er nie für möglich gehalten.

Selbst gewisse krankhafte Zustände seines Körpers gaben Daumer Anlaß zur Vorführung oder wenigstens zum Studium. Er suchte durch hypnotische Berührungen oder mesmeristische Streichungen Einfluß zu nehmen, denn er war ein glühender Verfechter jener damals nagelneuen Theorien, die mit der Seele des Menschen hantierten wie ein Alchimist mit dem Inhalt einer Retorte. Oder wenn auch dies nichts half, wandte er Heilmittel von einer besonderen Kategorie an, erprobte die Wirkungen von Arnika und Akonitum und Nux vomica. Immer beflissen, immer erfüllt von einer Mission, immer mit dem Notizenzettel in der Hand, immer in rührender Obsorge.

Was für seriöse Spiele! Welch ein Eifer, zu beweisen, zu deuten, das Sonnenklare dunkel zu machen, das Einfache zu verwirren! Das Publikum gab sich redliche Mühe im Glauben, nach allen Windrichtungen wurden die anscheinenden Zaubereien ausposaunt, nicht zum Vorteil unseres Caspar, keineswegs zu seinem Heil, wie sich bald herausstellen sollte, aber leider gibt es überall verwerfliche Kreaturen, die noch zweifeln würden und wenn man ihnen die Skepsis überm Essenfeuer ausräuchern würde. Vielleicht wollten sie jedesmal etwas Neues vorgesetzt bekommen, schraubten ihre Erwartungen zu hoch und fanden, daß der Wundermann nur in seinen eingelernten Paradestückchen exzellierte, in denen er allerdings, so drückten sie sich aus, etwas von der Fertigkeit eines dressierten Äffchens an den Tag legte.

Mit einem Wort, das Programm wurde einförmig, höchstens Neulinge konnten ihm noch Geschmack abgewinnen. Die andern erblickten in Daumer etwas wie einen Zirkusdirektor oder einen Literaten, der seine Freunde mit der beständig wiederholten Vorlesung eines mittelmäßigen Poems langweilt, während über Caspar sich zu amüsieren, sie immerhin noch Gelegenheit fanden. Oder war es nicht amüsant, wenn er zum Beispiel einen hohen Offizier tadelte, daß sein Rockkragen bestäubt war; wenn er mit dem Finger das Haupt eines ehrwürdigen Kammerdirektors berührte und mitleidig-verwundert sagte: „Weiße Haare, weiße Haare?“ Wenn er während der Anwesenheit einer vornehmen Standesperson nur darauf achtete, wie diese den Stock zwischen den Fingern baumeln ließ und es auch so machen wollte. Wenn er seinen Ekel gegen den schwarzen Bart des Magistratsrats Behold äußerte oder sich weigerte, einer Dame die Hand zu küssen, indem er sagte, man müsse ja nicht hineinbeißen?

Durch solche kleine Zwischenfälle hielten sie sich für belohnt. Wenn man lachen konnte, war alles gut. Hingegen Daumer ärgerte sich darüber und suchte ihm die Pflichten der Höflichkeit begreiflich zu machen. „Du vergißt stets, die Ankömmlinge zu begrüßen“, sagte Daumer. In der Tat blickte Caspar, in ein Buch oder Spiel versenkt, erst empor, wenn man ihn anrief, bisweilen, wenn er ein bekanntes oder liebgewordenes Gesicht sah, mit einem berückend schelmischen Lächeln, und fing dann ohne Einleitung an zu fragen und zu plaudern. Mochten noch so wichtige Personen zugegen sein, er verließ nie seinen Platz, ohne alle Dinge, mit denen er beschäftigt gewesen, sorgfältig in Ordnung zu bringen und mit einem kleinen Besen den Tisch von Papierschnitzeln oder Brotkrumen zu reinigen. Man mußte warten, bis er fertig war.

Er war ohne Schüchternheit. Alle Menschen schienen ihm gut, fast alle hielt er für schön. Er fand es selbstverständlich, wenn sich irgendein Herr vor ihn hinstellte und ihm aus einem bereitgehaltenen Zettel endlos viele Namen oder endlos viele Zahlen vorlas. Sein Gedächtnis ließ ihn nicht im Stich, er konnte in der gleichen Reihenfolge Namen für Namen, Zahl für Zahl, und waren es hundert, wiederholen. Am Erstaunen der Leute merkte er wohl, daß er Staunenswertes geleistet, aber kein Schimmer von Eitelkeit zog über sein Gesicht, nur ein wenig traurig wurde es, wenn immer dasselbe kam, wenn sie nie zufrieden schienen. Er konnte es nicht verstehen, daß ihnen wunderbar war, was ihm so natürlich war. Aber was ihm wunderbar war, darum kümmerte sich keiner. Er vermochte es nicht zu sagen, es wurzelte im verborgensten Gefühl. Es war eine kaum gespürte Frage, am Morgen, beim Erwachen etwa, ein hastiges, stummes, verzweifeltes Suchen, wofür es keine Bezeichnung gab. Es lag weit zurück; es war mit ihm verknüpft, und er besaß es doch nicht. Es war etwas mit ihm vorgegangen, irgendwo, irgendwann, und er wußte es nicht. Er tastete an sich herum, er fand sich selber kaum. Er sagte „Caspar“ zu sich selbst, aber das dort in der Ferne hörte nicht auf diesen Namen. So band sich die Erwartung an ein Äußeres. Wenn die Uhr im andern Zimmer tönte, welch sonderbare Erwartung von Schlag zu Schlag! Als ob eine Mauer sich auflösen, zu Luft vergehen müßte. Die eben vergangene Nacht war voll ungreifbarer Vorgänge gewesen. Hatte es am Fenster gepocht? Nein. War jemand dagewesen, hatte gesprochen, gerufen, gedroht? Nein. Es war etwas geschehen, doch Caspar hatte nichts damit zu tun.

Unergründliche Sorge. Man mußte lernen, vielleicht wurde es dann klar. Lernen, wie alles bestand, lernen, was in der Nacht verborgen war, wenn man nicht lebte und dennoch spürte, das Unbekannte lernen, erhaschen, was so fern, wissen, was so dunkel war, die Menschen fragen lernen. Sein Eifer bei den Büchern wurde glühend. Er begann Ungeduld zu zeigen, wenn er von den fremden Besuchern sich immer wieder empfindlich gestört fand, denn jetzt kamen die Leute schon von auswärts, weil allenthalben im Land über Caspar Hauser geredet und geschrieben wurde. Auch Daumer konnte sich der Ansprüche, die an ihn gestellt wurden, kaum erwehren. Er war oft mißgelaunt und matt, und es gab Stunden, wo er bereute, Caspar der Welt preisgegeben zu haben.

Es gab Stunden, wo er, allein mit dem Jüngling, sich seiner besseren Würde erinnerte und diesem seltsam Leibeigenen, Seeleneigenen sich tiefer anschloß, als der anfängliche Zweck gewollt. Es gab eine Stunde, wo Daumer eines paradiesischen Bildes gewahr wurde: Caspar im Garten, auf der Bank sitzend, ein Buch in der Hand; Schwalben ziehen ihre Zickzackkreise um ihn, Tauben picken vor seinen Füßen, ein Schmetterling ruht auf seiner Schulter, die Hauskatze schnurrt an seinem Arm. In ihm ist die Menschheit frei von Sünde, sagte sich Daumer bei diesem Anblick, und was wäre sonst zu leisten, als einen solchen Zustand zu erhalten? Was wäre hier noch zu enträtseln, was zu verkünden?

Eines andern Tages erhob sich im Nachbargarten großer Lärm. Ein bissiger Hund hatte seine Kette zerrissen und raste, Schaum vor dem Maul, in wilden Sprüngen umher, überrannte ein Kind, schlug einem Knecht, der ihn verfolgte, die Zähne ins Fleisch und stürzte gegen den Zaun des Daumerschen Gartens. Eine Latte krachte unter dem Anprall, das Tier schlüpfte herüber und richtete die blutunterlaufenen Augen wild auf die kleine Gesellschaft, die unter der Linde saß: Daumer selbst, dessen Mutter, der Bürgermeister Binder und Caspar. Alle standen ängstlich auf, Binder erhob den Stock, das Tier machte einige Sätze, blieb aber auf einmal stehen, schnupperte, trabte auf Caspar zu, der bleich und stille saß, wedelte mit dem Schweif und leckte die herabhängende Hand des Jünglings. Mit einem lodernden, ungewissen Blick sah es ihn an, voll Ergebenheit fast, eine Zärtlichkeit erwartend, und es war, als erbitte es Verzeihung. Den gleichen ungewissen und ergebenen Ausdruck hatte auch Caspar im Auge. Ihn jammerte der Hund, er wußte nicht, warum.

Man erzählte sich, daß Daumer nach diesem Auftritt geweint habe.

Zwei Tage später, an einem regnerischen Oktoberabend, war es, daß sich Daumer mit seiner Mutter und Caspar im Wohnzimmer befand. Anna war zu einer Unterhaltung in die Reunion gegangen, die alte Dame saß strickend im Lehnstuhl am offenen Fenster, denn trotz der vorgerückten Jahreszeit war die Luft warm und voll des feuchten Geruchs verwelkender Pflanzen. Da wurde an die Tür geklopft, und der Glasermeister brachte einen großen Wandspiegel, den die Magd in der vergangenen Woche zerbrochen hatte. Frau Daumer hieß ihn den Spiegel gegen die Mauer lehnen, das tat der Mann und entfernte sich wieder.

Kaum war er draußen, so fragte Daumer verwundert, warum sie den Spiegel nicht gleich an seinen Platz habe hängen lassen, man hätte dann doch die Arbeit für morgen erspart. Die alte Dame erwiderte mit verlegenem Lächeln, am Abend dürfe man keinen Spiegel aufhängen, das bedeute Unheil. Daumer besaß nicht genug Humor für derlei halbernste Grillen, er machte der Mutter Vorwürfe wegen ihres Aberglaubens. Sie widersprach, und da geriet er in Zorn, das heißt, er sprach mit seiner sanftesten Stimme zwischen die geschlossenen Zähne hindurch.

Caspar, der es nicht sehen konnte, wenn Daumers Gesicht unfreundlich wurde, legte den Arm um dessen Schulter und suchte ihn mit kindlicher Schmeichelei zu begütigen. Daumer schlug die Augen nieder, schwieg eine Weile und sagte dann, völlig beschämt: „Geh hin zur Mutter, Caspar, und sag ihr, daß ich im Unrecht bin.“

Caspar nickte. Ohne recht zu überlegen, trat er vor die Frau hin und sagte: „Ich bin im Unrecht.“

Da lachte Daumer: „Nicht du, Caspar! Ich!“ rief er und deutete auf seine Brust. „Wenn Caspar im Unrecht ist, darf er sagen: ich. Ich sage zu dir: du, aber du sagst doch zu dir: ich. Verstanden?“

Caspars Augen wurden groß und nachdenklich. Das Wörtchen Ich durchrann ihn plötzlich wie ein fremdartig schmeckender Trank. Es nahten sich ihm viele Hunderte von Gestalten, es nahte sich eine ganze Stadt voll Menschen, Männer, Frauen und Kinder, es nahten sich die Tiere auf dem Boden, die Vögel in der Luft, die Blumen, die Wolken, die Steine, ja die Sonne selbst, und alle miteinander sagten zu ihm: Du! Er aber antwortete mit zaghafter Stimme: Ich.

Er faßte sich mit flachen Händen an die Brust und ließ die Hände heruntergleiten bis über die Hüften: sein Leib, eine Wand zwischen innen und außen, eine Mauer zwischen Ich und Du!

In demselben Augenblick tauchte aus dem Spiegel, dem gegenüber er stand, sein eignes Bild empor. – Ei, dachte er ein wenig bestürzt, wer ist das?

Natürlich war er schon oft an Spiegeln vorbeigegangen, aber sein von den vielen Dingen der vielgesichtigen Welt geblendeter Blick war mit vorbeigegangen, ohne zu weilen, ohne zu denken, und er hatte sich daran gewöhnt wie an den Schatten auf der Erde. Ein Ungefähr, das ihn nicht hemmte, konnte nicht zum Erlebnis werden.

Jetzt war sein Auge reif für diese Vision. Er sah hin. „Caspar“, lispelte er. Das Drinnen antwortete: „Ich“. Da waren Caspars Mund und Wangen und die braunen Haare, die über Stirn und Ohren gekräuselt waren. Näher tretend, schaute er in spielerisch-zweifelnder Neugier hinter den Spiegel gegen die Mauer. Dort war nichts. Dann stellte er sich wieder davor, und nun schien ihm, als ob hinter seinem Bild im Spiegel sich das Licht zerteile und als ob ein langer, langer Pfad nach rückwärts lief, und dort, in der weiten Ferne, stand noch ein Caspar, noch ein Ich, das hatte geschlossene Augen und sah aus, als wisse es etwas, was der Caspar hier im Zimmer nicht wußte.

Gewohnt, das Betragen des Jünglings zu beobachten, lauerte Daumer gespannt herüber. Da – ein seltsames Geräusch: es surrte etwas in der Luft und fiel neben dem Tisch zu Boden. Es war ein Stück Papier, das von draußen hereingeflogen war. Frau Daumer hob es auf. Es war wie ein Brief zusammengefaltet. Unschlüssig drehte sie es zwischen den Fingern und reichte es dem Sohn.

Der riß es auf und las folgende, mit großer Schrift geschriebene Worte: „Es wird gewarnt das Haus und wird gewarnt der Herr und wird gewarnt der Fremde.“

Frau Daumer hatte sich erhoben und las mit. Ein Frösteln lief über ihre Schultern. Daumer jedoch, indes er schweigend auf den Zettel starrte, hatte das Gefühl, als sei vor seinen Füßen ein Schwert, die Spitze nach oben, aus der Erde gewachsen.

Caspar hatte von dem Vorgang nicht das mindeste wahrgenommen. Er verließ den Platz vor dem Spiegel und ging wie geistesabwesend an den beiden vorüber zum Fenster. Dort stand er besinnend, beugte sich besinnend vor, immer weiter, völlig selbstvergessen, ganz vom Willen des Suchens erfüllt, bis die Brust auf dem Sims lag und seine Stirn in die Nacht hinaustauchte.

Caspar träumt

Am andern Morgen übergab Daumer das unheimliche Papier der Polizeibehörde. Es wurden Nachforschungen angestellt, die aber natürlich fruchtlos blieben. Der Vorfall wurde auch amtlich an das Appellationsgericht gemeldet, und nach einiger Zeit schrieb der Regierungsrat Hermann, der mit dem Baron Tucher befreundet war, an diesen einen Privatbrief, in welchem er unter anderm die Meinung vertrat, man solle nicht ablassen, den Hauser scharf zu bewachen und auszuforschen, denn es sei wohl möglich, daß er durch eine tief eingepflanzte Furcht gezwungen sei, manches ihm bekannte Verhältnis zu verschweigen.

Herr von Tucher suchte Daumer auf und las ihm diese Stelle vor. Daumer konnte ein spöttisches Lächeln nicht unterdrücken. „Ich bin mir wohl bewußt, daß ein Mysterium, von Menschenhand gewoben, hinter allem dem liegt, was mit Caspar zusammenhängt“, sagte er mit leisem Widerwillen, „ganz abgesehen davon, daß mir auch der Präsident Feuerbach unlängst darüber geschrieben hat, und zwar in höchst eigentümlichen Wendungen, die auf etwas Besonderes schließen lassen. Aber was heißt das: ihn ausforschen, ihn bewachen? Hat man darin nicht schon das Äußerste versucht? Ärztliche Vorsicht und menschliches Gefühl befehlen mir jetzt ohnehin die äußerste Behutsamkeit gegen ihn. Ich wage es ja kaum, ihn von der einfachen Kost zu entwöhnen und ihn so zu ernähren, wie es durch die veränderte Lebenslage bedingt ist.“

„Warum wagen Sie das nicht?“ fragte Herr von Tucher ziemlich erstaunt. „Wir sind doch übereingekommen, ihn endlich zum Genuß von Fleisch oder wenigstens von andern gekochten Speisen zu bringen?“

Daumer zögerte mit der Antwort. „Milchreis und warme Suppe verträgt er schon ganz gut“, sagte er dann, „aber zur Fleischkost will ich ihn nicht ermuntern.“

„Warum nicht?“

„Ich fürchte Kräfte zu zerstören, die vielleicht gerade an die Reinheit des Blutes gebunden sind.“

„Kräfte zerstören? Was für Kräfte vermöchten ihn und uns für die Gesundheit des Leibes und die Frische seines Gemüts zu entschädigen? Wäre es nicht vielmehr ratsam, ihn von der Richtung des Außerordentlichen abzulenken, die ihm früher oder später verhängnisvoll werden muß? Ist es gut, einen andern Maßstab an ihn zu legen, als es einer natürlichen Erziehung entspricht? Was wollen Sie überhaupt, was haben Sie mit ihm vor? Caspar ist ein Kind, das dürfen wir nicht vergessen.“

„Er ist ein Mirakel“, entgegnete Daumer hastig und ergriffen; dann, in einem halb belehrenden, halb bitteren Ton, der für einen Weltmann wie Tucher verletzend klingen mußte, fuhr er fort: „Leider leben wir in einer Zeit, in der man mit jedem Hinweis auf Unerforschliches den plumpen Alltagsverstand beleidigt. Sonst müßte jeder an diesem Menschen sehen und spüren, daß wir rings von geheimnisvollen Mächten der Natur umgeben sind, in denen unser ganzes Wesen ruht.“

Herr von Tucher schwieg eine Zeitlang. Sein Gesicht hatte den Ausdruck abwehrenden Stolzes, als er sagte: „Es ist besser, eine Wirklichkeit völlig zu ergreifen und ihr genugzutun, als mit fruchtlosem Enthusiasmus im Nebel des Übersinnlichen zu irren.“

„Rechtfertigt mich denn die Wirklichkeit noch nicht, auf die ich mich berufen kann?“ versetzte Daumer, dessen Stimme leiser und schmeichelnder wurde, je mehr das Gespräch ihn erhitzte. „Muß ich Sie an Einzelheiten erinnern? Sind nicht Luft, Erde und Wasser für diesen Menschen noch von Dämonen bevölkert, mit denen er in lebendiger Beziehung steht?“

Baron Tuchers Gesicht wurde düster. „Ich sehe in allem dem nur die Folgen einer verderblichen Überreiztheit“, sagte er kurz und scharf. „Das sind die Quellen nicht, aus denen Leben geboren wird, in solchen Formen kann sich keine Brauchbarkeit bewähren!“

Daumer duckte den Kopf, und in seinen Augen lag Ungeduld und Verachtung, doch antwortete er im Ton nachgiebiger Freundlichkeit: „Wer weiß, Baron. Die Quellen des Lebens sind unergründlich. Meine Hoffnungen wagen sich weit hinauf, und ich erwarte Dinge von unserm Caspar, die Ihr Urteil sicherlich ändern werden. Aus diesem Stoff werden Genies gemacht.“

„Man tut einem Menschen stets Unrecht, wenn man Erwartungen an seine Zukunft knüpft“, sagte Herr von Tucher mit trübem Lächeln.

„Mag sein, mag sein, ich aber halte mich an die Zukunft. Mich kümmert nicht, was hinter ihm liegt, und was ich von seiner Vergangenheit weiß, soll mir nur dienen, ihn davon zu lösen. Das ist ja das hoffnungsvoll Wunderbare: daß man hier einmal ein Wesen ohne Vergangenheit hat, die ungebundene, unverpflichtete Kreatur vom ersten Schöpfungstag, ganz Seele, ganz Instinkt, ausgerüstet mit herrlichen Möglichkeiten, noch nicht verführt von der Schlange der Erkenntnis, ein Zeuge für das Walten der geheimnisvollen Kräfte, deren Erforschung die Aufgabe kommender Jahrhunderte ist. Mag sein, daß ich mich täusche, dann aber würde ich mich in der Menschheit getäuscht haben und meine Ideale für Lügen erklären müssen.“

„Der Himmel bewahre Sie davor!“ antwortete Herr von Tucher und nahm eilig Abschied. Noch am selben Tag wurde Daumer durch seine Mutter aufmerksam gemacht, daß Caspars Schlaf nicht mehr so ruhig sei wie sonst. Als Caspar am andern Morgen ziemlich unerfrischt zum Frühstück kam, fragte ihn Daumer, ob er schlecht geschlafen habe.

„Schlecht geschlafen nicht“, erwiderte Caspar, „aber ich bin einmal aufgewacht, und da war mir angst.“

„Wovor hattest du denn Angst?“ forschte Daumer.

„Vor dem Finstern“, entgegnete Caspar, und bedächtig fügte er hinzu: „In der Nacht sitzt das Finstere auf der Lampe und brüllt.“

Den nächsten Morgen kam er halb angekleidet aus seinem Schlafgemach in das Zimmer Daumers und erzählte bestürzt, es sei ein Mann bei ihm gewesen. Zuerst erschrak Daumer, dann wurde ihm klar, daß Caspar geträumt habe. Er fragte, was für ein Mann es denn gewesen sei, und Caspar antwortete, es sei ein großer, schöner Mann gewesen mit einem weißen Mantel. –

Ob der Mann mit ihm gesprochen? Caspar verneinte. Gesprochen habe er nicht, er habe einen Kranz getragen, den habe er auf den Tisch gelegt, und als Caspar danach gegriffen, habe der Kranz zu leuchten angefangen.

„Du hast geträumt“, sagte Daumer.

Caspar wollte wissen, was das heiße. „Wenn auch dein Körper ruht“, erklärte Daumer, „so wacht doch deine Seele, und was du am Tag erlebt oder empfunden, daraus macht sie im Schlummer ein Bild. Dieses Bild nennt man Traum.“

Nun verlangte Caspar zu wissen, was das sei, die Seele. Daumer sagte: „Die Seele gibt deinem Körper das Leben. Leib und Seele sind einander vermischt. Jedes von beiden ist, was es ist, aber sie sind so untrennbar gemischt wie Wasser und Wein, wenn man sie zusammengießt.“

„Wie Wasser und Wein?“ fragte Caspar mißbilligend. „Damit verdirbt man aber das Wasser.“

Daumer lachte und meinte, das sei nur ein Gleichnis gewesen.

In der Folge nahm er wahr, daß es mit Caspars Träumen eigen beschaffen war. – Sonst sind Träume an ein Zufälliges geknüpft, sagte er sich, spielen gesetzlos mit Ahnung, Wunsch und Furcht, bei ihm ähneln sie dem Herumtasten eines Menschen, der sich im finsteren Wald verirrt hat und den Weg sucht. Da ist etwas nicht in Ordnung, ich muß der Sache auf den Grund gehen.

Das auffallende war, das gewisse Bilder sich allmählich zu einem einzigen Traum sammelten, der von Nacht zu Nacht vollständiger und gestalthafter wurde und mit immer größerer Deutlichkeit regelmäßig wiederkehrte. Im Anfang konnte Caspar nur abgebrochen davon erzählen, so stückhaft, wie die Bilder sich ihm zeigten. Dann eines Tages, wie der Maler den Vorhang von einem vollendeten Gemälde zieht, vermochte er seinem Pflegeherrn eine ausführliche Beschreibung zu geben.

Er hatte über seine Gewohnheit lange geschlafen, deshalb ging Daumer in sein Zimmer, und kaum war er ans Bett getreten, so schlug Caspar die Augen auf. Sein Gesicht glühte, der Blick ruhte noch im Innern, war aber voll und kräftig, und der Mund war zu sprechen ungeduldig. Mit langsamer, ergriffener Stimme erzählte er.

Er ist in einem großen Haus gewesen und hat geschlafen. Eine Frau ist gekommen und hat ihn aufgeweckt. Er bemerkt, daß das Bett so klein ist, daß er nicht begreift, wie er darin Platz gehabt. Die Frau kleidet ihn an und führt ihn in einen Saal, wo ringsum Spiegel mit goldenem Rande hängen. Hinter gläsernen Wänden blitzen Silberschüsseln, und auf einem weißen Tisch stehen feine, kleine, zierlich bemalte Porzellantäßchen. Er will bleiben und schauen, die Frau zieht ihn weiter. Da ist ein Saal, wo viele Bücher sind, und von der Mitte der gebogenen Decke hängt ein ungeheurer Kronleuchter herab. Caspar will die Bücher betrachten, da verlöschen langsam die Flammen des Leuchters eine nach der andern, und die Frau zieht ihn weiter. Sie führt ihn durch einen langen Flur und eine gewaltige Treppe hinab, sie schreiten im Innern des Hauses den Wandelgang entlang. Er sieht Bilder an den Wänden, Männer im Helm und Frauen mit goldenem Schmuck. Er schaut durch die Mauerbogen der Halle in den Hof, dort plätschert ein Springbrunnen; die Säule des Wassers ist unten silberweiß und oben von der Sonne rot. Sie kommen zu einer zweiten Treppe, deren Stufen wie goldene Wolken aufwärts steigen. Es steht ein eiserner Mann daneben, er hat ein Schwert in der Rechten, doch sein Gesicht ist schwarz, nein, er hat überhaupt kein Gesicht. Caspar fürchtet sich vor ihm, will nicht vorbeigehen, da beugt sich die Frau und flüstert ihm etwas ins Ohr. Er geht vorbei, er geht zu einer ungeheuren Tür, und die Frau pocht an. Es wird nicht aufgemacht. Sie ruft, und niemand hört. Sie will öffnen, die Tür ist zugeschlossen. Es scheint Caspar, daß sich etwas Wichtiges hinter der Tür ereignet, er selbst beginnt zu rufen – doch in diesem Augenblick erwacht er.

Seltsam, dachte Daumer, da sind Dinge, die er nie zuvor gesehen haben kann, wie den gerüsteten Mann ohne Gesicht. Seltsam! Und sein Wortesuchen, seine hilflosen Umschreibungen bei solcher Klarheit des Geschauten. Seltsam!

„Wer war die Frau?“ fragte Caspar.

„Es war eine Traumfrau“, entgegnete Daumer beschwichtigend. „Und die Bücher und der Springbrunnen und die Tür?“ drängte Caspar. „Waren’s Traumbücher, war’s eine Traumtür? Warum ist sie nicht aufgemacht worden, die Traumtür?“

Daumer seufzte und vergaß zu antworten. Was bekam da Gewalt über seinen Caspar, sein Seelenpräparat? Sehr an Welt und Stoff gebunden war dieser Traum.

Caspar kleidete sich langsam an. Plötzlich erhob er den Kopf und fragte, ob alle Menschen eine Mutter hätten? Und als Daumer bejahte, ob alle Menschen einen Vater hätten? Auch dies mußte bejaht werden.

„Wo ist dein Vater?“ fragte Caspar.

„Gestorben“, antwortete Daumer.

„Gestorben?“ flüsterte Caspar nach. Ein Hauch des Schreckens lief über seine Züge. Er grübelte. Dann begann er wieder: „Aber wo ist mein Vater?“ Daumer schwieg.

„Ist es der, bei dem ich gewesen? Der Du?“ drängte Caspar. „Ich weiß es nicht“, antwortete Daumer und fühlte sich ungeschickt und ohne Überlegenheit.

„Warum nicht? Du weißt doch alles? Und hab’ ich auch eine Mutter?“

„Sicherlich.“

„Wo ist sie denn? Warum kommt sie nicht?“

„Vielleicht ist sie gleichfalls gestorben.“

„So? Können die Mütter auch sterben?“

„Ach, Caspar!“ rief Daumer schmerzlich.

„Gestorben ist meine Mutter nicht“, sagte Caspar mit wunderlicher Entschiedenheit. Plötzlich flammte es über sein Gesicht, und er sagte bewegt: „Vielleicht war meine Mutter hinter der Tür?“

„Hinter welcher Tür, Caspar?“

„Dort! im Traum ...“

„Im Traum? Das ist doch nichts Wirkliches“, belehrte Daumer zaghaft.

„Aber du hast doch gesagt, die Seele ist wirklich und macht den Traum! — Ja, sie war hinter der Tür, ich weiß es, das nächste Mal will ich sie aufmachen.“ - Daumer hoffte, das Traumwesen würde sich verlieren, doch dem war nicht so. Dieser eine Traum, Caspar nannte ihn den Traum vom großen Haus wuchs immer weiter, umschlang und krönte sich mit allerlei Blüten- und Rankenwerk gleich einer zauberhaften Pflanze. Immer wieder schritt Caspar einen Weg entlang, und immer wieder endete der Weg vor der hohen Tür, die nicht geöffnet wurde. Einmal zitterte die Erde von Tritten, die innen waren, die Tür schien sich zu bauschen wie ein Gewand, durch einen Spalt über der Schwelle brach Flammengeloder, da erwachte er, und die nicht zu vergessende Traumnot schlich durch die Stunden des Tages mit.

Die Gestalten wechselten. Manchmal kam statt der Frau ein Mann und führte ihn durch die Bogenhalle. Und wie sie die Treppe hinaufgehen wollten, kam ein anderer Mann und reichte ihm mit strengem Blick etwas Gleißendes, das lang und schmal war und das, als Caspar es fassen wollte, in seiner Hand zerfloß wie Sonnenstrahlen. Er trat nahe an die Gestalt heran, auch sie ward zu Luft, doch sprach sie laut schallend ein Wort, welches Caspar nicht zu deuten verstand.

Daran hingen sich wieder besondere kleine Träume, Träume von unbekannten Worten, die er im Wachen nie gehört und deren er, wenn der Traum vorüber war, vergebens habhaft zu werden suchte. Sie hatten meist einen sanften Klang, bezogen sich aber, so fühlte er, nie auf ihn selbst, sondern auf das, was hinter der verschlossenen Tür vor sich ging.

Traumboten waren es, Vögeln des Meeres gleich, die in beständiger Wiederkehr Gegenstände eines halb versunkenen Schiffes an die ferne Küste tragen.

In einer Nacht lag Daumer schlaflos und hörte in Caspars Zimmer ein dauerndes Geräusch. Er erhob sich, schlüpfte in den Schlafrock und ging hinüber. Caspar saß im Hemde am Tisch, hatte ein Blatt Papier vor sich, einen Bleistift in der Hand und schien geschrieben zu haben. Ein matter Mondschein schwamm im Zimmer. Verwundert fragte Daumer, was er treibe. Caspar richtete den bis zur Trunkenheit vertieften Blick auf ihn und antwortete leise: „Ich war im großen Haus, die Frau hat mich bis zum Springbrunnen im Hof geführt. Sie hat mich zu einem Fenster hinaufschauen lassen; droben hat der Mann im Mantel gestanden, sehr schön anzuschauen, und hat etwas gesagt. Danach bin ich aufgewacht und hab’s geschrieben.“

Daumer machte Licht, nahm das Blatt, las, warf es wieder hin, ergriff beide Hände Caspars und rief halb bestürzt, halb erzürnt: „Aber Caspar, das ist ja ganz unverständliches Zeug!“

Caspar starrte auf das Papier, buchstabierte murmelnd und sagte: „Im Traum hab“ ich’s verstanden.“

Unter den sinnlosen Zeichen, die wie aus einer selbsterdachten Sprache waren, stand am Ende das Wort: Dukatus. Caspar deutete auf das Wort und flüsterte: „Davon bin ich aufgewacht, weil es so schön geklungen hat.“

Daumer fand sich verpflichtet, den Bürgermeister von den Beunruhigungen Caspars, wie er es nannte, in Kenntnis zu setzen. Was er befürchtet hatte, geschah. Herr Binder legte der Sache eine große Wichtigkeit bei. „Zunächst ist es geboten, dem Präsidenten Feuerbach einen möglichst ausführlichen Bericht zu geben, denn aus diesen Träumen können sicherlich ganz bestimmte Schlüsse gezogen werden“, sagte er. „Dann mache ich Ihnen den Vorschlag, mit Caspar einmal in die Burg hinaufzugehen.“

„In die Burg? Warum das?“

„Es ist so eine Idee von mir. Da er immer von einem Schlosse träumt, wird ihn der Anblick eines wirklichen Schlosses vielleicht aufrütteln und uns bestimmtere Anhaltspunkte geben.“

„Ja, glauben Sie denn an eine reale Bedeutung dieser Träume?“

„Ganz unbedingt. Ich bin davon überzeugt, daß er bis zu seinem dritten oder vierten Lebensjahr in einer derartigen Umgebung gelebt hat, und daß mit dem neuen Erwachen zum Leben und zum Selbstbewußtsein die Erinnerungen an die frühere Existenz auf dem Weg der Träume Form und Inhalt gewinnen. “

„Eine sehr naheliegende, sehr nüchterne Erklärung“, bemerkte Daumer gallig. „Also der Hintergrund dieses Schicksals wäre nichts weiter als eine gewöhnliche Räubergeschichte.“