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Inhaltsverzeichnis
VORWORT: Wertschätzung kommt vor Wertschöpfung – Herausforderung und Chance für den Vertrieb
KAPITEL 1: Gebrauchsanleitung für dieses Buch
Achtung Brillenschlange – warum Sie Menschen immer durch Ihre individuelle Brille sehen
Querlesen erwünscht – seien Sie wählerisch und sprunghaft
Vorschläge statt Vorschriften – adaptieren Sie!
KAPITEL 2: Werteorientierung im Verkauf? Nutzen und Anspruch
Werteorientierung – was heißt das eigentlich?
Werte – gesund und wertvoll leben
Werteverfall oder -verschiebung?
Warum Werte gerade in aller Munde sind
Verkauf und Werte – passt das eigentlich zusammen?
Die wachsende Bedeutung des werteorientierten Verkaufens
KAPITEL 3: Die 9 Levels im Überblick
Lukas Level – eine Verkäuferkarriere im Wertewandel
Clare W. Graves – die Ursprünge des Wertemodells
Zur Entstehung und Wissenschaftlichkeit der 9 Levels of Value Systems
Das 9 Levels-Modell: Ich- und Wir-Bezug
Die 9 Levels kurz und knapp
Blickwinkel Individuum, Gruppe, Organisation – Beispiele für Auswertungen
Die vierte Perspektive: Markt
KAPITEL 4: Die Phasen des Verkaufsprozesses
Der Smart-Selling-Verkaufsprozess im Überblick
Der dreistufige Lösungsdialog – mehr als den Bedarf klären
Varianten des Verkaufsprozesses – levelgerechte Gesprächsführung
KAPITEL 5: Die Levels im Detail
Die »7 S«
Level Purpur: Tradition – Rituale – Zugehörigkeit
Level Rot: Durchsetzung – Mut – Ehre
Level Blau: Pflicht – Struktur – Hierarchie
Level Orange: Leistung – Selbstständigkeit – Status
Level Grün: Partizipation – Toleranz – Fairness
Level Gelb: Multiperspektivität – Vision – Autonomie
Level Türkis: hohe Ideale – kollektive Intuition – Selbstorganisation
KAPITEL 6: Gebrauchsanleitung für die Umsetzung
Der König ist tot – lang leben die Könige: von Purpur über Rot zu Blau
Willkommen in der Marktwirtschaft: von Blau zu Orange
Die Zeit des Kämpfens ist vorbei: Orange – Grün
Vom Kaffeeklatsch zu echter Partnerschaft: Entwicklung von »nettem Grün« zu »verbindlichem Grün«
Mach die Welt bunter! Entwicklung von Grün zu Gelb
Risiken und Nebenwirkungen in Veränderungsprozessen
Schlusswort
Anhang
Typische Organigramme
Anmerkungen
Das 7-S-Modell auf die Levels in Vertriebsorganisationen bezogen
Die Matrix
Abbildungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Über die Autoren
Impressum

Achtung Brillenschlange – warum Sie Menschen immer durch Ihre individuelle Brille sehen

Wie alle Menschen interpretieren auch Sie alles, was Sie sehen und erleben. Sie sehen einen Baum an und wissen, ohne darüber nachzudenken: »Aha, ein Baum.« Oder: »Eine Eiche.« Vielleicht auch: »Bäume sind schön.« Sie haben einmal gelernt, wie Bäume aussehen, und ordnen nun ähnliche Formen immer wieder automatisch in dieselbe Schublade ein. Das ist einfach und energiesparend für das Gehirn. Deshalb haben Sie in Ihrem Kopf so viele Schubladen, die Ihnen das Leben erheblich erleichtern. Wenn Sie jedes Mal aufs Neue nachdenken müssten, was »eine braune, senkrechte Säule mit unebener Oberfläche, die sich nach oben verzweigt und an deren Enden kleine grüne Läppchen befestigt sind« zu bedeuten hat, hätten Sie viel zu tun.

Genauso wie Ihr Gehirn interpretiert, wenn Sie Gegenstände sehen, so interpretiert es in Bezug auf Menschen. Je nach Ihren Erfahrungen und Wertvorstellungen denken Sie dann vielleicht »Pfarrer sind scheinheilig« oder »Pfarrer sind selbstlos und tun Gutes«. Ebenso haben Sie gewisse Einschätzungen über Verkäufer oder Führungskräfte oder darüber, wie Verkaufsleiter zu sein haben. Diese Vorstellungen sind ebenfalls von Ihren Erfahrungen und von Ihrem Wertesystem geprägt. Wir möchten Sie in diesem Buch anregen, Ihren Interpretationen auf die Spur zu kommen und Ihren Blickwinkel zu erweitern. Die Welt im Allgemeinen und die Vertriebswelt im Besonderen ist wesentlich bunter und vielfältiger, als Sie vielleicht denken. Viele verschiedene Denkweisen und Wertelevels haben nebeneinander Platz und in ihrem jeweiligen Kontext ihre Berechtigung.

Nur wenn Sie sich bewusst werden, dass Sie bisher durch die Brille Ihres Wertesystems geschaut haben, können Sie sich öffnen und Ihr Umfeld kritisch hinterfragen. Sie können Abstand gewinnen und neu nachdenken. Vielleicht kommen Sie dann darauf, dass Sie etwas verändern müssen, dass Ihr Markt sich entwickelt hat und Sie nachziehen sollten. Oder Sie erkennen, dass Ihre Verkäufer viel weiter sind, als Sie bisher dachten, und dass diese andere Rahmenbedingungen brauchen, um ihren Job erfolgreich machen zu können. Wenn Sie also bei unseren Beschreibungen der verschiedenen Levels denken: »Blödsinn, so ist das gar nicht«, dann erinnern Sie sich bitte an diesen Abschnitt. Sie haben wahrscheinlich gerade Ihre eigene Wertebrille aufgesetzt und sehen die Welt einfarbig, also so, wie sie in Wirklichkeit gar nicht ist.

VORWORT:
Wertschätzung kommt vor Wertschöpfung – Herausforderung und Chance für den Vertrieb

Wellenartig erschüttern Finanzkrisen die Märkte und ganze Volkswirtschaften. Diese globale Fehlentwicklung wirkt sich weltweit im Großen wie im Kleinen aus. Und sie offenbart bei genauem Hinsehen vor allem eines: eine immense Wertekrise! Jahrzehntelang wurde auf die falschen Werte gesetzt – auch im Vertrieb. Jahrzehntelang wurde auf Schneller-größer-weiter gebaut, auf knallharten Wettbewerb, auf unverantwortlichen Absatz. Auf den Zwang schnellen Wachstums. Und auf steigende Renditen. Alles in allem: sicher oft auf die falschen Werte. Und diese Wertekrise führte zur Führungskrise. Die Folge: eklatante Führungsmängel. Wie ich das meine? Noch heute erreichen Korrumpierung und Korruption in Unternehmen und natürlich auch im Vertrieb Höchststände. Topmanager zeigen mit dem Finger aufeinander und weisen Schuld und Verantwortung weit von sich. Sie geben stattdessen Anlegern, Kunden und Shareholdern die Schuld, deren Gier sie vermeintlich gerecht werden müssen. Alle wichtigen Werte, die guter Führung zugrunde liegen, scheinen bislang wenig gezählt zu haben; aber der Wind dreht sich gerade. Die Renaissance – fast hätte ich geschrieben: Konterrevolution – der klassischen ethischen Werte hat längst begonnen.

Werte führen zu Wert

Vertrauen, Verantwortung, Respekt, Integrität, Nachhaltigkeit und Mut: Das sind die sechs wichtigsten Werte, wenn es ums Geschäft geht. Dass es jedoch um das Vertrauen zwischen Führungskraft und Mitarbeitern traurig bestellt ist, bestätigen viele Studien und Umfragen. Integrität – angesichts der vielen Beispiele von hochbezahltem Missmanagement ein geradezu verhöhnter Wert. Mut – Mut zur Kritik, Mut zum Querdenken, Mut zur Innovation: Dieser wird in vielen Firmen fast schon bestraft, zumindest jedoch ignoriert. Dabei gibt es eine Korrelation, eine erkennbare Verbindung, zwischen gelebten Unternehmenswerten und überdurchschnittlichem finanziellen Erfolg. Richtig: Werte führen zu Wert! Und wenn die Energie in Unternehmen wirklich auf den Kunden ausgerichtet ist, stimmt die Strategie. Kunden sind die einzige Quelle, die Geld in die Unternehmen hineinbringt. Dafür erwarten sie eine verbesserte Welt. Das ist der Auftrag, das ist der Deal, um den es in der Wirtschaft geht.

Erst Wertschätzung, dann Wertschöpfung

Bleibt die Frage, wie es Erfolgsunternehmen gelingt, die beschriebenen Werte nicht nur in Grundsatzpapieren niederzuschreiben, sondern sie hochzuhalten und im beruflichen Alltag zu leben. Basis dieses Handelns ist, so simpel es klingt, echte gegenseitige Wertschätzung – ein wichtiger Wert, der etwas in Vergessenheit geraten ist. Jetzt besinnen sich die Ersten darauf und stellen sich neu auf. Und das ist meiner Erfahrung nach auch dringend nötig. Es geht in der Wirtschaft und im Arbeitsleben heute härter zu als früher. Gerade jetzt ist der Druck auf den Vertrieb sehr hoch. Gegenseitige Wertschätzung innerhalb der eigenen Agentur oder Abteilung, Wertschätzung hin zum Backoffice oder zu anderen Abteilungen im eigenen Unternehmen oder echte Wertschätzung der bestehenden und potenziellen neuen Kunden: Danach sucht man oftmals vergeblich.

Das stört die Manager inzwischen auch selbst: Laut einer aktuellen Studie der Nextpractice GmbH für die Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) sind fast 80 Prozent der befragten Führungskräfte mit der Führungsarbeit, dem eigenen Anspruch und den eigenen Möglichkeiten schlicht unzufrieden. Das ist natürlich ein Missstand, aber einer, der aufrüttelt! Er zeigt: Wir in den Unternehmen denken nach, wir ändern uns, wir wollen etwas ändern! Wir setzen uns jetzt mit unseren Werten neu auseinander. In unserer Forschungsarbeit mit der Buhr & Team Akademie, für die wir nicht nur Datenmaterial wie unsere VertriebsIntelligenz®-Studien (gemeinsam mit der EBS Reutlingen rsp. der Universität Luxemburg), sondern auch umfassendes Studienmaterial auswerten, haben wir etwas Interessantes herausgefunden: Für die meisten Führungskräfte steht inzwischen ein spezieller Wert an oberster Stelle: Integrität, das Leben nach Richtlinien und Werten. Und das schlägt sich direkt im Anspruch an das eigene Führungsverhalten nieder, gewissermaßen Führung 3.0.

Hinzu kommen Herausforderungen im Recruiting, in der Zusammenstellung von Teams und auch die Ansprüche der Generation Y. Diese Generation ist nicht mehr unter dem Primat des Befehls aufgewachsen, sondern schätzt Aspekte wie Auswahl und Freiwilligkeit, Attraktivität und Attraktion sowie Wahlfreiheit. Diese Generation entscheidet für sich selbst, was sie als »wertvoll«, als überzeugend empfindet oder für »sinnvoll« hält. Diese jungen Menschen drängen mit ihren neuen Kompetenzen, Vorstellungen und Forderungen in die Unternehmen. Sie wollen Leistung bringen und Verantwortung übernehmen. Das trifft vermutlich nicht auf alle zu, aber vielleicht auf einige – hoffentlich auf viele! Es kommt ihnen zudem darauf an, einen Sinn in ihrer Arbeit zu finden. Sie wollen Teil einer Aufgabe, einer großen Sache sein. Dabei ist ihnen ein wertschätzender Umgang sehr wichtig. Das Gleiche gilt für Transparenz in der Führung, Klarheit und Ehrlichkeit.

Die Konsequenz daraus – die Forderung – klingt billig. Und doch ist sie teuer, weil schwierig: Unternehmen und Führungskräfte, ob im Vertrieb oder in anderen Bereichen, müssen sich in Zukunft noch mehr Mühe geben, Wertebewusstsein, Offenheit und Kommunikation mit guten Ergebnissen, Wirtschaftlichkeit und Ertragsmaximierung zu verbinden. Zuallererst aber müssen sie die Werte im Unternehmen verankern – indem die Führungskräfte das verkörpern und vorleben, was sie von ihren Mitarbeitern erwarten. Ein Großteil des faktisch existierenden Glaubwürdigkeitsproblems von Führungskräften hat gewiss damit zu tun, dass zwischen geäußertem Wort und tatsächlicher Handlung oft Welten liegen. Menschen orientieren sich jedoch immer am praktisch agierenden Vorbild, statt an schönen Worten. »Walk your talk« – lass auf Worte Taten folgen –, so lautet das Motto. Sehr alt und gleichzeitig sehr aktuell! Das klingt banal, aber die mangelnde Umsetzung zeigt, dass genau das für viele (Vertriebs-)Führungskräfte noch nicht funktioniert. Ich sage bewusst »noch nicht«, denn der Weg ist klar! Sie müssen sich deutlich machen, für welche Werte sie selbst, ihre Abteilung und ihr Unternehmen stehen. Und sie müssen Position beziehen – gegenüber ihrem Unternehmen, ihren Mitarbeitern und sich selbst. Genau das ist mit »Integrität« gemeint.

Werte: Wo Vertrieb den Kunden trifft

Führung 3.0 kann nur gelingen, kann nur wirksam sein, wenn Werte klar im Blickfeld sind und vorgelebt werden. Die Unternehmen gewinnen nur so erfolgreich Mitarbeiter für sich und ihre Ideen, und damit gewinnen sie auch Kunden. Und auf dem Kunden muss der Fokus liegen. Der Kunde 3.0 setzt andere Maßstäbe als der Kunde von früher. Der Kunde 3.0, der als Einkäufer eines Unternehmens oder als privater Konsument Kaufentscheidungen trifft, ist keiner Generation, keiner Gesellschaftsschicht oder politischen Einstellung zuzuordnen. Positiv gewendet: Was zeichnet ihn aus? Er ist informiert, individualistisch, investigativ, international, intuitiv und idealistisch. Der Kunde 3.0 trifft seine Entscheidungen »hybrid«, online wie offline. Als Mensch und Verbraucher repräsentiert er seine Lebensphilosophie, die von seinen individuellen Werten geprägt ist – und von denen sich mittlerweile durchaus einige im Mainstream wiederfinden. Umweltschutz, nachhaltige Produkte, faire Bezahlung von Arbeitskräften und Ausschluss von Kinderarbeit sind nur einige Beispiele. Der Kunde 3.0 ist anspruchsvoll, vernetzt, gewohnt, global zu suchen und zu kaufen, liest Bewertungen und Empfehlungen von anderen und gibt selbst Bewertungen und Empfehlungen ab. Er recherchiert schnell und vernetzt auf allen Plattformen, ist »always on« und damit oft besser informiert als der Verkäufer. Er kennt Preise und Wettbewerberangebote ganz genau, aber er setzt auch auf Nachhaltigkeit und Werte. Es gibt kein Geheimwissen mehr. Wir leben in einer »hybriden Many-to-many-Zeit«, in der Transparenz gelebt und oft sogar geliebt wird. Transparenz ist – neben den bereits genannten – ein weiterer hoher, ein hehrer Wert, von dem wir im Vertrieb und in der Führung oft noch nicht richtig wissen, wie wir ihn leben können, da uns doch das alte Denken in Wissens-Machtverhältnissen im Weg steht. Auch aus diesem Grund ist das vorliegende Buch von Franziska Brandt-Biesler und Rainer Krumm ein so wichtiges, das genau in unsere Zeit, in unser Jetzt passt. Dazu passt auch die angenehm unaufgeregte Weise, in der die beiden Autoren – beide seit langen Jahren vom (Vertriebs-)Fach – sich mit der Werteherausforderung im Vertrieb auseinandersetzen.

Brandt-Biesler und Krumm nutzen zur Beschreibung und Verortung der Wertediskussion im Vertrieb die 9 Levels of Value Systems. Sie haben die Forschungsergebnisse von Clare W. Graves in die heutige Zeit übertragen. Das passt, denn der Sinn des Tuns steht auch hier im Fokus. Ich habe dieses Buch mit großer Freude gelesen und wünsche dem Autorenteam viel Erfolg und die Wertschätzung, die diese Arbeit verdient. So wird verkauft! ist im Zusammenhang mit der Wertediskussion ein Titel, der provoziert und neugierig macht – und auch echte Chancen eröffnet. Als Leserin oder Leser werden Sie von den Erkenntnissen in diesem Buch profitieren. Meistern wir gemeinsam die Herausforderung, nutzen wir die wertvollen Möglichkeiten im Vertrieb. Dann folgt Wertschöpfung auf Wertschätzung!

Andreas Buhr

CEO, Buhr & Team Akademie für Führung und Vertrieb AG

KAPITEL 1:
Gebrauchsanleitung für dieses Buch

Wie ticken Vertriebler? Sind sie hauptsächlich auf Abschlüsse aus und erzählen aus diesem Grund alles Mögliche – egal ob es stimmt oder nicht? Dieses negative Image haben Verkäufer bei vielen Menschen. Oder sind Vertriebler passiv und unselbstständig und es fehlt ihnen an Unternehmergeist? Das behaupten zumindest viele Vertriebsleiter, die uns als Berater oder Verkaufstrainer engagieren. Vielleicht stellen Vertriebler aber auch ein wichtiges Bindeglied zwischen Anbieter und Interessent dar. Das wollen wir als Experten gerne glauben.

Die Antwort: Alle oben beschriebenen Vorstellungen sind wahr. Weder gibt es DEN Vertriebler noch DIE Vertriebsorganisation oder DEN Verkaufsleiter. Wir haben es stattdessen mit einer großen Vielfalt zu tun. Als wir mit der Arbeit an diesem Buch begannen, starteten wir mit Unterstützung des Vertriebsexperten Stephan Heinrich eine Umfrage1 unter Vertrieblern in der XING-Gruppe »Vertrieb und Verkauf«. Über 150 Vertriebler beteiligten sich daran und ließen uns ihre Wertvorstellungen in Bezug auf die eigene Vertriebstätigkeit messen.

Das Ergebnis: Erstaunlich viele Vertriebler sind in ihrer Werteentwicklung auf einem sehr hohen Niveau. Sie haben den Level des reinen Gewinn- und Erfolgsstrebens hinter sich gelassen und setzen stattdessen auf Kooperation und Vernetzung. Echte Partnerschaft mit Kunden ist ihnen wichtig und sie arbeiten mit ihnen daran, sinnvolle und wertschöpfende Projekte umzusetzen. Im Durchschnitt fanden sich die Teilnehmer der Umfrage auf Level Gelb wieder. Was das bedeutet, erklären wir Ihnen in diesem Buch noch genauer.

Unserer Einschätzung nach sind die Ergebnisse allerdings nicht über den gesamten Verkauf hinweg repräsentativ. Schließlich war die Teilnahme freiwillig. Außerdem wurde die Umfrage in einem Forum angeboten, in dem Vertriebler sich treffen, um sich offen auszutauschen. Schon das stellt eine gewisse Vorauswahl dar. Dennoch finden wir diese Ergebnisse in unserem Arbeitsalltag häufig wieder. In vielen Firmen, die uns engagieren, treffen wir auf Vertriebsmitarbeiter und Key-Account-Manager, die so reif, partnerschaftlich und kommunikativ agieren, wie es unsere Umfrage nahelegt.

Die Vertriebsorganisationen und die Vertriebsführung befinden sich allerdings manchmal auf einem ganz anderen Niveau. Gerade in großen Firmen sind sie oft von kurzfristigen Gewinnforderungen und Zielen geprägt. Aus dem Management wird Druck nach unten weitergegeben. Wenn die Mitarbeiter langfristige Projekte anstreben und die Verkaufsleitung Quartalsergebnisse vorweisen muss, ergibt sich naturgemäß Zündstoff.

Genau mit solchen Konflikten, Unstimmigkeiten und Veränderungspotenzialen beschäftigt sich dieses Buch. Wir geben Ihnen auf Basis der Werteforschung konkrete Anhaltspunkte, anhand derer Sie Ihre Situation im Vertrieb, in der Organisation und in Ihrem Team einschätzen können. Sie werden erkennen, wo Strategie und Organisation, Mitarbeiter und Kunden auseinanderdriften und wie Sie dies verändern können.

Wir schildern Ihnen anhand vieler Beispiele, wie der Vertriebsalltag in den unterschiedlichsten Firmen aussieht. Diese Beispiele sind übrigens alle echt – auch wenn wir die Namen der Firmen und Beteiligten meistens geändert haben, um die Vertraulichkeit gegenüber unseren Kunden zu wahren. Wenn wir in diesem Buch bekannte Firmennamen aufgreifen, stammen die Informationen ausschließlich aus öffentlich zugänglichen Quellen. Diese echten Geschichten aus dem beruflichen Alltag haben wir deshalb gewählt, weil wir die Situation so realistisch wie möglich schildern wollen. Modelle – auch die 9 Levels of Value Systems, mit denen wir arbeiten – verleiten immer wieder dazu, zu vereinfachen und in Klischees zu denken. Und genau das wollten wir vermeiden. Dennoch haben wir uns natürlich Beispiele ausgesucht, die den jeweils beschriebenen Wertelevel deutlich sichtbar machen und in denen dieser möglichst durchgängig ist. Solche typischen Firmen und Teams gibt es tatsächlich.

Häufiger werden Sie allerdings auf Firmen stoßen, in denen verschiedene Wertelevels aufeinander treffen. Während in der Produktentwicklung Genauigkeit herrscht (Level Blau), wünscht sich der Vertrieb manchmal mehr Geschwindigkeit (Level Orange). Der Innendienst pflegt einen persönlichen Kontakt zum Kunden (Level Grün), während die Buchhaltung diesen mit ihrer Kleinlichkeit auf die Palme bringt (Level Blau). Wenn das auch bei Ihnen der Fall ist, werden Sie nach der Lektüre des Buchs besser verstehen, wieso sich daraus immer wieder Konfliktpotenziale ergeben. Sie werden aber auch erfahren, wie Sie diese in Zukunft verringern können.

Bevor Sie jetzt anfangen zu lesen, vorab noch einige Hinweise zu diesem Buch.

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Querlesen erwünscht – seien Sie wählerisch und sprunghaft

Viele Fachbücher beginnen mit dem Hinweis, dass sich der Leser Notizen machen soll und somit schon während des Lesens mit der Umsetzung anfangen kann. In anderen Büchern sollen Sie Fragebögen ausfüllen und werden alle paar Seiten aufgefordert, sich selbst zu reflektieren. Das müssen Sie in diesem Buch nicht tun.

Wir wünschen uns: Lesen Sie dieses Buch bitte so, wie Sie es am liebsten tun, und machen Sie mit dem Gelesenen, was Sie wollen. Wir vertrauen einfach darauf, dass Sie das, was für Sie relevant ist, finden werden. Wenn Sie sich oder Ihren Vertriebsalltag in einem Kapitel wiederentdecken, werden Sie sich angesprochen fühlen, und wenn das Bedürfnis entsteht, etwas aufzuschreiben, werden Sie es tun. Wenn Sie dagegen das Buch erst einmal querlesen, zwischen den Kapiteln hin und her springen oder etwas auslassen, ist das aus unserer Sicht auch gut. Sie wissen dann, wo Sie was finden, und können bei passender Gelegenheit nachschlagen.

Natürlich freuen wir uns, wenn Sie ein paar wertvolle Erkenntnisse aus diesem Buch ziehen können. Und wir sind überglücklich, wenn Sie sogar etwas davon umsetzen, Ihren Vertrieb in Zukunft anders führen oder gänzlich umorganisieren. Wir sind aber auch ganz zuversichtlich, dass das passieren wird, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist.

Vorschläge statt Vorschriften – adaptieren Sie!

Der bekannte Coach und Therapeut Steve de Shazer gibt seinen Teilnehmern »Descriptions« statt »Prescriptions«, also Beschreibungen statt Verschreibungen. Genauso wollen wir es auch halten. Wir machen Ihnen hier Vorschläge, jede Menge davon. Bitte verstehen Sie diese aber nicht als Vorschriften. Wir kennen weder Ihren Vertriebsalltag noch Ihr Unternehmen. Wir wissen nur eins: Jede Firma ist anders und die Menschen, die dort arbeiten, sind es auch.

Wenn wir für Firmen arbeiten, müssen wir uns deshalb immer wieder anpassen. Patentrezepte und Einheitsworkshops gibt es bei uns nicht. Deshalb werden unsere Vorschläge auf die Firmenrealität abgestimmt. Bitte tun Sie das auch mit den Ideen, die Sie in diesem Buch vorfinden. Greifen Sie heraus, was passt, und vergessen Sie, was nicht für Sie zutrifft. Adaptieren Sie unsere Hinweise für Ihre Vertriebspraxis und seien Sie bitte wählerisch, wenn Sie entscheiden, welche Ideen Sie aufnehmen und welche nicht.

In diesem Sinne wünschen wir Ihnen eine interessante, anregende und wert-volle Lektüre.

KAPITEL 2:
Werteorientierung im Verkauf? Nutzen und Anspruch

Werteorientierung – was heißt das eigentlich?

Dienstagmorgen, 6:15 Uhr. Der Wecker klingelt. Die Woche hat gestern wirklich nicht gut angefangen. Die Zahlen sind schlecht. Ihr Chef ist nervös und schnauzt jeden an, der ihm über den Weg läuft, und Sie haben seit etlichen Monaten keinen Urlaub gehabt. Einige Mitarbeiter aus Ihrem Verkaufsteam bringen bei Weitem nicht die Leistung, die Sie von ihnen erwarten. Aber rauswerfen können Sie sie auch nicht. Der Schreibtisch ist voll mit Aufgaben, die Sie unmöglich in dieser Woche schaffen können, selbst wenn Sie jeden Tag 16 Stunden arbeiten würden.

Was bringt Sie in solchen Momenten dazu, aus dem Bett zu steigen, sich sorgfältig anzuziehen und Ihren Partner mit einem liebevollen Kuss zu verabschieden? Wieso fahren Sie pünktlich in Ihr Büro und begrüßen Ihre Mitarbeiter – auch die schlechten – höflich und korrekt? Und warum geben Sie auch heute wieder alles, obwohl Sie im Moment wirklich kein Licht am Ende des Tunnels sehen?

Was Sie antreibt, sind Ihre Werte – die Vorstellung, wie Sie mit Menschen umgehen, wie Sie Ihren Job machen und wie Sie Ihr Leben führen müssen, um der beste Mensch zu sein, der Sie im Moment gerade sein können. Vielleicht werden Sie nicht immer mit sich zufrieden sein. Doch Sie haben eine Vorstellung davon, wie Sie leben sollten, was richtig und falsch, was wichtig und unwichtig ist.

Vielleicht werden Sie durch die feste Überzeugung angetrieben, dass Sie nur als Gewinner bestehen können. Vielleicht treibt Sie aber auch Ihr Pflichtgefühl an, Ihre Aufgabe korrekt zu erfüllen, selbst dann, wenn eigentlich nichts mehr geht. Oder Sie gehören zu den Menschen, die Ihr Team niemals im Stich lassen, egal was passiert. Manchmal haben Sie vielleicht schon Situationen erlebt, in denen Sie sich nicht mehr motivieren wollten oder konnten, in denen Sie gegen Ihre Überzeugung arbeiten mussten, sodass Ihnen fast die Luft ausging. Womöglich hat Ihr Umfeld sich in dieser Zeit stark verändert und plötzlich passten Sie nicht mehr hinein.

Friederike Bertold hatte einige Jahre im Vertrieb eines Kurierdienstes gearbeitet, als sie das Jobangebot eines traditionellen Speditionsunternehmens bekam. Das Gehalt war üppig und die Aufgabe reizvoll und so nahm sie das Angebot an. Dabei schlug sie wohlgemeinte Warnungen ihrer alten Kollegen aus: »Du wirst dich dort nicht wohlfühlen. Das ist nicht so locker wie bei uns.« Der Kulturschock kam, als Friederike Bertold die Stelle antrat. Hierarchien und Regeln wurden bei ihrem neuen Arbeitgeber großgeschrieben. Wichtige Persönlichkeiten, wie zum Beispiel die Prokuristen, mussten gewürdigt und in Entscheidungen einbezogen werden. Neue Ideen durfte die neue Vertrieblerin nicht einfach mit jedem besprechen, sondern musste sie über den offiziellen Dienstweg einreichen.

Geprägt von ihrem bisherigen Umfeld, in dem alles kollegial und auf Zuruf geregelt worden war, machte Friederike Bertold viele Fehler, eckte an und holte sich einige Standpauken ihres Chefs ab. Doch statt sich an das andere Umfeld zu gewöhnen, wurde sie immer frustrierter. Sie fühlte sich einfach nicht wohl. Viele Kollegen erschienen ihr distanziert und unflexibel. Friederike Bertold fühlte sich eingeengt und unterdrückt und zog nach nur einem Jahr die Konsequenzen: Die junge Vertrieblerin kündigte und suchte sich eine neue Stelle. Das Speditionsunternehmen verteufelte sie als rückständig und spießig. Erst viel später begriff sie, dass ein ganz anderes Problem Ursache für ihren Frust gewesen war. Die Spedition war nicht schlecht oder falsch gewesen. Friederike Bertold hatte lediglich das Wertesystem der Firma nicht verstanden und mit ihrem eigenen Denken nicht hineingepasst.

Werte spielen aber nicht nur in ungünstigen Situationen eine Rolle. Sie sind immer da. Und wenn Ihr Umfeld zu Ihrem Wertesystem passt, können Ihre Werte blühen und Ihnen Energie verleihen. Sie werden es Ihnen leicht machen, Entscheidungen zu treffen und Ihre Aufgaben privat und beruflich richtig und zu Ihrer vollen Zufriedenheit zu lösen.

Wie das Umfeld aussieht, in dem Sie aufblühen können, wissen Sie wahrscheinlich selbst am besten. Wenn nicht, denken Sie einmal darüber nach. Was ist Ihnen wichtig? Welche Werte stehen dahinter? Und welche Werte werden zum Beispiel in Ihrer Firma großgeschrieben? Passt das zusammen? Wenn Sie in einem Spannungsfeld unterschiedlicher Werte arbeiten, merken Sie das meistens schon an einem latent schlechten Gefühl, selbst wenn es Ihnen noch nicht bewusst ist. Nehmen Sie solche Gefühle als wertvollen Hinweis darauf, dass es wichtig wäre, etwas genauer nachzuforschen.

Welche Werte für Sie passen, ist sehr individuell. Vielleicht fühlen Sie sich in einem Umfeld wohl, in dem Sie viel Freiraum haben. Solange Ihre Zahlen stimmen, können Sie machen, was Sie wollen. Kreative Ideen werden gern gesehen und Fehler sind erlaubt. Mitarbeiter und Führungskräfte haben einen gewissen Spielraum, um ihre Ziele zu erreichen. Erfolge werden belohnt und kommuniziert. Wer gut ist, steht auch gut da.

Die für Sie richtige Arbeitsumgebung kann aber auch ganz anders aussehen. Möglicherweise schätzen Sie Strukturen und Prozesse, die Ihnen klare Leitlinien geben. Es geht um Genauigkeit und Qualität ist das oberste Ziel. Der Verkaufsprozess wird exakt beschrieben und jeder weiß, was er zu tun hat. Veränderungen werden sorgfältig geprüft und nur umgesetzt, wenn das Risiko überschaubar ist. Entscheidungen werden von oben nach unten getroffen.

Eventuell haben Sie bei einem der beiden Beispiele gerade innerlich genickt, weil es Ihren Vorstellungen entspricht. Bei dem anderen haben Sie hingegen Gefühle von Beklemmung oder Unruhe empfunden, denn so möchten Sie auf keinen Fall arbeiten. In diesen Beispielen haben wir zwei der Wertelevels beschrieben, die Sie im Verlauf dieses Buchs noch genauer kennenlernen werden. Ist einer davon bei Ihnen stark ausgeprägt, fühlen Sie sich von der jeweiligen Beschreibung wahrscheinlich angesprochen.

Der andere dagegen widerspricht dann womöglich Ihren Wertvorstellungen. Sie sehen ihn durch die Brille Ihrer Wertewelt und denken: »Schlecht! So kann man doch nicht arbeiten.« Werte prägen nicht nur unsere Vorstellungen, sondern auch unsere Wahrnehmung und Bewertung. Doch was bedeutet eigentlich dieser Begriff »Werte«?

Werte – gesund und wertvoll leben

In den letzten Jahren sind »Werte« immer präsenter geworden. Unternehmen kommunizieren ihre Werte. Politiker nutzen den Wertebegriff, um sich und ihre Ideen zu positionieren. Und Berater definieren die »richtigen« Werte für Führungskräfte. Werte scheinen modern und neu zu sein, obwohl sie doch eigentlich schon so lange existieren, wie es Menschen gibt. Aber was ist nun eigentlich mit diesen Werten gemeint, von denen nicht nur in diesem Buch, sondern allgemein so oft die Rede ist?

Einige Hinweise erhalten Sie, wenn Sie sich den Begriff näher anschauen: In der deutschen Sprache benutzen wir den Begriff »Wert«, um auszudrücken, was uns etwas wert und damit auch, wie wichtig es uns ist. Das lateinische »valere« steht dafür, »etwas wert zu sein«, also etwas zu gelten und Einfluss zu haben. Es bezeichnet aber auch »gesund sein«, »fähig sein« und »stark sein«, so Pater Anselm Grün in seinem Buch »Führen mit Werten«.2

In der heutigen Zeit gibt es immer noch einige Urvölker, die hauptsächlich auf dem Level Purpur leben. Doch auch in Ihrem Umfeld kann dieser Level noch eine Rolle spielen. Wenn Sie zum Beispiel stark mit Ihrer Heimat verbunden sind oder Sie eine starke Bindung zu Ihrer Familie haben, ist Purpur wahrscheinlich immer noch wichtig für Sie.

In unserer Definition gehören diese Begriffe eng zusammen. Pater Anselm schreibt weiter in einem Aufsatz über Werte: »Ohne Werte kann der Mensch nicht gesund leben.« Dabei geht es nicht so sehr darum, welche Werte die richtigen sind, sondern ob Sie Ihren individuellen Werten entsprechend leben. Wenn Sie das tun, sind Sie kraftvoll, gesund und leistungsfähig. Sind Sie sich Ihrer Werte bewusst, hilft Ihnen dieses Wissen, die richtigen Entscheidungen zu treffen, weil Sie wissen, was Ihnen wichtig ist. Wenn Ihnen beispielsweise Werte wie »Qualität«, »Sicherheit« und »Kontrolle« wichtig sind, werden Sie vermutlich anders leben und andere Entscheidungen treffen, als wenn Sie nach »Leistung«, »Prestige« und »Wohlstand« streben. Sie werden andere Urteile fällen und andere Dinge mögen.

Doch nicht nur Individuen, sondern auch Gruppen und Organisationen haben Werte. Überlegen Sie, für welche Werte Ihre Firma tatsächlich steht. Wenn Sie in einem Verein sind – unabhängig davon, ob dort Fußball gespielt, geangelt oder musiziert wird –, steht auch dieser für bestimmte Werte. Sogar ganze Kulturen und Nationen haben in der Regel gemeinsame Werte. Und wenn diese Werte irgendwann auseinanderdriften, gibt es Probleme. Aber wie kommt es zu diesen unterschiedlichen Wertvorstellungen? Warum denken manche Menschen so und andere ganz anders? Warum verändern sich Werte manchmal mit zunehmender Erfahrung? Und warum entwickeln sich manche Menschen stärker und andere weniger?

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