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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

Zwischenspiel

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

Epilog

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2500

 

Projekt Saturn

 

Sie öffnen das Tor zu den Sternen – die Frequenz-Monarchie wird ihr Gegner

 

Frank Borsch

 

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Auf der Erde und den zahlreichen Planeten in der Milchstraße, auf denen Menschen leben, schreibt man das Jahr 1463 Neuer Galaktischer Zeitrechnung – das entspricht dem Jahr 5050 christlicher Zeitrechnung. Seit über hundert Jahren herrscht in der Galaxis weitestgehend Frieden: Die Sternenreiche arbeiten zusammen daran, eine gemeinsame Zukunft zu schaffen.

Die Konflikte der Vergangenheit scheinen verschwunden zu sein.

Vor allem die Liga Freier Terraner, in der Perry Rhodan das Amt eines Terranischen Residenten trägt, hat sich auf Forschung und Wissenschaft konzentriert. Mithilfe uralter Transmitter will man die riesigen Entfernungen zwischen Sonnensystemen und gar Galaxien überwinden.

Zudem hofft man auf einen Technologietransfer aus bisher unbekannten Bereichen. Dazu dient unter anderem die mysteriöse Raumstation, die zwischen den Ringen des Planeten Saturn schwebt. Die besten terranischen Wissenschaftler und Techniker arbeiten daran, dem Artefakt aus tiefster Vergangenheit seine Geheimnisse zu entlocken.

Doch die Menschen sind nicht die Einzigen, die sich für das Objekt interessieren. Auch die Frequenz-Monarchie richtet ihr Augenmerk auf die Station – und es beginnt ein gefährlicher Konflikt um das PROJEKT SATURN ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terraner bekommt Probleme mit dem mysteriösen Projekt Saturn.

Mondra Diamond – Die Liga-Staatssekretärin, Exartistin und Exagentin fühlt sich an ihrer Neugierde gepackt.

Milton DeBeer – Der exzentrische Hyperphysiker erforscht ein uraltes Artefakt von großer Bedeutung.

Sinnafoch – Der Frequenzfolger greift mit seinen Darturka-Regimentern nach dem Solsystem.

Skulptis – Die Kriegsordonnanz kämpft für ihren Herrn.

Prolog

 

Sterne glitzern, malen unbekannte Bilder in den Himmel einer fremden Welt.

Der alte Mann sitzt auf einem Felsen. Tau ist auf seinem weißen Bart gefroren, doch er friert nicht. Eine Superintelligenz kann nicht frieren.

ES blickt über die Ebene zu seinen Füßen. In der Ferne erstrecken sich die fahlen Umrisse einer Maschinenstadt.

Ein Windhauch streift sein Gesicht. Eine Gestalt entsteht neben ES. Sie gleicht einem Menschen, ist groß und schlank. Ein Mann. Er trägt eine einteilige Kombination, so eng, dass sie wie eine zweite Haut wirkt.

»Homunk«, sagt ES. »Es ist gut, dich zu sehen.«

»Meister?«

»Über hundert Menschenjahre des Friedens sind vergangen. Aber damit ist es nun vorbei. Er braucht unsere Hilfe. Und wir seine.«

»Ich soll ihn aufsuchen?«

»Er braucht Rat, einen Hinweis. Er steht vor großen Entscheidungen. Das Schicksal seines Volkes hängt von ihnen ab. Deshalb: Geh zu ihm!«

»Ja, Meister.«

Homunk senkt den Kopf und empfängt die Nachricht, die ihm sein Meister mental überträgt.

Ein weiterer Windhauch. Homunk hat sich auf den Weg gemacht.

ES richtet seinen Blick wieder zur fernen Maschinenstadt. Sein Blick wandert. Zum Himmel empor, in den Orbit der Welt, die der Erde gleicht und doch keine Erde ist, zwischen die Sterne der Spiralgalaxie, die den Planeten beherbergt, zwischen unzählige Galaxien ...

... und schließlich fällt er auf das Gesicht des Terraners.

Perry Rhodan.

Auf ihm ruht seine Hoffnung.

Und ES, der nicht frieren kann, fröstelt, als er an die Aufgabe denkt, die vor Perry Rhodan liegt ...

1.

3. Januar 1463 NGZ

Bericht: Mondra Diamond

 

Es ist nicht immer leicht, die Gefährtin eines Unsterblichen zu sein.

Nicht, wenn du selbst knapp über zweihundert bist, Lebenserwartung ungewiss, aber potenziell unbegrenzt, und dein Partner über dreitausend.

Nicht, wenn dein Partner Perry Rhodan heißt.

Der Mann, der die Menschheit zu den Sternen geführt hat. Den das Schicksal Milliarden Lichtjahre in das Universum hinausgeführt hat, in die fernste Zukunft, die tiefste Vergangenheit und in fremde Dimensionen. Dessen Augen das Licht unzähliger Welten gesehen haben. Der über die Jahrtausende der Menschheit treu geblieben ist und ihr nun als Terranischer Resident dient.

Perry kam kurz nach Sonnenaufgang in den Garten meines Hauses am Goshun-See. Er weiß, dass ich das nicht mag. Der Morgen ist die heilige Zeit der Artisten. Im Zirkus sind es die einzigen Stunden, die du für dich hast.

Tagsüber übst und übst und übst du, bis dir die Gelenke rauchen. Abends hast du Vorstellung. Du stehst im Licht von Scheinwerfern, so stark, dass sie den Lack von einer Space-Jet wegsengen könnten. Tausende Augenpaare sehen nur dich. Der Adrenalinschub. Das unvergleichliche High, gelingt deine Nummer. Hinterher das Chill-out mit den anderen Artisten, die unruhige Nacht, in der dein Gehirn immer wieder über die Nummer geht und sich am kleinsten Fehler aufhängt anstatt an den Dingen, die dir gelungen sind. Dann endlich der Morgen. Eine Oase des Friedens. Deine Zeit.

»Mondra!«, rief Rhodan. »Komm runter, ich will dir etwas zeigen!«

Er musste den Kopf tief in den Nacken legen, um mich zu sehen. Ich hing oben am Trapez. Und das Trapez wiederum vom weit ausladenden Ast eines wachstumsbeschleunigten Mammutbaums, den ich vor sechzig Jahren gepflanzt habe. Am Grab eines zwergenhaften Klonelefanten namens Norman, der mir verdammt viel bedeutet hat. Aber das ist eine andere Geschichte.

»Ich denke nicht daran!«, rief ich zurück, ohne hinzusehen. »Ich habe zu tun.«

Eine glatte Lüge. Ich würde Perry überallhin folgen, alles liegen und stehen lassen. Aber ich würde mir lieber die Zunge abbeißen, als es ihm je zu sagen. Im Leben musst du sehen, wo du bleibst. Das habe ich früh gelernt. Und wenn du es mit Perry Rhodan zu tun hast ... Es ist so etwas wie eine Dehnübung, die niemals aufhört. Du musst die Spannung halten, dich strecken, um mit ihm auf Augenhöhe zu sein, ununterbrochen. Ein Unsterblicher gibt ein Maß vor, dem zu genügen eigentlich unmöglich ist.

»Mondra, bitte! Es wird dir gefallen, glaub mir!«

Ich glaubte es ihm. Perry hatte etwas vor. Er trug einen SERUN, die Art von Schutzanzug, mit der du im Vakuum, auf Eiswelten oder in der Korona einer Sonne durchkommst. Der SERUN stand Perry gut. Der Anzug roch nach Abenteuer.

»Ich habe eben erst angefangen«, rief ich, als hätte ich nichts von dem SERUN bemerkt. »Komm heute Nachmittag wieder!«

Ein winziges Zögern, bevor seine Antwort kam. Gut. Der Herr Resident ist Widerspruch nicht gewohnt. Von mir bekommt er ihn, deshalb – und das ist mein Geheimnis – kommt er immer wieder zu mir zurück für einen Nachschlag.

»Das ist nicht dein Ernst!«, rief er. »Du willst den ganzen Tag da oben wie ein Stück Obst hängen?«

»Nein, in der Haltung der umgekehrten Weisheit, welche die wahre Sicht der Dinge bringt«, entgegnete ich. »Ein Apfel arbeitet nicht. Er ist über den Stiel fest mit dem Ast verbunden. Das hier, Weisheit, ist Arbeit.«

Was stimmte. Wer das nicht glaubt, soll es zu Hause ausprobieren. Einfach Trapez an der Decke aufspannen, hochklettern, die Kniekehlen um die Stange schmiegen und den Kopf hängen lassen. Aber Vorsicht! Verlässt dich einen Moment die Spannung, knallst du auf den Boden und bist Fallobst.

Und das mit dem Nachmittag ... na ja, eine halbe Stunde genügt. Ich war und bin Artistin, aber trotz aller anderen Titel und Berufe in den letzten Jahrzehnten bin ich nicht durchgeknallt. Doch diese halbe Stunde ist unvergleichlich. Ich hänge im Garten, das Trapez baumelt von einem Ast meines Mammutbaums, dreißig Meter hoch, und ich blicke auf Terrania City, die aufregendste Stadt, die Menschen je gebaut haben, und sie steht für mich kopf.

Ich kann von dieser Stadt nicht genug bekommen. Einhundert Millionen Menschen, das Nerven-, Wirtschafts-, kulturelle und Was-weiß-ich-noch-Zentrum der Liga Freier Terraner. Unzählige Gleiter in der Luft, ihr Summen wie das eines Bienenschwarms. Raumschiffe aus allen Teilen der Milchstraße, die in einem nie zu Ende gehenden Strom landen und starten. Die Solare Residenz, die wie eine riesige, geballte Hand über allem schwebt. Das Symbol der Macht Terras.

Terrania City ist überwältigend. Die Stadt scheint für die Ewigkeit gemacht, scheint seit dem Anbeginn der Zeit zu existieren. Doch der Schein trügt. Terrania City ist keine dreitausend Jahre alt. Der Mann, der ungeduldig unter mir im Gras stand, hatte sie gegründet, auf einem öden Flecken Wüstenerde. In den Jahrtausenden, die seitdem vergangen waren, war die Stadt mehr als einmal in Schutt und Asche gelegt worden – und jedes Mal hatte sie sich aus den Trümmern neu erhoben, als besäße sie mehr Leben als eine Katze.

Klingt abgehoben? Mag sein. Aber das sind eben die Art Gedanken, die dir durch den Kopf schießen, wenn du mit dem Kopf nach unten vom Trapez hängst, sich das Blut in deinem Kopf staut und der Puls in deinen Schläfen hämmert. Deine Wahrnehmung ändert sich, schärft sich.

»Willst du den ganzen Tag mit Arbeit verbringen?«, rief Perry von unten.

»Wieso nicht?«, antwortete ich. »Hast du etwas Besseres zu bieten?«

»Ja!«

»Was?«

»Das kann ich dir nicht sagen. Das musst du mit eigenen Augen sehen.«

»Tatsächlich?«

»Tatsächlich.« Perry grinste jetzt. Er spürte, dass er mich am Haken hatte. »Also?«

Ich tat so, als überlegte ich. Dann spannte ich die Bauchmuskeln an und schnellte hoch. Meine Kniekehlen lösten sich von der Trapezstange, meine Hände fanden die Seile, griffen sie und stießen mich ab. Ich stürzte im freien Fall, bekam knapp über dem Boden einen Ast zu fassen, griff nach ihm wie nach der Stange eines Barren, drehte mich viermal um die eigene Achse, um meinen Schwung abzubauen, ließ ihn los, kam direkt vor Perry auf dem Boden auf – und stand die Figur.

Sein Grinsen war gefroren. Selbst für ihn, den man immer noch den »Sofortumschalter« nannte, war alles zu schnell gegangen. Er hatte geglaubt, ich würde vom Trapez stürzen.

Seine Sorge rührte mich an. Aber ich ließ mir nichts anmerken. Ich war und bin Artistin. Ich weiß, dass ohne die Pose die beste Akrobatik umsonst ist.

»In Ordnung«, sagte ich. »Ich komme mit. Ausnahmsweise.«

 

*

 

»Du kannst die Augen jetzt aufmachen!«, sagte Perry.

Ich tat, ausnahmsweise, was er mir sagte. Ich blickte hinaus ins All, durch die einfache Glassitscheibe des Gleiters, der uns vor meinem Gartentor erwartet hatte.

Das All war schwarz, darüber verstreut mehr Lichtpunkte, als ich sie je hätte zählen können. Einer von ihnen musste Sol sein, der Gleiter besaß keinen Überlichtantrieb. Und dann, als ich Perry eben fragte, wo hier bitte schön die Überraschung sein sollte, legte sich der Gleiter auf die Seite, und ein Planet kam in Sicht. Wir waren nahe dran, er war so groß, dass nur ein Ausschnitt zu sehen war. Er hatte die Farbe von Elfenbein, war eine bleiche, gewaltige Schönheit ... und eine bekannte. Die Ringe verrieten es.

»Saturn«, flüsterte ich. Und dann: »Er ist traumhaft schön.«

Perry nickte. Ich spürte seine Ergriffenheit. Perry hatte mehr vom Universum gesehen als jeder andere Mensch. Aber weder hatte er das Staunen verlernt, noch hatte er vergessen, wo sein Zuhause war. Das Solsystem würde bis zum letzten Tag seines Lebens ein besonderer Ort für ihn bleiben. Heimat.

Gut und schön, aber kein Grund, in Sentimentalität zu versumpfen. »Was soll das hier werden?«, fragte ich betont salopp. »Holen wir die Flitterwochen nach, die wir nie hatten?«

Rhodan schüttelte den Kopf. »Sieh genau hin!«

Die Positronik hatte den Gleiter noch näher an den Saturn gebracht. Unter uns erstreckte sich einer der Hauptringe des Planeten, eine gekrümmte Strecke aus Gesteins- und Eisbrocken. Wie eine Straße, die in die Unendlichkeit mündete.

Doch halt ... da war etwas, auf halbem Weg, bevor der Ring hinter dem Saturn verschwand. Eine Handvoll Brocken. Größer als die übrigen, regelmäßiger, als hätte irgendein Witzbold Jonglierbälle unter das Gestein und Eis gemischt – und hätte sie dann in einer Regelmäßigkeit angeordnet, die den Anziehungskräften Saturns eine lange Nase drehte.

»Positronik!«, sagte ich. »Heranzoomen!« Ich zeigte auf die »Bälle«.

Als die Bälle auf den Gleiter zuzuschießen schienen, warf Perry mir einen anerkennenden Seitenblick zu. Ich ließ mir nicht anmerken, dass mein Herz einen Satz machte. Und es machte einen zweiten, noch größeren, als die Jonglierbälle sich als Leichte Kreuzer herausstellten. 124 insgesamt, wie die Positronik des Gleiters am unteren Rand der Glassitscheibe dezent einblendete, Durchmesser jeweils einhundert Meter. Angeordnet in einer Hohlkugelformation, die mich sofort an die Schale eines Eis erinnerte. Nur: Was verbarg die Schale?

»Was hat das zu bedeuten?«, fragte ich.

Es war die einzig angemessene Frage. Über hundert Jahre waren seit dem Ansturm der Terminalen Kolonne vergangen. Sah man nicht zu genau hin, schien die Liga längst wieder erholt, doch ich kannte die Budgetzahlen zu genau, um mich vom Schein täuschen zu lassen. Unsere Mittel waren knapp. Und das, was vor uns im Saturnorbit schwebte, bedeutete einen ganz erheblichen Aufwand von Mitteln.

Perry wich mir aus. Er genoss zu sehr, dass ich angebissen hatte; vielleicht genoss er auch, dass ich von der Angelegenheit noch nichts erfahren hatte. Ich bin eine neugierige Seele. Ich musste erfahren, was in der Umlaufbahn des Saturn vorging. »Sehen wir es uns genauer an!«, sagte er.

Er beschleunigte den Gleiter, hielt auf die Kreuzer zu. Als wir auf 15.000 Kilometer an die ersten Kreuzer heran waren, erwachte der Funk zum Leben.

»Dreht ab!«, forderte die Stimme einer Positronik. »Ihr seid im Begriff, militärisches Schutzgebiet zu betreten. Nach den Liga-Gesetzen zur Wahrung der territorialen Unverletzlichkeit des Solaren Raumes droht euch eine Sicherheitsverwahrung von ...«

»Ich bin der Terranische Resident, Perry Rhodan«, unterbrach Perry, der den Gleiter manuell steuerte, die Positronik.

Stille, als gäbe es auch für eine Positronik eine Schrecksekunde, wenn sie feststellt, dass sie unvermittelt einer lebenden Legende gegenübersteht. Dann sagte die Stimme: »Identifiziere dich!«

Perry sandte seinen persönlichen Kode, dann ließ er die Positronik des Gleiters mit der Positronik der Gegenstelle kommunizieren.

»Identifizierung erfolgreich«, kam die Antwort. »Folge dem Leitstrahl!«

Die Gleiter-Positronik übernahm nun die Steuerung, klinkte sich in den Leitstrahl ein. Triebwerke flammten auf, als ein Dutzend Kreuzer ihre Positionen verließen, um uns den Weg freizugeben – und auf das Objekt, das sie behüteten.

Es war riesig.

Anders.

Fremd.

Ich hatte noch nie etwas Vergleichbares gesehen, jedenfalls nichts, was eine terranische Werft verlassen hätte. Zwei annähernd viereckige »Teller«, sehr flach aussehend, mit den offenen Seiten aneinandergeflanscht, die Kanten unregelmäßig, mit Lücken, die mich an die Bissmarken von Haien erinnerten. Durchmesser jeweils über 2500 Meter, wie eine Anzeige der Positronik verriet Und dabei verdammt hübsch anzusehen.

Aus welchem Material auch immer dieses Ding geformt sein mochte, es schimmerte bernsteinfarben. Es gefiel mir. Und das will etwas heißen. Wir Artisten sind ein kritisches Völkchen. Der Schein ist unser Geschäft. Für schlechten Schein haben wir nichts als Verachtung übrig. Aber für guten Bewunderung. Aufrichtige, grenzenlose Bewunderung.

Festgemacht war das Ding an einem Tender der Liga-Flotte. Seine Kennung verriet seinen Namen: GALILEO GALILEI. Der Tender war ein vertrauter Anblick und hätte eigentlich die Fremdartigkeit dieses merkwürdigen Dings mildern sollen, doch das Gegenteil war der Fall: Er steigerte sie nur noch.

Der Gleiter verlor an Fahrt, senkte sich langsam der Oberfläche eines der »Teller« entgegen. In seiner Mitte war eine Art runde Sichtluke. Sie maß beinahe anderthalb Kilometer und wirkte in ihrer Regelmäßigkeit komplett fehl am Platz. Sah man hinein, erkannte man vier Röhren, die in einem fahlen Blau leuchteten und auf einen Platz in der Mitte des Dings zuliefen, jedoch ohne einander zu berühren.

»Und, was sagst du jetzt?«, fragte Perry.

Was sollte ich dazu sagen? »Dieses Ding ... «, begann ich.

Rhodan verbesserte mich: »Artefakt.«

Ich kann es nicht ausstehen, wenn mich jemand verbessert. Auch nicht, wenn dieser Jemand Perry Rhodan heißt. Aber ich ließ es durchgehen. Dieses eine Mal. In meinem Magen rumorte es. Irgendetwas an diesem ... Di... Artefakt ...

»In Ordnung.« Ich zuckte beiläufig die Achseln. »Dieses Artefakt. Mein Bauch sagt mir, dass ich irgendwo schon einmal etwas Vergleichbares gesehen habe. Wo kommt es her?«

»Aus der galaktischen Northside. Explorer der Liga sind vor sechzig Jahren in der Umlaufbahn einer Sonne namens Lashu-12a auf das Artefakt gestoßen.«

»Was ist es?«

»Die Fachleute sagen, ein Transporthof der Halbspur-Changeure.«

Perry hätte einen höllisch guten Artisten abgeben. Er verzog keine Miene, als er seine Antwort gab. Das ist das Geheimnis einer mitreißenden Show: Du tust eine halbe Stunde auf wichtig und geheimnisvoll, und dann lässt du die Bombe beiläufig platzen, als würdest du die Wetterkontrolle auf Terra kommentieren.

Ich gab mir keine Mühe, meine Aufregung zu verschleiern. »Ein Transporthof! ZEUT-80? Ist das eine Station wie ZEUT-80?«

»Beinahe. Der Transporthof, den wir 1346 NGZ im Kugelsternhaufen Omega Centauri entdeckt haben, war lediglich auf die Plattform ZEUT-80 montiert worden; gewissermaßen. Das hier ...« Rhodan zeigte auf das Artefakt, das jetzt die gesamte Sichtfläche einnahm. »Das hier ist ein eigenständiger Transporthof, der nur diesem einen Zweck dient. Oder präziser gesagt, ein Polyport-Hof. Unsere Wissenschaftler haben ihn GALILEO genannt.«

Natürlich GALILEO. Passend zum Tender.

»Ein intergalaktischer Bahnhof.« Ich dachte jetzt laut. »Passagiere und Güter, die über den Leerraum hinweg in andere Galaxien transportiert werden.«

»So ist es. Ein Bahnhof, der uns Möglichkeiten weit jenseits dessen verschafft, was uns zurzeit offensteht. Die Milchstraße hat sich in weiten Teilen vom Hyperimpedanz-Schock erholt. Raumfahrt ist längst wieder Routine geworden. Innerhalb der Galaxis. Die Abgründe zwischen den Galaxien sind für unsere Schiffe unüberwindlich. Aber nicht ...«

»Aber nicht mithilfe dieses Polyport-Hofes«, brachte ich seinen Satz zu Ende. »Ist er in Betrieb?«

»Nein. Aber wir arbeiten mit aller Kraft und unter strengster Geheimhaltung daran, seit wir ihn gefunden haben. Der Polyport-Hof könnte das Tor zum Universum für uns bedeuten. Jeder erdenkliche Aufwand ist gerechtfertigt, um ...«

Es war Zeit, meine eigene Bombe platzen zu lassen. »Saturn«, sagte ich. »Projekt Saturn.«

Perry fror in der Bewegung ein, als wäre er gegen eine Wand gerannt, dann ruckte er herum. »Wo... woher weißt du davon?«

Ich grinste still vor mich hin, als genösse ich nicht seine Verblüffung. Eine Artistin ist immer darauf aus, ihr Publikum zu verblüffen. Aber einen Unsterblichen zu verblüffen, der so ziemlich jedes Wunder des Universums erblickt hat und eben im Begriff gewesen war, dich selbst zu verblüffen, und so zu tun, als bedeute es nichts – irgendwo in diesem weiten Universum mochte es noch diebischere Vergnügen geben, aber bestimmt nicht viele.

»Ich weiß gar nichts«, antwortete ich. »Aber ich kann lesen, und ich mag als Artistin früher mehr als einmal auf die Schnauze gefallen sein, aber nie auf den Kopf. Ich bin immer noch – oder nach vielen Jahren mal wieder – Staatssekretärin für besondere Aufgaben, du erinnerst dich. Ab und an, wenn ich nicht gerade kopfüber vom Baum hänge, gönne ich mir das schrullige Vergnügen, durch den Haushalt der Liga zu gehen, speziell durch das Verteidigungsbudget.«

»Das streng geheim ist.«

»In seinen Einzelheiten, ja. Aber in seinen Grundzügen ist es mir in meiner Funktion und sogar der Öffentlichkeit zugänglich. Und liest man das Budget erst einmal für ein paar Jahre, fallen ein paar Krümel ab, die den zuständigen Beamten und Positroniken durchgerutscht sind. Ich weiß, dass es ein Projekt namens ›Saturn‹ gibt. Und dass in den letzten Jahren im Schnitt ein halbes Prozent des Liga-Sozialprodukts in das Projekt geflossen ist. Mit anderen Worten: ein obszön hoher Berg von Geld.«

Perry musterte mich einige Augenblicke lang wortlos, dann schüttelte er den Kopf, anerkennend. »Du bist unmöglich, Mondra. Komplett unmöglich.« In der Plattform des Tenders öffnete sich ein Schleusentor. Die Positronik steuerte den Gleiter in den Hangar. Mit einem sanften Ruck setzte er auf. »Aber du wirst gleich sehen, jeder einzelne Galax war gerechtfertigt.«

Als wir zur Schleuse gingen, wurde ich die eine Frage los, die mir noch auf der Seele brannte. »Wieso diese Geheimhaltung, Perry? Und wie habt ihr die durchgehalten?«

»Die Wissenschaftler und Techniker halten dicht, und die Leichten Kreuzer sind Robotschiffe. Der Geheimdienst hat ganze Arbeit geleistet, sogar gegenüber dir.«

»Und wieso gerade jetzt, Perry? Du hattest doch sechzig Jahre Zeit, mir von dem Projekt zu erzählen.«

Perry hielt an. Er lächelte verlegen. »Sagen wir, irgendwie hat sich nie die passende Gelegenheit ergeben.«

Ich überlegte mir, ihm eine Predigt über »Vertrauen« zu halten, ließ es aber sein. Manchmal war er ein fürchterlicher Geheimniskrämer. »Und jetzt hat sie sich?«, fragte ich ruhig.

»Sozusagen. Ein Alarm niederer Priorität wurde auf dem Hof ausgelöst. Das bedeutet einen Anlass, wieder einmal an Ort und Stelle nach dem Rechten zu sehen. Und da ich weiß, dass du ein Mensch bist, der immer neugierig ist, habe ich dich mitgenommen.«

Das innere Schott der Schleuse glitt auf. »Der Hof wird dir gefallen, Mondra«, sagte Perry und trat in die Kammer. »Und wenn nicht der Hof, dann bestimmt Milton DeBeer. Er allein ist den Flug hierher wert.«

2.

3. Januar 1463 NGZ

Bericht: Perry Rhodan

 

Milton DeBeer erwartete uns bereits im Hangar des Tenders. Der Hyperphysiker war ein großer Mann, in mehrfacher Hinsicht. Er maß zwei Meter, eine für Terraner nach wie vor ungewöhnliche Körpergröße, er überragte seine Wissenschaftlerkollegen in fachlicher Statur wie ein Riese, er war so charmant und leutselig wie unkompliziert – und sein schlechter Geschmack war galaxisweit unübertroffen.

Milton trug kurze Hosen und Poloshirt in Cremefarben. Er erinnerte mich an die Tennisspieler meiner Jugend in den vierziger und fünfziger Jahren des längst vergangenen zwanzigsten Jahrhunderts. Dazu trug er Sandalen, die aus Bast und von Robinson Crusoe persönlich gefertigt schienen. Zwischen Schuhen und Shorts erstreckten sich seine ungleichmäßig behaarten, bleichen Beine. So unpassend, so eigen war sein Auftreten, dass ich die beiden panthergleichen Laosoor, die mit ihm warteten, nur am Rande registrierte. Milton spielte die seltenen exotischen Wesen, die auf Terra jederzeit einen neugierigen Menschenauflauf ausgelöst hätten, mühelos gegen die Wand.

Ich sah zu Mondra. Sogar sie hatte nur Augen für Milton. Was auch sonst? Mondra wusste einen schrillen Auftritt zu schätzen. Milton, der Exzentriker, war ein Mann, der sie auf der Stelle einnehmen musste.

»Mondra«, sagte ich. »Darf ich dir Milton DeBeer vorstellen? Er ist Leiter des Projekts Saturn.«

»Freut mich, den Mann kennenzulernen, der den LFT-Haushalt an den Rand des Bankrotts bringt.« Sie grinste frech.

»Ich gebe mein Bestes«, entgegnete der Hyperphysiker trocken. Er zeigte auf die beiden Laosoor, die ihn links und rechts flankierten. »Vanqueron und Isuzu, meine Dauer-Praktikanten.«

»Das sind mit Abstand die beeindruckendsten Titel, die ich seit Langem gehört habe«, sagte Mondra. Ihre Augen glänzten, als sie es sagte. Als ehemalige Artistin liebte sie den Schein, das Überzogene, die große Pose – und gleichzeitig wusste sie, dass gepflegtes Understatement niemals zu überbieten war.

»Wir haben sie auch verdient!« Der rechte Laosoor, Vanqueron, stieß sich mit der Schwanzhand ab – offensichtlich telekinetisch nachgeholfen – und sprang aus dem Stand heraus einen Salto. Seine Krallen machten ein knirschendes Geräusch, als sie sich in den Stahl des Hangarbodens gruben, dann war der schwarze, an einen Panther erinnernde Körper plötzlich in der Luft, wand sich wie ein terranischer Otter und kam wieder auf dem Boden auf. Die ganze Bewegung benötigte nicht mehr als einen Augenblick, und hätte ich die Laosoor und ihre Fähigkeiten nicht gekannt, hätte ich mich gefragt, ob ich nicht einer Sinnestäuschung aufgesessen war.

»Womit?«, fragte Mondra ungerührt – das untrügliche Zeichen dafür, dass sie beeindruckt war. »Den besten Luftsprüngen in der Saturnbahn?«

»Unter anderem«, antwortete die zweite Laosoor, Isuzu. Sie war weiblich. Sie hatte die Worte kaum ausgesprochen, als ihre Gestalt verschwand und zehn Meter weiter von Neuem materialisierte. »Und durch Nahdistanz-Teleportation.«

»Ich verstehe. Und was habt ihr außer Paragaben zu bieten?« Mondra wandte sich Vanqueron zu.

Der Laosoor blinzelte träge mit seinen Katzenaugen, und plötzlich hatte Mondra den Boden unter den Füßen verloren und schwebte über uns. »Schon klar, Nahdistanz-Telekinese.«

Sie legte den Kopf zur Seite, als dächte sie nach, und murmelte: »Mal sehen ...« Mit einer dramatischen Geste hob Mondra beide Arme – und dann ließ sie sie nach unten fahren, stützte sich auf die unsichtbaren telekinetischen Greifer des Laosoor, als handele es sich dabei um die Stangen eines Barrens, drückte mit aller Kraft und entwand sich geschickt wie eine Schlange seinem Griff. Sich überschlagend stürzte Mondra dem Hangarboden entgegen. Unmittelbar vor dem Aufprall streckte sie sich, kam auf den Beinen auf und verbeugte sich.

Ich muss gestehen, es war ein Trick, nein, ein Kunststück, wie ich es in den dreitausend Jahren, in denen ich es mit Paragaben zu tun habe, noch nicht gesehen hatte.

»Genug gespielt jetzt!«, rief Milton. Er schüttelte tadelnd den Kopf, aber seine gehobenen Mundwinkel verrieten, dass ihm die Vorstellung gefallen hatte. »Sonst denkt der Terranische Resident noch, wir würden hier unsere Tage bloß mit Spielchen verplempern.« Die beiden Laosoor murrten zischend und rieben protestierend mit ihren Ohrenarmen über den Stahl, gehorchten aber.

»Gehen wir«, wandte der Hyperphysiker sich an mich. »Ich zeige dir, Perry, wieso ich Alarm ausgelöst habe.«

 

*

 

Der Übergang in den Polyport-Hof war unscheinbar. Fest angebrachte Röhrengänge verbanden den Hof mit der Plattform des Tenders.

Dennoch zog es in meinem Magen, schreckte ein Teil von mir davor zurück, den Hof zu betreten, während ein anderer Teil von mir mit aller Kraft zu ihm hingezogen wurde.

Es war das bernsteinfarbene Funkeln.

Ich kannte dieses Licht. Es war der Verweis darauf, dass wir es mit Wesen zu tun hatten, die uns unendlich überlegen waren. Der Hof war, wenn nicht direkt, so doch indirekt ein Erzeugnis der Technologie der sogenannten Mächtigen; mithin ein Ort, an dem nüchterne Technologie und Wissenschaft mit Religion und den letzten Fragen des Seins eine Verbindung eingegangen waren.

Einst waren sieben Mächtige mit ihren gewaltigen Sporenschiffen unterwegs gewesen, um überall im Universum Leben und Intelligenz zu verbreiten. Ich war einst, vor Jahrtausenden inzwischen, zwei Mächtigen begegnet und hatte ihre Sporenschiffe betreten. Sie, die Schöpfer, denen vielleicht auch wir Menschen unsere Existenz verdankten, existierten nicht mehr. Auch die Mächtigen hatten schließlich der Zeit nicht trotzen können. Doch an manchen Orten, wie dem Polyport-Hof, den wir in dem Versuch, von dem Fremden Besitz zu nehmen, GALILEO getauft hatten, überdauerten die Spuren ihres Wirkens. Waren die Höfe von den Mächtigen erschaffen worden? Oder von Wesen, die ihre Technologie gemeistert und vielleicht sogar weiterentwickelt hatten?

Bernsteinfarbenes Licht umfing uns, als wir den Verbindungsgang hinter uns ließen. Wortlos betrat ich den Hof und folgte der Richtung, die der Physiker angab.

Eine Antigravplattform erwartete uns. Wir bestiegen sie. Als sie positronisch gesteuert vom Boden abhob, senkte Milton den Kopf und fragte leise: »Alles in Ordnung, Perry?«

Ich nickte langsam und musterte dabei forschend den Mann im cremefarbenen Poloshirt, dessen Füße in selbst gemachten Bastschuhen steckten. Es gab immer noch Wunder, auch nach dreitausend Jahren, selbst für Unsterbliche wie mich. Ein Chefwissenschaftler mit Einfühlungsvermögen. Ich hatte nicht geglaubt, dass ein solches Wesen in unserem Universum existieren könnte.

»Ja«, sagte ich. Und fügte dann hinzu: »Entschuldige, ich war nur in Erinnerungen gefangen.«

»Es gibt nichts zu entschuldigen.« Er schüttelte den Kopf. »Jedes Mal, wenn ich meine Schicht beginne und ich vom Tender in den Hof wechsle, bekomme ich vor Ehrfurcht eine Gänsehaut. Das hier ist ein bedeutender Ort, ich spüre es.«

»Bist du damit weitergekommen, ihn zu enträtseln?«

Die Plattform schwebte autonom durch den Hof. Überall waren Techniker am Werk. Leitungen schlängelten sich in dicken Kabelbündeln entlang der Gänge. Schaltkästen und Konsolen säumten die Wände. Hightech vom Teuersten und Feinsten, was Terra aufzubieten hatte – aber ich konnte mir nicht helfen, sie wirkte primitiv im bernsteinfarbenen Licht.

»Ein wenig.«

»Das heißt?«

»Wir haben es nicht mit einem Rätsel zu tun, sondern mit Millionen.« Milton nahm die Multikom-Brille ab und rieb sich über die Schläfen, als verursache ihm der bloße Gedanke bereits Kopfschmerzen. »Die Technik der Mächtigen ist uns so fremd, dass wir uns selbst bei schlichtesten Aufgaben wie Neandertaler vorkommen, die mit Holzstöcken versuchen, eine Space-Jet zu untersuchen, die ihnen vor die Höhle geplumpst ist. Um dir nur ein Beispiel zu geben: Bislang haben wir es noch nicht einmal geschafft, die Funktionsweise der Lebenserhaltungssysteme zu verstehen. Sie funktionieren, das wissen wir. Aber wehe, wir drücken auf einen falschen Knopf ...«

»Also lasst ihr es sein?«

»Nein, wir müssen gewisse Risiken eingehen, um den Hof zu verstehen. Sonst sitzen wir hier noch in tausend Jahren und haben nichts verstanden.« Milton nickte in Richtung der beiden Laosoor.

Die Pantherwesen tauschten sich mit Mondra angeregt über artistische Kunststücke aus. Es war eine Diskussion, die die drei so sehr gefangen nahm, dass sie ihre Umgebung vergessen hatten. Ein Laosoor kann Dinge mit seinem Körper anstellen, die einem Menschen wie Wunder erscheinen. Ein Mensch wiederum verblüfft einen Laosoor. Und das insbesondere, wenn er Mondra Diamond heißt und sich, seit er sich erinnern kann, damit beschäftigt hat, unmögliche Kunststücke mit dem eigenen Körper anzustellen.

»Lass dich von ihrem spielerischen Gehabe und dem neckischen ›Dauer-Praktikanten‹ nicht täuschen«, sagte der Hyperphysiker. »Vanqueron und Isuzu sind unschätzbar wertvoll für uns. Durch ihre Paragaben haben sie einen Zugang zu höherdimensionalen Phänomenen, der völlig anders geartet als der von Theoretikern wie mir ist. Ich bin darauf angewiesen, mit einer Stange im Sumpf herumzustochern. Die Laosoor stecken einfach die Schwanzhand hinein.«

»Und was spüren sie, wenn sie ihre wertvolle Gliedmaße hineinhalten?«

Milton zuckte die Achseln. »Verschieden. Manchmal kitzelt es, manchmal kratzt es, und das eine oder andere Mal haben sie sich gehörig die Griffel verbrannt. Aber Vanqueron und Isuzu sind hart im Nehmen. Sie schmollen drei Tage, fluchen und fauchen, und dann betteln sie darum, den nächsten Vorstoß unternehmen zu dürfen.«

Wir passierten eine Halle, die bis auf die allgegenwärtigen Kabelbündel unberührt von menschlicher Hand geblieben war. Anlagen überzogen den Boden. Es waren Kästen aus blaugrauem oder silbernem Material mit abgerundeten Kanten. Sie waren ohne ersichtliche Ordnung über die Halle verstreut. Manche schimmerten. Sie bestanden aus Formenergie, einer Technologie, die uns durch den Hyperimpedanz-Schock praktisch verloren gegangen war. Selbst wenn es uns gelänge, nur dieses eine Geheimnis zu lösen, hätte es bereits die Mittel gerechtfertigt, welche die Liga in das Projekt Saturn gesteckt hatte.

Die Plattform erreichte das Transferdeck des Hofes. Über uns war der Blick frei auf den Saturn und seine Ringe, unter uns lagen die »Transferkamine«, vier bläulich schimmernde Röhren, das Herzstück des Polyport-Hofes, wie mir Milton in seinen regelmäßigen Memos immer wieder versichert hatte. Die Transferkamine waren über einen halben Kilometer lang, und ihre äußeren Enden blieben unsichtbar. Sie verblassten einfach und verschwanden. Wohin?

Auf diese Frage gab es bislang nur Vermutungen als Antwort. Die fünfte Dimension schied wohl aus, wir waren zu gut vertraut mit ihr, als dass sie sich uns entzogen hätte. Milton tippte deshalb darauf, dass die Transferkamine auf sechsdimensionaler Basis arbeiteten.

Ich richtete den Blick auf das äußere Ende eines Kamins und kniff die Augen zusammen. Es nützte nichts. Da war nur ein Flimmern, das mir nichts sagte. Es war ein ebenso sinnloses Unterfangen wie der Versuch, mit dem bloßen Auge über den Horizont hinausblicken zu wollen. Wir brauchten Werkzeuge, um diese fremde Dimension ergründen zu können. Und nur Menschen wie Milton DeBeer mochten in der Lage sein, sie uns zu geben.

Die Plattform ging in den Sinkflug. Sie hielt auf die freie Fläche im Mittelpunkt des Decks zu. Dort befand sich der Zentrale Verladeplatz des Hofes, der Punkt, an dem Wesen und Gegenstände abreisten oder eintrafen, war der Hof in Betrieb.

Ein Podest am Rand des Verladeplatzes stach durch sein grelles Orange heraus. In seiner Mitte befand sich ein Schaltpult.

Milton bemerkte meinen Blick. »Das ist, weshalb ich den Alarm ausgelöst habe.«

»Was ist es?«

»Gute Frage. Ich kann dir sagen, was es nicht ist. Es gehört nicht zur originären Technologie des Hofes, das steht fest. Es wurde nachträglich eingebaut.«

»Von wem?«, fragte ich.

»Unbekannt. Fest steht nur, dass es an die Energieversorgung und die Systeme des Hofes angeschlossen ist.«

Wir stiegen von der Antigravplattform. Milton begleitete mich auf das orangefarbene Podest. Vor dem Pult blieben wir stehen. Eine einzige Schaltung war zu erkennen.

»Welchem Zweck dient diese Vorrichtung?«, fragte ich.

»Das probierst du am besten selbst aus.« Er nickte aufmunternd in Richtung der Schaltung.

Ich hatte keinen Grund, Milton zu misstrauen. Befand er die Schaltung für sicher, war sie es. Ich legte die Hand auf die Schaltung. Das Metall – oder war es Kunststoff oder Formenergie? – fühlte sich kühl an.

Ich drückte sie ein, und die Welt versank um mich herum in plötzlich aufsteigendem Dunst.

 

*

 

Als der Dunst sich wieder legte, war der Zentrale Verladeplatz verlassen. Doch ich spürte keine Angst. Ein Instinkt, im Lauf der Jahrtausende geschärft, sagte mir, dass ich meinen Standort nicht verlassen hatte. Was ich sah, war nur eine Vision, wenn auch eine nahezu perfekte.

Eine Stimme hinter meinem Rücken sagte: »Willkommen auf unserem Hof, ehrenwerter Besucher!« Sie benutzte die Sprache der Mächtigen.