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Inhalt

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Impressum

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

Für den Inhalt und die Korrektur zeichnet der Autor verantwortlich.

© 2015 united p. c. Verlag

ISBN Printausgabe: 978-3-7103-2263-1

ISBN e-book: 978-3-7103-2290-7

Umschlagfoto: pixabay.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: united p. c. Verlag

www.united-pc.eu

1

Bis jetzt war die Fahrt in den Urlaub ohne Probleme verlaufen. Katrin war anfangs in großer Sorge, die lange Autofahrt alleine bewältigen zu müssen. Ihrem Ehemann Michael wurde, kurz nachdem sie den Urlaub gebucht hatten, der Führerschein entzogen. Er war in einer Baustelle dreißig Kilometer zu schnell gefahren. Auch das achtjährige Töchterchen Caroline war noch immer guter Dinge. Sie hatte zwischendurch ein Nickerchen gemacht oder aus ihrer neuen kleinen Hello-Kitty-Umhängetasche von Süßigkeiten genascht.

Die Landschaft wurde immer bergiger und Katrin hatte ein wenig Angst vor den steilen und bedrohlich wirkenden Abhängen neben sich. Sie wurde aber noch nervöser, als ihr Mann begann, ständig ihre Beine anzufassen und zu streicheln.

Mach doch mal eine Pause. Hier sind doch wunderschöne Ecken und Wiesen, wo wir mal rasten können.“

„Oh ja, Mama, lass uns mal eine Pause machen“, plapperte Caroline ihrem Vater nach. Doch Katrin wollte nicht, denn sie wusste nur zu genau, warum ihr Mann gerade hier in der Einsamkeit Halt machen wollte, und sie fragte ihre Tochter:

„Was hältst du denn davon, wenn wir uns ein Restaurant suchen, wo wir etwas Leckeres essen können?“

„Ja, und ich kriege dann Pommes Frites und ein Eis“, freute sich Caroline. Doch Michael sah seine Frau grinsend an und fragte ironisch:

„Und warum haben wir dann einen Picknick-Korb gemacht? Den wollen wir doch wohl zuerst einmal plündern, und später werden wir dann noch ein Café anfahren und ein Eis essen.“

Maulend setzte sich Caroline in ihren Sitz zurück und Katrin blieb nichts anderes übrig, als weiter zu fahren. Caroline merkte, dass ihre Mutter immerzu die Hand des Vaters von ihren Beinen schlug und ihr Gesicht, das sie im Rückspiegel sehen konnte, immer ängstlicher wurde. Dieses Gesicht hatte die Mutter immer, wenn der Vater sie mit ins Schlafzimmer nahm und er ihr verbot, ihnen zu folgen. Wenn der Vater dann nach einer Weile wieder heraus kam und ins Badezimmer ging, hörte sie die Mutter stets weinen.

Caroline bemerkte, dass der Vater der Mutter schon wieder die Hand auf das Bein legte und die Mutter diese wieder versuchte fortzuschieben. Doch die Hand an Katrins Bein glitt immer höher. Sie versuchte immer wieder, sie abzuschütteln. Nach jedem Schlag griff Michael immer härter zu.

„Warum machst du das? Merkst du nicht, dass ich mich sehr konzentrieren muss? Ich habe große Angst vor diesen Serpentinen. Sei so lieb und nimm deine Hand weg.“

Sie versuchte, leise zu sprechen, damit Caroline nichts mitbekam. Doch Michael schob die Hand immer höher ins Höschen. Katrin rutschte immer nervöser auf ihrem Sitz hin und her.

„Bitte, Michael, lass das. Ich möchte das nicht.“

„Dann halte doch endlich einfach nur an. Wir haben nämlich Hunger, nicht wahr, mein Schatz“, sagte er und drehte sich zu seiner Tochter um. Diese nickte heftig.

Katrin blieb nun nichts anderes übrig, als einen Platz zu suchen, wo sie anhalten konnte. Sie steuerte eine direkt an der Straße gelegene kleine Bucht an. Doch Michael zischte ihr zu, weiter zu fahren. Dann entdeckte er einen kleinen Weg und befahl ihr, dort hinein zu fahren. Katrin begann immer mehr zu zittern. Die Angst kroch in ihre Glieder, denn sie wusste, was gleich geschehen wird. Als der Wagen stand, sagte Michael in einem sehr gebieterischen Ton zu seiner kleinen Tochter:

„Du bleibst solange hier im Auto sitzen, bis wir dich holen. Mama und ich wollen erst mal schauen, ob hier alles in Ordnung ist und einen schönen Platz suchen. Hast du verstanden?“

Caroline hatte immer große Angst, wenn der Vater in diesem Ton zu ihr sprach und nickte. Da sie aber nicht antwortete, fragte der Vater laut und energisch:

„Kannst du gefälligst mal antworten, wenn man dich etwas fragt! Also hast du verstanden?“

Mit zitternder Stimme sagte sie dann, dass sie ihn verstanden habe. Caroline sah ihre Mutter an, die ihren Zeigefinger auf den Mund legte und dann flehentlich sagte:

„Sei schön brav und tu, was der Papa dir sagt. Wir sind ja gleich wieder zurück.“

Caroline sah aber auch, dass die Mama Tränen in den Augen hatte. Sie hatte oft Tränen in den Augen und sie sah, dass der Vater die Mutter grob am Arm packte und unsanft vor sich her schob und sie sah, dass die Mama ihre beiden Hände auf ihren Bauch legte, so als wolle sie etwas beschützen. Die Mutter schaute zum Auto zurück und sah das Gesicht ihrer kleinen Tochter an die Autoscheibe gepresst. Michael schob sie weiter. Dann blieb er stehen und sagte:

„Hier mein Schatz, hier ist ein schöner Platz für uns beide. Was meinst du?“

Als Katrin nicht antwortete, drückte er sie zu Boden.

„Zieh dich aus, es reicht, wenn du dich nur unten rum freimachst. Deine Bluse kannst du anbehalten, die ist ja so weit, dass ich mich glatt da drunter verstecken kann. Warum trägst du eigentlich in letzter Zeit so weite Klamotten? Du bist sowieso recht eigenartig geworden. Wenn ich mit dir schlafen will, willst du es nur noch im Dunkeln. Aber das macht mir nichts aus, wenn ich damit trotzdem mein Ziel erreichen kann. Los, nun mach schon endlich.“

Er öffnete seine Hose, zog sie aber nicht aus, sondern ließ sie nur auf die Schuhe rutschen. Mit zitternden Händen nestelte Katrin an dem Reißverschluss ihrer Hose herum, schaute Michael flehentlich an und sagte:

„Warte ein bisschen, ich muss dir etwas sagen. Bitte, Michael, es ist wichtig. Hör mir bitte zu.“

„Was willst du mir denn so Wichtiges sagen, das nicht warten kann, bis wir es hinter uns haben. Ich habe jetzt wirklich keine Lust mehr zu warten oder mir was „Wichtiges“ anhören zu müssen. Ich habe Bock auf dich und brauche es jetzt. Also mach schon, zieh endlich deine Hose aus.“

Da es ihm aber zu lange dauerte, riss er ihr selbst die Hose von den Beinen.

„Hock dich auf die Knie, sonst wird deine Bluse schmutzig und die Leute würden sich später über die Grasflecke in der weißen Bluse wundern und amüsieren.“

Da ihm alles zu lange dauerte, warf er seine Frau selbst auf die Knie. Dann drang er wie eh und je hart und heftig in sie ein. Katrin schrie auf. Immer wieder hatte sie ihn gebeten, etwas zarter mit ihr umzugehen, dass sie starke Schmerzen hat, wenn er so heftig und wild in sie hinein stößt. Diesmal aber war der Schmerz so schlimm, dass sie immer wieder schrie und ihn bat, aufzuhören. Sie weinte, wimmerte und flehte ihn an. Ihre Finger gruben sich in das Gras.

„Michael, bitte hör auf! Ich habe starke Schmerzen, ich halte das nicht mehr aus!“

Doch Michael, der immer ärgerlicher wurde, da er kurz vorm Ziel war, antwortete wütend:

„Mein Gott, stell dich doch nicht so an. Was ist denn los mit dir? Du hast doch sonst nie etwas gesagt. Und hör endlich auf zu schreien, sonst denkt noch jemand, ich würde dich umbringen wollen. Also, halt still, dann ist es gleich für dich vorbei. Je mehr du schreist, umso länger dauert es bei mir.“

Dann fasste er an ihren Bauch und laut lachend rief er:

„Ach, das ist der Grund, dass du neuerdings so weite Kleidung trägst, du bist so fett geworden. Du hast ja einen richtigen Bauch bekommen. Ich mag das. Dünne Frauen sind mir sowieso zuwider.“

Katrin schrie immer lauter und schubste ihn von sich fort. Er riss sie herum und legte sie auf den Rücken; seine Hand presste er auf ihren Mund und drang wieder in sie ein. Er lag so schwer auf ihr, dass sie kaum noch atmen konnte. Ihre Schreie nervten ihn, und er versuchte wieder, ihren Mund zuzuhalten. Als das nicht half, schlug er ihr ins Gesicht.

„Hör jetzt endlich auf zu schreien, sonst passiert gleich etwas.“

Katrin krümmte sich vor Schmerzen und schrie wieder und wieder:

„Hör auf! Hör endlich auf! Lass mich los, ich habe Schmerzen. Merkst du denn gar nicht, was los ist? Ich bin schwanger. Bitte hör auf, es tut so weh.“

Er sah und hörte nichts mehr und wollte sich seinen Orgasmus nicht nehmen lassen. Dass seine Tochter, die die flehenden Schreie ihrer Mutter gehört hatte, ihm aus dem Gebüsch zusah, bekam er gar nicht mit. Und dann kam er mit Gebrüll und Gestöhne und bemerkte nicht, dass seine zutiefst erschrockene Tochter vor Angst am ganzen Leibe zitternd sich ganz tief im Gebüsch versteckte. Noch nie hatte sie ihren Vater so gesehen. Doch dann sah sie, was mit ihrer Mutter geschah und erstarrte. Der Vater lag noch eine Weile auf dem Rücken und blickte vollkommen ermattet in den Himmel. Die merkwürdigen Geräusche und das Gestöhne seiner Frau neben ihm deutete er allerdings vollkommen falsch und drehte sich langsam zu ihr um und sagte:

„Na, mein Schatz, das war doch mal wieder toll! Findest du nicht auch?“

Doch dann sprang er entsetzt auf und starrte fassungslos auf das sehr kleine leblose Baby zwischen den Beinen seiner Frau. Erschrocken griff er sich in die Haare und starrte auf seine Frau und wutentbrannt schrie er sie an:

„Was ist das denn! Du weißt doch ganz genau, dass ich keine Kinder haben wollte. Ich habe auch Caroline nicht gewollt. Warum hast du mir nicht gesagt, dass du schwanger bist? Nimmst du denn die Pille nicht mehr?“

Katrin war kaum fähig zu reden. Sie starrte nur auf das kleine tote Wesen zwischen ihren Beinen.

„Kannst du mir mal antworten, wenn ich dich etwas frage“, schrie Michael sie an.

„Weil ich sehr große Angst auf deine Reaktion hatte, habe ich nichts gesagt, und die Pille habe ich jeden Tag genommen. Aber als ich vor sieben Monaten krank war und Medikamente nehmen musste, durfte ich die Pille nicht nehmen. Ich hatte dir das gesagt. Doch das hat Dich nicht interessiert. Du hast dir immer ungeschützt bei mir deinen Sex geholt. Und wehe, wenn ich nicht bereit war! Du nahmst mich dann mit Gewalt. Immer wieder musste ich mir deinen Satz anhören: „Na, war ich nicht toll?“ Oder: „Du willst es doch auch.“

Katrin begann entsetzlich zu weinen und nahm ihr totes Kind in die Arme. Sie wiegte es hin und her, und die Tränen fielen auf das nackte kleine Wesen.

„Was machen wir denn jetzt?“

Katrin hörte ihrem Mann gar nicht zu. Weinend und vollkommen apathisch war sie nur mit dem Baby beschäftigt. Sie zog ihre Bluse aus und wickelte das Kleine dort hinein. Dann zog sie sich ihre Hose wieder an und verließ geistesabwesend den unglückseligen Platz, und mit Entsetzen sah sie ihre Tochter Caroline zum Auto rennen und auf den Hintersitz klettern. Hatte sie etwa alles mitbekommen? Michael zog sich seine Hose an und folgte ihr, dabei wütend vor sich hinschimpfend:

„Alles ist voller Blut. Das ist ja widerlich. Das wird noch ein Nachspiel haben, darauf kannst du dich verlassen.“

Voller Hass schrie Katrin ihn an:

„Mach die Heckklappe auf oder willst du das Kleine auf deinem Schoß halten, während ich weiterfahre?“

„Du willst doch wohl diesen Balg nicht in meinem Auto mitnehmen! Soll er etwa die ganze Urlaubszeit im Auto liegen oder wie hast du dir das gedacht? Es ist doch tot. Wir können es hier irgendwo begraben.“

Entsetzt sah ihn Katrin an und sagte:

„Dass dieses kleine Wesen auch dein Fleisch und Blut ist, scheint dir wohl vollkommen egal zu sein. Was bist du nur für ein Mensch? Du bist ein Teufel!“

Er öffnete dann schließlich den Kofferraum, entriss ihr das Bündel aus den Armen und legte es dort hinein. Dann nahm er auf dem rechten Vordersitz wieder Platz und starrte vor sich hin. Katrin öffnete die Hintertür und setzte sich zu Caroline. Diese zitterte am ganzen Körper und weinte. Katrin wusste nicht, was sie alles mitbekommen hatte. Aber sie nahm sich vor, mit ihr zu reden, sobald sie alleine waren. Dann setzte sie sich ans Steuer. Es wurde eine unbehagliche, schweigsame Fahrt. Sie hatten mindestens noch drei Stunden vor sich. Katrin merkte während der Fahrt, dass Blut aus ihrer Scheide lief. Ihr war es vollkommen egal, dass sie das Auto ihres Mannes beschmutzte. Sie fühlte sich selbst gebraucht und beschmutzt. Sie nahm sich vor, endgültig ihren Mann zu verlassen. Wie oft schon hatte sie sich das vorgenommen. Aber sie wollte ihrer Tochter den Vater nicht nehmen.

Während der Weiterfahrt rasten die Gedanken nur so durch ihren Kopf. Doch mit dem grauenhaften Geschehen heute war ihr deutlich klar geworden, dass sich Michael nicht für seine Tochter interessierte, geschweige denn, sie liebte. Sie und ihre Tochter durften nicht mehr bei ihm bleiben. Sobald sie wieder zuhause sind, wollte sie ihren Auszug aus dem Haus in die Wege leiten. Das konnte aber nur in aller Heimlichkeit geschehen.

Es war dunkel geworden. Und auf den engen Landstraßen, die sie jetzt befuhren, brannte kaum eine Lampe. Nur aus den Häusern, an denen sie vorbeifuhren, leuchteten die Lichter auf die Straße. Caroline hatte sich auf die hintere Sitzbank gelegt und schien zu schlafen. Aber sie war wach und zitterte am ganzen Körper, während ihr leise die Tränen herunter liefen. „Er wollte mich nicht haben“, hatte der Vater gesagt. Und wie die Mutter geschrieen hatte, als der Vater auf ihr lag. Warum hat er das getan? Hat er damit das Baby aus Mamas Bauch gedrückt? Und nun war es tot und lag hinten im Auto. Wäre es ein Bruder oder eine Schwester gewesen? Ein eiskaltes Gefühl ergriff das Herz der kleinen Kinderseele. Sie wollte nicht mit dem Vater reden. Sie wollte nie mehr reden, mit keinem Menschen, sonst müsste sie erzählen, was der Vater getan hatte.

Die Mutter war ganz still geworden, und Caroline hörte sie immer wieder schluchzen. Da sah sie zwischen den Vordersitzen hindurch, wie die Hand des Vaters das Bein der Mutter anfasste. Diese war so erschrocken, dass sie beinahe das Steuer verrissen hätte. Im letzten Moment konnte sie das Auto abfangen und vollkommen verwirrt fragte sie ihren Mann:

„Sag mal, was bist du nur für ein Mensch, dass du das jetzt wieder tun musst?“

Am liebsten hätte sie ihn angeschrieen, nach ihm geschlagen, ihn sogar angespuckt und ihm die schlimmsten Worte an den Kopf geschleudert, doch aus Rücksicht auf ihre Tochter sagte sie diese nicht.

„Ich weiß gar nicht, warum du dich so anstellst. Eigentlich ist doch alles bestens gelaufen. Wir haben kein weiteres Kind. Und so sollte es auch bleiben. Wem sollen wir davon erzählen? Keiner wird je etwas davon erfahren. Also, was willst du noch? Komm, nun sei wieder gut und gib mir einen Kuss.“

Er beugte sich zu ihr hinüber und fasste ihr dabei voll in den Schritt. Das Blut an seiner Hand bemerkte er nicht, denn Katrin verlor die Kontrolle über das Auto und konnte nicht mehr bremsen. Der Wagen krachte gegen einen Baum und rutschte langsam eine Böschung hinunter. Dann blieb er kurz vor einem Abgrund stehen und legte sich etwas auf die Seite.

Plötzlich war es ganz still. Der Mond schien auf das vollkommen zerstörte Auto. Die Landschaft wirkte surrealistisch und durch den Mondschein auf den Berggipfeln sah sie gespenstisch aus. Die Gegend war menschenleer. In der Ferne hörte man den Ruf einer Eule, und Fledermäuse kreisten im Tiefflug über der Unglücksstätte.

Nach einer Weile wurde zaghaft die Hintertür des Wagens geöffnet, und Caroline kletterte heraus. Sie war starr vor Schreck und Angst. Sie erblickte dann den Vater, der sich aus der offenen Tür vom Nebensitz herausquälte. Er fasste sich an den Kopf und entdeckte an der Hand das Blut. Aber es war nicht sein Blut. Aber wo war die Mutter? Ängstlich und ahnungsvoll lief sie zur Fahrerseite. Sie musste sich hochrecken und entdeckte ihre Mutter mit dem Kopf und weit aufgerissenen Augen auf dem Airbag liegen, der sich beim Aufprall geöffnet hatte. Sie regte sich nicht mehr. Verzweifelt versuchte sie die Tür zu öffnen. Der Vater auf der anderen Seite tat nichts. Immer wieder fuhr er mit seiner Hand durch die Haare. Caroline wollte ihn rufen und ihm sagen, dass er der Mama helfen soll. Dann bewegte sich der Vater zum Heck des Wagens und öffnete die Klappe. Er nahm das kleine Bündel heraus und schlug die Klappe wieder zu. Durch die Scheiben des Autos sah Caroline, dass er mit dem Bündel zum Abgrund ging und es im hohen Bogen dort hinunter warf. Im letzten Moment konnte Caroline ihren Entsetzensschrei unterdrücken, indem sie ihre Hand schnell auf den Mund presste. Instinktiv verhielt sie sich vollkommen ruhig. So wie es aussah, hatte der Vater sie wohl vollkommen vergessen. Wahrscheinlich hatte er gar nicht bemerkt, dass sie ausgestiegen war. „Ob er wohl denkt, ich bin auch tot?“ Eine eigenartige Starre ergriff das Mädchen. Alles was sie tat, geschah geräuschlos, und dem inneren Instinkt folgend, schaute sie noch einmal auf die tote Mutter und verließ leise diesen unheimlichen Ort. „Vielleicht würde er mich auch in den Abgrund werfen, er wollte mich doch sowieso nicht haben.“ Sie kletterte leise die Böschung hinauf und kam auf die Straße. Als sie noch einmal zurückschaute, sah sie, dass der Vater das Auto mit der Mutter darin über den Rand des Abgrunds schob. Sie rannte ziellos davon. Nur weg von diesem Ort. „Mama, Mama“, waren ihre letzten Gedanken.

Es hatte zu dämmern begonnen. Kein einziges Auto war Caroline unterwegs begegnet. Ihre Füße taten weh, und sie bekam Hunger. Sie schaute in ihre rosa Umhängetasche, aber da war nur noch ein winziges Stückchen Schokolade. Sie hatte aufgehört zu weinen. Es kamen auch keine Tränen mehr. Und sollten auch nie mehr kommen!

Es war Tag geworden. Total erschöpft, hungrig und durstig, kam Caroline in ein Dorf. Hier herrschte reges Treiben auf dem Marktplatz, denn es war gerade Wochenmarkt. Ihr lief das Wasser im Munde zusammen, als sie alle diese Leckereien entdeckte. Sie schaute in ihre Umhängetäschchen, aber sie hatte keinen einzigen Cent mehr. Dass man nicht stiehlt, hatte ihr die Mutter immer wieder erzählt. Aber wenn man doch so hungrig ist! Als sie sich vollkommen unbeobachtet fühlte, schnappte sie sich eine Apfelsine. Doch sie wurde, noch bevor sie fortlaufen konnte, von einem Mann festgehalten. Dieser rief aber nicht nur wegen des Diebstahls die Polizei; ihm kam das unbekannte Mädchen seltsam vor und trotz guten Zuredens sprach es kein Wort. Die vor Angst schlotternde Caroline wurde auf ein Polizeirevier gebracht, wo man ihr viele Fragen stellte. Doch sie gab auf keine eine Antwort. Sie blieb einfach stumm und schüttelte immerzu den Kopf. So glaubte man, dass sie taubstumm sei. Sie wurde einige Stunden später von einer Frau in Schwesterntracht abgeholt und in das nahe gelegene Mädchenheim gebracht.

2

Zehn Jahre später

Schwester Margarethe begleitete Caroline zum Bahnhof. Caroline musste das Heim verlassen, da sie vor einer Woche achtzehn Jahre alt geworden war. Sie hatten sich ein Taxi genommen, da der Weg dorthin doch recht lang war. Beide weinten und hielten sich bei den Händen. Caroline hatte Schwester Margarethe in den zehn Jahren ihres Aufenthaltes im Mädchenheim sehr lieb gewonnen. Sie war immer wie eine Mutter zu ihr gewesen und war die einzige Person, die wusste, dass sie reden konnte. Margarethe hatte sie gehört, als sie ganz zu Anfang ihres Heimaufenthaltes am Fenster stand und mit einem verletzten Vogel gesprochen hatte, als sie diesen, nachdem sie ihn gesund gepflegt hatte, fliegen ließ und ihm leise hinterher gerufen hatte: „Fliege hoch, mein kleines Vögelchen, so hoch, dass du meine Mama und das Baby grüßen kannst.“

Schwester Margarethe hatte Caroline nie gefragt, warum sie nicht sprechen wollte und ihr auch nicht gesagt, dass sie wusste, dass sie sprechen kann. Caroline fasste immer mehr Vertrauen zu Margarethe, und als sie eines Tages alleine auf dem Feld bei der Kartoffelernte waren und gerade eine Pause machten, schmiegte sich Caroline an Margarethe und sagte gedankenverloren: „Ich habe dich lieb.“ Ganz erschrocken über das, was sie gerade gesagt hatte, war sie entsetzt aufgesprungen und schaute erschrocken auf Schwester Margarethe. Diese zog sie wieder zu sich herunter und nahm sie in die Arme: „Ich weiß es schon lange, mein Kind, von mir wird kein Mensch dein Geheimnis erfahren.“

Unter Tränen berichtete Caroline, nachdem sie schon sechs Jahre im Mädchenheim war, zum ersten Mal über das schreckliche Erlebnis. Schwester Margarethe war erschüttert und hielt sie während der Erzählung fest in ihren Armen. Sie habe große Angst davor, allen fremden Menschen erzählen zu müssen, was mit ihrer Mutter und dem Baby geschehen war und was der Vater ihrer Mutter angetan hatte. Schwester Margarethe spürte nur zu genau, wie sehr sich dieses schreckliche Geheimnis in Carolines Seele eingebrannt hatte, und dass es sie nicht mehr los ließ. Lange hatte sie überlegt, ob sie einen Arzt oder einen Psychologen hinzuziehen sollte; sich jedoch immer wieder gefragt, was diese mit der kleinen Seele treiben würden, um unbedingt herauszufinden, warum Caroline nicht sprach. Außerdem hatte sie das Versprechen gegeben, darüber zu schweigen.

Der Zug wurde angekündigt, und beide nahmen sich ein letztes Mal in die Arme. Caroline versprach, ihr sofort die Telefonnummer mitzuteilen, sobald sie ihre Wohnung bezogen hatte. Margarethe drückte Caroline noch einen Umschlag in die Hand und sagte:

„Das soll dir für die erste Zeit behilflich sein, damit du deine Wohnung einrichten kannst.“

Der Zug fuhr ein, und Caroline suchte sich einen Platz am Fenster. Ein letztes Winken und ein letzter Luftkuss, und der Zug brachte sie in ihr neues fremdes Leben.

Im Mädchenheim hatte Caroline eine Ausbildung als Arzthelferin beim Heim-Arzt begonnen und mit „Sehr gut“ abgeschlossen. Zusätzlich absolvierte sie noch eine Ausbildung als OP-Schwester im nahe gelegenen Krankenhaus. Sie war also doppelt qualifiziert. Schwester Margarethe hatte sich intensiv darum bemüht, dass sie in einer größeren Stadt einen Arbeitsplatz im Krankenhaus bekam. Und dorthin war Caroline nun unterwegs. Sie war etwas eingenickt. Als sie wach wurde, saß ihr ein Fremder gegenüber. Ein Mann so um die fünfzig. Der sah sie unverwandt an. Seine Blicke waren unverschämt und brannten auf ihrem Gesicht. Sie versuchte krampfhaft, ihn nicht anzusehen. Sie schaute aus dem Fenster, konnte aber in der Spiegelung des Fensters sehen, dass er seine Blicke nicht von ihr ließ. Sie stand auf und lief auf dem Gang hin und her. Mit Männern hatte sie überhaupt keinen Umgang mehr gehabt und wusste nun nicht, wie sie sich verhalten sollte. Die Männer, die sie kannte, waren der Pastor im Dorf, der Bäcker, der Schlachter, der Arzt, die beiden Gärtner im Heim und die Männer, die im Krankenhaus tätig waren, sowie die Patienten.

Der Zug fuhr in einen Bahnhof ein. Caroline ging zu ihrem Platz zurück. Gott sei Dank hatten sich zwei Frauen im Abteil dazugesellt. Als die eine Frau sie ansprach, zeigte sie ihr einen Ausweis, auf dem stand, dass sie nicht sprechen kann, jedoch alles von den Lippen ablesen kann. Aber das war dann den Frauen wohl zu anstrengend, und sie unterhielten sich nur noch untereinander.

Es wurde langsam dunkel, und Caroline schaute auf die Uhr, ein Geschenk des Heimes zu ihrem achtzehnten Geburtstag. Zirka eine Stunde Fahrt lag noch vor ihr, und sie musste noch einmal in einen Regionalzug umsteigen. Der Zug rollte langsam in den Bahnhof ein. Caroline erkundigte sich nach dem Aussteigen bei einem Passanten, wo der Regionalzug abgeht. Der zeigte ihr den Weg. Sie hatte noch eine halbe Stunde Zeit und wanderte auf dem Bahnsteig auf und ab. Da entdeckte sie auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig den Mann, der ihr im Abteil gegenüber gesessen hatte. Sie drehte sich schnell um und versteckte sich hinter einer Anzeigentafel. Endlich kam der Zug und so schnell sie konnte, verschwand sie darin. Sie drückte sich in eine Ecke, da sie nicht gesehen werden wollte. Als der Zug anfuhr, schaute sie noch einmal zum Bahnsteig gegenüber, aber der fremde Mann war dort nicht mehr zu sehen. Sie zog ihre Jacke gar nicht erst aus, da sie nur noch zwanzig Minuten zu fahren hatte. Als sie dann aus dem Zug aussteigen wollte, stand plötzlich der fremde Mann grinsend vor ihr, und sie bemerkte entsetzt, dass sie die einzige war, die sich mit ihm auf dem Bahnsteig befand. Mit wild klopfendem Herzen versuchte sie, ihn einfach zu ignorieren und ging zum Ausgang. Doch er stellte sich ihr in den Weg und fragte, ob er sie begleiten könne. Sie schüttelte den Kopf.

„Du kannst nicht sprechen, habe ich vorhin mitbekommen. Kannst du denn hören?“

Caroline schüttelte abermals den Kopf.

„Aber du kannst von meinen Lippen lesen?“

Caroline nickte. Als er ihren Koffer aufnehmen wollte, schlug sie ihm auf die Hand und entriss ihm den Koffer. Er schaute sie grinsend an und sagte:

„Schau, da ist eine Treppe zum Ausgang und der Koffer ist doch viel zu schwer für dich. Ich werde dir helfen.“

Als der Fremde merkte, dass Carolines Widerstand immer heftiger wurde, fasste er sie hart am Arm und murmelte vor sich hin, da er glaubte, dass Caroline seine Worte nicht hören konnte:

„Na warte, du kannst dich sträuben soviel du willst. Da du nicht schreien kannst, wird dich auch keiner hören können.“

Caroline hörte auf dem Nebengleis einen Zug nahen. Als der Fremde sah, dass sie ihren Kopf in die Richtung des nahenden Zuges reckte, sagte er grinsend:

„Du hast dich zu früh gefreut, der Zug hält hier nicht; er fährt hier nur durch. Nun komm schon, stell dich doch nicht so an. Da vorne ist ein Wartehäuschen. Wir sind ganz alleine und ein Zug kommt auch nicht mehr. Wir können uns einen schönen Abend machen.“

Dann packte er wieder zu, und Caroline sah das Gesicht, das sich plötzlich in das Gesicht ihres Vaters verwandelte; dann sah sie den Zug und mit einem gellenden Schrei stürzte sie sich auf den Mann und stieß ihn in letzter Sekunde direkt vor den Zug. Der rauschte vorbei und keiner, nicht mal der Lokführer, hatte etwas bemerkt.

Caroline stand noch eine Weile wie versteinert an der Bahnsteigkante und sah auf den leblosen Körper, der verkrümmt auf dem Gleis lag. Kein Mensch war in der Nähe. Geistesabwesend nahm sie ihren Koffer auf und ging die Treppe zum Ausgang hinunter. Sie taumelte auf ein Taxi zu, stieg ein und gab dem Taxifahrer einen Zettel auf dem die Adresse geschrieben war. Vor dem Hause in der Hauptstraße acht angekommen, entlohnte sie den Fahrer, antwortete aber nicht, als der ihr noch einen schönen Abend wünschte. Im Hausflur roch es nach Essen, als sie die Treppe zu ihrer Wohnung hinauf ging. Sie schloss leise die Wohnungstür auf und war endlich allein.

3

Auf dem Polizeirevier ging ein Anruf ein. Aufgeregt erzählte ein Mann am anderen Ende des Telefons, dass im Bahnhof ein Toter auf dem Gleis liegt. Sofort wurde eine Mannschaft losgeschickt und die Kriminalpolizei informiert. Als die Kripo dort ankam, musste sie sich erst einmal eine Schneise durch die neugierigen Menschen bahnen. Die Kollegen des Polizeireviers waren schon dabei, die Umstehenden zu befragen. Doch alle waren mehr oder weniger gerade erst gekommen, sie waren Pendler und wollten zur Arbeit. Ein Krankenwagen, der vor dem Bahnhof stand, wurde wieder fortgeschickt. Dafür kam kurze Zeit später ein Leichenwagen. Ständig blitzten Fotoapparate auf, und Reporter vieler Zeitungen rannten geschäftig hin und her.

Kommissar Ellert begann mit den Untersuchungen. Sein Kollege Schuster fragte:

„Was meinst du, ist das ein Selbstmord?“

„Sieht ganz so aus. Trotzdem müssen wir Nachforschungen anstellen, ob sich zum gleichen Zeitpunkt noch jemand auf dem Bahnsteig befand, der uns eventuell etwas sagen kann.“

Auf dem Gleis untersuchte ein Gerichtsmediziner mit seinem Assistenten die Leiche. Aber sie konnten nicht viel sagen. Den Todeszeitpunkt legten sie anhand des letzten Zuges fest. Am Nachmittag vernahm Kommissar Ellert den Zugführer. Und der konnte eine Neuigkeit verkünden. Er hatte im Vorbeifahren eine Frau auf dem Bahnsteig gesehen.

„Können Sie sich daran erinnern, was sie trug?“

„Nicht genau. Sie trug eine dunkle Jacke und eine helle Hose. Aber auffällig war ein roter Schal.“

„Wie alt mag sie gewesen sein?“

„Der Statur und dem Habitus nach zu urteilen, war es eine recht junge Frau, was ich aber nicht mit Bestimmtheit sagen kann.“

Es wurde eine Pressemitteilung herausgegeben, dass die Passagiere, die etwas gesehen haben, sich melden sollen.

Auch im Hause Hauptstraße acht standen einige Nachbarn im Hausflur zusammen und unterhielten sich über die Leiche im Bahnhof. In der kleinen Stadt war das natürlich eine Sensation. Man war sehr erschüttert. Ein jeder glaubte an Selbstmord.

„Hat den Mann jemand gekannt?“

fragte eine Nachbarin. Alle schüttelten den Kopf.

„Es war wohl ein Fremder.“

„Was wollte der denn wohl in unserer Stadt?“

„Aber ich habe auch eine Neuigkeit“,

sagte die Nachbarin Frau Kallmann,

„oben, bei mir direkt gegenüber, ist eine neue Mieterin eingezogen. Sie kam gestern am späten Abend mit einem Taxi und hatte einen Koffer bei sich. Ich habe sie durch den Spion beobachtet; sie ist noch sehr jung, wahrscheinlich gerade erst zwanzig Jahre alt.“

„Die Wohnung ist doch noch vollkommen unmöbliert; wie hat sie denn dort übernachtet? Eigenartig! Na, wir werden ja bald sehen, wer sie ist.“

Die Gruppe löste sich auf und jeder ging in seine Wohnung zurück. Nur Frau Kallmann stand noch eine Weile gedankenverloren vor ihrer Wohnungstür und schaute auf die Nachbarwohnung. War die junge Frau nicht auch mit dem Zug gekommen? Sie musste doch auch mit dem letzten Zug gekommen sein. Es wäre doch gut möglich, dass sie etwas gesehen hat. Frau Kallmann nahm sich vor, sie am nächsten Tag, sobald sie diese zu fassen bekam, zu befragen. Ihre weiteren Überlegungen waren, eventuell die Polizei einzuschalten. Doch sie wollte sich nicht lächerlich machen und erst einmal abwarten. Vielleicht würde es ja eine Belohnung für einen Hinweis geben.