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Nr. 2634

 

Terras neue Herren

 

 

Die Sternengaleonen kehren ins Solsystem zurück – die Menschheit steht am Abgrund

 

Hubert Haensel

 

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In der Milchstraße schreibt man das Jahr 1469 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) – das entspricht dem Jahr 5056 christlicher Zeitrechnung. Seit dem dramatischen Verschwinden des Solsystems mit all seinen Bewohnern hat sich die Situation in der Milchstraße grundsätzlich verändert.

Die Region um das verschwundene Sonnensystem wurde zum Sektor Null erklärt und von Raumschiffen des Galaktikums abgeriegelt. Fieberhaft versuchen die Verantwortlichen der galaktischen Völker herauszufinden, was geschehen ist. Dass derzeit auch Perry Rhodan mitsamt der BASIS auf bislang unbekannte Weise »entführt« worden ist, verkompliziert die Sachlage zusätzlich. Um die LFT nicht kopflos zu lassen, wurde eine neue provisorische Führung gewählt, die ihren Sitz auf dem Planeten Maharani hat.

Doch wo befindet sich das Solsystem? Allem Anschein nach wurde es in ein eigenes Miniaturuniversum versetzt, eine »Anomalie«. Dort sind die Menschen aber nicht allein. Auch Sayporaner und Spenta bewohnen dieses Gebiet, und sie sind es, die allem Anschein nach dort den Ton angeben. Sie bringen den Fimbul-Winter über Sol und ihre Planeten und schicken ihre Sternengaleonen. Diese machen die Menschheit mittels Nanomaschinen mürbe, die jederzeit gewaltige Erdbeben auslösen können. Die Lenker der Galeonen betrachten sich bereits als TERRAS NEUE HERREN ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Reginald Bull – Der Terranische Resident kommt auf »tragische« Weise ums Leben.

Henrike Ybarri – Die Erste Terranerin beugt sich einem Ultimatum.

Geronimo Abb – Der junge Terraner mag einen gestrandeten Riesen.

Homer G. Adams – Der Aktivatorträger hat vorgesorgt.

Nachtaugs Beisohn – Der Utrofar zwischen Leben und Tod, in einer neuen Welt.

Prolog

5. Oktober 1469 NGZ

22.16 Uhr Zona Mexico

 

»Wir haben mehrere Lebenszeichen ...«

Pedro Mendoza verstand kaum, was die Stimme in seinem Ohr wisperte. Höchstens dreißig Meter von ihm entfernt sackte eine massive Natursteinwand in sich zusammen. Das Dröhnen und Poltern übertönte jedes gesprochene Wort. Eine gewaltige brodelnde Woge aus Staub wälzte sich heran. Sie wurde von robotgesteuerten Prallfeldern abgelenkt, bevor sie den Rettungstrupp erreichte.

»Lebenszeichen?«, fragte Mendoza zurück. »Mehr als das habe ich nicht mitbekommen. Bitte wiederholen!«

Er schaute auf.

Águila Town, an der Peripherie Mexico Citys, war von dem Megabeben schwer verwüstet worden. Der Megathrust vor einer Stunde hatte das Land radikal verändert, womöglich für immer.

»Wir hatten Lebenszeichen«, erklang es in Mendozas Ohrstecker. »Während der Erschütterung. Aber eben sind sie verstummt.«

»Lebenszeichen welcher Art?«

»Akustisch. Vermutlich zwei oder drei Personen. Einpeilung liegt vor.«

»Worauf wartet ihr? Holt die Leute raus, bevor alles vollends über ihnen zusammenstürzt!«

Es stank nach Rauch und Staub, nach Chemikalien, metallischen Beimischungen und mochte der Teufel wissen, wonach außerdem. Mendozas Atemfilter funktionierte nicht richtig, er ließ zu viel durch.

Mit einem hastigen Griff rückte der Truppleiter die Maske zurecht und aktivierte die Sauerstoffpatrone. Mehrere tiefe Atemzüge vertrieben seine Benommenheit.

Er trug keinen geschlossenen Schutzanzug wie viele seiner Leute. In so einem Ding bekam er Zustände. Sobald er einen Druckanzug anlegte, litt er unter Hitzewallungen und Atemnot. Und das war beileibe keine Frage des Wollens, sein Körper sträubte sich einfach dagegen.

Und wieder waren schwache Erdstöße zu spüren. Ein Monstrum, das jahrtausendelang unter der Erde geschlafen hatte, war erwacht. Womöglich würde der Doppelkontinent im Bereich der Zona Mexico auseinanderbrechen.

»Wir brauchen mehr Roboter!«, drängte einer der Helfer.

»Sind angefordert, müssen bald da sein«, kommentierte Mendoza. »Vorerst behelfen wir uns mit den Prallfeldprojektoren und den Antigravs. Was ist mit den Verschütteten? Wo ...?«

»Sieben oder acht Meter tief im Schutt. Wir messen mehrere Hohlräume an.«

Mendoza nickte verbissen.

Die Nacht war gleißend hell. Hunderte große Raumschiffe schwebten über der Metropole. Ihre Scheinwerferbatterien vertrieben die Dunkelheit aus den letzten Winkeln. Dazwischen Space-Jets, Korvetten, Gleiter. Vor einer Stunde waren die Menschen noch evakuiert worden, nun galt es, schnell und umfassend Hilfe zu leisten.

»Hier ist vieles instabil. Die Analyse verlangt, dass wir die Wand- und Deckensegmente abheben. Andernfalls besteht die Gefahr, dass alles abrutscht. Die Hohlräume würden kollabieren.«

Mendoza und seine Leute arbeiteten in einem auf fünfhundert Meter Durchmesser begrenzten Areal. Kleinere dreigeschossige Bauten hatten dort das Bild bestimmt. Nur wenige Häuser waren unbeschädigt geblieben. Die Grünanlagen erweckten den Anschein, als wären sie mit einem überdimensionierten Pflug umgegraben worden. Mannshohe Verwerfungen zeigten, wie heftig der Boden sich verschoben hatte und aufgebrochen war.

»Nehmt die Desintegratoren!«, entschied Mendoza. »Trotzdem: keine Risiken!«

Bleiche Gestalten kauerten zwischen den Mauerresten. Staubverschmiert wirkten sie wie Marmorstatuen, denen Helfer Wasserflaschen in die starren Hände drückten.

»Wir treiben einen schmalen Tunnel voran!«, meldete die Stimme aus Mendozas Ohrstecker. »Provisorisch stabilisiert mit Spritzschaum.«

Er erreichte die Grabungsstelle und schwang sich über mehrere ineinander verkeilte Betonplatten abwärts. Wieder durchlief eine starke Erschütterung den Untergrund. Knirschend rieben zwei Platten aneinander, eines der Wandsegmente zerbarst mit dumpfem Knall. Mendoza sah ein mehrere Quadratmeter großes Element herabstürzen und wusste im selben Sekundenbruchteil, dass es ihn zerschmettern würde.

Er versuchte sich herumzuwerfen, da war die massige Platte schon über ihm ...

... und fiel plötzlich langsamer.

»Verschwinde, Pedro!«, brüllte jemand.

Der Truppleiter vollendete die Drehung, er schaffte zwei oder drei Schritte und wurde dann förmlich von den Beinen gerissen, als das abgesplitterte Bruchstück neben ihm aufschlug. In der nächsten Sekunde fühlte er sich von der unsichtbaren Kraft eines Traktorfelds angehoben und auf die Beine gestellt.

Ein Kampfroboter taxierte ihn.

»Alles in Ordnung?«, fragte die Maschine. Sie war ein menschenähnliches Modell, keiner der kegelförmigen TARAS.

»Ich bin unverletzt«, sagte Mendoza.

Spontaner Beifall klang in seiner Nähe auf. Zwei mit Schutt und Betonstaub bedeckte Männer krochen soeben aus dem engen Tunnel hervor. Sie wurden von mehreren Helfern in Empfang genommen.

Hinter ihnen folgte ein Mitglied des Rettungstrupps. Der Mann trug einen Schutzanzug und hatte den Helm geschlossen. Vielleicht gerade deshalb empfand Mendoza den Eindruck besonders intensiv.

Ein wenig schwerfällig richtete sich der Mann auf. Mit beiden Händen hielt er ein kleines Bündel an sich gedrückt.

Zu sehen war erst nur ein verdreckter Poncho. Sekunden später, als der Mann die Arme ausstreckte und das Bündel so vor sich hielt, dass jeder in der Nähe es sehen konnte, erklang ein wimmerndes Schluchzen.

Der Säugling, den er präsentierte, war kaum vier Wochen alt.

Sogar Mendoza klatschte kurz, danach bat er die Umstehenden sofort um ihre Aufmerksamkeit für seine Mitteilung. »Egal, wie schwer das Beben uns erwischt hat, das Leben geht weiter. Wir haben gerade erst begonnen, die Normalität zurückzuholen, und die Ausrüstung wird bald besser werden. Etliche von uns wissen nicht einmal, was mit ihren Familien und Freunden ist, trotzdem sind sie im Einsatz. Wir dürfen auf jedes Leben stolz sein, das wir retten können.«

Einer der Männer aus dem Tunnel nahm das Kind an sich.

»Meine Tochter wurde vor achtzehn Tagen geboren«, sagte er schwer. »Sie heißt Esperanza, nach ihrer Mutter ...«

»Und ... ist sie ...?«, fragte Mendoza ahnungsvoll.

Der Mann deutete auf den gewaltigen Schuttberg. »Esperanza war bei Nachbarn, als das Beben kam ...« Seine Stimme ging in hemmungslosem Schluchzen unter.

»Pedro!«, erklang es in dem Moment aus dem Ohrstecker. »Ich brauche dich mit einigen deiner Leute und den Robotern!«

»Wir haben selbst genug ...«

»Egal was, das hier ist brisant. Wir müssen den Residenten retten – Reginald Bull!«

 

*

 

Zwei gigantische Axthiebe schienen den Stadtteil Águila Town getroffen zu haben. Über mehrere Kilometer war der Boden aufgebrochen. Das Gelände zwischen beiden Spalten hatte sich um mehrere Meter gehoben, sackte aber allmählich wieder zurück. Dabei zerbrach es immer weiter und wurde von der düster gähnenden Tiefe verschluckt.

Die Rettungsarbeiten aus der Luft konzentrierten sich vor allem auf diesen Bereich und das Abtragen des Schutts. Ein Heer von Robotern und Helfern, die wie Mendoza und sein Team aus den angrenzenden Regionen zusammengezogen worden waren, arbeiteten sich von den Seiten her vor.

Die Mannschaft eines Shifts legte zwei deformierte Bodengleiter frei. Hektik kam auf, bis klar wurde, dass es sich bei keinem der Wracks um das gesuchte Fahrzeug handelte.

Der Terranische Resident, erfuhr Pedro Mendoza, hatte sich mit einem Gleiter in der Stadt befunden, als das Beben losbrach. Mehrere Menschen wollten kurz danach die Projektion einer sich gedankenschnell ausdehnenden Spiralgalaxis gesehen haben, die aus den Trümmern von Mexico City aufstieg und verwehte – Überlieferungen zufolge das untrügliche Zeichen für den Tod eines Aktivatorträgers.

Warum nur wenige die Projektion bemerkt hatten? Mendoza wühlte in seinem Gedächtnis und fand vor allem Panik. Verschwommen entsann er sich heftiger Erschütterungen. Dazu unerträglicher Lärm. Aber mehr?

Alles vermischte sich zu einem unentwirrbaren Knäuel von Wahrnehmungen, in dem es keinen Anfang und kein Ende zu geben schien. Das waren Erinnerungen, die sein Unterbewusstsein abkapselte, um sich selbst zu schützen.

In Pedro Mendozas Denken klaffte jedenfalls eine Lücke von etlichen Minuten. Obwohl: Nicht einmal das vermochte er genau abzuschätzen.

Gegen acht Uhr abends war die Evakuierung angelaufen. Ein zu erwartendes schweres Beben ..., hatte die Warnung behauptet. Und wennschon! Wozu gab es die Spezialisten des Seismischen Maschinenparks mit ihren hochgezüchteten Nanomaschinen?

Die Sorge der Verantwortlichen hatte eher den bestehenden Vorschäden gegolten, denn die Versetzung des Solsystems in den unbekannten Weltraum hatte Strukturen geschwächt, die seitdem nicht wiederhergestellt worden waren. Dazu die unerklärlichen Schwerkraftphänomene, die den Planeten von Anfang an heimgesucht hatten, bis hin zu den Materie auflösenden Effekten. Zum Glück war das alles mittlerweile weitgehend abgeklungen.

Zum Glück? Mendoza erschrak über die bittere Ironie in diesem Gedanken.

Nach dem Monsterbeben schien alles Glück so fern zu sein wie die Milchstraße. Fern und unerreichbar.

Vor ihm waren Roboter und Shifts. Ihre Desintegratorschüsse lösten Teile des Schuttbergs auf. Staub breitete sich aus.

Wenn dieses Beben keine natürliche Ursache hatte ...?

Sand knirschte zwischen seinen Zähnen. Nur kurz hob Mendoza die Filtermaske an und spuckte aus.

Etwas mehr als zwanzig Stunden lag der Angriff der fremden Raumschiffe zurück. Drei der eiförmigen Raumschiffe waren abgeschossen worden und abgestürzt, die anderen hatten sich zurückgezogen. Was, wenn dieser Sieg ebenso schnell wie verlogen gewesen war, wenn wirklich eine Waffe der Angreifer das gewaltige Beben ausgelöst hatte?

In diesem Fall würde die Katastrophe garantiert nicht auf die Zona Mexico beschränkt bleiben.

Wo waren die anderen Wracks abgestürzt? Es fiel Pedro Mendoza zunehmend schwerer, überhaupt einen klaren Gedanken zu fassen.

Nördlich der Hauptstadt Terrania lagen die Überreste einer der Sternengaleonen.

Mendoza spürte, wie er zitterte, als er sich bei der Vorstellung ertappte, wie Terrania nach einem ähnlich extremen Beben aussehen würde. Er ballte die Hände zu Fäusten und schickte eine stumme Verwünschung zu den wenigen Sonnen der Anomalie.

Wir werden uns zur Wehr setzen! Auge um Auge ...

Laute Rufe schreckten ihn auf. Nicht mehr als zwanzig Meter von ihm entfernt waren die Roboter allem Anschein nach fündig geworden.

Sofort konzentrierten sich die Arbeiten auf diesen Bereich. Präzise Desintegratorsalven fraßen sich durch den Schutt. Größere Wandsegmente wurden von den Shifts und einer Space-Jet angehoben und abtransportiert. Flammen züngelten auf, erstickten indes schnell unter einem zerstäubten Löschnebel.

Minuten später hoben die Shifts mit ihren Traktorstrahlen ein Wrack zwischen den Trümmern hervor und setzten es auf dem schon frei geräumten Bereich ab.

Ein großer Gleiter?

Was davon übrig war, ließ wenige Einzelheiten erkennen. Metallplastik, Glassit und farbige Kunststoffe waren zu einem wirren Konglomerat zusammengebacken.

Ringsum entbrannten aufgeregte Diskussionen.

»Es gibt bislang keinen Beweis dafür, dass wir den Gleiter des Residenten gefunden haben.«

Die Stimme des örtlichen Kommandierenden wurde von Akustikfeldern verstärkt. Pedro Mendoza kannte den Mann seit Jahren, sie hatten oft bei schwierigen Projekten zusammengearbeitet. Jiik Talmon sagte, was er dachte. Nie versuchte er, Unangenehmes schönzureden, ging dafür notfalls mit dem Kopf durch die Wand.

Deswegen erkannte Mendoza, dass diesmal eine Nuance in seiner Stimme lag, die untrüglich war. Talmon war nicht ehrlich. Wahrscheinlich belog er sich selbst ebenso wie alle anderen, weil nicht sein konnte, was einfach nicht sein durfte.

Offenbar gab es schon Anhaltspunkte, wer in dem halb zerfetzten und flach gedrückten Wrack gesessen hatte.

Nicht Reginald Bull!, dachte Mendoza bitter. Nicht ausgerechnet er ...

 

*

 

Es hätte ihm freigestanden, sich umzudrehen und zu gehen, seine Leute und die Handvoll Roboter mitzunehmen und mit den anderen seines Rettungstrupps weiter nach Überlebenden zu suchen. Er konnte es nicht.

Stattdessen starrte er hinüber zu dem Gleiterwrack, das die Roboter Stück für Stück aufbrachen wie ein erlegtes Wild.

Ein verrückter Vergleich. Mendoza ärgerte sich darüber.

Die unbekannten Angreifer wollten Terra, das war ihm mit einem Mal klar.

Warum? Fast hätte er die Frage hinausgeschrien, doch in der Sekunde stellten die Arbeitsroboter ihre Tätigkeit ein.

Jiik Talmon, der ohnehin nah am Wrack gewartet hatte, trat weiter nach vorn. Zwei Medoroboter schlossen zu ihm auf. Schwer zu erkennen, mit was sie sich befassten, aber eigentlich konnten es nur die sterblichen Überreste des Piloten sein.

Pedro Mendoza fürchtete sich plötzlich. Terra brauchte mehr denn je Persönlichkeiten, die Verantwortung übernahmen und den Weg vorgaben. Menschen mit Erfahrung, die sich keinesfalls von Kleinigkeiten aufreiben ließen, sondern den Blick für die Zukunft behielten, über Generationen hinweg. Die in Zeiträumen dachten, die Normalsterblichen verschlossen blieben.

Vielleicht werden wir uns mit der Anomalie arrangieren müssen ...

Bis vor wenigen Stunden hätte Mendoza diese Überlegung entsetzt von sich gewiesen. Nun erschien sie ihm gar nicht mehr so absurd.

Er trat weiter nach vorn, um endlich zu erkennen, was vor sich ging. Nein, er war nicht gierig nach einer Sensation, er wollte wissen, woran er war.

Die Medoroboter bargen einen Leichnam aus den zersplitterten Überresten des Pilotensessels. Vorsichtig legten sie den Körper auf eine Antigravtrage.

Mendoza stockte der Atem.

Das ist nicht der Resident, ausgeschlossen.

Der Tote trug eine einfache Kombination, keine Uniform. Die Wucht der auf den Gleiter herabstürzenden Mauerbrocken hatte den Mann nicht nur eingeklemmt, sein Skelett musste geradezu zertrümmert worden sein.

Pedro Mendoza schlug das Kreuzzeichen und murmelte ein knappes Gebet. Wie viele Terraner hatte er sich in den letzten Wochen wieder verstärkt den religiösen Traditionen seiner Heimat zugewendet, insbesondere dem in der Neo-Ökumene aufgegangenen Christentum.

Die Kleidung des Mannes war zerfetzt und blutig. Überschlagende Energien hatten Stoff und Fleisch miteinander verbacken. Das Gesicht ...

Mendoza stockte der Atem. In manchem Rettungseinsatz hatte er entstellte Tote gesehen, doch dieses Gesicht war förmlich zerschmettert. Das Haar verbrannt, zu dunklem Schorf zusammengeschmort, trotzdem unverkennbar die rote Färbung.

Der rote Stoppelhaarschnitt, das behaupteten jedenfalls alle historischen Archive in einmütiger Übereinstimmung, sei stets Reginald Bulls Markenzeichen gewesen. Schon vor mehr als drei Jahrtausenden, als er neben Perry Rhodan zu den Astronauten der ersten Mondlandung gehört hatte. Mode schien für diesen Mann ein Fremdwort zu sein, und gerade deswegen hatte er oft als Modeikone gegolten.

»... der Aktivatorchip muss da sein«, sagte Talmon zu den Medorobotern.

Eine tiefe Wunde zog sich über die linke Schulter des Toten. Sie sah aus, als hätte sich eine scharfkantige Verstrebung durch das Fleisch gebohrt.

Mit Laserskalpellen trennten die Roboter verkrustete Kleidungsfetzen ab. Bioscanner zeigten ein verbogenes Metallplättchen.

Reginald Bulls Aktivatorchip. Oder vielmehr das, was davon übrig war.

»Das Gerät muss weiter untersucht werden!«, verlangte Talmon.

»Soll ich es entfernen?«, fragte der Roboter.

»Nein, wir wollen kein Risiko eingehen. Und ich will mir nicht nachsagen lassen, ich hätte versucht, mich an der Unsterblichkeit zu bereichern.«

»Sehr wohl.«

»Was ist mit der DNS-Probe?«, drängte Talmon.

»Die Analyse ist bislang nicht abgeschlossen. Allerdings lässt die Hochrechnung einen Wert nahe hundert Prozent ...«

»Der Kommentar ist unnötig!«, sagte Talmon ungewohnt heftig. »Ich will nur das Ergebnis, nicht mehr, aber auch nicht weniger.«

Der Tote ist der Resident. Mendoza zweifelte nicht mehr daran. Der Chip, das rote Haar. Brauchte er weitere Beweise?

»Die DNS des Toten ist in jeder Hinsicht identisch mit den gespeicherten Werten des Terranischen Residenten«, sagte der Medoroboter schließlich. »Der Tote ist Reginald Bull.«

»Kein Zweifel?«

»Keiner«, bestätigte der Roboter, und wenn Mendoza sich nicht täuschte, klang seine Stimme geradezu beleidigt.

»Verdammt!«, sagte jemand hinter ihm. »Das hätte nicht passieren dürfen.«

 

*

 

Über einen Flugpanzer ließ Jiik Talmon eine abgesicherte Funkverbindung zur Solaren Residenz schalten. Das Übertragungsholo zeigte die Erste Terranerin, der Hintergrund war ausgeblendet.

Mendoza hatte den Eindruck, dass Ybarri nicht allein war. Zweifellos tagte der Krisenstab. Er konnte an den Fingern abzählen, dass kaum mehr ein Aktivatorträger dazugehörte. Homer G. Adams? Wer außer ihm befand sich auf Terra? Tekener? Nein, der Smiler war in der Milchstraße zurückgeblieben.

Henrike Ybarris holografische Wiedergabe musterte den Toten. Fast zwanzig Sekunden lang verharrte sie schweigend und reglos, dann wandte sie sich Talmon zu.

»Der Tote ist Reginald Bull«, bestätigte der Kommandierende ihre unausgesprochene Frage. »Schon die erste DNS-Analyse lässt daran nicht den geringsten Zweifel. Außerdem hat ein Medoroboter den Aktivatorchip entnommen. Das lebenserhaltende Gerät scheint zerstört zu sein – ich vermute, ausgebrannt durch die Projektion der Spiralgalaxis.«

Um Ybarris Mundwinkel zuckte es. Sie blinzelte unentwegt. Und sie hatte Mühe, ihrer Stimme den üblichen festen Klang zu geben.

»Ich bitte darum, Reginald Bulls Leichnam in die Solare Residenz zu überführen. Ihr habt den ausgebrannten Aktivatorchip hoffentlich nicht entfernt?«

»Das wäre pietätlos.«

»Ganz meine Meinung. Danke, Jiik! Terraner haben schon schwerere Zeiten überstanden, wir schaffen es ebenfalls. Bestimmt.«

Die Verbindung erlosch.

Für Trauer blieb keine Zeit, und das Leben ging ohnehin weiter. Es war gnadenlos und unberechenbar.

Jetzt erst recht!, sagte sich Mendoza. Das sind wir Bull schuldig. Ihm und den anderen Aktivatorträgern, die alles dafür gegeben haben, der Menschheit den Weg zu den Sternen zu ermöglichen.