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Konfliktmanagement
für Führungskräfte

Lösungsstrategien, Mediation, Arbeitsrecht

Claudia Harss, Daniela Liebich, Markus Michalka

Verlag Franz Vahlen München

Zum Inhalt

Betriebliche Konflikte und erfolgreiche Lösungsmöglichkeiten: Dieser praktische Ratgeber zeigt, wie man Konflikte vermeidet, zwischen den Konfliktparteien vermittelt (Mediation) und Streitigkeiten – notfalls mit dem Instrumentarium des Arbeitsrechts – beendet. Das Buch ist ein hilfreicher Begleiter für Führungskräfte in allen Phasen eines Konflikts. Durch die Praxisfälle („Cases”), die sich durch das ganze Buch ziehen, werden die Vorgehensweisen verständlich. Der Ratgeber ist von Experten geschrieben und zeigt bewährte Lösungsstrategien:

-   Typische Konfliktfälle in Unternehmen: So analysieren und reagieren Sie richtig

-   Die Rolle der Führungskraft: Wie wirken sich Hierarchien aus?

-   Mediation und Arbeitsrecht: Bewährte Strategien im Streitfall

Wer in letzter Zeit abends wegen eines Konflikts am Arbeitsplatz grübelnd, zähneknirschend oder grollend nach Hause gegangen ist, erhält mit diesem Buch einen Ratgeber. Es befähigt den Leser Schritt für Schritt Abstand zu nehmen, innere und äußere Einflussfaktoren besser zu verstehen und sich „sattelfest” zu fühlen, bevor die nächste „Runde im Ring” ansteht.

Zu diesem E-Book gibt es zusätzlichen Content als Download. Beim Printwerk ist dieser Content auf der begleitenden CD-ROM. Sie können sich diese Zusatzmaterialien kostenlos downloaden unter: http://vahlen.becksche.de/cd/konfliktmanagement/Inhalt.html

Zu den Autoren

Dr. Claudia Harss, Organisationspsychologin, ist Gründerin und Eigentümerin der TWIST Consulting Group, die seit über zwanzig Jahren Führungskräfte aus nationalen und internationalen Unternehmen berät, trainiert und coacht. Sie ist Autorin zahlreicher Fachbeiträge sowie Lehrbeauftragte an zwei Universitäten. Weitere Informationen unter www.twist.de

Daniela Liebich, Sozialpädagogin, hatte einige Jahre die Leitung mehrerer Fortbildungseinrichtungen in München inne, bevor sie sich als Trainerin, systemischer Coach und Buchautorin in der Wirtschaft einen Namen machte.

Markus Michalka ist Fachanwalt für Arbeitsrecht in München, verfügt über langjährige Erfahrung als Personalmanager in Konzernen und mittelständischen Unternehmen. Er berät Unternehmen, Führungskräfte und Betriebsräte in arbeitsrechtlichen Konfliktsituationen. Als Wirtschaftsmediator (IHK) ist es ihm wichtig, immer auch die Interessen der Gegenseite im Blick zu haben, um ausgewogene Lösungen zu erzielen. Mehr unter www.kanzleimichalka.de.

So orientieren Sie sich im Buch

Folgende Elemente erleichtern Ihnen die Orientierung in diesem Buch:

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In den grauen Kästen mit dem CD-Icon finden Sie Verweise auf Muster, die Ihnen auf Ihrer CD-ROM zur Verfügung stehen.

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Die mit der Lupe gekennzeichneten Kästen enthalten Definitionen wichtiger Begriffe und Beispiele, die das Gesagte illustrieren.

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Zudem finden Sie im Buch eine Vielzahl wertvoller Tipps, die Ihnen bei der Bewältigung Ihrer Konflikte und bei der Vermeidung von Anfängerfehlern helfen können.

Inhalt

Vorwort

1 Praxisfälle: Beispiele für Konflikte im Team

1.1 Gisela Weiß – vom Teammitglied zum Chef

1.2 Dr. Herzog – ein zahnloser Tiger als Projektmanager

1.3 Dr. Hunds Team im Kampf um den Arbeitsplatz

2 Entstehende Konflikte rechtzeitig erkennen und analysieren

2.1 Der Konflikt-Check

2.2 Konfliktmuster im beruflichen Alltag

2.3 Konfliktpartner identifizieren

2.4 Umsetzung der Konfliktanalyse in den Praxisfällen

3 Mit Selbstmanagement zur Konfliktlösung

3.1 Selbstreflexion als Konfliktlösung von innen

3.2 Schritt 1: Eigene Bedürfnisse und Ansprüche erkennen

3.3 Schritt 2: Was sind meine Konfliktbewältigungsmuster?

3.4 Schritt 3: Die Bedürfnisse des Konfliktpartners würdigen

3.5 Schritt 4: Gerechtigkeit im Kopf üben

3.6 Schritt 5: Klarer Standpunkt und Gesprächsvorbereitung

3.7 Schritt 6: Tapfer in die Höhle des Löwen!

3.8 Anwendung der sechs Schritte: Gisela Weiß

4 Die Mediation als erfolgreicher Weg der Konfliktlösung?

4.1 Strukturiertes Verfahren der Konfliktlösung

4.2 Für diese Fälle ist Mediation geeignet

4.3 Vorteile der Mediation

4.4 Die Rolle des Mediators und seine Methoden

4.5 So läuft eine Mediation ab

4.6 Umsetzung am Praxisfall Gisela Weiß

5. Arbeitsrecht als letztes Mittel der Konfliktlösung?

5.1 Eine andere Aufgabe zuweisen

5.2 In eine andere Abteilung versetzen

5.3 Abmahnung aussprechen

5.4 Einen Aufhebungsvertrag verhandeln

5.5 Den Arbeitsvertrag kündigen

5.6 Umsetzung am Praxisfall Gisela Weiß

Literaturverzeichnis

Vorwort

Einige dich mit dem Gegner, solange du auf dem Weg zum Gericht bist.

Der Rat, sich mit dem Gegner zu einigen, bevor der Konflikt richtig eskaliert, ist fast 2000 Jahre alt. Der Autor, wahrscheinlich der Evangelist Matthäus, hatte offenbar schon damals drei durchaus irdische Erkenntnisse, die auch heute noch das Zusammenleben am Arbeitsplatz deutlich genießbarer machen können:

•   dass man keineswegs automatisch recht hat, wenn man sich über einen Kollegen, Chef oder Mitarbeiter geärgert hat, und es nebenbei bemerkt auch nicht viel bringt, „recht” zu behalten;

•   dass Konflikte in vielen Fällen selbst gelöst werden können und sollten, weil jede weitere Eskalationsstufe ein Mehr an Krafteinsatz und Geld bedeutet. Zugleich sinken mit steigender Eskalationsstufe die Aussichten auf eine wirklich befriedigende Lösung;

•   dass der Gegner in den meisten Fällen kein Bösewicht, sondern ein durchaus vernünftiger Mensch ist, mit dem eine Einigung möglich ist.

Freilich gibt es leider auch Fälle, bei denen ein Gang zum Rechtsanwalt nicht mehr zu vermeiden ist. Das Gericht sollte aber unserer Meinung nach die Ultima Ratio, also der letzte Ausweg sein, wenn beim besten Willen keine Einigung mehr möglich ist. Uns wäre es lieber, Sie könnten die Lektüre nach Kapitel 3 beenden. Unser Buch haben wir nämlich folgendermaßen aufgebaut:

In Kapitel 1 schlüpfen Sie nacheinander in die Rolle einer jungen Frau, die von der normalen Kollegin zur Teamleiterin wird, in die eines Projektmanagers in einer Matrixorganisation und schließlich in die eines Abteilungsleiters, in dessen Unternehmen krisenbedingt umstrukturiert und entlassen wird. In allen drei Fällen handelt es sich um Themen, die wir als Berater im Alltag besonders häufig im Coaching, in der Mediation oder vor Gericht begleiten müssen. Die Protagonisten Frau Weiß, Herr Herzog und Herr Hund und seine Mitarbeiter werden Ihnen im Laufe der weiteren Kapitel immer wieder begegnen.

In Kapitel 2 möchten wir Ihnen helfen, Ihren eigenen Konflikt oder – falls Sie Coach, Berater oder Jurist sind – den des Ratsuchenden richtig einzuordnen. Leider erleben wir nämlich im Alltag nur allzu oft, dass „die Falschen” miteinander streiten, weil keiner sich die Mühe gemacht hat zu prüfen, auf welcher Ebene der Konflikt wirklich verursacht wird. Wir beleuchten in diesem Kapitel also vornehmlich die äußeren, situativen Ursachen von Konflikten. Natürlich konzentrieren wir uns dabei ganz besonders auf Situationen und Konstellationen am Arbeitsplatz, in denen auch der friedliebendste und sozialkompetenteste Mensch mit hoher Wahrscheinlichkeit in Konflikte gerät.

In Kapitel 3 geht es dann um Ihr eigenes Konfliktmanagement. Wir fassen Sie dabei nicht gerade zimperlich an und laden Sie dazu ein, gemeinsam mit uns einen tiefen Blick in die eigene schwarze Seele zu tun. (Wer leicht beleidigt ist, sollte dieses Kapitel lieber auslassen.) Natürlich geschieht dies zu Ihrem Besten. Wir sind der Meinung, dass ein vernünftiges Konfliktmanagement nur dann gelingen kann, wenn Sie Ihren Anteil an der verfahrenen Situation kennen und damit fairer und offener, aber auch klarer auf den anderen zugehen können. Dies wird bei dem einen Leser dazu führen, seinen heiligen Zorn ein wenig zu dämpfen, der andere wird im Gegenteil ermutigt sein, endlich einmal die Zähne zu zeigen. Alles in allem finden in Kapitel 3 vor allem diejenigen Leser Tipps und Anleitung, die den Konflikt aus eigener Kraft angehen wollen und können bzw. andere anleiten wollen, dies zu tun.

In Kapitel 4 über Mediation sind Sie vor allem dann richtig, wenn Ihnen zwar an einer friedlichen Einigung oder einem Ausgleich gelegen ist, Sie es sich und Ihrem Konfliktpartner aber nicht mehr zutrauen, die Verhandlung darüber ohne die Hilfe eines neutralen und professionellen Dritten (des Mediators) zu schaffen. Dies dürfte vor allem bei Konflikten der Fall sein, die schon eine lange, kräfteraubende Vorgeschichte haben. Oft wird in diesem Stadium (wenn überhaupt) nur noch schriftlich kommuniziert und praktisch alles, was die andere Seite von sich gibt, als „unverschämte Frechheit” empfunden. Sollten Sie sich bereits in dieser Phase eines Konflikts befinden, raten wir dennoch dazu, die ersten Kapitel des Buches zu lesen, weil die dabei gewonnenen Erkenntnisse auch bei einer Mediation sehr hilfreich sein können.

In Kapitel 5 geht es schließlich um arbeitsrechtliche Mittel, Disziplinarmaßnahmen, Kündigungen und dergleichen. Leider muss auch dies manchmal sein. Aber selbst dann, wenn Sie nicht zum Äußersten greifen, ist es hilfreich, die rechtliche Situation in einem Konflikt zu kennen, um nicht Gefahr zu laufen, einen aussichtslosen und teuren Streit zu beginnen.

Um Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, die Zeit mit unserem Buch nicht nur lehrreich, sondern auch kurzweilig zu gestalten, haben wir immer wieder Tests, Selbstreflexionen, Fallbeispiele, Forschungsergebnisse und sogar den Rat von 14 alten, weisen Menschen über achtzig einfließen lassen und/oder auf der CD-ROM für Sie bereitgestellt. Auch verzeihen Sie uns hoffentlich den gelegentlich etwas saloppen Ton. Ein Ratgeber mit strenger sachlicher Stimme erschien uns einfach zu dröge. (Ihnen hoffentlich auch!)

Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen und hoffen, Sie finden in einem unserer Kapitel den entscheidenden Anstoß, der Sie bei der Lösung Ihres Konflikts weiterbringt!

Claudia Harss, Daniela Liebich und Markus Michalka

1 Praxisfälle: Beispiele für Konflikte im Team

Zunächst laden wir Sie ein, sich ausnahmsweise mal nicht mit Ihrem eigenen Konflikt herumzuärgern, sondern drei Protagonisten in ihren (zurzeit recht ungemütlichen) Berufsalltag zu begleiten. Sie sitzen sozusagen bequem in der Zuschauerloge und können die Vorgänge als neutraler Beobachter von außen verfolgen. Dies ist eine gute Vorübung für die späteren Kapitel, bei denen wir Sie einladen werden, eine ähnliche Position gegenüber Ihrem eigenen „Fall” einzunehmen.

1.1 Gisela Weiß – vom Teammitglied zum Chef

Gisela Weiß arbeitet als Versicherungskauffrau in einer international tätigen, großen Versicherungsgesellschaft. Sie ist seit acht Jahren im Unternehmen beschäftigt und eine beliebte Kollegin. Frau Weiß ist nicht nur fachlich sehr versiert, sondern auch hilfsbereit und geduldig beim Erkennen, Erklären und Lösen von fachlichen Problemen. Ihr Tätigkeitsbereich ist die Abteilung „Verkauf”, die sich in Innendienst und Außendienst gliedert. Der Innendienst ist zusätzlich in „Underwriting” und „Sachbearbeitung” geteilt.

Gisela Weiß arbeitet schon immer in der Sachbearbeitung. Das akribische Umgehen mit Zahlen, Berechnungen, gesetzlichen Verordnungen und Vorgaben, die sorgfältige Ausführung von Vorlagen, Verträgen und Unterlagen für die Kunden befriedigt sie immer wieder. Ein kniffliges Berechnungsproblem elegant und bis auf den Cent korrekt gelöst zu haben ist für sie das schönste Erfolgserlebnis. In der EDV ist sie so fit wie keiner sonst. Sie arbeitet auch gerne mit den Kolleginnen und Kollegen zusammen, ist aber eigentlich mehr eine „Einzelarbeiterin”. Mit einem der Männer und zwei der Frauen aus dem insgesamt 14-köpfigen Sachbearbeiterteam ist sie auch ein wenig befreundet. Ihr fachlicher Vorgesetzter ist der Teamleiter, Herr Schwarz, der die fachliche Aufsicht über die 14 Teammitglieder hat. Auch er wendet sich häufig mit Fragen an Frau Weiß – in vielen Fragen ist sie ihm überlegen und das weiß er auch. Der langjährige Abteilungsleiter, Dr. Michael Braun, ist der eigentliche Chef des Verkaufs. Er ist sehr stolz auf diese fitte Truppe, die wirklich gute Leistungen bringt und gleich mehrere starke Leistungsträger hat. In seinem anderen Innendienstteam „Underwriting” kommt es hingegen immer wieder zu Konflikten, Unstimmigkeiten und auch zu massiven Fehlern. Natürlich hält auch er viel von Frau Weiß und weiß um ihre hohe Fachkompetenz.

Frau Weiß ist 32 Jahre alt und lebt mit ihrem Partner, der – sehr zu ihrem Leidwesen – keine Kinder haben möchte, in einem Vorort der Großstadt, in der die Unternehmenszentrale ihren Sitz hat. Sie liebt ihren Garten, ihre Katzen und ihre Hobbys Nähen und Stricken, denen sie sich mit der gleichen lustvollen Genauigkeit hingibt wie den Versicherungsverträgen. Täglich fährt sie um 6.10 Uhr mit dem Vorortzug zur Arbeit. Beim gleichmäßigen Rattern der Gleise träumt sie davon, mit ihrem Mann zu verreisen und vielleicht irgendwann einmal Karriere zu machen, mehr Geld zu verdienen und das kleine Haus, in dem sie jetzt zur Miete wohnen, kaufen zu können.

Der erste Teil dieses Traumes wird schneller wahr, als sie es sich vorstellen kann: Bereits im September verkündet Herr Schwarz in einem Meeting, dass er im März des nächsten Jahres das Unternehmen verlassen und mit seiner Familie für einige Jahre ins Ausland gehen werde. Die Stelle der Fachaufsicht im Team „Sachbearbeitung” wird also frei.

Ab sofort verändert, verschiebt und verstrickt sich im Teamsystem einiges. Es brodelt und schlägt Wellen, eine nervöse Unruhe macht sich breit. Es scheint, dass die Kolleginnen und Kollegen die Nasenspitzen erheben, schnuppern und beginnen, sich noch mehr anzustrengen, um ihre Fähigkeiten deutlich zu machen. Man versucht sich zu profilieren. Das ist an sich nicht schlecht – aber die Absicht ist nicht etwa, die Abteilungsleistung zu verbessern, sondern auf die persönliche Performance eigennützig und vorteilssüchtig aufmerksam zu machen. Keine Pause, kein Mittagessen ohne Spekulationen, Gerüchte, mehr oder weniger offen geäußerte Hoffnungen und Befürchtungen.

Michael Braun, der Chef, hält sich zunächst bedeckt. Die Vermutungen überschlagen sich, die Gerüchteküche brodelt. Im guten Arbeitsklima des Teams verdichten sich die Rauchwolken. Acht der Kolleginnen und Kollegen rechnen sich „nicht schlechte” Chancen aus, den Teamleiterjob – wie immer er dann vielleicht aussehen wird – zu bekommen:

•   ein Kollege mittleren Alters, weil er am längsten im Team ist, immens viel Erfahrung und gute Kundenkontakte hat

•   ein anderer, weil er der Älteste ist und praktisch das natürliche Recht auf die Chef-Nachfolge hat

•   zwei weitere, weil sie einst glänzende Assessments mit Aussicht auf Beförderung bestanden haben

•   die strahlende, schwarzhaarige Mittdreißigerin, die aussieht wie aus einem Hochglanzmodemagazin, die in Auftreten und Style allen überlegen ist und sich natürlich auch fachlich für up to date hält,

•   ein Freund von Frau Weiß, der seit Jahren im Beruf ist, für das Unternehmen im Ausland war und an Genauigkeit und Schnelligkeit in der Vertragserledigung hier von keinem übertroffen wird

•   der jung-dynamische „Mario-Barth-Typ”, der absolute Liebling von Herrn Braun

•   last, but not least: Gisela Weiß

Doch bis jetzt ist weder die eventuell neu geplante Teamstruktur bekannt noch die Form, in der eine neue Teamleitung gekürt werden wird.

Bis Dezember steigt die Spannung. Dann, noch vor der offiziellen Weihnachtsfeier, die in diesem Jahr ein wenig nervös und kühl ausfällt, verkündet Herr Braun den Kolleginnen und Kollegen, dass sich die Struktur insofern ändern wird, als die neue Teamleitung, die im Februar noch von Herrn Schwarz eingearbeitet werden soll, einen etwas erweiterten Befugnisbereich erhält: Sie wird nicht mehr nur fachlicher Vorgesetzter sein, sondern allgemeine Personalverantwortung bekommen, natürlich in enger Absprache mit ihm, Herrn Braun, der sich das sehr „schön” vorstellen kann. Das erweist sich für ihn auch als unbedingt notwendig, da sein Aufgabengebiet „wie Sie alle wissen, immer mehr und immer größer wird”. Damit geht natürlich auch eine erheblich höhere Bezahlung einher.

Das Team erstarrt. Eine Frauenstimme erhebt sich: „Wie wird es denn entschieden werden, Herr Dr. Braun?”

„Tja, das wird nicht einfach werden. Also ich persönlich würde den Job mehreren von Ihnen zutrauen. Sie haben alle Ihre gewissen Kompetenzen. Herr Dr. Bunt und ich haben entschieden, dass diejenigen, die Interesse haben, sich bis Anfang Januar bei uns mit einem kurzen Schreiben bewerben können. Wir werden dann zeitnah entscheiden.”

Am 4. Januar liegen neun sorgfältig ausgearbeitete, noch etwas nach familiärem Weihnachten duftende Bewerbungen auf Dr. Brauns Schreibtisch. Er sucht nur eine heraus, überfliegt sie und rümpft ein wenig die Nase. Das Schreiben liest sich schon sehr trocken, spröde, etwas langweilig. Formal hat es Gisela Weiß natürlich perfekt abgefasst. Sie betont ausschließlich ihre hohe fachliche Kompetenz und ihr gutes Eingebundensein in das Team. Braun wischt alle Zweifel beiseite und greift zum Telefon. „Hier Michael Braun. Ein gutes neues Jahr, Herr Dr. Bunt! Ich habe die Bewerbungen.” – „Auch ein gutes Neues, Herr Braun! Hat sie sich beworben?” – „Ja, klingt zwar nicht sehr euphorisch, aber … halt perfekt.” – „Und die anderen?” – „Hab ich nicht gelesen.” – „Na, wir wissen ja sowieso, wen wir wollen. Sie wird vielleicht ein wenig Starthilfe brauchen. Die müssen Sie ihr dann bieten, das wird schon klappen, das machen Sie schon! Alles Gute also, viel Glück!”

Braun greift doch noch zu dem ein oder anderen Kuvert. Die anderen Bewerbungen gefallen ihm wirklich nicht besser als die von Frau Weiß. Bunt und er hatten sich sehr schnell für Frau Weiß entschieden, hauptsächlich ihrer hohen fachlichen Kompetenz und Zuverlässigkeit wegen. Sie würde die Abteilung fachlich auf Vordermann bringen. Außerdem würde sie weiter gut zu führen sein und wenig Probleme machen. Das Team schätzte ja schon immer ihre Fachkenntnisse. Braun weiß gar nicht, weshalb er trotzdem so ein leicht ungutes Gefühl dabei hat.

Am 6. Januar klopft es gegen zehn an Frau Weiß’ Bürotür. Mit jovial ausgestreckten Armen geht Braun auf die verwirrte Frau Weiß zu: „Meine liebe Frau Weiß, ich darf Ihnen gratulieren. Herr Dr. Bunt und ich haben Sie ausgewählt. Ist das nicht ein guter Jahresbeginn? Sie werden die Nachfolgerin von Herrn Schwarz! Ich werde es dem Team gleich im Meeting mitteilen. Die Kollegen werden begeistert sein!”

Gisela Weiß ist kurz wie versteinert, dann erfasst sie eine unheimliche Freude. Sie zittert und quietscht ein wenig. „Danke, also danke, super, äh, ich bin ganz durcheinander, danke Herr Dr. Braun …” Ihr Traum aus der Stadtbahn beginnt Wirklichkeit zu werden. Ihre Freundin am Nebenschreibtisch erhebt sich beklommen und gratuliert ihr – ein wenig zu formal vielleicht, aber immerhin.

Gleich darauf im Meeting führt Braun, ein weitsichtiger Chef, die neue Vorgesetzte „auf den Thron”. Schwarz zeigt sich verhalten erfreut, er hat es sich schon so gedacht. Die anderen Kolleginnen und Kollegen verstummen, erscheinen kurz wie betäubt und vergessen zu gratulieren.

„Na, eigentlich wusste man es ja, dass die Weiß hier so hoch gehandelt wird.” – „Sie ist ja fachlich jetzt nicht sooo schlecht, aber sie ist doch niemals unser aller Chefin!” – „Wie kann denn diese kleine, unscheinbare, junge Frau vom Land in selbst genähten Kleidern uns alle führen? Uns, die wir viel älter sind, mehr Erfahrung haben, länger hier sind, mehr Standing haben, besseres Auftreten, besser reden können, uns besser durchsetzen können?” – „Also ich lass mich nicht von der führen!” – „Die soll sich nur irgendwie hier als Chefin aufführen, dann wird sie mich mal kennenlernen.” – „Von der lass ich mir nix sagen, das könnt ihr mir glauben.” – „ Und so gut ist sie fachlich auch nicht mehr wie früher mal. Wisst ihr noch, wie sie letzten Juni nicht wusste, dass …” – „Also ich hätte mir dich zum Beispiel gut vorstellen können oder auch dich, aber Gisela???” – „Keine Sorge, die kriegt doch hier kein Bein auf den Boden als Chefin.”

Einige Zeit später, es ist Mai: Gisela Weiß fährt ungern zur Arbeit. Sie fühlt sich gemieden, allein, ausgegrenzt. Kollegen, die sie vormals ständig um Hilfe gebeten hatten, deren Fehler sie früher ausgemerzt hatte, bevor sie herauskamen, denen sie Tipps und Ideen gegeben hatte, werfen ihr jetzt die Tür vor der Nase zu. Beim Essen sitzt sie allein, niemand fragt sie mehr etwas, bei Teammeetings hört ihr keiner zu. Sie sitzt in einem kleinen, länglichen, engen Büro, dem hässlichsten Raum auf dem Gang. Auf ihre Ansage, dass sie gerne umziehen würde, weigern sich alle Kollegen, den Platz mit ihr zu tauschen.

Braun zeigt sich eher selten und versucht ihr dann väterlich auf die Schulter zu klopfen, nach dem Motto: „Ich steh hinter Ihnen, Frau Weiß, das wissen Sie und auch die Kollegen.” Genau das ist aber der Punkt, der die Kollegen ärgerlich macht, auf Herrn Dr. Braun und auf Gisela Weiß. „Ach, meine Liebe, das kommt schon, das wird schon, lassen Sie den Leuten Zeit, Sie werden schon akzeptiert werden – mit Ihrer Fachkompetenz!” Als weitsichtiger Chef weiß Braun eigentlich, dass er Gisela Weiß’ Durchsetzungskraft umso mehr untergräbt, je stärker er sie mit „väterlicher Autorität” von oben unterstützt.

Immer häufiger klopft es an seine Tür, weil sich wieder einer der Kollegen über Frau Weiß beschweren will. Er hört sich die Klagen zwar an, versucht aber nur zu beruhigen, und unternimmt letztlich nichts für oder gegen seinen Schützling.

Gisela Weiß versucht, autoritärer aufzutreten, um sich mehr durchzusetzen. Die Kollegen reagieren aggressiv oder lachen sie aus. Je autoritärer sie wird, desto trotziger verhalten sich die Kollegen, gleich welcher Altersklasse und in welcher Beziehung sie vorher zu ihr standen.

Was immer sie tut, sie wird nicht akzeptiert und die Kollegen zeigen ihr das auch. Sie hat inzwischen bereits körperliche Beschwerden, obwohl sie früher nie krank war! Migräneanfälle, Probleme mit den Bandscheiben, letzte Woche eine Magen-Darm-Grippe und jetzt Zahnschmerzen. Sie geht heute anderthalb Stunden früher, um zum Zahnarzt zu gehen. Der knifflige Vertrag für den Neukunden hat bis morgen Zeit.

Als sie am nächsten Tag an ihren Schreibtisch kommt, sind die Vertragsunterlagen fort. Wütend geht sie von Zimmer zu Zimmer, bemüht sich um einen sachlichen Ton und fragt die Kollegen, wer den Vertrag gesehen hat. Schließlich sagt Herr Rot: „Ja, ich habe ihn mir geholt, weil der Außendienstkollege mich angerufen hat: Der Kunde möchte, dass ich den Vorgang bearbeite, und zwar flott und mit einigen Details, die der Außendienst zugesagt hat.” Weiß spürt ihren Adrenalinspiegel steigen, es wird ihr fast ein wenig übel: „Herr Rot, das ist, also das ist ja das Letzte! Das ist eine Unverschämtheit”, kreischt sie, ihre Stimme überschlägt sich fast. „Das lasse ich mir nicht gefallen! Hier bestimme ich, wer welche Verträge bearbeitet! Und mir die Unterlagen dann einfach vom Schreibtisch zu nehmen …! Sie bekommen eine Abmahnung! Darauf können Sie sich verlassen! Und wie Sie wissen, Herr Rot, das ist schon die zweite! Das nächste Mal dürfen Sie sich hier verabschieden! Ist das klar!?” – „Gut”, antwortet Rot, „dann werden wir uns eben vor dem Arbeitsgericht Wiedersehen! Und übrigens – man lässt keine Verträge offen auf dem Schreibtisch liegen!” Weiß schnappt nach Luft: „Er lag in der Mappe und der Raum war abgesperrt.” Mit Tränen in den Augen läuft sie aus dem Büro und schließt sich auf der Toilette ein. Die Tränen fließen. Sie braucht eine Viertelstunde, um wieder zu sich kommen. Dann putzt sie sich die Nase, wischt sich das Gesicht ab und kehrt in ihr kleines Büro zurück.

Die Putzfrau war da. Ja, die könnte Rot in den Raum gelassen haben. Gisela Weiß starrt in die Luft. Es gelingt ihr nicht mehr recht, sich zu konzentrieren. Sie kramt ein wenig in der Ablage, versucht, eine Fachzeitschrift zu lesen.

Nachmittags in der Stadtbahn überlegt sie sich, ob das Mobbing ist. Sie weiß einfach nicht mehr weiter. Der Betriebsrat? Aber was sollen die Kollegen für sie tun können? Immer wieder versucht sie vergeblich, sich Hilfe bei Braun zu holen. Auch er ist ratlos. Er genehmigt ihr ein Coaching. Der Coach empfiehlt ihr, an ihrer Persönlichkeit zu arbeiten und vor allem die Angriffe der Kolleginnen nicht persönlich zu nehmen. Gisela Weiß weiß nicht, wie sie an ihrer Persönlichkeit arbeiten kann – und wie soll sie es denn anders nehmen als persönlich, wenn jeden Tag neue Provokationen geschehen? Nicht immer sind sie so stark wie die Situation mit Rot, aber kleinere Kampfansagen gibt es fast täglich. Auf die Aufforderung, ihr ein Schriftstück zu zeigen, sagt beispielsweise der junge Kollege schnippisch: „Wann und wie ich den Vertrag bearbeite, entscheide immer noch ich, verehrte Frau Oberchefin – vielleicht lasse ich ihn, wenn ich fertig bin, noch von Herrn Grün gegenlesen”

Welche Möglichkeiten hat Gisela Weiß? Hat sie überhaupt Chancen, sich in den täglich neuen Konflikten, in die sie mit den Kollegen gerät, konstruktiv zu verhalten? Setzt sie sich durch, reagieren ihre Untergebenen mit Ärger und Frust, die Ablehnung wird eher größer. Setzt sie sich nicht durch und lässt sich „alles gefallen” (wie von dem jungen Kollegen oben), lacht man über sie und sie wird noch weniger akzeptiert. Sie kann nichts „richtig” machen im Umgang mit den Kolleginnen und Kollegen von ehemals. Sie wollen, dass alles falsch ist: wie sie agiert, wie sie entscheidet, wie sie kommuniziert.

Wie kann es gelingen, Win-win-Situationen herzustellen? Situationen, in denen es keine Verlierer gibt? Wer ist der eigentliche Gegner beziehungsweise der Konfliktverursacher? Gibt es eine Möglichkeit, aus diesem strukturell angelegten Konflikt auszusteigen?

1.2 Dr. Herzog – ein zahnloser Tiger als Projektmanager

Johannes Herzog ist ganz euphorisch. Mit 48 Jahren scheint er alle Ziele erreicht zu haben: Endlich raus aus der kleinen altmodischen Apotheke seines Bruders, wo er seit Jahren wie ein Verkäufer tagein, tagaus die Kunden bedienen musste. Als er vor ca. sechs Wochen in der ZEIT die Stellenanzeige gelesen hatte, hatte er sich keine großen Chancen ausgerechnet. Doch offenbar ist seine fast dreijährige USA-Erfahrung heute doch was wert! Oder war es seine gute Promotion in Pharmazie? Die frühere, mühevolle Erfahrung mit der Stadtverwaltung im Gesundheitsreferat und wahrscheinlich auch die Jahre als Pharmareferent – all dies zahlt sich jetzt aus!

Herzog hat die öffentlich ausgeschriebene Stelle als Leiter der Zentral-Apotheke für die drei städtischen Kliniken in einer mitteldeutschen Großstadt bekommen. Die oberste Stadtverwaltung hat ihn eingestellt – der Oberbürgermeister selbst sozusagen.

Vor knapp drei Jahren war das Projekt „Apothekenauslagerung” aus den einzelnen städtischen Krankenhäusern vollzogen worden. Herzogs Vorgänger Franz Meister war in Vorruhestand gegangen. Herzogs Eindruck ist, dass Meister einfach ein wenig überfordert war. Nun würde er, Herzog, das Ganze auf „Vordermann” bringen. Eine Aufgabe, wie für ihn geschaffen!

Das Projekt hat zwar nur zwölf Mitarbeiter: pharmazeutisch-technische Assistenten und Quereinsteiger aus verschiedenen Branchen, doch hat Herzog nun eine kleine Führungsaufgabe und ist sein eigener Herr. Endlich einmal kann er selbst entscheiden, eigene Vorgaben machen und seine Meinung umsetzen. Er wird ein guter Chef sein! Er wird freundlich seine Leute motivieren, viel mit ihnen reden, und auf Dauer wird das Team Bestleistungen bringen. Er freut sich auf die Aufgabe. Organisieren kann er seiner eigenen Einschätzung nach sehr gut, und besonders auf die Verhandlungen mit den Pharmakonzernen, die ihm sicherlich zu Füßen liegen werden, freut er sich. Da springt sicher die eine oder andere kleine Einladung oder sogar Reise für ihn und seine Frau heraus …

Überhaupt verdient er jetzt natürlich eine ganze Stange mehr, als er jemals verdient hatte. Sein Bruder konnte nicht zu viel zahlen, aber jetzt: ein Gehalt, von dem Herzog vor einem Jahr nicht zu träumen gewagt hätte! Vielleicht wird jetzt ja doch was aus der Finca auf Mallorca? Eine ganz kleine natürlich nur, aber wer weiß?

Nach den ersten zwei Tagen, in denen auch ein Gespräch mit der obersten Klinikverwaltung und dem Verwaltungsdirektor Dr. König, einem sehr netten Mann, stattgefunden hat, ist Herzog zum ersten Mal ein klein wenig enttäuscht: Wirkliche Personalverantwortung mit Weisungsbefugnis und der Möglichkeit, Mitarbeiter ein- und auszustellen, hat er nur für eineinhalb Kräfte: für eine ganztags und für eine halbtags angestellte pharmazeutisch-technische Assistentin. Beide arbeiten bereits seit Beginn vor drei Jahren in diesem Projekt mit.

Die anderen Kolleginnen und Kollegen sind „Leihkräfte” und „Quereinsteiger” aus verschiedenen anderen Bereich und Projekten.

Da sind z.B. zwei Kolleginnen und zwei Kollegen aus dem Pflegebereich der verschiedenen Kliniken, die aus unterschiedlichen gesundheitlichen Gründen nicht mehr am Patienten arbeiten können. Disziplinarisch zuständig ist für sie nach wie vor ihre Pflegebereichsleitung. Hauptsächlich sind die zwei Männer und zwei Frauen für das Ausfahren und Verteilen der Medikamente und Lagerarbeiten zuständig.

Auch ein EDV-Zuständiger ist halbtags im Projekt beschäftigt – wahrscheinlich weil Meister nicht mehr wirklich fit war mit den neuen PC-Systemen, vermutet Herzog. Weiter gibt es im Projekt „Zentralapotheke” (ZA) vier Mitarbeiter, die Teilzeit arbeiten und aus dem zweiten ausgelagerten Projekt der städtischen Kliniken sozusagen „ausgeliehen” sind, dem Projekt „Logistik”, in das alle Hausmeistertätigkeiten und handwerklichen Aufgaben aus den einzelnen Häusern ausgelagert wurden. Dieses Projekt gibt es seit fast fünf Jahren.

Sie alle sind disziplinarisch direkt der Klinik-Holding unterstellt.

Drei weitere Mitarbeiterinnen kommen aus der Klinikverwaltung der verschiedenen Häuser: eine Buchhalterin und zwei Einzelhandelskauffrauen, die disziplinarisch zurzeit noch über ihre „Stammhäuser” laufen.

Die Verwaltung und die EDV werden der vorläufig letzte Bereich werden, der im nächsten Halbjahr in einem dritten übergreifenden Projekt organisiert werden soll.

Das alles bedeutet für Herzog – und er kann seine Enttäuschung nicht wirklich gut verbergen –, dass er über zehn seiner Mitarbeiter nur fachliche, sozusagen „Projektaufsicht” hat und nicht deren disziplinarischer Vorgesetzter ist. Wie wird es ihm gelingen, sie zu motivieren? Wie kann er das gute Arbeitsklima, das unter Meister herrschte, erhalten und trotzdem bessere Leistungen aus den Leuten herausholen? Denn dass er hier erst mal durchgreifen muss, ist ihm völlig klar. Der Laden ist schon ziemlich verschlampt … Aber wie kann das gehen, wenn er weder Belohnungs- noch Sanktionsmöglichkeiten hat? Na ja, man wird sehen. Wenigstens zwei Leute hat er ja direkt unter sich. Die beiden Mädels wird er sich jetzt erst einmal vorknöpfen. Ansonsten wird er sehr klar und zunächst einmal direktiv vorgehen, damit die Leute gleich erkennen, wer hier der Chef ist. Er wird Grenzen setzen und Regeln einführen. Wenn die Leute nicht mitmachen, wird er sich eben an deren Vorgesetzte wenden.

Ein besonderer Dorn im Auge sind ihm die Kollegen aus der Pflege. Sie scheinen ihm nicht nur gesundheitlich angeschlagen, sondern auch sehr demotiviert und wenig belastbar zu sein. Da wird er sich etwas überlegen müssen.

Als weiteres großes und unerwartetes Konfliktfeld erweisen sich in den nächsten Wochen für den hoch motivierten Herzog die Auseinandersetzungen in der Dreieckskonstellation mit den Klinikabteilungsärzten, in einem Fall sogar mit der Klinikdirektion und den Pharmakonzernen.

Etliche Firmen beliefern die Kliniken der Stadt seit Jahren. Mit manchen gibt es Verträge, mit anderen (Meisters Nachlässigkeit sei Dank) keine. Einige, nein, fast alle würde Herzog gerne verändern: die Art der Verträge, die Produkte, die Mengen oder die Preise. Auch würde er gerne einige andere Firmen aufnehmen, mit denen er in der Apotheke seines Bruders gute Erfahrungen gemacht hatte.

Die Ärzte stellen sich quer: manche in höflich knapper Korrespondenz, manche mit aufgebrachten Anrufen.

•   „Sehr geehrter Kollege, ich und meine Abteilung bestehen weiter auf Produkt A, D und K. Wir wünschen keine Veränderungen der Produktpalette gegen unseren ärztlichen Rat. Mit freundlichem Gruß …”

•   „Dazu sind Sie hier nicht als Projektleitung angestellt! Sie haben hier nichts zu verändern!”

•   „Die Preise können Sie runterhandeln, wenn Sie das schaffen in der heutigen Marktsituation. Die Auswahl der Produkte aber treffen wir!”

•   „Sie haben die Medikamente nicht auszuwählen, sondern nur zu bestellen, einzukaufen quasi, abzurechnen, zu archivieren, bereitzuhalten und zu verteilen. Schauen Sie lieber zu, wie Sie das in den Griff bekommen. Wenn etwas verändert wird, dann nur über uns Ärzte.”

•   „Wenn Sie etwas Neues bestellen wollen, müssen Sie zuerst uns überzeugen!”

Herzog ist wütend und frustriert. Er möchte eine offene Diskussion dazu organisieren. Er hat so viele gute Ideen, könnte so vieles besser und günstiger beschaffen. Er hat so gute Kontakte und Erfahrung mit Medikamentengruppen und den verschiedenen Pharmafirmen.

Für die Verbandsmaterialien beispielsweise hätte er eine ganz andere Firma an der Hand, die wesentlich modernere Produkte im Angebot hat. Sie wäre, bei Großabnahme jedenfalls, deutlich günstiger als die jetzige Firma, von der man anscheinend schon seit Jahrzehnten bezieht.

Über den Vorschlag mit der „offenen Diskussion” lächeln die Mediziner nur. „Was soll das sein? Ringelpiez mit Anfassen oder was? Wir können unsere Zeit nicht für Plauderstunden vergeuden, lieber Herr Herzog”, informiert ihn der Chefarzt des größten Hauses. Er ist gar nicht mal unfreundlich, aber er und seine Kollegen sind an keinerlei Austausch und Diskussion über Neuerungen interessiert und im Übrigen zeitlich äußerst eingespannt. Herr Dr. Herzog muss tief durchatmen und sich an der Schreibtischstuhllehne festklammern.

„Lass dir Zeit”, rät ihm seine Frau. „Die werden deine Qualitäten schon noch erkennen, sich von dir beraten lassen. Du kennst doch die Mediziner, die brauchen immer eine Weile, bis sie jemanden akzeptieren.”

Als eines der größten Konfliktfelder entpuppt sich jedoch die Logistik in der Verteilung, vor allem wenn gewisse Medikamente sehr schnell, quasi unverzüglich in ein Haus geliefert werden müssen. Die Lieferungen an die drei Häuser in drei verschiedenen Stadtteilen sind in zwei Standards organisiert: einmal die wöchentlichen „Normalbestellungen” jeder Station in jedem Haus und dann die täglichen „Akutanforderungen”. Beide Prozessabläufe, das hat sich der Projektleiter vorgenommen, müssen verbessert werden. Er hat auch schon einige Ideen!

Aber Veränderungen sind schwierig, vor allem wenn nur einer sie für notwendig hält. Wenn die Beteiligten wenig offen und motiviert sind, es weder Anreize noch Einsicht in die Notwendigkeit gibt, sind sie fast nicht machbar. Nun, Herzog sieht das; er ist ein kluger Mann und er will sich Zeit lassen.

Unterdessen jedoch laufen das Telefon heiß und die E-Mails über: Stationen beschweren sich aufgeregt, wütende Ärzte rufen an, die Bereichsleitungen schicken, wie Herzog findet, unverschämte Mails: Nichts klappt! Es entstehen Streitereien, Konkurrenzen, Ablauffehler, Schlampereien, Verwechslungen, Ungenauigkeiten, winzige Pannen und Missverständnisse. Die Verstöße und Mängel im Arbeitsablauf vermehren sich in einem für Herzog kaum tragbaren Ausmaß. Nun ist er sowieso nicht gerade das, was man landläufig „fehlerfreundlich” nennt, aber jetzt wird er immer nervöser. Wie sind diese komplexen, jeden Tag anderen, unterschiedlichen Abläufe zu organisieren? Er hat noch keinen Plan.

Je nach Patientengut, akuten Fällen, großen Unfällen oder Epidemien müssen unterschiedliche Mengen und Arten von Medikamenten sehr kurzfristig verteilt oder zwischen den Häusern ausgetauscht werden, wenn sie im Lager nicht mehr vorrätig sind. Vor allem wenn Medikamente irgendwo ausgehen, trägt dies dem Projektleiter schwere Rügen und Beschwerden ein.

Mehr und mehr ärgert sich Herzog über die Kurzsichtigkeit, Nachlässigkeit, ja manchmal auch Unzuverlässigkeit seiner Mitarbeiter. Er versucht, ihnen ins Gewissen zu reden, zunächst mit Höflichkeit und Bitten. Aber schon bald merkt er, dass dies nichts bringt. Jetzt wird er harsch und unfreundlich, kurz angebunden, ja fast grob, und die Stimme zu laut. Er muss schließlich alle Fehler ausmerzen. Die Leute reagieren trotzig und ängstlich. Alle seine Interventionen scheinen nichts zu nutzen. Er baut Stress und Druck auf und spürt zugleich, wie sich die Mitarbeiter noch mehr verweigern. Die Krankheitsfälle nehmen zu, wodurch sich der Stresspegel für die anderen noch mehr erhöht. Frau Koch, eine der ehemaligen Mitarbeiterinnen aus der Pflege, beschwert sich bei ihrer Vorgesetzten und bittet als Erste um eine Versetzung aus dem Projekt. Dies wird nicht genehmigt.

Als Herzog eines Abends Frau Schneider sehr barsch die Anweisung gibt, sie müsse noch nach Dienstschluss ein Medikament in das Haus an der Neuburger Straße fahren, sagt sie ihm genauso kaltschnäuzig: „Wissen Sie was, Sie haben mir gar nichts zu sagen! Ich geh jetzt nach Hause!” Leider hat sie recht. Herzog hat keinerlei disziplinarische Mittel an der Hand.

Einige Tage später ist gerade wieder die Hölle los, nichts scheint zu funktionieren. Da kommen gleichzeitig zwei Mails an:

„Station 5, die Innere eines der Häuser, hat abgelaufenen Cholesterinsenker bekommen! Wie kann das sein? Wir werden uns bei der Klinikleitung beschweren! Haben Sie Ihre Leute nicht im Griff, Herr Herzog? So etwas darf nicht passieren! Was ist mit Ihrem Qualitätsmanagement? Möchten Sie, dass wir einen Prozess an den Hals kriegen?” Herzog fühlt sich wie ein Schuljunge.

Die zweite Mail liest sich etwas freundlicher: „Leider muss die aus der Verwaltung umbesetzte Kraft, Herr Bauer, ab morgen wegen Personalmangels wieder für drei bis vier Wochen in der Verwaltung im Haus in der Altdorferstraße tätig sein. Mit besten Grüßen …” Ausgerechnet dieser Kollege! Er ist im Projekt einer der wenigen zuverlässigen und auch hilfsbereiten Kräfte.

Alles läuft irgendwie schief, nicht im Sinne der Projektleitung. Herzog weiß nicht, was er ändern kann; er muss es hinnehmen. Er war so guten Mutes und optimistisch angetreten. Er fragt sich, wie wohl Meister das alles gemacht hat. Es lag zwar einiges im Argen, aber immerhin lief der Laden! Aber anrufen und um Rat fragen möchte er ihn doch nicht. Er will sich etwas überlegen, wie er die Leute mehr disziplinieren kann.

Außerdem müssen die Abläufe präziser geplant werden. Er wird die Prozessbeschreibungen neu überarbeiten. Schwierig sind nur die vielen, vielen unvorhergesehenen Abläufe und dass er als Projektleiter eigentlich fast immer die Hälfte des Tages mit Beschwerden und Fehlerkorrekturen beschäftigt ist. Vielleicht könnte er versuchen, zu dem EDV-Kollegen Fischer ein besseres Verhältnis zu bekommen. Er könnte ihm vielleicht zu einem strategischeren Prozessablauf verhelfen. Vielleicht würde er ihn doch mal auf ein Bier einladen …

1.3 Dr. Hunds Team im Kampf um den Arbeitsplatz

Dr. Franz Hund, Abteilungsleiter, kann stolz auf seine Truppe sein: Harry Henze und Timo Berger sind die absoluten Stars der Abteilung „FE II” (Forschung & Entwicklung II) eines Pharmakonzerns in einer deutschen Großstadt. Sie sind 29 und 30 Jahre alt und damit fast die jüngsten Mitglieder des zwölfköpfigen Teams. Inzwischen sind sie dicke Freunde. Beide haben ihr Abi mit 1,5 bestanden und brillante Studienabschlüsse mit Promotion, Harry in Biochemie und Timo in Pharmazie. Harry genießt sein Leben als Single, Timo hat seit drei Jahren eine feste Freundin, mit der er gerade eine Wohnung gekauft hat; bald möchten sie ein erstes Baby. Beide Kollegen sehen sehr gut aus und treten dynamisch auf. Sie sind kreativ, können gut kommunizieren und sind mit vier weiteren Kolleginnen und Kollegen die „High Potentials” der insgesamt hervorragenden Abteilung, die von Hund geleitet wird.

Hund ist Mediziner, 45 Jahre alt und bemüht, das Team partnerschaftlich und demokratisch zu führen. Er hat zwei Führungstrainings besucht, in denen er gelernt hat, auf die oft ein wenig exzentrischen Wissenschaftler seines Teams einzugehen, sie durch Eigenverantwortlichkeit zu motivieren und häufig, meist sehr positives, wohlformuliertes Feedback zu geben. Bei der Moderation kleinerer Konflikte und Unstimmigkeiten ist er gerne behilflich. Er besteht allerdings auf ein paar Grundprinzipien, zum Beispiel genaueste Arbeitszeitnachweise oder das Vier-Augen-Prinzip bei allen wichtigen Veröffentlichungen und Forschungsberichten. Ansonsten hält er sich weitgehend zurück und führt sehr liberal.

Jeder Kollege kann mit Fragen oder Schwierigkeiten zu ihm kommen, er hat für alle Anliegen ein offenes Ohr. Er ist ein „Integrator”, der sich sehr sicher ist, seine Sache gut zu machen. Seine Lieblingsmitarbeiter (er hat sie natürlich, auch wenn er es nie zugeben würde) sind sein alter Duzfreund Kurt Dankwart, der zwei Jahre nach ihm sein Medizinstudium abgeschlossen hat und den er vor ca. acht Jahren aus einer Klinik in seine Abteilung geholt hat. Außerdem ist da die reizende Frau Dr. Vogel, Biochemikerin aus den neuen Bundesländern, mit der er öfter ein wenig flirtet. Sie ist, so seine Einschätzung, die fleißigste, zuverlässigste und unkomplizierteste Mitarbeiterin seines Teams. Auch Bruno Bark schätzt er sehr. Der langjährige Kollege konnte über die Jahre die größten Forschungserfolge für die Abteilung einfahren. Dr. Timo Berger, „der Neue” mit der angenehmen Stimme, ist Hund ebenfalls sehr sympathisch. Er ist – wie er selbst – leidenschaftlicher Hobbypianist. Hund liebt Musik; „Musiker sind die besseren Menschen”, pflegt er zu sagen.

Hund braucht wenig anzutreiben, zu kontrollieren oder zu kritisieren. Das übernimmt das ehrgeizige Team alles in lockerem, teilweise etwas flapsigem Ton selbst untereinander. Man duzt sich und geht zweimal im Monat zum gemeinsamen Squashspiel ins angrenzende Sportzentrum. Es herrscht Frohsinn. Gerne grenzt man sich von „FE I” ab.

Das Abteilungsteam „FE II” ist auch altersmäßig günstig aufgestellt. Die Kolleginnen und Kollegen sind zwischen 28 und 52 Jahre alt, eine Praktikantin mit 24 ist auch dabei. Mit 28 Jahren ist Frau Maus, eine medizinisch-technische Assistentin, die jüngste feste Mitarbeiterin. Sie ist bereits seit sechs Jahren als Quereinsteigerin im Konzern. Obwohl sie angeblich einen festen Freund hat, ist sie seit einigen Monaten – natürlich heimlich – in Harry Henze verliebt. Das älteste Teammitglied ist Frau Wal. Sie ist seit 18 Jahren in Teilzeit als Teamassistentin beschäftigt. Der Rest des Teams setzt sich aus Pharmazeuten, Ärzten, Chemikern und Biologen zusammen. Sie sind zwischen 30 und 49 Jahre alt. Die meisten haben Wohneigentum und Familien. Wegen sehr guter Bezahlung in dieser Firma, des angenehmen Arbeitsklimas und der guten Erfolge und Profilierungsmöglichkeiten in „FE II” sind die meisten seit mehreren Jahren in der Abteilung. Es gibt wenig Fluktuation.

Eines Tages jedoch beginnt sich der über dem Hexenkessel der Pharmaforschungsküche entstehende Qualm zu verdichten. Normalerweise verflüchtigt sich der Dampf nach getaner Arbeit, löst sich auf und gibt einen strahlenden Sternenhimmel frei, aus dem oft wahre Kometen aufgehen und an dem höchstens einige rosa Wölkchen schweben. (Wir erinnern uns an Hunds Flirt-Bemühungen und den umwerfenden Charme von Harry Henze.) Diesmal werden fette Wolken daraus. Erst kleine Fetzen, Gerüchte sozusagen, die sich aber relativ schnell zu dicken Gewitterwolken über der ganzen Firma zusammenballen – so auch über „FE II”.

Personal-Hauptversammlung im großen Festsaal der Firmenzentrale zu Beginn des Jahres: Die 234 Mitarbeiter der insgesamt 14 Abteilungen im Hause, die Führungskräfte und sogar die Praktikanten, Azubis und Trainees sind eingeladen. Wie jedes Jahr tritt die oberste Geschäftsführung vor die Kollegen und spricht mit ernster Stimme über die Marktsituation, die Jahresergebnisse, Bilanzen und Verkaufszahlen sowie die Eckpfeiler der neuen Strategie. Immer nachdrücklicher und ernster wird die Stimme des Vorstandsvorsitzenden, immer atemloser wird die Stille.

Nach eindreiviertel Stunden kommt als letzter Punkt der Präsentation „Ausblick, Maßnahmen und Pläne für das kommende Jahr”. Zwar würden noch schwarze Zahlen geschrieben, zwar gehe es der Firma noch gut, aber der Markt entwickle sich bedenklich. Die Gewinne seien in diesem Jahr bereits empfindlich zurückgegangen. Um vorausschauend und strategisch klug zu planen, seien empfindliche Einsparungen in allen Bereichen unumgänglich. Die genaue Größenordnung, in der jede Unternehmenseinheit betroffen sei, werde noch bekannt gegeben. Sicher sei aber bereits jetzt, dass jeder weniger Reisen, weniger Fortbildungen sowie eine Reduktion der Sondervergütungen und Erfolgsprämien in Kauf nehmen müsse. In einigen Abteilungen werde es eine notwendige Anpassung des Stammpersonals geben.

Ein Raunen geht durch die völlig perplexe Mitarbeiterschaft. Entlassungen? Wie kann das sein? Die Firma steht doch gut da! Der gute Name! Es sind doch noch keine Verluste entstanden! Wieso bekommen wir keine Hilfe vom Mutterkonzern, wo wir doch die letzten Jahre einer der erfolgreichsten Standorte in Europa waren? Was soll so eine Firmenpolitik? Wer trifft diese Entscheidungen? Wieso wehrt sich die Geschäftsführung da nicht? Und, und, und …

Die Geschäftsführung bittet um Ruhe. „Meine verehrten Damen und Herren, es ist ja alles noch überhaupt nicht sicher! Was den Personalabbau betrifft, wird man versuchen, sehr sozialverträglich vorzugehen. Und auch erst frühestens in der zweiten Jahreshälfte. Betroffen wären lediglich Abteilungen mit Personalüberhang und zu maximal 15 Prozent. Die momentane Abteilungsstruktur wird vorläufig beibehalten werden. Marketing und Vertrieb werden überhaupt nicht betroffen sein.” Die Kollegen fühlen sich wie erschlagen, je nach Temperament deprimiert oder wütend.

Schon am nächsten Morgen fühlt sich alles anders an. Zunächst rücken noch alle zusammen: „Uns wird es schon nicht treffen! Die wären ja verrückt, den Ast abzusägen, auf dem sie sitzen. Ohne neueste Produkte aus der Forschung und Entwicklung kann das Unternehmen einpacken! Wir halten zusammen!” Oder doch nicht? Schon bald mischen sich seltsame Töne in die ersten gegenseitigen Solidaritätsbekundungen: „15 Prozent aus unserer kleinen Abteilung? Das heißt, vielleicht ein bis zwei müssen gehen! Aber wer ist verzichtbar? Ich doch sicher nicht, aber vielleicht …? Wie durch ein Erdbeben ist das Teamsystem von „FE II” erheblich erschüttert. Der einst so freundliche, ja herzliche, wenn auch zwischen den Männern manchmal etwas ruppige Umgangston ist verändert. Man spricht schon bald nicht nur weniger, sondern der Ton ist auch kälter, um Sachlichkeit bemüht. Kritische Äußerungen klingen auf einmal nicht mehr hilfreich, sondern schneidend, hämisch, verletzend.

Mehr und mehr bemerkt man Fehler in der Arbeitsweise des Kollegen, genießt kleine Misserfolge des anderen. Man ist weniger kooperativ und hilfsbereit. Argwöhnisch wird beobachtet, wer welche Aufgaben bekommt. Methodenfragen werden zu echten Konflikten, ebenso andere Bagatellen – ein verlegter Brief zum Beispiel, ein leicht verspäteter Bericht, und schon bricht ein manchmal lautstarker, manchmal zynisch scharfer Streit aus. Vereinzelt will man sich sogar beim Chef über Kollegen X oder Kollegin Y beschweren. Wenn dieser einen ins Büro ruft, ist man nicht mehr stolz und erfreut, sondern hat ein mulmiges Gefühl im Bauch und in den Knien Pudding. Die Stunde der „Günstlinge” scheint gekommen. Sie versuchen, beim Chef ihre Chancen zu nutzen. Frau Vogel erscheint im neuen Kostüm mit Minirock. (Die lässt wohl keine Waffe aus, wie?)

Hund, dessen Stelle ja nun wirklich sicher ist, scheint völlig mitgenommen und angeschlagen. Der einst strahlend überlegene und souveräne Vorgesetzte wirkt kränklich, gealtert, nervös, hilflos. Das macht manche leicht schadenfroh, andere ärgerlich, einige fühlen sich extrem verunsichert. Gerüchte entstehen. Die Meinung über den eigentlich so beliebten Chef gerät ins Wanken: „So wie der zurzeit auftritt, müssen bei uns sicher drei Leute gehen! Jetzt müsste er mal zeigen, was er draufhat, und für uns einstehen. Er ist einfach nicht Kerl genug, tritt auf wie ein Schlaffi.”