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Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek
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ISBN 978-3-86962-146-3

E-Book (PDF):

ISBN 978-3-86962-147-0

E-Book (EPUB):

ISBN 978-3-86962-148-7

ISSN 1863-7825

REDAKTION: Kati Trinkner und Judith Schächterle
UMSCHLAGGESTALTUNG: Claudia Ott, Düsseldorf
SATZ: Herbert von Halem Verlag

Bernhard Pörksen / Andreas Narr (Hrsg.)

Die Idee des Mediums

Reden zur Zukunft des Journalismus

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Frank Schirrmacher gewidmet
(1959 - 2014)

Inhaltsverzeichnis

Die fatale Stille.
Die Geistes- und Sozialwissenschaften brauchen die
Qualitätsmedien – aber setzen sich nicht ausreichend für sie ein.
Ein Vorwort.
VON BERNHARD PÖRKSEN

ULRICH DEPPENDORF
Die gnadenlose Republik.
Das Verhältnis von Journalismus und Politik

MATHIAS DÖPFNER
Abschied vom Pessimismus.
Warum der Journalismus von der
digitalen Revolution profitiert

HANS LEYENDECKER
Die Zukunft der Enthüllung.
Wut, Macht, Medien – Wo bleibt die Aufklärung?

GIOVANNI DI LORENZO
Vierte Gewalt oder fiese Gewalt?
Die Macht der Medien in Deutschland

MIRIAM MECKEL
Die Glühlampen des Netzzeitalters.
Journalismus: die Zukunft eines lebhaft totgesagten Berufs

FRANK SCHIRRMACHER
Die Idee der Zeitung.
Wie die digitale Welt den Journalismus revolutioniert

CORDT SCHNIBBEN
Breaking News.
Aus der Kritik an der Zeitung eine Zeitung machen

ALICE SCHWARZER
Eine Frage der Haltung.
Plädoyer für einen Journalismus aus Leidenschaft

ROGER WILLEMSEN
Das blinde Medium.
Rede zur Lage des Fernsehens

Gedanken zu einem Experiment.
Die Tübinger Mediendozentur. Ein Nachwort
VON ANDREAS NARR

Quellen und Entstehungskontext

Bildnachweise

Die fatale Stille.
Die Geistes- und Sozialwissenschaften brauchen die Qualitätsmedien – aber setzen sich nicht ausreichend für sie ein.
Ein Vorwort.

Von Bernhard Pörksen

Es war ein Machtkampf, der klare Fronten kannte, Gut und Böse. Auf der einen Seite, der Seite des Geistes: die Verlegerwitwe Ulla Unseld-Berkéwicz, Schriftstellerin und Leiterin des Suhrkamp-Verlages. Auf der anderen Seite, der Seite des Geldes: Suhrkamp-Miteigentümer Hans Barlach, der ihre Ablösung wollte. Und irgendwo zwischen diesen beiden Fronten dann die plötzlich bedrängt und bedroht wirkende Lebenswelt der Autoren und Schriftsteller des Verlages, die sich mit der Seite des Geistes solidarisierten. Hans Magnus Enzensberger drohte in der Schlüsselphase der Streitigkeiten mit seinem Weggang, sollte Hans Barlach zum Geschäftsführer werden, Alexander Kluge und viele andere ergriffen Partei; Peter Handke bot 100.000 Euro an und appellierte an die Solidarität der Leser, auch Geld zu geben, damit der »böse Mann« wieder verschwinden würde. Hier hat, so muss man konstatieren, die Ad-hoc-Mobilisierung der Intellektuellen zum Schutz des kulturellen Kapitals funktioniert. Der Ausgang des Machtkampfes wurde im Dezember 2014 höchstrichterlich bzw. durch das Bundesverfassungsgericht entschieden – Suhrkamp wurde zu einer Aktiengesellschaft, was die weitgehende Entmachtung des Minderheitengesellschafters Hans Barlach ermöglichte, seine Kontrahentin Ulla Unseld-Berkéwicz gab den Wechsel in den Aufsichtsrat des Verlages bekannt, die Unternehmerfamilie Ströher kam als Neu-Aktionär hinzu und ließ nicht den geringsten Zweifel daran, dass man sich in diesem Zwei-Fronten-Kampf im Zweifel klar auf der Seite des Geistes positionieren würde. Was war, was ist die zentrale Botschaft der Suhrkamp-Soap, die über Jahre hinweg das Feuilleton der Republik elektrisierte? Die Antwort lautet: Es gibt irgendwo da draußen im intellektuellen Universum eine publizistische Plattform, ein auratisches Zentrum des Denkens und Schreibens, für dessen Erhalt es sich zu kämpfen lohnt.

Wie anders ist hingegen die Situation, wenn man sich die Wortmeldungen zur Krise der Qualitätszeitungen vergegenwärtigt. Hier schreiben und debattieren Journalisten wesentlich über sich selbst, begleitet von den Hohn- und Spottgesängen einzelner Social-Media-Berater, für die das Medium als ewig gestrig gilt. Hier stößt man auf einen modernisierungshungrigen Opportunismus, der das gesamte Gewerbe (»Print ist tot«) leichtfertig verloren gibt und entdeckt Prognostiker und Propheten, die sich mit exakten Todesdaten zum Ableben der Zeitung wichtig machen – ein nekrophiles Hobby eigener Art, wissenschaftlich vollkommen unseriös, aber medial ziemlich erfolgreich. Natürlich, so muss man gleich hinzufügen, gibt es eine schleichende, primär ökonomisch begründete Krise des Gedruckten. Es ist alles andere als klar, wie das klassische Geschäftsmodell des Print- und Qualitätsjournalismus zukünftig aussehen wird. Weil lukrative Werbeetats in Richtung der Digital-Monopolisten umgeschichtet werden und ganze Anzeigenmärkte ins Netz abwandern, die sich nicht mehr zurückgewinnen lassen. Weil Konjunkturzyklen in der neuen Situation in brutaler Unmittelbarkeit auf die Erlöse durchschlagen und mancher Verleger Rücklagen leichtfertig verpulvert hat oder seine Redaktion mit übertriebenen Renditeerwartungen, die aus einer anderen Epoche stammen, kaputt spart. Weil die Leser älter werden und irgendwann wegsterben und das Netz für viele zur primären (und weitgehend kostenlosen) Informationsquelle wird. Weil die Auswertung von Klickzahlen im Online-Sektor eine weitere Welle der Boulevardisierung forciert, bekommt man doch hier in einer kalten, klaren Währung geliefert, was die große Zahl wirklich interessiert. Und weil, ganz grundsätzlich gesprochen, die endgültige Antwort auf die 1-Million-Euro-Frage der professionellen Publizistik noch immer nicht wirklich gefunden ist, die da heißt: Wie lässt sich Qualität refinanzieren? Wie schafft man einen Ausgleich zwischen ökonomischem Erfolg und publizistischen Idealen? Wie löst man die Spannung zwischen ökonomischem Kalkül und Sozialverantwortung, die den erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstandenen redaktionellen Journalismus seit Anbeginn regiert, aber die sich nun entscheidend verschärft? Und was macht das eigene Medium unverwechselbar, wenn die exklusive Nachricht im Moment ihres Erscheinens längst auf Tablets und Smartphones gelesen wurde?

Es gilt, auch dies gehört zu einer einigermaßen umfassenden Situationsskizze, sich klar zu machen, dass eine Zeitung, die in den Sog der Digitalisierung gerät und damit in einen »neuen Aggregatzustand« (so der Schriftsteller Peter Glaser) überführt wird, nicht mehr als Materialbündel taugt, weil herkömmliche, traditionelle Materialverbindungen blitzschnell aufgesprengt werden können und auf einmal alles teilbar, kombinierbar, transferierbar wird. Eine solche, einmal digitalisierte Zeitung stellt dann kein festes, ein für allemal geschnürtes Paket dar, das man einfach am Morgen, kurz bevor es hell wird und der Tag kommt, über den Frühstückstischen der Republik abwerfen kann, sondern die Zeitung im Netz verwandelt sich in ein individuelles Kombinationsprodukt – aus Empfehlungen, privat-persönlichen Interessen, Einzel-Artikeln, Kultur-Atomen, wie Peter Glaser sagen würde. Diese Möglichkeit zur rasanten Entbündelung und permanenten Transformation ist natürlich eine grandios gute Nachricht für Leserinnen und Leser, die sich ihre Privatzeitung und ihr ganz persönliches Artikelpaket zusammenstellen können. Aber sie stellt traditionelle Verlagshäuser, die ihr Angebot stets im Paket verkaufen müssen, doch vor ein Dilemma. Sie müssen sich fragen: Wie stärkt man in solchen Zeiten Bindekräfte und schafft kompakte Einzigartigkeit? Wie erzeugt man – ohne die Möglichkeit autoritärer Steuerung – die ökonomisch existenziell notwendige Aufmerksamkeit für das Gesamtprodukt? Wie schafft man in Zeiten der rasanten Atomisierung von Kulturinhalten zumindest noch ein Bündelgefühl für das eigene journalistische Angebot und die eigene Medienmarke?

Noch fehlt eine klar konturierte, gleichermaßen ökonomisch erfolgreiche und publizistisch gehaltvolle Antwort – und Fakt ist: Deutsche Tageszeitungen haben in den letzten zehn Jahren Millionen von Käufern verloren, diverse Magazine sind vom Markt verschwunden oder ächzen unter der Anzeigenflaute. Es fehlt in vielen Redaktionen an Geld für investigative Geschichten und aufwendige Recherchen. Einzelne Medienhäuser haben ihre Volontärsausbildung eingestellt, ihre Lehrredaktionen aufgegeben, die Gehälter der Volontäre und Jung-Journalisten gekürzt. Nur noch die Hälfte aller freien Journalisten, eine zweifellos besonders gebeutelte Gruppe, kann, so lauten gut begründete Schätzungen, überhaupt von dem eigenen Einkommen leben. Die Folge: Es entsteht ein journalistisches Prekariat, das sich von Job zu Job hangelt. Diese Prekariatsangehörigen sind oft auf die Querfinanzierung des eigenes Berufs und der eigenen Berufung angewiesen und sehen sich in die Situation des armen Poeten abgedrängt: Sie verfolgen eine Leidenschaft, von der es sich nur noch mehr schlecht als recht leben lässt. Und, auch dies gehört zur Lagebeschreibung: Manche Arbeitsämter raten von dem Berufswunsch Printjournalist inzwischen offensiv ab. Als Traumjob gilt heute bei vielen Studierenden der einschlägigen Fächer die Tätigkeit in der Werbung oder in einer PR-Agentur.

Und doch ist die schon so oft und in einer solchen Penetranz vorgetragene Rede vom Untergang der Printmedien falsch und letztlich gefährlich, denn sie kann sich in eine sich selbst erfüllende Prophezeiung verwandeln: Irgendwann sind die Zeitungen vielleicht wirklich am Ende, und dies nicht, weil irgendein aufgeregter Trendspezialist in seinem Büro eine Glaskugel hat, mit der er in die Zukunft blicken kann, sondern womöglich einfach deshalb, weil man sie mit einer solchen Energie ins Grab geredet hat. Das bedeutet in der Konsequenz: Man darf die Debatte über das Wesen und den Wert des Gedruckten nicht allein den so selbstbewusst formulierenden Apokalyptikern (mit ihren eigenen, oft ökonomischen Interessen) überlassen. Es gilt, sie breiter zu führen, sie aus der rein ökonomischen Umklammerung zu befreien, auch weil ein wacher, ein aufwendig recherchierter Journalismus, der orientiert und inspiriert, der kritisiert und kontrolliert, längst offensiv verteidigt werden muss.

Man kann es nur wiederholen: Der selbstreflexive Negativismus der Zeitungsbranche hat ein Ausmaß erreicht, das die Stimmung vergiftet – und bei aller berechtigten Krisenrhetorik doch vergessen lässt: Journalismus ist ein Beruf, den man auch kaputt reden kann. Und gerade jetzt, in diesem besonderen geschichtlichen Moment gilt es, das große Gespräch über die Zukunft der Zeitung und den Qualitätsjournalismus anzuzetteln, weil mehr auf dem Spiel steht, geht es doch um die Bedeutung und den Wert unabhängiger Gesellschaftsbeobachtung insgesamt. Gewiss ist dies alles keine einfache Gleichung – nach dem Motto: zuerst die Zeitungskrise, dann das Ende des Journalismus, schließlich der Niedergang der Demokratie. Und doch steht auch die Öffentlichkeit vor der Frage: Was will sie für eine qualifizierte Publizistik bezahlen? Was ist der Preis glaubwürdiger, unbedingt verlässlicher Information? Und welchen Wert hat geistige Arbeit generell und unabhängig von der Plattform ihrer Veröffentlichung in dieser Gesellschaft? Was darf, was muss sie kosten?

In dieser Situation ist es fatal, dass eine normative, groß angelegte Debatte über das Wesen und den Wert des Gedruckten fehlt. Die wenigen Einsprüche und Essays von Nicht-Journalisten – man denke nur an den gewichtigen demokratie- und medientheoretisch argumentierenden Aufsatz von Jürgen Habermas von 2007 (Keine Demokratie kann sich das leisten) – liegen zumeist schon Jahre zurück. Man entdeckt keine Solidaritätsadressen in Richtung der gebeutelten Zeitungen und Qualitätsblätter. Und es fehlt die massive Intervention der Geistes- und Sozialwissenschaften, die sich eigentlich schon aus reinem Eigeninteresse zuschalten müssten, waren und sind es doch die großen Zeitungen, die ihre Arbeit kritisch begleitet, aber auch verteidigt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht haben. Die schlichte Formel, auf die sich die aktuelle Situation bringen lässt: Vielen Qualitätsblättern des Landes geht es nicht gut. Und die akademische Intelligenz beobachtet – sieht man von einem Häuflein von Medienwissenschaftlern und einem festen Kern von Engagierten einmal ab – weitgehend gleichgültig ihr Ringen um Auflage, Erlöse, neue Geschäftsmodelle. Man reagiert auf die Krisenzeit des Printgewerbes mit Ignoranz, geleitet von einem wissenschaftsintern zur Tugend der Distanzwahrung verklärten Programm entschiedener Nichteinmischung.

Dabei ist die Lage tatsächlich ernst. Im Jahre 2012 meldete die Bundesagentur für Arbeit die größte Entlassungswelle in der Presse seit Kriegsende. 2012 ist die Financial Times Deutschland vom Markt verschwunden, die Frankfurter Rundschau in die Insolvenz gerutscht, 420 Mitarbeiter verloren ihren Job. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat Millionenverluste gemacht, die Süddeutsche Zeitung faktisch einen Einstellungsstopp verhängt, der Spiegel einen Sparkurs annonciert, der Freitag Stellenstreichungen angekündigt. Qualitätsblätter haben inzwischen fast ausnahmslos einen Anzeigenrückgang zu verzeichnen, der die Erlössituation (Zeitungen finanzierten sich traditionell bis zu zwei Dritteln über Anzeigen) schwieriger macht. Noch ist nicht absehbar, in welchem Maße die verschiedenen Paid-Content-Modelle und die Investitionen in Nebengeschäfte (Bücher, Kongresse, Reisen, gewinnträchtige Spezial-Portale etc.) greifen, die viele Verlage getätigt haben. Das heißt: Irgendwo da draußen geraten Organisationszentren der Debatte und des intellektuellen Diskurses unter Druck – und diejenigen in den Universitäten, die das Zeitungsmilieu als Reflexionsinstanz, Korrektiv und Widerpart brauchen und seit Jahrzehnten von seiner intellektuellen Energie profitieren, schauen zu und halten sich zurück. Ganz so, als gäbe es im digitalen Universum und auf ein paar Rezensionsportalen noch einmal eine vergleichsweise herausfordernde Parallelwelt und als würden die eigenen Bücher und Einfälle übermorgen dann notfalls eben auch bei RTL II besprochen und gespiegelt.

Es ist keine kulturkonservative Nostalgie, kein wohlfeiler Pessimismus, wenn man feststellt, dass es Zeitungen, Zeitschriften und das lange intensiv mit ihnen verbundene universitäre Milieu waren, die die großen Debatten der Republik vom Historikerstreit bis zu Thilo Sarrazin oder den Fieberträumen der Robotik angezettelt haben. Und es ist einfach eine bedauerliche Tatsache, dass im Netz – diesem großartigen, so ungeheuer plastischen Medium der blitzschnellen Kommunikation und barrierefreien Partizipation – bislang keine vergleichbaren Diskurszentren entstanden sind, die mit dieser besonderen Mischung aus Schärfe und Entschiedenheit intellektuelles Agenda-Setting betreiben könnten. Woran liegt das, was könnten die Ursachen sein? Zum einen sind die neu gegründeten Debatten- und Diskursportale noch nicht ausreichend etabliert und finanziert, allen Versuchen in Richtung Crowdsourcing und Community-Building zum Trotz. Zum anderen ist der Kulturbegriff der Online-Medien sehr viel stärker ereignisgesteuert und nachrichtengetrieben, also von der unmittelbaren Aktualität des Augenblicks bestimmt. Und schließlich lässt das Netz (und da zeigt sich die formierende Kraft des Mediums) das Denken und Schreiben selbst als einen fortwährend pulsierenden Prozess erscheinen, als ein ewig unabgeschlossenes Geschehen, das dem unvermeidlich etwas autoritären Pathos einer Groß-Debatte (»das ist es, was nun besprochen gehört!«) entgegen steht. Debatten nämlich brauchen Fixpunkte, dramaturgische Arrangements, sie leben von der großen, zentrierenden Geste und der offensiven, risikobereiten Komposition. Und sie setzen institutionalisierte Reflexionszonen voraus, in denen sie entwickelt und bis zur endgültigen, resonanzfähigen Diskursreife zugespitzt werden können.

Wie aber kann es sein, dass die akademische Intelligenz diese Voraussetzungen kaum zum Thema macht, sich nicht für die Ökonomie der Qualität interessiert? Es gibt bei der Beantwortung dieser Frage keine Gewissheiten, nur Vermutungen. Denkbar ist, dass man sich universitätsintern in eine neue Hermetik hinein reformiert hat und systematisch Karrieremodelle begünstigt, die eine allmähliche Abschottung und Schließung des Systems bedingen. Die Autorenexistenz in Gestalt des reizbaren Intellektuellen mit einem »avantgardistischen Spürsinn für Relevanzen« (Jürgen Habermas) wird jedenfalls auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften zunehmend von der Indikatorenexistenz verdrängt, deren Produktivität sich scheinbar präzise bis zur dritten Nachkommastelle messen lässt. Es ist der Typus des Wissenschaftsmanagers, der mit enormen Drittmitteleinwerbungen, zahlreichen Forschungsprojekten und Spezialaufsätzen punktet, aber gewiss nicht mit öffentlichen Interventionen, dem Essay, dem eigenen durchgeschriebenen Werk für ein größeres Publikum, der Monografie des Individualisten. Vielleicht ist das unsichtbare Band zwischen den Zeitungen und dem universitären Milieu auch deshalb bedroht, weil sich auch die Geistes- und Sozialwissenschaften zunehmend an den Exaktheitsritualen der naturwissenschaftlichen Forschung orientieren – auch dies ein Trend, der die Lust an der essayistischen Zuspitzung und dem ungesicherten, im besten Sinne gewagten Denken nicht gerade fördert. Aber wer vermag all dies schon mit letzter Sicherheit zu sagen? Schweigen ist interpretationsoffen und semantisch diffus. Schweigen kann alles bedeuten und nichts. Und es besitzt keine mobilisierende Kraft, die den Diskurs weitertragen, ihm Präzision und klärende Schärfe geben könnte. Aber Schweigen ist, so sehr und so quälend es sich auch dehnen mag, in aller Regel eine Phase des Übergangs, ein manchmal womöglich endlos erscheinender, aber eben doch auch wieder endender Moment der ziemlich unproduktiven, uneindeutigen Kommunikation bzw. Kommunikationsverweigerung. Irgendwann setzt das Gespräch wieder ein, weil es einen Anlass zur Fortsetzung und Wiederaufnahme findet; manchmal genügt schon ein Anstoß, eine Inspiration im richtigen Augenblick.

Vielleicht eine persönliche Bemerkung zum Schluss, ein Wort des Dankes in eigener Sache: Im Jahre 2004 haben der SWR (Andreas Narr), die Tübinger Medienwissenschaft (Manfred Muckenhaupt) und das Rektorat der Universität die Tübinger Mediendozentur ins Werk gesetzt – lange bevor ich selbst zum Team der Organisatoren hinzu gekommen bin. Dies war der Versuch, die fatale Stille im akademischen Milieu ein wenig aufzustören, die Debatte über den aktuellen Medienwandel zu befeuern und dem jeweiligen Dozenten, begleitet von medienwissenschaftlichen Seminaren, eine Plattform für die öffentliche Intervention zu bieten – ein Kooperationskonzept von Universität, Medienwissenschaft und öffentlich-rechtlichem Rundfunk, das inzwischen auch an anderen Orten aufgegriffen wird und seine Nachahmer gefunden hat. Inzwischen, mehr als ein Jahrzehnt später, gehört die Mediendozentur zu den Höhepunkten des akademischen Jahres. Bis zu 1.000 Zuhörer kommen alljährlich zu den Vorträgen in den Festsaal, debattieren beim anschließenden Empfang des Rektors, befragt und interviewt von Studierenden der Medienwissenschaft, die eigene Radiobeiträge über dieses Ereignis produzieren und traditionell einen Film drehen. Entstanden ist so, Schritt für Schritt, eine eigene, kleine, aber eben doch vorhandene Diskursplattform, die nicht nur aus einem einzelnen Vortrag eines bekannten Medienmachers besteht, sondern sich in vielfältigen kommunikativen Verästelungen zeigt, in Anfragen und Artikeln, in Seminargesprächen und manchmal auch in kontroversen Debatten über Skandale und Affären, die Marktmacht von Google oder das Verhältnis von Journalismus und Politik.

Nun liegt mit diesem Buch eine erste Sammlung von Vorträgen und Mitschriften, die ihm Umfeld der Tübinger Mediendozentur entstanden sind, als eigene Veröffentlichung vor. Entscheidend gefördert wurde diese vom Universitätsbund Tübingen und der Kreissparkasse Tübingen. Zu danken ist dem Rektor Bernd Engler für seine stete Unterstützung all der Veranstaltungen, die zu diesem Buch geführt haben. Zu danken ist schließlich Ulrich Deppendorf, Mathias Döpfner, Hans Leyendecker, Giovanni di Lorenzo, Miriam Meckel, Cordt Schnibben, Alice Schwarzer und Roger Willemsen für ihre Vorträge und Beiträge und ihre Bereitschaft zur Debatte mit den Studierenden an langen Abenden im Umfeld der Tübinger Wurstküche, von deren Mahlzeiten man problemlos eine Woche lang zehren kann. Gewidmet ist dieser Band dem Andenken an Frank Schirrmacher, Inhaber der Tübinger Mediendozentur im Jahre 2011, auch er mit einem eigenen Beitrag in diesem Band vertreten. Er steht wie kaum ein anderer für die Verbindung von universitärem Milieu und publizistischer Praxis, die heute, in einer Phase des dramatischen Medienwandels, neu begründet werden muss.

Bernhard Pörksen

Tübingen, im März 2015

Ulrich Deppendorf

Die gnadenlose Republik.
Das Verhältnis von Journalismus und Politik

Es war der 4. Januar 2012 um 9:58 Uhr. Meine Sekretärin stellte mir den Anruf der Pressechefin des Bundespräsidenten durch. Der Herr Bundespräsident wolle jetzt doch auf das Angebot von ARD und ZDF zurückkommen, ein Interview über die seit Monaten schwelenden Vorwürfe gegen ihn zu führen. Wochenlang hatten alle Fernsehsender in Deutschland immer wieder um ein Interview mit Christian Wulff gebeten, stets war es abgelehnt worden. Die Vorgänge um den Bundespräsidenten und der politische und mediale Druck auf ihn führten schließlich zu der Erkenntnis der Berater: Ein Befreiungsschlag müsse her, Wulff müsse wieder die Oberhand gewinnen. Er hatte – wie er selbst fühlte und noch vor der Aufzeichnung des Gesprächs eingestand – nur noch die Wahl: Interview oder Rücktritt. Er und die Mehrzahl der Berater entschieden sich für das Interview. Als Bettina Schausten und ich den Präsidenten dann interviewten, war das ein absolutes Novum im Verhältnis von Journalismus und Politik: Zum ersten Mal wurde das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland über eine möglicherweise unzulässige, strafrechtlich relevante Verquickung dienstlicher und privater Vorgänge befragt. Der Verdacht einer möglichen Bestechlichkeit des Bundespräsidenten lag über dem Interview. Es war der Höhepunkt einer monatelangen kritischen Berichterstattung über den Präsidenten. War es der Höhepunkt der gnadenlosen Republik, der kritischste Punkt im Verhältnis von Journalismus und Politik?

Zumindest hat das Interview sowohl das Publikum als auch das Pressekorps in Berlin und anderswo gespalten. Für die einen waren Bettina Schausten und ich zu lieb zum Präsidenten, hätten ihn noch mehr in die Enge treiben, ihn bloßstellen sollen, für die anderen haben wir genau das getan, waren ungebührlich frech zu einem Staatsoberhaupt, schlimmste Boulevard-Journalisten. Wenn das Publikum sich derart spaltet, dann müssen wir ein paar Dinge richtig gemacht, die richtige Mischung gefunden haben. Elf Millionen haben zugeschaut. Der Rekord für ein politisches Interview.

Ein Jahr danach stellen sich viele die Frage, ob Christian Wulff nicht ein Opfer der Medien, das Opfer einer gnadenlosen Jagd auf den Präsidenten und sein engeres Umfeld durch die Journalistenmeute in Berlin, Hamburg, Frankfurt und München geworden ist.

Christian Wulff war der Überraschungskandidat der Kanzlerin zur Wahl des Bundespräsidenten. Viele Journalisten und Politiker hätten schon damals lieber Joachim Gauck im Schloss Bellevue gesehen. In den zahlreichen Hintergrundkreisen und Hintergrundgesprächen im Raumschiff Berlin, dem exterritorialen Gebiet in der Hauptstadt zwischen Reichstag und Gendarmenmarkt, war das das Thema. Allein zehn Stunden dauerte seine Wahl, auch das ein Rekord.

Mit Christian Wulff zog ein Politiker ins Schloss Bellevue, der aus der Provinz kam, aber auch bestens vernetzt war im Berliner politischen Geschäft. Ein Emporkömmling, der in seiner Laufbahn die Nähe zur Boulevard-Presse gesucht hatte. Wulff hatte sich in Hannover der Bild-Zeitung ausgeliefert, sie hatte ihn großgeschrieben, sie hatte geradezu rührend über die Trennung von seiner ersten Frau und über seine neue Liebe geschrieben. Wulff ist mit Bild im Fahrstuhl hochgefahren und mit Bild auch wieder hinunter. Als Wulff in Berlin begann, auch mit anderen Organen exklusive Interviews zu führen, da begann der Bruch. Da begann auch der Druck der Bild-Zeitung.

Zu Beginn der Präsidenten-Krise, als es zunächst nur um den Kredit des mit Wulff befreundeten Ehepaares Geerkens zum Erwerb für das dann wohl berühmteste Einfamilienhaus in Deutschland ging, hat Wulff noch mit Journalisten kooperiert. Sein Pressesprecher gewährte Einblick in die Darlehensunterlagen, später konnten Journalisten weitere Unterlagen in der Anwaltskanzlei einsehen. Es nützte nichts. Der Druck der Medien wurde immer größer, die Schlagzeilen immer heftiger, die redaktionelle Zuspitzung in den Überschriften immer gröber, die Vorwürfe zum Teil immer lächerlicher oder auch bösartiger. Als ein Bobby-Car im Schloss Bellevue auch noch als weiterer Beweis für eine mögliche Bestechlichkeit angesehen wurde, da war die Grenze einer seriösen Berichterstattung überschritten. Es gab nur noch ganz wenige journalistische Verteidiger des Präsidenten. Die neue Welt der Online-Angebote und des Online-Journalismus hatte zu einem Herdentrieb geführt, der in Zukunft weiter droht, wenn nicht wieder eine gewisse journalistische Entschleunigungsphase eintritt, die allen gut täte. Ich befürchte jedoch, dass es dafür bereits zu spät ist.

»Wann erfolgt der Rücktritt?« Überspitzt gesagt, ist das die erste Frage, die mittlerweile auch bei kleineren Problemen in einem Ministerium sofort gestellt wird.

Es sind beileibe jedoch nicht nur die Journalisten, die die gnadenlose Republik mitgestalten. Es sind auch die Politiker selbst, die oft ohne weitere Prüfung, ohne vertiefende Kenntnis der Sachlage sofort ihre Kommentare zu Personen, Sachverhalten und Konsequenzen in alle möglichen Mikrofone sprechen. Sie beugen sich dem neuen medialen Druck, denn täten sie es nicht, dann kämen sie selbst in die Kritik: als Schweiger und Langweiler, als Feiglinge. So gnadenlos können Journalisten sein.

War also der Rücktritt von Christian Wulff falsch, unberechtigt? Nein, das war er nicht. Christian Wulff hat in seiner ersten Stellungnahme im niedersächsischen Landtag nicht alle Tatsachen aufgezeigt, in den Wochen der Krise war er nicht souverän, sein Anruf beim Bild-Chefredakteur und beim Springer-Chef waren eines Präsidenten unwürdig. Die Bild-Zeitung schlachtete diesen Anruf dann zwar auch genüsslich aus. Aber: Nur scheibchenweise gab Wulff wichtige Details bekannt, und als am Ende die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen ihn aufnahm, blieb ihm als Bundespräsident nichts anderes als der Rücktritt. Sein Krisenmanagement war miserabel. Er hatte sich in der Welt des Glamour und der Politik verstrickt, Grenzen überschritten, als er Urlaube in den Villen befreundeter Unternehmer verbrachte oder nicht eingegriffen, als Mitarbeiter Grenzen überschritten hatten. Dennoch, die Affäre Wulff hinterlässt auch auf der Seite der Journalisten den einen oder anderen Zweifel über das eigene Wirken. Und sie hinterlässt auch einen Beigeschmack der Heuchelei auf beiden Seiten, wenn es um den Partymanager Manfred Schmidt ging: Jahrelang gaben sich Politiker und Journalisten auf dessen Partys die Klinke in die Hand.

Gelten Zweifel und Beigeschmack auch im Fall des Karl-Theodor zu Guttenberg? Am Ende nein, wenn es auch die eine oder andere Parallele gibt. Ja, alle waren zu Beginn vom Wirken und Auftreten des Freiherrn aus Bayern angetan, die Politik und die Presse. So einen hatte die Hauptstadt vorher nicht erlebt: eloquent, attraktiv, eine hübsche Frau an seiner Seite, ein Mann, der den Eindruck vermittelte, die vorhandenen Probleme forsch anzugehen. Die Meute war begeistert. Glamour in der Politik, ein Politikertyp wie geschaffen für Bunte, Bild und Gala. Letztlich für alle Berliner Medien. Und Guttenberg suchte die Medien. Homestorys und Posen auf dem Times Square in New York, Auftritte seiner Frau in umstrittenen Sendungen von Kommerzsendern: Das war seine Welt. Und auch hier fiel die besondere Nähe zur Bild-Zeitung auf. Ein Politstar hatte sein Medium gefunden. Eine Nähe, die mitunter auch der FDP-Wirtschaftsminister Philipp Rösler sucht. Fotos wie das mit Bild-Chefredakteur Kai Diekmann in Kalifornien schaden beiden. Den größeren Schaden dabei hat langfristig der Politiker. Manche lernen es eben nie.

Doch zurück zum Freiherrn: Als er dann als Plagiator und als Blender entlarvt wurde, da stellte die Presse die richtigen Fragen, bohrte nach, und heraus kam ein Minister, der an seiner eigenen Hybris gescheitert war. Seine Ausflüchte, Ausreden und zum Teil unwahren Behauptungen im Hinblick auf seine Doktorarbeit ließen die Medien zu Recht immer weiter nachbohren und dann auch die Frage nach seinem Rücktritt stellen. Bei Karl-Theodor zu Guttenberg haben wir Journalisten vielleicht gelernt, in Zukunft etwas vorsichtiger und zurückhaltender mit der schnellen Beurteilung von Politikern zu sein, im Positiven wie auch im Negativen. Im Freiherrn zu Guttenberg hatten wir uns alle richtig getäuscht. Guttenberg selbst mag sein schneller Fall zunächst als gnadenlos erschienen sein, er war es aber nicht. Das war richtige, gute journalistische Arbeit über das Verhalten eines Ministers, über persönliches Fehlverhalten und über umstrittene Entscheidungen in seinem Ministeramt.

Vorsichtiger gingen die Medien mit Annette Schavan um. Sicherlich auch, weil Schavan eine Politikerin der stilleren Art war, die in der Wissenschaft einen exzellenten Ruf hatte, und eine enge Vertraute der Kanzlerin war. Hinzu kam, die Wissenschaft, ja selbst die Plagiatsjäger waren nicht einer Meinung über die Doktorarbeit der Bildungs- und Wissenschaftsministerin. Auch Schadenfreude mag mitgespielt haben, denn die Journalisten und Politiker in Berlin erinnerten sich an den Blickkontakt von Annette Schavan und Angela Merkel, als auf dem Handy der Kanzlerin die Nachricht vom Rücktritt des Karl-Theodor zu Guttenberg erschien. Für Annette Schavan jedoch stand in Absprache mit der Kanzlerin von Anfang an fest: Leitet die Universität Düsseldorf ein Prüfverfahren ein, dann könne sie nicht mehr Ministerin bleiben. Folgerichtig trat sie dann zurück. Nun kämpft sie vor Gericht gegen die Entscheidung der Universität Düsseldorf.

Wie gnadenlos aber der eine oder andere Journalist, die eine oder andere Journalistin mit Politikern umgehen können, zeigt der Fall Brüderle. Der Stern wollte mit einer misslungenen, aufgeblasenen Story einer noch eher unerfahrenen Kollegin den großen Coup landen. Was blieb von diesem Versuch übrig? Eine professionell beschädigte Kollegin, von der eigenen Chefredaktion vor der Veröffentlichung im Stich gelassen, ein verunsicherter, ebenfalls beschädigter Politiker und nur eine kurzfristige Debatte über Sexismus. Die Stern-Kollegin hatte ein Jahr lang die Nähe zu Rainer Brüderle für ihre Langzeitbeobachtung gesucht, bis in die letzten Tage vor Erscheinen des Artikels war sie an seiner Seite. Ein Jahr lang hatte sie den Abend an der Hotelbar in Stuttgart wohl als eher unbedeutend eingestuft, Rainer Brüderle wie alle Kollegen und Kolleginnen als einen durchaus lebensfrohen, immer zu Scherzen – mal gelungenen, mal weniger gelungenen – neigenden Politiker eingeschätzt. Doch am Tag, als alle mit dem Rücktritt von Philipp Rösler rechneten und überraschend das Duo Rösler-Brüderle herauskam, da musste der Stern eben eine besondere Story ins Blatt heben. Die Empörungsmaschine über Rainer Brüderle lief sofort hoch. Sie klang aber auch schnell wieder ab, dem Stern und seinem Verlag ist diese Geschichte wohl heute eher peinlich. Am Ende sind alle beschädigt worden. Es war ein herbes Stück Gnadenlosigkeit des Berliner Politbetriebes. Doch ist es – nach diesen Beispielen, und ich hätte noch mehr anführen können – gerechtfertigt, von der gnadenlosen Republik zu sprechen, von einem gnadenlosen Verhältnis von Journalismus und Politik?

Richtig ist, die Politikberichterstattung ist schneller geworden. Der Konkurrenzdruck hat im Zeitalter des Internets und der Online-Dienste unglaublich zugenommen. Es zählen mittlerweile Sekunden, wenn es darum geht, wer die erste Meldung, wer die erste Einschätzung über ein Ereignis verbreitet. Die zugespitzte Schlagzeile entscheidet über die größte Aufmerksamkeit. Oft hält die Überschrift nicht das, was der anschließende Artikel wirklich aussagt. Die Politiker selbst befeuern oft das Ganze noch mit ihren Twitter-Meldungen. Sie senden spontane Reaktionen auf politische Entscheidungen, auch Persönliches, zum Teil auch bitterböse Kommentare über den politischen Gegner.

Live-Blogs bei bestimmten Ereignissen, zum Beispiel bei Parteitagen, verbreiten blitzschnell spontane, oft eher emotionale und möglichst schnelle Urteile und Eindrücke über Personen und Entscheidungen. Zeit zum Reflektieren von Meldungen und Entwicklungen gibt es kaum noch. Die gnadenlose Medienrepublik erwartet von uns Journalisten heute sofortige Einschätzung, Beurteilung und Entwicklungsperspektiven im Minutentakt. Nicht immer gilt noch die alte Regel: Du solltest immer zwei Quellen für deine Information haben. Wir alle sollten zu dieser Regel wieder zurückkehren.

Als Bundespräsident Horst Köhler völlig überraschend um 14 Uhr zurücktrat, da lief gerade die Tagesschau. Um 14:02 Uhr wurde ich live zugeschaltet. Die Fragen waren: Was sind die Gründe, warum heute, wie tief ist das Zerwürfnis mit Merkel, warum hat er nur diese unfassbaren Worte über den Schutz der Handelswege auch durch unsere Bundeswehr ausgesprochen? Jürgen Trittin, eine ganz besonders flinke Zunge, sprach sofort den Satz: Ein Kriegstreiber könne eben kein Präsident sein. So gnadenlos sind Politiker unter sich. Ich hatte keine Zeit mehr, um noch einmal neu zu recherchieren. Ich musste mich auf meine bis dahin angesammelten Erkenntnisse über Horst Köhler, über das Amt und sein Verhältnis zu seinen Mitarbeitern und auch zur Kanzlerin verlassen. Es ist gut gegangen. Übrigens, kurze Zeit später hat Thomas de Maizière nichts anderes gesagt als Horst Köhler. Völlig ohne Konsequenzen. Heute ist dieser angeblich kriegstreibende Satz von Horst Köhler politisch völlig unumstritten.

Horst Köhler war der hektischen, gnadenlosen Aufgeregtheit der Politik und der Mehrzahl der Medienmeute am Ende nicht gewachsen. Sein Abgang war wenig souverän. Wer in der Küche steht, muss die Hitze des Herdes aushalten, zumal es ja auch sehr wohlwollende Urteile und Kommentare über den Bundespräsidenten Köhler gab. Bis heute rätseln alle über die wahren Gründe seiner Flucht aus dem Amt. Köhler hat sich am Ende wohl allein gelassen gefühlt, auch von der Kanzlerin. Er hatte sich auch in seinem Amt isoliert gefühlt, nachdem zwei seiner engsten Vertrauten, sein Staatssekretär und sein Pressesprecher, Schloss Bellevue verlassen hatten. Er selbst scheint mit sich heute aber im Reinen zu sein. Ein bitterer Nachgeschmack über die Art des Abgangs ist geblieben.

Meine Damen und Herren, Politik lebt vom Diskurs, vom Ringen um die beste Idee, den besten Weg, von der Überzeugungskraft der Parteiprogramme, der politischen Köpfe. Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner, Auseinandersetzungen innerhalb der Parteien sind ein essenzieller Bestandteil dieser Demokratie. Eine gute Errungenschaft. Doch in den letzten Jahren, so ein Eindruck bei vielen Bürgern, herrschen in den Parteien nur noch Streit, Unfrieden, Skandale, Intrigen, gegenseitige Beschimpfungen. Für die langen gedanklichen Linien, für das längere Gespräch bleibt kaum noch Zeit. Selbst in den öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendungen lauten die ersten Fragen immer häufiger, fast schon reflexhaft: Wie groß ist der Streit, müssen wir jede parteiinterne Diskussion – es ist ja gut, dass es sie gibt – gleich als den großen Streit darstellen? Die nächsten beliebten Fragen: Wann erfolgt der Rücktritt, wer ist wie stark beschädigt? Diese Fragen haben sicher ihre Berechtigung, aber müssen sie sofort zu Beginn einer Entwicklung gestellt werden? Sollten wir nicht erst alle Fakten recherchieren, Entwicklungen abwarten und dann am Ende diese Fragen stellen?

Kommen wir zum Fall der Drohnen-Affäre von Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière. De Maizière gilt in der Hauptstadt als der letzte Preuße, als ein äußerst bescheidener, kompetenter politischer Kopf mit hohem Sachverstand und Pflichtgefühl, kein Showman der Branche. Merkels bester Mann, der Reservekanzler. Als die Affäre um die Drohne bekannt wurde, machte de Maizière etwas Mutiges, in den letzten Jahren eher Ungewöhnliches: Er nahm sich drei Wochen Zeit zur Aufarbeitung. In der hektischen Berliner Republik ein Novum. Es gab in der Presse keinen Sturm der Entrüstung.

Nach drei Wochen legte de Maizière dann seinen Faktenbericht vor. Nun musste er sich sofort der Frage nach der politischen Verantwortung stellen: Personelle Konsequenzen schloss er nicht aus, zunächst aber nicht für sich. Eher zaghaft begann die Opposition auch seinen Rücktritt zu fordern, erst nach weiteren bekannt gewordenen Ungereimtheiten wurde dann die Forderung deutlich ausgesprochen. Das war durchaus berechtigt. In seinem Haus gab es ein großes Organisationsversagen, wie der Bundesrechnungshof in seinem Sonderbericht festgestellt hatte. Zu spät, erst nach der Verkündung der Beendigung des Projekts durch seine Staatssekretäre wurde der Minister über den wahren Stand der Dinge informiert. Erst in der zweiten Anhörung vor dem Verteidigungsausschuss gestand de Maizière dann weitere eigene Fehler ein. Er hatte eben doch vor dem ominösen 13. Mai dieses Jahres von den Problemen des Euro Hawk gehört und in Vorlagen für Gespräche gelesen. Es wird sein Geheimnis bleiben, warum er nicht von Beginn an die ganze Wahrheit auf den Tisch gelegt hat, zumal an der Gesamtentscheidung keiner in Berlin Zweifel hegt. Die Medien haben von Anfang an zu Recht auf die Ungereimtheiten hingewiesen. Thomas de Maizière hat unterschätzt, dass in Berlin auch vertrauliche Unterlagen, vertrauliche Gespräche nicht mehr geheim und vertraulich bleiben. Übrigens auch nicht in Donauwörth, beim DonaukurierSPD