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Vorwort des Herausgebers

GEORGE SAND (1804–1876) ist eine der bekanntesten und profiliertesten Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts. Geboren in Paris, verbrachte sie die meiste Zeit ihres Lebens in Frankreich, war aber auch dem Weltenbummeln nicht abgeneigt, wie ihre Reise nach Mallorca im Jahre 1938/39 (mit Chopin) und der daraus resultierende Reisebericht »Ein Winter auf Mallorca«, zeigt.

Geboren 1804 als Amandine Aurore Lucile Dupin de Francueil, heiratete sie schon sehr jung (mit 18 Jahren) Baron Casimir Dudevant. Ihr Mann behandelte sie herablassend und autoritär – sie war in der Ehe unglücklich. Eines Tages entdeckte sie im Schreibtisch ihres Mannes ein Testament, das laut Vermerk erst nach seinem Tode zu öffnen war. Aurore öffnete es. Sie wollte wissen, was ihr Mann wirklich über sie dachte. In dem Schreiben fand sie zu ihrem Entsetzen eine Aneinanderreihung von Schmähungen und Beleidigungen ihrer Person.

Das besiegelte das Ende der Beziehung.

1831 trennte sich George Sand von ihrem Mann und wurde im Jahre 1836 geschieden.

Aus den Erlebnissen mit ihrem ersten und einzigen Ehemann scheint eine Art lebenslanges Trauma geblieben zu sein, oder auch einfach der feste Wille, sich nie wieder unterkriegen zu lassen. In ihrem ganzen weiteren Leben tat sie alles dafür, nie mehr von einem einzelnen Mann abhängig zu werden. Sie heiratete nicht mehr, hatte aber Liebesbeziehungen und Affären mit einer ganzen Reihe von Männern, die sie, wie es scheint, beliebig austauschte.

Die Liste der Liebhaber und temporären Lebensgefährten der George Sand liest sich wie das Who is Who der künstlerischen Elite Frankreichs im 19. Jahrhundert: Es gehörten dazu die Schriftsteller Jules Sandeau (von dem sie ihren Nachnamen entlehnte), Alfred de Musset und Honoré de Balzac ebenso wie die Komponisten Frédéric Chopin, Franz Liszt und Hector Berlioz. Ihr langjährigster Lebensgefährte war der Kupferstecher Alexandre Manceau, mit dem sie 15 Jahre lang liiert war. Nach dessen Tod wurde der Schriftsteller Gustave Flaubert ihr vertrauter Freund in späteren Jahren. Dies sind nur die prominenten Männer, die man mit George Sand in Verbindung bringt. Die Liste der unbekannten und nur kurzfristig in Erscheinung getretenen Affären dürfte ungleich länger sein.

Da George Sand die freizügige Art ihres Privatlebens nicht versteckte, sondern offen und provokativ auslebte, hatte sie schon nach kurzer Zeit in der zeitgenössischen Presse den Ruf als »männerverschlingende Harpyie1« inne, oder wie man heute sagen würde, als Vamp.

In einem zeitgenössischen Lexikoneintrag (1837) heisst es über Sand:

»In ihren Werken spricht sich die größte Abneigung gegen die ehrwürdige Einrichtung der Ehe aus, die wohl noch nie eine so leidenschaftliche, unversöhnliche Gegnerin gefunden hat. (...) Kein Schriftsteller ist bis jetzt tiefer in die tausend Widerwärtigkeiten eines schlechten Haushaltes (gemeint ist: zerrüttete Ehe) eingedrungen; keiner hat mit größerem Scharfsinn die Ursachen ähnlicher Zerwürfnisse und ihre langsamen, unausweichbaren Wirkungen beleuchtet, aber daraus entspringt zugleich die natürliche Folge, das wenige außer G. S. den gebornen Feind der Ehe, unerlaubte Liebe, mit solcher Beredsamkeit verherrlicht und dem Ehebruche mit so glänzenden Farben das Wort geredet haben.« [Den vollständigen Text finden Sie im Anhang.]

Die Tatsache aber, dass ihr zu Lebzeiten und in jungen Jahren bereits ein eigener Lexikoneintrag gewidmet war, zeigt auch, für wie literarisch bedeutsam und einflussreich man sie einschätzte. Die Vielschreiberin war Zeit ihres Lebens ihren männlichen Kollegen (und Liebhabern) an literarischer Produktivität überlegen. Alfred de Musset notiert einmal frustriert:

»Ich habe den ganzen Tag gearbeitet. Am Abend hatte ich zehn Verse gemacht und eine Flasche Schnaps getrunken; sie hatte einen Liter Milch getrunken und ein halbes Buch geschrieben.«

Man kann durchaus annehmen, dass George Sand ganz bewusst die Nähe von Schriftstellern und Künstlern suchte, sich für eine Weile auf eine Beziehung einließ und am Ende von allen diesen Männern »etwas mitnahm«. Sei es Geld (von ihrem geschiedenen Mann), der Teil ihres Künstlernamens (von ihrem ersten Geliebten Jules Sandeau), oder eine literarische Technik, oder eine Idee, Inspiration etc. In jedem Fall machte sie für sich selbst das Beste daraus, lebte selbstbestimmt und beendete jede Beziehung, wenn es ihr passte.

In diesem Sinne war sie also alles andere als eine angepasste Frau der damaligen Zeit, sondern nahm viele Verhaltensweisen, die man um einiges später »emanzipierten Frauen« zuschreibt, vorweg. Nicht von ungefähr wurde George Sand schon zu Lebzeiten und erst Recht nach ihrem Tode, im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, zu einer Ikone der Frauenbewegung.

Obwohl es im Brockhaus Literatur (2007) über George Sand heisst: »Nach den frühen Liebes- und Beziehungsromanen erweiterten die Werke der späten 1830er - und der 1840er-Jahre das Problem der Emanzipation der Frau um soziale und humanitäre Themen, vor allem im ländlichen Bereich (...)« – muss man gleichwohl konstatieren, dass Sands Emanzipation eine sehr bohèmehafte, elitäre war, die nur für bestimmte Schichten (nämlich ihresgleichen) zu gelten hatte.

Das wird bei der Lektüre von »Ein Winter auf Mallorca« deutlich« – wo sie sich unaufhörlich über die Unfähigkeit der »primitiven« mallorquinischen Bevölkerung beschwert, die nicht in der Lage sei, ihr den Luxus und Lebensstandard, bereitzustellen, den sie gewohnt war. Im weiteren Verlauf bezeichnet sie dann die Mallorquiner nur noch als »Affen«, was doch deutlich zeigt, dass Sand von der wahren Idee einer Emanzipation und Gleichberechtigung aller Menschen noch weit entfernt war.

Redaktion eClassica

 

 

1 Harpyie: Geflügeltes Mischwesen, halb Mensch, halb Vogel, aus der griechischen Mythologie. In den frühen Erzählungen werden Harpyien oft als schöne Frauen mit gelocktem Haar und Vogelflügeln beschrieben.