Thüringer Burgen
und
befestigte früh- und vorgeschichtliche
Wohnplätze

Michael Köhler

e-book: ISBN 978-3-941791-10-7

Jenzig-Verlag Gabriele Köhler

Briefadresse: PF 100219, Jena 07702

Tel. 036427-71391

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www.jenzigverlag.de

3., erweiterte und überarb. Auflage 2010

Titelfoto: Wachsenburg bei Haarhausen

Titel und alle anderen Fotos: Michael Köhler

Gestaltung: Gabriele Köhler

Genehmigungs-Nr. des Thüringer

Landesvermessungsamtes: 101147/​2001

Alle Rechte beim Verlag

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015

Auf dem Rücktitel von links nach rechts und von oben nach unten:

Schloss Burgk – Funkenburg Westgreußen – Wartburg – Weißenburg bei Tunzenhausen – Wasserburg Heldrungen – Bertholdsburg Schleusingen – Lobdeburg bei Jena-Lobeda – Otternburg bei Oettern – Alteburg bei Arnstadt – Oberschloss Kranichfeld – Burg Ehrenstein – Befestigter Kirchhof Einhausen – Burg Lohra – Burg Liebstedt

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

1. Einleitung

2. Funktion und Anlage der Burgen

2.1. Volksburgen und befestigte Siedlungen

2.1.1. Fluchtburgen

2.1.2. Befestigte Siedlungen

2.1.3. Kultstätten auf befestigten oder ehemals befestigten Plätzen

2.1.4. Stammesburgen

2.2. Adelsburgen

2.2.1. Burgen als Zentren von Burgbezirken

2.2.2. Grafensitze

2.2.3. Fürstensitze

2.2.4. Sitze des niederen Adels

2.2.5. Strategische Burgen

2.3. Bauweise

2.4. Lage der Burgen und ihre Beziehung zu den Verkehrswegen

3. Die Entwicklung der Befestigungsanlagen in Thüringen

3.1. Befestigte urgeschichtliche Siedlungen

3.1.1. In ihrer Zeitstellung unbestimmte Anlagen

3.1.2. Strategische Siedlungsplätze in der Jungsteinzeit

3.1.3. Befestigte bronzezeitliche Siedlungen

3.1.4. Befestigte Siedlungen der frühen Eisenzeit

3.1.5. Befestigte Siedlungen der jüngeren Latènezeit

3.2. Burgen der Römischen Kaiserzeit und der Völkerwanderungszeit

3.2.1. Befestigte Siedlungen der Römischen Kaiserzeit

3.2.2. Burgen der Völkerwanderungszeit

3.3. Frühmittelalterliche Burgen

3.3.1. Burgen der Karolinger

3.3.2. Frühe sächsische Burgen

3.3.3. Der Burgenbau Heinrichs I

3.3.4. Späte ottonische Burgen und Pfalzen

3.4. Die hochmittelalterliche Blüte des Burgenbaus

3.4.1. Salische Reichsburgen

3.4.2. Burgen der Welfen und Staufer

3.4.3. Hoch- bis spätmittelalterliche Grafensitze

3.4.4. Ministerialenburgen

3.4.5. Burgen kirchlicher Herrschaften

3.4.6. Burgen und Stadtentwicklung

3.5. Befestigte Kirchhöfe und Dorfkirchen

3.6. Niedergang der Burgen am Beginn der Neuzeit

3.6.1. Reformation und

3.6.2. Von der Burg zum Schloss

3.6.3. Der Dreißigjährige Krieg

Anmerkungen

4. Katalog – Anlagen von A-Z

5. Verzeichnis der Burgstellen

5.1. Ortsverzeichnis/Register einschließlich der Koordinaten aller genannten Burgen und Plätze

5. 2. Weitere Hinweise auf mögliche Burgstellen/ ehemalige Herrensitze in Thüringen

6. Zeittafel

Quellen und Literatur

Vorwort

Thüringen ist reich an Burgen und Burgruinen. Daneben besitzt es viele Burgstellen und Relikte strategisch angelegter und ehemals befestigter Wohnsitze, darunter zahlreiche aus vorgeschichtlicher Zeit. Das große Interesse, das die Geschichte und die Vorgeschichte Thüringens genießen und speziell das Interesse an den Burgen haben dazu geführt, dass nach den ersten Ausgaben 2001 und 2003 jetzt die dritte Auflage des Buches „Thüringer Burgen und befestigte vor- und frühgeschichtliche Wohnplätze“ erscheinen kann. Dazu wurde das Buch wiederum überarbeitet und ergänzt. Insbesondere gibt die dritte Auflage Gelegenheit, eine ganze Reihe von Arbeiten zu berücksichtigen, die in den letzten Jahren erschienen sind.

Das hier vorliegende Buch widmet sich der Aufgabe, über die mittelalterlichen Anlagen hinaus für Burgen und verwandte Anlagen aller Zeiten einen Überblick zu geben. Der Begriff der Burg ist dabei relativ weit gefasst, um neben den mittelalterlichen auch wichtige, unter strategischen Gesichtspunkten errichtete und befestigte Anlagen aus der Vor- und Frühgeschichte zu erfassen. Dabei wurde versucht, möglichst viele der bekannten Anlagen aufzunehmen, um ein wenigstens annähernd vollständiges Bild zu erhalten. Mit straffen Informationen soll eine alle Teile des heutigen Freistaates Thüringen berücksichtigende Übersicht gegeben werden, in die auch prähistorische, historische, siedlungs- und verkehrsgeografische Aspekte einbezogen sind.

In dieser Übersicht werden solche Siedlungen im Sinne von Burgen berücksichtigt, bei denen die Lage oder die Art der Befestigung deutlich macht, dass die befestigte Siedlung von ihrer Anlage her strategisch ausgerichtet war, also Sicherheitsinteressen eine dominierende Rolle gespielt haben. Das gilt ausnahmslos für die befestigten mittelalterlichen Herrensitze und alle zur Sicherung von Territorien, Bergwerken und Verkehrswegen angelegten mittelalterlichen Burgen. Ausgenommen wurden jene Befestigungen, mit denen manche mittelalterlichen Dörfer oder Städte nachträglich umgeben wurden. Dagegen fanden solche Orte Aufnahme, bei denen ein befestigter Herrensitz Ausgangspunkt für eine Siedlungsentwicklung bis hin zu Dörfern und Städten war und dessen Name später auf die größere Siedlung übergegangen ist. Einbezogen wurden auch Siedlungen in strategischer Lage, selbst wenn die Befestigung bisher nicht nachweisbar ist, aber angenommen werden kann, dass die Wahl des Siedlungsplatzes sicherheitstechnisch dominiert war, was für eine Reihe vorgeschichtlicher Siedlungen zutrifft.

Im Katalog sind die Anlagen nach ihren Namen thüringenweit alphabetisch geordnet, Anlagen ohne eigentliche Bezeichnung und ohne charakteristischen Flurnamen werden unter dem Ortsnamen aufgeführt. Die einzelnen Artikel des Katalogteils sind im Interesse einer guten Lesbarkeit als fortlaufender Text geschrieben. Im allgemeinen wurde den Texten ein einheitliches Gliederungsschema mit der folgenden Abfolge unterlegt: Lage, Funktion (ggf. Bezug zur Wegesituation), prähistorische Besiedlung, Funde, historische Angaben, Zustand bzw. Relikte im Gelände. Am Ende finden sich Hinweise zu ausgewählter Literatur. Die vollständigen bibliographischen Angaben sind dem Literaturverzeichnis am Ende des Buches zu entnehmen. Um die Herstellung räumlicher Beziehungen zu erleichtern, wurde ein System von Verweisen mit Pfeil (–>) eingeführt, das auf nahegelegene Objekte oder spezielle Beziehungen hinweist.

Für die jungsteinzeitlichen und die bronzezeitlichen Befestigungen sind Kartenskizzen im einleitenden Teil enthalten, in denen die Objekte mit Namen bezeichnet sind. Da es sich bei der Jungsteinzeit und der Bronzezeit um sehr lange Zeitabschnitte handelt, sind Objekte verzeichnet, die nur in einzelnen Phasen – also nicht in jedem Fall gleichzeitig – existierten. Die Dichte in den einzelnen vorgeschichtlichen Phasen war deutlich niedriger als die Gesamtschau im Kartenbild. Wesentlich enger ist der Zeitraum Späthallstatt-/​Frühlatènezeit, zu dem eine weitere Kartenskizze die Verteilung der Höhensiedlungen angibt, die größtenteils gleichzeitig bestanden haben könnten. Wegen der relativ großen Zahl war hier eine Benennung der einzelnen Objekte in der Karte nicht möglich. Für die frühmittelalterlichen Burgen wurde auf eine Karte verzichtet, da die Zuordnung für die meisten Anlagen dieser Phase mit großen Unsicherheiten behaftet ist. Für das hohe und späte Mittelalter wurde die Erstellung einer Kartenskizze wegen der sehr großen Zahl der Objekte ebenfalls nicht als sinnvoll angesehen. Für manche Objekte wurden Messtischblattausschnitte herangezogen, um interessante topografische Verhältnisse oder lokale Lagebeziehungen zwischen mehreren Burgen, zwischen Burg und Siedlung oder Beziehungen zwischen Burgen und Altstraßen zu illustrieren.

Das Register enthält alle im Katalogteil enthaltenen Plätze, wobei diese hier alphabetisch nach Ortsnamen geordnet sind. So können Anlagen wahlweise nach ihrer Bezeichnung (fortlaufend im Katalog) oder nach ihrer Lage, d. h. dem zugehörigen Ort (fortlaufend im Register) aufgefunden werden. Zusätzlich zu den Koordinaten wurden im Register die Nummern der Topographischen Karten (TK 1 : 25000) aufgenommen, um das Arbeiten mit den Lageangaben zu erleichtern.

Außer dem Katalogteil werden im Anhangsteil (6.2.) Hinweise auf mögliche weitere Burgstellen bzw. Herrensitze gegeben. In diesem Verzeichnis sind Orts-, Straßen-, Forst- und Flurnamen benannt, die mit Burgstellen bzw. Herrensitzen im Zusammenhang stehen könnten, bei denen aber – nach dem Kenntnisstand des Autors – Befestigungen historisch nicht belegt und strategische Siedlungen oder Befestigungen archäologisch auch bisher nicht nachgewiesen sind. Außer den Ortsnamen wurden auch Namen von Herren aufgenommen, die bis zum 13. Jahrhundert urkundlich genannt wurden, ohne dass bisher ein befestigter Sitz lokalisiert werden konnte. Das Verzeichnis soll in dieser Form nicht nur eine Zusammenstellung von möglichen Hinweisen auf Burgen in Ergänzung zum Katalog sein. Es soll auch aufzeigen, zu welchen Plätzen Informationen über Herrensitze oder Burgen sowie die Deutung von Namen fehlen und aus der lokalen Forschung weitere Informationen zu beschaffen sind, um die Existenz und den Charakter früherer Anlagen zu klären.

Grundlage für die Erarbeitung dieses Buches bildeten unter anderem mehrere gründliche Aufnahmen von Befestigungen aus Teilgebieten Thüringens. Leider wurden solche Aufnahmen nicht für alle Teile des Landes publiziert, so dass, schon durch den Forschungsstand bedingt, damit zu rechnen ist, dass die Gesamtzahl von ursprünglich existierenden Burgen und verwandten Anlagen noch deutlich größer ist als die Zahl der rund tausend hier verzeichneten Plätze.

Die in diesem Buch gegebene Zusammenstellung war nur auf Grund der Vorarbeit einer ganzen Reihe von Landeshistorikern, Archäologen, Heimatforschern, Kunst- und Burgenhistorikern möglich, deren Werke im Literaturverzeichnis genannt sind. Ganz besonderer Dank gilt den Archäologen Bernd Bahn und Klaus Simon, die durch zahlreiche Hinweise zur ersten und zweiten Auflage entscheidend dazu beitrugen, die Qualität des Buches zu verbessern. Außerdem bin ich vor allem auch Manfred Böhme, Michael Platen, Werner Gall, Rainer Hohberg, Thomas Naumann, Andreas Rietschel, Reinhard Schmitt und Wulf Walther zu Dank verpflichtet.

Verlag und Autor haben sich wiederum für eine Ausgabe im Taschenbuchformat entschieden. Trotz der gestiegenen Seitenzahl werden Gewicht und Volumen der ersten Auflagen nicht wesentlich überschritten. Damit soll erreicht werden, dass auch die dritte Auflage sich gut als Begleiter auf Reisen und Exkursionen in Thüringen eignet.

Michael Köhler

Golmsdorf, im Oktober 2010

1. Einleitung

Burgen und Burgruinen stellen für den heutigen Menschen eine belebende Komponente einer über viele Generationen vom Menschen geprägten Kulturlandschaft dar. Die alten Bauwerke und ihre Reste sind unserem Empfinden nach ein Stück der natürlichen Umgebung geworden. Sie erhalten ihren Reiz aus dem Wechselspiel von weit zurückliegendem menschlichen Schaffen, Sagen und Nachrichten von fernen historischen Ereignissen einerseits und baulichen Resten, Weg- und Befestigungsspuren mit einer romantisch einhüllenden Pflanzendecke andererseits. Viele Schriftsteller, vor allem des 19. Jahrhunderts, haben dazu beigetragen, die anrührende Ästhetik der alten, für menschliche Siedlung und Verteidigung aufgegebenen und von der Natur vielfach zurückgewonnenen Plätze zu popularisieren. Moderne Bildung und Heimatforschung, die Wertschätzung alter Kultur und Natur, Wander- und Heimattourismus haben manchen alten Wall und viele noch in aller Stattlichkeit erhaltene Burgen und Ruinen zu Pilgerstätten für Erholungssuchende, Heimat- und Geschichtsfreunde gemacht.

Der Burgenreichtum Thüringens ist offensichtlich. Vor allem die mittelalterlichen Burgen und viele Ruinen mittelalterlicher Herrensitze fallen rasch ins Auge. Dabei stellen die heute sofort zu erkennenden Burgen nur den kleineren Teil aller ehemals vorhandenen Befestigungen dar. Viele ehemalige Höhenburgen, selbst wichtige Reichsburgen sind abgetragen worden, oft so weit, dass nicht einmal mehr Grundmauern stehen geblieben sind. Von den meisten Höhenburgen zeugen nur noch Ruinen oder spärliche, überwachsene Mauerreste. Manche Burgen sind durch Umbauten völlig überformt. Viele befestigte Herrensitze in den Niederungen sind bis auf Reste des ehemaligen Grabens oder einen kleinen Hügel verschwunden. Zahlreiche Burgstellen sind heute selbst für das geübte Auge an der Oberfläche nicht mehr erkennbar. Unsere Kenntnisse über die Burgen verdanken wir deshalb nicht nur zahlreichen bau- und kunsthistorischen sowie historischen Untersuchungen1, sondern auch der archäologischen Forschung2 und der Luftbilderkundung.

Wahrscheinlich ist die Errichtung befestigter Siedlungen so alt wie die feste Siedlungsweise des Menschen überhaupt. Thüringen besitzt zahlreiche Beispiele von befestigten ur- und frühgeschichtlichen Siedlungen. Weil viele dieser Siedlungen zunächst an den Resten ihrer verfallenen Befestigungen, den Wällen, erkennbar waren, wurden sie als Wallburgen bezeichnet. Leider ist ihre Zuordnung zu der landläufigen Bezeichnung „Burg“ schwierig, da es fast nie schriftliche Quellen über diese frühen Bauten gibt. Manchmal ist von einer ehemals wehrhaften Siedlung kein Befestigungsrest mehr an der Oberfläche erkennbar, in anderen Fällen haben Wälle Flächen gesichert, die nur prophylaktisch geschützt wurden, um der Aufnahme von Menschen in möglichen Gefahrenzeiten zu dienen, ohne dass sie jemals wirklich bewohnt waren. Außerdem ist nicht klar, ob manche vorgeschichtliche Umfriedung vielleicht ausschließlich kultischen Zwecken gedient hat. An anderen Plätzen belegen Siedlungsfunde, dass es sich tatsächlich um befestigte Wohnplätze, in manchen Fällen auch Dauersiedlungen, gehandelt haben muss.

Strategisch vorteilhafte Lage und Befestigung sind mit erhöhtem Aufwand und oft mit erheblichen Nachteilen des praktischen Lebens verbunden gewesen. Oft war der Platz innerhalb der Befestigung begrenzt, der Weg zu landwirtschaftlichen Nutzflächen weiter als bei unbefestigten Kleinsiedlungen. Auf den Höhen mangelte es häufig an Wasser. Deshalb ist die Wahl solcher Siedlungsplätze in der Regel keine Modeerscheinung, sondern Ausdruck von Bedrohung oder zumindest potenzieller Bedrohung und strategischen Interessen: Burgen und befestigte Siedlungen sind vor allem ein Zeugnis des Sicherheitsbedürfnisses und der Machtinteressen früherer Generationen.

Befestigte und unbefestigte Siedlungen ordneten sich stets in ein ökologischwirtschaftliches und verkehrsgeografisches Umfeld ein. Unbefestigte Siedlungen, Burgen und befestigte Siedlungen, die Beschaffenheit der Böden, die einstige Gliederung der landschaftlichen Nutzungsräume sowie die Führung der Verkehrswege bedingten einander und hingen gemeinsam von den klimatischen und hydrologischen Verhältnissen und dem Oberflächenrelief, d. h. der örtlichen Topografie, ab.

Das Gebiet des heutigen Thüringens ist ein Durchgangsland. Thüringen liegt in der nördlichen Randzone des mitteleuropäischen Mittelgebirgsgürtels. Nach Norden wird das Land vom Harz abgeschirmt, dem Gebirge Mitteleuropas, das am weitesten nach Norden vorgeschoben ist. Die ost-westlich ausgerichtete Vorzugsachse des Harzes findet in den Höhenzügen des Thüringer Waldes und des Erzgebirges das südliche Gegenstück. Durch diese Vorzugsrichtung wurden wichtige ost-westliche Verkehrsströme durch den nördlichen mitteleuropäischen Raum wohl zu fast allen Zeiten gleichsam durch Thüringen hindurch kanalisiert. Zwischen den Gebirgen bietet das mäßig profilierte Relief Thüringens sehr gute Voraussetzungen für Wegführungen. Deshalb ist die Vorgeschichte wie auch die historische Entwicklung Thüringens nur im Kontext mit den durch die Mitte des Kontinents verlaufenden Wegen zu begreifen. Neben den ost-westlich orientierten Verkehrslinien dominiert in Ostthüringen wie auch diagonal durch das Thüringer Becken vor allem die Nordost-Südwest-Achse. Burgen und andere Befestigungen orientieren sich auch andernorts an den geografischen und politischen Linien des Verkehrs. Die Wege des Verkehrs sind für die Siedlungs- und Befestigungsgeschichte eines Durchgangslandes wie Thüringen erst recht von entscheidender Bedeutung.

Dabei ist die eigentliche Mitte Thüringens, sind zentrale Teile der Thüringer Beckenlandschaft über lange Perioden wahrscheinlich nur schwer passierbar gewesen. Die Niederungen von Gera und Unstrut bildeten in den feuchten Phasen der ur- und frühgeschichtlichen Zeit ausgedehnte Riedlandschaften, große versumpfte Flächen und Seen. Günstige Voraussetzungen für den Verkehr boten dagegen die sanften Hänge an den inneren Rändern des Beckens, über die flacheren Höhenzüge und entlang der Flanken von Harz und Thüringer Wald. Etwas schwierigere Bedingungen für den Verkehr herrschten lediglich an den Steilstufen der kleinen Mittelgebirge und in den Flusstälern der Mittelläufe von Werra und Saale sowie ihrer Nebenflüsse, die sich in die westlichen und östlichen Randzonen des zentralen Beckens einschneiden. Die Überwindung ihrer Hänge war für Wagen an vielen Stellen problematisch, und bei starker Wasserführung bildeten die größeren Flüsse ernsthafte Hindernisse. Auch die Täler der Pleiße und der Weißen Elster im östlichen Thüringen waren in wasserreichen Zeiten nicht einfach zu überqueren. Sanftere Hangbereiche, Schwemmkegel von Zuflüssen und Furten bündelten deshalb den Verkehr an Talpassagen.

Zum einen boten die zerfurchten Ränder der Täler in allen Zeiten hervorragende Bedingungen für die Anlage von Burgen und befestigten Höhensiedlungen, die leicht die Taldurchgänge zu kontrollieren gestatteten. Neben den Randbereichen von Thüringer Wald und Harz sind vor allem die reich gegliederten Talränder von Saale, Werra und unterer Unstrut sowie ihren Zuflüssen im Bereich des Muschelkalks ideal für die Anlage von Höhensiedlungen gewesen. Sie boten mit ihren steilen und felsigen Formen vor allem in den oberen Hangbereichen und durch den scharfen Übergang von den Hängen zu den nicht oder wenig geneigten Plateaus hervorragenden natürlichen Schutz. Neben isolierten Plateaus sind zahlreiche Bergsporne zur Anlage von Höhenburgen genutzt worden. Zum anderen konnten in den wasserreichen Tälern und Niederungen mit wassergefüllten Gräben gesicherte Sitze angelegt werden. In fast allen Teilen Thüringens, die nicht über strategisch günstige Höhen verfügten, bot sich durch stehende oder fließende Gewässer die Möglichkeit, Wassergräben als Annäherungshindernisse anzulegen.

Die am Verkehr orientierten Befestigungen ordneten sich in ein Wegenetz ein, das durch die Passwege und Tangenten der Mittelgebirge im Norden und Süden und die bevorzugten Talpassagen bzw. Furten der Flüsse im Osten und Westen Thüringens aufgespannt wurde. Dazwischen bildeten die hochwasserfreien Höhenrücken und Landstege in der zentralen Beckenregion zusätzliche Leitlinien für die Wegtrassen. Die Streichrichtung der Thüringer Mittelgebirge Harz, Rhön, Thüringer Wald und Schiefergebirge leitete zwar den Verkehr bevorzugt in Ost-West-Richtung. Doch auch diese Gebirge stellten keine unüberwindlichen Barrieren für den Verkehr in Nord-Süd-Richtung dar, die Grund für große Umwege gewesen wären. Schon in vorgeschichtlicher Zeit sind einzelne zentrale Teile der genannten Gebirge offensichtlich ebenfalls in das Verkehrsnetz einbezogen gewesen, und auch diese Wege haben früh die Befestigungs- und Siedlungsentwicklung Thüringens beeinflusst.

Neben den topografischen hatten auch die lagerstättengeologischen Besonderheiten Thüringens und seiner nächsten Umgebung Auswirkungen auf die Burgen- und Siedlungsentwicklung. Vor allem der Randbereich des Zechsteins im Orlagau und bei Saalfeld und die an den Rändern der Mittelgebirge ausstreichenden geologisch alten Gesteinsschichten liefern diverse metallische Bodenschätze, die nicht erst im Mittelalter, sondern schon in der Vorgeschichte ausgebeutet wurden. Dazu kommen leicht zugängliche Solevorkommen an der Werra, der Saale und der unteren Ilm, die der Mensch wahrscheinlich ebenfalls schon seit vorgeschichtlicher Zeit nutzte. Aus den angrenzenden Gebieten sind neben dem Kupferschiefer vom südöstlichen Harzrand und aus dem Mansfelder Revier sowie der Sole von Halle/​S. und Bad Dürrenberg vor allem die Lagerstätten des Erzgebirges wichtig für Thüringen gewesen. Überregionale Wegtrassen, die schon in prähistorischer Zeit genutzt wurden, führen durch Thüringen hindurch in diese Regionen und werden durch Burgen und befestigte Siedlungen aus unterschiedlichen Perioden flankiert.

Burgen weisen nicht nur ihrer Anlage, sondern auch ihrer Funktion nach beträchtliche Unterschiede auf. Es können folgende Typen von Burgen und anderen befestigten Wohnplätzen unterschieden werden: Fluchtburgen, Stammesburgen, Kultstätten, Bezirksburgen, Grafensitze, Fürstensitze, Sitze kleinerer Herren, strategische Burgen, Städte und befestigte dörfliche Siedlungen. Des öfteren besaßen bestimmte Anlagen mehrere dieser Funktionen gleichzeitig. In anderen Fällen änderte sich die Funktion von Anlagen im Laufe der Zeit.

Neben dem allgemein wehrhaften Charakter der Burgen legte ihre Funktion in weitem Maße die Art, die Größe, den Aufbau und die Teilanlagen – Befestigungen, Tore, Wohngebäude, Ställe, Vorrats- und Wirtschaftsgebäude und sonstige Versorgungseinrichtungen – fest. Ganz besonders wichtig war, wieviel Menschen die Burg aufzunehmen hatte, für welchen Zeitraum Schutz gewährt werden sollte und ob in erheblichem Maße Vieh unterzubringen und zu versorgen war. Andere Aspekte betrafen administrative und repräsentative Funktionen der Burgen als Versammlungsorte, religiöse Zentren oder als Mittelpunkte von Gerichtsbezirken, Regierungs- und Verwaltungssitzen. Darüber hinaus waren die Burgen und ihre Wehranlagen und insbesondere die Türme und Mauern auch sichtbarer Ausdruck von Macht. Sie konnten abschreckend, einschüchternd und drohend auf potenzielle militärische Gegner und politische Gegenspieler wirken.

Schließlich spielte auch die zeitliche Nutzungsdauer und -intensität der Burg eine große Rolle. Neben temporär genutzten Anlagen wie den Fluchtburgen finden wir befestigte Plätze, die als Herrensitze über Jahrhunderte, in einigen Fällen mit dem Übergang in neuzeitliche Residenzen fast ein Jahrtausend lang bewohnte Befestigungen trugen. Immer wieder begegnen uns Anlagen, die über gewisse Zeiträume genutzt, später wieder aufgegeben, deren Plätze dann aber noch später neu besiedelt und befestigt wurden. Auch ein Teil unserer mittelalterlichen Burgen ist auf solchen bereits in der Vorgeschichte wiederholt besiedelten Plätzen angelegt worden. Trotz generationenlanger Unterbrechungen der Nutzung haftete an solchen Plätzen eine besondere Tradition. Deshalb ist es kein Wunder, wenn diese Plätze mehrere Funktionen, zum Teil in zeitlicher Folge, zum Teil aber auch gleichzeitig besaßen und insbesondere kultische Aspekte bis in die jüngste Vergangenheit, in verschwommener Form sogar bis in die Gegenwart hinein eine Rolle spielen.

Aus der Vielgestaltigkeit der Einflussfaktoren auf die Anlage befestigter Siedlungen und Burgen wächst auch die Vielfalt hinsichtlich ihrer Größe und Gestalt, in ihrer Funktion und ihrer Lebensdauer. Trotz des Zusammenhangs zwischen überregionalen Verkehrslinien und Befestigungen sind viele Burganlagen aus lokalen Interessen heraus erbaut und gepflegt worden. Offensichtlich führten nur in einigen Perioden großflächig wirksame machtstrategische Interessen zu koordiniertem Burgenbau. Doch auch die lokalen Faktoren, die die Errichtung von Burgen bestimmten, ordneten sich praktisch zu allen Zeiten in ein Beziehungsgeflecht ein, das größere Entfernungen überspannte und zuweilen sogar kontinentale Dimensionen erreicht. Besonders bedeutsam war, dass viele Burgen Zentralortfunktion für ihre Umgebung besaßen. Solche Zentrumsfunktionen können schon für die Urnenfelderzeit wahrscheinlich gemacht werden, spielten aber vielleicht auch schon bei noch älteren Höhensiedlungen eine Rolle. Zentralortfunktionen sind aber spätestens bei vielen latènezeitlichen und frühmittelalterlichen Anlagen wichtig. Die Geschichte und Funktion der befestigten Siedlungen und Burgen Thüringens wird damit auch zum Abbild der historischen Entwicklung des Landes und seines europäischen Umfeldes.

2. Funktion und Anlage der Burgen

2.1. Volksburgen und befestigte Siedlungen

2.1.1. Fluchtburgen

Mit dem Begriff der Volksburgen sind Anlagen belegt, die von einer Siedlungsgemeinschaft als zeitweiliger oder auch längerfristiger geschützter Aufenthaltsort errichtet wurden. Unter diesen sind die eigentlichen Fluchtburgen zeitweise aufgesuchte, befestigte Anlagen, die einer Dorf- oder kleinen Stammesgemeinschaft in Gefahrenzeiten als Zufluchtsort dienten.

Es ist anzunehmen, dass die bäuerliche Bevölkerung in Zeiten der Gefahr immer wieder für sich und ihr Vieh in abgelegenen Bereichen, d. h. fernab von Siedlungen und Straßen Verstecke suchte, in denen man einige Tage bis Wochen überleben konnte. Dabei wird man in einzelnen Fällen wohl darauf geachtet haben, dass der Platz, falls es zu seiner Entdeckung durch Feinde kommen sollte, notfalls verteidigt werden konnte. Er sollte also nicht nur versteckt, sondern auch strategisch günstig liegen. Wenn über längere Zeiträume eine Rückkehr in die bäuerlichen Siedlungen unmöglich war, wird man den zunächst unbefestigten Ort befestigt haben. Ein Teil der Fluchtburgen ist also mit großer Wahrscheinlichkeit aus spontan aufgesuchten, zunächst ungesicherten Plätzen hervorgegangen.

Neben den kurzfristig befestigten Plätzen gab es wahrscheinlich auch längerfristig vorsorglich ausgebaute Fluchtburgen. Bei letzteren ist wohl eher an eine Zweitfunktion, etwa als Kultstätte oder Stammesmittelpunkt zu denken. Es ist auch gut vorstellbar, dass sich über längere Zeit immer wieder genutzte Fluchtburgen allmählich zu Zentralorten entwickelten.

Fluchtburgen wurden aber nicht nur in abgelegenen unberührten Gegenden errichtet. Es sind auch Fälle bekannt, in denen eine verlassene ältere Burganlage später als Zufluchtsort genutzt wurde. Eine solche Nutzung kann einfach durch die strategischen Gegebenheiten des Platzes bedingt gewesen sein, etwa die Lage auf isolierten Anhöhen, auf Bergspornen oder auf Inseln oder Halbinseln bzw. von Sümpfen umgebenen oder anderweitig schwer zugänglichen Bereichen. Außerdem könnten in solchen Fällen eventuell noch vorhandene Reste alter Befestigungen wie Wälle, Gräben, unter Umständen auch Mauerreste oder Wohnpodien – kleine planierte Flächen, auf denen Gebäude standen – ausschlaggebend für die Wahl des Platzes einer Fluchtburg innerhalb oder an der Stelle einer älteren verlassenen Anlage gewesen sein. Noch im Dreißigjährigen Krieg haben verlassene Reste von Burgen Menschen nahegelegener Ortschaften als zeitweiliger Zufluchtsort gedient.

2.1.2. Befestigte Siedlungen

Die Idee, in Krisen- und Kriegszeiten nicht erst an einen sicheren Ort fliehen zu müssen und dabei in der Regel alle Habe und auch die Wohnstätten zu verlieren, führte bereits in der Vorgeschichte zur Anlage von befestigten Siedlungen. Neben temporär bewohnten befestigten Plätzen hat es offensichtlich auch in Thüringen eine ganze Reihe von vorgeschichtlichen Dauersiedlungen gegeben, die verteidigungsgünstig lagen und oft zusätzlich durch Gräben, Palisaden, Wälle oder auch regelrechte Holz-Erde-Mauern befestigt waren. Wahrscheinlich spielte aber in manchen vorgeschichtlichen Phasen auch der Repräsentationsaspekt von Höhensiedlungen schon eine wichtige Rolle. Um solche Dauersiedlungen anzulegen, wurden vor allem leicht zu verteidigende Anhöhen genutzt.

Die teilweise archäologisch untersuchte früheisenzeitliche Anlage auf dem Kohnstein bei Niedersachswerfen war eine Anlage, die zwar bewohnt, aber wahrscheinlich noch im Bau war, als sie angegriffen und zerstört wurde. Die Dramatik des damaligen Geschehens wurde deutlich, als man beim Ausgraben erkannte, dass die Burg noch vor ihrer Fertigstellung zerstört wurde, wobei die hölzernen Bestandteile der Befestigungen verbrannten und die Steine dabei durch die Hitzeeinwirkung teilweise verschlackten.3

In vorgeschichtlicher Zeit haben nur wenige Plätze den Charakter einer regelrechten städtischen Siedlung erreicht. Einig sind sich die Experten für Thüringen nur im Falle der Steinsburg bei Römhild über den städtischen Charakter der latènezeitlichen Siedlung. Eventuell ist auch bei der latènezeitlichen Siedlung auf der Alteburg bei Arnstadt ein stadtartiger Charakter ausgeprägt gewesen. Die anderen dauerhaft bewohnten Thüringer Höhensiedlungen aus der Vorgeschichte waren wahrscheinlich häufig durch Viehzucht geprägte Plätze, zum Teil auch Adelssitze oder Handwerkersiedlungen, besaßen aber nicht alle Funktionen, die sich mit dem Begriff der Stadt verbinden.

Trotzdem vereinigten die befestigten Siedlungen in vorgeschichtlicher Zeit bereits eine Fülle unterschiedlicher Funktionen: Sie waren Wohnplatz, Refugium für Mensch und Tier, strategische Befestigung und Objekt von Machtdemonstration, Versammlungsort und kultisches Zentrum und wahrscheinlich auch häufig politisches Zentrum und Handelsplatz. Eine entscheidende Aufspaltung dieser Funktionen auf unbefestigte Siedlungen und Burgen gibt es für Thüringen wahrscheinlich erst nach einer langen, burgenarmen Zeit im frühen Mittelalter.

Anhand der heute oberflächlich erkennbaren Reste vorgeschichtlicher befestigter Siedlungen lassen sich deren ursprünglicher Charakter und Funktionen, wenn überhaupt, nur sehr grob abschätzen. Selbst im Falle aufwendiger Ausgrabungen bleibt das Bild über die Stellung der Siedlung im Gesamtgefüge der Siedlungsstruktur einer urgeschichtlichen Periode und im gesellschaftlichen Leben zumeist sehr unvollkommen. Wir müssen deshalb in Betracht ziehen, dass gerade die befestigten vorgeschichtlichen Siedlungen keinesfalls alle in ihrem Charakter gleich gewesen sind. Sie haben sich nicht nur in ihrer Größe, in der Dauer und Nutzungsintensität und dem Umfang der Befestigung unterschieden. Auch im Hinblick auf die sozialen, kultischen und politischen Funktionen der besiedelten Plätze wird es von Siedlung zu Siedlung und von Epoche zu Epoche Unterschiede gegeben haben.

2.1.3. Kultstätten auf befestigten oder ehemals befestigten Plätzen

Heute scheinen Kultplätze wie unsere Kirchen im Gegensatz zu Verteidigungseinrichtungen zu stehen. Dieser Gegensatz lässt sich jedoch nicht auf das Mittelalter und erst recht nicht auf die Vorgeschichte übertragen. Kulturelle Identität und kultische Gemeinschaft hingen viel stärker mit Verteidigung und Kampf zusammen als wir es heute nachempfinden können. In der Vorgeschichte haben religiöse Vorstellungen und Praktiken ohnehin viel weiter in den Alltag hineingereicht als heute. Die Vereinigung von Kultstätte und Versammlungsort ist uns vom Beispiel der christlichen Kirchen und den Tempeln anderer Religionen geläufig. Zufluchtsorte wurden durch die Vereinigung mit Kultstätten geheiligt und gestärkt. Die Verbindung von Refugium und Tabuzone ist ein über viele Kulturen und Zeiten zu beobachtendes Phänomen. Der Kultplatz formte in besonderem Maße die Identifizierung einer sozialen Gruppe mit einem Ort und forderte besonders nachdrücklich zur Verteidigung einer Befestigungsanlage heraus.

Wie Beobachtungen in Thüringen, aber auch in Sachsen und Böhmen nahelegen, scheinen die ältesten befestigten Höhensiedlungen typischerweise auch kultische Funktionen besessen zu haben.4 Der Charakter als Heiligtum blieb offensichtlich langfristig gewahrt.

Eine besondere Bedeutung scheinen Plätze alter, aufgegebener, befestigter Siedlungen gehabt zu haben, die gleichzeitig Kultort waren. Fluchtburgen, die zwischen Bewohnern unterschiedlicher unbefestigter Siedlungen, die am Ort des Kultes in Gefahrenzeiten Zuflucht finden konnten, eine kultische Identität vermittelten, boten die besten Voraussetzungen für eine besondere Langlebigkeit. Das Beispiel der Hasenburg bei Haynrode zeigt, dass an der Stelle älterer Höhensiedlungen ein Kultplatz und wahrscheinlich eine damit verbundene Fluchtburg existierten, nachdem die letzten Dauerbewohner die Höhe mehr als drei Jahrhunderte früher, d. h. mindestens zehn Generationen vorher, verlassen hatten.

Das Überleben kultischer Funktionen in ehemaligen Siedlungen oder in bestimmten exponierten Bereichen innerhalb der Siedlungen scheint ein sehr weit verbreitetes Phänomen gewesen zu sein. Die Sakralisierung von zentralen Flächen innerhalb größerer stadtartiger Siedlungen ist ein Phänomen, das z. B. auch in der Vorgeschichte und Antike im Mittelmeerraum häufig zu beobachten ist. Auch für die Steinsburg bei Römhild wird eine Sakralisierung des Gipfelbereiches in der Spätphase der Siedlungsentwicklung angenommen.5

2.1.4. Stammesburgen

Frühgeschichtliche Überlieferungen zeigen, dass es neben befestigten Fluchtplätzen auch Burgen mit besonderer Bedeutung für einzelne Kleinstämme gab. Solche Burgen sind aus frühgeschichtlicher Zeit insbesondere aus den slawisch besiedelten Gebieten bekannt, wo sie als Hauptorte, Versammlungs- und Gerichtsplätze dienten, oft aber auch in Gefahrenzeiten die Bevölkerung des Kleinstammesbergen konnten. Die zu einer solchen Burg gehörenden Gebiete sind aus frühgeschichtlicher Zeit oft als Gau oder pagus überliefert, weshalb für solche Stammesburgen auch der Begriff Gauburg gebräuchlich ist. Stammesburgen gab es vermutlich auch bereits in der Bronze- und frühen Eisenzeit, wobei die Anlagen oft zugleich Sitz eines Stammesoberhauptes gewesen sein können.

2.2. Adelsburgen

2.2.1. Burgen als Zentren von Burgbezirken

Diese Burgen sind den Stammes- oder Gauburgen in ihrer Funktion nahe verwandt. Auch sie sind Mittelpunkte eines zugehörigen Territoriums und gleichzeitig Zentren des gesellschaftlichen Lebens, damit häufig auch gleichzeitig Gerichts- und Versammlungsplätze. Im Gegensatz zu den Stammesburgen sind sie jedoch nicht primär durch eine Stammesgemeinschaft errichtet worden, sondern dienten den Interessen der Führung eines größeren Herrschaftsbereiches. Insofern waren sie eher Instrumente der Verwaltung und Beherrschung als der Selbstverwaltung und dem Schutz einer zu einer einzelnen Burg gehörenden Gemeinschaft dienende Anlagen. Wahrscheinlich gab es aber zwischen den beiden Burgentypen Übergänge. So scheint es, dass einige der im frühen Mittelalter als Stammes- oder Gauburgen bezeichneten Burgen später als Verwaltungsmittelpunkte eines zur Burg gehörenden Burgbezirkes dienten.

Eine Funktion von Burgen als Zentralort lässt sich für eine Reihe von frühmittelalterlichen slawischen Burgen erschließen. Seit etwa der Mitte des 10. Jahrhunderts liegen aus den ottonischen Marken Nachrichten über so genannte Burgwarde vor, die östlich der Saale oft auf slawische Vorläuferburgen zurückgehen. Die Burgwarde sind offensichtlich eine Form der Sicherung und Verwaltung von eroberten oder auch besonders gefährdeten Gebieten. Daneben dienten sie auch der Erfassung von Abgaben. Sie unterscheiden sich aber sonst nicht grundsätzlich in ihrer Funktion von karolingischen Burgen, die einem Burgbezirk vorstanden, und gehen wohl zum Teil sogar auf solche älteren Anlagen zurück.6

2.2.2. Grafensitze

Die Grafensitze stehen hinsichtlich ihrer Zentralfunktion für ein bestimmtes Gebiet den als Zentren von Burgbezirken errichteten Burgen nahe. Grafen sind primär Vertreter des Königs im Gericht. In diese Funktion wurden keine Ministerialen, sondern hochangesehene freie Adlige bestellt. Die alten Grafengeschlechter verwiesen deshalb immer wieder stolz auf ihre Wurzeln, die sie von den ursprünglich unfreien Vertretern des Dienstadels unterschieden. Grafen waren für ein bestimmtes Territorium zuständig. Bedingt durch ihre Funktion als höchste Richter in ihrem jeweiligen Gebiet, spielten sie zugleich auch stets eine besondere Rolle in der regionalen Politik, in der strategischen Entwicklung und in der wirtschaftlichen Nutzung ihrer Region, in der Sicherung von Wegen und oft auch in der kulturellen Entwicklung. Aus diesem Grund finden wir bei den Grafenburgen gewisse Aspekte der Bezirksburgen wieder, die die besondere Stellung im Territorium betreffen.

Im Unterschied zu den Bezirksburgen und erst recht zu den Stammesburgen dienten die Grafenburgen aber vorrangig den Grafen und ihren Familien sowie den mit dem Amt verbundenen und an die Burg gebundenen Geschäften. Sie besaßen aber nicht mehr die Funktion von Volksversammlungsplätzen, und erst recht waren sie nicht mehr zur Aufnahme der Bevölkerung umliegender Bereiche in Kriegszeiten gedacht oder geeignet. Die Grafenburgen sind deshalb fast immer Anlagen, die flächenmäßig kleiner als Fluchtburgen und Gauburgen sind, die sich aber durch ihre Ausstattung von den gewöhnlichen mittelalterlichen Herrensitzen abhoben.

In Thüringen können deutlich mehrere Phasen der Einrichtung von Grafschaften und damit auch der Begründung und Entwicklung von Grafensitzen unterschieden werden. Die ältesten Grafschaften wurden wahrscheinlich in der karolingischen Siedlungsperiode geschaffen. Leider sind wir über die Einrichtung dieser Burgen und Sitze aus historischen Quellen nur schlecht unterrichtet. Mancherorts werden in den fränkisch kontrollierten Grafschaften alte Stammesbezirke fortgelebt haben.

Im 10. Jahrhundert sind die meisten Burgen wahrscheinlich noch unter der Wirkung des königlichen Befestigungsregals angelegt worden. Dieses Recht sicherte dem König und den von ihm Beauftragten das alleinige Recht zu, Befestigungen anzulegen. Offensichtlich haben neben den königlichen Ministerialen auch angesehene Adlige, die als Gerichtsherren fungierten, das Recht erhalten oder sich genommen, befestigte Sitze aufzubauen. Burgen gelangten zum Teil als Lehen aus der Hand des Königs in die Hände lokaler Adliger oder wurden von diesen dem König zu Lehen aufgetragen.

Mit dem Investiturstreit und den Auseinandersetzungen zwischen den führenden Fürstenhäusern in Deutschland lockerte sich seit dem 11. Jahrhundert auch die Bindung der alten Grafengeschlechter an die Zentralgewalt und damit auch das Befestigungsregal. Eine Renaissance erlebte das Grafenprinzip in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, als vor allem durch Friedrich I. die Könige aus dem Haus Hohenstaufen versuchten, durch Vergabe von Komitaten, d. h. die Einsetzung neuer Grafen, ihre Machtposition in Thüringen und im Harzraum zu sichern. Dieser Periode verdanken wir die Aufwertung mehrerer Adelsgeschlechter in Thüringen und die Erbauung einer ganzen Reihe von Grafenburgen.7

Besondere Bedeutung erlangten in Thüringen die Ludowinger, die als Landgrafen von Thüringen seit dem letzten Drittel des 11. Jahrhunderts eine Vormachtstellung aufbauten und durch prachtvolle Burgenbauten sicherten. Mit der Runneburg in Weißensee, der Creuzburg und der Wartburg bei Eisenach sind drei Thüringer Burgen herausragende Zentren der landgräflichen Herrschaft gewesen, zu denen sich als vierte die knapp jenseits der heutigen Grenze Thüringens an der Unstrut gelegene Neuenburg bei Freyburg gesellte.

Im Umfeld gräflicher Burgen entstanden in Thüringen mehrere für die weitere Landesentwicklung wichtige Städte. Die Grafschaften wurden vielfach auch zu den Keimzellen der Territorialherrschaften, aus denen die späteren Herzogtümer und andere Kleinstaaten hervorgingen. Das sicherte etwa den Burgen von Rudolstadt, Sondershausen und Weimar die kontinuierliche Entwicklung bis hin zu absolutistischen Residenzen.

2.2.3. Fürstensitze

Aus dem Mittelmeerraum und auch aus Süddeutschland sind Fürstensitze bereits seit der Vorgeschichte bekannt. Im angrenzenden Bayern haben wir spätestens seit der frühen Eisenzeit mit Burgen zu rechnen, die im wesentlichen als Wohn- und Herrschaftsburgen von hochstehenden Adligen dienten. Prinzipiell sind solche Sitze auch in Thüringen denkbar, auch wenn sie als solche bisher nicht archäologisch sicher belegt werden können. Die Tatsache, dass auch in Thüringen (z. B. bei Leubingen) und im Harzvorland Fürstengräber in der frühen Bronzezeit angelegt wurden, lässt vermuten, dass schon in dieser Phase auch befestigte Fürstensitze in Thüringen existierten.

Für die germanische Zeit sind Fürstensitze nicht als befestigte Wohnplätze nachgewiesen. Vielmehr deuten sowohl die schriftlichen als auch die archäologischen Quellen darauf hin, dass auch der Hochadel in unbefestigten Höfen wohnte und die Hochadelsfamilien wie die gemeinen Freien im Krisenfall Fluchtburgen aufsuchten.

Nach der Zerstörung des Thüringer Königreiches durch den militärischen Sieg der Franken 531 und der Ermordung des Königs 534 ist mit dem Anlegen von Befestigungen zur Sicherung der eroberten Gebiete durch die Franken zu rechnen. In der Zuordnung zu bestimmten Wallanlagen bestehen aber während der Völkerwanderungszeit und im frühen Mittelalter viele Unsicherheiten. Für Thüringen sind fränkische Herzöge überliefert und es muss angenommen werden, dass diese befestigte Wohnsitze hatten. Die Identifizierung mit nachgewiesenen Anlagen aus der späten Merowinger- und der Karolingerzeit ist jedoch schwierig. Erst die Zeit der sächsischen Herzöge und Könige des 10. Jahrhunderts beschert Thüringen mit der Verlagerung des Machtzentrums des Reiches in den Harzraum und an die Unstrut historisch und archäologisch fassbare Fürstensitze. Zu diesen ist die Pfalz Nordhausen zu rechnen, die König Heinrich seiner Frau Mathilde als Morgengabe schenkte. In dieser Zeit lebten die Fürsten jedoch nicht auf den strategisch maximal gesicherten Höhenburgen. Vielmehr dienten diese z. B. dem König nur sekundär zur Sicherung der Eigengüter, des Reichsgutes und der in diesen liegenden Königshöfe und Pfalzen, die oft nur schwach befestigt waren, aber die eigentlichen Residenzen bildeten.

Zu den Fürstensitzen des hohen und späten Mittelalters müssen auch die Burgen der Landgrafen gerechnet werden, die ursprünglich Grafensitze waren, deren Bedeutung aber spätestens seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert über die Region hinausreichte. Bedingt ist zu den spätesten Fürstensitzen auch der Südthüringer Burgenbau der Grafen von Henneberg zu zählen, die ab dem 12. Jahrhundert die anderen Grafengeschlechter deutlich überragten und eine große Territorialherrschaft anstrebten, welche allerdings durch Erbteilungen beeinträchtigt wurde. Als eigentlicher Fürstensitz darf in diesem Zusammenhang wohl der schon zum Schlossbau überleitende Bau der hennebergischen Bertholdsburg in Schleusingen gelten.

2.2.4. Sitze des niederen Adels

Der geringen Zahl von befestigten Fürstensitzen und der immer noch relativ kleinen Zahl von Grafenburgen stand im mittelalterlichen Thüringen eine große Zahl kleinerer und kleinster Herrensitze gegenüber. Viele dieser Herrensitze wurzeln zumindest im 10. Jahrhundert und könnten somit auf die Burgenordnung Heinrichs I. zurückgehen, die das Land gegen ungarische Reitereinfälle sichern und die Expansion ins ostsaalische und ostelbische Slawenland unterstützen sollte. Es zeigte sich jedoch, dass auch solche kleinen Burgen zum Teil auf noch wesentlich ältere Anlagen zurückgehen, wie etwa archäologische Untersuchungen auf der Wüstung Gommerstedt bei Bösleben/​Ilm-Kreis nachgewiesen haben.8 Demzufolge geht die Errichtung kleiner Herrensitze wahrscheinlich vielerorts bis in die karolingische Zeit zurück. Es ist anzunehmen, dass solche Burgenbauten nur mit königlicher oder gräflicher Duldung bzw. Anweisung durchgeführt werden konnten. Deshalb werden wir in ihnen von Anfang an die Sitze von kleineren Dienstleuten zu sehen haben. Wir kennen Überlieferungen von Freihöfen und ritterpferdigen Lehen aus dem späten Mittelalter, die möglicherweise regelmäßig auf früh- bis hochmittelalterliche Lehnsleute aus dem niederen Adel weisen, die zumeist auf einem befestigten Hof oder einer einfachen Burg saßen. Viele von diesen einfachen Sitzen sind offensichtlich vollständig überbaut worden oder untergegangen, ohne nennenswerte Spuren im Gelände zu hinterlassen. Mancherorts haben sich mehr oder weniger hohe Ruinenhügel als Reste von Turmhügelburgen erhalten.8A Andere frühe Herrensitze haben sich zu bedeutenderen Burgen und z. T. später zu Herrenhäusern und Schlössern entwickelt, die in vielen Fällen als eindrucksvoll erhaltenes Bauwerk oder wenigstens als Ruine auf uns gekommen sind.

Sitze kleinerer Herren lassen sich oft an Stellen späterer Rittergüter und Herrenhäuser erschließen. Auf verschwundene Herrensitze geben offensichtlich auch verschiedene Flur-, Straßen- und Ortsnamen Hinweise (siehe Anhang S. 338). In vielen Fällen kann dabei aber nicht zwischen kleinen Burgen und schwach bzw. gar nicht befestigten Herrensitzen unterschieden werden, soweit keine historischen Belege vorliegen oder solange keine archäologische Untersuchung stattgefunden hat.

2.2.5. Strategische Burgen

Eine besondere Klasse von Burgen geht auf die strategische Sicherung von Landesteilen und Verkehrswegen zurück. Solche strategischen Burgen wurden natürlich nur angelegt, wenn es eine Macht gab, die in der Lage war, überregionale Interessen zu verfolgen. Es ist bis heute strittig, ob es in unserem Gebiet bereits in der Vorgeschichte solche strategischen Planungen gegeben hat. Das gehäufte Auftreten von Burgen und befestigten strategischen Siedlungen in bestimmten Bereichen oder entlang bevorzugter geografischer Linien in bestimmten vorgeschichtlichen Perioden – etwa in der jüngeren Bronzezeit – ist von manchen Forschern als Indiz für die Existenz von Gruppen solcher zueinandergehörenden frühen strategischen Anlagen gewertet worden. Größerflächige Herrschaftsräume konnten aber für die vorgeschichtlichen Phasen daraus nicht überzeugend abgeleitet werden. Hingegen darf in der Orientierung von vorgeschichtlichen Höhensiedlungen zu wichtigen Verkehrsleitlinien, Pässen und Flussübergängen ein wichtiges Indiz für solche frühen strategischen Aktivitäten gesehen werden.

Die Situation änderte sich mit der Entwicklung stärker koordiniert agierender Kriegerverbände in der jüngeren vorrömischen Eisenzeit und der römischen Kaiserzeit. In dieser Phase der vorgeschichtlichen Entwicklung haben Burgen als sichere Wohnplätze für den regionalen Adel oder die regionale Sicherung von Territorien offensichtlich keine wesentliche Rolle gespielt. Dafür gibt es ein schönes Beispiel einer Burg, die dem archäologischen Befund nach als gesicherte Nachschubbasis für frühe elbgermanische Kriegerverbände diente und damit auf strategische Ziele orientiert war: die Funkenburg bei Westgreußen.

Aus der späteren römischen Kaiserzeit (3. - 4. Jh.) und der Völkerwanderungszeit (5. - 7. Jh.) gibt es Hinweise auf Fluchtburgen, jedoch keine sicheren Befunde für längerfristig bewohnte strategische Anlagen. Erst in der Karolingerzeit wird eine Gruppe von zum Reich gehörenden Burgen genannt, die offensichtlich den Zweck hatte, Thüringen für die fränkische Herrschaft zu kontrollieren. Zu diesen Burgen ist sicherlich die Mühlburg bei Mühlberg zu zählen, eventuell auch der Petersberg bei Erfurt, wahrscheinlich auch eine Burg, die im Gebiet von Görmar oder Mühlhausen gestanden hat. Diese Burgen gehören zu einem Burgensystem der ostfränkischen Grenzmark, in das auch verschiedene Burgen an der unteren Saale (Sachsen-Anhalt) eingegliedert waren. Es ist zu vermuten, dass bereits bald nach dem fränkisch-sächsischen Sieg über die Thüringer von 531 von den Franken in Thüringen Burgen errichtet wurden. Leider stehen dafür sichere Nachweise bisher aus.

Der Burgenbau Heinrichs I. ist in seiner Anlage auch ganz klar ein strategischer Burgenbau. In das strategische System der Ottonen ordneten sich verschiedene Burgentypen, darunter auch die Burgwardhauptorte, ein. Auch viele der späteren kleinen und mittleren Herrensitze, sofern sie aus dem Burgenprogramm von Heinrich I. hervorgingen, waren primär strategische Burgen. Noch deutlicher wird ein strategisches System von Reichsburgen in salischer Zeit. Beginnend unter Heinrich III., vor allem aber unter Heinrich IV. entstand in Thüringen und um den Harz eine ganze Gruppe von Burgen, die einzig dem Ziel dienten, die königlichen Interessen gegenüber dem einheimischen Adel durchzusetzen. Der Konflikt kulminierte im sächsisch-thüringischen Volksaufstand von 1073/​74, dem eine ganze Reihe neu angelegter bzw. neu befestigter Reichsburgen zum Opfer fiel, wie etwa die Spatenburg bei Sondershausen, die Burg Volkenroda bei Schlotheim und die Hasenburg bei Haynrode.