Karl May


Von Bagdad nach Stambul

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Klassiker als ebook bei RUTHeBooks, 2015


ISBN: 978-3-95923-015-5


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Kapitel 8 - In Edreneh



Adrianopel, welches die Türken Edreneh nennen, ist nach Konstantinopel die bedeutendste Stadt des osmanischen Reiches. Hier residierten die Sultane von Murad dem Ersten an bis zu Mohammed dem Zweiten, welcher im Jahre 1453 Konstantinopel eroberte und seine Residenz dorthin verlegte. Auch später war es ein Lieblingsaufenthalt vieler Sultane, von denen besonders Mohammed der Vierte gern hier verweilte.

Unter den mehr als vierzig Moscheen, welche die Stadt besitzt, ist die "Selimje", die Selim der Zweite erbaute, berühmt. Sie ist noch größer als die Aja Sophia in Konstantinopel und verdankt ihre Entstehung dem berühmten Moshia-Architekten Sinan. Wie eine Oase in der Wüste liegt sie inmitten einer kläglichen Anhäufung von Holzhäusern, deren bunt bemalte Mauern und Wände aus tiefem Schmutz und Straßenkot auftauchen. Der imposante Kuppelbau dieser Moschee wird im Innern von acht gigantischen Pfeilern getragen und äußerlich von vier wunderbar schlanken Minarehs belebt, von denen ein jedes drei Balkone für die Muezzins besitzt. Im Innern erblickt man zwei Reihen Galerien, welche aus den kostbarsten Marmorarten zusammengesetzt sind und von 250 Fenstern erleuchtet werden. Zur Zeit des Ramasans brennen hier 12.000 Lichter.

Wir kamen von Kirkilissar und hatten die schlanken Minarehs der Selimje schon längst vor uns leuchten sehen. Von weitem bot uns Adrianopel einen prächtigen Anblick dar; als wir es aber erreicht hatten und durch seine Straßen ritten, ging es wie mit allen andern Städten des Orientes: sie verlieren in der Nähe ihre Schönheit und erfüllen niemals das, was sie aus der Ferne versprechen.

Hulam, den wir aufsuchen wollten, wohnte in der Nähe des Utsch Scherifeli, der Moschee Murads des Ersten, an deren terrassenförmigem, mit prächtigem Marmor gepflastertem Vorhofe wir vorüberritten. Die vierundzwanzig von siebzig Säulen getragenen Kuppeln wurden aus dem Schatz der Johanniter erbaut, welcher bei der Eroberung von Smyrna erbeutet wurde. Wir tauchten in eine sehr stark belebte Gasse und hielten vor einer mehrere Stockwerke hohen Mauer, durch welche ein jetzt verschlossenes Tor führte. Wir hatten in dieser Mauer die Straßenfront des Hauses zu erblicken, welches uns gastlich aufnehmen sollte.

Das Tor hatte in Kopfeshöhe ein rundes Loch, vor welchem auf das Klopfen Islas ein bärtiges Gesicht erschien.

"Kennst du mich noch, Malhem?" fragte der junge Konstantinopolitaner. "Öffne uns!"

"Maschallah, Gott tut Wunder!" erklang es von innen. "Du bist es wirklich, Herr? Komm eilends herein!"

Das Tor wurde geöffnet, und wir ritten durch eine Art Durchfahrt nach einem ziemlich großen Hofe, welcher rings von den Innengalerien des Hauses umgeben war. Alles zeigte einen ungewöhnlichen Reichtum. Auch die Zahl der herbeieilenden Diener ließ ebenso auf denselben schließen.

"Wo ist der Herr?" fragte Isla einen Mann, welcher ihn mit tiefer Ehrerbietung begrüßte und, wie ich später erfuhr, der Hausmeister war.

"Im Ischlik bei seinen Büchern."

"Führe diese Männer in das Selamlik, und sorge dafür, daß sie gut bedient werden. Auch die Pferde müssen gut untergebracht werden!"

Er nahm Jacub Afarah bei der Hand und begab sich nach der Arbeitsstube des Hausherrn. Wir andern wurden nach einem Raume geführt, welcher die Größe eines kleinen Saales hatte. Die vordere Seite bildete eine offene, von Säulen getragene Veranda, und die Wände der drei übrigen Seiten waren, golden auf blauem Grunde, mit Kuransprüchen verziert.

Wir ließen uns trotz des Staubes, welcher an unseren Kleidern haftete, auf grünsamtne Diwans nieder, und ein jeder erhielt eine Wasserpfeife und den Kaffee in Täßchen, welche anstatt der Fingans in silbernen Dreifüßen staken. Das alles hatte den Anschein eines gediegenen Luxus, von welchem sich abermals auf den Reichtum des Besitzers schließen ließ.

Wir hatten kaum den Kaffee gekostet, so erschienen Afarah und Isla mit dem Hausherrn. Dieser war eine höchst ehrwürdige, imposante Erscheinung, mit einem Barte, welcher an Länge und Fülle demjenigen von Mohammed Emin glich. Der Eindruck, welchen er machte, nötigte unwillkürlich zum Aufstehen, auch wenn dies nicht von der Sitte gefordert worden wäre. Wir erhoben uns.

"Sallam aaleïkum!" grüßte er, indem er die Hände wie zum Segen erhob. "Seid willkommen in meinem Hause und denkt, daß es das eure sei!"

Er ging von einem zum andern, um uns die Hand zu reichen, dann ließ er sich mit seinen beiden Verwandten bei uns nieder. Auch ihnen wurden Pfeifen und Kaffee gebracht, und dann gab er einen Wink, auf welchen sich die Diener zurückzogen. Darauf wurden wir ihm von Isla vorgestellt. Er betrachtete mich eine längere Zeit und ergriff dann abermals meine Hand, die er eine Minute lang festhielt.

"Du weißt vielleicht noch nicht, daß du mir bekannt bist, Effendi," sagte er. "Isla hat mir viel von dir erzählt. Er hat dich lieb, und so hast du auch mein Herz besessen, obgleich wir uns noch nicht gesehen haben."

"Herr, deine Worte machen meine Seele leicht," antwortete ich. "Wir befinden uns nicht in der Wüste oder bei den Weideplätzen eines Beduinenvolkes, und es ist daher nicht überall gewiß, daß man willkommen geheißen wird."

"Ja, die schöne Sitte unserer Väter verliert sich von Jahr zu Jahr immer mehr; sie verschwindet in den Städten und zieht sich klagend in die Wüste zurück. Die Wüste ist der Geburtsort der Hilfsbedürftigkeit, aber Allah läßt auch gerade in ihr die Palme der Bruderliebe wachsen. In der großen Stadt fühlt sich der Fremdling verlassener als in der Sahara, wo kein Dach ihm den Anblick von Allahs Himmel raubt. Du warst in der Sahara, wie ich vernommen habe; hast du nicht gefühlt, daß ich die Wahrheit sage?"

"Allah ist überall, wo der Mensch den Glauben an ihn im Herzen trägt. Er wohnt in den Städten, und er blickt auf die Hammada; er wacht über den Wassern, und er rauscht durch das Dunkel des Urwaldes; er schafft im Innern der Erden und in den hohen Lüften; er regiert den leuchtenden Käfer und die blitzenden Sonnen; du hörst ihn im Jubel der Lust und in dem Rufe des Schmerzes; sein Auge glänzt aus der Träne der Freude und schimmert aus dem Tropfen, mit welchem das Leid die Wange befeuchtet. Ich war in Städten, wo Millionen wohnen, und ich war in der Wüste, von jeder Wohnung weit entfernt, aber niemals habe ich gefürchtet, allein zu sein, denn ich wußte, daß Gottes Hand mich hielt."

"Effendi, du bist ein Christ, aber ein frommer Mann; du bist wert, ein Moslem zu sein, und ich ehre dich, als ob die Lehre des Propheten die deinige sei. Isla sagte mir, daß ihr kommt, um mich vor einem schweren Verluste zu bewahren. Sprich du für die andern!"

"Hat er dir nichts Näheres gesagt?"

"Nein, denn ich mußte eilen, euch willkommen zu heißen."

"So sage mir, ob ein Fremdling seit einiger Zeit in deinem Hause wohnt?"

"Es wohnt ein Fremder hier, ein frommer Mann aus Koniëh, der aber heute nicht in Adrianopel ist. Er ist nach Hadschi Bergas geritten."

"Aus Koniëh? Wie nennt er sich?"

"Abd el Myrhatta ist sein Name. Er hat das Grabmal des berühmten Heiligen Myrhatta besucht, um ein Gelübde zu erfüllen; daher nennt er sich den Diener Myrhattas."

"Warum wohnt er bei dir?"

"Ich selbst habe ihn eingeladen, bei mir zu bleiben. Er will in Brussa einen großen Bazar errichten und wird hier bedeutende Einkäufe machen."

"Wohnt noch ein anderer Fremder bei dir?"

"Nein."

"Wann kehrt er zurück?"

"Heute Abend."

"So wird er heute Abend unser Gefangener sein!"

"Allah kerihm! Wie meinst du das? Dieser fromme Moslem ist ein Mann nach Allahs Wohlgefallen. Warum wollt ihr ihn gefangen nehmen?"

"Weil er ein Betrüger und noch etwas viel Schlimmeres ist. Er hat bemerkt, daß du ein frommer Diener Allahs bist, und hat, um dir wohlzugefallen, die Maske der Frömmigkeit vor sein Angesicht gelegt. Er ist kein anderer, als der Mann, welcher Senitza, das Weib Islas, aus ihrer Heimat entführte. Laß dir alles von Isla erzählen!"

Hulam erschrak, und Isla erzählte. Auch als er geendet hatte, wollte der alte Handelsherr es noch nicht glauben, daß er es mit einem Verbrecher zu tun habe. Er konnte nicht glauben, daß eine Maske so geschickt getragen werden könne.

"Seht ihn euch erst an und sprecht mit ihm," sagte er, "so werdet ihr sehen, daß ihr euch täuscht!"

"Wir brauchen gar nicht mit ihm zu sprechen," warf Osco ein; "wir brauchen ihn nur zu sehen, denn ich kenne ihn, und Isla kennt ihn auch."

"Ihr braucht ihn weder zu sehen, noch zu sprechen," fügte ich hinzu. "Ich bin gewiß, daß es Barud el Amasat ist. Abd el Myrhatta ließ sich auch Abrahim Mamur in Konstantinopel nennen, und ich vermute fast, daß auch Hamd el Amasat in Skutari den gleichen Namen angenommen hat."

"Aber mein Gast kann doch der richtige Abd el Myrhatta sein!" warf Hulam ein.

"Das ist allerdings eine Möglichkeit, aber nicht wahrscheinlich. Wir werden also bis heute Abend warten müssen."

Weiter war nichts zu sagen und auch nichts zu tun. Wir erhielten nach alter, patriarchalischer Sitte ein jeder ein Zimmer und reine Kleider, welche wir anlegten, nachdem wir ein Bad genommen hatten. Dann versammelten wir uns zum Mahle, welches ein dem Reichtum des Hauses angemessenes war. Mit Ungeduld erwarteten wir dann den Abend, indem wir uns die Zeit bis dahin mit Gespräch und Schachspiel zu verkürzen suchten; denn auszugehen war nicht geraten, da ich es für sehr wahrscheinlich hielt, daß Barud el Amasat nur vorgegeben habe, nach Hadschi Bergas zu reiten. Jedenfalls hatte er Genossen in der Stadt, bei denen seine Gegenwart wohl etwas nötiger war, als in dem kleinen Orte, wo er gar nichts zu suchen hatte.

Endlich wurde es dunkel, und wir zogen uns, um beisammen zu sein, in das Zimmer zurück, welches Isla bewohnte. Hulam hatte uns gesagt, daß er mit seinem Gaste im Selamlik zu Abend speisen werde, und so beschlossen wir, daß er dann während des Essens von Isla und Osco überrascht werden solle, während wir drei anderen dafür sorgen wollten, daß er nicht entfliehen könne.

Wohl noch an die zwei Stunden vergingen, ehe wir den Schritt eines Pferdes vom Hofe herauf erklingen hörten, und eine Viertelstunde später benachrichtigte uns einer der Diener, daß der Herr mit seinem Gaste sich zum Abendmahle gesetzt habe. Wir gingen hinab.

Das Tor war verschlossen, und der Wächter desselben hatte die Anweisung erhalten, keinen Menschen hinaus zu lassen. Wir näherten uns mit leisen Schritten dem Selamlik, welches jetzt durch eine Ampel hell erleuchtet wurde, und nahmen zu beiden Seiten hinter den Pfeilern Platz. Wir konnten jedes Wort hören, welches von den beiden Essenden gesprochen wurde. Hulam, der scharf aufmerkte, hatte doch unsere Annäherung wahrgenommen und gab nun dem Gespräche eine auf unser Vorhaben bezügliche Wendung. Er brachte die Rede auf Konstantinopel und fragte bei dieser Gelegenheit:

"Bist du oft in Stambul gewesen?"

"Einige Male," antwortete der Gefragte.

"So kennst du die Stadt ein wenig?"

"Ja."

"Ist dir der Stadtteil bekannt, welchen man Baharive Keui nennt?"

"Ich glaube, von ihm gehört zu haben. Liegt er nicht oberhalb Eyub an der linken Seite des goldenen Hornes?"

"Ja. Dort hat sich jüngst etwas ganz Merkwürdiges zugetragen. Man hat nämlich eine ganze Gauner- und Mörderbande gefangen genommen."

"Allah 'l Allah!" rief der Mann erschrocken. "Wie ist das zugegangen?"

"Diese Menschen hatten ein Haus, in welches nur diejenigen Zutritt fanden, welche das Wort "en Nassr" sagten, und ..."

"Ist's möglich!" unterbrach ihn der Gast.

Aus dem Tone, mit welchem diese zwei Worte ausgestoßen wurden, klang nicht der objektive Abscheu des unbefangenen Zuhörers, sondern der subjektive Schreck des Beteiligten. Ich war jetzt überzeugt, daß dieser Mann der Gesuchte sei, und zum Überfluß flüsterte mir Osco, welcher neben mir stand, leise zu:

"Er ist es! Ich kann sein Gesicht deutlich sehen."

"Dieses Wort aber hat man belauscht," fuhr Hulam fort, "und ist mit Hilfe desselben in das Haus eingedrungen."

Er erzählte nun die Begebenheit, und der Gast hörte ihm mit außerordentlicher Spannung zu. Der letztere fragte, als der Bericht beendet war, mit deutlich vibrierender Stimme:

"Und war der Usta wirklich erschossen?"

"Der Usta? Wer ist das? Wer wird so genannt? Ich habe das Wort ja gar nicht ausgesprochen!"

"Ich meine den Anführer, den du Abrahim Mamur nanntest."

Durch die Anwendung des Wortes "Usta" hatte er sich verraten. Auch Hulam mußte nun wissen, woran er war; doch ließ er sich nichts merken, sondern antwortete ruhig:

"Nein, er war nicht tot; er hatte sich nur gestellt, als ob er von der Kugel getroffen worden sei. Aber am andern Tage fand er dennoch seinen Lohn. Er wurde von der Galerie des Turmes zu Galata herabgestürzt."

"Wirklich? Schrecklich! Da war er tot?"

"Ja, er und ein Grieche Namens Kolettis, welcher auch mit herabgestürzt wurde."

"Kolettis? ïa waïh! Wer hat sie herabgestürzt?"

"Ein Araber aus Tunis, aus der Gegend des Schott el Dscherid, der eine Blutrache gegen einen gewissen Hamd el Amasat hat. Dieser Amasat hat einen fränkischen Kaufmann in Blidah ermordet, den Neffen desselben erschossen und dann auch den Vater jenes Arabers auf dem Schott umgebracht. Der Sohn sucht ihn nun."

"Allah kerihm! Was es für böse Menschen gibt! Das kommt aber daher, daß niemand mehr an die Lehre des Propheten glaubt! Wird der Araber diesen Hamd el Amasat finden?"

"Er ist ihm bereits auf der Spur. Dieser Mörder hat einen Bruder, welcher Barud el Amasat heißt und ein ebenso großer Schurke ist. Er hat die Tochter eines Freunds entführt und als Sklavin verkauft. Sie ist dem Käufer wieder entrissen worden, welcher kein anderer als jener Abrahim Mamur war, und Isla Ben Maflei, ein Verwandter von mir, hat sie zum Weibe genommen. Er hat sich aufgemacht, diesen Barud el Amasat aufzusuchen und zu bestrafen."

Während dieser Rede war der Gast immer ängstlicher geworden; das Essen war ihm vergangen, und sein Blick hing mit wachsender Aufregung an den Lippen des Erzählers.

"Wird er ihn finden?" fragte er.

"Sicher! Er ist nicht allein. Osco, der Vater der Geraubten, ist bei ihm, sodann der fränkische Arzt, welcher Senitza befreite, sein Diener und endlich auch jener Araber, der Abrahim Mamur vom Turme gestürzt hat."

"So haben sie wohl bereits seine Spur gefunden?"

"Sie kennen seinen Namen, den er jetzt trägt."

"Wirklich? Wie nennt er sich?"

"Abd el Myrhatta. Auch der Usta ließ sich in Stambul so nennen."

"Das ist ja mein Name!" rief er entsetzt.

"Allerdings. Allah weiß es, wie sie gerade auf den Namen eines so frommen Mannes gekommen sind! Ihre Strafe möge darum eine doppelte sein!"

"Aber wie hat man diesen Namen erfahren können?"

"Das will ich dir sagen. Barud el Amasat hat einen Sohn im Kloster der tanzenden Derwische in Pera. Zu ihm ist der fränkische Arzt gegangen und hat getan, als ob er auch ein "Nassr" sei. Der junge Mensch hat sich betören lassen und ihm den Namen genannt und auch gesagt, daß Barud el Amasat in Skutari bei einem fränkischen Händler sei, welcher Galingré heißt."

Jetzt hielt es der Zuhörer nicht länger aus. Er stand auf und entschuldigte sich:

"Herr, das klingt so entsetzlich, daß ich nicht essen kann. Ich bin vom Reiten sehr ermüdet. Erlaube, daß ich schlafen gehe!"

Auch Hulam erhob sich.

"Ich glaube, daß du nicht zu essen vermagst. Wer eine solche Rede von sich hören muß, dem schließt die Angst die Gurgel zu."

"Von sich hören muß? Ich verstehe dich nicht! Du glaubst doch nicht etwa, daß ich, weil er gerade meinen Namen angenommen hat, jener Barud bin!"

"Ich glaube es nicht, sondern ich bin überzeugt davon, Schurke!"

Da raffte sich der Mensch empor und rief: "Schurke nennst du mich! Tue das nicht noch einmal, sonst ...!"

"Sonst, was wird sonst geschehen?" erklang es da neben ihm.

Isla war hinzugesprungen und an seine Seite getreten.

"Isla Ben Maflei!" erklang es ganz bestürzt.

"Ja, Isla Ben Maflei, der dich kennt, und den du nicht zu täuschen vermagst. Und blicke dich um; da steht noch ein anderer, der mit dir zu reden hat!"

Er wandte sich zur anderen Seite, da stand Osco vor ihm. Er sah, daß er verloren sei, wenn ihm nicht eine schnelle Flucht gelang.

"Euch führt der Scheïtan herbei. Geht zur Dschehenna!"

Mit diesem Rufe stieß er Isla zurück und wollte entspringen. Er hatte bereits die Säulen erreicht; da trat Halef vor und stellte ihm ein Bein; er fiel über dasselbe hinweg und stürzte zur Erde nieder. Natürlich wurde er sogleich gepackt und in das Selamlik zurückgebracht.

Dieser Mann war ein Feigling. Als er sich von so vielen ergriffen sah, machte er nicht den geringsten Versuch der Gegenwehr; er ließ sich ruhig binden und auf den Boden niedersetzen.

"Herr, glaubst du nun noch an die Frömmigkeit dieses Mannes?" fragte der kleine Hadschi den Wirt. "Er wollte dich bestehlen und dann fliehen."

"Ihr hattet recht," antwortete der Wirt. "Was geschieht mit ihm?"

Da streckte Osco die Hand gegen den Gefangenen aus und sagte:

"Er hat mir die Tochter geraubt und mich hinausgetrieben, sie unter Gram und Herzeleid zu suchen. Er gehört mir, denn so wollen es die Gesetze der schwarzen Berge."

Da trat ich ihm entgegen.

"Diese Gesetze gelten nur auf den schwarzen Bergen, nicht aber hier. Übrigens hat der Fürst deines Landes diese Gesetze aufgehoben. Ihr habt mir versprochen, diesen Mann dem Richter zu übergeben, und ich hoffe, daß ihr Wort halten werdet."

"Effendi, die Richter dieses Landes sind bekannt," antwortete der Montenegriner. "Sie werden sich bestechen lassen und ihm Gelegenheit geben, zu entfliehen. Ich verlange ihn für mich!"

"Was wirst du mit ihm tun, wenn wir ihn in deine Hand geben?" erkundigte sich unser Wirt.

Der Gefragte zog seinen Dolch hervor und antwortete:

"Er wird an diesem Stahle sterben."

"Das kann ich nicht zugeben, denn er hat kein Blut vergossen!"

"Er hat in Stambul zu den Mördern gehört!"

"Grad darum darfst du ihn nicht töten. Soll sein Sohn straflos bleiben? Sollen auch alle entkommen, die man nicht fangen konnte, obgleich sie zu denen gehörten, welche das Wort "en Nassr" kannten? Er muß leben bleiben, damit man ihre Namen erfährt."

"Wer aber macht mich glauben, daß er auch wirklich seine Strafe findet?"

"Ich! Der Mann, welcher Hulam heißt, ist nicht der Geringste unter den Bewohnern dieser Stadt. Ich werde noch jetzt zu dem Richter gehen, damit er diesen Menschen abholen und gefangen nehmen läßt, und ich schwöre dir bei Allah und dem Propheten, daß er seine Pflicht erfüllen wird!"

"So tue es!" sagte Osco finster. "Aber ich sage dir, daß ich dich bei deinem Schwure festhalten werde so lange, bis ich gerächt worden bin!"

Barud el Amasat wurde eingeschlossen, und der grimmige Osco tat es nicht anders, er mußte mit ihm zusammengesteckt werden. Hulam begab sich zu dem Beamten, und wir warteten des Bescheides, den er bringen werde. Als er zurückkehrte, folgten ihm mehrere Khawassen, welche den Gefangenen abzuholen hatten. Er wurde ihnen übergeben, und als sie mit ihm verschwunden waren, konnten wir mit dem Bewußtsein zur Ruhe gehen, unseren Wirt vor Nachteil bewahrt und einen bösen Menschen unschädlich gemacht zu haben.

Der Richterspruch eines Kadi läßt nicht lange auf sich warten, und so beschlossen wir, zu bleiben, bis das Urteil gesprochen werde. Wir hatten nun Zeit, uns Adrianopel anzusehen.

Wir besuchten die Moschee Selims und Murads, ebenso eine türkische Medresse; dann durchwanderten wir den berühmten Bazar Ali Paschas und machten endlich eine Kahnfahrt auf der Maritza, an welcher die Stadt liegt. Zur Mittagszeit kehrten wir heim und fanden eine Vorladung vor, bei dem Kadi zu erscheinen. Um neun Uhr türkischer Zeit, was nach unserer Uhr nachmittags drei Uhr ist, erschienen wir vor dem Richter.

Das Verhör war ein öffentliches, und es hatte sich ein zahlreiches Publikum eingefunden. Ein jeder einzelne von uns mußte seine Aussage tun, und der Gefangene saß dabei, um es zu hören. Als wir alle gesprochen hatten, fragte der Kadi den Angeklagten:

"Du hast gehört, was diese Männer sagen. Ist es wahr oder nicht?"

Der Gefragte antwortete nicht; der Kadi wartete eine Minute und fuhr dann fort: "Du kannst also nichts sagen, um die Anklage dieser Männer zurückzuweisen, und bist also alles dessen schuldig, wessen sie dich bezichtigt haben. Da du ein Glied der Bande bist, welche in Stambul sündigte, so muß ich dich dorthin schaffen; dort wirst du auch die Strafe für den Raub des Mädchens erfahren; aber dafür, daß du es gewagt hast, hier in Edreneh ein Verbrechen begehen zu wollen, werde ich dir hundert Streiche auf die Füße geben lassen. Das wird sogleich geschehen!"

Er winkte den Khawassen, welche in seiner Nähe standen, und gebot ihnen:

"Holt das Brett und die Stöcke!"

Zwei von ihnen entfernten sich, um die angegebenen Gegenstände herbeizuschaffen.

Außer den Beamten und den Parteien war auch ein zahlreiches Publikum anwesend, welches sich eingestellt hatte, um das Schauspiel dieser Verurteilung zu genießen. In diesem Augenblick machte sich im Publikum eine Bewegung geltend, welche an sich zwar unbedeutend war, einem aufmerksamen Beobachter aber nicht entgehen konnte. Es drängte sich nämlich ein Mann langsam, doch nachhaltig von hinten nach vorn. Mein Blick fiel auf ihn. Er war lang und hager gebaut, hatte sich in die Tracht der gewöhnlichen Bulgaren gekleidet, schien mir aber keiner zu sein. Sein langer Hals, die Habichtsnase, das lange, schmale Gesicht mit dem herabhängenden Schnurrbart, die außerordentlich gewölbte Brust, das alles ließ in ihm eher einen Armenier als einen Bulgaren vermuten.

Weshalb drängte dieser Mann sich nach vorn? Tat er es nur aus einfacher Neugierde, oder hatte er vielleicht einen besonderen Zweck? Ich beschloß, ihn genau zu beobachten, es aber nicht merken zu lassen.

Die Khawassen kamen zurück. Der eine von ihnen trug einige jener ominösen Stöcke, welche bei der Bastonnade unumgänglich notwendig sind; der andere ein Brett, an welchem sich vorn und in der Mitte hänfene Schlingen befanden, um Arme und Leib des Delinquenten festzuhalten. Am hinteren Teile war eine einfache Vorrichtung angebracht, um die Beine des Verurteilten emporzuhalten, damit die entblößten Fußsohlen in eine horizontale Lage kamen.

"Zieht ihm das Gewand und die Schuhe aus!" befahl der Kadi.

Die Khawassen traten zu ihm heran, um den Befehl zu vollführen. Da endlich zeigte er, daß er sprechen könne.

"Halt!" rief er. "Ich lasse mich nicht schlagen!"

Die Augenbrauen des Kadi zogen sich zusammen.

"Nicht?" fragte er. "Wer will es mir verbieten, dir die Bastonnade geben zu lassen?"

"Ich!"

"Hund! Wagst du, so mit mir zu sprechen! Soll ich dir zwei Hundert geben lassen, anstatt nur ein Hundert?"

"Nicht einen einzigen Schlag darfst du mir geben lassen! Du hast wohl verschiedenes gesagt und gefragt; aber das Notwendigste hast du doch vergessen. Oder hast du dich etwa erkundigt, wer und was ich bin?"

"Das ist nicht nötig! Du bist ein Mörder, ein Dieb. Das ist genug."

"Ich habe bis jetzt noch nicht das Geringste zugegeben. Aber schlagen lassen darfst du mich auf keinen Fall."

"Warum?"

"Weil ich kein Moslem bin, sondern ein Christ."

Während dieser Worte hatte er den Fremden bemerkt, der sich herbeigedrängt hatte. Dieser hütete sich wohl, eine verräterische Bewegung zu machen, welche ihn in den Verdacht der Bekanntschaft oder gar des Einvernehmens mit dem Anderen hätte bringen können. Aber seine Miene, sein Blick, seine ganze Haltung war darauf berechnet, sich ihm zu zeigen und ihm Mut einzuflößen.

Man sah es dem Kadi an, daß die soeben vernommenen Worte doch einigen Eindruck auf ihn machten.

"Ein Giaur bist du?" fragte er. "Wohl gar ein Franke?"

"Nein; ich bin ein Armenier."

"Also doch ein Untertan des Padischah, dem Allah tausend Leben schenken möge! Da darf ich dich also auch schlagen lassen."

"Du irrst," antwortete der Armenier, indem er sich bemühte, eine möglichst sichere Haltung anzunehmen und seinem Tone einen stolzen Ausdruck zu geben. "Ich stehe nicht unter dem Sultan, auch nicht unter dem Patriarchen. Ich bin der Geburt nach ein Armenier; aber ich bin ein evangelischer Christ geworden und als Dolmetscher bei der englischen Gesandtschaft angestellt. Ich bin in diesem Augenblick englischer Untertan und mache dich auf die Verantwortung aufmerksam, welche du auf dich ladest, wenn du mich als Untertan des Großherrn behandeln und nun gar schlagen lassen willst!"

Der Kadi machte ein sehr enttäuschtes Gesicht. Er hatte es sich vorgenommen gehabt, dem in Adrianopel so hoch angesehenen Hulam nach allen Kräften zu Diensten zu sein, und nun kam ihm diese Aussage des Armeniers dazwischen.

"Kannst du es beweisen?" fragte er ihn.

"Ja."

"So beweise es!"

"Frage bei der englischen Gesandtschaft in Stambul an!"

"Nicht ich bin es, sondern du bist es, der den Beweis zu führen hat!"

"Ich kann ihn nicht führen, da ich ja Gefangener bin."

"So werde ich einen Boten nach Stambul senden. Aber die hundert Streiche werden sich in das Doppelte verwandeln, wenn du mich belogen hast!"

"Ich sage die Wahrheit. Aber selbst dann, wenn dies nicht der Fall wäre, dürftest du mich nicht schlagen lassen oder ein Urteil über mich fällen. Du bist Kadi; ich aber verlange, vor ein ordentliches Mewlewit gestellt zu werden."

"Ich bin dein Mewlewit!"

"Das ist nicht wahr. Ich verlange, von den Bilad i Kamse Mollatari gerichtet zu werden. Und selbst wenn ich von einem der Kasi vernommen werden soll, darf dies nicht aus einem einzigen Manne bestehen, sondern aus einem Kadi, einem Mufti, einem Naib, einem Ajak Naib und einem Basch Kiatib!"

Die von dem Armenier angeführten Behörden bedeuten der Reihe nach: Richter, Kron- oder Staatsanwalt, dessen Stellvertreter, einen Zivilleutnant und einen Gerichtsschreiber.

Jetzt machte der Kadi ein wirklich sehr verdrießliches Gesicht. Der Grimm blitzte aus seinen Augen.

"Mensch!" rief er. "Du kennst die Gesetze und die Ordnung der Prozesse so gut und hast die Gesetze doch übertreten. Ich werde dafür sorgen, daß deine Strafe eine dreifache wird!"

"Tue, was du willst, aber sieh zu, ob es dir auch gelingt. Ich protestiere im Namen des Gesandten von Großbritannien gegen die Schläge, welche du mir zugedacht hast!"

Der Kadi blickte uns verlegen der Reihe nach an und sagte dann:

"Das Gesetz zwingt mich, auf deine Worte zu hören. Glaube aber nicht, daß deine Sache dadurch eine für dich bessere Wendung bekommt. Du bist ein Mörder und wirst deinen Kopf lassen müssen! Führt ihn in das Gefängnis zurück, und bewacht ihn zehnfach strenger als alle anderen Gefangenen!"

Der Armenier wurde abgeführt und warf vorher einen Blick des Triumphes und Einverständnisses auf den Fremden, welcher diesen Blick erwiderte, ohne daß dies, außer von mir, bemerkt worden wäre.

Sollte ich den Kadi auf diesen Mann aufmerksam machen? Was konnte es nützen? Selbst wenn der Fremde dem Gefangenen näher als gewöhnlich bekannt war, lagen keine Gründe vor, sich amtlich seiner zu bemächtigen. Und falls dies auch geschehen konnte, so war zu erwarten, daß diese beiden sich sicherlich nicht verraten würden. Ich traute überdies dem Kadi gar nicht zu, der rechte Mann für so verschlagene Leute zu sein. Darum beschloß ich, diesen Fremden ganz im stillen auf mich zu nehmen.

Die Sitzung war beendet, und die Zuschauer entfernten sich. Der Kadi trat zu Hulam, um sich zu entschuldigen, und Osco, der Montenegriner, wendete sich ärgerlich an mich:

"Habe ich es nicht gesagt, Effendi, daß es so kommen werde?"

"Diese Wendung hatte ich nicht erwartet," antwortete ich. "Ich bin zwar kein Kadi und Mufti, aber ich denke, daß der Richter allerdings nicht anders handeln kann."

"Er muß in Stambul anfragen, ob dieser Mensch die Wahrheit gesagt hat oder nicht?"

"Ja."

"Aber wie lange das dauern wird?"

"Man muß sich darein fügen!"

"Und wenn er wirklich ein englischer Untertan ist?"

"So wird er dennoch seine Strafe erhalten."

"Und ist er es nicht?"

"So hat er den Kadi belogen, und dieser wird das Seinige tun, daß der Richterspruch so streng wie möglich ausfällt. Übrigens glaube ich kein Wort von dieser englischen Untertanenschaft."

"Oh, es ist doch vielleicht möglich. Weshalb hätte er sich eine solche Lüge aussinnen sollen?"

"Zunächst, um der Bastonnade zu entgehen, und sodann, um Zeit zu gewinnen. Man muß dem Kadi begreiflich machen, daß er den Gefangenen auf das strengste bewachen soll. Ich bin überzeugt, daß dieser alles tun wird, um zu entkommen."

"Effendi, willst du nicht mit dem Kadi sprechen?"

"Tut Ihr es; mir fehlt die Zeit. Ich habe einen eiligen Weg, von dem ich Euch vielleicht nachher berichten werde. Wir sehen uns dann bei Hulam wieder."

Der Fremde, welchen ich für einen Armenier hielt, hatte nämlich jetzt auch den Ort verlassen. Ich wollte irgend etwas über ihn erfahren, und so ging ich ihm nach. Er schritt langsam und nachdenklich dahin, und ich folgte ihm wohl zehn Minuten lang.

Da wendete er sich ganz plötzlich und rasch um und erblickte mich. Ich war während der Verhandlung natürlich hervorragend beteiligt gewesen; er hatte mich dort gesehen und beobachtet und erkannte mich sofort wieder. Er ging weiter, bog aber dann in eine sehr enge Nebengasse ein.

Ich beschloß dennoch, ihn nicht aus den Augen zu lassen, und nahm den Gang und die Haltung eines Mannes an, der nur mit sich selbst beschäftigt ist und keine große Acht auf Andere hat.

Er mochte das Gäßchen halb durchschritten haben, da drehte er sich zum zweiten Male um. Er mußte mich abermals erblicken, und das fiel ihm sicherlich auf. So ging es durch mehrere Gassen und Gäßchen, er sich zuweilen nach mir umsehend, und ich ihn nicht aus dem Auge lassend. Im Eifer der Verfolgung war es mir schließlich ganz gleich geworden, ob er es bemerkte, daß ich es auf ihn abgesehen hatte. Der Umstand, daß er sich vor mir scheute, bestärkte mich nur in meiner Überzeugung, er könne sich nicht eines guten Gewissens rühmen.

Das mochte er auch einsehen. Denn als er abermals in eine kleine Gasse eingebogen war und ich dann eine halbe Minute später um die Ecke kam, stand er hinter derselben. Er blickte mich mit flammendem Auge an und fragte:

"Folgst du etwa mir?"

Ich blieb vor ihm stehen, betrachtete ihn genau und antwortete:

"Was geht dich mein Weg an?"

"Sehr viel! Er scheint der meinige zu sein."

"Wohl dir, wenn es so ist; denn der Weg, den ich gehe, ist ein ehrlicher und offener."

"Willst du etwa damit sagen, daß der meinige dies nicht sei?"

"Ich kenne deine Wege nicht und habe nichts mit dir zu schaffen!"

"Das hoffe ich," meinte er höhnisch; "darum sollst jetzt du einmal vorangehen!"

"Mir gleich," antwortete ich.

Ich schritt weiter, ohne mich nach ihm umzusehen; aber mein Ohr war geübt genug, sich von ihm nicht täuschen zu lassen. Ich hörte seine Schritte hinter mir; dann entfernten sie sich. Sie sollten leise sein, aber ich vernahm sie doch.

Als ich sie nicht mehr hörte, drehte ich mich rasch um und lief zurück. Richtig! Dort eilte er hinab und bog in eine andere Gasse ein. Ich folgte ihm nun, wo er mich nicht sehen konnte, und kam just zur rechten Zeit an die nächste Ecke, um zu sehen, daß er abermals um eine andere Ecke bog.

Natürlich stand ich einige Augenblicke später an derselben und bemerkte, daß er nach der Tscharschia Ali Pascha's einlenkte.

Tscharschia bedeutet Bazar und ist von dem slavonischen Wort tscharschit abzuleiten, welches "bezaubern" bedeutet. Es soll damit auf den Eindruck hingedeutet werden, welchen die Waren auf den Beschauer machen.

Der Mann dachte natürlich, daß ich im Gedränge des Bazars seine Spur sicher verlieren würde, wenn ich derselben noch immer folgen sollte. Mir aber war diese Wendung lieb; denn eben dieses Gedränge machte es mir möglich, ganz nahe an ihn heran zu kommen, ohne von ihm bemerkt zu werden.

Das geschah denn auch. Ich blieb hart hinter ihm, obgleich er seine Richtung wohl noch mehr als zehnmal änderte. Endlich, wir waren gerade durch den Kleiderbazar gekommen, schritt er auf ein ganz in der Nähe befindliches Karawanserei zu, in dessen Tor er trat. Hier konnte er mir nicht entgehen, da ich annehmen mußte, daß das Serai keinen zweiten Ausgang habe.

Nun fragte es sich nur, ob er dort wohne oder durch seinen Eintritt einen anderen Zweck verfolge. Ich wurde, als ich stehen blieb, um ihn zu beobachten, von dem letzteren überzeugt. Er blieb nämlich hinter dem Tore stehen und rekognoszierte den vor ihm liegenden Platz sehr sorgfältig, jedenfalls nach mir.

Da kam mir ein Gedanke. Ich trat zu dem nächsten Händler.

"Sallam aaleïkum!"

"Aaleïkum!" antwortete der Mann höflich.

"Hast du ein blaues Turbantuch?" fragte ich.

"Ja, Effendi."

"Und einen Mahluta?"

"So viele du willst!"

"Ich habe Eile. Ich will mir beides nur leihen, aber nicht kaufen. Mache schnell und gib mir den Mantel und das Tuch! Hier ist meine Uhr; hier sind meine Waffen; dazu gebe ich dir meinen Kaftan und auch noch fünfhundert Piaster. Das alles wird genug sein, dir Sicherheit zu geben, daß ich wiederkomme."

Er blickte mich erstaunt an. So etwas war ihm wohl noch gar nicht begegnet.

"Effendi, warum tust du das?" fragte er.

Um nicht aufgehalten zu werden, mußte ich es ihm sagen.

"Ich verfolge einen Mann, der mich kennt, mich aber nicht mehr erkennen soll," antwortete ich. "Schnell, sonst entgeht er mir!"

"Allah 'l Allah! Du bist ein gizli Aramdschi?" fragte er.

"Frage nicht, sondern eile!" gebot ich ihm. "Oder weißt du nicht, daß der Großherr Hilfe von dir fordert, wenn es gilt, einen flüchtigen Verbrecher zu ergreifen?"

Jetzt glaubte er fest, daß ich ein verkleideter Khawasse sei. Ich legte meinen Kaftan ab; er warf mir den Mantel über und wand mir das Tuch als Turban um den Kopf. Als ich ihm die erwähnten Gegenstände zum Pfand gegeben hatte und nun fertig war, trat ich an den Eingang, um dort zu warten.

Ich hatte den Armenier nicht aus den Augen gelassen. Er stand noch hinter dem Tore, um zu spähen. Der Gejindschi folgte mit seinem Auge der Richtung meines Blickes. Er bemerkte, auf wen meine Aufmerksamkeit gerichtet war, und fragte:

"Effendi, meinst du den Mann, der da drüben im Tore steht?"

"Ja."

"Er ist soeben hier vorüber gekommen?"

"Allerdings."

"Und hat mich gegrüßt?"

"Das habe ich nicht bemerkt. Du bist also ein Bekannter von ihm?"

"Ja. Ich habe Kleider von ihm gekauft. Du denkst, daß er ein Verbrecher sei?"

"Ich werde es erfahren. Wie heißt er?"

"Du bist ein Diener des Padischah, und darum will ich ehrlich mit dir sein. Sage, was du wissen willst!"

"Waren die Kleider, welche du von ihm gekauft hast, neu?"

"Nein."

"Er ist also kein Tarzi?"

"O nein. Ich habe großen Schaden gehabt. Die Kleider waren sehr billig, aber der größte Teil wurde mir wieder abgenommen, denn sie waren Männern, die man auf der Straße angefallen hatte, abgenommen worden."

"Bestrafte man diesen Menschen nicht?"

"Er ist hier fremd und war nicht zu finden. Und dann, als er wieder kam und man ihn ergriff, ließ man ihn um seines Geldes willen unbestraft gehen."

"Wer ist er?"

"Er kleidet sich wie ein Bulgare, aber er ist ein Armenier und heißt Manach el Barscha."

"Weißt du, wo er wohnt?"

"Er ist Einnehmer des Charadsch in Uskub. Viele Armenier haben die Steuern gepachtet."

"Und wo befindet er sich hier?"

"Wenn er in Edreneh ist, so wohnt er bald hier und bald dort, am meisten aber in dem Meham des Handschia Doxati."

"Wie finde ich diesen?"

"Er bewohnt das Haus gleich neben dem griechischen Metropoliten."

Auch diesen wußte ich nicht, aber ich durfte doch nicht zeigen, daß ich hier so sehr unbekannt sei. Übrigens verließ gerade jetzt der Armenier das Serai, und ich folgte ihm, nachdem ich dem Händler einen kurzen Gruß zugeworfen hatte.

Es war sicher ein sehr glücklicher Umstand, daß ich hier jemand gefunden hatte, der diesen Manach el Barscha so genau kannte. Wer weiß, wie lange ich sonst hätte suchen und fragen müssen, ehe ich mit meiner Erkundigung an die richtige und zuverlässige Quelle gekommen wäre!

Der Armenier wendete sich zwar noch einige mal um, aber es fiel ihm nicht ein, in mir den Mann zu vermuten, der ihn verfolgt und mit dem er sogar gesprochen hatte. Ich brauchte mich also nicht mehr so sehr in acht zu nehmen, wie vorher, und sah endlich, daß er in ein Haus trat, welches allerdings ein Gasthaus zu sein schien.

In der Nähe hatte ein Kastanienhändler seinen Platz. Ich kaufte ihm eine Handvoll seiner Früchte ab und erkundigte mich bei ihm:

"Weißt du, wer in dem großen Hause wohnt, hier zur Linken?"

"Der griechische Metropolit, Effendi."

"Und wer hier daneben?"

"Ein bulgarischer Gastwirt. Er heißt Doxati. Willst du vielleicht bei ihm wohnen? Es ist billig und bequem bei ihm."

"Nein. Ich suche den Gastwirt Marato."

"Den kenne ich nicht."

Damit meine Erkundigung nicht auffallen sollte, hatte ich den ersten besten Namen, der mir einfiel, genannt. Ich ging fort, denn für jetzt wußte ich genug. Was nun zu tun war, mußte sich ja finden. Es galt, dafür zu sorgen, daß der Gefangene nicht entfliehen könne. Zu erfahren, in welcher Beziehung dieser Manach el Barscha zu ihm stehe, war jedenfalls nicht leicht; aber es mußte doch auf irgend eine Weise versucht werden.

Ich merkte mir das Gasthaus des bulgarischen Wirtes genau, um es, falls dies notwendig werden sollte, selbst am Abend finden zu können, und kehrte zu Hulam zurück, dessen Wohnung zu verfehlen gar nicht schwer gewesen wäre.

Man hatte längst auf mich gewartet. Der Ausgang der Gerichtsverhandlung war allen unlieb, und sodann hatten sie sich meine so schnelle Entfernung nicht erklären können.

"Sihdi," meinte mein kleiner Hadschi Halef Omar, "ich sage dir, daß ich große Sorge um dich gehabt habe!"

"Sorge um mich? Warum?"

"Warum? So fragst du?" sagte er ganz erstaunt. "Weißt du denn noch immer nicht, daß ich dein Freund und Beschützer bin?"

"Das weiß ich allerdings, mein guter Halef."

"Nun, als Freund hast du mir zu sagen, wohin du gehst, und als Beschützer hast du mich sogar mitzunehmen."

"Ich konnte dich nicht gebrauchen."

"Mich nicht gebrauchen?" sagte Halef, indem er ganz energisch an seinen dreizehn Schnurrbarthaaren herumzupfte. "Du hast mich gebrauchen können in der Sahar, in Ägypten, am Tigris, bei den Teufelsanbetern, in Kurdistan, in den Ruinen, deren Name mir nicht sogleich einfällt, in Stambul und überall; hier aber willst du mich nicht gebrauchen können? Das glaube ich nicht! Weißt du, daß es hier ebenso gefährlich ist, als in der Sahar oder im Tal der Stufen, wo wir die vielen Feinde gefangen nahmen?"

"Warum?"

"Weil man hier seine Feinde vor lauter Menschen nicht sehen kann. Oder glaubst du etwa, ich wisse nicht, daß du dich eines neuen Feindes wegen entfernt hast?"

"Woher kommt dir dieser Gedanke?"

"Ich folge stets deinen Augen und sehe, was sie tun."

"Nun, was haben sie getan?"

"Sie haben beim Kadi einen Bulgaren beobachtet, der aber kein Bulgare war. Als dieser ging, bist du schleunigst aufgebrochen."

"Wahrhaftig, Halef, du hast ganz recht beobachtet!" sagte ich.

"O, Sihdi," meinte er stolz, "weißt du noch, als wir durch das Wadi Tarfaui ritten und du die Darb der Mörder beobachtetest?"

"Ja, das weiß ich noch."

"Da lachte ich dich aus, daß du im Sande lesen wolltest. Ich war damals das, was der Türke ahmak nennt; aber ich hielt mich dennoch für außerordentlich klug."

"Ah, du hast unterdessen von mir gelernt! Nicht wahr?"

Er wurde einigermaßen verlegen. Er wollte doch nicht so geradezu gestehen, daß ein "Beschützer" von dem Beschützten gelernt habe, und konnte es auch nicht ganz und gar verneinen. Darum antwortete er, um sich wenigstens nicht zu auffällig eine Blöße zu geben:

"Wir haben uns gegenseitig unterrichtet, Sihdi. Was du konntest, das habe ich von dir gelernt, und was ich wußte, das hast du von mir angenommen. Auf diese Weise sind wir klüger geworden, so klug, daß beide, Allah und der Prophet, ihre Freude an uns haben. Wärest du nicht ein Christ, sondern ein Gläubiger, so würde diese Freude tausendfach größer sein."

"Was du da sagst, muß einer sorgfältigen Prüfung unterworfen werden. Wir wollen gleich heute einmal sehen, ob du wirklich so klug bist, wie du denkst!"

Seine kleinen Augen blitzten beinahe zornig auf.

"Sihdi," sagte er, "willst du mich etwa beleidigen? Ich bin dir ein treuer Diener gewesen, seit ich dich kenne. Ich habe dich beschützt in allen Gefahren des Leibes und der Seele. Ich bin dein Freund und dein Gönner, denn ich habe dich so lieb, daß ich gar nicht weiß, wem mein Herz mehr gehöre, dir oder meiner Hanneh, der Blume der Frauen. Ich habe mit dir gehungert und gedürstet, geschwitzt und gefroren; ich habe mit dir und für dich gekämpft; kein Feind hat meinen Rücken zu sehen bekommen, denn es wäre mir eine Schande gewesen, dich zu verlassen. Und nun willst du sehen, ob ich klug bin! Für dies alles hast du nichts als eine Beleidigung? Sihdi, ein Fußtritt hätte mir nicht weher getan, als dieses Wort!"

Der brave Mensch meinte es ernst. In seinen Augen bemerkte ich einen feuchten Schimmer. Es war natürlich weder meine Absicht gewesen, ihn zu kränken, noch ihn zu beleidigen; darum legte ich ihm beruhigend die Hand auf die Schulter und antwortete:

"So habe ich es nicht gemeint, mein guter Halef. Ich wollte nur sagen, daß es eben jetzt eine Gelegenheit gibt, deine Klugheit zu betätigen."

Das stimmte ihn sofort um.

"Sage mir diese Gelegenheit, Sihdi," meinte er, "und du wirst sehen, daß ich deines Vertrauens würdig bin!"

"Es handelt sich um den Mann, welchen ich während des Verhörs beobachtet hatte. Er scheint mir ein ..."

"Ein Bekannter des Gefangenen zu sein!" fiel Halef ein, um mir zu beweisen, daß er nicht nur meine Gedanken erraten, sondern auch scharf nachgedacht habe.

"Allerdings," antwortete ich.

"Vielleicht hat er die Absicht, ihm von Nutzen zu sein!"

"Daran zweifle ich gar nicht. Dieser Barud el Amasat kann sein Heil nur in der Flucht finden. Wer ihn retten will, muß es ihm ermöglichen, zu entkommen. Der Fremde warf ihm beruhigende und ermunternde Blicke zu, und das hat er sicherlich nicht ohne eine ganz besondere Absicht getan."

"Du bist ihm nachgegangen, um seine Wohnung zu erfahren?"

"Ja. Auch seinen Stand und Namen weiß ich bereits."

"Was ist er?"

"Er heißt Manach el Barscha, ist Steuereinnehmer in Uskub und logiert bei dem Handschia Doxati hier."

"W'Allah! Ich ahne, in welcher Weise ich meine Klugheit betätigen soll!"

"Hättest du das wirklich erraten?"

"Ja. Ich soll diesen Manach el Barscha bewachen."

"Ganz recht!"

"Das kann ich aber nur dann, wenn ich auch bei Doxati wohne."

"Du wirst hinreiten, sobald es dunkel ist. Ich werde mitgehen, um dir das Haus zu zeigen."

Da trat Osco, der Montenegriner, vor und sagte:

"Auch ich werde wachen, Sihdi!"

"Ah! Wo?"

"Vor dem Zindan, in welchem sich der Gefangene befindet."

"Denkst du, daß dies nötig sein wird?"

"Es ist mir ganz gleich, ob es nötig ist oder nicht. Er hat meine Tochter als Sklavin verkauft und mir vieles und großes Herzeleid bereitet. Er ist meiner Rache verfallen. Du bist ein Christ. Du sagst, die Rache sei Gottes, und ich habe dir deinen Willen getan, indem ich Barud el Amasat den Händen des Kadi überlassen habe. Will er sich denselben entziehen, so habe ich darüber zu wachen, daß er nicht auch mir entgehe. Ich verlasse euch und werde es euch sofort melden, wenn ich etwas Wichtiges beobachte."

Nach diesen Worten entfernte er sich, ohne im mindesten auf unsere Bemerkungen zu hören.

Jetzt packte Halef seine Habseligkeiten zusammen und setzte sich auf sein Pferd. Er wollte sich den Anschein geben, als ob er erst jetzt in Adrianopel ankomme. Ich geleitete ihn zu Fuß bis in die Nähe der Handschia und wartete, bis er in das Tor derselben eingeritten war. Dann begab ich mich nach dem Bazar zurück, um meine Kleidung wieder einzutauschen.

Als ich Hulams Haus wieder erreichte, war es unterdessen dunkel geworden. Er machte uns den Vorschlag, ein Bad zu besuchen, wo es guten Kaffee, Karaschekler und ausgezeichnetes Aïswasperwerdesi gäbe. Wir erfüllten seinen Wunsch.

Über die türkischen Bäder wird so viel geschrieben, daß eine Bemerkung hier überflüssig wäre. Die Schattenspiele, welche wir nach dem Bade in Augenschein nahmen, konnten nicht Anspruch auf Lob machen. Die Gelees mochten wirklich ausgezeichnet sein, sie waren aber nicht nach meinem Geschmack.

Als wir das Hamam verließen, fanden wir den Abend so köstlich, daß wir uns entschlossen, noch einen kleinen Spaziergang zu machen. Wir verließen die Stadt auf der Westseite derselben und promenierten am Ufer des Arda dahin, welcher sich hier in die Maritza ergießt.

Es war spät geworden, als wir umkehrten. Es mochte noch eine Stunde an Mitternacht fehlen; aber es war ziemlich hell. Noch hatten wir die Stadt nicht erreicht, als uns drei Reiter entgegen kamen. Zwei ritten auf Schimmeln; der dritte hatte ein dunkles Pferd. Sie trabten an uns vorüber, ohne uns zu beachten. Dabei machte der eine der ersteren gegen den anderen eine an sich gleichgültige Bemerkung. Ich hörte dies und blieb unwillkürlich stehen.

"Was ist's?" fragte Isla. "Kanntest du sie?"

"Nein; aber diese Stimme kam mir bekannt vor."

"Du wirst dich täuschen, Sihdi. Stimmen sind sich oft sehr ähnlich."

"Das ist wahr, und das beruhigt mich. Ich hätte sonst gedacht, daß es die Stimme dieses Barud el Amasat sei."

"Dann müßte er ja entflohen sein!"

"Allerdings! Aber das ist ja gar keine Unmöglichkeit."

"Wäre es der Fall, so würde er die breite Straße nach Filibe eingeschlagen und nicht diesen einsamen, unsicheren Weg gewählt haben."

"Grad dieser Weg ist für einen Flüchtling sicherer als die belebte Straße nach Filibe. Die Stimme war ganz die seinige."

Es war, als ob mir eine geheime Stimme sage, daß ich mich nicht geirrt habe. Ich beschleunigte meine Schritte, und die anderen mußten mir mit derselben Schnelligkeit folgen. Als wir nach Hause kamen, wurden wir schon seit längerer Zeit erwartet, und zwar von Osco, welcher unter dem Tore stand.

"Endlich, endlich!" rief er. "Ich habe euch mit Schmerzen erwartet. Mir scheint, es ist etwas geschehen."

"Was?" fragte ich gespannt.

"Ich lag, als es dunkel war, am Tore des Gefängnisses. Da kam einer, welcher sich öffnen ließ. Er trat ein und kam nach einiger Zeit mit noch zwei anderen aus dem Hause."

"Hast du einen erkannt?"

"Nein; aber als sie gingen, hörte ich den einen sagen: "Das ist schneller geglückt, als ich dachte!" Ich schöpfte Verdacht und schlich ihnen nach, aber an der Ecke einer Straße verlor ich sie."

"Und dann?"

"Dann ging ich hierher, um euch den Vorfall zu melden. Ich fand euch nicht daheim und habe vergeblich gewartet."

"Gut! Wir werden uns sofort überzeugen. Hulam mag mitkommen; die andern können bleiben."

Ich eilte mit dem Genannten nach der Straße, in welcher Doxati sein Fremdenhaus hatte. Das Tor war noch geöffnet, und wir traten ein. Es gab ein gemeinschaftliches Zimmer, welches nach dem Hofe zu geöffnet war, aber nach der Straße kein Fenster hatte. Ohne da hineinzugehen, gebot ich einem der anwesenden dienstbaren Geister, mir den Wirt zu bringen.

Doxati war ein kleines, altes Männchen mit einem sehr verschlagenen griechischen Gesicht. Er machte mir eine tiefe Reverenz und fragte nach meinem Begehr.

"Ist heute Abend ein Gast hier eingekehrt?" fragte ich ihn.

"Mehrere, Herr," antwortete er.

"Ich meine einen kleinen Mann, welcher zu Pferde kam."

"Der ist da. Er hatte einen Bart, welcher so dünn ist, wie der Schwanz einer alten Henne."

"Du sprichst sehr unehrerbietig; aber es wird derjenige sein, welchen ich suche. Wo ist er?"

"In seinem Oda."

"Führe mich zu ihm!"

"Komm, Herr!"

Er schritt voran in den Hof, hinaus und eine Art Stiege empor. Dort oben sah man beim Scheine einer Lampe mehrere Türen. Er öffnete eine derselben. Auch hier brannte eine Lampe; aber das mit einer einzigen, alten Matte versehene Gemach war leer. "Wohnt er hier?" fragte ich.

"Ja."

"Aber er ist ja nicht da!"

"Allah weiß es, wo er ist!"

"Wo hat er sein Pferd?"

"Im Stalle, welcher sich im zweiten Awlu befindet."

"War er heute Abend unten bei den andern Gästen?"

"Ja. Dann aber stand er lange Zeit unter dem Tore."

"Ich suche außer ihm noch einen andern Mann, welcher Manach el Barscha heißt. Kennst du ihn?"

"Warum soll ich ihn nicht kennen? Er hat ja heute bei mir gewohnt!"

"Hat! Er wohnt also nicht mehr hier?"