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Über dieses Buch:

Auf den ersten Blick erscheint Jennifer äußerst züchtig. Die Tochter vom Barbier Thomas Norton hilft ihrem Vater tagsüber fleißig im Geschäft. Nachts gibt sie sich heimlich ihren Phantasien hin. Schon oft ließ der eine oder andere Mann Jennifers Herz höher schlagen, aber nach niemandem verzehrt sie sich so sehr wie nach dem neuen Marshal Henry Carpenter. Eines Abends fällt sie jedoch zwei mexikanischen Banditen in die Hände. Kann Henry die Frau, die er schon seit langem begehrt, retten?

Über den Autor:

Jay Benson ist das Pseudonym einer sehr erfolgreichen Autorin aus Deutschland, die eine große Leidenschaft für erotische Western hegt.

Jay Benson veröffentlicht bei venusbooks auch die folgenden erotischen Western:

Jeder will Theresa

Jennifer - In heißer Mission

Jessica - Das Höllenweib

Kitty lässt die Puppen tanzen

Wenn Lola ihre Waffen zückt

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eBook-Neuausgabe Februar 2015

Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

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Titelbildgestaltung: init | Kommunikationsdesign, Bad Oeynhausen, unter Verwendung folgender Motive von iStockphoto.de

An Holz genageltes Pergament: flas 100

Paar: Claude Bélanger

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95885-090-3

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Jay Benson

Hände weg von Jennifer

Erotischer Roman



venusbooks

1

Der Oldtimer schlotterte wie Espenlaub auf dem Stuhl, während er den Mann in dem schwarzen Gehrock näher kommen sah. Ja, er war sich sicher, dass jetzt sein letztes Stündlein geschlagen hatte. Und es gab niemanden, der ihm helfen würde. Einzig und allein die Flucht bliebe ihm – doch das würde die Sache nicht besser machen. Obwohl alles in ihm danach schrie, aufzuspringen und aus dem Raum zu stürzen, wusste er doch, dass der Kerl ihn früher oder später kriegen würde ...

»Aber, aber, Mr Conway, Sie wissen doch, dass ich nur Ihr Bestes will!«, sagte der Mann und lächelte den Alten an, doch dieser glaubte in ihm noch immer den Teufel in Menschengestalt zu sehen und schaute ihn dementsprechend angstvoll an. »Der Zahn wird keine Ruhe geben, bevor er nicht draußen ist. Also nehmen Sie sich zusammen.«

»Das sagt sich so leicht«, gab Jason Conway fast schon zähneklappernd zurück. »Wenn ich allein schon die Zange sehe, rutscht mir das Herz mehr in die Hosen als damals in Gettysburg. Können wir denn gar nichts anderes machen? Vielleicht 'nen Whiskey draufkippen oder 'ne Nelke reinstecken?«

Thomas Norton schüttelte den Kopf. »Ich wette, das mit dem Whiskey und der Nelke haben Sie selbst schon ausprobiert, nicht wahr?«

Der Oldtimer nickte.

»Und, hat es was gebracht?«

Der Oldtimer schüttelte den Kopf.

»Na also, dann lassen Sie es uns angehen. Sie wollen doch nicht nach Hause kommen und Ihrer Frau erzählen, dass Sie es wieder nicht über sich gebracht haben, sich den Zahn rausziehen zu lassen, oder?«

Das Argument brachte der Barbier, der nebenbei auch als Dentist in Jackson arbeitete, jedes Mal, und jedes Mal war es dasselbe. Und das schon seit drei Wochen, oder sogar mehr. Dabei war es erstaunlich, wie es Jason Conway schon seit Wochen mit dem nagenden und pochenden Zahn ausgehalten hatte. Nicht nur einmal hatte er noch vor der Tür des Barber-Shops kehrtgemacht, und das, obwohl die Schmerzen ihn dazu getrieben hatten, dorthin zu gehen. Jetzt war er ja sogar schon bis auf den Stuhl gekommen – doch das bereute er in diesem Augenblick zutiefst.

Thomas Norton hätte es fast nicht erwartet, aber nachdem er ihn noch einen Moment lang entsetzt angeschaut hatte, machte der Oldtimer tatsächlich den Mund auf! Der Barbier zog eine Zange aus der Jackentasche, die er schon vorsichtshalber dort getragen hatte, um Jason Conway nicht in die Flucht zu schlagen. Und tatsächlich schien der alte Mann mitmachen zu wollen.

Doch nicht für lange.

»So, Mr Conway, jetzt noch ein bisschen weiter den Mund aufmachen!«, sagte Thomas Norton und streckte seine Hand nach dem Mann aus – doch dieser schaute plötzlich kurz nach unten. Und der Anblick der Zange ließ all seinen Mut in sich zusammenstürzen wie ein Kartenhaus.

Er stieß einen kurzen Schrei aus – und das, obwohl Norton den fauligen Ziehungskandidaten noch nicht einmal berührt hatte. Und schneller, als man es dem Alten zugetraut hätte, sprang er vom Stuhl und rannte zur Tür.

Der Barbier schaute dem Mann einen Moment lang verdutzt nach, dann rannte er ihm hinterher. »Warten Sie, Mr Conway, es passiert Ihnen doch nichts!«, rief er ihm nach, doch das nützte alles nichts. Jason Conway gab Fersengeld, als seien die Truppen von General Lee persönlich hinter ihm her. Und nur wenige Augenblicke später verschwand er hinter der nächstbesten Hausecke.

Thomas Norton ließ resigniert die Schultern sinken, betrachtete dann die Zange in seiner Hand und schüttelte den Kopf. Er hatte schon vieles erlebt, aber so etwas noch nicht! Wie konnte ein gestandener Mann so ein Angsthase sein?

Auf jeden Fall war es so sicher wie das Amen in der Kirche, dass er wiederkommen würde – und dass er dann wahrscheinlich erneut das Weite suchte, wenn es ernst wurde.

»Na, ist Mr Conway schon wieder geflohen?« Die amüsierte Stimme, die den Barbier aus seiner Betrachtung der Straße schreckte, gehörte Jennifer, seiner Tochter. Sie kam gerade durch die Hintertür in die Barbierstube und konnte sich knapp ein Lachen verkneifen.

»Ja, er hat mal wieder Muffensausen bekommen«, gab der Barbier zu und schloss die Tür seines Ladens. »Ich hoffe nur, seine Zahnschmerzen fallen ihm nicht gerade dann ein, wenn ich nicht da bin.«

»Für heute wird er wohl genug haben!«, antwortete Jennifer. Sie strich sich eine ihrer blonden Haarsträhnen, die aus dem Knoten im Nacken gerutscht waren, zurück und rückte den Stuhl, auf dem der Oldtimer eigentlich behandelt werden sollte, wieder zurecht. »Und in drei Tagen bist du ja wieder da.«

»In drei Tagen kann viel passieren!«, meinte der Mann, während er durch den Raum marschierte, direkt auf seine Tochter zu, und ihr einen Kuss auf die Stirn gab. »Aber du weißt ja, was zu tun ist. Rasieren kannst du schon ordentlich, und einen Zahn bekommst du notfalls auch heraus.« Mit diesen Worten reichte er ihr die Zange, um die sich Jason Conway noch mal herumgeschlichen hatte.

»Wenn mir der Patient nicht vorher abhaut«, entgegnete Jennifer, während sie das ›Mordwerkzeug‹ an sich nahm. »Wann fährt deine Postkutsche?«

Der Barbier schlug seine Jacke zur Seite, zog seine goldene Taschenuhr hervor und klappte sie auf. »Um neun Uhr geht es los, ich habe also noch eine gute halbe Stunde.«

»Dann begleite ich dich zur Kutsche!«, rief Jennifer aus. »So lange können wir das Geschäft doch geschlossen lassen, oder?«

Thomas Norton nickte, aber gleichzeitig wusste er genau, dass seine Tochter nicht nur wegen ihm mit zur Posthalterei kommen wollte. Auf dem Weg dorthin kamen sie auch an einem Schneidersalon vorbei, dem besten in der Stadt. Und nichts liebte Jennifer mehr, als sich die Modelle im Schaufenster anzuschauen– oder wenigstens einen kurzen Blick darauf zu erhaschen.

Bisher hatte er immer versucht, ihr alle Wünsche so gut es ging zu erfüllen, aber eines dieser teuren Kleider, die angeblich aus französischer Seide geschneidert worden waren und der neuesten Mode in Europa entsprachen, hatte er ihr nicht kaufen können. Aber vielleicht änderte es sich, wenn er von seiner Reise wieder zurück war. In Nashville, seinem Reiseziel, wollte er ein Erfolg versprechendes Geschäft abschließen. Wenn ihm das gelang, brauchte er sich auf viele Jahre keine Sorge um seine Barbierstube zu machen, ob der Laden nun lief oder nicht.

Aber erst einmal musste er dort heil ankommen – und wieder zurück. Eine Reise mit der Postkutsche war immer noch ein ziemliches Abenteuer, und so wollte er sich nicht zu früh über irgendetwas freuen. Und vor allem wollte er Jennifer nicht zu viel versprechen. Doch einen Blick auf die Auslage des teuren Schneidersalons wollte er ihr gönnen. Was wäre das Leben denn ohne Träume? So früh, wie Jennifer ihre Mutter verloren hatte, sollte sie wenigstens die haben.

»Okay, du kannst gern mitkommen«, gab er zurück und setzte ein breites Grinsen auf. »Ich bin mir sicher, dass sich der junge Mr Snider freuen wird, dich zu sehen.«

Jennifer wusste, was hinter dieser Bemerkung steckte. Schon lange wollte ihr Vater sie mit dem Betreiber der Posthalterei verkuppeln, und er ließ keine Gelegenheit aus, sie darauf hinzuweisen. Sie musste zugeben, dass John Snider ein netter Kerl war – aber mehr auch nicht. Den Mann fürs Leben stellte sie sich anders vor.

Außerdem wollte sie noch lange nicht heiraten!

Aber ihrem Vater zuliebe nickte sie.

»Gut, dann hole ich am besten meine Sachen!«, sagte Thomas Norton daraufhin und ging zu der Tür, die ins Hinterzimmer und damit auch zur Treppe in die obere Etage führte. Jennifer hörte, wie ihr Vater die Stufen schwungvoll erklomm, dann hallten die Schritte über ihrem Kopf quer durch den dort befindlichen Raum. Während sie wartete, dass er wieder zurückkam, ordnete sie die Barbierutensilien, die der Vater für die Behandlung von Mr Conway zur Seite geräumt hatte.

Drei Tage mit dem Barbiergeschäft allein zu sein, fand sie spannend, auch auf die Gefahr hin, dass jemand mit geschwollener Wange ankam und sich den Zahn ziehen lassen wollte. Selbst wenn Mr Conway wieder auftauchte, hatte sie keine Bedenken, denn der machte sich ohnehin aus dem Staub, bevor es ernst werden konnte. Sie war die alleinige Herrin des Hauses für drei Tage!

Die Schritte ihres Vaters, die die Treppe nun wieder herunterkamen, rissen sie aus ihren Gedanken fort. Wenig später erschien er in der Hintertür. Er hatte sich seinen Reisemantel übergeworfen, und in den Händen trug er zwei Teppichstofftaschen.

Warum er für eine dreitägige Reise so viel Gepäck brauchte, wusste Jennifer nicht. Als sie ihn danach gefragt hatte, war ihr Vater ausgewichen und ihr eine Antwort schuldig geblieben. Die junge Frau hatte es daraufhin dabei bewenden lassen. Er würde schon wissen, was er tat. Also bohrte sie auch jetzt nicht nach, obwohl ihre Neugierde beinahe übermächtig wurde.

Thomas Norton zog sein Schlüsselbund aus der Hosentasche und reichte es ihr mit den Worten: »Pass gut auf das Haus und das Geschäft auf! Wenn jemand nach mir fragt, sag ihm, dass er sich in drei Tagen wieder melden soll. Und dasselbe machst du mit hartnäckigen Fällen.«

»Du meinst solche Fälle wie Mr Conway?« In Jennifers Augen blitzte es schelmisch auf.

»Ja, genau so etwas!«, gab ihr Vater lachend zurück. »Aber ich glaube, mit dem wirst du wirklich keine Schwierigkeiten bekommen. Zeige ihm die Zange, und er wird laufen, als stünde das jüngste Gericht bevor. – Oder er hat zu einer Frau mehr Vertrauen und lässt es über sich ergehen.«

»Ich denke eher, er wird Ersteres tun!«, entgegnete Jennifer und holte ebenfalls ihren Mantel. Draußen war es nicht sonderlich kalt, aber trotzdem immer noch ein wenig ungemütlich, denn der Sommer war noch fern.

Als die junge Frau fertig war, wollte sie hilfsbereit nach einer der Taschen greifen, doch ihr Vater, der diese Absicht erkannte, nahm die Taschen auf, bevor sie sie fassen konnte.

»Die sind zu schwer für dich, mein Kind«, kommentierte er diese Handlung, und als ihn die junge Frau fragend anschaute, lächelte er sie an und fügte schnell hinzu: »Außerdem, wo gibt es denn so was, dass eine Lady die Taschen eines Mannes trägt?!«

»Aber ich bin doch deine Tochter!«, gab Jennifer zurück, und ohne, dass sie es wollte, schwang ein leichter Vorwurf in ihren Worten mit. Was hatte er so Schweres in der Tasche, dass sie es nicht tragen konnte? Warum erzählte er es ihr nicht?

Doch Thomas Norton hatte nicht vor, sie ins Vertrauen zu ziehen. Für den Bruchteil einer Sekunde zog ein Schatten über sein Gesicht, dann sagte er: »Ist schon in Ordnung, so alt und gebrechlich ist dein Vater ja noch nicht, dass er die Taschen nicht tragen kann.« Damit war die Diskussion beendet, das wusste die junge Frau.

»Okay, wie du willst«, sagte sie und öffnete die Tür. Ihr Vater ging an ihr vorbei nach draußen, und nachdem sie das Türschild mit der Aufschrift »Geschlossen« umgedreht und die Haustür abgeschlossen hatte, machten sie sich auf den Weg zur Posthalterei.

2

Der Mexikaner stand schon eine ganze Weile im Schatten des Hauses, von dem aus er einen hervorragenden Blick auf den Barber-Shop hatte. Die wenigen Passanten auf den Sidewalks, die ihm Beachtung schenkten, mochten vielleicht glauben, dass er auf jemanden wartete. Das stimmte in gewisser Weise sogar, aber wiederum war es auch ganz anders.

Er erwartete niemanden, sondern beobachtete das Barbiergeschäft. Sonderlich reges Treiben herrschte an diesem Tag nicht. Lediglich ein alter Mann war hineingegangen und nach einer Weile wieder nach draußen gelaufen, und zwar so schnell, als hätte der Barbier vorgehabt, ihn mit seinem Rasiermesser zu kastrieren.

Irgendetwas ging vor in dem Haus, das spürte er. Obwohl nichts zu sehen war, schien Unruhe hinter den Mauern zu herrschen, Aufbruchsstimmung. Wollten der Hausherr und seine Tochter verreisen?

Wenn ja, dann war das nur gut für sie. Nicht umsonst hatte man ihn geheißen, sich hier zu postieren. Thomas Norton, der nach außen hin als braver Bürger durchging, hatte allerhand Geheimnisse, unter anderem auch eines, das seinen Boss brennend interessierte. Und wenn Norton und das Mädchen nicht da waren, würde es ihnen leichter fallen, daran zu kommen ...

Eine Bewegung lenkte seine Aufmerksamkeit auf sich, und als er den Blick auf den Barber-Shop richtete, sah er, wie sich die Tür öffnete und ein Mann und eine Frau nach draußen traten. Der Mann trug zwei schwer anmutende Taschen in der Hand, die den Beobachter zu dem Schluss kommen ließen, dass wohl beide verreisten – und zwar für länger. Da würden sie genug Zeit haben, um das Haus von oben bis unten zu durchsuchen ...

Nachdem er den Mann und die junge Frau noch einen Moment lang beobachtet hatte, löste er sich aus dem Schatten und betrat die Straße. Er sah noch, wie Norton und seine Tochter hinter der nächsten Hausecke verschwanden, dann machte er sich auf den Weg. Dieser führte ihn genau in die Gegenrichtung, und nachdem er dem breiten, ausgefahrenen Band der Main Street eine Weile gefolgt war, bog er rechts in eine Seitenstraße ab und ging dann so lange weiter, bis er fast den Stadtrand erreicht hatte.

Das Haus, dem er zustrebte, wirkte auf den ersten Blick verlassen. Es war ein altes Geschäftshaus, aus Holz gebaut, mit zwei Stockwerken. Die unteren Fenster waren mit Brettern vernagelt, die oberen von dunklen Gardinen verhangen. Ein altes »For Sale«-Schild bewegte sich leise im Frühlingswind, und ein leises Knarren ging durch das Gebälk, als sich der Wind durch die Ritzen des Dachstuhls zwängte.

In diese Gegend verirrten sich nicht viele Leute, und die wenigen, die es taten, kamen nur hier durch, wenn es sich überhaupt nicht vermeiden ließ. Das erklärte auch, warum das Gebäude bis jetzt noch keinen neuen Besitzer gefunden hatte.

Doch obwohl dieser Teil der Stadt schon als gottverlassen bezeichnet werden konnte, hatte es ihr Boss für sicherer erachtet, den Haupteingang zugenagelt zu lassen. Es gab einen Hintereingang, den in früheren Zeiten sicher mal die Dienstboten benutzt hatten. Dieser lag der Straße abgewandt, hinter einem hohen Bretterzaun, sodass wirklich niemand mitbekommen würde, dass hier wieder jemand ein und aus ging.

Nachdem er sich noch einmal zu allen Seiten hin umgeschaut hatte, schlich er um das Haus herum, passierte das offen stehende Zauntor und ging zur Hintertür. Er klopfte drei Mal in einem bestimmten Rhythmus gegen das Holz, von dem die blaue Farbe in großen Fetzen abblätterte, und tatsächlich wurde ihm im nächsten Augenblick geöffnet. Der Mann, der ihn einließ, empfing ihn mit einem Nicken und verschloss dann schweigend die Tür hinter ihm.

Wohin er zu gehen hatte, brauchte ihm keiner zu sagen. Durch das Halbdunkel, das die leeren Räume erfüllte, strebte er der Treppe zu, deren Geländer dick mit Spinnweben überzogen war. Die Stufen knarrten leise unter seinen Schritten, und kleine Staubwolken wirbelten unter ihm auf, doch darum kümmerte er sich nicht. Immerhin waren sie nicht hier, um das Haus sauber zu halten, sondern um sich zu verstecken.

In der oberen Etage angekommen, setzte er seine Füße auf dicke, fleckige Teppiche, die den Ton dämpften, doch er war sich sicher, dass sein Boss bereits wusste, dass er da war.

Er strebte ohne Umschweife der Tür zu, die am anderen Ende des Ganges lag, dann klopfte er erneut. Diesmal wurde ihm nicht geöffnet, eine Männerstimme rief lediglich: »Herein!«

Der Mexikaner folgte dieser Aufforderung, zog den Türflügel auf und betrat dann den Raum. Dieser war nicht wesentlich besser beleuchtet, als der Rest des Hauses, aber trotzdem konnte er ganz deutlich den Mann erkennen, der neben dem Fenster stand und ihn erwartungsvoll anschaute.

»Nun, ist er weg, Ramirez?«, fragte er, wobei seine Stimme alles andere als mexikanisch klang. Ein leichter Südstaatenslang lag eher in ihr.

»Sí, er ist weg«, bestätigte der Mexikaner. »Und wie es aussieht, hat er seine Tochter gleich mitgenommen.«