Harald Braun

Der mieseste Liebhaber der Welt

Roman

 

 

 

 

Originalausgabe 2010
© Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

 

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eBook ISBN 978 - 3 - 423 - 40284 - 2 (epub)
ISBN der gedruckten Ausgabe 978 - 3 - 423 - 21229 - 8

 

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Inhaltsübersicht

Vorspiel

I. Kapitel

II. Kapitel

III. Kapitel

IV. Kapitel

V. Kapitel

VI. Kapitel

VII. Kapitel

VIII. Kapitel

IX. Kapitel

Nachspiel

Danksagung

 

Für meinen Vater, einen eigenwilligen Mann

Vorspiel

2010, Studio Hamburg

 

Tags Exfrau, Frauenflüsterer, Künstlername, Ratgeber, Talkshow

Soundtrack Falling down a Mountain / Tindersticks

Film Avatar / James Cameron

Alle Verliebtheit, wie ätherisch sie sich auch gebärden mag, wurzelt allein im Geschlechtstriebe.

Arthur Schopenhauer

Ich hätte jetzt die Wahl, Sie gleich mit meinem ersten Satz zu langweilen oder anzulügen. Variante eins klänge so: »Guten Tag, mein Name lautet Markus P. Stiltfang, und ich bin sehr froh, heute bei Ihnen sein zu dürfen.« Na, was denken Sie? Komischer Name, Stiltfang. Hört sich an wie was, wofür der Klempner zuständig ist. Jedenfalls nicht gerade lebendig, kompetent oder kreativ. Oder was immer man mit einem Mann verbindet, der Ratgeber schreibt, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Würden Sie gern von jemandem belehrt werden, der auf den Namen Stiltfang hört? Geht mir genauso. Ich habe ja bei Dale Carnegie schon so meine Probleme. Klingt doch, als hätte der Mann eine Boxhalle betrieben. Nicht sehr subtil jedenfalls. (Aber bei ihm hat’s ja trotzdem ganz gut funktioniert.)

Sie sehen schon, ich habe mich mit diesem Namens-Dings beschäftigt. Lange, sehr lange. Und meinen Lektor habe ich damit bis an den Rand der geistigen Zerrüttung geführt. Als mir vor zwölf Jahren angeboten wurde, ein Buch zu schreiben, haben wir nicht lange über Inhalte debattiert. Da waren wir uns schnell einig. Ich rotzte zu der Zeit gerade eine wöchentliche Kolumne über Frauen (und wie man mit ihnen klarkommt) in einer Wochenzeitung runter, die sich nach außen progressiv gab, aber nach innen eine harte F…-Wort-Quote vorgab. Drei grenzwertige Ausdrücke oder Bilder pro Kolumne waren erlaubt, wenn nicht sogar erwünscht. Nur »Arschficken« war ausdrücklich verboten. (Es existiert sogar ein Mailverkehr zwischen dem Chefredakteur des Blattes und der greisen Verlegerin, in dem sie aus gegebenem Anlass deutlich zum Ausdruck brachte, dass dieser Begriff in keinem ihrer Blätter jemals wieder auftauchen dürfe. »Analsex« war meines Wissens aber erlaubt.)

Aber ich schweife ab: das Buch. Mein Briefing lautete: »Schreiben Sie was darüber, warum Männer und Frauen nicht zusammenpassen, aber mit einer positiven Wendung, verstehen Sie, eher so konstruktiv.« Das entspricht zwar in etwa dem Auftrag, über Tschernobyl zu schreiben und dabei möglichst die positiven Begleiterscheinungen für die Bevölkerung in der Ukraine nicht aus den Augen zu verlieren. Andererseits passt so eine Ansage doch recht gut zum Beziehungsdschungel da draußen: Mit Logik haben doch auch die meisten »Liebespaare« (und jene, die auf der Suche nach der großen Liebe sind) wenig am Hut. Ich nahm das Angebot an. Der Titel des Buches lautete: ›Männer und Frauen passen (wirklich) nicht zusammen!‹ Untertitel: ›Aber sie haben keine andere Wahl.‹ Nicht sehr originell, das ist klar, aber mein Verlag sucht seine Leser in der Regel nicht unter Universitätsabsolventen. »Schreiben Sie klar und eindeutig!«, lautete der Wunsch meines Lektors. »Und wiederholen Sie die Kernaussage Ihres Textes mindestens drei Mal.« Wie gut, dass das mit dem Titel schon EIN MAL erledigt war. Wie gesagt, über Inhalte wurde nicht lange gestritten. Ich handelte einen hohen Vorschuss aus und akzeptierte im Gegenzug, dass mein Lektor mir 32 Kapitelüberschriften in einer Excel-Liste schickte. Mindestens 25 Kapitel davon sollte ich bearbeiten, vielen Dank, Abgabe in sechs Monaten.

 

Es gab da nur noch ein Problem. Es tauchte erst in der allerletzten Mail vor der Vertragsunterzeichnung auf. Eine Petitesse für meinen neuen Verlag. Business halt. Ob ich mir vorstellen könne, unter einem Pseudonym zu schreiben, fragte mein Lektor, ich solle mir mal ein paar Gedanken darüber machen. Hatte ich bis dahin noch nicht. Ich ging davon aus, der Verlag habe mich für den Job ausgewählt, weil ich mit der Wochenendkolumne einigermaßen erfolgreich war und man auf diese Weise gleich ein paar meiner Stammleser einkassieren wollte. Allerdings stand auch über der Kolumne in der Zeitung nicht etwa »Markus P. Stiltfangs Ideen über die wunderbare Welt des Beischlafs«, sondern schlicht: »The Diary of a Date Doctor«, ohne Autorenzeile. Wer es wissen wollte, konnte ja im Impressum nachlesen, wer der Autor der beliebten, oder sagen wir: polarisierenden Kolumne war. Moi. Das reichte mir.

Dass mein erstes Buch allerdings unter einem Pseudonym erscheinen sollte, machte mir zu schaffen. So eitel war ich dann doch. Träumt man nicht als kleiner Zeilenschinder in der heimischen Lokalzeitung davon, später mal seinen Namen auf einem Buchdeckel lesen zu dürfen? Und nun sollte da einfach irgendein gut klingender Mumpitz stehen? Beziehungsweise nicht einmal irgendeiner, sondern auch noch der einer Frau!?

»Frauen sind unsere Kernleserinnen«, klärte mich mein Lektor auf, »und die kaufen nun mal lieber Geschichten, die andere Frauen geschrieben haben. Hat die Marktforschung ergeben, können wir auch nicht ändern.« Auf die Idee, den Job dann vielleicht eher einem Schreiber anzubieten, der nicht gleich einer Geschlechtsumwandlung zustimmen musste, war er wohl nicht gekommen. Oder es gab einfach noch nicht so viele Frauen, die kein Problem damit hatten, einen Schwanz einen Schwanz und eine Muschi eine Muschi zu nennen. (Charlotte Roche war da noch kein Thema.)

Ich überlegte eine Woche, bevor ich ablehnte. Einen kurzen Moment hatte ich mit dem Gedanken geliebäugelt, mich »Winny Twix« zu nennen, in Anlehnung an eine leidlich bekannte amerikanische Ladendiebin, in die ich früher mal verliebt gewesen war, doch das war dann sogar mir zu albern. (Und sie würde vermutlich eh nie davon erfahren.)

Mein Lektor nahm es sportlich. Dann eben kein weibliches Pseudonym. Aber was mit einem Namen wäre, der wie ein Label funktioniert. Sozusagen eine Projektionsfläche für Leserinnen aller Altersklassen. So etwas wie Johannes Engels oder Constantin Schönburg zum Beispiel oder Claus von Castell. Irgendwas jedenfalls aus der Liga »RTL – der Heimatfilm«. Ich überlegte eine Woche. Und sagte wieder ab. Ich war nicht bereit, als Karikatur eines verarmten Landadeligen durch die Buchläden Deutschlands zu tingeln und am Ende noch zu ›Hans Meiser‹ eingeladen zu werden. Zugegeben, es war eine enge Entscheidung. Mein Lektor nahm es nicht mehr sooo sportlich. Ich galt bereits als kapriziös, da hatte ich noch kein Wort geschrieben. Er werde sich mal mit dem Layout zusammensetzen, dann werde ich sein Problem schon erkennen. Ein paar Tage später schickte er mir einen Covervorschlag mit dem Titel des Buches und meinem Autorennamen. Das Cover war unterlegt von der Illustration eines tanzenden Paares, das sich zärtlich im Arm hält, aber gleichzeitig auf die Füße tritt. Da hatte sich ein Art Director Gedanken gemacht. Aber die Illustration war nicht das Problem: Der Grauwert war es, die Buchstabenmenge. Und der eher uncharmante Klang meines Namens.

 

Männer und Frauen passen (wirklich) nicht zusammen!

Aber sie haben keine andere Wahl

Von Markus P. Stiltfang

 

So hätte das also ausgesehen. Und es war nicht von der Hand zu weisen: Ein Buch von einem gewissen Markus P. Stiltfang wirkte, als habe ein bebrillter Ökotrophologe über den Nährwert von Liebesperlen geschrieben. Ich rief meinen Lektor an, warf mich vor ihm in den Dreck und verabredete ein Brainstorming. Das heißt, wir betranken uns bei einem Griechen in der Vorstadt mit einem süßlich-klebrigen Gesöff namens Samos. Das ergab einen entsetzlichen Kater und meinen neuen Namen als Autor: Marcus Perry. (Süßlich und klebrig? Aber sicher!)

Diesen Namen haben Sie vermutlich schon einmal gehört. Oder Sie haben sogar ein Buch von mir gelesen. Als »Marcus Perry« bin ich schließlich eine große Nummer auf dem deutschsprachigen Sachbuchmarkt. Aus Markus wurde Marcus – weil das weicher und internationaler klingen würde, behauptete mein Lektor. Und Perry war der Spitzname meines Großvaters Peter, von dem mein zweiter Vorname stammt.

»Da hätten wir auch einen persönlichen Bezug!«, argumentierte wiederum mein Lektor. »Das fühlt sich doch gut an!« Über Stiltfang sprachen wir nie wieder.

Mein erstes Buch wurde ein kleiner Erfolg, mein zweites Buch mit identischen Inhalten, aber unter einem anderen Titel, lief sogar noch besser. Der Titel lautete: ›Gegensätze stoßen sich ab!‹ Untertitel: ›Wie Paare in Beziehungen aufeinander zuwachsen.‹ Ich finde ja, das ist ein selten dämlicher Titel und muss dabei immer an betrüblich dreinschauende siamesische Zwillinge denken. Aber Zahlen lügen nicht, wie mein Lektor sagt. Was nicht für mich gilt, muss ich zugeben. Mein drittes Buch hat den Titel: ›Der Frauenflüsterer‹. (Wie gut, dass ich mich vehement gegen ein weibliches Pseudonym gewehrt habe.) Im ›Frauenflüsterer‹ wird behauptet, es gäbe da ein paar hundertprozentige Tipps, wie man jede Frau betört (um sie ins Bett zu bekommen). Und darin wird weiterhin angedeutet, dass ICH derjenige sei, der all diese Tricks auf Lager hat. Schön wär’s.

Man könnte nun zur Tagesordnung übergehen und diesen Quatsch vergessen, schließlich darf man nicht jedes Wort, das geschrieben wird, auf die Goldwaage legen. In diesem Fall aber ist das nicht so einfach: ›Der Frauenflüsterer‹ von Marcus Perry schoss aus dem Stand an die Spitze aller Bestsellerlisten und atmete ein ganzes Jahr lang Höhenluft. Das Buch verkaufte sich rund 250 000 Mal, ich wurde zu Lesungen und Vorträgen eingeladen und bei ›Beckmann‹ interviewt. Ich wurde reich, weil da draußen eine Menge Männer wissen wollten, wie sie sicher bei den Frauen zum Zuge kommen würden. Und Frauen kauften das Buch aus vorauseilender Empörung darüber, wie ein Marcus Perry es wagen konnte, sie alle über einen Kamm zu scheren und ihnen jeglichen gesunden Menschenverstand abzusprechen. Selbst im seriösen Feuilleton beschäftigte man sich mit meinen hanebüchenen Frauenflüsterer-Ratschlägen: Man schnüffelte und stocherte mit spitzen Fingern darin herum und legte ein paar Sätze unter das literarische Mikroskop, bevor man zum Ergebnis kam: ein stinkender Misthaufen. Überraschung! Nach jeder dieser deprimierenden Rezensionen zogen die Verkäufe wieder an. Der Höhepunkt dieser unfreiwilligen Verkaufskampagne war ein Interview mit Marcus Perry im Frühstücksfernsehen eines Privatsenders, in dem der Autor sich von einer hasserfüllten, moppeligen Blondine fragen lassen musste: »Und Sie wollen also jede Frau rumkriegen? Versuchen Sie es doch mal bei mir!« Dabei blickte die Dame so gefährlich, als hätte sie seit Tagen nichts gegessen. An diesem Morgen stotterte Marcus Perry vor der Kamera um sein nacktes Leben. (Und in den Tagen danach bestellten alle relevanten Buchhändler ganze Stapel des ›Frauenflüsterers‹ nach.)

Ich spreche übrigens nicht zufällig von »Marcus Perry« und nicht etwa von mir, wenn es um den ›Frauenflüsterer‹ oder eines der anderen Bücher geht, denen ich meinen Wohlstand verdanke. Inzwischen schätze ich den Umstand, mich hinter einem Pseudonym verbergen zu können, nämlich sehr. Zum einen, weil an meiner Haustür kein sprechbehinderter Kneipenschläger klingelt, der sich beschweren will, dass meine wasserdichten Flirt Lines ihm nur Ärger und Spott eingebracht haben. Zum anderen, weil ich mich in Talkshows und Interviews immer wunderbar darauf berufen kann, dass Marcus Perry ja nur eine Kunstfigur ist, eine Art spielerischer Entwurf einer schillernden Persönlichkeit mit einem Riesenego. Subtext: Im Grunde sei ich ein schreibender Schauspieler, der mit der Hilfe einer Kunstfigur Meinungen anprobiert wie der Leitartikel in der ›Zeit‹. Bei den Kulturmenschen im Fernsehen komme ich damit durch – die kennen das. Und meine Leser vor der Glotze gehen offenbar gedanklich nicht den ganzen Weg mit. Meiner Auflage hat das indirekte Eingeständnis, dass ich im Grunde nicht mal selbst an all die Weisheiten glaube, die ich da auf 300 Seiten mit feiner Klinge unters Volk bringe, jedenfalls noch keine Einbrüche beschert. Die Einladungen zu Seminaren, Lesungen und Gastbeiträgen reißen nicht ab. Sie sind adressiert an »Marcus Perry«, aber sie landen – über das Büro meines Agenten – alle bei Markus P. Stiltfang in der Mailbox.

Ich habe ein schönes Leben. Manchmal träume ich, ich würde am Samstagvormittag nackt durch eine Fußgängerzone spazieren und so tun, als sei das ganz normal, obwohl ich mich entsetzlich dafür schäme. (Zählen Sie eins und eins zusammen …) Aber meistens schlafe ich ganz prima. So hätte das auch bleiben können. Alle drei Jahre ein neues Buch, ein paar alberne Interviews, einige gemeine Rezensionen und anschließend Ruhe, neue Länder und viel Sonne. Aber wie es so ist, wenn man in diesem Land erfolgreich ist – Neider tauchen auf, Stinkstiefel, die einem an den Karren fahren wollen. Nur so, aus Bosheit. Oder um Quote und Auflage zu machen. Normalerweise ficht mich das nicht an, Sie wissen ja: Never complain. Never explain. Oder auch: Bad news are good news! Solange es der Auflage nutzt, können meine Bücher mit so ziemlich jeder Kritik leben. Ich werde sicher nicht widersprechen.

 

Das heißt, bislang WAR das so. Ich erzähle Ihnen das alles ja nicht ohne Grund. Seit dem Tag, an dem meine Exfrau Svenja ins Fernsehen eingeladen wurde, ist mein Leben aus dem Ruder gelaufen. Dabei reden wir hier über einen Regionalsender, drittes Programm, über lockeres Geplauder bei trockenem Burgunder und Selters vor der Kamera. Thema des Abends: »Wunsch & Wirklichkeit«. Schlau verkauft, oder? Unter dem feuilletonistischen Deckmäntelchen wollte man mal wieder hinter die Kulissen der Medienwelt schauen, das verkauft sich ja immer. Mal sehen, was zum Beispiel hinter der glanzpolierten Fassade des erfolgreichen Bestsellerautors Marcus Perry wirklich los ist. Als ob das irgendwen interessieren sollte.

Meine Exfrau Svenja und ich haben noch leidlich Kontakt, keine Kinder, keine finanziellen Auseinandersetzungen, null Rosenkrieg. Zum Geburtstag rufen wir uns an, nicht mal die gemeinsamen Fotoalben sind rituell verbrannt worden. Lauwarme Zivilisation, der Kollateralschaden serieller Monogamie. Sie hat mich sogar gefragt, ob sie die Einladung des Senders annehmen solle. »Fünf Minuten schwelgen über alte Zeiten, das kriegst du hin!«, habe ich ihr jovial geantwortet, nicht im Mindesten beunruhigt. Und gönnte ihr das geschenkte Wochenende in Berlin, Luxushotel und Flug inklusive. Ich weiß nicht, was in sie gefahren ist, als sie dann zur besten Sendezeit vor der Kamera unsere Ehe durch den Kakao zog. (Die im Übrigen schon bald sechzehn Jahre zurückliegt.) Ein Glas Sekt zu viel gegen das Lampenfieber, ein paar einschmeichelnde Lächler des Talkmasters, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass meine Exfrau über mich, den Autor des Ratgeber-Bestsellers ›Der Frauenflüsterer‹ sagte: »Mein Exmann hatte zwar schon immer einen übersteigerten sexuellen Appetit. (Haha!) Aber in der ›Ausführung‹ war er doch eher durchschnittlich. Im Grunde war der Herr Stiltfang in meinem Schlafzimmer weniger der Frauenflüsterer als vielmehr der mieseste Liebhaber der Welt!«

Das war wohl witzig gemeint, eine Pointe, das Studiopublikum klatschte amüsiert und Svenja lächelte auch ganz charmant dazu. Sie war sogar so frei, noch zu erwähnen, dass unser Sex gerade in der Hochzeitsnacht besonders mies gewesen sei, was stimmte. Aber allein meine Schuld war das nicht gewesen! Für die Aasverwerter aus der Glamour- und Revolverpresse war es trotzdem ein gefundenes Fressen. Die Häme schwappte in druckschwarzen Kübeln über mich herein, selbst Bohlen hätte mit einem erneuten Penisbruch Probleme bekommen, mich von der ersten Seite des Boulevards wegzuschubsen. Im Fernsehen wurde der Interviewschnipsel meiner Exfrau rauf und runter gezeigt, bei ›TV Total‹ erhielt ich von Raab einen eigenen Button, auf den der TV-Metzger eine Woche ausdauernd drückte und sich jedes Mal wieder über »den miesesten Liebhaber der Welt« amüsierte. Ganz Deutschland mailte, bloggte und twitterte sich einen iPhone-Ellbogen (der legitime Nachfolger des Tennisarms), meine Agentur musste zeitweise ihren überlasteten Server runterfahren. Haben Sie eine Ahnung, wie es sich anfühlt, wenn Sie in der ›Bild‹-Zeitung ein großformatiges Foto von sich sehen, das von der Überschrift »Ist der Frauenflüsterer in Wahrheit der mieseste Liebhaber der Welt?« begleitet wird? Wenn Sie zur Zielscheibe des kollektiven Spotts werden und Ihnen gleichzeitig Ihre professionelle Geschäftsgrundlage entzogen wird? Das Unangenehme und geradezu Bösartige an der Bemerkung meiner Exfrau (die ich wohl erst mal zum Geburtstag nicht mehr anrufen werde) ist doch, dass sie mich als den kleinen Herrn Stiltfang bloßstellte, der als Marcus Perry unter Vorspiegelung falscher Talente bei den Großen mitspielen wollte. Sie verwischte die Ebenen und riss »Marcus Perry« vor einer Fernsehkamera die Maske vom Gesicht. Live. Eine mediale Hinrichtung erster Klasse. Und diesmal war sogar mein Verlag not amused.

 

Es dauerte Monate, bis die Story in den Medien als ausgelutscht galt. Die Verkäufe meiner Bücher gingen zurück, die Anfragen wurden weniger. Der Frauenflüsterer war durch, in jeder Hinsicht. Und mit Ideen für neue Bücher wurde es auch schwierig. Meine Glaubwürdigkeit als Ratgeber war erst mal dahin. Mein Bekanntsheitsgrad allerdings stieg deutlich. Ständig wurde ich als Gast in Fernsehshows geladen, ›Genial daneben‹ oder ›Das perfekte Promi-Dinner‹, egal was – wenn man aus der Promi-B- oder -C-Liga noch eine dankbare Nase brauchte, wurde ich angefragt, das heißt: Marcus Perry. Das ist eine Zeitlang ja ganz lustig, aber wenn man den Zirkus ein Jahr mitmacht, wird es zur Tortur. Immer nur gesellige Abende mit Dirk Bach, Oli P. oder Michaela Schaffrath können einem ganz schön das Hirn verbrennen.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich müsste im Grunde nicht mehr arbeiten gehen. Jedenfalls solange ich mir nicht in jedem Jahr einen neuen Ferrari zum Hummer (dem Auto, nicht dem Krebs) leisten würde. Doch sollte ich mich etwa jetzt schon zur Ruhe setzen, ein Häuschen auf Mallorca kaufen und Golf spielen?

Schließlich hatte mein Lektor dann die zündende Idee für ein neues Buch, das auch mit mir zu machen war. Oder besser: nur mit mir! Ich bin noch nicht sicher, ob sie genial war oder einfach nur daneben. Das wird sich zeigen, und zwar schon ziemlich bald. Wie wäre es, sprach er, wenn du deinem Publikum da draußen zeigst, dass du über ein breites Kreuz, Persönlichkeit und eine sympathische selbstironische Ader verfügst. Und ein Buch schreibst, das dein aktuelles Programm ganz groß auf dem Cover verkündet: ›Ich war der mieseste Liebhaber der Welt‹. Untertitel: ›Eine Beichte‹. Das sei doch wohl eine Meisterleistung in angewandter Dialektik. Möglicherweise hielt ich das im ersten Moment für einen Witz, doch mein Lektor war nicht zu bremsen:

»Ich sehe schon die Werbetexte vor mir: ›In seinem Buch erzählt der Frauenflüsterer die Geschichte seiner sexuellen Sozialisation – und warum die Frauen ihn als den miesesten Liebhaber der Welt einstuften.‹ Das verkauft, Marcus, das geht durch die Decke!«

 

Ich bin übrigens nicht sicher, dass ich wirklich so schlecht im Bett bin. Da hat Svenja einfach ein wenig übertrieben und mich für einen guten Gag verraten und verkauft. Ich bin vermutlich eher so normal. Möglicherweise sogar mit ein paar Erfahrungen mehr, als sie Willi Mustermann in seinem Männerleben gemacht hat. Die können Sie übrigens jetzt alle in meinem Buch nachlesen, von Anfang an. Ich musste ganz schön recherchieren, um das alles wieder auf die Reihe zu bekommen. Mein Lektor hat mir diesmal keine Kapitelüberschriften geliefert. Dafür aber wieder einen ganz ordentlichen Vorschuss.

»Ist Schmerzensgeld, falls dein Ruf hinterher total ruiniert und das unser letztes gemeinsames Projekt ist«, hat er geflachst. (Vermutlich aber genau so gemeint.) Der Verlag aber glaubt an den Titel. Wenn ich da also gleich mit einem Exemplar meines aktuellen Buches in der Hand zu Kerner rausgehe, um es im richtigen Moment in die Kamera zu halten, werde ich den Showmaster und sein Publikum vor der Kamera so augenzwinkernd wie möglich begrüßen: »Guten Abend, mein Name ist Marcus Perry, und ich bin der mieseste Liebhaber der Welt!« Ich nehme mal an, dass das immerhin kein langweiliger Einstieg ist. Aber ich hoffe dabei aus ganzem Herzen, dass dieser Satz eine gottverdammte Lüge sein wird, so wie auch der ›Frauenflüsterer‹ eine Lüge war. Aber sicher bin ich mir da schon lange nicht mehr.