Thüringer Triften und Trassen

Frühe Wege in den Landschaften
zwischen Werra und Weißer Elster

Michael Köhler

gewidmet
dem Archäologen Klaus Simon

ISBN 978-3-910141-99-5

© Jenzig-Verlag Gabriele Köhler, Golmsdorf b. Jena

Briefadresse: PF 100219, 07702 Jena

Tel. 036427 - 71391

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1. Auflage 

2013 Fotos: Michael Köhler, Titelbild: Hohlweg am Spitalberg bei Orlamünde-Naschhausen

Rücktitel, von oben nach unten und von links nach rechts: bei Bockelnhagen, bei Görmar, bei Gossel, bei Ilmenau-Roda, bei Dornburg, bei Dingsleben, bei Beberstedt, im Eisenberger Mühltal, bei Kleinkundorf, bei Closewitz, bei Wülfingerode, Kupferstraße bei Teichröda

Gestaltung: Gabriele Köhler

Messtischblattausschnitte © GeoBasisDE/​TLVermGeo 2013, Gen.-Nr. 1017102012

Alle anderen Rechte beim Verlag

Alle Angaben einschließlich Koordinatenangaben ohne Gewähr

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015

Inhalt

Cover

Titel

Widmung

Impressum

Vorwort

1. Einleitung

2. Thüringen als Verkehrsraum im europäischen Umfeld

3. Entstehung von Wegen und Straßen

3.1. Bildung und Definition von Wegen und Straßen

3.2. Einfluss von Geomorphologie und lokaler Topographie auf die Wegentstehung

3.3. Verkehrsleitlinien in Thüringen

4. Vor- und frühgeschichtliche Fernwege

4.1. Erschließbare vorneolithische Verkehrswege

4.2. Wegestruktur in der Jungsteinzeit (Neolithikum)

4.3. Bronze- und früheisenzeitliche Verkehrsstruktur

4.4. Trassen der römischen Kaiserzeit und der Völkerwanderungszeit

4.5. Die früh- bis hochmittelalterlichen Verkehrswege

Warten an den Straßen in der Umgebung von wichtigen Handelsstädten

4.6. Das Straßen- und Wegenetz im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit

5. Altstraßen- und Altwegrelikte

5.1. Hohlwege und Hohlwegrelikte

5.2. Triften und moderne Wegführungen im Zuge von Altwegtrassen

5.3. Hinweise auf Altstraßen, Straßen- und Wegrelikte in Orts-, Flur-, Forst- und Straßennamen

5.4. Die Verteilung und Ausrichtung der Altstraßen in Thüringen

6. Bedeutende Straßen und Straßenbündel

6.1. Hauptrichtung West-Ost

A) Südharzstraße in Richtung Halle

B) Straßenbündel Südharz – Altenburg

C) Straßenbündel Eichsfeld – Oberlausitz

D) Nordrhön – Lausitz-Straßenbündel

E) Straßenbündel von der Rhön in Richtung Westerzgebirge

6.2. Hauptrichtung Nordwest-Südost F) Peter-und-Pauls-Weg

G) Salzstraße Sulza/Ilm – Camburg

H) Straßenbündel vom Göttinger Becken zum Vogtland

I) Straßenbündel vom Kasseler Becken in Richtung Vogtland

6.3. Hauptrichtung Nord-Süd K) Straßenbündel aus Richtung des Hohen Meißners zur Rhön

L) Südharz/West-Grabfeld-Straßenbündel

M) Ost-Eichsfeld-/Ost-Grabfeld-Straßenbündel

N) Nord-Süd-Straßenbündel vom zentralen Harz in Richtung Bamberg

O) Straßenbündel vom Nordharz über Nordthüringen (Sondershausen/ Frankenhausen) nach Franken (Coburg)

P) Straßenbündel vom Ostharzrand in Richtung Oberpfalz

Westliches Trassenbündel der Verbindung vom Ostharzrand ins östliche Oberfranken

Östliches Trassenbündel der Verbindung vom Ostharzrand ins östliche Oberfranken

Q) Straßenbündel aus Richtung Dölauer Heide zur Frankenschwelle

R) Leipziger Raum – Vogtland

6.4. Hauptrichtung Südwest-Nordost S) Straßenbündel vom Kasseler Becken über das Eichsfeld nach Nordhausen

T) Straßenbündel durch das südliche Thüringer Becken im Zuge der Via Regia

U) Straßenbündel von der Rhön über Arnstadt in den Raum des unteren Wethautals

V) Straßenbündel vom Grabfeld in Richtung Ostthüringen

7. Katalog zu Altstraßenrelikten (Beispiele)

Hohlwege und sonstige Altstraßenrelikte in Thüringen (Auswahl, nach Orten, alphabetisch)

Anmerkungen

Literatur

Register der Orts-, Flur- und Forstnamen sowie Landschaftsbezeichnungen

Register der historischen Straßen- und Wegebezeichnungen

Straßengasthäuser und auf Gasthäuser hinweisende Namen

Vorwort

Wege sind schon seit frühester Zeit von enormer Bedeutung für die Menschen gewesen. Seit dem Ende der Eiszeit vor etwa 12 000 Jahren haben vermutlich ständig Menschen in Thüringen gelebt. Seit dieser Zeit wird es immer Pfade und Wege gegeben haben. Spätestens seit der frühen Jungsteinzeit vor etwa 7500 Jahren gab es ein Netz von Siedlungen und folglich auch ein Wegenetz, das diese Siedlungen verband, sowie Fernwege, die von Thüringen in benachbarte Regionen führten. Viele historische, prähistorische und heimatkundliche Einzelarbeiten beschäftigen sich mit Altstraßen und Altwegen in Thüringen oder streifen dieses Thema. Bisher gibt es meines Wissens nach jedoch keine landesweite Zusammenstellung. Ziel dieses Buches ist deshalb eine Zusammenschau zu den Wegen und Altstraßen für den Raum Thüringen, wobei der Versuch unternommen wird, vor allem die durch die landschaftlichen Verhältnisse bestimmten Hauptlinien des Verkehrs für die vormittelalterliche Zeit herauszuarbeiten.

Die Arbeit kann ein altstraßenkartographisches Werk und detaillierte historische oder prähistorische Untersuchungen zu einzelnen Gebieten, Straßenzügen oder Perioden nicht ersetzen. Daneben ist auch zu berücksichtigen, dass Geländerelikte ohne archäologische Untersuchung in den meisten Fällen kaum datierbar sind, und eine Vielzahl der Relikte aus jüngerer Zeit – Spätmittelalter und frühe Neuzeit – stammt. Zur Einordnung der Wegrelikte muss regional und lokal historisch geforscht werden. Detaillierte Untersuchungen gibt es für einige Straßen, sie fehlen jedoch für viele andere. Die hier vorgelegten Betrachtungen sollten deshalb auch als Anregung für weitere Forschung verstanden werden. Die nachfolgenden Darlegungen zur Entwicklung des Wege- und Straßennetzes in Thüringen bauen auf zahlreichen Vorarbeiten zur Geschichte und Vorgeschichte des Landes und Untersuchungen und Diskussionen zum Verlauf alter Straßen auf. Methodische Grundlagen wurden vor allem durch D. Denecke gelegt. Für die vormittelalterliche Zeit sind ganz besonders die Arbeiten von B. W. Bahn zur Methodik und zeitlichen Einordnung von großer Bedeutung. Für verschiedene Gebiete Thüringens liegen bereits sehr detailreiche Arbeiten zum mittelalterlichen Wegenetz vor. So untersuchte W. Eberhardt die mittelalterliche Wegestruktur in Westthüringen und im hessisch-thüringischen Grenzgebiet. Für Nordthüringen sind vor allem Untersuchungen von E. Blaschke bedeutsam. Straßen und Wege im Eichsfeld und in der Umgebung von Mühlhausen wurden insbesondere von R. Aulepp erforscht. Daneben gibt es bereits zahlreiche weitere Arbeiten zu einzelnen Straßen und Altwegverläufen von der Vorgeschichte bis zur Neuzeit.

In diesem Buch sollen die wichtigsten historischen bzw. prähistorischen Linien für den überregionalen Verkehr erörtert werden.1 Dazu wird der Rahmen für die Verkehrssituation in den verschiedenen vor- und frühgeschichtlichen Perioden betrachtet. Anschließend werden einzelne Richtungen beschrieben und insbesondere die Existenz von parallelen Linienführungen dargestellt, da diese oft Hinweise auf Verkehrsrichtungen geben, die bereits in früher Zeit stark frequentiert wurden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Zusammenfassung einzelner Verkehrslinien zu Verkehrswegebündeln zwangsläufig subjektiv auf Grund räumlicher Nachbarschaft erfolgt, also keinen historischen Zusammenhang darstellt. Beim jetzigen Stand der Forschung muss eine Zusammenschau wie die hier vorgelegte, fragmentarisch bleiben. Im Einzelfall ist es meist sehr schwierig, Aussagen über das wirkliche Alter oder die Bedeutung von Trassen in den verschiedenen vor- und frühgeschichtlichen Perioden zu treffen. Diese lassen sich für die Vorgeschichte nur mittelbar aus der Verteilung benachbarter Fundplätze erschließen. Archäologische Nachweise prähistorischer Straßen gehören zu den seltenen Befunden und sind deshalb bisher nicht geeignet, wesentlich zum Bild eines Wege- oder Straßennetzes für eine Kulturstufe beizutragen. Erst für das späte Mittelalter und die frühe Neuzeit können die Verläufe von Wege und Straßen und die Bedeutung ihrer Nutzung aus schriftlichen Quellen abgeleitet werden.

Für viele wertvolle Hinweise zur Altstraßenforschung und eine kritische Einschätzung des Manuskriptes danke ich Herrn Bernd Bahn, Weimar, ganz herzlich, gleichzeitig möchte ich aber darauf hinweisen, dass nicht alle Hinweise Berücksichtigung fanden und alle Schwächen des Buches vollständig zu Lasten des Autors gehen. Für Hinweise danke ich auch Herrn Achim Fuchs, Meiningen.2

Die große Bedeutung von Verkehrslinien zu allen Zeiten, die prähistorische und historische Bedeutung, die Thüringen als zentraleuropäisches Durchgangsregion hatte und schließlich die wichtige aktuelle Bedeutung von Altwegen für die heutige Flurstruktur und von Altwegrelikten für das Bild der modernen Kulturlandschaft lassen trotz der unvollständigen Quellenlage eine Zusammenstellung wünschenswert erscheinen. Die Darstellung soll insbesondere dazu beitragen, den noch vorhandenen Reichtum an Zeugnissen der Verkehrsgeschichte deutlich zu machen. Deshalb wird auch auf viele Beispiele von Relikten hingewiesen, die nicht auf den ersten Blick als Denkmale frühneuzeitlicher oder mittelalterlicher Transporte und Reisen erkennbar sind. Darüber hinaus soll verdeutlicht werden, dass bereits die Vorgeschichte prägend für die späte Verkehrsstruktur unserer Landschaft gewesen ist und dass manche Teile des heutigen Wegenetzes und manche Wegrelikte bereits auf vorgeschichtliche Wurzeln zurückgehen. Autor und Verlag hoffen, dass das Buch eine Grundlage für die Wahrnehmung und Achtung der Zeugen der Verkehrsgeschichte in der Landschaft gibt und für weitere Forschungen zu den Altwegen Motivation und Hilfe sein kann.

Michael Köhler, im November 2012

1. Einleitung

Pfade, auf denen Menschen sich wiederholt bewegten, haben unsere Landschaft bereits durchzogen, bevor man festen Ansiedlungen kannte, bevor Menschen lernten, Getreide anzubauen und zu töpfern. So bildet das Netz der Wege vielleicht die älteste kulturelle Komponente in unserer Landschaft, die sich wie ein Gewebe auf die gesamte Fläche legt. Aus größerem zeitlichen Abstand schauend, hat dieses Gewebe ständig sein Muster verändert. Da und dort sind Fäden anders gelaufen, sind andere Fäden oder Teile des Gewebes kräftiger oder zarter geworden, je nachdem welche Bedeutung einzelne Regionen für das menschliche Leben gespielt haben.

Manche der alten Trassen sind verschwunden und vergessen. Andere wurden nur temporär benutzt. Daneben gibt es aber auch Verbindungen, die im großen und ganzen ihren Verlauf über lange Zeiträume nicht verändert haben. Das betrifft vor allem solche Verbindungen, die durch die Topographie und Geologie des Landes bestimmt worden sind. Es ist gut vorstellbar, dass solche Trassen nicht nur jahrhundertelang überlebt haben, sondern mit geringen Variationen sogar über Jahrtausende und viele verschiedene menschliche Siedlungsgruppen und Kulturen hinweg beibehalten worden sind. Solche naturgegebenen Trassen bilden damit stärker als jede Siedlung das Rückgrat der kulturlandschaftlichen Entwicklung. Als primäre Trassen spannen sie gemeinsam mit den wichtigsten Siedlungskammern den Rahmen für später entstandene Verbindungen, Siedlungen und Befestigungen auf.

Wege gliedern aber auch das Land. Als langlebige Linien teilen sie die Landoberfläche in Elemente, die die Änderung von Nutzungs-, Macht- und Eigentumsverhältnissen und somit die Landesentwicklung widerspiegeln. Da sie – von wenigen Typen abgesehen – im allgemeinen nicht nur einem einzelnen Besitzer, sondern einem breiteren Nutzerkreis dienten, mithin von allgemeinerer Bedeutung waren, unterlagen sie viel weniger raschen Veränderungen als Flurstücken und andere Immobilien. Diese Langfristigkeit berechtigt auch zu der Annahme, dass sich – trotz mannigfaltiger Veränderungen der Landschaft – in vielen Elementen der rezenten Wegestruktur sehr frühe Trassen erhalten haben3, vor allem solche, die sich die natürlichen Gegebenenheiten wie Geländeneigung, Untergrund, hydrogeologische Verhältnisse, und Umgebungstopographie zunutze gemacht hatten.

2. Thüringen als Verkehrsraum im europäischen Umfeld

Die Verkehrsstruktur Thüringens ist nicht nur von regionalem Interesse. Thüringen befindet sich durch seine naturräumlichen Verhältnisse und vor allem auf Grund seiner zentralen Lage in Mitteleuropa in einer besonderen kontinentalstrategischen Position. Diese macht das Land auch im europäischen Rahmen verkehrstechnisch besonders interessant.

Es gibt in Thüringen keine ausgedehnten stehenden Gewässer oder Hochgebirge, die Verkehrshindernisse bilden. Die abwechslungsreiche Topografie und die facettenreichen Untergrundverhältnisse sorgen für vielfältige Möglichkeiten günstiger Verkehrsführungen. Diese verkehrsgünstige Gesamtsituation wird durch die Lage in der nördlichen Randzone der mitteleuropäischen Mittelgebirgslandschaft unterstützt. Im Norden von Thüringen liegt mit dem Harz das am weitesten nach Norden vorgeschobene Mittelgebirge Zentraleuropas. Zwischen Harz und Thüringer Wald öffnet sich eine Beckenlandschaft mit vielgestaltigen Randzonen, die vor allem in West-Ost-Richtung vielfältige Verkehrsmöglichkeiten eröffnet. Die Gebirge selbst stellen keine ernsthaften Barrieren für den Verkehr dar, da sich zwischen den steilen Hängen und tief eingeschnittenen Tälern immer wieder sanfte Höhenrücken und gut passierbare Täler und Talflanken mit Pässen finden, die Verkehrsführungen gestatten.

Es sind vor allem der landschaftliche Übergangscharakter und die zentrale Lage, die das zentrale Deutschland und damit auch das Gebiet des heutigen Thüringens zu einem bedeutsamen kontinentalen Durchgangsland machen. Dieses Gebiet ist ein Bindeglied zwischen dem norddeutschen Tiefland und dem bewegten Gelände Süddeutschlands, es mittelt damit zwischen Nord und Süd und damit auch zwischen der See und Skandinavien auf der einen und dem Alpenraum und der mediterranen Welt auf der anderen Seite. Das Gebiet Thüringens ist zugleich aber auch in einer Mittlerfunktion zwischen dem Rheinland und Ostdeutschland, zwischen dem atlantisch geprägten Westen Europas und den kontinentalen Weiten Ostmitteleuropas, Osteuropas und des Balkans. Diese durch die Lage bestimmte Mittlerfunktion wird durch die kulturelle Vergangenheit des Landes bestätigt. Die zentrale Lage prädestiniert den Raum Thüringen als Durchgangsland.

Abb. 1. Zentrale Lage Thüringens in Mitteleuropa

Dieser Lage entsprechend führen mehrere der wichtigsten transeuropäischen Verbindungen durch Thüringen (Übersichtskarte: Abb. 1, S. 9). Thüringen liegt auf der kürzesten Strecke von der iberischen Halbinsel zum Baltikum, von Nordfrankreich nach Russland, von den Niederlanden zum Balkan und nach Kleinasien genauso wie von Flandern zum Nordbereich des Schwarzen Meeres oder von Jütland nach Italien. So trafen sich am Übergang von der späten Jungsteinzeit zur frühen Bronzezeit die Impulse der aus Westeuropa kommenden Glockenbecher-Kultur mit den Einflüssen der von Südosten (Böhmen) kommenden Aunjetitzer Kultur. In der späten Bronzezeit trafen in Thüringen die Einflüsse der skandinavischen Bronzezeit im Norden mit den starken Impulsen der Urnenfelderkultur im Süden und der Lausitzer Kultur im Osten zusammen. In der jüngeren vorrömischen Eisenzeit begegnen sich in Thüringen die Jastorfkultur und die germanische Kultur aus dem Norden und Osten und die keltische Kultur aus dem Süden, Südosten und Westen. Das Zusammenwirken südlicher und westlicher Einflüsse auf der einen und östlicher Einflüsse auf der anderen Seite blieb auch in der Römischen Kaiserzeit in Gestalt von starken Impulsen aus dem Römischen Reich – vor allem den provinzialrömischen Gebieten an Rhein und Donau – und den Einflüssen benachbarter germanischer Gebiete erhalten. In der späten Völkerwanderungszeit und im frühen Mittelalter trafen sich in Thüringen schließlich vor allem fränkische und slawische Einflussnahme.

3. Entstehung von Wegen und Straßen

3.1. Bildung und Definition von Wegen und Straßen

Wege können spontan entstehen oder durch Planung und Bau angelegt werden. Ein Weg kommt im einfachsten Fall zustande, wenn eine bestimmte Verbindungslinie immer wieder benutzt wird. Die ältesten Pfade sind vermutlich Trassen gewesen, auf denen sich wiederholt Herden von Wildtieren bewegten, denen Jäger folgten. Denkbar ist, dass es im späten Paläolithikum und im Mesolithikum zu einer Lebensweise kam, in der Menschen längerfristig mit Tierherden zusammen lebten und mit ihnen gemeinsam die Weidegebiete wechselten. In den dabei passierten Wegen sind vielleicht die Anfänge der Entstehung von Triften zu sehen, die sich als Trassen der Bewegung von Viehherden über die ganze jüngere Vorgeschichte und das Mittelalter hinweg und zum Teil bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts erhielten. Auch später, als schon feste Siedlungen existierten, aber ihre Standorte von Zeit zu Zeit wechselten, blieben solche Triften wahrscheinlich oft sehr langfristig erhalten, weil ihr Verlauf wohl im wesentlichen durch die naturräumlichen Bedingungen bestimmt wurde, ja über Generationen und Kulturen hinweg immer wieder dieselben Linien benutzt wurden.

Ein Teil der frühen Triften wird durch die Nutzung günstiger Geländeverhältnisse, aber auch auf Grund des Offenhaltens der Geländestreifen durch die immer wieder erfolgende Beweidung ein sehr zügiges Fortkommen ermöglicht haben. Das war natürlich auch für andere Transporte und Reisen von Vorteil. Deshalb ist anzunehmen, dass Abschnitte von Triften sehr frühzeitig Bestandteil von Fernwegen wurden, die dem Fernhandel und Fernreisen dienten.

Mit der Entwicklung von längerlebigen Siedlungen, zugehörigen Begräbnisplätzen und Kultstätten entstand die Notwendigkeit, neben den Triften und Fernwegen auch lokale und regionale Verbindungen zu schaffen. Diese können sich partiell mit Fernwegen und Triften gedeckt haben. Viele dieser lokalen und regionalen Wege folgten aber anderen Linien, da die Siedlungen oft nicht an den Triften bzw. Fernwegen lagen. Nimmt man alle rezenten und historischen Trassen zusammen, so ergibt sich in dem über mehrere Jahrtausende hinweg vergleichsweise dicht besiedelten Thüringen ein engmaschiges Wegenetz. In diesem Netz haben hatten die einzelnen Linien aber eine recht unterschiedliche und mit der Zeit wechselnde Bedeutung.

Eine bestimmte Wegtrasse oder eine bestimmte Straße, die zwei Orte verband, bedarf einer Definition. Für eine solche Definition kommen im wesentlichen vier Möglichkeiten in Frage:

  1. Die Anlage einer Trasse oder Straße erfolgte durch eine planmäßige Baumaßnahme.
  2. Ein Weg wird durch Gewohnheitsrecht oder Gesetz als Verbindung zwischen zwei Orten festgeschrieben.
  3. Ein Weg wird auf Grund der für bestimmte wiederkehrende Zwecke wiederholten Benutzung ein und derselben Trasse festgelegt.
  4. Ein Weg wird auf Grund der Benutzung einer bestimmten Trasse durch ein einmaliges – zu fällig historisch überliefertes oder auf Grund einer besonderen Bedeutung tradiertes – Ereignis beschrieben.

In vielen Fällen ergeben sich die tatsächlich genutzten Wege zwischen zwei Orten durch mehrere, eventuell sogar eine Vielzahl von Wegvarianten. Wege verzweigen sich in mehrere Äste, Zweige und einzelne Trassen. Wege fächerten zu Wegebündeln auf. Klimatische, rechtliche Verhältnisse, der Zustand der Wege, Verfügbarkeit von Wasser und Herbergen, Weidemöglichkeiten, Sicherheitsüberlegungen, politische Verhältnisse oder einfach persönliche Gründe, Vorlieben und die willkürliche Entscheidung der Reisenden führten dazu, dass eine Reise oder ein Transport zwischen zwei Orten im konkreten Fall recht unterschiedlichen Varianten folgen konnte.

Die Entstehung von Verbindungslinien im Gelände ist nicht zwingend an menschliche Intelligenz gebunden. Schon die bodengebundene Bewegung von Tieren erfolgt nicht in einer rein zufälligen Auswahl, sondern folgt zweckmäßigen Bahnen, die wiederholt genutzt werden. Durch die Reduzierung der Vegetation im Bereich der wiederholt beschrittenen oder belaufenen Trassen verbessert sich im allgemeinen deren Passierbarkeit. Außerdem werden die Trassen durch die Benutzung den Einzeltieren und den Populationen immer bekannter und vertrauter, wodurch Sicherheit und Zuverlässigkeit in der Bewegung verbessert werden. Die Verbesserung der Passierbarkeit und der Bekanntheitseffekt sind positiv rückkoppelnde Faktoren, da durch sie die Nutzung einer einmal gewählten Trasse verstärkt wird. Dadurch tritt ein Stabilisierungseffekt bei Verkehrsbahnen ein.

Unabhängig von jeglichen kulturellen Unterschieden organisieren sich Wegnetze häufig spontan nach einer Optimierung, die eine Minimierung des Kraft- und Zeitaufwandes für einen Weg und zugleich einen maximalen kooperativen Effekt durch häufige Benutzung der selben Wegabschnitte durch eine möglichst große Zahl von Nutzern erzielt. Das Ergebnis sind geschwungene und ineinander einmündende und sich wieder verzweigende Wegverläufe, die als Netz Ähnlichkeiten mit einem Schnitt durch einen Seifenschaum haben (Seifenblasenmodell). So wie auf der einen Seite im Schaum die Grenzflächen- und Oberflächenspannung für eine Minimierung der Flächen sorgen, sorgt der Drang, die Wege so kurz wie möglich zu halten, für eine hohe Dichte an Wegen und damit die netzartige Struktur. Auf der anderen Seite entspricht der thermodynamisch getriebenen Minimierung der Zahl der Schaum- bzw. Seifenblasenlamellen die Tendenz, die Zahl der Wege zu begrenzen und möglichst viele Wegabschnitte im Netz gemeinsam zu benutzen.

Der Ausbildung hochgradig symmetrischer Wegnetze mit ständig wiederholtem Netzmuster („isotrope Struktur“) stehen die lokalen naturräumlichen Unterschiede, regionale natürliche und kulturelle Faktoren, klimatische Gradienten und die Ergebnisse einer vorangegangenen, Asymmetrien erzeugenden Landschaftsnutzung entgegen. Deshalb ist das Seifenblasenmodell für Thüringen mit seiner komplexen geologischen Struktur und seiner engen Verflechtung der kulturlandschaftlichen Nutzung und nacheiszeitlichen Klima- und Naturraumentwicklung nur begrenzt anwendbar. In Teillandschaften finden wir aber durchaus Wegenetze vor, die Grundzüge des Seifenblasenmodells widerspiegeln, wobei die Struktur des Wegenetzes durch mehr oder weniger starke Verzerrungen einer regulären Blasenstruktur beschrieben werden kann. Je stärker das Netz in einer Richtung gestreckt wird („anisotrope Struktur“), desto mehr verlieren Querverbindungen an Bedeutung. Gleichmäßig netzartige Verbindungen gehen in Netze von orientierten Verzweigungen oder Verzweigungshierarchien über.

3.2. Einfluss von Geomorphologie und lokaler Topographie auf die Wegentstehung

Boden, Gesteine und Oberflächengestalt nehmen auf zweierlei Weise Einfluss auf den Verlauf der Wege und Straßen: zum einen bestimmen sie die bevorzugten Plätze der Ansiedlung oder Versammlung und legen damit gleichsam Knotenstellen der Wegverbindungen fest. Zum anderen bestimmen sie aber auch, wie Wege am besten geführt werden können. Dafür gibt es vier ganz unterschiedliche Einflussgruppen:

• Faktoren, die den Verkehr leiten und bündeln, wie sanft laufende Höhenrücken, die gute Aussicht und Orientierung boten, Pässe, flachere Hang- und Talbereiche in steilerer Umgebung, die Hochflächen und Täler verbinden, Landstege zwischen stehenden Gewässern und sumpfigen Niederungen, Zugänge zu als Wasserwegen genutzten stehenden Gewässern, schiffbaren Flüssen sowie Furten in Flüssen

• Faktoren, die einer günstigen Wegführung entgegenstehen, wie Flächengewässer und Sümpfe, häufig überschwemmte Niederungen, Felsen und steile Hänge

• Faktoren, die mit der Versorgung von Mensch und Tier zusammenhängen, z. B. Verfügbarkeit von Wasser ausreichender Qualität, ggf. Weideflächen

• Indirekt wirkende geologische Faktoren wie die Auswirkung der geologischen Verhältnisse auf Boden und Vegetation, darunter die Lage und Orientierung wasserführender Schichten, die Ausbildung von Quellhorizonten und stehenden Gewässern und die Auswirkung geologischer Faktoren auf die Beschaffenheit des Untergrundes. Dazu zählt z. B. die mechanische Beschaffenheit der Oberfläche, die Widerstandsfähigkeit gegenüber Erosion und die Entstehung von Spurrinnen. Hohe Erosionsanfälligkeit, wie sie vor allem bei sandigem Boden, aber auch im Sandstein anzutreffen ist, führte zur raschen Ausbildung von Hohlen. Stärker frequentierte Trassen bildeten dort selbst bei geringem Anstieg oft sehr tiefe und breite Hohlen aus, oder es entstanden durch schrittweise Verlegung der Trasse große Spurenfächer.

3.3. Verkehrsleitlinien in Thüringen

Für Fernwege wird angenommen, dass im Mittel möglichst kurze Wege bevorzugt wurden. Ein Fernweg zwischen zwei Orten entfernt sich nicht mehr als nötig von der Geraden, und der Winkel zwischen der Geraden und dem tatsächlichen Wegverlauf wurde so gering wie möglich gehalten.

Abweichungen von dieser Regel wurden durch politische oder Sicherheitsinteressen oder durch die Geländebeschaffenheit verursacht. Neben der Tendenz zur Vermeidung von Höhenunterschieden und Gewässerpassagen, feuchten Niederungen, dichten Wälder, Sümpfen und steilen Streckenabschnitten wird auch das Bedürfnis nach Orientierung und Sicherheit durch Aussicht oder Rundumsicht eine wichtige Rolle gespielt haben. Diese Faktoren führten dazu, dass sich die Trassenführung früher Wege an den Höhenlagen orientierte, soweit nicht Faktoren wie Passierbarkeit und Wegverlängerung empfindlich entgegenstanden: Am beliebtesten waren wahrscheinlich Trassen, die Kammlinien folgten. Gern wurden Routen in leichter Hanglage benutzt, soweit Nebentäler nicht wegverlängernd wirkten oder häufigen Höhenwechsel mit sich brachten. Weniger gern wurden Trassen in den Talsohlen genutzt. Die Vermeidung von Höhenunterschieden und steilen Anstiegen spielte für die Bewegung von Viehherden und bei Transporten mit Lasttieren eine weitaus geringere Rolle bei der Wahl des Weges als für den Wagenverkehr.

Auf Grund dieser Priorisierung werden vom Naturraum her folgende Komponenten besonders attraktiv für die frühe Wegwahl gewirkt haben: Pässe mit gegenüberliegend anschließenden Übergängen zu langgestreckten Höhenzügen oder wenig zertalten Hangbereichen, Flussübergänge mit benachbarten günstig zugänglichen Höhenrücken, Niederungspassagen mit anschließendem Übergang zu (wenigstens) leicht erhöhten Geländerücken:

Zu den verkehrsungünstigen Bereichen zählen die steilen Hänge der Gebirge Harz und Thüringer Wald, teilweise die Höhenzüge an der Peripherie des Thüringer Beckens, die Talkanten der Flusstäler. Verkehrstechnisch schwierig sind z. B. die steilen und z. T. felsigen Abschnitte der Muschelkalkhöhen wie Ohmgebirge, Dün, Hainleite, Finne, Hainich und die Randhöhen des mittleres und oberen Werratals und des mittleren Saaletals. Die größeren Flüsse selbst sind wohl nur in Hochwasserzeiten ernsthafte Verkehrshindernisse gewesen. Mehr als die Flüsse werden die feuchten Auen und Niederungen den Verkehr behindert haben. Das gilt auch für die kleinen Flüsse. Verkehrshemmend haben vor allem die Riethe von Helme, Gera und Unstrut vor der Trockenlegung gewirkt, letztere blockierten den Süden und Osten des zentralen Thüringer Beckens erheblich.

Im folgenden sind einige typische Beispiele für von den naturräumlichen Voraussetzungen her besonders günstige Geländesituationen angegeben:

A) Pässe mit in gegenüberliegend anschließenden Übergängen zu langgestreckten Höhenzügen oder wenig zertalten Hangbereichen

• Geschling mit Hainleite-Südseite (SSO)-Wipperübergang und Windleite (NNW)

• Oberhofer Gebirgsübergang mit Höhenzug zwischen Lütsche/​Gera und Wilder Weiße nach Arnstadt (NO) und jenseits Zella mit Höhenzug zwischen Lichtenau/​Schwarza und Hasel (SW)

B) Flussübergänge mit benachbarten günstig zugänglichen Höhenrücken

• Werrafurt bei Hörschel mit Ringgauhöhen (NW) und Rennsteig/​Hohenrod (SO)

• Saalefurt bei Maua: von der Saale-Ilmplatte (WSW) in Richtung Wöllmisse (ONO)

• Werrafurt bei Wernshausen: Hunsrücken im Westen – Famberg (ONO)

• Werrafurt bei Walldorf mit Hetzberg/​Ringelsberg (NNO) und Haßfurt (SSW)

• Saaleübergang bei Saalfeld (Heide ONO/​südliche Orlasenke O – Thüringer Wald W bzw. WSW)

C) Niederungspassagen mit anschließendem Übergang zu (wenigstens) leicht erhöhten Geländerücken

• Unstrutübergang bei Griefstedt (O–W)

• Unstrutübergang bei Straußfurt, Heilinger Höhen (NW)-Kranichborner Hügel (SO)

• Gerafurt in Erfurt mit Höhenrücken zwischen Nesse und Apfelstädt (W)

D) Durchlässe zwischen Steilhangbereichen und Pässen:

• im Bereich des nördlichen Randes des Thüringer Beckens: Sonnenstein (O-W), Ohmgebirge Kirchohmfeld (N-S), Dündurchlass im Geisledetal, Dündurchlass bei Lutter/​Uder, Dündurchlass bei Kallmerode/​Reifenstein, Geschling (Hainleite bei Sondershausen), Wipperdurchbruch bei Seega/​Günserode, Sachsenburger Unstrutdurchbruch

• wichtige Pässe im Thüringer Wald: Clausthal, Glasbachwiese, Kleiner Inselsberg, Ebertswiese, Oberhof/​Zeller Leube, Suhler Ausspanne, Schmücke, Güldene Brücke, Schmiedefeld (Rennsteigkreuzung), Allzunah, Kahlert, Schwalbenhaupt, Masserberg, Alte Ausspanne (bei Friedrichshöhe), Limbach, Igelshieb/​Ernstthal, Sattelpass, Spechtsbrunn, Grumbach

4. Vor- und frühgeschichtliche Fernwege

4.1. Erschließbare vorneolithische Verkehrswege

Der direkte Nachweis vorgeschichtlicher Wege oder Straßen ist schwierig. Indirekte Hinweise sind jedoch der Verteilung urgeschichtlicher Fundstellen zu entnehmen. Wo Menschen Spuren hinterlassen haben, müssen sie auch hingelangt sein – mithin wird es Verbindungen gegeben haben. Die Zweckmäßigkeit der Streckenwahl, Verbesserung der Passierbarkeit durch wiederholte Benutzung durch Mensch und Tier, Einschränkungen in der Begehbarkeit benachbarter Bereiche und schließlich wohl auch die Gewohnheiten werden dazu geführt haben, dass immer wieder die gleichen Trassen bevorzugt benutzt wurden. So sind wiederholt benutzte Linien bereits für die Altsteinzeit zu vermuten, auch wenn es sich nicht um Wege im eigentlichen Sinne handelte. Spätestens im älteren Jungpaläolithikum (Interpleniglazial, vor ca. 40 000 bis 30 000 Jahren) gehörte Thüringen in den von Südengland bis zu den Beskiden reichenden Raum der Lincombien-Ranisien-Jerzmanowic-Kulturen.4 Es ist anzunehmen, dass Thüringen bereits in dieser Zeit als West-Ost-Durchgangsgebiet eine Rolle spielte. Auch nach Süden in den fränkischen und nach Südosten in den böhmischen Raum wird es Bewegungen von Menschen gegeben haben. Große Teile der skandinavischen Halbinsel, insbesondere das Gebirge im Westen waren zu dieser Zeit vergletschert. Ost-West-Kontakte dürften auch im nachfolgenden mittleren Jungpaläolithikum (Gravettien, bis vor ca. 20 000 Jahren) mit Bewegungen durch Thüringen in Ost-West-Richtung verbunden gewesen sein, während die Nord-Süd-Richtung wegen der Vergletscherung in Nordeuropa kaum eine Rolle gespielt haben wird. Im späten Gravettien wurde vermutlich ein Durchgang durchs Elstertal im Raum südlich von Gera (Liebschwitz/​Unterröppisch) begangen. Wie die Aufarbeitung von paläolithischen Funden vom Zoitzberg bei Gera kürzlich zeigte, spielte diese exponierte Höhe am Ostufer der Gera kurz nach dem zweiten Kältemaximum der letzten Kaltzeit um 20 000 v. Chr. als Siedlungs- bzw. Rastplatz eine Rolle.5

Im Gegensatz zu diesen Phasen wurden im Spätpaläolithikum (Magdalénien; Alleröd, vor etwa 12 000 - 11 000 Jahren) auch die küstennahen Regionen im Norden von Polen, Deutschland und den Niederlanden, die jütländische Halbinsel sowie England, das wegen des niedrigen Meeresspiegels noch dem Festland angeschlossen war, vom Menschen aufgesucht. Thüringen lag zu diesem Zeitpunkt schon im zentralen nördlichen Bereich des vom Menschen genutzten Gebietes Europas, so dass spätestens zu dieser Zeit neben der Ost-West- auch die Nordwest-Südost, die Nordost-Südwest und die Nord-Süd-Richtung für den Verkehr durch Thüringen in Betracht kommen. Dem transkontinentalen Fernverkehr in Nord-Süd-Richtung stand jedoch in Zentraleuropa noch die starke Vergletscherung der Alpen entgegen. Im späten Jungpaläolithikum (Magdalénien) verraten zahlreiche Fundstellen in Thüringen, Sachsen sowie im Nordost- und Ostharzvorland eine verstärkte Nutzung unseres Gebietes durch den Menschen. Schwerpunkte dieser Besiedlung liegen in Thüringen in den Mündungsräumen von Wipper, Ilm, Orla und Rauda sowie an der Weißen Elster bei Gera. Regionale Verkehrswege sind dementsprechend entlang des Saaletales, des Tales der Weißen Elster und in Nordwest-Südost-Richtung entlang von Schmücke, Finne und den Hochflächen des Schkölener Heidelandes sowie durch das Buntsandsteinland südlich des Rodatales anzunehmen.

Mit dem Rückzug des Eises erweiterte sich der für Menschen nutzbare Lebensraum in Europa nach Norden, was Thüringen mehr und mehr in eine zentrale Position brachte. So wurden im Mesolithikum (ca. 10.000 bis 7.500 Jahre vor heute) auch Schottland, Südnorwegen, Teile Finnlands und Nordrusslands sowie das Baltikum in den menschlichen Lebensraum einbezogen. So lässt sich vermuten, dass Thüringen bereits die auch für fast alle späteren Phasen typische Rolle als Durchgangsland in allen Himmelsrichtungen eingenommen hatte.

Die mesolithischen Fundstellen Thüringens konzentrieren sich in der Umgebung der mittleren Saale und der mittleren Weißen Elster und zwischen diesen Flüssen.6 Die Verteilung der Fundplätze legt die Schlussfolgerung nahe, dass vor allem folgende Bereiche für Bewegungen Bedeutung besessen haben müssen:

• Ilmmündungsgebiet (Lachstedt) – Heideland um Schkölen – Elsterknie bei Crossen

• Elstertal zwischen Köstritz und Crossen

• Wöllmisse – östlicher Tautenburger Forst – Frauenprießnitz – Schkölen

• Orlasenke

Auch außerhalb Thüringens gibt es in den benachbarten Gebieten Bereiche mit auffallenden Fundkonzentrationen an Stellen, die an Wegen gelegen haben, die bis nach Thüringen hineinreichten, so etwa an der Mulde um Rochlitz in Sachsen.

4.2. Wegestruktur in der Jungsteinzeit (Neolithikum)

Es ist anzunehmen, dass zumindest seit der Errichtung längerlebiger Siedlungen, d. h. seit dem Beginn der Jungsteinzeit, benachbarte Siedlungen und Siedlungskammern durch ein relativ dichtes Netz von lokalen Wegen verbunden waren. So lässt sich aus der Verteilung der Siedlungen auf bestimmte Verkehrslinien schließen.7 Größere Siedlungsgebiete und Siedlungsinseln waren wohl stets durch Fernwege verbunden. Kulturfremde Funde geben Hinweise auf mögliche überregionale und transkontinentale Wege, die z. B. Kriegergruppen oder Händler genommen haben. Neben den Siedlungen hatte aber vermutlich auch der kultisch-religiöse Aspekt, die Anlage von Gräbern, die Gestaltung der Landschaft als Gedächtnis- und Sakrallandschaft bereits im Neolithikum Auswirkungen auf die Verkehrsstruktur.8

Bereits während der Kultur der frühen Linienbandkeramik (vor etwa 7500 bis 7000 Jahren) zeichneten sich das Mittelelbe-Saale-Gebiet und das Leine-Gebiet als wichtige Siedlungsgebiete im nördlichen mitteleuropäischen Raum aus. Der sich um den Harz – vor allem nordöstlich, östlich und südöstlich des Gebirges – erstreckende Siedlungsraum sollte für die folgenden drei Jahrtausende eine herausragende Rolle im mitteleuropäischen Siedlungsgeschehen spielen. Diese Funktion wird mit der Entwicklung und Nutzung eines langlebigen komplexen Verkehrswegesystems einhergegangen sein. Wichtige Fernwege werden von Thüringen aus in die benachbarten Siedlungsgebiete der linienbandkeramischen Kultur und der Limburg-Keramik geführt haben, so nach Osten zum Elbtal um Dresden, nach Südosten zum Prager Becken, nach Süden in den bayrischen Donauraum, nach Südwesten ins mainfränkische Gebiet und zum Oberrhein und nach Westen zum Lahntal. Von besonderer Bedeutung dürften Wege über den westlichen Thüringer Wald zum mittleren Main und von der mittleren Saale nach Südosten über das Erzgebirge oder das Vogtland zum Böhmischen Becken gewesen sein, wo besonders bedeutsame benachbarte Siedlungsgebiete der Linienbandkeramiker lagen. Fernverbindungen über den Thüringer Wald, die vom Thüringer Becken ins Grabfeld führen werden z. B. aufgrund des Charakters von Funden und des Auftretens von Spitzgräben in einer linienbandkeramischen Siedlung von Wolfmannshausen erschlossen.9

Im Mittelelbe-Saale-Gebiet sind sehr viele Linienbandkeramik-Fundstellen bekannt. Die regionale Häufung der Fundstellen10 in Thüringen macht folgende Verkehrslinien wahrscheinlich:

Das aus der Fundverteilung erschließbare Besiedlungsbild der Linienbandkeramik in Mitteldeutschland bleibt in den folgenden Kulturstufen weitgehend erhalten, Deshalb ist anzunehmen, dass auch das Fernwegenetz, das die Siedlungszentren verband, weitgehend erhalten blieb. Möglicherweise gewinnen aus dem Harzraum nach Norden führende Wege mit der Entwicklung der Ellerbek-Kultur in Ostholstein an Bedeutung.

In der Periode der Stichbandkeramik (vor ca. 7000 bis 6500 Jahren) sind die Fundstellen in Thüringen viel stärker regional konzentriert als in der Linienbandkeramik. Die wichtigsten aus der Fundverteilung zu erschließenden Linien innerhalb und zwischen den Siedlungsgebieten blieben gegenüber der Linienbandkeramik jedoch weitgehend erhalten:

Mit der intensiveren Besiedlung in Nordhessen und im Rhein-Main-Gebiet werden in der der Stichbandkeramik nachfolgenden Rössener Kultur (ca. Mitte 5. Jt. v. Chr.)11 Wege von Thüringen nach Westen und Südwesten, aber auch Nordwesten an Bedeutung gewonnen haben. Die Entwicklung der Michelsberger Kultur (ca. Mitte des 4. Jt. v. Chr.) im Westen – Flandern, Unterrhein und Nordhessen – auf der einen Seite und der Lengyelkultur im Osten führte vermutlich zu einer Verstärkung des Ost-West-Fernverkehrs durch Thüringen und den Nordharzraum. Für die Rössener Kultur blieben in Thüringen wohl weiter folgende schon aus der Bandkeramik herrührende Linien bestehen:

Die erstgenannte, aus dem nördlichen Westthüringen kommende Linie schwächte sich wahrscheinlich ab und verlagerte sich nach OSO auf die Linie Mühlhausen – Haßleben – Neumark – Apolda. Die Fundverteilung lässt darauf schließen, dass aus dem Erfurter Becken, dessen Besiedlung durch zahlreiche Funde belegt ist, wichtige Wege in südwestliche bis westsüdwestliche Richtung führten, was bereits weitgehend dem Verlauf der späteren Via Regia entsprach. Nach Ostnordosten schloss diese Wegrichtung an die Fundregion im Unstrutmündungsraum an. Weitere Wege werden aus dem Erfurter Becken auch nach Westen, Nordwesten und Norden geführt haben.

Mit der Entwicklung der Trichterbecherkulturen (vor ca. 5800 Jahren) in Jütland, den dänischen Inseln, im südlichen Schweden, Polen, Nordböhmen, im Havelgebiet sowie dem Raum der unteren Weser intensivierten sich die Beziehungen von Thüringen nach Norden, Osten und Nordosten. Enge kulturelle Beziehungen zu diesen Kulturen gibt es von der Baalberger Kultur, die im Saalemündungsraum und im nordöstlichen Thüringen beheimatet ist. Es ist anzunehmen, dass die Ausprägung der starken kulturellen Beziehungen nach Norden, Nordosten und Osten mit einer Zunahme der Bedeutung der Verkehrswege in diesen Richtungen einherging.

In der Periode der Baalberger Kultur12 hatten der Fundverteilung in Thüringen nach zu schließen vor allem folgende regionale West-Ost-Verbindungen Bedeutung:

Daneben gab es sicherlich Nord-Süd-Verbindungen, die zum Teil östlich des Harzes verliefen, zum Teil aber wohl auch den Unterharz querten.

Die Bedeutung von Süd- und Westdeutschland als Siedlungsraum verminderte sich offensichtlich vor ca. 5400 Jahren. Gleichzeitig erstarkten die Trichterbecherkulturen in Südskandinavien, Polen, im nordwestdeutschen Tiefland und Westfriesland. Dementsprechend ist während der Periode der Salzmünder Kultur (vor ca. 5400 bis 3400 Jahren) von einer Dominanz der Fernbeziehungen Thüringens und des Saalemündungsgebietes nach Nordwesten, Norden, Nordosten und Osten auszugehen. Die Verteilung der Funde der Salzmünder Kultur im östlichen Teil Thüringens und den angrenzenden Gebieten Sachsen-Anhalts13 spricht dafür, dass vor allem die Linie Weißenfels – Zeitz – Altenburg erhebliche Bedeutung hatte.

Die Fundverteilung der Kugelamphorenkultur spricht für eine besondere Bedeutung folgender beider Trassen östlich und südöstlich des Harzes:

Mit der Entstehung der Cham-Kultur in Westböhmen und Ostbayern sowie der Burgerroth- und der Goldberg-Kultur im Main- bzw. im Neckargebiet kam es wohl während der Periode der Kugelamphorenkultur (vor ca. 4900 Jahren) wieder zu einer Verstärkung der Kontakte nach Süden und Südwesten. Die kulturelle Verwandtschaft zwischen der Kugelamphorenkultur im Mittelelbe-/​Saalegebiet und den jüngeren Gruppen der Trichterbecherkultur in Norddeutschland, Friesland, Polen und Dänemark spricht aber dafür, dass auch in dieser Periode die Fernbeziehungen nach Nordwesten, Norden und Osten dominierten.

Mit der spätneolithischen Schnurkeramik-Kultur (ca. 2700 bis 2200 v. Chr.) entwickelte sich im Gegensatz zu den vorangegangenen Perioden in ganz Mitteleuropa ein einheitliches kulturelles Bild, in das auch Süd- und Südwestdeutschland einbezogen waren. Dementsprechend ist von einer Intensivierung der Kontakte und damit auch der Nutzung der Fernwege von Thüringen nach Süden und Südwesten auszugehen. Der Umstand, dass von den Schnurkeramikern in Ost- und Mittelthüringen flächenhaft verteilt zahlreiche Grabfunde überliefert sind, lässt darauf schließen, dass auch eine flächenhafte Nutzung des Landes bestand.14 Vermutlich führte eine intensive Viehaltung – vor allem im Bereich des Thüringer Beckens und im Raum nördlich und östlich des Harzes wesentlich zu einem weitgehenden Offenhalten der Landschaft. Es sind zahlreiche Wege anzunehmen, ohne dass einzelne Linien anhand der Fundstellenverteilung herausgearbeitet werden können.

Das kulturell einheitliche Bild setzt sich im ausgehenden Neolithikum im westlichen Mitteleuropa fort. Mit der Glockenbecherkultur manifestieren sich insbesondere Beziehungen nach Westeuropa, wo diese Kultur auch in großen Teilen Frankreichs, Englands, Irlands und Ostschottlands beheimatet ist. Dazu kommen Funde dieser Kultur in der Nord- und Westschweiz, am Oberrhein und im Mainmündungsgebiet, in Bayern, im böhmischen Becken, in Mähren und im schlesischen Raum. Während der geringe Fundniederschlag der Glockenbecherkultur im Nordosten für geringere Fernbeziehungen in diese Richtung spricht, scheinen in dieser Zeit Fernverbindungen in praktisch alle anderen Richtungen eine wichtige Rolle gespielt haben. Die Fundverteilung in Thüringen spricht für wichtige regionale Verbindungen entlang folgender Linien, die wohl auch für den Fernverkehr genutzt worden sind:

4.3. Bronze- und früheisenzeitliche Verkehrsstruktur

In der frühen Bronzezeit haben von Thüringen aus sicherlich sowohl Beziehungen zu den späten, noch neolithisch geprägten, Becherkulturen in Niedersachsen, Mecklenburg, Holstein und Jütland als auch zu den frühbronzezeitlichen Siedlungszentren im böhmischen Becken, Südmähren und Schlesien bestanden. Letztere dürften wegen der starken kulturellen Verwandtschaft zwischen der mitteldeutschen Gruppe der Aunjetitzer Kultur und der entsprechenden Gruppen in Böhmen und Schlesien besonders wichtig gewesen sein.

Die Aunjetitzer Kultur zeigt im Mittelelbe-/​Saalegebiet ähnliche Verteilungsverhältnisse der vorgeschichtlichen Funde wie die Glockenbecherkultur15, wobei Westthüringen, der Südharz und der Ilmmündungsbereich etwas stärker vertreten sind. Die regionalen Verkehrslinien könnten weitgehend denen des ausgehenden Neolithikums entsprochen haben. Vermutlich existierten endneolithische Kulturgruppen und frühbronzezeitliche eine Zeitlang nebeneinander, und ihre Siedlungsgebiete und damit auch die Verkehrsnetze durchdrangen sich. K. Simon16 identifizierte die aus dem Hörselmündungsraum nördlich von Erfurt in Richtung Unstrutmündung führende Straße als wichtige WSW-ONO-Verbindung der Frühbronzezeit. Daneben waren offensichtlich eine Verbindung (NNO-SSW) aus dem Ostharzraum über Arnstadt ins Grabfeld und aus der Gegend von Halle über den Unstrutmündungsraum zum Thüringer Schiefergebirge in der frühen Bronzezeit bedeutsam.17

In der mittleren Bronzezeit verdichteten sich die kulturellen Beziehungen Thüringens in den Süden. Thüringen und der Saalemündungsraum liegen an der Nordflanke der im ganzen zentralen und südlichen Mitteleuropa verbreiteten Hügelgräberkultur. Demzufolge sind für diese Periode bedeutende Fernbeziehungen vor allem nach Südwesten – zum Rheinland und nach Südwestdeutschland – aber auch nach Süden und Südosten – in den Alpenraum nach Bayern, Böhmen, Südmähren und Pannonien – anzunehmen. K. Ebner18 erschloss anhand der Verbreitung von leiterbandverzierten Halsringen und Halsringen mit Spiralscheibenenden eine Verbindung zwischen Südthüringen und dem Leinetalgraben, der vom äußersten Westen Südthüringens nach Norden geführt haben muss.

Die Fundverteilung ist in Thüringen deutlich zweigeteilt: Einen Schwerpunkt bilden die südthüringischen Funde in der Nordrhön und an der oberen Werra. Einen zweiten Schwerpunkt setzen die Funde entlang der Saale und im Nordosten Thüringens. Demzufolge dürften während der Hügelgräberbronzezeit regionale Verbindungen in Nordost-Südwest-Richtung besondere Bedeutung besessen haben. Regionale Bedeutung haben aber sicherlich auch Wege in Nord-Süd- und Nordwest-Südost-Richtung besessen, die weiter in die benachbarten Siedlungsgebiete führten.

In der jüngeren Bronzezeit lag Thüringen im Kontaktbereich zwischen den großen Kulturgruppen der Lausitzer Kultur im Osten und der Urnenfelderkultur im Süden und Südwesten.19 Dabei entwickelten sich zwei eigenständige regionale Kulturgruppen: die Saalemündungsgruppe östlich und nordöstlich des Harzes sowie die Unstrutgruppe im mittleren und nördlichen Thüringen. Während die kulturellen Beziehungen nach Nordwesten gering waren, ist davon auszugehen, dass intensive Kontakte sowohl nach Osten als auch nach Süden und Südwesten bestanden. Während Südthüringen unmittelbar in den Kulturkreis der süddeutschen Urnenfelderkultur einbezogen war, behaupteten sich die Unstrutgruppe und kleinere Gruppen wie die Dreitzscher Gruppe am Westrand des ausgedehnten Verbreitungsgebietes der Lausitzer Kultur.

Die Funde der jüngeren Bronzezeit verteilen sich über fast ganz Thüringen. Dementsprechend ist von einem relativ dichten Netz von regionalen Wegen auszugehen. Vermutlich haben auch Kontakte zwischen den Südthüringer Siedlungen und den Siedlungsgebieten im Nordosten bestanden, so dass auch eine Nutzung von Wegen über den Thüringer Wald und speziell in Nordost-Südwest-Richtung anzunehmen ist.

Die Hallstattzeit ist durch eine Reihe von regionalen Kulturgruppen gekennzeichnet.20