Hinweis
Dieses Buch ist kein Ratgeber, denn:

»Kein Mensch ist klug genug, dass er anderen vorschreiben kann, wie sie zu leben haben.«

Alexander S. Neill (Gründer der Summerhillschule)

Einleitung

Dass gerade ich ein Sachbuch mit einem Inhalt, der nicht unbedingt dem Klischee eines ehemaligen Fußballers entspricht, und nicht eine Biografie schreibe, ist wohl wieder einmal typisch für mich. Aber ich finde es weder besonders spannend noch wichtig, Episoden aus meiner eigenen Geschichte zu erzählen. Viel interessanter und lehrreicher sind für mich die Schlüsse, die ich aus meinen Erlebnissen gezogen habe.

Der Prozess während des Schreibens hat mir fortlaufend neue Erkenntnisse geschenkt, die den Inhalt dieses Buches immer wieder verändert haben. Ich wollte schon 2008 ein Buch auf den Markt bringen, doch in letzter Sekunde stoppte ich das Projekt, denn ich hatte einfach das Gefühl, dass der Inhalt noch nicht stimmig war. Heute bin ich froh über meine Entscheidung, nicht etwa weil ich glaube, dass der Inhalt nun der Wahrheit letzter Schluss ist, sondern weil ich während dieser fünf Jahre der Weiterentwicklung ganz viel dazugelernt habe. Immer wieder ließ ich mir den Inhalt durch den Kopf gehen und hatte so die Möglichkeit, Neues zu erfahren – was zur Folge hatte, dass ich dann natürlich auch die Schlussfolgerungen der früheren Geschehnisse anders interpretiert habe.

Meinen eigenen Weg konsequent zu gehen, war schon immer ein Merkmal von mir, was mir vor allem im Fußballumfeld zu einem Image des »etwas anders zu sein als die anderen« verholfen hat. Ich persönlich habe das nie so empfunden und gesehen, ich habe mir höchstens über andere Dinge Gedanken gemacht, eine eigene, etwas andere Sichtweise über vieles gehabt oder meine Freizeit anders verbracht. Vor allem aber hatte ich andere Prioritäten und Überzeugungen in meinem Leben als die Mehrzahl derer, die sich im Fußballgeschäft tummeln.

Ich zog meinen Antrieb nicht aus Titeln, Trophäen, Triumphen oder Erfolgen, die in der Welt des Profisports meistens um jeden Preis erreicht werden sollen, sondern aus meiner Freude und Begeisterung am Fußballspielen. Für mich war es wichtig, gesund und glücklich zu sein und meine Freude und Begeisterung für den Fußball jeden Tag erleben und genießen zu dürfen.

Mit diesen etwas anderen Prioritäten hatte ich manchmal schon das Gefühl, etwas quer in der Welt des Profifußballs zu stehen. Die Momente der Selbstzweifel und das Hinterfragen meiner eigenen Überzeugungen wurden vor allem in Momenten des Misserfolges häufiger – besonders ab der Zeit, in der ich bei Bayern München spielte. Diese Zeit war mit zunehmend heftigerer und sehr persönlicher öffentlicher Kritik begleitet, was zu immer mehr Stress führte und langsam, aber sicher Spuren hinterließ, sodass ich irgendwann weder gesund noch glücklich war, geschweige denn, Freude oder Genuss am Fußballspielen empfunden hätte. Zudem herrschte hüben wie drüben in manchen Situationen Unverständnis.

Als ich beispielsweise vom Länderspiel in Schweden, bei dem wir wegen der französischen Atomtests im Mururoa Atoll das »Stopp it Chirac«-Tuch ausgerollt hatten, wieder zurückkam, sagte der eine oder andere, es würde ihn kein bisschen überraschen, dass diese Aktion ausgerechnet bei einer Mannschaft stattfindet, von der auch ich ein Teil sei. Darauf dachte ich mir, dass es ja vielleicht nicht schlecht sei, die eigene Präsenz in der Öffentlichkeit für etwas Sinnvolles zu nutzen.

Auch die Stimmung nach einem verlorenen Spiel, die sich immer anfühlte, als sei man bei einem Begräbnis, belastete mich zusehends. Inmitten eines unendlichen Universums ging es auf einem klitzekleinen Planeten nur um ein verlorenes Spiel. Ich habe mir dabei oft gedacht, es ist doch niemand gestorben, es wurde nur ein Fußballspiel verloren. Außerdem: Durch das Trübsalblasen gewinnen wir das Spiel ja auch nicht mehr, also wo ist das Problem?

Aber das wagte ich natürlich nie zu sagen oder zu zeigen, denn die Reaktion des Enttäuscht-Seins demonstrierte ja, dass man die ganze Sache ernst nahm. Also spielte ich dieses Spiel so gut es ging mit, aber es fühlte sich einfach sehr bescheiden an, denn es machte für mich keinen Sinn. Ich überlegte immer, was mit mir bloß los sei, weil ich dieses Drama nicht mitempfinden konnte. Mein Drama war aber, dass ich eben kein Drama spürte, was mich dann schlussendlich doch ein Drama spüren ließ. Sie sehen, das war ziemlich verwirrend, und genau so fühlte ich mich auch. Verwirrt und mit ganz vielen Fragezeichen auf der Stirn?????

Doch diese Fragen interessierten mich und ich suchte nach Antworten. Ist es wirklich notwendig, ein Drama aus allem zu machen? Kann man tatsächlich nur erfolgreich sein, wenn man alles todernst nimmt? Und wenn ja, ist diese Einstellung wirklich förderlich, um sein Bestes zu geben und sein volles Potenzial zu entfalten oder gibt es gar unerwünschte Nebenwirkungen?

Man konnte also schon ab und zu mal den Eindruck bekommen, dass ich etwas anders war als die meisten anderen in diesem Geschäft, aber eigentlich hatte ich nur eine andere innere Überzeugung, wie man am besten zum Erfolg kommt.

Dieser Überzeugung wegen hatte ich während meiner Fußballerzeit immer wieder Diskussionen mit Verantwortlichen oder Journalisten, die mich darauf hinwiesen, dass ich so nicht den Erfolg haben würde, den ich eigentlich haben könnte.

Heute weiß ich, dass in der Tat viel mehr möglich gewesen wäre und meine Karriere noch erfolgreicher hätte verlaufen können. Allerdings nicht dadurch, dass ich mich mehr angepasst, eine seriösere oder »professionellere« Einstellung gehabt hätte oder ich dem Erfolg um jeden Preis nachgejagt wäre.

Ich hätte damals einfach etwas stärker und stabiler sein müssen und die Menschen und Gegebenheiten so akzeptieren, wie sie sind, auch wenn ich mit einigem nicht unbedingt einverstanden war. Und vor allem hätte ich mich nicht immer verwirren lassen, infrage stellen, an mir und meinen Impulsen zweifeln und mich von den Gegebenheiten und Umständen nicht allzu sehr beeinflussen lassen sollen. Ich hätte viel mehr zu mir und meinen Eigenheiten stehen sollen.

Ganz schlicht und einfach wäre nur mehr möglich gewesen, wenn ich meinen Überzeugungen und meinem inneren Antrieb treu geblieben wäre, meine etwas anderen Prioritäten nicht in Zweifel gezogen hätte und ich jeden Tag mit meiner kindlichen Freude und Begeisterung mit ganzem Herzen bei meinem so sehr geliebten Hobby, das ich zum Beruf machen konnte, dabei gewesen wäre. Wenn ich jeden Moment einer wunderbaren, einmaligen Zeit als Fußballprofi hätte genießen können und mir schon damals bewusst gewesen wäre, dass meine Überzeugungen mich zu meinem größtmöglichen Erfolg führen würden.

Doch da ich dieses Bewusstsein noch nicht entwickelt hatte, zeigte sich auch bei mir Stress, der als Nebenwirkung in einer Erfolgsgesellschaft so häufig vorkommt.

Damals war eben nicht mehr möglich, einfach weil ich so war, wie ich war. Wenn ich aber heute meinen Lebensweg betrachte und sehe, wohin er mich in meiner menschlichen Entwicklung gebracht hat und wie ich mich dadurch heute fühle, dann weiß ich, dass mein eigener Weg, den ich trotz all meiner Unsicherheit, Labilität, Schwäche und nach manchmal langen inneren Kämpfen konsequent gegangen bin, genau der richtige war für mich.

Nur, diese Kriterien zählen in der Öffentlichkeit nicht viel im Vergleich zu Titeln, Triumphen und Erfolgen und genau das führt leider zu ein paar Problemen.

Was mich aber bewegt hat, dieses Buch zu schreiben, sind Schicksale erfolgreicher Menschen, die zwar alles haben oder hatten, was in unserer Gesellschaft als erstrebenswert gilt, aber trotzdem mit dem Leben nicht zurechtkamen oder -kommen.

Auch der offensichtliche Raubbau an der Natur durch uns Menschen beschäftigte mich. Auf den ersten Blick handelt es sich um zwei komplett unterschiedliche Themen, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Als ich mich jedoch näher damit auseinandersetzte, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass beide Übel von der Wurzel des Erfolgs um jeden Preis genährt werden. Wie diese Wurzel zustande gekommen ist und woraus sie ihre Nahrung bezieht – genau diesen Fragen möchte ich im Folgenden auf den Grund gehen. Die Reise durch dieses Buch soll von der Ursache bis zur Auswirkung, die das Streben nach Erfolg um jeden Preis hat, führen und ein paar Inspirationen geben, wie man am besten damit klarkommt.

Ich zeige einige Zusammenhänge auf, die mir auf meinem eigenen Weg begegnet sind und die mir gezeigt haben, wie es jedem Menschen möglich ist, in unserer Erfolgsgesellschaft stressfrei und glücklich zu sein, wie man sein volles Potenzial entfalten und sogar noch erfolgreicher sein kann, als wenn man dem Erfolg um jeden Preis nachjagt.

Und zwar auch dann, wenn man noch zusätzlich im Fokus der Öffentlichkeit steht, schon erfolgreich ist und diesem Druck noch mehr ausgesetzt ist.

Sie werden sich womöglich jetzt fragen, was das soll? Ist doch klar, dass man ein stressfreies, glückliches und zufriedenes Leben führt, wenn man erfolgreich, berühmt und reich ist. Denn das ist es ja, was in unserer Gesellschaft als erstrebenswert gilt.

Das habe ich früher auch einmal geglaubt, bis ich das Gegenteil gesehen und selber erfahren habe. Es kann ganz schön viel Stress entstehen, wenn man innerlich nicht stark und stabil genug ist, um mit den vielfältigen Anforderungen und Auswirkungen, die der Erfolg in der Öffentlichkeit mit sich bringt, konstruktiv umzugehen, denn dieser Stress kann, wie wir noch sehen werden, Auslöser sehr vieler Probleme sein.

Mein bisheriger Weg war eine spannende, von Stolpersteinen und Hindernissen begleitete Reise, auf der es vieles zu entdecken gab. Selbstverständlich ziehe ich auch viele Schlüsse aus meiner Erfahrung als Profifußballspieler, denn das war eine sehr intensive und lehrreiche Zeit in meinem Leben. Sie katapultierte mich direkt in den Fokus der Öffentlichkeit, erlaubte es mir, mich im Kreis der Berühmten und Erfolgreichen zu bewegen, und bot mir so die Möglichkeit, selbst zu erfahren, ob Erfolge, Berühmtheit und Geld wirklich glücklich machen.

Es handelt sich bei diesem Buch um meinen persönlichen Bewusstwerdungsprozess, der in meinem Leben vonstattengegangen ist. Dieser hat mich vom Mittelschichtkind aus Bümpliz, das ein talentierter Fußballer war, aber nie gerne die Schule besuchte, zu einem Teenager gemacht, der mit zarten 17 Jahren nach Zürich zog, um sein geliebtes Hobby zum Beruf zu machen. Meine 13-jährige bewegte Karriere führte mich von Zürich nach Bern und wieder zurück nach Zürich über Nürnberg, München, Freiburg und Dallas. Als Profifußballer, der sehr stark in der Öffentlichkeit präsent war, führte mich mein Weg weiter zum Frührentner, der mit 30 Jahren seine Karriere in Dallas beendete und weiterzog nach Delray Beach Florida, Miami, Rom und Mallorca, wo ich Immobilien-Projekte realisierte und handwerkliches Geschick erlernte. Bis ich als Vater eines wunderbaren Jungen, den ich von ganzem Herzen liebe, in die Schweiz zurückkam, damit mein Sohn dort seine Wurzeln schlagen kann. Denn meine eigenen Schweizer Wurzeln haben mir während meiner ganzen Jahre im Ausland eine gewisse Sicherheit gegeben, die ich meinem Sohn auch bieten wollte. In der Schweiz wurde ich dann zum Fußballfernseh-Experten, Berater und Potenzialentfaltungscoach, vor allem im Bereich Sport und in der Jugendförderung beim Fußball. Und während all dieser Zeit hat mich beständig ein Thema begleitet: Wie kann jeder Mensch sein volles Potenzial, das in ihm steckt, entfalten?

Als Profisportler bewegt man sich immer in verschiedenen physischen oder psychischen Grenzbereichen und ist permanent auf der Suche nach dem optimalen Leistungszustand. Aus diesem Grund war ich seit meinem zwanzigsten Lebensjahr diesem Geheimnis auf der Spur und es hat mich auch nach meiner Karriere nicht losgelassen, denn da kamen Erfahrungen hinzu, zu deren Bewältigung ich die gleichen Eigenschaften benötigte wie als Profisportler. Neben dem Fußball war dieses Thema meine zweite große Passion, der ich über veränderte Lebensumstände hinweg immer treu geblieben bin. Die Faszination, wie der Mensch und das Leben funktionieren, hat mich durch Ausund Weiterbildungen zu meinem neuen Beruf geführt, dem Coaching von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die mit viel Druck und hohen Erwartungen zurechtkommen müssen und spüren, dass noch viel mehr in ihnen steckt – was sie jedoch nicht zur Entfaltung bringen können, weil sie sich in unterschiedlichsten Situationen selbst blockieren.

In diesen Sitzungen gehen wir die aktuellen, Stress und Unwohlsein auslösenden Widerstände an und lösen sie auf, sodass die daraus entstandene Panzerung beziehungsweise Verkrampfung sich wieder lösen kann. Das System kommt wieder in Fluss und die betroffenen Menschen können von der Abwehrhaltung in den Wachstumsmodus umschalten. Danach begleite ich den Bewusstwerdungsprozess, den wir zusammen eingeleitet haben. Auf diesem Weg zeigen sich immer mal wieder Widerstände, die aufgelöst werden müssen, um den in Gang gesetzten Wachstumsprozess weiterhin in Fluss zu halten.

Vor allem Kinder und Jugendliche, die so unglaublich sensibel und verletzlich sind, brauchen in ihrer Entwicklung oftmals die Bestätigung, dass alles in Ordnung ist mit ihnen und sie ihren Impulsen vertrauen und diesen folgen können. In einer Welt, in der ihnen ständig gesagt wird, was sie zu tun oder zu lassen haben und wie sie sein sollten, ist das besonders wichtig. Denn nur auf diese Weise können sie die Stimme ihres Herzens weiterhin wahrund ernst nehmen, ihr voller Freude und Begeisterung folgen, und ihren ganz eigenen Lebensweg, den nur sie allein kennen, beschreiten. Damit bewahren oder erlangen sie ihre innere Stärke, kommen mit den heutigen hohen Anforderungen, die das Leben und die Erwachsenen an sie stellen, zurecht und können ein glückliches, stressfreies Leben führen.

Unsere Kinder und Jugendlichen liegen mir ganz besonders am Herzen, denn sie sind es, die den Preis für die Unzulänglichkeiten von uns Erwachsenen bezahlen müssen. Bei ihnen entsteht viel Leid durch die Schwäche der Erwachsenen, denen sie durch ihr Abhängigkeitsverhältnis auf allen Ebenen hilfund schutzlos ausgeliefert sind.

Mein bisheriger Lebensweg hat mir erlaubt, viel über mich und mein Leben zu erfahren. Aus diesen Erfahrungen heraus habe ich dieses Buch geschrieben, in ihm sind mein Glauben, meine Überzeugungen, mein Wissen, meine Wahrheit, meine Thesen und Theorien enthalten.

Sollten Sie also in diesem Buch Fußballgeschichten, Einblicke in oder Enthüllungsstorys aus dem Fußball oder Ähnliches erwarten, sollten Sie es wieder zuklappen und zurücklegen. Sie hätten sich in diesem Fall getäuscht mit Ihren Erwartungen an den Inhalt dieses Buches.

Erwartungen und Meinungen anderer richtig einzuordnen, war und ist ein zentrales Thema in meinem Leben, mit dem ich viel Zeit verbracht habe, denn ich bin schon sehr früh in meinem Leben mit großen Erwartungen und vielen Meinungen anderer über mich konfrontiert worden und hatte so meine liebe Mühe damit. Ich habe lange Zeit sehr unter den Erwartungen und Meinungen, die andere über mich hatten, gelitten. Diese Last hat zu Stress und zum Verlust von viel Freude und Leichtigkeit in meinem Leben geführt.

Viele berühmte und erfolgreiche Menschen mussten und müssen wohl, wie ich auch, mit einer erhöhten Sensibilität in ihrem Leben zurechtkommen, da ohne diese Eigenschaft außergewöhnliche Leistungen selten zustande kommen. Auch die Natur ist ein sensibles Gebilde, bei der die Auswirkungen des Erfolgs um jeden Preis nicht spurlos vorübergehen.

Ich hatte lange Zeit große Mühe, mit meiner eigenen Sensibilität und Schwäche in unserer Erfolgsgesellschaft zurechtzukommen. Doch dann sind mir einige Dinge bewusst geworden und ich konnte meine Sensibilität langsam, aber sicher mit wahrem Selbstvertrauen paaren – was schließlich zu einer immer größeren inneren Stabilität und Stärke führte, die es mir mehr und mehr erlaubte, mein Leben zu genießen. Ohne dass sich an der Erfolgsgesellschaft auch nur das Geringste geändert hätte, war es mir so möglich, Stück für Stück freier, glücklicher und zufriedener mit mir und meiner Welt zu werden, meine Bedürfnisse in Vorlieben zu verwandeln und allmählich meine Erwartungen gegenüber anderen loszulassen.

Glücklich, weil erfolgreich

Wir leben in einer Gesellschaft, in der es wichtig ist, dass nach außen alles gut und schön aussieht. Doch wie üblich, liegt die Wahrheit hinter diesen Fassaden. Und die Abhängigkeit von Erfolg, Aufmerksamkeit, Anerkennung, Lob und Bestätigung anderer löscht mit der Zeit sämtliche Freude und Begeisterung in unseren Herzen aus. In der Gesellschaft der Berühmten und Erfolgreichen frage ich mich, weshalb man auch hier, bei denen, die doch alles haben, was in unserem Wertesystem als erstrebenswert gilt, so vielen fröhlichen Gesichtern mit traurigen Herzen begegnet? Weshalb gibt es auch in diesem Gesellschaftssegment eine große Anzahl von Menschen, die ein Drogenoder Alkoholproblem haben, unter Depressionen, Burn-out oder anderen Stresskrankheiten leiden, ja gar ernsthaft suizidgefährdet sind?

Erst nach meiner Zeit als Fußballer wurde mir klar, weshalb das so ist. Auf einiges war ich schon während meiner Karriere aufmerksam geworden, denn ich hatte mich ja bereits in jungen Jahren innerhalb dieser Kreise bewegt und war einer von ihnen. Doch welche Zusammenhänge und Mechanismen hier greifen und wie groß meine eigene emotionale Abhängigkeit von der Aufmerksamkeit, Anerkennung und Bestätigung anderer war, wurde mir erst nach meiner aktiven Fußballzeit bewusst.

Deshalb war dieser Lebensabschnitt, auch wenn es nicht einfach war, ihn mit all seinen Herausforderungen zu bewältigen, für mich so wertvoll.

Das Ende meiner Karriere

Nach dem Ende meiner Karriere zog ich mich komplett aus der Öffentlichkeit zurück. Ich lebte in Miami, wo mich niemand kannte. Absichtlich ging ich keiner geregelten Tätigkeit nach. Ich brauchte Ruhe, Zeit und freien Raum, denn ich spürte, wie wichtig es für mich war, mein bisheriges Leben zu verarbeiten und mir über einige Dinge klar zu werden. Es war Zeit, meine Verwirrung zu entwirren. Ich startete meine Lehre und mein Forschungsvorhaben im spannendsten Unternehmen unseres Planeten: dem Leben.

Die erste Zeit habe ich uneingeschränkt genossen. Frei und unbeobachtet zu sein, keine Verpflichtungen zu haben, keine Erwartungen mehr erfüllen zu müssen, zu tun und zu lassen, wann und was immer ich wollte, ein paar Schritte gehen und schon im Meer baden. Golf spielen, ausgehen, lesen, shoppen, reisen …

Ein Leben, wie »man« es sich erträumt. Und ich war mir zunächst auch sicher, das sei mein gelebter Traum, denn ich wünschte mir nichts sehnlicher, als nach 13-jährigem hektischem Fußballer-Leben im Glashaus der Öffentlichkeit etwas Ruhe zu finden. Doch das Erwachen kam rasch. Die Ruhe und das Nichtstun wurden bald schon zur großen Belastung. Meine ganz persönliche Lebenskrise begann.

Denn ich war vorher überzeugt davon, dass sich dieses allgemein bekannte Loch, in das so viele Sportler nach ihrer Karriere fallen, für mich nicht auftun würde. War ich doch einer, der sich schon während seiner Karriere viele Gedanken über die Mechanismen, die als Fallgrube nach der Karriere lauerten, gemacht hatte. Trotzdem war ich absolut nicht vorbereitet auf den emotionalen Entzug, der auf mich wartete und mit dem ich überhaupt nicht gerechnet hatte.

Mein Fußballer-Dasein hatte jede Woche zwei bis drei emotionale Höhepunkte für mich bereitgehalten, dann nämlich, wenn ich in die Stadien einlief und mich die Aufmerksamkeitswelle der Zuschauer überrollte. Diese Aufmerksamkeit, gepaart mit der Bedeutung, die ich diesen Ereignissen beimaß, führte zu ungeheuer intensiven Momenten emotionaler Glücksgefühle. Hormon-Cocktails, die im normalen Alltag nicht existieren.

Diesbezüglich war mein Leben als Fußballer sehr intensiv. Erst als diese Momente nicht mehr in meinem Leben vorhanden waren, realisierte ich, wie stark diese »Droge« ist. Mir wurde bewusst, dass ich während meiner Karriere ein Emotions-Junkie geworden war.

Da mein Entzug ebenso freiwillig wie radikal war – ich füllte das entstandene Loch weder mit Inhalt (Arbeit) noch mit Ersatzbefriedigungen (Drogen, Alkohol, Partys, etc.) – traf er mich mit voller Wucht.

Eine Szene, die mich tief berührte und mir die ganze Stärke dieser »Droge« zeigte, war zum Beispiel das Abschiedsspiel von Diego Armando Maradona. Einem der begnadetsten Fußballer aller Zeiten. Als er nach dem Spiel von seinen Fans und Mitspielern verabschiedet wurde, weinte er wie ein kleines Kind, dem gerade das Wichtigste in seinem Leben weggenommen wurde. Sein Gesichtsausdruck und seine Körperhaltung schrien förmlich danach, nicht gehen zu müssen. Er liebte diese Bühne so sehr, dass er wohl am liebsten nie von ihr abgetreten wäre. So weinte er hemmungslos, denn er musste etwas loslassen, obwohl er noch nicht bereit dazu war. Doch genau dafür ist Trauer – die sich hier in ihrer Reinheit zeigte – da: um uns zu helfen, etwas loszulassen, was wir gar nicht loslassen wollen. Er liebte dieses Spiel und war mit ganzem Herzen dabei. Das Spielfeld war seine Bühne, wo er die Aufmerksamkeit erhielt, die ihm immer wieder Glücksgefühle schenkte. Doch was würde nach dem Abpfiff geschehen? Wenn alle seine Fans das Stadion verlassen hatten und für ihn der Alltag zum Alltag wurde, ohne Aufmerksamkeit, Anerkennung, Lob und Bestätigung anderer?

Tief ergriffen saß ich damals vor dem Fernseher und habe mit ihm geweint. Ich wusste genau, was in ihm vorging. Mein »neuer« Alltag hatte mir gezeigt, was Sache war. Ein Leben ohne diese Kicks, in ein Stadion mit 30–40 000 Menschen »einzumarschieren«, ohne dieses enorme Maß an Aufmerksamkeit mit der Chance auf Anerkennung, Lob und Bestätigung. Ein solches Leben kam mir doch sehr langweilig und öde vor. Ich empfand es zeitweilig wie eine als Paradies verkleidete Hölle.

Wäre da nicht meine Frau Melanie gewesen, die mich mit unendlicher Geduld unterstützt und meine Launen ausgehalten hat, weiß ich nicht, ob ich diese Phase meines Lebens so gut überstanden hätte. Ich hätte wohl nie die Chance gehabt, mich aus dieser Abhängigkeit zu befreien und jemals frei zu genießen, was ich habe, tue und bin, ohne dies zu brauchen. Dafür werde ich ihr ewig dankbar sein.

Zum Glück war ich stark genug, diese Umstände ohne Drogen und Alkohol auszuhalten, was leider für viele in solchen Krisen ein beliebtes Mittel ist, um der öden Realität, dem Alltag, zu entfliehen. Während dieser Zeit schien es mir, als sei das Beste in meinen Leben schon vorbei, alles Weitere konnte sich nach diesen »Höhepunkten« nur noch im Bereich des Mittelmäßigen, das heißt Langweiligen bewegen.

Wie man sich doch täuschen kann.

Heute bin ich unendlich dankbar für diese Erfahrung. Sie hat dazu geführt, dass ich die Freude und Magie des Moments – eine Gabe, die ich als Kind schon hatte – wiederentdeckte und mir bewusst werden konnte, was Glück wirklich bedeutet. Mein Mut, diesen Weg konsequent zu gehen und nicht die Flucht zu ergreifen, schenkte mir im Laufe der Zeit wahrhaftes Selbstvertrauen und eine immer größer werdende innere Stärke und Stabilität.

Auch die Augenblicke der Zufriedenheit mit mir, meinem Leben und meiner Umwelt vermehrten sich zusehends und führten mich immer wieder in den Zustand des stressfreien Glücks, das an keine äußeren Umstände und kein Ereignis gebunden war. Diese tiefen Momente des Glücklichund Zufriedenseins stellten all die früher erlebten Glücksgefühle in den Schatten und ließen sie allmählich verblassen.

Bekannt und unglücklich

Liegt das persönliche Scheitern erfolgreicher und berühmter Menschen etwa daran, dass sie mit der Zeit von der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit mit all ihren positiven Emotionen abhängig wurden?

Hat sich so vielleicht langsam und unmerklich der Erfolg, der sich so gut anfühlt, ins Zentrum ihres Tuns geschlichen?

Hat sich durch gelegentliche Misserfolge, die mit Kritik, Häme und Verletzungen verbunden waren und sich bescheiden anfühlten, allmählich die Angst eingeschlichen, den bisherigen Erfolgen und Erwartungen nicht mehr genügen zu können?

Konnte so ein stetig steigender innerer Druck entstehen, der zu einer Abhängigkeit von Erfolg und süßen Glücksgefühlen geführt hat, die nun immer wieder erlebt werden wollten?

Verdrängt mit der Zeit die Angst, diese Glücksgefühle des Erfolges nicht mehr erleben zu können, kritisiert und verletzt zu werden, also dieser selbst auferlegte Erfolgsdruck, die Freude irgendwann vollständig?

Jagen diese Menschen den Glücksgefühlen, die der Erfolg ihnen beschert hat, ständig hinterher?

Könnte es dann sein, dass sich dieses Glücksgefühl nach Verlassen der Bühne und mit Beginn des normalen Alltags immer wieder im Nichts auflöst? Was dann?

Bei mir führte dieser Mechanismus irgendwann einmal zu dem Punkt, an dem ich die Aufmerksamkeit brauchte, aber gleichzeitig auch die Angst vor dem Verletztwerden da war. Das hat zur Entstehung eines immensen inneren Kon- flikts geführt, der großen Stress auslöste. Ich war abhängig geworden von der Aufmerksamkeit und dem Applaus und diesen Kick wollte beziehungsweise musste ich immer wieder spüren. Gleichzeitig hatte ich aber auch vor jedem Auftritt Angst, kritisiert und verletzt zu werden. Dass diese Kombination zu inneren Konflikten und Stress führt, ist unausweichlich. Es ist sozusagen ähnlich wie bei einem Drogenabhängigen, der weiß, dass ihm die Drogen körperlichen und seelischen Schaden zufügen, der aber trotzdem den nächsten Kick braucht.

Die vielen traurigen und auch tragischen Geschichten von berühmten und erfolgreichen Menschen zeigen, was aus diesem Erfolgsdruck entstehen kann.

Die Angst zu versagen und dadurch kritisiert und verletzt zu werden, kann erdrückend sein. Man lebt in einem Käfig der Angst vor den Reaktionen und Meinungen anderer, die immer wieder die Wunden der Vergangenheit aufreißen können. Wenn man in der Öffentlichkeit steht, wird dieser Druck noch um ein Zigfaches erhöht, da man quasi permanent in einem Glashaus sitzt – eine Erfahrung, die ich selbst oft genug gemacht habe.

Die Macht der Medien bei diesem »Spiel«

Die Macht der Medien darf nicht unterschätzt werden. Im Falle des Erfolgs krönen sie jemanden zum Star, andernfalls, bei Misserfolg, Scheitern oder Nichterfüllung der gesetzten Erwartungen, wird derjenige gnadenlos vom vorher geschaffenen Sockel gestoßen. Die Medien haben zweifellos die Macht, durch gezielte Maßnahmen das Leben einzelner Personen kaputt zu machen. Die große Masse der Öffentlichkeit glaubt, was dort verbreitet wird, sodass die mediale Wahrheit zur absoluten Wahrheit wird, aufgrund derer Personen geund verurteilt werden. Schlussendlich bleibt so ein Image hängen, das den betroffenen Personen sämtliche beruflichen und persönlichen Möglichkeiten zunichtemachen kann. Zweifelsfrei sind schon einige Menschen daran zerbrochen.

Aus Schwäche und mangelndem Bewusstsein heraus habe ich lange Zeit gegen verschiedene Medien einen unmöglich zu gewinnenden Kampf geführt. Weil ich nicht stark genug war, negative Kritiken und über mich verbreitete Unwahrheiten auszuhalten, habe ich mir mein Leben unnötig schwer gemacht. Aus diesem Mangel an innerer Stärke heraus habe ich dann angefangen, infantile Verhaltensweisen an den Tag zu legen: Ich habe zum Beispiel mit den Journalisten nicht mehr geredet, sie nicht mehr gegrüßt und beachtet etc. – natürlich habe ich damit meine ganze Stärke und Souveränität demonstriert (oder ging das etwa voll in die Hose?). Ich war schlicht und einfach nicht in der Lage, Kritik richtig einzuordnen und konstruktiv damit umzugehen. In den Medien wurde ich deshalb auch oft als Mimose betitelt, und wissen Sie was, ich geb‘s ja nicht gern zu, aber ich habe drei Tage Überwindung gebraucht, um das hier niederzuschreiben. Rückblickend muss ich sagen: Die hatten recht, ich konnte schlicht und einfach Kritik nicht richtig einordnen. Trotzdem ich nach außen den schönen Schein wahrte und so tat, als würde ich über den Dingen stehen – nach dem Motto: Was stört es die Eiche, wenn sich die Sau an ihr reibt.

Doch in Tat und Wahrheit habe ich jede Kritik persönlich genommen. Das ist eine ganz normale Reaktion, denn wenn man schwach ist, kann man vor allem und ganz besonders eines nicht: Schwäche zeigen. Natürlich fand ich deshalb diese Kritik unfair und ungerecht.