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Impressum




1. Auflage 2016
© 2016 by hansanord Verlag


Alle Rechte für diese Ausgabe vorbehalten
Das gilt vor allem für Vervielfältigung, Übersetzungen, Mikrofilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen - nur nach Absprache und Freigabe durch den Herausgeber.


ISBN: 978-3-940873-80-4


Covergestaltung: Anna Radlbeck
Bilder: aus dem Privatbesitz von Uta Depner


Für Fragen und Anregungen: info@hansanord-verlag.de


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Inhalt




Einleitung

Das Schiff

Essen

Restaurants und Clubs

Nummer 21


Religion

Togoville

Voodoo-Gebiet

Auf den Spuren deutscher Geschichte

Der Papst und der Thron


Das Haus der Sklaven

Ein Ausflug zum Friedhof

Der Grand Marché

Kinderarbeit

Kein kindgerechtes Leben

Falsche Versprechungen

Die meisten Kinderarbeiter auf dem Markt sind Mädchen

Viele Kinder erfahren Gewalt


Noch ein Ausflug

Dorfdisco

In Afrika ist alles groß


Zurück auf dem Schiff

Gebrochene Regeln

Ein Besuch auf der Krankenstation

Ein wenig Abwechslung


Ghana

Lapaz Toyota

God's Way Liquid Soap

Die Goldküste

Elmina

Im Verlies


Reise nach Benin

Im Taxi

Der Handel mit Menschen

Das Fort

Mami Wata

Die Schlange, die sich selbst isst

Amazonen

Im Pythontempel

Wer die Geister ruft

Maison du Brésil


Auf dem Kai


Der Fetischmarkt

Regina

Die letzten Tage

Unterwegs in den Norden

Die Fahrt zum Parc National de Fazao-Malfakassa

Ankunft im Hotel

Das Reservat


Frauen schufen

Togo - eines der ärmsten Länder der Welt

Tamberma-Land

Der Norden Benins

Büffelfleisch

Der Pendjari-Nationalpark


Abomey

Unterwegs zur Wiege des Voodoo

Das Weltbild im Voodoo – ein kurzer Überblick

Im Zentrum des Voodoo

Die Paläste von Dahomey

Die Könige und die Sklaven


Der Süden

Richtung Cotonu

Ganvié


Porto Novo

Die letzten Tage

Die Küste

Zurück in Lomé

Katastrophale Folgen für Frauen

Der Überfall


Abschluss

Fotos

Quellen

 

 

Quellen



[1] Vgl. Graichen, Gisela/Grüner, Horst (2005): Deutsche Kolonien, Berlin, Ullstein Buchverlage

[2] Vgl. EarthLink e.V., Aktiv gegen Kinderarbeit (o.J.), http://www.aktiv-gegen-kinderarbeit.de/welt/afrika/togo/, Stand 11.02.2014

[3] Vgl. Ziegler, Jean (2011) : Wir lassen sie verhungern, München, C. Bertelsmann Verlag, S. 84ff

[4] Vgl. Auswärtiges Amt (2013), http://www.auswaertiges- amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Laender/Togo.html, Stand 11.02.2014

[5] Vgl. Ashun, Ato (2004): Elmina, the castle & the slave trade, Elmina, S. 29ff

[6] Vgl. Ashun, Ato (2004): Elmina, the castle & the slave trade, Elmina, S. 43ff

[7] Vgl. Reuter, Astrid (2003): Voodoo, München, C.H. Beck Verlag, S. 14

[8] Vgl. Schicho, Walter: "Geschichte Afrikas", Konrad Theiss Verlag GmbH, 2010, S.55

[9] Reuter, Astrid (2003): Voodoo, München, C.H. Beck Verlag, S. 21

[10] Vgl. Deutsche Botschaft Cotonou,http://www.cotonou.diplo.de/Vertretung/cotonou/de/04/Touristisches/seite__ouidah.html, 15.02.2014

[11] Vgl. Lademann-Priener, Gabriele (2010): Benin – Wiege des Voodoo, Marburg,Tectum Verlag

[12] Vgl. Lademann-Priemer, Gabriele: Benin – Wiege des Voodoo", Tectum Verlag, 2010, S. 51

[13] Vgl. Appelt, Hedwig: "Die Amazonen", Konrad Theiss Verlag GmbH, 2009, S.152ff

[14] Vgl. Woehrl, Ann-Christine/ Salm-Reifferscheidt, Laura (2011): Voodoo,München, F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung, S. 66

[15] http://liportal.giz.de/togo/wirtschaft-entwicklung.html

[16] http://liportal.giz.de/togo/wirtschaft-entwicklung/#c9381

[17] Vgl. Schicho, Walter (2001): Handbuch Afrika 2, Frankfurt am Main, Brandes & Apsel Verlag, S. 127

[18] Vgl. Schicho, Walter (2001): Handbuch Afrika 2, Frankfurt am Main, Brandes & Apsel Verlag, S. 128

[19] vgl. Wohrl, Ann-Christine, Salm-Reifferscheidt, Laura: "Voodoo", terra magica Verlag, 2011, S.52ff

[20] Vgl. Wohrl, Ann-Christine, Salm-Reifferscheidt, Laura: "Voodoo", terra magica Verlag, 2011, S.109ff

[21] Vgl. Lademann-Priemer, Gabriele: "Voodoo", Verlag Herder, 2011, S. 11

[22] Vgl. Lademann-Priemer, Gabriele (2007): Benin – Wiege des Voodoo, Marburg, Tectum Verlag, S. 59f

[23] Lademann-Priemer, Gabriele: Benin – Wiege des Voodoo", Tectum Verlag, 2010, S. 54

[24] Vgl. http://www.lwg.uni-hannover.de/wiki/Das_K%C3%B6nigreich_Dahomey_zwischen_Sklavenhandel_und_franz%C3%B6sischer_Kolonie#Weitere_Sklavenjadgen

Einleitung



Es ist Trockenzeit in Westafrika. Der Harmattan bläst Sand aus der Ostsahara bis weit über den Atlantik. Die Menschen in der Stadt suchen den Schatten. Hunderte von Zemidjans, Motorrad-Taxis, 80-Kubikzentimeter-Maschinen, die als Taxi dienen, knattern durch die Straßen Lomés. Es riecht nach gebratenem Fleisch, Staub und Abgasen. Gegrilltes Rind mit Zwiebeln und scharfem Gewürz als Zwischenmahlzeit für 100 CFA, das sind etwa 20 US-Cent. Ich lasse es mir schmecken.

Ich werde für drei Monate auf dem privaten Hospitalschiff "Africa Mercy" Kaffee verkaufen. Das Schiff liegt zurzeit vor der Hauptstadt des kleinen westafrikanischen Staates Togo vor Anker.

Heute möchte ich mir jedoch zunächst einmal einen ersten Eindruck von Lomé verschaffen.

Zu diesem Zweck mache ich mich ins Musée National du Togo auf. Das Museum ist klein und eher bescheiden, doch zu besichtigen ist in einem kurzen Abriss vieles, was die Geschichte des Landes widerspiegelt. Zunächst einmal sind da Kalebassen, Musikinstrumente, Speere und Buschgewehre, die länger sind, als ich mit 1,62 groß bin. Letztere rissen den Schützen bei Gebrauch schon mal einen Finger ab, denn die Verarbeitung ist nicht gerade hochwertig. Die Portraits im Keller an der Wand zeugen von einer turbulenten und zum Teil unschönen Vergangenheit, die geprägt war von Sklaverei und Kolonialismus. Rechts hinten hängt das Portrait des aktuellen Präsidenten Faure Gnassingbé. Der Mann, der sich als Museumsführer ausgibt, lacht, als ich ihm meine Überlegung mitteile, das Foto sei vermutlich mit Photoshop überarbeitet, so glatt sei das Gesicht des Präsidenten. All die Staatsführer, die seit der Unabhängigkeit 1960 Präsident waren, wurden hier an der Wand verewigt. Des Weiteren Priester sowie deutsche und französische Generäle, unter anderem Gustav Nachtigal, der in Togoville den Vertrag zur deutschen Schutzherrschaft über Togo unterschrieb. Weiter vorne ein Schwarz-Weiß-Foto, das angekettete Sklaven abbildet.

Nach dem Rundgang verlasse ich das Museum in Richtung Grand Marché. Verglichen mit vielen anderen Hauptstädten Afrikas wirkt Lomé geradezu dörflich. 1,2 Millionen Einwohner zählt die Stadt, und wie in anderen afrikanischen Städten spielt sich auch hier das Leben auf der Straße ab. Allerdings ist Sonntag und aus diesem Grund ist auf dem Markt nicht viel los. Auf dem Grand Marché wird alles verkauft: Gemüse, Fleisch, Plastikbehälter, Getränke und in einem weiteren Straßenzug Holzarbeiten, wunderschön angefertigte Kunstfiguren, an denen ich schnell vorbeilaufe, um nicht in Versuchung zu kommen. Auf Verkäufer reagiere ich stets mit einem: "Je ne parle pas français". Das ist nur zum Teil gelogen, denn meine Französischkenntnisse sind sehr mager, reichen hier aber aus, um allzu anhängliche Händler in Schach zu halten.

Ich verlasse den Markt wieder und schlendere durch die Straßen Lomés. Diese ersten Eindrücke hinter mir lassend, richtet sich mein Fokus auf den Lärm, der aus der Kirche mit der Aufschrift "Assemblées de Dieu" dröhnt. Es hört sich an, als würde da drinnen ein Festival stattfinden. Das macht mich neugierig. Ich werde freundlich begrüßt und auf eine Bank manövriert. Der ghanaische Priester grölt auf Englisch ins Mikrofon, am Podest neben ihm übersetzt ein Dolmetscher die Predigt in den Kirchenraum. Das ist hier üblich, denn Togo ist ein französischsprachiges Land, und nicht jeder kann Englisch. Außerhalb der Hauptstadt spricht auch nicht jeder Französisch. Die Band spielt, der Chor singt. Ganz anders als in unseren Breitengraden geht es während des Gottesdienstes hier zu: Laut, tanzend, murmelnd, alle rufen ihr persönliches Gebet aus, und es darf auch gelacht werden. Dann werde ich von einem Kirchgänger gebeten, auf die linke Seite, die Seite der Frauen zu wechseln. Gesagt, getan. Der Prieser fordert die Menge auf, das Mikrofon zu übernehmen. Nach kurzem Zögern meldet sich eine Frau und singt lautstark ins Mikrofon, bis alle einstimmen. Sie dankt Gott für ihre Kinder, das Diplom ihres Sohnes und für anderes, was ich nicht verstehe. Alle freuen sich, klatschen Beifall und johlen. Kein Festival also, stelle ich fest, sondern ein ganz normaler Gottesdienst. Es ist irgendwie anders als bei uns.

Irgendwann aber habe ich genug, es ist mir zu laut in der Kirche. Mit seiner dicken Brille erinnert mich der Priester optisch an einen der früheren mächtigen afrikanischen Despoten. Er hat seine Schäfchen fest im Griff, die Ablasszahlung in die vorne aufgestellte Box ist ihm gewiss. Doch das sind alles meine persönlichen Interpretationen, denn den Besuchern des Gottesdienstes scheint die Messe gut zu tun; sie wirken alle recht gut gelaunt.

Ich mache mich per Taxi auf den Weg zurück zum Hafen mit dem Namen "Port Autonome de Lomé". Die Preise müssen hier vor jeder Taxifahrt immer wieder neu ausgehandelt werden. Nach einer kurzen Fahrt hält das Taxi vor dem Hafen. Ich muss meine "Badge", meine Identitätskarte vom Schiff zeigen, um das Hafengelände betreten zu dürfen. Nach ein paar Wochen ist das nicht mehr nötig, denn irgendwann erkennen einen die Wachleute. Lastwagen und Autos drängeln sich vor der Ausfahrt, Container stapeln sich und warten darauf, abtransportiert zu werden. Dann sehe ich es auch schon, das Schiff mit dem Namen "Africa Mercy", das größte private Hospitalschiff der Welt.

Am Eingang des Schiffes muss ich mich erneut ausweisen. Hier haben die Gurkhas die Kontrolle, nepalesische Söldner, denen man es nicht ansieht, die aber durch und durch trainiert sind. Sie sind ausgesprochen freundlich und arbeiten hier als Sicherheitskräfte.

Die Welt außerhalb und innerhalb des Schiffes, auf dem ich vorübergehend leben werde, könnte nicht gegensätzlicher sein. Vor dem Port Autonome ruhen Frachtschiffe aus aller Welt bewegungslos am Horizont. Sie warten hier, bis sie in benachbarte Häfen einlaufen können. Ich stehe an der Reling auf Deck sieben und betrachte die beiden Kriegsschiffchen, die neben uns im Wasser schaukeln. Sie wirken winzig neben der ehemaligen Eisenbahnfähre, die zum Hospitalschiff umgebaut wurde, das für drei Monate mein Zuhause sein wird. Das also ist die togolesische Kriegsmarine. Sie soll den Frachtern da draußen Sicherheit gewähren und den Hafen gegen Piraten schützen, die den Golf von Guinea unsicher machen. Nicht besonders groß. Hin und wieder kann man durch die Luken unserer ehemaligen Fähre, die einst Züge transportierte, Matrosen gegen die Wellen kämpfen sehen, das einzige für uns beobachtbare Training. Ansonsten schrubben sie ihre beiden Kriegsschiffe oder trocknen ihre Wäsche.

Der Hafen ist für Togo von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Er ist Dreh- und Angelpunkt für die gesamte Region, also Mali, Burkina Faso, Benin, Niger. Mit deutscher Hilfe wurde er zum Tiefseehafen ausgebaut – einer der wenigen in Westafrika.

Vor meinem Aufenthalt konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen, wie es auf so einem Schiff zugeht, wie es aussieht, wie es sich anfühlen könnte, hier zu sein. Ich muss mich daran gewöhnen und fühle mich etwas exotisch. Genau genommen fühle ich mich seit meiner Ankunft wie auf dem Raumschiff Enterprise. Oder besser: Als wäre ich vom Raumschiff Enterprise auf einem anderen Planeten abgesetzt worden. Mit seinen neun Decks gleicht das Schiff einem antiseptischen, künstlichen Mikrokosmos, der es einem erlaubt, es niemals verlassen zu müssen, denn es gibt alles, was man zum Überleben benötigt: Jede Menge soziale Kontakte, Essen, Trinken, einen kleinen Supermarkt, einen Kiosk, ein Café, eine Schule, einen Kindergarten, eine Bank, einen Friseur, eine Bibliothek, einen Swimmingpool, einen Fitnessraum, ein Krankenhaus. Letzteres ist das Zentrum des Ganzen, um das herum sich alles bewegt: Die "Africa Mercy" ist das größte Hospitalschiff der Welt, auf dem Menschen in Westafrika kostenlos operiert werden.

Ich bin weder Krankenschwester noch Ärztin, mein Job ist es, die rund 400 Mitarbeiter von Mercy Ships im Starbucks-Café mit Kaffee zu versorgen, ihnen am Kiosk Eis und Dosengetränke zu verkaufen und im Schiffs-Shop Shampoo, USB-Sticks und Anti-Mücken-Spray.

Mercy Ships ist vorübergehend meine Station. Ich möchte während meines Aufenthaltes die Gelegenheit nutzen, als Nichtmedizinerin die medizinischen Probleme in Westafrika kennenzulernen. Togo erscheint in der Weltpolitik unauffällig und klein, hat aber geschichtlich viel zu bieten: Das Land, einst deutsche Kolonie, ist Teil der sogenannten "Sklavenküste". Millionen Afrikaner wurden einst von hier in die Neue Welt verschickt. Eines der Sklavenverliese werde ich im Laufe meines Aufenthaltes besuchen.

Heute noch gibt es sklavereiähnliche Verhältnisse in Westafrika, in denen Kinder wirtschaftlich ausgebeutet werden. Ich werde während meines Aufenthaltes die Gelegenheit nutzen, den Alltag von Kinderarbeiterinnen kennenzulernen.

Neugierig bin ich zudem auf Voodoo. Die Religion ist in dieser Gegend beheimatet. Am Ende meines Schiffsaufenthaltes werde ich durch Togo und Benin reisen, das Land, das als Wiege des Voodoo gilt.

Ich bin gespannt und erwarte viel.

Das Schiff



Wer die Einsamkeit sucht, hat auf der "Africa Mercy" nichts verloren. Meine Versuche, mich in meiner Freizeit in meiner Koje in Ruhe meinem Notebook zu widmen, scheitern kläglich. In unserer Kabine herrscht ein ständiges Kommen und Gehen und es besteht immer Kommunikationsbedarf. Wir sind zu sechst, es gibt aber auch 10er-Kabinen, 4er-Kabinen und für die Langzeitmitarbeiter, also Freiwillige, die länger als zwei Jahre dabei sind, Einzelzimmer. Auch aus meinem Bemühen, unauffällig aus der Kajüte zu huschen, um oben in der Kantine ein Getränk zu holen, mit dem ich mich in meine Kabine zurückziehen möchte, wird nichts: Ständig trifft man Leute, unterhält sich, trinkt zusammen einen Kaffee. Ich komme etwa zwei Stunden später wieder zurück und weiß schon bald gar nicht mehr, was ich hier ursprünglich vorhatte.

Freiwillige Helfer aus etwa 40 verschiedenen Nationen halten das Schiff am Laufen, ein Großteil davon kommt aus den USA, viele aus Kanada und Europa, andere aus Australien, Neuseeland, Südafrika, wenige aus Lateinamerika und Asien. Die Organisation "Mercy Ships" wurde im Jahre 1978 von dem amerikanischen Ehepaar Don und Deyon Stephens in Lausanne gegründet und hat ihren Sitz mittlerweile in Texas. Mit 78 Betten, die dem Krankenhaus zur Verfügung stehen, sind bis zu 7000 Eingriffe pro Jahr möglich. Die medizinische Versorgung ist auf Operationen und zahnmedizinische Eingriffe beschränkt. Zudem werden vor Ort einheimische Ärzte ausgebildet und Schulungen zur Gesundheitsvorsorge – insbesondere für Frauen – durchgeführt. In werden Dörfern landwirtschaftliche und handwerkliche Ausbildungen angeboten.

Ganze Familien leben hier, einige Mitarbeiter schon seit vielen Jahren. Sie sind Ärzte, Krankenschwestern, Ingenieure, Matrosen, Küchenhilfen, Reinigungskräfte, Elektriker. Die meisten finanzieren sich über private Spenden, die sie selbst organisiert haben, oft über ihre Kirche. Ich finanziere mich selbst.

Gleich in den ersten Tagen meines Aufenthaltes fällt mir auf, dass sich die US-Amerikaner von allen anderen Nationen unterscheiden. Man könnte sagen, die freiwilligen Helfer des Schiffes bestehen aus US-Amerikanern und Nichtamerikanern. Das Verhalten der Ersteren ist für mich gewöhnungsbedürftig, alles ist "amazing!" und "awesome!".

Ich arbeite auf Deck fünf und versorge die Mitarbeiter, die hier ihre Pause verbringen, mit Kaffee. Wahlweise sitze ich im Kiosk oder im "Ship Shop" direkt nebenan und kümmere mich um Seife, Shampoo, Batterien, Schokolade, Mehl oder T-Shirts. Die Ware wird in Containern aus Holland und den USA importiert. Das bedeutet immer viel Schlepperei in brütender Hitze auf Deck 2, wo die Lieferungen aus Übersee ankommen und dann ins Lager gebracht werden. Zudem müssen täglich die Regale im Laden und im Kiosk gefüllt werden. Da die Waren aus Amerika und Europa kommen, sind entsprechend bekannte Marken wie Pringles, Ritter Sport, M&Ms und diverse Sorten an Dosengetränken von Dr. Pepper über Sprite bis natürlich Coca Cola im Angebot.

Hinter der Kasse bietet sich mir die Möglichkeit, diskret kulturelle Sozialstudien zu betreiben: Die Begeisterungsstürme der meist jungen Amerikanerinnen, die ihre Lieblingsschokolade im Regal entdecken und sich lauthals darüber austauschen, klingen für meine deutschen Ohren recht extrovertiert, sind aber sehr unterhaltsam. Essen: Ein gewichtiges Thema unter Amerikanern. Das wissen sie und geben es gerne zu. Weniger beobachtungswürdig, wenn auch vertrauter, ist mir da schon die stillschweigende europäische Art, mit der das Objekt der Begierde auserwählt und an die Kasse gelegt wird.

Im Café werden meine Vorurteile gegenüber dem Konsumverhalten der Amerikaner bestätigt. Die 16 verschiedenen Geschmacksrichtungen, die dem Milchkaffee oder Cappuccino hinzugefügt werden können, reichen von Karamell über dunkle Schokolade, weiße Schokolade, Haselnuss, Amaretto bis zu Vanille und Mandel. Europäer verzichten in der Regel auf solche Geschmacksstoffe und trinken den Kaffee pur mit Vollmilch, der "gemeine" Amerikaner liebt diese Zusätze und versucht, sein Gewicht dafür mit wässriger 0,3-oder 1,5-prozentiger Milch im Lot zu halten. Meine Verwunderung ob dieser Zusammenstellung belustigt meine amerikanischen Kollegen – sie wiederum fühlen sich darin bestätigt, dass alle Europäer eben weniger Zucker konsumieren.

Ich finde es sehr spannend, mit Freiwilligen aus fast 40 verschiedenen Nationen auf einem Schiff zu leben und zu arbeiten, und das über drei Monate. Dabei bin ich beeindruckt von der hervorragenden Organisation. Die muss bei einer so hohen und stetig wechselnden Mitarbeiterzahl allerdings auch funktionieren, wobei es manchmal auch zu Engpässen kommt, wenn beispielsweise ein Arzt aus gesundheitlichen oder persönlichen Gründen absagen muss.

Doch was motiviert so viele Menschen, an dem Projekt teilzunehmen? Viele der Freiwilligen sind gläubig, andere wollten eine berufliche Auszeit nehmen. Doch alle verbindet die Sache, die auch Tina und Simon Hänel dazu veranlasst hat, ihre Heimat für eine befristete Zeit zu verlassen: "Wir wollten etwas Sinnvolles tun", erzählen sie. Tina arbeitet als OP-Schwester, Simon koordiniert die Dayworker, Ortskräfte aus Lomé, die als Übersetzer tätig sind, in der Kantine arbeiten oder in anderen Bereichen eingesetzt werden.

Essen



Restaurants und Clubs


Um das Land kennenzulernen, muss man herunter vom Schiff, in die Stadt und ins Landesinnere. Das machen wir häufig, und sei es nur, um essen oder etwas trinken zu gehen. Am Wochenende besuchen viele Mitarbeiter das "Hotel Sarakawa" nicht weit vom Hafen entfernt. Um den Pool herum und unter Palmen können die Gäste die Sonne genießen, dem Essen frönen und die Seele baumeln lassen.

Der nächste Fluchtpunkt ist das Meer. Neben dem Hotel "Cocobeach" gibt es ein günstigeres Restaurant direkt am Strand, das "Ramatou Plage". Hier verbringen viele ihre Wochenenden. Allerdings ist es nicht ungefährlich, hier zu schwimmen, denn die Brandung, Kalema genannt, ist sehr stark, und der Sog kann einen hinaus ins Meer ziehen. Während meiner Zeit brach sich ein Schiffsmechaniker die Schulter, weil ihn von hinten eine Welle erfasste und zu Boden warf, als er aus dem Wasser steigen wollte.

Was Restaurantbesuche betrifft, gibt es für uns verschiedene Möglichkeiten: Zum einen ein schickes Restaurant wie beispielsweise das "Côté Jardin das von Fabien, einem Spanier, und seiner brasilianischen Ehefrau geführt wird. Hier sitzen beinahe ausschließlich Weiße. Über zwanzig Jahre hat Fabien in Köln gelebt, seine Frau ein paar Jahre weniger. So kann ich mich ganz entspannt auf Deutsch unterhalten. "Irgendwann wollte ich aussteigen", erzählt er, "und dann habe ich ein Jahr im Club Aldiana im Senegal gearbeitet. Das war wirklich harte Arbeit. Danach habe ich mich im Kongo selbstständig gemacht, und das Restaurant, das ich im Tschad eröffnete, war auch sehr erfolgreich." Das wundert mich nicht, er scheint ein Händchen für geschmackvoll eingerichtete Restaurants mit gutem Essen zu haben. Die Portionen sind zwar ganz französisch klein, doch das Essen ist hervorragend. Warum er sich anscheinend immer für exotische Länder entscheidet, kann ich nicht herausfinden, denn er verweist auf meine diesbezügliche Frage lediglich auf seine Frau, die an allem schuld sei. Dabei lächelt er wissend in sich hinein. Es scheint ihm zu gefallen, dass seine Frau als etwas verschwommene Ausrede herhalten muss.

Im "Rumba" sind wir wiederum die einzigen Weißen. Hier bringt uns Ernest hin, ein Ghanaer, der schon einige Jahre auf dem Schiff arbeitet. Das "Rumba" ist eine relativ große Bar mit Livemusik, doch wir kommen zu früh, die Bands treten erst zu späterer Stunde auf. Und so setzen wir uns in den hinteren Teil des Raumes und bestellen Cocktails. Allerdings nur, bis mein Chef Jeff mit ein paar anderen Mercy-Shiplern auf der Bildfläche erscheint. Bei seinem Anblick werden wir nämlich sogleich vom schlechten Gewissen heimgesucht, sollen wir doch keinen Alkohol trinken, und wenn, dann nur "in Maßen, zum Essen", wie wir auf der "Africa Mercy" belehrt wurden. Nach einer Weile drängt Ernest darauf, bald zu gehen, auf dem Schiff gibt es nämlich eine Ausgangssperre. Oder besser gesagt: Eine Eingangssperre. Wer zu spät kommt, bekommt Ärger. Und das wollen wir natürlich nicht.


Nummer 21


Auch das "La Villa" ist eine stilvoll eingerichtete Bar und recht schick. Offensichtlich trifft sich hier die togolesische Mittel- und Oberschicht. Es sind Männer mit Geld und schicke, sehr dünne Frauen, die ins "La Villa" gehen. Ein Caipirinha kostet 3500 CfA, das sind umgerechnet etwa 5,50 Euro. Hier lernen wir, Sophia und Jenneke, mit denen ich meine Kajüte teile sowie Lijsje und ich, Franck Atsou kennen, der sich forsch zu uns an den Tisch setzte, weil er findet, dass wir es lustig haben. Ich bin begeistert, denn wie sich herausstellt, ist er die Nummer 21 der togolesischen Nationalmannschaft. Zwar bin ich kein Fußball-Fan, erinnere mich aber, dass die togolesische Nationalmannschaft während der Weltmeisterschaft 2006 in Wangen im Allgäu untergebracht war. Hier leben meine Eltern und hier besuchte ich insgesamt 11 Jahre die Schule. Was für ein Zufall! Voller Begeisterung erzähle ich ihm davon und er reagiert freundlich, aber gelassen: Franck ist einen solchen Wirbel um seine Person anscheinend gewohnt.

Er ist ein zurückhaltender, freundlicher Mensch, und einige Wochen später folgen wir seiner Einladung in sein Haus. Ein riesiger Flachbildschirm thront in seinem Wohnzimmer. Er fordert uns auf, an der Holzbar Platz zu nehmen. Während wir an unserem Wein bzw. unserer Cola nippen, zeigt uns Franck Fotos von seinen Trainern, Ex-Freundinnen und Fußball-Kollegen. Auch eines aus Wangen ist dabei. Eigentlich ist darauf gar nichts zu sehen, nur er mit einem Kollegen vor einem Smart stehend - aber ich bin schon wieder sehr angetan. Was für eine kleine Welt!

Das Essen, das seine Schwester zubereitet hat, ist ausgesprochen lecker: Hühnchen mit scharfer Soße und Salat. Mir fällt auf, dass er nicht einmal aufsteht, um sich Wasser ins Glas zu füllen. Das übernimmt seine Schwester, die gar nicht in Togo wohnt, sondern mit ihrem Mann und Kind in Ghana. Wir sind hier in einem patriarchalischen Land, denke ich mir dazu. Das macht sich im Alltag auch daran bemerkbar, dass wir meistens mit Männern in Kontakt kommen: Auf dem Künstlermarkt sind die meisten Verkäufer Männer, die Taxifahrer sind Männer, angesprochen werden wir überwiegend von Männern.