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Die Maske des

Samariters

 

7 authentische Kriminalfälle

 

 

 

 

Toni Feller

 

 

Impressum:

Cover: Karsten Sturm, Chichili Agency

Foto: fotolia.de

© 110th / Chichili Agency 2014

EPUB ISBN 978-3-95865-111-1

MOBI ISBN 978-3-95865-112-8

 

 

Urheberrechtshinweis:

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors oder der beteiligten Agentur „Chichili Agency“ reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

Einleitung

Seit es Menschen gibt, gibt es auch Verbrechen. Ob es nun Kain war, der mit dem Mord an seinem Bruder Abel den Anfang machte, sei dahingestellt. Fest steht, dass es schon bei den ersten Menschen Hass und Neid, Gier und Lust gab, Gefühle und Triebe, die unter bestimmten Umständen zu Verbrechen führen können. Diese Anlagen wurden über alle Generationen hinweg vererbt und sind bei den Menschen aller Kontinente, Länder und Schichten bis in die heutige Zeit wirksam.

Als ich die ersten Bilder des Balkankrieges sah, war ich fassungslos. Bis dahin hatte ich die naive Vorstellung, dass die Judenvernichtung im Dritten Reich der letzte große barbarische Akt der westlichen Zivilisation gewesen war und dass die ganze zivilisierte Welt durch dieses abschreckende Beispiel für immer von solchen Gräueltaten befreit wäre. Nie habe ich mir träumen lassen, dass es in Europa oder der übrigen westlichen Welt jemals wieder Menschen geben würde, die unschuldige, wehrlose kleine Kinder und ihre Mütter zusammentreiben, um sie vor einem mit Baggern ausgehobenen Massengrab zu erschießen oder anderweitig niederzumetzeln.

Durch diese Bilder und auch durch die Ereignisse des 11. September 2001 musste ich einmal mehr begreifen, dass Menschen nach wie vor zu extremen Grausamkeiten fähig sind, obwohl doch gerade der Mensch mit seinem Verstand weit darüber stehen müsste, Probleme mit Mord und Totschlag zu lösen. Die schärfste Logik und noch so fundierte Geistes- und Naturwissenschaft vermögen sich diesem Phänomen, wenn überhaupt, nur anzunähern.

Seit es Verbrechen gibt, muss es auch zwangsläufig Menschen geben, die sie bekämpfen. Wie sonst könnte die Menschheit überleben. Ein demokratischer Staat überträgt diese Aufgabe in der heutigen Zeit unter anderem auf Polizisten, Staatsanwälte und Richter.

Ich bin selbst Polizist, Kriminalbeamter im Range eines Kriminalhauptkommissars, der auch heute noch, nach 26 Dienstjahren, an „vorderster Front“ kämpft. Seit 1985 bin ich Mitglied der Mordkommission Karlsruhe und seit 1996 Angehöriger der Verhandlungsgruppe, die bei Geiselnahmen und Erpressungen eingesetzt wird. Hauptsächlich bin ich aber im normalen Arbeitsalltag als Sachbearbeiter für so genannte Leichensachen, Brand-, Gewalt, Sexual- und Betrugsdelikte tätig. Meinen Job mache ich gern. Ich bin mit Leib und Seele Polizist. Die Energie, die man dazu braucht, um mit viel Engagement seine Polizeiarbeit einigermaßen gut zu machen, schöpfe ich aus der Überzeugung, dass ich nicht für meinen Chef, für den Staatsanwalt oder für das Gericht arbeite, sondern ganz allein für mich. Ob es nun ein großer oder auch nur ein ganz kleiner Fall ist, bin ich stets bestrebt, meine bescheidenen Fähigkeiten so einzusetzen, dass ich das Maximum an Gerechtigkeit heraushole, weil mir das ein tiefes Gefühl von Zufriedenheit gibt. Dabei achte ich darauf, nicht selbstgerecht zu sein und vor allem beim Seiltanz von Recht und Unrecht, nicht auf die falsche Seite zu rutschen, was oft gar nicht so einfach ist.

Sternstunden für mich sind immer wieder die Gelegenheiten, in denen ich Menschen eine Hilfe sein kann. Meistens betrifft das die Opfer von Straftaten, in besonderen Fällen aber auch Straftäter.

Meinem obersten Gebot, dass auch der schlimmste Straftäter immer noch ein Mensch ist und als solcher auch behandelt werden muss, ist allerdings dann nur sehr schwer zu folgen, wenn es um Täter geht, die sich an Kindern vergangen haben oder um solche, die permanent extrem Menschen verachtende Verhaltensweise an den Tag legen. Der Umgang mit solchen Individuen erfordert ein hohes Maß an Beherrschung und Konzentration.

Ich habe es mir zum Prinzip gemacht, jedem Straftäter im frühestmöglichen Stadium seiner Befragung das Angebot zu machen, fair miteinander umzugehen und bin damit bislang sehr gut gefahren. Das Spiel mit offenen Karten hat oft einen größeren Reiz als jenes mit verdeckten. Meinem Gegenüber mache ich klar, dass ich nicht gern gelinkt werde und darauf äußerst sauer reagieren würde. Im Gegenzug biete ich ihm an, fair mit ihm umzugehen. Das ist ein einfaches Prinzip, das auch in der Unterwelt praktiziert und anerkannt wird. Spielt einer falsch, ist er draußen, so einfach ist das. Im Klartext heißt das, dass ich alle meine rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfe, einem Straftäter zur Höchststrafe zu verhelfen, wenn er meint, er könne mich aufs Glatteis führen. Im Gegensatz dazu habe ich auch schon vielen Straftätern geholfen, das Unausweichliche, das auf sie zukommt, besser verarbeiten und bewältigen zu können. Nicht selten kommt es vor, dass man versucht, hierbei die Angehörigen des Täters mit einzubinden, was in der Regel sehr positiv aufgenommen wird.

Ich kann mich an einen Berufs- und Gewohnheitsverbrecher erinnern, den ich nach tage- und nächtelanger Observation dingfest machen konnte, nachdem er versucht hatte, in ein Warenhaus einzubrechen. Als er festgenommen wurde, hatte er schon 16 Jahre seines Lebens wegen diverser Einbruchsdiebstähle in verschiedenen Gefängnissen Deutschlands verbracht. Allerdings lag dieses Mal nur ein Einbruchsversuch vor und die Beweislage für die anderen, ihm zur Last gelegte Taten war relativ dürftig. Ausnahmslos alle meine Kollegen waren der Meinung, dass dieser mit allen Wassern gewaschene Ganove nie im Leben ein Geständnis ablegen würde.

Gleich zu Beginn seiner Vernehmung gelang es mir, ein Klima von gegenseitigem Respekt aufzubauen, das sich als sehr hilfreich erwies. Es dauerte nur relativ kurze Zeit, bis dieser hart gesottene Gewohnheitsverbrecher mit der Beichte seines Lebens begann und mir insgesamt 28 schwere Einbruchsdiebstähle gestand, von denen ich größtenteils noch gar nichts wusste. Obwohl es sicherlich etwas unwahrscheinlich klingt, entstand fast eine Art Freundschaft zwischen uns. So war es am Ende für mich selbstverständlich, mich dafür einzusetzen, dass er zur Verbüßung seiner hohen Freiheitsstrafe schnellstmöglich in einer Strafanstalt untergebracht wurde, die sich ganz in der Nähe des Wohnortes seiner Angehörigen befand. Das war nicht einfach, da diese in einem anderen Bundesland wohnten.

Die Geständnisbereitschaft rettete ihn übrigens auch vor der drohenden Sicherungsverwahrung. Ganz aus freien Stücken bot er sich in der Folgezeit an, aus dem Gefängnis heraus Informationen zu liefern, mit denen einer großen Einbrecher- und Rauschgiftbande das Handwerk gelegt werden konnte.

Nun könnte man meinen, dass bei Vernehmungen von Mördern ein solcher Handlungsspielraum nicht mehr zur Verfügung steht. Dem ist jedoch nicht so. Im Gegenteil, gerade bei Mord geht es ja um sehr viel, sowohl für die Kriminalbeamten, die sich mit dem Täter befassen müssen, als auch für den Täter selbst. Hier zeigt sich, welcher Kriminalist die hohe Kunst der Vernehmungstaktik wirklich beherrscht und welcher nicht. Dazu sind unter anderem fundierte Gesetzeskenntnisse nötig. Ebenso muss man wissen, welche technischen Möglichkeiten zur Verfügung stehen, einen Täter zu überführen. Schließlich und vor allem ist sehr viel Fingerspitzengefühl notwendig, denn ist erst einmal der oft sehr dünne Draht zum Täter gerissen, besteht in vielen Fällen keine Chance mehr, an ihn heranzukommen. Bringt man es jedoch fertig, sich vorsichtig in die Psyche des Straftäters hinein zu tasten und ihm dabei das Gefühl zu geben, dass man ihm, bei allem Schlimmen, was passiert ist, in gewisser Weise noch Achtung und vielleicht sogar ein wenig Verständnis entgegenbringt, wird man in nahezu allen Fällen auch einen Weg zur Kommunikation finden. Zu einem Geständnis ist es dann nicht mehr all zu weit.

Von Bekannten werde ich oft gefragt, welche Druckmittel die Polizei bei Vernehmungen von Beschuldigten anwendet. Die Zeit von Folter und ähnlichen Zwangsmitteln gehört in Deutschland Gott sei Dank der Vergangenheit an. Jeder, der sich zur Bekämpfung von Verbrechen die alten Zeiten herbeiwünscht, sollte sich vor Augen halten, dass durch Folterung nur eines mit absoluter Sicherheit erreicht werden kann: Jede Menge Fehlurteile, die jedoch in keinem Verhältnis dazu stehen, dass in einem freiheitlich-demokratischen Staat einige Täter durch die engen Netze unserer Gesetzgebung schlüpfen.

Bei dem Fall Jakob von Metzler aus Frankfurt wurde allerdings unbestreitbar Folter angedroht. Zu Recht, wie ich meine. Dazu muss jedoch ausgeführt werden, dass zum Zeitpunkt der Androhung bereits ein ohne jegliche Folter abgelegtes Geständnis des Jurastudenten Magnus G. sowie mehrere andere, schwerwiegende Beweise für seine Täterschaft vorlagen und es lediglich nur noch darum ging, das Leben des Kindes zu retten. Magnus G. wollte den Aufenthalt des kleinen Jakob aber auf keinen Fall preisgeben. Im Nachhinein weiß man, er wollte damit verhindern, dass man die Leiche findet, deren Todesursache feststellt und er dann als brutaler Kindesmörder an den Pranger gestellt wird.

Die Ermittler ließ er jedoch in dem Glauben, Jakob von Metzler lebe noch und in diesem Glauben drohten die Beamten dem Täter an, ihm Schmerzen beizufügen, bis er den Aufenthaltsort seiner Geisel preisgibt. Ziel der Ermittler und des Frankfurter Polizeipräsidenten war nicht, den Tatverdacht gegen Magnus G. zu erhärten, sondern einzig und allein das Leben des kleinen Jakob zu retten, so lange noch eine Chance besteht. Richtigerweise beriefen sie sich dabei auf den „Rechtfertigenden Notstand“, der im § 34 des Strafgesetzbuches verankert ist.

Für die Presse war dieser Vorgang natürlich ein gefundenes Fressen. FOLTER IN DEUTSCHLAND! ZURÜCK INS MITTELALTER1 So oder ähnlich konnte man in den Medien lesen und hören. Keiner der Reporter machte sich die Mühe, einmal die wirklichen Hintergründe und vor allem der Zeitpunkt der Folterandrohung zu beleuchten. Das gab einfach zu wenig her. Einmal mehr der Beweis dafür, dass in unserer heutigen Mediengesellschaft einseitig, parteiisch und oft stümperhaft berichtet wird.

Ich bin sicher, jeder normal denkende Mensch hätte ähnlich wie die Kollegen aus Frankfurt gehandelt, wenn er vor dieser außerordentlich schwierigen Situation gestanden wäre und zu welchem Zweck sonst, wenn nicht gerade in solchen Fällen, gibt es die Bestimmung des Rechtfertigenden Notstandes?

Der Vergleich hinkt zwar ein wenig, jedoch sollten sich die Schreihälse einmal klar machen, dass die Polizei zum Beispiel einen Geiselnehmer in einer Bank jederzeit mit einem gezielten Schuss töten kann und sich darüber wohl niemand sonderlich echauffiert. Zumindest würde diese Begebenheit nicht tagelang in der Presse herumgeschmiert werden. Soviel zur Folter in Deutschland.

Mit dem Buch möchte ich die Leser ein wenig sensibilisieren, Verbrechen vielleicht schon im Anfangsstadium zu erkennen, um rechtzeitig entgegenwirken zu können. Und vielleicht dient es im einen oder anderen Fall auch dazu, potentiellen Straftätern vor Augen zu führen, dass das Verbrechen auf lange Sicht nur geringe Chancen hat und dass ihnen eine gut ausgerüstete, in aller Regel hochmotivierte und professionell arbeitende Polizei gegenübersteht.

Letztlich könnte das Buch auch solchen Polizeibeamten nützlich sein, die nicht für sich in Anspruch nehmen können, alles was mit schweren Verbrechen zu tun hat, als Topermittler schon längst erlebt zu haben.

Ausnahmslos alle Fälle sind authentisch, jedoch wurden sämtliche Namen, auch die der Täter, sowie zum Teil die Orte und Tatzeiten aus datenschutzrechtlichen Gründen, insbesondere aber auch aus Rücksicht auf die Opfer sowie deren Verwandten und Bekannten geändert.

Als Grundlage für das Schreiben dieses Buches dienten in erster Linie Polizeiakten. Doch als Kriminalbeamter konnte ich selbstverständlich auch eigene Erfahrungen und Erinnerungen mit einfließen lassen, wobei ich mich bemüht habe, das trockene Amtsdeutsch in einen für jedermann lesenswerten Text umzuformen.