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Inhaltsverzeichnis

1. Die Vogelschlacht
2. Die Meerfrau
3. Die drei Töchter des Königs von Lochlann
4. Der rote Riese
5. Der braune Bär vom grünen Tal
6. Das Schiff, das nach Amerika fuhr
7. Mac Iain Direach
8. Der junge König von Easaidh Ruadh
9. Maol a Chliobain
10. Lod der Bauernsohn
11. Der schwarze Stier von Norwegen
12. Assipattle und der Meister Lindwurm
13. Eine Geschichte von dem Sohn des Ritters vom Grünen Gewande
14. Die beiden Schwestern
15. Fionn Mac Cuail und der krumme graue Kerl
16. Wie Fionn in das Königreich der Riesen ging
17. Osean, der letzte Fenier
18. MacPhies schwarzer Hund
19. Der Buckel vom Weidenbruch
20. Peeriefool
21. Whuppity Stoorie
22. Der braune Wichtel
23. Der Mann vom Elfenhügel
24. Buckels Lied
25. Stricke aus Sand
26. Habetrot
27. Drei Geschichten von den Nithsdale-Elfen
28. Drei Wechselbalg-Geschichten aus Nithsdale
29. Sankt Brendan und der Zaubernebel
30. Der Elfenpfeil
31. Die Gowan-Schlucht
32. Die Elfenburg von Dhun Gharsain
33. Die Hand mit dem Messer
34. Die wackere Hausfrau und ihre nächtlichen Gäste
35. Thomas der Wahrhaftige und die Elfenkönigin
36. Die Elfen und der Kessel
37. Die Frau von Wastness
38. Der große Robbemann von Sule Skerrie
39. Der seltsame Besucher
40. Die Geschichte vom weißen Lamm
41. Die drei Fragen
42. Das scharfgehörnte graue Schaf
43. Goldbaum und Silberbaum
44. Die milchweiße Taube
45. Der Sohn des starken Mannes vom Walde
46. Binsenröckchen
47. Der Brunnen am Ende der Welt
48. Der Frosch
49. Murachan und Meanachan
50. Das kleine Brot
51. Nicht Nichts Garnichts
52. Fearachur Leigh
53. Von dem Mann, der mit Heringen und Katzen nach Indien fuhr
54. Wie der Fuchs der Geiß einen schlimmen Streich spielte
55. Der Wolf und der Fuchs
56. Wie Robin Rotbrust und das Zaunkönig-Weibchen Hochzeit machten
57. Der Adler und der Zaunkönig
58. Wie die Krähe ihr Junges unterweist
59. Die unglaublichste Geschichte
60. Donald mit den Bündeln
61. Die Geschichte vom Sohn der Witwe, der ein Spitzbube war
62. Der Sohn des schottischen Bauern, der des Bischofs Pferd und Tochter und den Bischof selber stahl
63. Jockel und seine Mutter
64. Die drei Witwen
65. Der beherzte Schneider
66. Der König und der Soldat
67. Welches war die edelste Tat?
68. Die drei weisen Männer
69. Die Erbschaft
70. Der Schwanz
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1. Die Vogelschlacht

Es geschah einmal vor langer Zeit, daß jedes Geschöpf und jeder Vogel in einer großen Schlacht gegeneinander kämpften. Der Sohn des Königs von Tethertown sagte, er wolle hingehen, um der Schlacht zuzusehen, und seinem Vater Kunde bringen, wer in diesem Jahr König über alle Geschöpfe sein sollte. Die Schlacht war vorbei, bevor er hinkam, bis auf einen einzigen Kampf zwischen einem großen schwarzen Raben und einer Schlange, und es sah so aus, als ob die Schlange den Sieg über den Raben davontragen würde. Als der Königssohn das sah, kam er dem Raben zu Hilfe, und mit einem einzigen Hieb schlägt er der Schlange den Kopf ab. Als der Rabe wieder zu Kräften gekommen war und sah, daß die Schlange tot war, sagte er: »Weil du mir an diesem Tag so liebreich geholfen hast, sollst du etwas sehen, was du noch nie gesehen hast. Komm, setze dich auf meinen Rücken zwischen meine beiden Flügel.« Der Königssohn bestieg den Raben, und bevor dieser wieder herunterkam, trug er ihn über sieben Berge und sieben Täler und sieben Hochlandmoore. »Siehst du das Haus dort drüben?« sagte der Rabe. »Da sollst du jetzt hingehen. Eine von meinen Schwestern wohnt darin, und ich verbürge mich, daß du gut aufgenommen wirst. Und wenn sie dich fragt: ›Warst du bei der Vogelschlacht dabei?‹ sage, daß du dabei warst. Aber vor allem denke daran, daß du mich morgen wieder triffst, hier an dieser Stelle.« Der Königssohn wurde gut und reichlich bewirtet an diesem Abend. Er bekam zu essen von jeder Art Speise, zu trinken von jeder Art Getränk, warmes Wasser für seine Füße und ein weiches Bett für seine Glieder.

Am nächsten Tag ließ ihn der Rabe den gleichen Blick tun über sieben Berge und sieben Täler und sieben Hochlandmoore. Sie sahen eine Hütte in weiter Ferne, aber wenn es auch weit war, so dauerte es doch nicht lange, bis sie hinkamen. Er wurde auch an diesem Abend gut bewirtet – eine Menge zu essen und zu trinken und warmes Wasser für seine Füße und ein weiches Bett für seine Glieder – und am nächsten Tag war es ebenso.

Am dritten Morgen, wer kam ihm entgegen an Stelle des Raben, wenn nicht der hübscheste junge Bursche, den er je gesehen hatte, mit einem Bündel in der Hand. Der Königssohn fragte den Burschen, ob er nicht einen großen schwarzen Raben gesehen habe. Sagte der Bursche zu ihm, »den Raben wirst du nie wiedersehen, denn ich bin der Rabe. Ich war verzaubert; doch dadurch, daß ich dich gefunden habe, bin ich erlöst, und dafür sollst du dieses Bündel haben. Und nun«, sagte der Bursche, »wirst du zurückkehren auf demselben Weg, und du wirst eine Nacht in jedem Haus schlafen, wie du zuvor geschlafen hast. Aber auf eines sollst du achtgeben, daß du das Bündel, das ich dir gegeben habe, nicht verlierst, bis du an dem Ort bist, wo du am liebsten wohnen möchtest.«

Der Königssohn wandte dem Burschen den Rücken und sein Gesicht dahin, wo seines Vaters Haus lag; und er fand Herberge bei den Schwestern des Raben genauso, wie er sie auf dem Hinweg gefunden hatte. Als er in die Nähe von seines Vaters Haus kam, mußte er durch einen dichten Wald. Da schien ihm das Bündel immer schwerer zu werden, und er dachte, er wolle einmal nachschauen, was darinnen sei.

Als er das Bündel aufmachte, hatte er genug zu staunen. In einem Augenblick sieht er das herrlichste Anwesen, das er je gesehen hatte, ein großes Schloß, einen Garten und einen Obstgarten um das Schloß mit Früchten und Kräutern von jederlei Art. Er stand voll Staunen da, und es tat ihm sehr leid, daß er das Bündel aufgemacht hatte – denn es lag nicht in seiner Macht, alles wieder hineinzutun – und er hätte doch gewünscht, dieses große schöne Schloß läge in dem kleinen schönen, grünen Tal, das gegenüber seines Vaters Haus war; doch in diesem Augenblick sieht er einen ungeheuren Riesen auf sich zukommen.

»Schlecht ist die Stelle, auf die du dein Haus gebaut hast, Königssohn«, sagte der Riese. »O ja, ich wollte es auch gar nicht hier haben, doch nun steht es einmal hier, unglücklicherweise«, sagte der Königssohn. »Was für einen Lohn gäbst du mir, wenn ich alles zurück in das Bündel brächte wie zuvor?« – »Was für einen Lohn verlangst du?« sagte der Königssohn. »Daß du mir den ersten Sohn, den du haben wirst, gibst, sobald er sieben Jahre alt ist«, sagte der Riese. »Den sollst du bekommen, sofern ich je einen Sohn haben werde«, sagte der Königssohn.

In einem Augenblick hatte der Riese alles wieder in das Bündel gesteckt, Garten und Obstgarten und Schloß, alles wie zuvor. »Nun«, sagte der Riese, »ziehe du deine Straße, und ich werde meine Straße ziehen; aber denke an dein Versprechen, und wenn du es vergessen solltest, werde ich dich daran erinnern.«

Der Königssohn zog seine Straße, und als ein paar Tage um waren, gelangte er an den Ort, den er am allerliebsten hatte. Er machte das Bündel auf, und das gleiche Schloß lag da, genau wie zuvor. Und als er das Schloßtor öffnete, sieht er das schönste Mädchen, das ihm je vor Augen kam. »Tritt näher, Königssohn«, sagte das schöne Mädchen; »alles ist bereit für dich, wenn du mich noch heute Abend heiraten willst.« – »Das will ich mir nicht zweimal sagen lassen«, sagte der Königssohn. Und am selben Abend machten die beiden Hochzeit.

Als aber ein Tag und sieben Jahre vergangen waren, was für ein großer Kerl kommt da zum Schloß herauf, niemand anderes als der Riese. Dem Königssohn fiel das Versprechen wieder ein, das er dem Riesen gegeben hatte; bis jetzt hatte er der Königin nichts von dem Versprechen erzählt. »Laß mich das nur allein mit dem Riesen ausmachen«, sagte die Königin.

»Gib deinen Sohn heraus«, sagte der Riese, »denk an dein Versprechen.« – »Du wirst ihn bekommen«, sagte der König, »wenn seine Mutter ihn für die Reise fertig gemacht hat.« Die Königin kleidete den Sohn des Kochs prächtig an und gab ihn dem Riesen mit.

Der Riese ging mit ihm davon; aber er war noch nicht weit gegangen, da gab er dem kleinen Burschen einen Stock in die Hand. Der Riese fragte ihn: »Wenn dein Vater diesen Stock hätte, was machte er damit?« – »Wenn mein Vater diesen Stock hätte, schlüge er die Hunde und Katzen damit, wenn sie an des Königs Fleisch gehen wollten«, sagte der kleine Bursche. »Du bist der Sohn des Kochs«, sagte der Riese. Er packt ihn bei den zarten Enkeln und schlägt ihn – klatsch – gegen den Stein, der neben ihm war. Der Riese kehrte zurück zum Schloß, rasend vor Zorn, und er sagte, wenn sie ihm nicht auf der Stelle den Königssohn herausgäben, würde in Kürze der oberste Stein des Schlosses zuunterst sein. Sagte die Königin zum König: »Wir wollen es doch noch einmal versuchen, des Kellermeisters Sohn ist so alt wie unserer.« Sie kleidete des Kellermeisters Sohn prächtig an, und sie gibt ihn dem Riesen mit. Der Riese war noch nicht lange gegangen, als er ihm den Stock in die Hand gab. »Wenn dein Vater diesen Stock hätte«, sagte der Riese, »was täte er damit?« – »Er schlüge die Hunde und Katzen, wenn sie des Königs Flaschen und Gläsern zu nahe kämen.« – »Du bist des Kellermeisters Sohn«, sagte der Riese und zerschmetterte ihm ebenfalls den Schädel. Der Riese kehrte zurück in noch größerem Zorn. Die Erde bebte unter den Sohlen seiner Füße, und das Schloß bebte, und alles was darinnen war. »Her mit deinem Sohn«, sagte der Riese, »oder ich will im Augenblick den obersten Stein des Hauses zum untersten machen.« So mußten sie wohl oder übel den Königssohn dem Riesen übergeben.

Der Riese nahm ihn in sein Haus, und er zog ihn auf wie seinen eigenen Sohn. An einem Tag dieser Tage war der Riese nicht zu Hause; da hörte der Bursche die süßeste Musik, die er je gehört hatte; sie kam aus einer Stube im obersten Geschoß. Wie er nachschaute, erblickte er dort das schönste Mädchen, das er je gesehen hatte. Sie winkte ihn ein wenig näher zu sich heran und sagte ihm, er solle jetzt gehen, aber ganz gewiß in der kommenden Nacht um Schlag zwölf an derselben Stelle sein.

Und wie er versprochen hatte, so kam er. Die Riesentochter war im Nu an seiner Seite, und sie sprach: »Morgen wirst du vor die Wahl gestellt werden, eine von meinen beiden Schwestern zu heiraten, aber sage nur, daß du keine von beiden haben willst, sondern mich. Mein Vater will, daß ich den Sohn des Königs der Grünen Stadt heiraten soll, aber ich mag ihn nicht.« Am Morgen führte der Riese seine drei Töchter heraus und sagte: »Nun, Sohn des Königs von Tethertown, es soll dein Schaden nicht sein, daß du so lange bei mir gelebt hast. Du sollst eine von meinen beiden älteren Töchtern zur Frau haben und dich mit ihr aufmachen und zu deinem Vater zurückkehren am Tag nach der Hochzeit.« – »Wenn Ihr mir diese hübsche Kleine geben wolltet«, sagte der Königssohn, »so will ich Euch beim Wort nehmen.«

Dem Riesen schwoll die Zornesader, und er sagte: »Bevor du sie bekommst, mußt du drei Dinge tun, die ich dir aufgeben werde.« – »Nur zu«, sagt der Königssohn. Der Riese führte ihn zum Stall. »So«, sagte der Riese, »hier liegt der Mist von hundert Stück Vieh, und seit sieben Jahren ist er nicht ausgeräumt worden. Ich bin heute den ganzen Tag fort, und wenn dieser Stall nicht sauber gefegt ist, ehe der Abend kommt, so sauber, daß ein goldener Apfel von einem Ende zum andern rollen kann, so wirst du meine Tochter nicht bekommen, und ich werde zur Nacht meinen Durst mit einem Trunk von deinem Blut stillen.«

Der Königssohn fängt an, den Stall auszumisten, aber ebenso hätte er versuchen können, den weiten Ozean leerzuschöpfen. Als Mittag vorbei war und der Schweiß ihm über die Augen lief, daß er ganz blind davon wurde, kam die Riesentochter zu ihm und sagte: »Du wirst wohl kaum der Strafe entgehen, Königssohn.« – »So ist es«, sagt der Königssohn. »Komm her«, sagt sie, »und bette deine müden Glieder.« – »Das will ich tun«, sagt er, »auf mich wartet ja doch nichts anderes als der Tod.« Er setzte sich ihr zur Seite. Er war so müde, daß er sogleich einschlief neben ihr. Als er aufwachte, war die Riesentochter nirgends zu sehen, der Stall jedoch war so sauber ausgefegt, daß ein goldener Apfel von einem Ende zum andern rollen konnte. Der Riese kommt herein und er sagte: »Du hast den Stall sauber gemacht, Königssohn?« – »Ja, ich habe ihn sauber gemacht«, sagt er. »Jemand hat ihn sauber gemacht«, sagt der Riese. – »Du hast es auf jeden Fall nicht getan«, sagte der Königssohn. »Ja, das stimmt«, sagt der Riese, »und da du heute so viel geschafft hast, wirst du es wohl auch fertigbringen, bis morgen um die gleiche Zeit diesen Stall mit Vogelfedern zu decken – und zwar nur von solchen Vögeln, die nicht zwei Federn von der gleichen Farbe haben.« Der Königssohn war auf den Füßen, ehe die Sonne aufging; er nahm seinen Köcher voll Pfeile, um damit die Vögel zu erlegen. Dann machte er sich auf zum Moor. Aber wie sehr er sich auch mühte, die Vögel waren nicht so leicht zu bekommen. Er rannte hinter ihnen her, bis ihm der Schweiß über die Augen lief. Wer aber kam gegen Mittag zu ihm, niemand anderes als die Riesentochter. »Du bist ja ganz außer Atem, Königssohn«, sagte sie. »Das bin ich wahrlich«, sagte er. »Es fielen nicht mehr als diese beiden Amseln, und beide haben nur Federn von ein und derselben Farbe.« – »Komm her und bette deine müden Glieder auf diesen hübschen kleinen Hügel«, sagte sie. »Nichts lieber als das«, sagte er. Er dachte, sie werde ihm wohl auch diesmal wieder helfen, so setzte er sich neben sie, und es dauerte nicht lange, bis er eingeschlafen war.

Als er aufwachte, war die Riesentochter fort. Er dachte, er könne nun wohl zum Hause zurückgehen, und wie er hinkommt, findet er den Stall mit Federn gedeckt. Als der Riese heimkam, sagte er: »Du hast den Stall gedeckt, Königssohn?« – »Ich habe ihn gedeckt«, sagte er. »Jemand hat ihn gedeckt«, sagte der Riese. »Du hast ihn nicht gedeckt«, sagt der Königssohn. »Ja, das stimmt«, sagt der Riese.

»Hör zu«, sagt der Riese, »es steht eine Tanne an dem See dort unten, und ein Elsternnest ist in ihrem Wipfel. Die Eier findest du noch im Nest. Ich muß sie haben zum Frühmahl. Nicht eines darf gesprungen oder zerbrochen sein, und fünf sind drinnen im Nest.« Früh am andern Morgen ging der Königssohn dorthin, wo der Baum stand, und der Baum war nicht schwer zu finden. Es gab seinesgleichen nicht im ganzen Wald. Von der Wurzel bis zum untersten Zweig waren es fünfhundert Fuß. Der Königssohn ging wieder und wieder um den Baum herum. Da kam die, die ihm immer beigestanden hatte. »Du wirst dir die Haut von Händen und Füßen schürfen.« – »Ach ja! Das kann sein«, sagte er. »Gewiß bin ich nicht schneller oben als wieder unten.« – »Da ist keine Zeit zu verlieren«, sagt die Riesentochter. Sie stieß Finger um Finger in den Baum, bis sie eine Leiter für den Königssohn gemacht hatte, auf der er zum Elsternnest hinaufklettern konnte. Als er am Nest war, sagte sie: »Mach schnell mit den Eiern, denn meines Vaters Atem brennt mir im Rücken.« In der Eile ließ sie ihren kleinen Finger im Wipfel des Baumes stecken. »Nun«, sagte sie, »sollst du schnell mit den Eiern nach Hause gehen, und heute abend kannst du mich zur Frau bekommen, wenn du es fertigbringst, mich zu erkennen. Ich und meine beiden Schwestern, wir werden alle drei in dieselben Gewänder gekleidet und ganz gleich hergerichtet sein, aber sieh auf mich, wenn mein Vater sagt, ›geh zu deinem Weib, Königssohn‹, und du wirst eine Hand sehen, der der kleine Finger fehlt.«

Er gab dem Riesen die Eier. »Es ist gut«, sagt der Riese, »mache dich nur fertig zur Hochzeit.« Und dann wurde die Hochzeit gefeiert, und es war wahrlich eine prächtige Hochzeit! Riesen und Edelleute, und der Sohn des Königs der Grünen Stadt war mitten darunter. Sie wurden vermählt, und der Tanz begann, und es war wahrlich ein prächtiger Tanz! Das Haus des Riesen bebte vom Dach bis zum Erdgeschoß. Doch schließlich war es Schlafenszeit, und der Riese sagte: »Es ist Zeit für dich, zur Ruhe zu gehen, Sohn des Königs von Tethertown; nimm deine Braut zu dir, eine von diesen dreien.«

Die Jüngste streckte die Hand aus, an der der kleine Finger fehlte, und er ergriff diese Hand.

»Du hast gut getroffen, auch diesmal, aber noch ist es nicht sicher, ob wir dir nicht auf andere Weise beikommen können«, sagte der Riese.

Doch jetzt gingen sie zur Ruhe. »Schlafe nur nicht ein«, sagt sie, »sonst wirst du sterben. Wir müssen fliehen, schnell, schnell, oder mein Vater wird dich ganz gewiß töten.«

Schon waren sie hinaus, und setzten sich auf das blaugraue Füllen im Stall. »Warte einen Augenblick«, sagte sie, »ich will dem Alten einen Streich spielen.« Sie schlüpfte wieder hinein und schnitt einen Apfel in neun Teile, und sie legte zwei Teile an das Kopfende des Bettes, zwei Teile an das Fußende, zwei an die Küchentür, zwei an die Haustür und einen draußen vor das Haus.

Der Riese erwachte und rief: »Schlaft ihr?« – »Nein, noch nicht«, sagte der Apfel, der am Kopfende des Bettes war. Nach einiger Zeit rief er wieder. »Nein, noch nicht«, sagte der Apfel, der am Fußende des Bettes war. Nach einer Weile rief er wieder. »Nein, noch nicht«, sagte der Apfel an der Küchentür. Der Riese rief wieder. Nun antwortete der Apfel an der Haustür. »Ich glaube fast, ihr macht euch davon«, sagt der Riese. »Noch nicht«, sagt der Apfel draußen vor dem Hause. »Ihr wollt wohl fliehen«, sagt der Riese. Damit sprang er auf die Füße und lief zu ihrem Bett hin, aber es war kalt und leer.

»Ich bin auf die Schliche meiner eigenen Tochter hereingefallen«, sagte der Riese. »Geschwind ihnen nach«, sagt er.

Bei Tagesanbruch sagte die Riesentochter, ihres Vaters Atem brenne ihr im Rücken. »Fasse schnell mit der Hand«, sagte sie, »in das Ohr des grauen Füllens, und was du auch darin findest, das wirf hinter dich.«

»Ein Schlehenzweig ist drin«, sagte er. »Wirf ihn hinter dich«, sagte sie.

Kaum hatte er das getan, so war da ein zwanzig Meilen breiter schwarzer Dornwald, so dicht, daß kaum ein Wiesel durchschlüpfen konnte. Der Riese kam in vollem Lauf angestürzt und riß sich Kopf und Nacken an den Dornen auf.

»Das sind wiederum die Künste meiner eigenen Tochter«, sagte der Riese, »doch wenn ich meine große Axt und mein Haumesser hätte, bahnte ich mir schnell einen Weg durch diesen Busch.« Er ging nach Hause, um seine große Axt und das Haumesser zu holen; er brauchte nicht lange für seinen Weg, und er war der rechte Kerl, die große Axt zu schwingen! In kurzer Zeit hatte er einen Weg durch den schwarzen Dorn geschlagen. »Ich werde die Axt und das Messer hier lassen, bis ich zurückkomme«, sagt er. »Wenn du sie hier läßt«, sagte eine Krähe, die in einem Baum saß, »werden wir sie stehlen.«

»Dazu seid ihr imstande«, sagt der Riese, »so werde ich sie besser heimbringen.« Er ging zurück und ließ sie beim Haus. Zur Zeit der größten Mittagshitze fühlte die Riesentochter ihres Vaters Atem im Rücken brennen.

»Fasse in das Ohr des Füllens, und wirf hinter dich, was du auch darin findest.« Er fand einen Splitter von grauem Stein, und in einem Augenblick waren auf zwanzig Meilen in die Breite und in die Höhe große graue Felsen hinter ihnen. Der Riese kam holterdiepolter angejagt, aber über die Felsen konnte er nicht weg.

»Die Künste meiner eigenen Tochter sind das Ärgerlichste, was mir je begegnet ist«, sagt der Riese, »aber wenn ich meine Brechstange und meine mächtige Spitzhacke hier hätte, brauchte ich nicht lange, um mir auch durch den Felsen einen Weg zu bahnen.« So blieb ihm nichts anderes übrig, als noch einmal umzukehren und sie zu holen; und er war der rechte Kerl, die Steine zu zerschlagen! Er brauchte nicht lange, bis er eine Straße durch den Felsen gehauen hatte. »Ich will mein Werkzeug hier lassen und will nicht mehr zurückgehen.« – »Wenn du es hier läßt«, sagt die Krähe, »werden wir es stehlen.« – »Nimm es nur, wenn du willst, ich habe keine Zeit heimzugehen.« Als die Abenddämmerung kam, sagte die Riesentochter, sie spüre ihres Vaters Atem im Rücken brennen. »Schau in das Ohr des Füllens, Königssohn, oder wir sind verloren.« Er tat so, und dieses Mal war eine Blase mit Wasser im Ohr der Stute. Er warf sie hinter sich, und sogleich lag ein Süßwassersee, zwanzig Meilen in die Länge und Breite, in ihrem Rücken.

Der Riese kam heran, doch bei der Geschwindigkeit, mit der er kam, schoß er gleich bis in die Mitte des Sees vor, und da ging er unter und kam nicht mehr hoch.

Am nächsten Tag war das junge Paar so weit gekommen, daß sie des Königs Haus liegen sahen. »Mein Vater ist ertrunken«, sagt sie, »und er wird uns keinen Schaden mehr tun – aber bevor wir weitergehen«, sagte sie, »gehe du zu deines Vaters Haus und berichte ihm, daß du jemanden mitgebracht hast; doch auf eines sollst du achten: Laß dich von keinem Menschen und auch nicht von irgendeiner anderen Kreatur küssen, denn wenn du das tust, wirst du nicht mehr wissen, daß du mich je gesehen hast.«

Jeder, der dem Königssohn begegnete, bot ihm Gruß und Willkomm. Und er verbot Vater und Mutter, ihn zu küssen, aber wie es das Unglück wollte, war da eine alte Grauhündin, und sie erkannte ihn und sprang hinauf an seinen Mund, und von da an hatte er die Riesentochter vergessen.

Sie saß unterdessen am Rand des Brunnens, wo er sie verlassen hatte, doch der Königssohn kam nicht. Bei Anbruch der Nacht kletterte sie in einen Eichbaum, der neben dem Brunnen stand, und da lag sie in einer Astgabel die ganze Nacht. Ein Schuster hatte ein Haus in der Nähe des Brunnens, und gegen Mittag des nächsten Tages sagte der Schuster seinem Weib, sie solle ihm einen Trunk Wasser vom Brunnen holen. Als die Schustersfrau zum Brunnen kam und das Schattenbild der Frau, die im Baum war, darin sah, meinte sie, es sei ihr eigenes Bild – und sie hatte bisher nie gedacht, daß sie so schön sei – da warf sie den Krug in ihrer Hand weg, und er lag zerbrochen am Boden; dann lief sie nach Haus und brachte kein Geschirr und kein Wasser heim.

»Wo ist das Wasser, Weib?«, sagte der Schuster. »Du elender, schlottriger alter Tölpel, ohne alle Manieren, viel zu lange schon bin ich deine Dienstmagd zum Wasser- und Holztragen gewesen.« – »Mir kommt es vor, Weib, als seiest du übergeschnappt. Geh du, Tochter, schnell, und hole einen Trunk für deinen Vater.« Die Tochter ging, und ganz das gleiche geschah mit ihr. Nie hatte sie bisher gedacht, daß sie liebreizend anzuschauen wäre, und also begab sie sich nach Hause. »Her mit dem Trunk«, sagte der Vater. – »Du grober Klotz von einem Schuhflicker, glaubst du, daß ich zu deiner Magd geschaffen bin?« Der arme Schuster dachte, daß ihnen beiden wohl der Verstand durchgegangen sei, und so ging er selbst zum Brunnen. Er sah das Spiegelbild des Mädchens im Brunnen, und er sah hinauf in den Baum, und da sieht er die schönste Frau, die er je gesehen hat. »Dein Sitz ist schwank, aber dein Antlitz ist schön«, sprach der Schuster. »Komm herunter, denn ich brauche dich für eine kleine Weile dringend in meinem Haus!« Denn der Schuster hatte begriffen, daß dies das Bild war, welches seine Leute verrückt gemacht hatte. Also nahm der Schuster sie mit in sein Haus, und er sagte, er habe zwar nur eine arme Hütte, aber sie solle von allem, was drinnen sei, ihr Teil abbekommen.

Nachdem ein oder zwei Tage vergangen waren, kamen drei junge Edelleute zu des Schusters Haus, um sich Schuhe machen zu lassen, denn der König war heimgekommen und sollte Hochzeit feiern. Die jungen Burschen blickten sich um, und sie sahen die Riesentochter, und wie sie sie sahen, so war ihnen noch nie ein so schönes Mädchen vor Augen gekommen. »Da hast du aber eine hübsche Tochter«, sagten die Junker zum Schuster. »Hübsch ist sie wahrlich«, sprach der Schuster, »aber sie ist gar nicht meine Tochter.« – »Beim Himmel!« sagte einer von ihnen, »ich gäbe hundert Pfund, wen ich sie zur Frau bekäme.« Die beiden anderen sagten das gleiche. Der arme Schuster beteuerte, daß er nicht über sie zu bestimmen habe. »So frage sie doch heute abend«, sagten sie, »und gib uns morgen Bescheid.« Als die Edelleute fort waren, fragte sie den Schuster: »Was war es, was sie über mich gesagt haben?« Der Schuster erzählte es ihr. »Lauf ihnen nach«, sagte sie, »ich will einen von ihnen nehmen, und er soll nur seine Börse gleich mitbringen.« Der Schuster lief hinter ihnen her und überbrachte ihnen die Botschaft. Der junge Mann kam zurück und gab dem Schuster hundert Pfund als Brautgeld.

Die beiden gingen zur Ruhe, und als sie sich niedergelegt hatte, bat sie den Junker um einen Trunk Wasser aus dem Krug, der auf dem Wandbord in der entferntesten Ecke des Zimmers stand. Er ging, ihn zu holen, aber er kam nicht mehr los, und so hielt er das Gefäß mit Wasser die ganze Nacht lang in der Hand. »He, mein Junge«, sprach sie, »warum willst du dich nicht hinlegen?« Aber er konnte sich nicht losmachen, bis es heller Tag war. Der Schuster kam an die Tür des Zimmers, und sie sagte, er solle doch den Tölpel wegholen. Der Freier ging also fort und begab sich still in sein Haus, doch sagte er den beiden andern nicht, was ihm widerfahren war. Darauf kam der zweite Bursch, und es geschah alles in der gleichen Weise, sobald sie zur Ruhe gegangen war – »Schau nach«, sagte sie, »ob der Riegel vorgeschoben ist.« Der Riegel hielt seine Hand fest, und er konnte nicht loskommen die ganze Nacht hindurch, ja er konnte nicht eher loskommen, bis der helle Morgen da war. Er ging fort mit Schmach und Schande. Trotzdem sagte er dem andern Burschen nicht, was geschehen war, und in der dritten Nacht kam dieser an. Wie es den beiden ersten ergangen war, so ging es auch ihm. Ein Fuß hing am Fußboden fest; er konnte weder kommen noch gehen, und so stand er da die ganze Nacht lang. Am Morgen machte er, daß er fort kam und warf auch nicht einen einzigen Blick zurück.

»So«, sagte das Mädchen zum Schuster, »dir gehört die Tasche mit dem Gold; ich habe es nicht nötig. Du wirst besser daran sein, wenn du es nimmst, und ich nicht schlechter, dank deiner Güte und Freundlichkeit.« Der Schuster hatte die Schuhe fertig, und am selben Tag sollte der König Hochzeit machen. Der Schuster ging zum Schloß mit den Schuhen der jungen Leute, und das Mädchen sagte zu ihm, »ich möchte gern ein einziges Mal den Königssohn sehen, bevor er sich vermählt.« – »Komm mit mir«, sagt der Schuster, »ich bin gut bekannt mit den Dienern im Schloß, und du sollst einen Blick auf den Königssohn und die ganze Hochzeitsgesellschaft werfen.« Und als die Edelleute die schöne Frau sahen, die draußen stand, nahmen sie sie mit in den Hochzeitssaal, und sie füllten ein Glas mit Wein für sie. Als sie trinken wollte, stieg eine Flamme aus dem Glas, und eine goldene und eine silberne Taube flogen auf. Sie flatterten umher, während drei Körner Gerste auf den Boden fielen. Die silberne Taube schoß darauf zu und fraß sie. Sagte die goldene Taube, »wenn du noch daran dächtest, wie ich den Stall ausgeräumt habe, picktest du dies nicht auf, ohne mir einen Teil abzugeben.« Wieder fielen drei Gerstenkörner, und die silberne Taube stieß zu und frißt sie wie zuvor. »Wenn du noch daran dächtest, wie ich den Stall mit Federn deckte, so picktest du nichts auf, ohne mir davon abzugeben«, sagt die goldene Taube. Drei weitere Körner fallen, und die silberne Taube stieß zu und fraß sie. »Wenn du noch daran dächtest, wie ich das Elsternnest ausnahm, so picktest du nichts auf, ohne mir davon abzugeben«, sagt die goldene Taube. »Ich habe meinen kleinen Finger verloren, wie ich das Nest aus dem Baum holte, und er geht mir immer noch ab.«

Da fiel dem Königssohn alles wieder ein, und er wußte, wer es war, der da vor ihm stand. Er lief zu ihr hin und küßte sie viele Male, erst die Hände, dann den Mund. Und als der Priester kam, wurden sie ein zweites Mal getraut. Und da verließ ich sie.