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ÜBER DEN AUTOR

Robert Seethaler, geboren 1966, wurde 2007 für seinen Roman Die Biene und der Kurt mit dem »Debüt-Preis des Buddenbrookhauses« ausgezeichnet. Er erhielt zahlreiche Stipendien, darunter das »Alfred-Döblin-Stipendium der Akademie der Künste«. Der Film nach seinem Drehbuch Die zweite Frau wurde mehrfach ausgezeichnet und lief auf verschiedenen internationalen Filmfestivals. 2008 erschien sein zweiter Roman Die weiteren Aussichten. Im Juli 2010 erschien sein dritter Roman Jetzt wirds ernst bei Kein & Aber. Robert Seethaler lebt in Berlin und Wien.

ÜBER DAS BUCH

Mit ungestümer Zärtlichkeit und entwaffnendem Humor erzählt Robert Seethaler in seinem zweiten Roman vom Glück am Rande der Landstraße. Inmitten der Provinzleere, am Rande einer kaum frequentierten Landstraße, führt Herbert Szevko gemeinsam mit seiner resoluten Mutter und unter Beobachtung des kleinen Zierfisches Georg eine alte Tankstelle. Eines Tages taucht im Hitzeflimmern der Straße eine lebenshungrige junge Frau auf. Sie heißt Hilde, spricht wenig, hat eine Stelle als Putzfrau im dörflichen Hallenbad und lächelt sich in Herberts Herz. Das Leben auf der Tankstelle und der dörfliche Alltag geraten aus den Fugen. Herbert bricht von zu Hause auf, stürzt sich als Nichtschwimmer vom Fünfmeterbrett und dann hinein in einen verrückten Wirbel aus Stolz, Verzweiflung und etwas ihm bisher völlig Unbekanntem: Liebe.

»Hätte mich Einer bei der Lektüre dieses großartigen Buches beobachtet, hätte er eine Frau gesehen, der manchmal vor Staunen der Mund offenstehen blieb. Wenn er sich nicht gerade zu einem ungläubigen Grinsen verzogen hat.«

Christine Westermann, WDR

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BILLIG TANKEN

Herbert Szevko steht nackt und gekrümmt da und schaut in ein kleines rundes Aquarium hinein. Grünlich spiegeln sich die Wellen in seinem Gesicht. Schön ist Herbert nicht. Aber lang. Schon damals im Kindergarten hat seine gelbe Pudelhaube bei Ausflügen in den Wald, in den Zoo, ins Heimatkundemuseum oder sonst wohin die anderen gelben Pudelhauben um eine Kopflänge überragt. Wie eine genetisch missratene, überlange gelbe Blume im Beet der Gutgewachsenen hat er ausgesehen. Sozusagen über das Normale hinausgeschossen. Und vielleicht hat ihm deshalb keines von den anderen Kindern die Hand geben wollen beim zweireihigen Marschieren durch den Straßenverkehr. Trotz der ganzen pädagogischen Einwirkungen verschiedener Kindergartentanten. Wo nämlich die Normalität beleidigt ist, kann die Pädagogik einpacken. Und deshalb, und weil in Herberts Kindergartengruppe eine ungerade Anzahl von Kindern war, und vielleicht auch weil Herberts Handflächen meistens glitschig verschwitzt waren vor lauter innerer Unruhe, deshalb also ist der kleine, viel zu große Herbert damals immer alleine hinter der Gruppe hermarschiert.

Aber das ist vorbei. An solche Sachen denkt Herbert Szevko jetzt nicht, während er nackt und gekrümmt vor dem kleinen runden Aquarium steht. Dämmerig ist es im Zimmer. So früh morgens schwächelt sich noch wenig Licht durch das einzige Fenster herein. Ein Bett, ein Stuhl, eine Kommode, ein Schrank, ein paar Regale, eine Lampe, das Aquarium, das grünliche Schimmern und Herbert.

Siebenundzwanzig Jahre alt ist Herbert jetzt. Und eben wirklich nicht schön. Die Füße groß und schmal, die Beine gazellenhaft lang und dünn, die Knie spitz, das Glied kurz, der Bauch flach, die Brust flach, beide fein kräuselig behaart, die Schultern hoch, schnurschlanke Arme, große, knöchelige Hände.

Der Hals fügt sich auch stimmig ins Gesamtbild hinein. Es gibt Vögel, die haben solche Hälse. Die stehen in irgendwelchen Steppen oder salzigen Seen herum und sind der natürlichen Auslese wahrscheinlich auch nur durch einen blöden Zufall entkommen.

Herberts Kopf ist ein bisschen ausgebeult. Das Kinn eine Kante, der Mund klein und geschwungen, die Nase schief, Ohren sind noch nie aufgefallen, gibt es aber auch. Die Haare haben sich weit nach hinten verzogen, in den letzten Jahren von der Stirn verdrängt. Das einzig Schöne, das einzig wirklich Schöne an Herbert sind seine Augen. Hellblau sind die, glänzend, glatt und groß. Fast schon zu groß. Aber eben nur fast.

Im Aquarium sind weiße Kieselsteine, ein kleines hölzernes Schiffswrack und ein Fisch. Der Fisch heißt Georg. Vor ein paar Jahren hat Herbert den so getauft, als die Pubertät in ihm noch herumgewühlt hat. In einem kleinen Anfall von Einsamkeit hat er ihn damals einem Schulkollegen abgebettelt. Offiziell ist Georg ein Zierfisch. Wobei: Wo da eigentlich die Zierde sein soll, müsste man sich einmal von einem inspirierten Zoofachgeschäftverkäufer erklären lassen. Auch Georg ist nämlich nicht schön. Klein und rund und gelb, mit einem blässlichen Streifen an der Seite. Ob er sich etwas denkt, während er da jetzt zu dem nackten und gebückten Herbert über ihm hochschaut, lässt sich schwer sagen.

Jedenfalls schauen sich Herbert und Georg eine Weile so an. Und dann, ganz plötzlich, hebt Herbert eine Hand, lässt sie mit spitzen Fingern kreisen und verstreut ein bräunliches Pulver über den grünlichen Wasserspiegel. Wie brauner Schnee sinkt es langsam auf den Grund. Den Fisch Georg interessiert das nicht. Noch nicht.

So hat Herbert also seinem Fisch das Frühstück bereitet, hat sich ohne modische Überlegungen, wahrscheinlich ohne überhaupt irgendwas zu überlegen, angezogen, Socken, Schuhe, Hemd und kurze Hose, ist aus seinem Zimmer hinaus und die schmalen Treppen hinunter gelaufen, schnell vorbei an den vielen alten Wandfotos, und ist dann rechts abgebogen, in den Wohnraum hinein. Und da sitzt er jetzt, am kleinen Tisch, und schaut zu, wie sich die Sahne im Kaffee verflöckelt. Und noch jemand sitzt am Tisch. Ihm gegenüber nämlich. Das ist Herberts Mutter.

Frau Szevko hat ihre bunten Jahre schon lange hinter sich gelassen. Jetzt ist sie alt. Herbert ist ihr spät noch passiert, praktisch in letzter Sekunde vor Torschluss, ein Unfall, ein Ausrutscher, wie Frau Szevko selbst immer wieder erzählt, an der Kasse vom Supermarkt, im Wartezimmer beim Zahnarzt oder sonst wo. Wein und Schnaps waren damals auch im Spiel. Aber das erzählt sie nicht. Alt ist sie jetzt also und sieht auch so aus. Der Körper klein und ausgemergelt, der Rücken verbogen, die Haut ledrig, die Hände fleckig, die bräunlichen Haare angegraut, das Gesicht vom Leben zerwühlt, alles matt und schattig. Nur die Augen leuchten noch, hellblau, glänzend, glatt und fast ein bisschen zu groß.

»Wie geht es dem Fisch heute?«, fragt die Mutter.

»Schlechte Laune hat er«, sagt Herbert und klopft vorsichtig am Frühstücksei herum. Damit nichts passiert.

»Fische haben keine Launen«, sagt die Mutter.

»Wieso willst du dann wissen, wie es ihm geht?«, fragt Herbert.

»Gesundheitlich halt«, sagt die Mutter.

»Aha«, sagt Herbert.

Das Ei ist jetzt oben offen. Gerade groß genug für Herberts kleinen Löffel ist die Öffnung. Zart platzt das Eiweiß. Darunter glänzt es schon orangefarben. Wie künstlich nachgefärbt sieht der Eidotter aus, denkt sich Herbert und schiebt das Löffelchen in den Mund. Der Mutter fällt jetzt auch nichts mehr ein. Ganz langsam lässt sie den Kopf sinken und schaut wieder in ihren Kaffee hinein. Herbert auch. So geht das schon seit Jahren mit den beiden. Reden irgendetwas, ein paar Sätze, ein paar Worte, und dann schauen sie in ihre Kaffeetassen hinein. Früher war da bei Herbert noch Kakao drinnen. So viele Jahre geht das schon.

Irgendwann aber haben Frau Szevko und Herbert dann fertig gefrühstückt und sich fertig ausgeschwiegen, sind gleichzeitig und abrupt aufgestanden, in ihre rotgelben Arbeitskittel geschlüpft und durch die hintere Tür aus dem Haus gegangen.

Und so marschieren sie jetzt durch den kleinen Garten, die Mutter voran, Herbert hintennach. Ein bisschen heller ist es schon, aber immer noch hat das Tageslicht keine richtige Kraft. Der kleine Garten hat eigentlich alles, was ein Garten so braucht, für den Erholungswert und die Nahversorgung. Ein bisschen Platz, zwei Campingliegen, einen Zaun, ein paar Hecken, ein paar Beete, Gemüse, Geranien, einen winzigen kreisrunden Teich mit zwei Seerosen und einer Plastikwassermühle. Durch ein niedriges Gartentürchen hindurch gehen Herbert und die Mutter, einmal um die Ecke, den Zaun entlang, an der Mauer entlang, am Haus entlang, über die große rissige Betonfläche. Die Mutter steigt über eine ölige Pfütze, Herbert steigt hinein. Und weiter gehen sie, an den beiden Müllcontainern, am Saugautomat und an der kleinen Werkstatt vorbei. Vor der Waschanlage bleiben sie stehen. Die Mutter hat die Schlüssel. Sperrt auf. Legt den Hebel um. Drückt die Knöpfe, den roten, den schwarzen, den grünen. So. Betriebsbereit. Herbert steht dahinter und schaut zu. Ob denn heute, am Montag, jemand kommen wird zur Autowäsche, ob denn in der ganzen Woche jemand kommen wird, denkt sich Herbert, jetzt im Frühling sind die Autos ja nicht mehr so anfällig für den Dreck, und außerdem gibt es ja anderswo, hat man schon gehört, viel größere, buntere, leistungsfähigere und insgesamt sowieso beeindruckendere Waschanlagen, ganze Waschstraßen, vielleicht mittlerweile sogar schon ganze Waschstädte oder Waschlandschaften, weil eines ist klar: Autos sind den Menschen wichtig. Wichtiger als vieles andere im Leben, wichtiger zum Beispiel als gesunde Ernährung. Oder soziale Verantwortlichkeiten. Oder die eigenen Kinder. Früher haben die Autos einen Kratzer gehabt, heutzutage haben sie Wunden. So ungefähr denkt sich Herbert allerhand zusammen, während er da an der Waschanlagen-eingangstür steht.

Die Mutter ist pragmatischer veranlagt. Die ist inzwischen schon hinübergegangen, unter dem Tankstellenvordach hindurch, an den drei Zapfsäulen vorbei, hat den Verkaufsraum aufgesperrt und ist drinnen verschwunden. Gleich darauf ist dann das Licht angegangen überall an der Tankstelle. Das Licht an der Verkaufsraumdecke, das unter dem Tankstellenvordach, das an den Zapfsäulen und vor allem das Licht an den Benzinpreistafeln, die hoch oben und weit sichtbar an dem langen Tankstellenmast hängen, Diesel, Super, Normal, Bleifrei. Noch ein Stück weiter oben, auf der Mastspitze, ist ein Schild befestigt. Bei dem hat es nicht mehr für eine ordentliche Beleuchtung gereicht. Eine einzelne Glühbirne hängt am unteren Schilderrand und glimmert zart die Buchstaben an. Billig tanken bei Szevkos steht da. Das hintere »s« von den Szevkos ist ein bisschen schief und sieht überhaupt ganz anders als die anderen aus. Das muss irgendwann irgendjemand im Nachhinein da oben dazuplatziert haben.

Und so ist also die kleine Tankstelle mit dem kleinen Haus und dem noch kleineren Garten auch an diesem frühen Morgen wieder aufgewacht. Oben zerrinnt der Nachthimmel, ganz langsam ist es heller geworden. Kein Tag noch, aber fast. Die ganzen Tankstellenlichter, die großen und die kleinen, die glitzernden und die verstaubten, sehen gar nicht echt aus. Wie auf einem Bild von so einem amerikanischen Maler, der zum Beispiel im Frühling in Unterhose und mit einem verdrehten Hut auf dem Kopf in seinem weißen Atelier über irgendwelchen Dächern sitzt und dunkelbunte Freiheitsfantasien auf riesige Leinwände spachtelt.

In der einen Richtung verliert sich die Straße im Dunkelviolett, immer der Nacht hinterher. Ein Kirchturm lugt mit seinem Kirchturmspitzenuhrenauge über einen Hügel. Als ob der herüberschauen wollte, herüber zur kleinen Tankstelle und noch weiter hinaus, der Sonne entgegen. Die nämlich geht jetzt auf, dort ganz weit hinten, wo in der anderen Richtung die Straße im gelben Dunst verschwindet. Ein paar vereinzelte Dächer blitzen schon auf, und die Sonne ist rot, und der gelbe Dunst wird weiß, und es flimmert.

Und das ist jetzt wiederum eines von diesen Beispielen, wegen denen sich sogar die ernstesten und wichtigsten Kulturkritiker ihre faltig gereiften Köpfe an der Frage zermartern können: Ist das jetzt kitschig oder schön? Man weiß es nicht.

 

DAS BLAUE FAHRRAD

Herbert weiß das schon gar nicht. Aber der interessiert sich im Moment auch nicht für solche kulturkritischen Überlegungen. Dem sind irgendwann seine Waschanlagenfantasien weggeglitten, eine Weile ist er noch so leer vor sich hin schauend dagestanden, dann aber ist er seiner Mutter hinterher, hinüber und in den Verkaufsraum hinein gegangen. Einen zweiten Morgenkaffee hat er sich gemacht, hat genau hingehört, wie es drinnen in der kleinen Maschine dunkel blubbert, hat sich dann den heißen Becher hinter der Klappe hervorgeholt, einen winzigen, vorsichtigen Schluck genommen und gleich darauf angewidert sein Gesicht verzogen. Mit den Kaffeetrinkern ist es ja so: Entweder du bist einer oder nicht. Herbert ist keiner. Obwohl er jetzt schon seit einigen Jahren mit ziemlicher Regelmäßigkeit fast jeden Morgen um die selbe Uhrzeit, nämlich um fünf nach sechs, mit dem heißen Becher in der Hand vor der Kaffeemaschine steht und sein Gesicht angewidert verzieht. Nur insgesamt zwei Mal hat er das frühe Aufstehen und den Tankstellendienstbeginn versäumt. Einmal war er krank. Und einmal war er verliebt. Aber das ist ja meistens dasselbe.

Den Kaffee hat Herbert ausgetrunken. Jetzt steht er neben der Mutter an einem Regal und ordnet die Zeitschriften. Durch die hohen Scheiben glitzert die Morgensonne herein. Der Verkaufsraum schaut aus, wie ein Verkaufsraum eben so ausschaut. Regale und Ständer mit allerhand Sachen, da die essbaren, dort die ungenießbaren, Motoröle, Starterkabel, Schlüsselanhänger und so. Eine große Kühlwand für die Biere. Dosen und Tuben und Päckchen und Tüten, alles, was man so braucht als Proviant oder als Geschenk. Oder um den schreienden Kindern das Maul zu stopfen. Und dann gibt es noch eine Kasse und eine kleine Bar mit drei Hockern, zwei Zapfhähnen und einem Würstchenwarmhaltebehälter. Zwei Würste liegen da drinnen. Langsam rinnt das Würstchenwasser an der heißen Scheibe herunter. Sicher ist sicher. Manche Leute haben nämlich schon am frühen Vormittag einen ungesunden Appetit.

Obwohl eigentlich sowieso nicht viel zu erwarten ist. Das Tankstellengeschäft hat bessere Zeiten gesehen. Viel bessere. Die Leute tanken lieber in Polen. Oder in noch viel dubioseren Ländern. Oder sie saugen in nächtlicher Heimlichkeit dem Nachbarn mit dünnen Schläuchen das Benzin aus dem Mercedes. Weil: Die große Freiheit auf vier Rädern ist das eine – der Benzinpreis ist das andere. Und Billig tanken bei Szevkos ist auch kein Werbeslogan mit Zugkraft mehr. Billig ist nämlich heutzutage ohnehin fast alles und ziemlich jeder.

Und deswegen stehen Herbert und seine Mutter jetzt eher unaufgeregt nebeneinander am Regal und ordnen die Zeitschriften. Flink sind die Handgriffe, eingeübt und abgestimmt, als ob sich da ein geschickter Choreograf was ausgedacht hätte. Da muss nichts mehr geredet werden. Da versteht sich sowieso alles von selbst. Die Zeitungen ganz nach oben, kurz die Überschriften überfliegen, immer dasselbe, ewig das Gleiche, die Eselsohren mit einer beiläufigen Bewegung geradeknicken, dann die Wochenblätter, hauptsächlich für die Frauen, für die alten, für die jungen, für die ganz jungen und natürlich auch für die Mädchen, Pferde, Ohrringe, Menstruation und so, dann schon die Monatszeitschriften, die mit Anspruch und die ohne, Fernsehen, Autos, nackte Weiber, und ganz unten die Comics, mit eingeschweißten Plastikspielsachen, weil nämlich die Zeichnungen alleine den überfluteten Kinderhirnen schon lange nicht mehr genügen.

»So. Ich gehe die Blumen gießen«, sagt Herbert und stopft das letzte Heftchen an seinen Platz.

»Das sind keine Blumen, das sind Krüppel«, sagt die Mutter.

»Das macht nichts«, sagt Herbert. »Natur ist Natur.«

Mit der Natur hat Herbert den schmalen Grünstreifen zwischen Tankstelle und Straße gemeint. Da drauf, am Fuß des hohen Mastes mit den Benzinpreistafeln und dem Billig tanken bei Szevkos-Schild, steht er jetzt, eine Gießkanne in der Hand, und betröpfelt ein paar winzige weiße Blumen. Vielleicht sind diese Blumen ja wirklich Krüppel, denkt sich Herbert, aber leben tun sie. Trotz den Abgasen und dem ganzen anderen unsichtbaren Dreck in der Luft. Winzig, schief, verbogen und verstaubt stehen sie da. Aber innen drinnen, so stellt sich Herbert vor, pulsiert der Blumensaft. Das Leben lässt sich eben nicht so leicht aufhalten, das pulsiert sich überall durch, sogar an so einem staubüberzogenen Tankstellengrünstreifen am Landstraßenrand.

In einem kleinen Anfall von Übermut beginnt Herbert die Gießkanne immer schneller und wilder hin und her zu schwenken. Glitzernd überschlagen sich die Tropfen in der Luft. Schön ist das. Natürlich hätte er auch den Schlauch nehmen können. Den rotweiß gestreiften Schlauch, der zusammengerollt neben dem Kundentoiletteneingang an der Wand hängt. Damit hätte er das ganze Gras mitsamt Blumen und Unkraut ordentlich und druckvoll einwässern können. Aber er hat sich nun einmal für die Gießkanne entschieden. Herbert entscheidet sich immer für die Gießkanne. Die Ökonomie beim Arbeiten ist ihm nämlich scheißegal. Das Einzige, was zählt, sind die in der Sonne herumtollenden Tropfen. Und nichts anderes.

Im Flimmern der Straße, weit weg noch, regt sich etwas. Etwas blitzt auf. Etwas Blaues. Zu niedrig für einen Traktor, zu schmal für das erste Auto des Tages, sogar zu klein für ein Motorrad. Blitzt blau auf, wackelt hin und her, löst sich aus dem Flimmern und nimmt Gestalt an. Ein blaues Fahrrad ist das. Und darauf ein Mensch mit hellbraunen Haaren. Ganz fest kneift Herbert die Augen zusammen. Nur selten kommen an der Tankstelle Fahrräder vorbei. Manchmal, am Wochenende, verirren sich ein paar dickliche Rennfahrer mit Ansprüchen, aber ohne Kondition. Die strampeln dann schweißnass in ihren eng anliegenden und papageienbunten Anzügen an der Tankstelle vorbei und schauen ernst unter ihren noch bunteren Helmen hervor. Manchmal bleibt einer stehen, steigt keuchend ab, lehnt das federleichte Rennrad an eine Zapfsäule und wankt mit breitem Gang in den Verkaufsraum hinein, ein Wasser, ein Bier vielleicht, ein Würstchen sogar. Oder den Toilettenschlüssel. Und dann steigt er wieder auf und fährt weiter, immer dem Traum von der besseren Figur hinterher.

Aber dieses blaue Fahrrad ist anders. Langsamer. Und kleiner. Ein Klapprad ist das. Eines, wie es früher jedes Kind gehabt hat. Auch Herbert. Nur war Herbert sogar als Kind schon zu lang für ein solches Klapprad. Wie ein Weberknecht hat er ausgesehen, als er damit von der Tankstelle auf der Straße über den Hügel am Kirchturm vorbei und zur Schule gefahren ist. Vor der Schule haben die kleinen Mädchen gekichert und die kleinen Buben gebrüllt vor Lachen. Jeden Morgen ist das so gegangen. Weil die Menschen im Grunde genommen ja recht einfach zu unterhalten sind. Der kleine Herbert hat jedenfalls immer so getan, als würden ihn das Gekicher und das Gebrülle gar nichts angehen, hat sein Klapprad neben all die anderen Klappräder gestellt und ist durch das hohe Tor in die Schule hineinmarschiert, der vormittäglichen Hölle entgegen.

Auf der Landstraße kommt das blaue Klapprad näher. Und jetzt sieht Herbert auch, dass hinten ein Wägelchen befestigt ist. Das schlingert und wackelt leicht hin und her. Beladen ist es auch, allerhand Zeugs türmt sich da auf, verborgen unter einer braunen Wolldecke.

Der Mensch auf dem Klapprad ist eine Frau, so viel kann Herbert jetzt schon erkennen, eine junge Frau. Die hellbraunen Haare sind kurz und stehen irgendwie vom Kopf ab, so, wie es ihnen oder dem leichten Fahrtwind gerade passt. Frisur gibt es keine. Wahrscheinlich hat sich da irgendein unlustiger Friseur schon frühmorgens übergebührlich mit einem dickflüssigen Likör oder einem promillehaltigen Haarwässerchen aus seinem Spiegelschrank beschäftigt. Dabei ist ihm dann vielleicht der Blick für die Symmetrie und auch sonst für alles andere abhanden gekommen. Anders ist so ein Haarschnitt eigentlich nicht erklärbar. Einen gelben Pullover trägt die Frau, trotz der morgendlich aufblühenden Hitze, und darunter eine kurze, hellblaue Hose, ähnlich wie die von Herbert. Die Beine allerdings haben mit seinen Beinen keine Ähnlichkeit. Während nämlich Herberts Beine lang und fadendünn aus seiner kurzen Hose heraushängen, sind die Beine der Frau von gesunder Rundlichkeit. Überhaupt ist diese ganze junge Frau ziemlich rund. Oder dick. Das ist eine Frage der Betrachtungsweise. Gott sei Dank, denkt sich Herbert, hat sie keinen bunten Rennanzug an.

Die Beine also rund und glatt und weiß. Die kurze, hellblaue Hose ein bisschen zu eng. Eigentlich sogar viel zu eng. Ganz genau sieht Herbert, wie sich der Stoff in die pralle Oberschenkelrundlichkeit hineindrückt. Fest und schnell strampeln die Beine an Herbert im Grünstreifen vorbei. Fast hätte er wegen diesem prallen Gestrampel das Gesicht von der jungen Frau verpasst. Aber eben nur fast. Jetzt schaut er doch noch hoch. Sieht die roten schweißglänzenden Backen, die kleine runde Nase, den leicht geöffneten Mund, die Sommersprossen überall; er sieht die hohe Stirn, und die kleinen Ohren sieht er auch. Die braunen kurzen Haare hat er ja schon von weitem gesehen. Die interessieren ihn jetzt gar nicht mehr. Die Augen von dieser jungen Frau interessieren ihn. Die sind groß und hell, nicht blau, nicht grau und auch nicht grün. Irgendwie ist da von allem etwas drinnen in diesen Augen. Einmal hat Herbert im Vormittagsprogramm einen Dokumentarfilm über das Kaspische Meer gesehen. Oder die Nordsee. Oder den Baikalsee. Das ist ja jetzt eigentlich auch egal. Der Film war sowieso stinklangweilig. Aber dieser See oder dieses Meer hat genau so eine Farbe gehabt. Genau so eine Farbe wie die Augen der jungen Frau. Tief soll dieser See oder dieses Meer angeblich sein, sehr tief, unermesslich tief, mit allerhand Vulkanen und Gasen und seltsamen gläsernen Lebewesen, die da unten in der Dunkelheit herumtorkeln. Daran erinnert sich Herbert jetzt. Und er schaut. Und die junge Frau schaut. Und die Zeit ist weg. Und alles andere rundherum auch.

 

KOPFGEWITTER

Aber dann war es aus. Die junge Frau ist vorbeigestrampelt. Dort vorne wackelt sie jetzt schon die Straße hoch. Das Wägelchen schlingert hin und her. Ein Zipfel von der braunen Decke steht hinten ab und flattert leicht. Das Fahrrad ist blau, der Pullover gelb, die Haare braun, die Beine weiß. Und jetzt ist sie weg. Hinter der Hügelkuppe verschwunden. Noch immer steht Herbert recht unmotiviert im Grünstreifen herum, mit der Gießkanne in der Hand. Da hat ihn was erwischt. Irgendwas hat ihn da erwischt. Was das aber jetzt genau sein soll, das kann Herbert nicht sagen. Einmal schaut er noch zur Hügelkuppe. Die liegt da wie immer. Das goldene Kreuz auf der Kirchturmspitze ist gerade noch so winzig glitzernd erkennbar, darüber der Himmel und keine Wolken. Zwei kleine Vögel wirbeln in wildem Streit umeinander. Die werden schon wissen, worum es geht. Dann sind die auch weg. So schnell wird es nicht mehr regnen, hat der Wetterbericht im Radio gemeint. Lange nicht mehr. Eine ungewöhnliche Frühsommerhitze, hat die sonore Wetterberichtsstimme gesagt, aber endlich ist es jetzt vorbei mit den Anoraks, den Stiefeln, den Handschuhen und den Hauben.

Herbert legt den Kopf in den Nacken und schaut hoch. Hitzehell ist der Himmel. Irgendwie verschwommen, denkt er sich, irgendwie flimmerig oder so. Ein besserer Ausdruck fällt ihm jetzt nicht ein. Aber die beiden kleinen Vögel fallen ihm ein, die eben noch da oben umeinander herumgewirbelt sind. Warum eigentlich klein, denkt sich Herbert, warum eigentlich sind diese Vögel klein? Jetzt, wenn er die Augen schließt und sich diese Vögel vorstellt, auf seiner inneren Himmelsleinwand, dann sind sie groß, riesige schwarze Vögel sind das auf einmal. Drehen sich umeinander, immer schneller, immer enger, und dann wiederum ist da nur mehr ein einzelner schwarzer Vogel und dann nur mehr ein einziger schwarzer Fleck oder ein Wirbel oder ein Kreisel oder so etwas.

Herbert reißt die Augen weit auf. Er weiß schon, was jetzt ist. Das kennt er doch. Das war doch schon einmal da. Genau so war das alles schon einmal da. Der Himmel, die Vögel, das blaue Fahrrad, die weißen Beine, die Kirchturmspitze, das goldene Blitzen vom kleinen Kreuz. Und der Geruch. Ein seltsamer Geruch liegt ihm in der Nase. Unbeschreiblich. Und ein seltsamer Geschmack auf der Zunge. Aber er kennt das ja. Genau so hat er das alles schon gesehen, gerochen, geschmeckt und gefühlt.

In Herbert beginnt sich etwas zu bewegen. Als ob sich tief drinnen in ihm etwas lösen würde, so fühlt sich das an. Und dann beginnt es zu kreisen, in Herbert und um Herbert herum. Ganz leicht fühlt er sich auf einmal. Ganz leicht, aber nicht gut, gar nicht gut, so wie er sich dreht unter dem Himmel, so wie sich der Himmel dreht über ihm. So wie sich alles dreht in, über und unter ihm. Und auf einmal ist die Angst da. Im Bauch sitzt die, ganz klein zuerst, aber schnell wird die größer und weiter und noch etwas größer und noch etwas weiter. Und heißer. Und dann steigt die Angst hoch, breitet sich in der schmalen Brust aus, fährt in den Rücken hinein, in den Nacken, füllt den Hals, den Mund, die Augenhöhlen, und dann füllt sie den ganzen Herbert.

Und jetzt beginnt er zu zucken. Das rechte Lid zuerst, dann die Wange, dann der rechte Mundwinkel, dann das Kinn. Seine ganze rechte Gesichtshälfte zuckt und zittert und bibbert. Komisch sieht das aus, lustig vielleicht sogar. Aber Herbert findet das gar nicht lustig. Niemand findet das lustig. Weil es ja auch niemand sieht. Die Straße ist leer. Kein Auto, kein Traktor, kein Moped, kein Fahrrad. Niemand sieht Herberts zuckende rechte Gesichtshälfte, niemand sieht, wie sich seine Finger fest um den knackenden Gießkannengriff krampfen; niemand sieht, wie er den linken Arm in die Höhe reißt, dazu einen steifen Ausfallschritt macht, wie ihm ein Knie einknickt, wie er plötzlich umkippt, wie sich das Gesichtszucken ausbreitet, über den Hals, über die Schultern, die Arme, den Oberkörper, das Becken und in die Beine hinein, und wie er sich im Gras herumwirft, sich bockt und windet und dreht. Das alles sieht niemand. Nicht einmal die beiden Vögel, die jetzt wieder hoch oben im Himmel herumtanzen. Aber wahrscheinlich interessieren sich die sowieso für ganz andere Dinge.

Und auch die Mutter hat zuerst nichts gesehen. Immer noch ist sie am Zeitschriftenregal gestanden, mit dem Rücken zum Schaufenster, aber dann war auf einmal irgendetwas komisch. Irgendetwas hat sie gespürt, und dann hat sie etwas gewusst. So ist das nämlich mit den Frauen, insbesondere mit den Müttern: Die brauchen oft gar nicht hinzuschauen, um etwas zu verstehen. Ob das jetzt die Hormone sind oder der Instinkt oder irgendetwas anderes, lässt sich nicht sagen. Jedenfalls hat die Mutter sich umgedreht und durch die große Scheibe hindurch zum Grünstreifen hinausgeschaut. Den Herbert hat sie natürlich gleich gesehen, wie sich der zuckend und verkrümmt im Gras herumgewälzt und die Gießkanne immer wieder rhythmisch in die Erde hineingedroschen hat. Und da ist sie losgerannt. Aus dem Verkaufsraum hinaus, unter dem Tankstellendach hindurch, an den Zapfsäulen vorbei und zum Grünstreifen ist sie hingerannt. Mit kleinen Schritten, aber schnell. Und während die Mutter so gerannt ist, hat sie in die rotgelbe Kittelaußentasche gegriffen und ein Paar zu einem Knödel zusammengeknotete Socken herausgeholt. Weiße Tennissocken mit einem roten und einem blauen Ringel. Damit ist die Mutter im Grünstreifen angekommen, ist ein paar Mal um den zuckenden Herbert im Gras herumgelaufen, ist geschickt den steifen Schlägen mit der Gießkanne ausgewichen, hat genau geschaut, hat lauernd und mit einer gehörigen Spannung im Kreuz den richtigen Augenblick abgewartet und sich dann mit Schwung auf ihren Sohn geworfen.

Wie zwei seltsame Ringer von sehr ungleichen Ausmaßen haben die beiden ausgesehen, wie sie sich im Gras gewälzt haben. Aber eines ist jetzt auch wieder einmal bemerkenswert: wie sich die Mütterlichkeit über alle naturbedingten Kräfteverhältnisse einfach so hinwegsetzen kann! Gegen die Mütterlichkeit ist ja sogar die Männlichkeit nur ein schwächliches Aufbegehren. Und deswegen hat es die kleine und alte Frau Szevko dann auch irgendwie geschafft, ihren langen und jungen Sohn mit aller Gewalt in die Erde hineinzudrücken, mit einer Hand seinen wild hin und her schlagenden Kopf zu packen, ihm mit der anderen Hand das Tennissockenknödel fest zwischen die Zähne zu drücken und sich schließlich mit einer kräftig federnden Bewegung abzustoßen und seitwärts in Sicherheit zu rollen.

Und so sitzt Frau Szevko jetzt in sicherer Entfernung im Gras und keucht und schaut. Ihrem Sohn schaut sie zu, wie er sich in die Tennissocken verbeißt, wie ihm die vom Blut rosigen Speichelbläschen auf dem Kinn zerplatzen, wie er zuckt, wie er sich wälzt, windet, krümmt und streckt, wie er sich immer wieder aufbäumt und immer wieder mit dem steifen Arm die Gießkanne in die Erde hineindrischt. Ganz genau schaut sich Frau Szevko das alles an. Eine Weile wird das so gehen. Neu ist das nicht. Schön auch nicht. Und jetzt schaut sie hoch zu den Benzinpreisschildern und noch höher in den Himmel hinauf. Aber da oben ist es im Moment auch nicht viel schöner.

 

DIE SCHÖNSTEN BILDER BRAUCHEN KEINEN BLICK

Der Fisch Georg führt eigentlich ein recht beschauliches Leben in seinem kleinen runden Aquarium. Schwimmt hin und her, dreht sich im Kreis, lässt sich auf den kieseligen Grund sinken, hängt manchmal am kleinen hölzernen Schiffswrack herum, trudelt hoch an die Oberfläche, fächelt mit der Schwanzflosse herum, macht ein paar Luftblasen oder steht einfach reglos da, die Schnauze ans Glas gepresst, und schaut ins Zimmer hinaus.

Auch im Zimmer ist selten viel los. Das Einzige, was sich da manchmal bewegt, sind die Sonnenstrahlen, die sich durchs Fenster hereinlehnen, sich als helle Rechtecke auf den Boden, auf das Bett, auf den Stuhl, auf den Schrank, im Winter auch auf die Wand legen und langsam durch den Raum wandern. Heute aber sind die Vorhänge zugezogen. Schummrig ist es, nur die grünlichen Wellenspiegelungen plätschern lautlos überall im Zimmer herum. Im Bett liegt Herbert. Es geht ihm besser. Viel besser. Sogar die Zunge tut nicht mehr weh. Ein bisschen aufgebissen nur. Das verheilt. Vor fast zwei Tagen hat er draußen im Grünstreifen irgendwann aufgehört zu zucken und um sich zu schlagen und ist langsam ruhiger geworden. Die Mutter war da, wie immer. Die hat ihm das nasse Tennissockenknödel aus dem Mund gezogen, hat ihm aufgeholfen, hat ihn gestützt und irgendwie ins Haus, ins Zimmer, ins Bett gebracht. Sie hat ihn zugedeckt, hat sich an den Bettrand gesetzt, seine Hand gehalten und ihn angeschaut mit so einer Liebe im Blick. Herbert hat sie dafür gehasst. Aber gesagt hat er nichts. Wahrscheinlich hätte er sowieso nichts sagen können, wegen den Zungenschmerzen und all den anderen Beschwerden. Und bald ist er eingeschlafen.

Jetzt, zwei Tage später, wacht Herbert wieder auf. Was dazwischen passiert ist, weiß er nicht und will er gar nicht wissen. Wie oft die Mutter im Zimmer gewesen ist zum Beispiel, mit welchen hilfsbereiten Absichten und mit welchen Schüsseln oder so. Schnell schüttelt Herbert derartige Gedanken wieder in seine tiefsten Hirnrinden zurück und macht etwas Angenehmerem Platz. Den Körpergefühlen zum Beispiel. Eines nämlich weiß Herbert: Danach ist es immer schön. Alles ist ganz anders, weich und warm fühlt sich alles an, die Füße nicht mehr so eisig wie sonst meistens. Das Kreuz nicht mehr so verzogen, die Kiefer locker, die Schultern befreit, im Kopf eine helle Leichtigkeit und im Glied eine wohlige Festigkeit.

Immer nach einem Anfall und dem darauf folgenden Erholungstiefschlaf regt es sich da unten besonders vielversprechend. Nicht so verzagt wie sonst jeden Morgen. Die tägliche Morgenfestigkeit in der Unterhose ist der Alltag. Die erste Festigkeit nach einem Anfall ist da schon ein ganz anderes Kaliber. Die ist nicht nur blasenbedingt, die muss man sich nicht herbeiwünschen oder mühsam herbeifantasieren. Und wenn sie einmal da ist, muss man auch nicht krampfhaft versuchen, sie zu erhalten. Das alles weiß Herbert schon. Das alles hat er ja schon oft erlebt, seitdem ihm unten Haare und oben seltsame Träume gewachsen sind. Angenehm liegt das in der Hand, warm und hart und zart pulsierend. Und auch die andere Hand hat was zu tun. Auf dem Bauch liegt die, ganz langsam kraulen sich die Finger durch die Bauchhärchen. Kurz zieht sich alles zusammen, dann entspannt es sich wieder. Herbert schnauft. Fast lacht er. Warm ist die Hand, warm ist der Bauch darunter, warm ist alles da unten. Schön ist das.

Herbert schließt die Augen. Mit der Wärme im Bauch und der Hitze im Kopf kommen die Bilder. Die Bilder, die er so oft schon gesehen hat, die aus den Sexheftchen im Verkaufsraum, die aus den Modejournalen, aus den Comics oder auch die aus manchen Fernsehsendungen. Bilder, wo sich zum Beispiel diverse Frauen in engen Lederanzügen und einer möglichst großen Pistole in der Hand über den Boden wälzen und sich trotzdem die Frisur nicht zerstören.

Herberts Hände wissen von alleine, was sie zu tun haben. Da muss das Hirn gar nicht mehr mitarbeiten. Die eine Hand liegt gut. Die Finger der anderen umschließen die pulsierende Wölbung jetzt ein bisschen fester. Die Bewegungen werden schneller. Ganz schnell und aus dem Handgelenk heraus. Da passt alles. Auf seine Hände kann Herbert sich verlassen in solchen Momenten und sich einfach seinen Bildern widmen. Ein rotglänzender Fingernagel am Finger einer zarten Frauenhand tastet sich langsam an einer Strumpfnaht entlang, hoch geht es, Unterschenkel, Knie, Oberschenkelaußenseite, Oberschenkelinnenseite, noch ein Stückchen höher und wieder zurück. Und wieder hoch. Herbert macht ein Geräusch und legt den Kopf zur Seite. Die Strumpfnaht verformt sich. Heller wird sie und breiter und noch breiter und noch heller. Eine Straße ist das jetzt. Und ganz weit vorne auf dieser Straße löst sich etwas aus dem Sommerflimmern. Etwas Blaues blitzt auf. Ein Fahrrad. Ein blaues Klappfahrrad wackelt auf der Straße, die eben noch eine Strumpfnaht war, näher. Auf dem Fahrrad sitzt jemand. Braune Haare sieht Herbert, einen gelben Pullover, eine hellblaue, kurze Hose und zwei pralle, weiße Schenkel. Ganz genau sieht er, wie sich der Hosenstoff da oben hineindrückt und einen rundlichen Wulst hervorpresst, ganz genau sieht er, wie sich beim Strampeln die Schenkelinnenseiten am Fahrradsitz reiben und wie die Schenkelaußenseiten in der ungewöhnlichen Frühsommerhitze glänzen, ganz genau sieht er die runden, von der Sonne schon ein bisschen rosigen Knie, auf und nieder, auf und nieder.

Das alles und noch viel mehr sieht Herbert mit geschlossenen Augen. Die schönsten Bilder brauchen nämlich keinen Blick.

Die weniger schönen aber schon. Deswegen sieht er jetzt nicht, wie die Zimmertür aufgeht. Und er sieht auch nicht, dass seine Mutter mitten im Zimmer steht. Nur ein kleines helles Klimpern dringt zu ihm durch. Das will nicht so recht passen zu den Bildern von rosigen Knien und weißen Wülsten. Noch einmal klimpert es. Und plötzlich ist Herbert alles klar. Etwas Heißes fährt ihm ins Herz. Und etwas saugt ihm das Wohlige aus dem Bauch und die Festigkeit aus dem Glied. Das ist die Scham.

Herbert öffnet die Augen. Die Mutter steht da und rührt sich nicht. Wie eingefroren. Er blinzelt. Dann streckt er sich, räkelt sich und gähnt. Und gleich noch einmal gähnt er. Herbert kann auf einmal gar nicht mehr aufhören zu gähnen, sich zu strecken und zu räkeln. Vielleicht will er sich eine Gemütlichkeit herbeiräkeln. Oder sich selbst irgendwohin. Die Mutter schaut. Ein Tablett hat sie in den Händen. Daher also das Klimpern. Ein Teelöffel, eine Untertasse, eine Kanne, Kekse, Kuchen und so. Herbert versucht ein bisschen zu lächeln. Möglichst verschlafen soll das aussehen. Aber die Mutter hat schon verstanden. Die taut jetzt auf und beginnt auch zu lächeln. Natürlich: Herbert ist eben erst aufgewacht. Was soll denn sonst gewesen sein? Nichts. Ein bisschen hat er sich eben bewegt im Schlaf, hat sich aus seinen Träumen herausgezuckt. So wird das gewesen sein. So war das. Was anderes hat die Mutter nicht gesehen. Was soll sie denn auch schon anderes gesehen haben? Natürlich nichts.

»Guten Morgen!«, sagt die Mutter.

»Wie spät ist es denn?«, fragt Herbert.

»Zwei Uhr nachmittags«, sagt die Mutter.

»Aha«, sagt Herbert.

»Ja«, sagt die Mutter.

»So was«, sagt Herbert.

»Na ja«, sagt die Mutter.

Und so ist Herbert aus seiner zweitägigen Erholungswärme wieder zurück ins Leben gefallen. Die Mutter hat ihm das Tablett neben das Bett auf das Nachtkästchen gestellt, hat sich über ihn gebeugt und ihm mit zwei Fingern langsam ein paar Haarsträhnen aus der Stirn gewischt. Herbert hat ihr in die Augen geschaut. Und in dem ganzen Hellblau hat er sich kurz selbst erkannt. Wo er herkommt. Wo er ist. Und wo alles hingehen wird. Nirgendwohin nämlich. Und da hat er wieder weggeschaut, zur Tapete hin. Die Mutter hat sich die Schürze glatt gestrichen und ist gegangen. Herbert ist eine Weile einfach so liegen geblieben. Die Festigkeit zwischen den Beinen war nur mehr eine Erinnerung. Und dann war auch die weg. Alles im Herbert war weg. Da war nichts mehr. Ruhig war es jetzt wieder im Zimmer. Nur im Aquarium hat es leise geplätschert. Georg hat sich auf den Grund trudeln lassen. Und ist wieder hochgestiegen. Einmal ist er hin und einmal ist er her geschwommen, dann hat er sich mit der Schnauze an die Scheibe gehängt und hat gar nichts mehr gemacht. Ja, hat sich Herbert gedacht, so ist das Leben. Genau so.

Und plötzlich war es ihm zu eng. Im Haus, im Zimmer, im Bett, in seinem Pyjamaleibchen und in ihm selber. Alles war ihm auf einmal zu eng. In seinem verkrampften Kiefer hat es geknackst. Ganz leise nur. Aber Herbert hat es gehört. Und komisch: Dieses leise Kieferknacksen ist ihm wie ein Startschuss vorgekommen. Mit einer überraschenden Geschwindigkeit hat er daraufhin seinen langen Körper aus dem Bett geschleudert und ist ein bisschen wankend, aber doch ziemlich aufrecht mitten im Zimmer gestanden, das Kinn höher als sonst. Etwas hat unter seinen Haarspitzen gekribbelt. Und etwas hat geglänzt in seinem Blick. Stärker noch als sonst. Das war die Entschlossenheit.

 

DAS DORF

Und die Entschlossenheit ist auch geblieben. Die sitzt Herbert jetzt immer noch im Gesicht, während er die Straße entlang marschiert mit langen, energischen Schritten.

Die Mutter hat schon komisch geschaut, als er einfach so aus dem Haus gerannt ist, ohne ein Wort zu sagen. Aber schließlich ist er ja niemandem Rechenschaft schuldig. Niemandem und für nichts! Die Zeiten von irgendwelchen Rechenschaften sind endgültig vorbei. Die Tankstelle mitsamt Haus, Zimmer, Bett und Mutter liegt schon ein paar hundert Meter hinter ihm. Überhaupt liegt eigentlich alles hinter ihm, denkt sich Herbert, alles und jedes, vorbei und vergessen, jetzt wird nur mehr nach vorne geschaut, neue Zeiten, ein neues Leben, es geht voran! Dort vorn zum Beispiel, dort nähert sich schon die Hügelkuppe, hinter der vor zwei Tagen das blaue Fahrrad mit dem wackeligen Anhängerwägelchen und der prallen jungen Frau verschwunden ist. Schon ist die Zeit zu erkennen auf der Kirchturmspitzenuhr, halb drei am Nachmittag, die beste Tageszeit, um sein Leben zu ändern, denkt sich Herbert. Weit kann man von der Hügelkuppe in alle Richtungen schauen. Die Straße, hinten die Tankstelle, vorne das Dorf, rundherum die Landschaft. Mit Feldern, Wiesen, Kühen, Hochspannungsleitungen und so. Früher ist Herbert auch immer über diese Hügelkuppe gelaufen, fast jeden Tag, fast immer widerwillig und gezwungen. Zur Schule nämlich. Und noch viel früher in den Kindergarten. Aber da hat er noch gelbe Pudelhauben getragen und ist an der Mutterhand gehangen. Fast hätte Herbert laut aufgelacht bei diesem Gedanken. Vorbei! Alles vorbei. Weit ist die Aussicht, weit ist die Zukunft, und weit ist Herberts Herz. Tief atmet er die frühe Sommerluft ein. Warm ist die und würzig und leicht. Und auf einmal gibt er sich einen Ruck und rennt los. Mit dem eigenen Lebenshunger rennt Herbert um die Wette, den Hügel hinunter und auf das Dorf zu.

Im Dorf ist nicht viel los. Wie meistens eigentlich. In den späten Siebzigerjahren sind einmal verschiedene Männer mit Anzügen, Hüten und wichtigen Gesichtern am Marktplatz auf und ab gegangen. Dabei haben sie pausenlos riesige Pläne auseinander- und wieder zusammengefaltet, recht wild herumgestikuliert und von irgendwelchen Infrastrukturen geredet. Die Pensionisten auf der Holzbank neben dem kleinen Brunnen haben sich gewundert, nichts verstanden und sich bald wieder für die Tauben zu ihren Füßen und für ihre Krankheiten interessiert. Ein paar Wochen später sind dann die Baumaschinen gekommen. Und noch ein paar Wochen später waren die Holzbank, der kleine Brunnen und die Pensionisten verschwunden. Eigentlich war der ganze Marktplatz weg. Stattdessen war ein riesiges Loch da. In dem haben zwei Bagger und viele Arbeiter herumrumort. Eine Tiefgarage wird das, hat es geheißen, mit Hochgarage darüber. Überhaupt war von großen Veränderungen die Rede. Wegen dem Wirtschaftswachstum nämlich. Gar nicht mehr aufzuhalten war diese Wirtschaft ja damals, nach allen Richtungen ist die gewachsen, geradezu eine Wirtschaftswucherung war das. Viele Leute sind ganz blöd geworden im Kopf wegen den vielen schönen und aufregenden Aussichten. Die meisten eigentlich. Ein paar nicht. Das waren die Männer in den Anzügen, mit den Hüten, den Plänen und den wichtigen Gesichtern. Die, die sich das ausgedacht haben mit der neuen Straße. Nicht irgendeine Straße, nein, eine Achse haben sich diese Männer ausgedacht, eine zwischen irgendwelchen Himmelsrichtungen, eine, die auf einen Schlag alle möglichen Städte und Staaten in halb Europa miteinander verbinden sollte. Und an dieser Straße eben das Dorf. Entwicklungsgebiet, Industriestandort, Verkehrsknotenpunkt mit Naherholungswert und allem Drum und Dran. Was kann man da noch mehr wollen? Eigentlich nichts.

Und darum also hat es damals auch nicht allzu lange gedauert, und das alte Dorf war nicht mehr wiederzuerkennen. Sozusagen fortentwickelt. Das neue Dorf sieht anders aus. Der Marktplatz hat jetzt eine Tief- und eine Hochgarage, Betonbänke und Betonschüsseln mit Geranien. Das Wirtshaus hat Sonnenschirme, eine Reklametafel, orangefarbene Plastikstühle vor dem Eingang und allerhand bunte Getränke auf der Karte. Der Lebensmittelladen hat sich vergrößert, das Gemeindeamt auch, an einer Ecke steht ein silbriges Toilettenhäuschen, an einer anderen Ecke steht, wie aus der Zeit gefallen, der riesige Glaskasten vom neu errichteten Hallenbad. Zu den übriggebliebenen alten Wohn- und Bauernhäusern sind neue dazugekommen. Die stehen in langen Reihen eng nebeneinander, und eines sieht aus wie das andere, die Dächer rot wie die Backen der Gartenzwerge, die Hecken akkurat frisiert. So nahe können Romantik und Depression beieinanderliegen.

Vielleicht ist das Wirtschaftswachstum in den damaligen Jahren aber irgendwie am Dorf vorbeigerauscht, vielleicht hat es auch nie eines gegeben. Man weiß es nicht so genau. Jedenfalls waren die wichtigen Herren mit den Hüten und den Plänen auf einmal weg. Mitsamt dem damaligen Bürgermeister. Irgendwann hat ihn nachts ein schlafloser Dörfler in seinem neuen, sehr flachen und sehr rot glänzenden Wagen davonrauschen gesehen. Und zwar auf der alten Straße. Die neue ist nämlich doch nicht gebaut worden. Und von Entwicklungsgebieten, Industriestandorten, Verkehrsknotenpunkten und Naherholungswerten war auch bald keine Rede mehr.

Und weil ein neues Gesicht noch lange kein neues Herz macht, ist der dörfliche Herzschlag der gleiche geblieben, trotz dem ganzen Beton und Glas. Das Dorf suhlt sich wieder in seiner eigenen Ruhe und Beschaulichkeit.

Als letzte, weithin sichtbare Erinnerung an die Zeiten vor den späten Siebzigern steht die kleine Kirche mit dem spitzen Kirchturm da. Die Uhr zeigt fünf nach halb drei. Darüber sitzt auf einem kleinen Vorsprung eine Taube. Die interessiert sich nicht für die Uhrzeit. Die interessiert sich überhaupt für recht wenig. Die putzt sich die Federn und sonst nichts. Und dass jetzt gerade weit unter ihr ein langer und dünner Mensch an der Kirche vorbei und auf den Marktplatz zurennt, das ist dieser Taube sowieso scheißegal.

Den paar verdrückten Pensionisten, die auf einer der Betonbänke dicht nebeneinander aufgereiht sitzen, aber nicht. Geradezu alarmiert sind die. Herausgerüttelt aus lustvollen Jugenderinnerungen oder noch lustvolleren Krankheitsfantasien. Herausgerissen aus heiseren Debatten. Weil da jemand angerannt kommt, sich viel zu schräg in die Kurve legt, ins Rutschen gerät, ins Straucheln, ins Stolpern, ins Stürzen, schließlich die letzten Meter auf der fein bekieselten Betonfläche entlangschlittert und genau vor der Pensionistenbank liegen bleibt.

»Das ist doch der Szevko-Bub. Mein Gott, ist der groß geworden!«, sagt einer von den Pensionisten. Und da hat er recht.

Herbert liegt da und nickt.

»Guten Tag!«, sagt er. »Haben Sie eine Frau gesehen?« Dabei rappelt er sich möglichst unauffällig auf und tut so, als ob nichts passiert wäre. Die Schürfwunde an der Hüfte wird er sich später anschauen. »Eine Frau auf einem blauen Fahrrad mit Anhänger?«

Da schauen die Pensionisten. Schauen Herbert an, schauen an ihm vorbei oder durch ihn hindurch. Ab einem gewissen Alter ist das so eine Sache mit der Blickgenauigkeit. Ein paar von ihnen haben die Frage verstanden. Langsam schütteln sie ihre grauen Köpfe. Einer schüttelt sowieso immer den Kopf, Tag und Nacht. Der zählt nicht. Ein anderer schläft. Einer aber, einer der ganz außen sitzt, hebt langsam den gichtigen Zeigefinger und sagt:

»Im Bad! Im Bad, mein Junge!« Der Gichtfinger zeichnet eine kleine Figur in die Luft. Kaum zu verstehen war das krächzende Stimmchen, die Stimmbänder zerkratzt vom langen Leben. Aber Herbert hat genau aufgepasst.

»Danke«, sagt er. »Vielen Dank!« Und dann rennt er wieder los. Zum Bad.

Vom Marktplatz herunter und um die nächste Ecke rennt Herbert. Und komisch: Jetzt erst fällt ihm auf, dass er gar nicht sagen könnte, wer jetzt eigentlich von diesen Pensionisten ein Mann und wer eine Frau gewesen ist. Vielleicht spielt das ja irgendwann auch keine Rolle mehr, denkt er sich und rennt weiter, mit brennender Lunge und fliegenden Beinen.

Am Wirtshaus rennt er vorbei, am Toilettenhäuschen, am Lebensmittelladen, am Kindergarten. Da drinnen, auf der Kindergartentoilette, hat es den kleinen Herbert vor vielen Jahren das allererste Mal umgeschmissen, daran erinnert er sich jetzt. Der erste Anfall. Die Kindergartentante hat den kleinen Herbert irgendwann vermisst, gesucht und im Bubenklo gefunden. Auf dem gekachelten Boden ist er zuckend in seiner eigenen Pfütze gelegen. Die Tante hat zu schreien begonnen und angeblich erst drei Stunden später und nach einem Beruhigungsschnaps wieder aufgehört. Ein Doktor ist gekommen. Und der Kindergartenhausmeister. Einer von den beiden hat Herbert dann nach Hause gebracht. Zwei Tage lang ist er in seinem Zimmer im Bett gelegen. Zwei Tage ist seine Mutter bei ihm am Bettrand gesessen. Dann ist der kleine Herbert mit einer aufgebissenen Zunge aufgewacht, hat in die großen, glänzend hellblauen Mutteraugen über ihm geschaut und hat sich das erste Mal in seinem Leben geschämt. Die Zungenschmerzen sind wieder weggegangen. Die Scham nicht mehr.

Das alles fällt Herbert jetzt wieder ein. Neben dem Kindergarten steht die Schule. Dazu will ihm aber lieber nichts einfallen. Schnell geht es weiter. Herbert keucht, der Schweiß steht ihm auf der Stirn, im Nacken, überall eigentlich, drinnen klopft dunkel das Herz. Aber unangenehm ist das nicht. Da tut sich was.

Am Zaun geht es entlang, vorbei an der Polizeistube, vorbei am Dorfjugendklub, einmal noch um die Ecke und aus. Herbert bleibt stehen. Das Hallenbad steht vor ihm. Groß, hoch, quadratisch und gläsern. Vielleicht hat sich ja damals in den späten Siebzigerjahren irgendein vom Ehrgeiz befreiter Architekt von einem schlauen Glasermeister bestechen lassen. Jetzt steht das Bad jedenfalls da, mitten im Dorf. Der Bürgermeister und der Bademeister sind ganz stolz darauf. Obwohl sich eigentlich jeden Tag nur wirklich sehr wenige Dörfler ins Bad hineinverirren und die Erhaltungskosten das halbe Dorfvermögen auffressen. Der Abriss und die Entsorgung wären aber angeblich noch viel teurer. Also bleibt der Kasten eben einfach stehen.

Schon oft hat Herbert das Hallenbad von außen gesehen, drinnen war er nie. Vom Schwimmunterricht, üäääü