Dietrich Schulze-Marmeling

Guardiola

Der Fußball-Philosoph

VERLAG DIE WERKSTATT

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ISBN 978-3-7307-0065-5

Inhalt

Vorwort

Ein Katalane in München

 1  Ein Schlaks aus Katalonien
Peps Entdeckung / Leben in La Masia / Prägung durch Johan Cruyff / Der Wissbegierige

 2  Der Stratege des Dream-Teams
Der Aufstieg zum Führungsspieler / Gewinn der europäischen „Königsklasse“ 1992 / Olympisches Gold im Camp Nou

 3  Pep, Bobby, Mou, Juanma und Louis
Guardiola und die Trainer: Keine Probleme mit Mourinho / Bewunderung für Juanma Lillo / Reibereien mit van Gaal

 4  Ein Fußballprofi auf Bildungsreise
Ein Kicker mit intellektuellen und kulturellen Interessen / Dopingaffäre in Italien / Ein Freund Katars / Schlusspunkt in Mexiko

 5  Zurück in Barcelona
Gespräche mit großen Vorbildern / Trainer von Barças B-Team / Guardiola statt Mourinho als Chefcoach

 6  Der Nationaltrainer Kataloniens
Ein „katalanischer Idealbürger“ / Eine „Nation der Wohlerzogenen“ / Barça als katalanische Nationalmannschaft

 7  „Cruyffismo“ remastered
Peps Philosophie I: Kein Training ohne Ball / Spielerische Intelligenz / Demut im Sieg / Offensives Spektakel / Die Rückkehr der Kleinen

 8  „Cruyffismo“ reloaded
Peps Philosophie II: Catenaccio offensiv / Der „falsche Neuner“ / 4-3-3 / 3-4-3 / 3-3-4

 9  Der erste „Sextuple“-Trainer
Abschied von alten Stars / „Fußball wie im Paradies“ / 6:2-Erfolg im Bernabéu / Triumph in der Champions League 2009 / Die Rückkehr des „totalen Fußballs“

10  Erste blaue Flecken
Das Experiment mit Ibrahimovic / Mourinho knackt den Barça-Code / Titelverteidigung in Spanien 2010 / „Mein schlechtester Trainer“

11  Spanischer Fußballkrieg
Ein Glücksritter im Ferrari / Barças 5:0 in Madrid / Vier Clásicos in 17 Tagen / Mourinhos Verschwörungstheorien / Das neue Dream-Team 2011

12  Abschied aus Barcelona
Zu Besuch in München / Ärger mit dem Präsidenten / Misserfolge bei der Titeljagd 2012 / „Ich fühle mich aufgezehrt“

13  Zwischen Hudson River und Isar
Ein Bayer in New York / Die Liebe zum englischen Fußball / Alle wollen Pep / Die Bombe platzt / Verlierer Mourinho

14  Warum Deutschland, warum Bayern?
„Ritterschlag für die Bundesliga“ / Bald Nummer eins in Europa? / Solide Finanzen und gute Jugendarbeit / Regionale Identität und politische Wünsche

15  Josef und Josep
Bayerns Vorbild Real / Die Suche nach einer Spielidee / Jupp Heynckes, der unterschätzte Modernisierer / Annäherung an Barça

16  „Die Schöpfung ist niemals vollendet“
Mutmaßungen über Peps Chancen / Spielverderber Sammer? / Kann Bayern noch besser werden? / Trost von Immanuel Kant

Kurzbiografie Josep Guardiola

Bilder

Zum Autor

„Wir spielen linken Fußball. Alle machen alles.“

Pep Guardiola

„Das Geheimnis des Fußballs ist Zeit, Raum und Täuschung. Wie im Leben. Mit der Zeit umgehen, Räume finden und mit der Täuschung zurechtkommen.“

César Luis Menotti

„Die Schöpfung ist niemals vollendet. Sie hat zwar einmal angefangen, aber sie wird niemals aufhören.“

Immanuel Kant

VORWORT

Ein Katalane in München

Am 16. Januar 2013 vermeldet der FC Bayern die Verpflichtung des Trainers Josep „Pep“ Guardiola zur Saison 2013/14. Die Nachricht schlägt wie eine Bombe ein, denn der 42-jährige Katalane ist derzeit der spannendste und begehrteste Trainer des Weltfußballs.

Zweimal hat Guardiola mit dem FC Barcelona in beeindruckender Weise die Champions League gewonnen, er gilt als „Schirmherr des schönen Fußballs“ (Ronald Reng). Für den „kicker“ ist „Fußball à la Guardiola das Muster für schönes Spiel mit all seinen modernen Facetten“. Weshalb alle, die Rang, Namen und/oder viel Geld im Fußball besitzen, ihn seit seinem Rücktritt bei Barça im Sommer 2012 jagten: Manchester City, Chelsea, Paris St. Germain, die Mailänder Klubs AC und Inter sowie Katar, das steinreiche Austragungsland der WM 2022.

Das Rennen aber macht der FC Bayern München. Mit einem kolportierten Jahresgehalt von acht bis zehn Millionen Euro wird Guardiola zwar zum bestbezahlten Trainer der Bundesligageschichte. Aber verglichen mit dem, was die Konkurrenten boten, bekommt ihn der deutsche Rekordmeister für weniger als die Hälfte des handelsüblichen Preises.

In München, wo Spieler häufig größer waren als ihre Trainer, ist nun der größte Star der Trainer. Als Guardiola am 24. Juni 2013 den Medien präsentiert wird, warten im Presseraum der Allianz Arena rund 250 Journalisten auf den ersten Auftritt des Mannes aus Katalonien. Es ist die bestbesuchte Pressekonferenz in der Geschichte des Klubs.

José Mourinho, Guardiolas großer Rivale, hatte sich 2004 beim FC Chelsea mit den Worten vorgestellt: „Entschuldigen Sie, wenn das arrogant klingt: Chelsea hat jetzt einen Toptrainer. Ich bin nicht arrogant, sondern ein Topmanager. Ein ganz besonderer.“

Louis van Gaal, einer von Guardiolas Vorgängern beim FC Bayern, erzählte auf seiner ersten Pressekonferenz in München, dass er ein Trainer sei, der „überall, wo ich war, Geschichte geschrieben“ habe, und präsentierte sich als Übervater, an dessen Wesen der FC Bayern und der deutsche Fußball genesen mögen.

Während sich Mourinho als „The Special One“ vorstellte und van Gaal als Trainergott, wird Guardiola zwar wie der Heiland angekündigt. Aber dort auf dem Podium in der Allianz Arena sitzt nun – eingerahmt von Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge – ein Mann, dessen Auftreten im krassen Gegensatz steht zu dem Hype, der um ihn herum betrieben wird. Der den Eindruck erweckt, als habe er bislang eher den SC Freiburg oder Mainz 05 trainiert und nicht mit dem FC Barcelona innerhalb von nur vier Jahren 14 Titel geholt. Und dessen Demut und Bescheidenheit an diesem Montagmittag auch auf die Bayern-Bosse überspringt. Normalerweise lässt sie so ein Coup, und dies ist vielleicht der größte in ihrer Amtszeit, vor Stolz platzen.

Pressesprecher Markus Hörwick pfeift erst um fünf Minuten nach zwölf an, „denn zuvor laufen ja überall noch die Nachrichten, und es passieren so wichtige Dinge auf der Welt“. Daran muss erinnert werden, denn fast hätte man vergessen, dass es auch noch die Proteste in der Türkei gibt, den Krieg in Syrien, die Jagd der USA auf den vermeintlichen Spion Edward Snowden, die Verurteilung des ehemaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi zu sieben Jahren Haft oder das Dauerthema Eurokrise.

Und dann ist da noch Bundeskanzlerin Angela Merkel, die stellt an diesem Montag ihr Wahlprogramm vor. Schlecht getimed von ihren Wahlkampfstrategen, denn wen interessieren schon die vielen angekündigten Geschenke, wo doch endlich das monatelange Warten auf Pep Guardiola ein Ende hat.

„Guten Tag, grüß Gott, meine Damen und Herren, verzeihen Sie mir mein Deutsch – aber ich habe ein Jahr in New York gelebt, und es ist nicht der optimale Ort, um Deutsch zu lernen“, begrüßt Pep Guardiola die Anwesenden. Es sei „ein Glück, ein Geschenk, hier zu sein.“ Er habe sich für die Bayern „wegen ihrer Geschichte“ entschieden, es gebe „wenige Vereine in der Welt, die speziell sind, und Bayern München ist einer dieser Vereine – wenn sie mich rufen, ist das eine Riesenchance für mich.“

Auch mit den Bayern möchte Guardiola „immer angreifen. Das ist meine Idee von Fußball.“ „Ich möchte immer angreifen“ – hat schon jemals ein Mensch diesen Satz in einem so schönen, freundlich klingenden Deutsch ausgesprochen wie der kultivierte Fußball-Verbesserer aus Katalonien? Zumindest noch kein Deutscher. Und wurde schon jemals mit diesem Satz, wenn er in deutscher Sprache vorgetragen wurde, so viel Positives assoziiert?

Mit Pep Guardiola bereichert ein Trainer die Bundesliga, den FC Bayern und das CSU-Land Bayern, den die Abenteurer und Offensivgeister seiner Branche inspirierten: César Luis Menotti, Marcelo Bielsa, Juanma Lillo und Johan Cruyff. Und über den der Argentinier Menotti, der Nestor eines „linken“ Fußballs, dem „Süddeutsche Zeitung Magazin“ erzählt: „Er (Guardiola) hat eine Vorstellung, wie sein Orchester klingen soll. Wenn einem Trainer nur wichtig ist zu gewinnen, dann wird es schwieriger. Außerdem hat er seinen Spielern etwas in den Kopf gesetzt, was andere Mannschaften nicht haben: Aus der Ordnung heraus gibt es eine große Freiheit für das Abenteuer. (…) Ein großartiger, intelligenter Trainer, der den Fußball liebt, aber nicht nur den Fußball. Frei nach Hippokrates: Wer nur die Medizin kennt, der weiß nichts von der Medizin, und wer nur vom Fußball was versteht, der versteht nicht mal was vom Fußball. (…) Guardiola ist ein Trainer aus unserer Ecke, aus Berufung.“

Wir dürfen gespannt sein.

Dietrich Schulze-Marmeling

Juli 2013

KAPITEL 1

Ein Schlaks aus Katalonien

Peps Entdeckung / Leben in La Masia / Prägung durch Johan Cruyff / Der Wissbegierige

Die 7.500-Seelen-Gemeinde Santpedor liegt in Zentralkatalonien und ist Teil der Provinz Barcelona. Bis in die 70 Kilometer südöstlich gelegene Metropole benötigt man mit dem Auto eine knappe Stunde. Santpedor macht aus seiner katalanistischen Gesinnung keinen Hehl. Von den Balkonen hängt die Senyera, die Flagge Kataloniens, Graffiti künden vom Kampf für die Unabhängigkeit Kataloniens. Auch in den Jahren der Franco-Diktatur, als die katalanische Sprache verboten war, wurde in den Häusern und auf den Straßen des Ortes katalanisch gesprochen.

Auf dem Weg nach Barcelona passiert man das auf einem Berg liegende berühmte Benediktinerkloster Montserrat, in den Jahren der Franco-Diktatur Zufluchtsort für politisch Verfolgte und ein Hort des Widerstands. 1970 versammelten sich hier im Schutz der Klostermauern fast 300 Intellektuelle und verabschiedeten ein „Manifest von Barcelona“, das weltweit Beachtung fand. Die Unterzeichner forderten eine Generalamnestie für alle politischen Häftlinge des Regimes, die Abschaffung von Sondergerichtsverfahren und der Todesstrafe sowie die Errichtung eines „wahrhaft demokratischen Staates, der die Ausübung der demokratischen Freiheiten und Rechte der Völker und Nationalitäten, die den spanischen Staat bilden, einschließlich des Rechts auf Selbstbestimmung, gewährleistet“.

Von diesem Geist scheinen die Einwohner Santpedors noch immer beseelt; man wählt links und katalanistisch. 2013 heißt die Erste Bürgermeisterin des Ortes Laura Vilagrá i Pons und wird von der Esquerra Republicana de Catalunya (Republikanische Linke Kataloniens, ERC) gestellt. Zweitstärkste Partei ist die Partit dels Socialistes de Catalunya (PSC), eine regionale Schwesterpartei der spanischen PSOE. Die bürgerlich-konservativen Nationalisten von der Convergència i Unió (CiU) sind nur drittstärkste Kraft im Lokalparlament.

Der Balljongleur

Hier in Santpedor kommt am 18. Januar 1971 Josep „Pep“ Guardiola i Sala zur Welt. Sein Elternhaus steht an der Placa de la Generalitat (Hausnummer 15), benannt nach den autonomen Institutionen Kataloniens.

„Man darf nie vergessen, woher man kommt“, wird Pep Guardiola später oft sagen. Er wächst in bescheidenen Verhältnissen auf, sein Vater Valentí ist Maurer und besitzt ein kleines Bauunternehmen. In allen Schilderungen von Peps Jugend erscheint seine Familie als Bilderbuch-Repräsentant „katalanischer Tugenden“: Fleiß, Stolz und Leidenschaft sind die immer wiederkehrenden Begriffe, wenn es um die Familie Guardiola geht.

Der junge Guardiola besucht zunächst die örtliche Klosterschule. Im Alter von sieben Jahren wechselt er auf das Colegio La Salle de Manresa in der benachbarten Stadt Manresa, wo auf Katalanisch unterrichtet wird. Spanisch wird nur im Spanischunterricht gesprochen. Manresa zählt etwa 75.000 Einwohner und ist stolz auf seine imposante Kathedrale namens Santa Maria de la Seu.

Eine seiner Lehrerinnen ist Maria Carme Bosch, die sich gegenüber dem „kicker“ an einen Schüler erinnert, dem das Lesen und der Musikunterricht besonderen Spaß machten. Später habe ihr Guardiola erzählt, dass hier sein Interesse an Literatur und Musik geweckt worden sei. Der Schüler Guardiola sei nicht streitlustig gewesen, „aber er hatte schon Charakter, einen Führungscharakter“. Deshalb wird er „Sportbeauftragter“ der Schüler. Bei Schulturnieren muss er Mannschaften zusammenstellen, nicht nur im Fußball, sondern auch im Basketball, der zweitbeliebtesten Mannschaftssportart in Spanien.

Dass er seine Kindheit auf dem Dorf verbringt, betrachtet Guardiola später als Vorteil. Denn hier existieren noch Räume für den Straßenfußball: Im Dorf lässt sich „viel leichter eine Hauswand finden, an der man üben kann, als im Zentrum einer Stadt, wo es fast unmöglich ist, auf der Straße Fußball zu spielen. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich mit dem Spielen anfing. Aber solange ich denken kann, hatte ich immer einen Fußball dabei. Jeder erinnert sich an mich als das Kind, das immer mit einem Fußball unterwegs war.“

Auch auf dem Schulhof jongliert Pep mit dem Ball. Ramon Casado und Antoni Marsel, Trainer des lokalen Klubs Gimnàstic de Manresa, werden auf sein Talent und seine Leidenschaft aufmerksam und nehmen ihn unter ihre Fittiche. Guardiola: „Ohne sie wäre ich nicht geworden, was ich heute bin.“

Jahrzehnte später, 2007, wird der Verein seines Geburtsortes, der Club de Futbol Santpedor, einen drei Millionen Euro teuren neuen Sportplatz nach dem größten Sohn des Dorfes benennen. Guardiola kommt zur Einweihung. Und mit ihm eine Reihe von Spielern aus Barças legendärem Dream-Team, das 1992 den Europapokal gewann.

La Masia

Im Sommer 1971, dem Geburtsjahr Pep Guardiolas, wird der Niederländer Rinus Michels Trainer des FC Barcelona. Michels gilt als Vater des „Fußball total“, mit dem Ajax Amsterdam Anfang der 1970er Jahre Europa erobert und die niederländische Nationalelf – trainiert von Michels – bei der WM 1974 die Fußballwelt zum Staunen bringt. Michels professionalisiert die Jugendausbildung des FC Barcelona. Schon damals entsteht die Idee einer alle Altersklassen integrierenden einheitlichen Spielphilosophie. Michels ist auch der Erste seiner Zunft, der auf kleinen Spielfeldern und mit Mini-Toren trainieren lässt. Die Spieler sollen lernen, auch unter Druck sauber zu passen und schnell und richtig zu handeln. Außerdem übt Michels das Pressen, die Verengung des Raumes für den ballbesitzenden Gegner.

Ende der 1970er schlägt Johan Cruyff, der von 1973 bis 1978 für den FC Barcelona spielte, dem Barça-Präsidenten Josep Lluis Núñez den Aufbau einer Jugendakademie nach dem Vorbild von Ajax Amsterdam vor. Hauptquartier wird ein an der Avinguda Joan XXIII bzw. im Schatten des Camp-Nou-Stadions gelegenes altes Landhaus (katalanisch: Masia): La Masia. Neben dem monströsen Betonklotz wirkt das 1702 errichtete Gebäude ziemlich aus der Zeit gefallen.

Während der Bauphase des am 24. September 1957 eröffneten Camp Nou hatte La Masia den Architekten und Ingenieuren als Büro gedient. Im September 1966 zog die Klubverwaltung in das Landhaus ein, aber mit den Jahren wurde das Gebäude für die wachsende Zahl der Angestellten zu klein. Erster Direktor der Nachwuchsakademie wird Oriol Tort. Im Landhaus sind die auswärtigen Jugendlichen untergebracht, und zu ihnen wird auch Pep gehören.

Bei Gimnàstic de Manresa ist der schlaksige Junge der Beste in seiner Altersklasse. Er spielt mit dem Team wiederholt gegen Barças Nachwuchsteams und fällt dabei den Scouts auf. Dass er im Alter von elf Jahren erstmals zu einem Sichtungstraining eingeladen wird, hat er allerdings einem Alleingang seines Vaters zu verdanken. Valentí Guardiola entdeckt in einer Sportzeitung ein Anmeldeformular für Jugendliche, die sich beim FC Barcelona zum Probetraining vorstellen möchten. Der Sohn wird ohne sein Wissen vom Vater angemeldet. Erst einige Tage später hört Pep, dass der FC Barcelona ihn sehen möchte.

Im Sichtungstraining wird Pep Guardiola zunächst als Flügelspieler geprüft, eine Position, für die ihm die Voraussetzungen fehlen und auf der er enttäuscht. Der Kandidat ist langsam und kann weder überdurchschnittlich dribbeln noch schießen. Am dritten Tag erhält Guardiola eine weitere Chance im zentralen Mittelfeld, die er zu nutzen weiß. Barça-Scout Jorge Naval, ein ehemaliger Schiedsrichter, sieht einen Jungen, dessen Spielweise „jener eines Engels“ gleicht. Für Akademieleiter Tort ist „das Geheimnis seines Spiels sein Kopf“.

So wird Guardiola ein Platz in der La Masia angeboten. Aber Vater Valentí und vor allem Mutter Dolors kommen nach gründlichen Überlegungen zu dem Schluss, dass ihr Sohn für den Umzug in die Großstadt und in das Barça-Internat noch zu jung sei. Deshalb wechselt Guardiola erst zwei Jahre später, 1984, in die La Masia. Als der nun 13-Jährige in Barcelona eintrifft, wird hier schon gute Arbeit geleistet, aber ihren überragenden Ruf erhält die Nachwuchsakademie erst Jahre später.

La Masia hat vier Schlafräume mit jeweils fünf Etagenbetten. Eines davon teilt sich Pep Guardiola mit dem zwei Jahre älteren Tito Vilanova. Der ist ebenfalls Katalane und stammt aus Bellcaire d’Empordà in der an Frankreich angrenzenden Provinz Girona. Der Ort ist ähnlich katalanistisch geprägt wie Peps Heimatdorf Santpedor.

Aus dem Fenster ihres Zimmers blicken die beiden auf das gewaltige Camp Nou. Den Rasen dieses Fußball-Heiligtums betritt Guardiola erstmals im April 1986 als 15-Jähriger. Es ist das Halbfinale im Europapokal der Landesmeister, und der FC Barcelona spielt gegen den IFK Göteborg. Das Hinspiel in Schweden endete mit einer peinlichen 0:3-Niederlage. Im Rückspiel gewinnt Barça – dank eines Hattricks von „Pichi“ Alonso – mit dem gleichen Resultat und behält auch im notwendigen Elfmeterschießen die Oberhand. 105.000 Zuschauer feiern den nicht mehr für möglich gehaltenen Einzug ins Finale. Der 15-jährige Pep Guardiola ist an diesem Abend Balljunge und stürmt nach dem Abpfiff auf den Platz. Ein Foto zeigt den englischen Barça-Coach Terry Venables, wie ihn die Spieler über den Platz tragen. Im Hintergrund sieht man Guardiola, wie er ehrfürchtig zum Trainer hochblickt.

Im Finale trifft Barça auf Steaua Bukarest. In Sevilla sehen 70.000 Zuschauer eines der schwächsten Finals der Europapokalgeschichte. Nach torlosen 120 Minuten kommt es erneut zum Elfmeterschießen. Da Barças Schützen gleich viermal versagen, verlassen die Rumänen als Sieger den Platz. Der Europapokal-Komplex der Katalanen, die bis dahin nur die kleineren europäischen Wettbewerbe, den Messepokal (1958, 1960, 1966) und den Europapokal der Pokalsieger (1979, 1982) gewinnen konnten, ist damit perfekt.

„Cruyffismo“

1988 übernimmt der ehemalige niederländische Weltklassespieler und dreimalige „Ballon d’Or“-Gewinner Johan Cruyff die 1. Mannschaft des FC Barcelona. La Masia wird reformiert, denn Cruyff bringt die niederländische Schule mit. Die technische Ausbildung spielt nun eine noch größere Rolle als bislang, und in deren Mittelpunkt steht der präzise Pass. Ausdauer und Kraft werden erst in den älteren Jahrgängen geschult. Außerdem schaut der neue Chefcoach nun verstärkt in der hauseigenen Akademie und dem B-Team nach Spielern für die 1. Mannschaft.* Die ersten Talente aus dem B-Team, die es unter Cruyff in die 1. Mannschaft schaffen, sind die Mittelfeldspieler Luis Milla und Guillermo Amor, die beide nur 1,73 Meter Körpergröße aufweisen. Milla hatte bereits am 2. Spieltag der Saison 1984/85 debütiert. Da die Vereinigung der Profispieler streikte, bot Barça gegen Real Saragossa ausschließlich Jugendspieler auf. Die folgenden Jahre verbrachte er im B-Team, bevor Cruyff den 22-Jährigen und den zwei Jahre jüngeren Amor zur Saison 1988/89 in die 1. Mannschaft beförderte. Amor, der am 3. September 1988 seinen Einstand in der Primera División gab, lief bis 1998 in 311 Liga-Spielen für die Blaugrana auf.

In seinen acht Jahren als Trainer des FC Barcelona wird Cruyff insgesamt 29 Spieler aus dem hauseigenen Nachwuchs in die 1. Mannschaft holen. Der Niederländer sucht seine Spieler in erster Linie „nach der fußballerischen, technischen Qualität“ aus. „Ich will 70 Prozent Technik, 30 Prozent Laufen. Heute wird aber zu viel gerannt, deshalb können kleine Mannschaften gegen große gewinnen, zumal den sogenannten Großen dann auch oft noch die Konzentration fehlt.“ Cruyff bevorzugt einen kleinen Kader, was der Trainer Pep Guardiola später übernehmen wird: „Sechs Spieler für drei Plätze sind zu viele, ideal sind vier, um damit den notwendigen Konkurrenzdruck aufzubauen.“ Guardiola wird in seiner Spielphilosophie nicht nur in diesem Punkt sehr stark von Cruyff geprägt werden, daher lohnt sich an dieser Stelle ein näherer Blick auf die Arbeit des niederländischen Trainers in Barcelona.

Zu einem Zeitpunkt, da noch viele ihre Defensivabteilung aus Haudegen zusammenstellen und die technisch versiertesten Akteure in den Sturm packen, sucht Cruyff auch in der hintersten Reihe Spieler, die mit dem Ball umgehen können. Cruyff: „99 Prozent der Trainer haben einen Arbeiter im Mittelfeld und einen Techniker vorne. Ich stelle einen Techniker ins Mittelfeld und einen technisch guten Läufer nach vorne. Weil man im Mittelfeld mehr Ballkontakte hat. Und in der Abwehr brauche ich Leute, die Fußball spielen und das Spiel aufbauen können.“

Cruyff lässt nicht klassisch verteidigen. Es geht nicht nur um die Abwehr eines Angriffs, sondern um Balleroberung und darum, umgehend einen Gegenangriff einzuleiten – nicht mittels wild nach vorne gekloppter Bälle, sondern durch eine Abfolge präziser und schnell gespielter kurzer Pässe. Wenn der Gegner früh und massiv presst, darf auch mal ein langer Pass in die Tiefe gespielt werden – aber präzise muss er sein.

Die beste Verteidigung ist für Cruyff der eigene Ballbesitz: „Wenn wir den Ball haben, kann der Gegner kein Tor schießen.“ Als Barças Abwehrarbeit einmal kritisiert wird, entgegnet Cruyff: „Es heißt immer, unsere Abwehr sei schlecht. Aber wenn wir hinten ständig den Ball hin- und herspielen und die gegnerischen Stürmer dem Ball hinterherrennen müssen, werden sie müde. Das sieht so einfach aus, wenn die Spieler den Ball querspielen. Aber jeder Fehler kann ein großer Fehler sein. Und deshalb ist absolute Konzentration nötig. Mein größter Feind ist mangelnde Konzentration.“

Der Trainer verteilt die Rückennummern nach den Positionen, die die Spieler einnehmen sollen. Dies erleichtert es ihm, während des Spiels Anweisungen zu erteilen. Der Torwart, der bei Cruyff wie ein Libero agieren muss, erhält die Nummer 1, der rechte Außenverteidiger die 2, der Innenverteidiger die 3, der linke Außenverteidiger die 5. Im zentralen Mittelfeld trägt der defensive Spieler die 4 und der offensive die 6. Die Mittelfeld-Außen spielen rechts mit der 8 und links mit der 10, die Außenstürmer rechts mit der 7 und links mit der 11, der Mittelstürmer mit der 9.

Von besonderem Interesse sind die 3 und die 4. Die 3 spielt ohne konkrete Zuordnung (die Außenverteidiger lässt Cruyff manndecken) und muss in Cruyffs 3-4-3-System über große taktische und technische Qualitäten verfügen. Die 4 muss ein Schnelldenker sein, einfache Lösungen finden und über ein präzises Passspiel verfügen. Das Trikot mit der Rückennummer 3 wird der Niederländer Ronald Koeman überstreifen, das mit der Nummer 4 Pep Guardiola.

Cruyff lässt seine Spieler kaum Flanken schlagen. Die Außenpositionen bekleiden keine Dauerläufer, sondern technisch beschlagene Spieler wie etwa der Bulgare Hristo Stoichkov. Statt den Ball hoch in den Strafraum zu dreschen, sollen sie mit Dribblings oder Doppelpässen diagonal vorstoßen. Auch Standards interessieren den Niederländer nicht. Bei Ballbesitz ist der Zweikampf weitgehend zu vermeiden und der Gegner zu umspielen. Cruyff predigt einen Fußball, der den im europäischen Vergleich kleinen Spaniern auf den Leib geschneidert ist, denn in seinem System finden auch die schmächtigen und langsameren Spieler ihren Platz.

Als Spieler verfügte Cruyff über einen „Raketenantritt“, also jenen Antritt auf den ersten Metern, der beim Fußball enorm hilfreich ist. Zugleich aber war es Cruyff, der das Spiel häufig mit dem Ball statt mit den Beinen schneller machte, indem er im richtigen Moment schnelle und präzise Pässe spielte. „Der Ball wird nicht müde“, pflegt Cruyff zu sagen. Und schneller als die Spieler ist die Kugel auch. Dies bedeutet: Auch langsame Spieler können schnellen Fußball spielen und ihre physischen Schwächen kaschieren – sofern sie über gute Technik und hohe Spielintelligenz einschließlich Handlungsschnelligkeit verfügen. Technik und Spielintelligenz sind die zentralen Bausteine des „Cruyffismo“, wie man die Philosophie des Barça-Trainers später in Spanien tauft.

Für den Journalisten Ricard Torquemada, der den FC Barcelona für den Sender Catalunya Radio seit Jahren begleitet, ist aber „das Wichtigste, das der Holländer Barcelonas Spielphilosophie eingebrannt hat, sein fester Glaube, dass die Spieler nur dann wirklich gut sein können, wenn sie verstehen und verinnerlichen, was sie tun. Und das zu jeder Zeit. Er wollte, dass die Spieler selbst spüren, welchen Sinn eine gewisse Aktion in einem bestimmten Moment hat. Es war ihm wichtig, dass die Profis selbst Fehler analysieren konnten.“

So zog Cruyff fast automatisch nicht nur technisch und taktisch versierte Spieler heran, sondern auch die nächste Generation Trainer. Der Cruyff’sche Spieler musste fast zwangsläufig so denken wie ein Trainer.

Die Suche nach dem Pivote

In La Masia macht Guardiola zunächst weniger durch sein Fußballspiel auf sich aufmerksam als durch sein ständiges Nachdenken und Reden über Fußball. Jedes Training wird von ihm analysiert, manchmal können es seine jungen Mitspieler nicht mehr ertragen. Guardiola ist nicht besser als seine Mitschüler, aber niemand ist so besessen vom Fußball wie er. Bald zeigt sich: Er versteht das Spiel besser als mancher seiner Ausbilder und glänzt vor allem bei Taktikeinheiten. Jaime Oliver, ein ehemaliger Leiter der La Masia: „Vor allem Pep fragte nach. ‚Wäre es nicht besser, wenn wir dort Überzahl schaffen?‘ Analytisch war er eine Maschine. Und abends hat er das Gelernte mit den Teamkollegen noch im Zimmer wiederholt, hat erklärt und insistiert.“

Guardiolas Stammposition ist zunächst das rechte Mittelfeld, wo er aber nur seine Schwächen offenbaren kann, nicht seine Stärken. Aufgrund seiner körperlichen Defizite bleibt Guardiola bis zu seinem 18. Lebensjahr im Juvenil-A-Team und kommt erst anschließend in Barças B-Team. Einmal darf er nun in einem Freundschaftsspiel für die 1. Mannschaft auflaufen. Im Mai 1989 ist Pep in einem Benefizspiel gegen ein Amateurteam in Banyoles dabei. „Du hast langsamer gespielt als meine Großmutter“, raunzt der Chefcoach den Nachwuchsspieler anschließend an.

Einer von Guardiolas Mitspielern im B-Team ist der Niederländer Danny Muller, Sohn der Ajax-Legende Bennie Muller und Verlobter der Cruyff-Tochter Chantal. Anders als Guardiola wird er den Sprung in Barças 1. Mannschaft nicht schaffen und nach der Saison 1988/89 in die Niederlande zurückkehren. Muller ist Guardiolas erster niederländischer Teamkollege und erzählt später: „Pep ist ruhig. Reserviert. Ich erinnere mich, dass er in der Jugend schlank und groß war. Ein schlaksiger Kerl. Er hatte ein Babygesicht.“

Cruyff kreiert beim FC Barcelona eine Position, die man Pivote nennt und die heute dem modernen „Sechser“ entspricht. Anstelle des klassischen Zehners soll ein defensiver Mittelfeldspieler das Spiel lenken. Der Spielmacher wird so nach hinten gezogen und ist auch nicht mehr ausschließlich zentral postiert. Er wirkt aus der Tiefe des Raumes, wird zur Drehachse des Spiels, baut mal von links, mal von rechts oder aus der Mitte auf. Cruyff verlangt auch von den Nachwuchsteams, dieses System zu spielen.

Cruyffs Pivote muss nicht schnell mit den Beinen und kräftig sein. Für den Trainer zählen auf dieser Position vor allem Ballsicherheit und Spielintelligenz sowie Handlungsschnelligkeit. Der Erste, der diesen Anforderungen zu genügen scheint, ist Luis Milla. Als der FC Barcelona in der Saison 1988/89 den Europapokal der Pokalsieger gewinnt, ist Milla Stammkraft. Doch im Sommer 1990 zieht es den 24-Jährigen zu Real Madrid. (Nach dem Ende seiner Karriere trainiert Milla verschiedene Auswahlmannschaften Spaniens und wird 2011 mit der U21 Europameister.) Ein Teil des Vorstands um Vizepräsident Joan Gaspart ist strikt dagegen, dass man einen kommenden Starspieler an den größten Konkurrenten verkauft. Aber Cruyff meint, dass man Reisende nicht aufhalten darf. Für die Katalanen soll nur spielen, wer sich voll und ganz mit der Sache identifiziert.

Dünn und intelligent

Cruyff interessiert sich für Liverpools Dänen Jan Molby, zumal nachdem sich Ronald Koeman verletzt hat, aber entsprechende Bemühungen verlaufen im Sande. Barça-Boss Josep Lluis Núñez ist der Spieler zu teuer. Die Mannschaft will ohnehin keinen weiteren Ausländer. Der spanische Nationalstürmer Julio Salinas: „Wir sind 22 Spieler, viele von uns sind Nationalspieler. Man würde denken, wir wären ohne Ronald nichts.“ Auf der Suche nach einem einheimischen Ersatz beobachtet Cruyff daher im Sommer 1990 Guardiola bei einem Spiel des B-Teams von Barça.

Als Cruyff auf dem Platz erscheint, drückt Guardiola jedoch nur die Bank und wird nicht einmal zum Aufwärmen geschickt. Cruyff: „Die Leute erzählten mir: ‚Er ist einer der Besten.‘ So besuchte ich die Spiele des B-Teams, aber er spielte dort nicht. Ich sagte den Trainern: ‚Ihr habt mir gesagt, er ist einer der Besten.‘ Sie antworteten: ‚Ja, aber er ist körperlich zu schwach. Wir werden mit ihm verlieren.‘ Ich sagte ihnen: ‚Wenn wir verlieren, dann verlieren wir halt. Wir müssen Spieler entwickeln.‘“

Danny Muller über Guardiolas „Entdeckung“: „Johan und Tony Bruins Slot (Cruyffs ebenfalls aus Amsterdam stammender Co-Trainer, Anm. d. A.) suchten einen defensiven Spieler. Einen Innenverteidiger oder eine Nummer 4. Pep spielte einfach. Nur einen Ballkontakt. Ganz eng. Genau das, was Johan benötigte. Carles Rexach war zu dieser Zeit Nachwuchscoach bei Barça und wollte Guardiola nicht gehen lassen. Er hat ihn niemals gedrängt. Ich denke, dass alle glaubten, dass Pep zu verletzlich sei. (…) Andere Spieler waren auffälliger. Dribblings oder lange Pässe mit großartigen Toren.“

Carles Rexach ist wie sein Schützling Katalane. Sein Vater war ein Aktivist der politischen Linken Kataloniens und kämpfte im Spanischen Bürgerkrieg auf der Seite der Republikaner. Rexach junior: „Barça war seine Fahne. Meine Unterstützung für Barça kommt von meinem Vater, der mir beibrachte, was es bedeutet, aus Barcelona zu sein. Es war eine politische Angelegenheit. Für meinen Sohn ist es nur Sport. Obwohl ich ihm die Geschichte erkläre. Aber wenn du mit meinem Sohn über Franco sprechen würdest, wüsste er nicht, wer das ist.“

Der langjährige Flügelspieler der 1. Mannschaft spricht Spanisch mit katalanischem Akzent. Wenn Rexach redet, vermischt er das Spanische häufig mit dem Katalanischen. Rexach kam als Zwölfjähriger zum FC Barcelona und ist dort – mit der Ausnahme eines zweijährigen Intermezzos als Trainer in der japanischen J-League – immer geblieben: als Spieler (an der Seite von Cruyff), als Scout, als Co-Trainer (u.a. bei Cruyff) und Chefcoach. Eines Tages wird Rexach beim FC Barcelona wie ein Löwe für die Verpflichtung eines gewissen Lionel Messi kämpfen.

Seinen Jugendspieler Pep Guardiola nennt Rexach ein „muy poca cosa“ (ganz kleines Ding) – aber intelligent. „Obwohl er wirklich klein und dünn war, spielte er mit nur einem Ballkontakt oder meistens auch zwei Ballkontakten. Dies hob ihn über alle anderen in seiner Altersgruppe.“ Guardiola habe weniger selber gespielt, als dass er durch seine Spielweise andere zum Spielen gebracht habe. Und mental sei er noch schneller gewesen als später sein Nachfolger Xavi Hernandez.

Ohne Cruyff nur dritte Liga

Als Guardiola Profi wird, ist er mit etwas über 1,80 Metern für spanische Verhältnisse zwar recht groß, aber er bringt nur 70 Kilo auf die Waage. Er ist ein Schlaks mit dünnen Beinen. Seine Mitspieler können kaum glauben, dass er es schaffen wird. Der damalige Keeper und heutige Barça-Sportdirektor Andoni Zubizarreta: „Es war von ihm viel geredet worden. Doch als ich ihn sah, dünn wie er war, dachte ich: Selbst mit noch so viel Muskelaufbau wird er wenig spielen.“ Und Guillermo Amor, ein weiterer Mitspieler Guardiolas: „Man hatte Zweifel, ob er es körperlich schaffen würde. Aber als Fußballer war er so gut, dass man ihm Zeit zur Entwicklung gab.“

Für Cruyff ist Guardiolas Physis nicht wichtig. Wesentlich sind ihm dessen Spielintelligenz und Technik: „Er erinnerte mich an mich selbst. Wer physisch schwach ist, muss intelligent sein. Man benötigt jede Menge Technik, man muss den Ball schnell bewegen können und Körperkontakt vermeiden. Um diesen zu vermeiden, benötigt man einen Blick für das Spiel. (…) Guardiola hatte ein gutes Auge und eine phantastische Technik. Einen wie ihn musst du als Trainer speziell vorbereiten. Du musst ihm sagen: Du bist nicht laufstark. Also organisiere dich, damit du nicht so viel rennen musst. Die wichtigsten Spieler sind die, die den Ball gut kontrollieren können.“

Eines der bekanntesten Cruyff’schen Bonmots lautet: „Jeder Nachteil hat einen Vorteil.“ Im Fall von Guardiola bedeutet dies: Weil er langsam und körperlich schwach ist, muss er schneller handeln als andere. Seine Defizite fördern Spielintelligenz und Technik. So lernt Guardiola, einen Fußball zu spielen, der nur seine Stärken zum Vorschein bringt. Rückblickend schreibt Ronald Reng im Sommer 2008 in der „Frankfurter Rundschau“: „Nur in diesem Verein konnte einer wie Guardiola zum Idol werden. (…) Er triumphierte als Mittelfeldspieler mit den Werten Barças: schneller denken, sauberer passen.“

Fußballkarrieren basieren nicht selten auch auf Zufällen. In den unteren Klassen des Fußballs trifft man immer wieder auf Spieler, die das Zeug zum Profi gehabt hätten, wären sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen. Manchmal kommt es auf den unmittelbaren Eindruck eines Trainers an. Er sieht bei einem Spieler gewisse Qualitäten, die er schätzt und für sein Team benötigt. Manche Kollegen würden diesen Spieler nicht berücksichtigen, weil für sie seine Schwächen schwerer wiegen als seine Stärken. Ein Trainer, für den ein Spieler vor allem schnell und physisch stark sein muss, hätte in Guardiola nie einen Kandidaten für die höchste Etage des Profifußballs gesehen.

Guardiolas Rettung und Glück heißt Johan Cruyff, was seine anhaltende tiefe Dankbarkeit gegenüber dem Niederländer erklärt. Für Guardiola war Cruyff, was der Engländer Vic Buckingham und Rinus Michels einst für den Nachwuchsspieler Cruyff gewesen waren. Ein Trainer, der das Talent des Spielers klar identifiziert. Und sich nicht von leicht korrigierbaren oder kompensierbaren Schwächen, konkret: einem Mangel an Kraft und Tempo, irritieren lässt. Cruyff betrachtet Guardiola als Individuum und perspektivisch. Nicht im Kontext eines zum Erfolg verpflichteten Teams, für das Guardiola zum Zeitpunkt seiner Entdeckung eher ein Risiko darstellt.

Ohne Cruyff wäre das weitere Leben von Pep Guardiola wohl anders verlaufen. Guardiola: „Cruyff hat mich nicht erfunden. Aber er setzte auf mich, glaubte an mich, deutete mit dem Finger auf mich und sagte: ‚Du bist es, den ich will.‘“ Natürlich hätten ihm die Umstände geholfen, habe er Glück gehabt: „Im Team war ein Loch, das gefüllt werden musste. Koeman war verletzt und Guillermo Amor war gesperrt, weil er zu viele Karten kassiert hatte. Und Milla hatte den Klub verlassen. Aber Cruyff glaubte, dass ich es schaffen könnte, und gab mir die Chance. Ich denke, dass eine Menge talentierter Leute es allein deshalb nicht schaffen, weil man ihnen keine Chance gibt. Ich verdanke meine Chance Cruyff. Ohne Cruyff wäre ich ein durchschnittlicher Drittliga-Spieler geworden.“

Einen auch jenseits des Fußballs interessierten und gebildeten Spieler wie Guardiola wäre dies womöglich zu wenig gewesen, weshalb er seine Schwerpunkte anders gesetzt hätte. Mit der Folge, dass es auch den Startrainer Guardiola nie gegeben hätte. Barça-Biograf Jimmy Burns: „Guardiola verdankte sein Talent der Straße und seinen Ruhm Johan Cruyff.“ Der Profi Guardiola habe ein Buch mit Cruyff-Weisheiten neben seinem Bett liegen gehabt – wie eine Bibel.

Der Wissbegierige

In der Saison 1990/91 ist Pep Guardiola fest im Kader der 1. Mannschaft des FC Barcelona integriert. Sein Kumpel Tito Vilanova indes wird den Sprung aus dem B-Team nicht schaffen. Vilanova wechselt 1990 zum Zweitligisten UE Figueres und spielt anschließend, von 1992 bis 1995, für den Erstligisten Celta Vigo, kommt aber in drei Jahren nur auf 26 Einsätze in der Meisterschaft. Anschließend tritt er noch für den RCD Mallorca, UE Lleida und den FC Elche vor den Ball, aber eine erinnerungswürdige Profikarriere ist ihm nicht beschieden. 1998 wird er für Lleida gegen seinen alten Klub auflaufen. Im katalanischen Pokal gewinnt Barça 2:1, für den Underdog trifft Vilanova.

Während der Zeit als Spieler von Barça-B hat Guardiola sein Abitur bestanden. Thema seiner Abschlussarbeit war der deutsche Philosoph und Aufklärer Immanuel Kant. Cathrin Gilbert in einem Porträt des „Philosophen“ Guardiola in der „Zeit“: „Er erläuterte, warum ihn die Rolle der Vaterfigur, die von der reinen Vernunft infrage gestellt wird, so sehr interessiere. ‚Sehr gut‘, befanden die Prüfer.“ Anschließend begann Guardiola zunächst, Jura zu studieren: „Ich möchte mein Hirn nicht nur in den Füßen haben.“ Nun aber, als Profi, schmeißt er das Studium.

Auf Geheiß von Cruyff nimmt Ronald Koeman den Neuling unter seine Fittiche. Koeman: „Als Cruyff Pep in die Mannschaft brachte, sagte er zu mir: ‚Du wirst dich um den Jungen kümmern. Du wirst sein Tutor sein. Du wirst ihn entwickeln und ihm den niederländischen Fußballstil beibringen. Von jetzt an ist er dein Zimmergenosse.‘“ Eine gute Entscheidung, denn Guardiola bewundert den fast acht Jahre älteren Niederländer, der 1988 mit dem PSV Eindhoven den Europapokal der Landesmeister und anschließend mit der Elftal die Europameisterschaft gewonnen hat: „Er war einer der ersten Zentralverteidiger, die mehr als nur Abwehrspieler waren. Und er konnte Finals spielen, als ob es Freundschaftsspiele seien. Er konnte Drucksituationen großartig überwinden.“

Koeman schwärmt vom Wissensdurst des jungen Mitspielers: „Pep war fantastisch. Er war begierig zu lernen, er wollte alles wissen. Von Anfang an fragte er mich alles über Ajax und die Ajax-Jugendakademie. Er sagte: ‚Ronald, wie trainieren sie? Was machen sie? Wie spielen sie?‘ Er wollte alles über die niederländische Fußballschule wissen. Mehr als irgendein anderer Spieler wollte er über den One-touch-Fußball erfahren und über das Positionsspiel. Er hatte einen unstillbaren Hunger nach Informationen und ein massives Interesse am Spiel. Wir verbrachten viele Stunden damit, über Fußball zu reden.“

Ähnliche Eindrücke hat Ronald de Boer, der mit Guardiola in Barcelona und in Katar spielte: „Pep liebte den niederländischen Fußball. Er sprach ständig über totaal voetbal, über Angriffspressing, über das, was Johan ihn gelehrt hatte, und über niederländische Spieler.“ Guardiola bekennt später: „Ajax ist das Team gewesen, von dem ich am meisten gelernt habe. Sie spielten großen Fußball im Kollektiv. Ballbesitz war ihr Mantra.“ Ajax-Fußball ist die perfekte Mischung aus Einfachheit und technischer Brillanz.

Auch der Baske José Marí Bakero erinnert sich an einen extrem neugierigen Mitspieler, der seinen erfahreneren Kollegen Löcher in den Bauch fragt: „Obwohl noch so jung, versprühte er schon bald eine natürliche Autorität. Seine Begeisterung war echt, er saugte alles auf und wertete es aus. Im Grunde war er schon auf dem Spielfeld ein Trainer.“

Guardiola hat das Glück, dass Cruyff und Rexach mit ihren Spielern gerne diskutieren. Rexach: „Er hatte die Persönlichkeit, mit uns in Dialog zu treten, er hinterfragte die Entscheidungen. Wenn ein Spieler so strukturiert denkt, dann stört das nicht. Niemals.“ Manchmal sei es aber auch ihm und Cruyff zu viel gewesen: „Viele Haken, nur um am Ende so weit zu sein wie am Anfang. Manchmal fragte er Cruyff und mich so oft ‚warum‘, dass uns nichts anderes übrig blieb, als ‚deshalb‘ zu antworten.“

Auch einigen Mitspielern geht Guardiolas Wissbegierde auf die Nerven. So etwa Frankreichs Weltmeister Emmanuel Petit, der im Sommer 2000 zum FC Barcelona kommt, wo er sich von der katalanischen Gemeinschaft um Guardiola ausgeschlossen und schlechtgeredet fühlt. „Dieser Typ macht mir echt Kopfschmerzen, weil er ständig nach dem Warum fragt.“

Als Persönlichkeit ist der junge Guardiola ein Prototyp seiner späteren Spieler. Ronald Koeman: „Er war freundlich, normal, ohne jeden Hauch von Arroganz. Er benahm sich nicht wie ein Star. Ich erinnere mich, dass er einen gebrauchten VW Golf fuhr, als er zur 1. Mannschaft stieß. Drei Jahre später fuhr er noch immer einen VW Golf.“

In der Saison 1990/91 kommt Guardiola auf vier Einsätze in der Primera División, für Barça-Präsident Núñez nur ein „kindischer Scherz“. Sein Debüt feierte er 19-jährig am 16. Dezember 1990 beim Heimspiel gegen Cadiz. Im April 1991 läuft er gegen CD Castellón, FC Sevilla und RCD Mallorca auf. Der FC Barcelona wird erstmals seit fünf Jahren wieder Meister – mit zehn Punkten Vorsprung auf „Vize“ Atlético Madrid.

(*) Bis 1991 hieß die 2. Mannschaft des FC Barcelona noch Barcelona Atlètic, seither FC Barcelona B.