Tim Herden

Norderende

Ein neuer Fall für Rieder und Damp

mitteldeutscher verlag

Inhalt

Cover

Titel

Tim Herden

Widmung

Prolog

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

XIV

XV

XVI

XVII

XVIII

XIX

XX

XXI

XXII

XXIII

XXIV

XXV

XXVI

XXVII

XXVIII

XXIX

XXX

XXXI

XXXII

XXXIII

XXXIV

XXXV

XXXVI

XXXVII

XXXVIII

XXXIX

XL

XLI

XLII

XLIII

XLIV

XLV

XLVI

XLVII

XLVIII

XLIX

L

Impressum

Tim Herden, geboren 1965 in Halle (Saale), arbeitete nach dem Studium der Journalistik in Leipzig zunächst als wissenschaftlicher Assistent und Journalist, ehe er 1991 Redakteur beim Mitteldeutschen Rundfunk in Dresden wurde. Heute ist er Korrespondent im ARD-Hauptstadtstudio Berlin. „Gellengold“ war sein erster Krimi, 2012 erschien mit „Toter Kerl“ sein zweiter Hiddensee-Roman.

Alle in diesem Buch geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären zufällig und nicht beabsichtigt.

Für Tino

Wie der Sternenhimmel über der Ostsee – so funkelte das Licht der alten Laterne durch die kleinen Löcher im Stoff des Zeltkinos in Vitte. Auf der nicht mehr ganz taufrischen Leinwand umwarb ein brummiger Gerard Depardieu eine kesse Blondine. „Chanson d’amour“ stand auf dem Programm. Der Film war ganz nach dem Geschmack des Publikums. Jedenfalls war der erste Auftritt Depardieus von einem Chor wollüstiger Seufzer des nahezu ausschließlich weiblichen Publikums aufgenommen worden. In dicke Fleecejacken und knallgelbe Ostfriesennerze gehüllt, drängten sie sich auf dem harten Kinogestühl. Dazu lag ein Hauch von Mückenschutzmittel in der Luft. Die warmen Körper in der feuchten Nachtluft des späten Septembers lockten die Quälgeister in Scharen herbei und ließen sie satte Beute machen.

Die Zeit des Altweibersommers war die Saison der alleinstehenden Frauen auf Hiddensee. In Scharen strömten sie auf die Ostseeinsel. Im Sommer hatten sie auf Urlaub verzichtet, damit Familien mit Kindern in die Ferien fahren konnten. Single-Männer zog es offenbar nicht gleichermaßen zum Inselurlaub. Sie waren jetzt zum Leidwesen der zahlreichen Touristinnen auf der Insel Mangelware.

Fast uniform waren die Frisuren der Frauen im Publikum. Halblang, gern etwas asymmetrisch geschnitten, pflegeleicht und praktisch für jedes Wetter, das die Insel jetzt bot: Sonnenschein, Sturm und Regen. Dazu baumelte einseitig an den Ohren bunter Modeschmuck in Form geometrischer Figuren: Kreise, Dreiecke oder Filzgebilde.

Birte war die Ausnahme. Sie war die einzige Frau, die an diesem Abend ein kurzes Sommerkleid trug. Und sie war mit einem Mann erschienen. Ihr war es egal, ob sich der französische Barde auf der Leinwandbühne noch zu einem Happy End sang. Ihr Interesse galt ausschließlich Markus. Seit die Lichter ausgegangen waren, knutschten sie wie Teenager, stießen sich dabei ihre Rippen an den harten Lehnen des Kinogestühls und ließen sich auch nicht vom kritischen Räuspern und Hüsteln ihrer Hinterfrauen stören.

Birte spürte, wie ihr die Erregung ins Gesicht stieg. Markus hatte seinen Arm um ihre Schulter gelegt und strich mit seinen Fingerspitzen, scheinbar zufällig, über die Seite ihrer linken Brust. Schwärme von Schmetterlingen durchzogen Birtes Bauch. Ein Gefühl, das sie seit Jahren vermisst hatte.

Der Abspann ertönte. Während die Namen der Darsteller über die Leinwand flimmerten, ging langsam das Licht an. Die Kinobeleuchtung bestand aus alten DDR-Wandlampen und warf nur Dämmerlicht in das Kinozelt. Das Publikum schälte sich aus den engen Sitzen. Beine und Arme wurden mit leisem Stöhnen gestreckt. Den Blick nach unten gerichtet, um nicht auf dem Kopfsteinpflaster zu stolpern, strömte man dem Ausgang entgegen.

Birte und Markus saßen noch. Sie schauten sich in die Augen. Ihre Gesichter waren verschwitzt.

„Und was jetzt? Zu Sebastian und Katharina zurück?“, fragte Markus.

Sebastian und Katharina waren ein Freundespaar, das Birte und Markus getrennt voneinander vor Jahren kennengelernt hatten. Sie besaßen ein kleines Ferienhaus in der Dünenheide zwischen Vitte und Neuendorf. Sie hatten die beiden eingeladen, einen Teil des Urlaubs mit ihnen auf Hiddensee zu verbringen. Dort hatten sich Birte und Markus das erste Mal gesehen und waren sofort füreinander entflammt. Markus war ein Mittvierziger, nahezu einsneunzig groß, muskulös mit dichtem schwarzen Haar, das hier und da von grauen Strähnen durchzogen wurde. Ein Mann im besten Alter. Er arbeitete als Politikberater in Berlin. Markus war geschieden. Er litt unter der Trennung von seinen beiden Kindern. Aber hier auf der Insel hatten sich seine Sorgen in Luft aufgelöst. Der Grund war Birte. Sie hatte Kulturwissenschaft studiert, arbeitete als freischaffende Fotografin. Mehr schlecht als recht schlug sie sich durchs Leben. Mit Aufträgen für Design- und Hotelfotografie kam sie gerade so über die Runden. Sie musste deshalb ab und zu eine Hochzeitsfeier ablichten, um weiter die Miete zahlen zu können. Knapp bei Kasse, konnte sie sich eigentlich keinen Urlaub leisten. So kam ihr die Einladung auf die Insel gerade recht.

Seit Markus vor drei Tagen auf der Insel erschienen war, schwebte die kleine blonde Frau mit dem lockigen Kurzhaarschnitt geradezu über die holprigen Straßen von Hiddensee.

Allerdings spürten Birte und Markus, dass die Situation für ihre Gastgeber nicht ganz einfach war. Nachdem sich die beiden nun seit zweieinhalb Tagen anschmachteten, kam eigentlich kein vernünftiges Gespräch mehr zustande. Sebastian und Katharina wirkten angespannt und überfordert. Vielleicht waren sie auch bloß eifersüchtig auf das junge Glück.

Deshalb wäre es nicht gut, dachte sich Birte, jetzt zu Sebastian und Katharina zu fahren und sie als Ohrenzeugen an ihrer zweiten Liebesnacht teilhaben zu lassen. Die beiden Schlafzimmer im Obergeschoss des Ferienhauses waren lediglich durch eine dünne Wand getrennt. Privatsphäre gab es praktisch nicht.

„Wir könnten noch was unternehmen“, schlug Birte vor. „Sebastian und Katharina werden uns wahrscheinlich nicht vermissen.“

Markus zog die Augenbrauen nach oben.

„Ganz sicher nicht! Denen geht unser Flirtalarm nämlich total auf die Nerven. Vielleicht brauchen sie mal ’ne Pause.“

„Habe ich gar nicht mitbekommen ... Also zurück an den Strand?“

Dort hatten sie vor dem Kino lange Zeit eng umschlungen gesessen und dem Anschlagen der Wellen zugeschaut.

Birte schlug die Augen nieder. Sie bohrte ihre Schuhspitze in eine der Sandfugen zwischen den Pflastersteinen des Kinobodens. „Ich habe da vorhin einen kleinen Abzweig kurz hinter der Düne gesehen. Da liegt ein altes Ruderboot. Ist vielleicht ein ganz nettes Plätzchen für ...“

Markus grinste: „Gute Idee.“

Draußen nahm sie Markus an die Hand. Sie gingen am Kino vorbei in Richtung Strand. Der Weg war in der Dunkelheit kaum zu erkennen. Orientierung bot nur das Glitzern der Ostsee im Mondschein. Kurz vor dem asphaltierten Dünenweg zog Birte Markus nach rechts. Sie zwängten sich an Sanddornsträuchern vorbei in das kleine Strandwäldchen. Dort lag das alte Ruderboot, den Kiel nach oben. Markus setzte sich und nahm Birte auf den Schoß. Sie schlang ihre Beine um seine Hüften. Die beiden begannen sich heftig zu küssen. Markus schob seine Hände unter Birtes Kleid und fühlte ihre nackten Beine.

Sie versuchte, seine Hose zu öffnen. Er hielt sie kurz zurück.

„Warte mal. Ich steh’ mal kurz auf.“

Während Markus seine Hose auszog, ging Birte etwas zur Seite. So ein großer Mann brauchte einen großen Bewegungsspielraum. Plötzlich spürte sie an ihren Waden einen Widerstand. Sie verlor das Gleichgewicht und stürzte mit wedelnden Armen nach hinten, fiel aber weich auf eine Art Stoffballen. Zuerst dachte sie, es wäre vielleicht ein Fischernetz. Doch als sie sich mit ihren Händen abstützen wollte, um wieder aufzustehen, spürte sie menschliche Haut. Birtes Schrei durchschnitt die laue Herbstnacht.

I

Stefan Rieder betrachtete seine Unterarme. Sie waren übersät mit Kratzern. Ein paar Blutstropfen waren durch die geschundene Haut gedrungen und bildeten nun rötlichbraunen Grind. Außerdem war sein Gesicht gezeichnet von Dutzenden Mückenstichen. Rieder fragte sich, was ihn dazu getrieben hatte, diese Tortur über sich ergehen zu lassen. Aber wenn er ein richtiger Hiddenseer werden wollte, musste er auch lernen, Sanddorn zu melken. Das jedenfalls hatte sein Nachbar Malte Fittkau behauptet.

Den ganzen Vormittag waren Malte und er durch die Sanddornbüsche am Ende des Wiesenweges in Vitte gekrochen. Sie hatten die leuchtend orangefarbenen Beeren von den Ästen gestrichen und in Plastikeimer gefüllt. Einziger Schutz gegen die Stacheln an den Ästen waren ein paar alte Lederhandschuhe und gegen mögliche Schlangenbisse hohe Gummistiefel.

Rieder hatte es auch nicht besonders lustig gefunden, als ihm Malte erst mitten im Dickicht der Sanddornbüsche erzählt hatte, dass ihm genau hier vor einem Jahr ein Wildschwein begegnet war.

„Wildschwein?“, hatte Rieder ungläubig gefragt.

„Ja, war nicht groß. Vielleicht so.“ Malte hatte die flache Hand auf die Höhe seiner Hüfte gehalten.

„Das nennst du nicht besonders groß?“ Rieder hatte sich umgedreht und nach einem Fluchtweg Ausschau gehalten. Aber Fehlanzeige. Sie waren schon so tief im Buschwerk verschwunden, dass es bereits unter normalen Bedingungen einige Mühe gekostet hätte, wieder herauszufinden.

„Wie kommen die Schweine auf die Insel?“

„Schwimmen rüber von Rügen. Und hier vor Vitte können sie gut ans Ufer klettern.“

Rieder hatte einen Riesenrespekt vor Wildschweinen. Während seiner Dienstzeit in Berlin war er im Grunewald mehrmals ganzen Rotten begegnet. Einmal hatte er sich mit seinem Partner Tom Schade nur knapp ins Auto retten können, als eine Horde angriffslustig aus dem Unterholz auf sie zugestürmt war.

„Letztes Jahr“, hatte Malte Fittkau weiter geplaudert, „da haben wir am Seglerhafen ein totes Schwein aus dem Bodden gefischt. Ein Brocken.“ Er hatte dabei die Arme weit ausgestreckt. „Das wäre ein Braten gewesen. Ist im Eis eingebrochen und nicht wieder rausgekommen.“

„Werden die Schweine denn auf der Insel gejagt?“

„Meist nicht. Der Bürgermeister hat sich extra eine Flinte gekauft. Aber dann kamen die Naturschützer. Biosphärenreservat! Wir lassen der Natur ihren Lauf!“, hatte Fittkau geantwortet und dabei kurz mit der Hand eine Scheibenwischerbewegung vor seinem Gesicht gemacht. „Schau mal bei deiner nächsten Patrouille etwas tiefer in den Wald am Dornbusch. Schön durchgepflügt. Ob das der Natur so gut tut?“

„Aber ich habe noch nie ein Schwein gesehen.“

„Warst du schon mal nachts am Leuchtturm?“

Rieder hatte zwar in den sechs Monaten, in denen er jetzt auf Hiddensee Dienst tat, aus der Ferne nachts oft das blinkende Licht der Leuchtturms auf der Nordspitze der Insel gesehen und als beruhigend empfunden. Aber zu später Stunde war er noch nie dort oben gewesen.

„Wir können ja mal eine Tour machen und nach den Schweinen schauen“, hatte Fittkau angeboten. Rieder hatte offen gelassen, ob er diese Offerte wirklich annehmen wollte.

Stefan Rieder war im April auf die Insel gekommen. Zuvor war er Hauptkommissar bei einer Mordkommission in Berlin gewesen. Heute fiel es ihm zuweilen schon schwer, sich an dieses frühere Leben zu erinnern. Es war für ihn weit weg. Die Gewalt in Berlin. Die ewigen Schichten im Kommissariat. Die endlosen Nächte, wenn Verdächtige beschattet werden mussten. Die Aktenstapel ungelöster oder laufender Fälle. Das Einzige, was ihm fehlte, war sein Partner Tom Schade. „Jung, mach dir mal kein’ Kopp“, war immer einer seiner Lieblingssprüche gewesen, wenn ihnen ein Fall die letzte Kraft zu rauben schien. Schades rheinischer Lebensmut hatte einfach gutgetan und war ansteckend gewesen. Doch irgendwann hatte auch das Rieder nicht mehr aufgebaut.

Eines Morgens hatte Rieder am schwarzen Brett eine Stellenausschreibung der Polizeidirektion Stralsund entdeckt. Sie suchten einen Polizisten für ein Projekt zur Verbrechensprävention in den Tourismusgebieten an der Ostseeküste. Testort sollte die Insel Hiddensee sein. Er hatte die Stellenanzeige einfach abgerissen und noch am Abend die Bewerbung zur Post gebracht. Seine Zeugnisse waren gut. Mehrfach war er für die Aufklärung von komplizierten Fällen belobigt worden. Seine Besoldungsgruppe passte. Stralsunds Polizeidirektor Bökemüller hatte zwar zunächst einige Bedenken gegen den Mann aus der Hauptstadt, dann hatte er aber doch Rieders Bewerbung, inklusive Rückkehrrecht nach Berlin innerhalb von zwei Jahren, zugestimmt.

Anfang April war Rieder im Polizistenhimmel angekommen. Auf der Insel Hiddensee. Statt Autolärm Meeresrauschen. Statt aggressivem Gebrüll Testosteron-gesteuerter Jugendlicher entspannte Touristen, die über die Insel wanderten.

Ein Quartier hatte Rieder im Wiesenweg in Vitte gefunden. Dort hatte er ein kleines Kapitänshaus gemietet. Es lag mitten auf einer grünen Wiese. Der Zaun zur Straße war überwuchert von einer Rosenhecke, die seit Rieders Ankunft rosa blühte. Jetzt im frühen Herbst begannen sich die Blüten in rote Hagebutten zu verwandeln.

Hier auf der Insel war Rieder seit langem der Wechsel der Jahreszeiten wieder richtig bewusst geworden. Als er ankam, standen in den Vorgärten noch Narzissen und Tulpen. Dann, im späten Frühjahr versanken die Hänge des Dornbuschs im Insel-Norden im gelben Meer des Ginsters. Der Sommer kam, die Zeit der Kirschen und der Königskerzen. Nun kündigten die prallen violetten Brombeeren auf dem Friedhof in Kloster und die orangefarbenen Beeren des Sanddorns den Herbst an. Ein wenig hatte Rieder Angst vor dem Winter, wenn das Leben auf der Insel erstarb. Auf seine Frage, was denn der Hiddenseer außerhalb der Saison tun würde, hatte Malte nur ein Wort gesagt: „Warten.“

Malte Fittkau kam über die Wiese geschlendert. Er wohnte auf dem Nachbargrundstück und betrieb eine kleine Ferienpension. Mit Kapitänsmütze, Latzhose und Gummistiefeln wirkte er wie ein traditioneller Hiddenseer Fischer. Allerdings hatte er das Handwerk nie ausgeübt. Er verfügte zwar noch über ein paar Fischrechte im Bodden, die er von seinem Vater geerbt hatte, nutzte sie aber nicht einmal für den Eigenbedarf. Die Tracht war eher als Inselfolklore für seine Gäste gedacht.

Ohne seinen Nachbarn Malte hätte Rieder vielleicht schon an seinem Wechsel von Berlin nach Hiddensee gezweifelt. Doch Malte hatte Rieder auf der Insel Tür und Tor geöffnet und ihn auch mit der Lebensart der Insulaner vertraut gemacht. Malte kannte einfach jeden und wusste alles. Sein heimlicher Spitzname war „Inselfunk“. Er stand Rieder bei den kleinen Widrigkeiten des Lebens zur Seite – anders als in der Großstadt gab es hier keine Baumärkte und kaum Handwerker, wenn man ein Ersatzteil brauchte oder etwas zu reparieren war. Dafür gab es Maltes goldene Hände.

„Wieder fit?“, fragte Malte und deutete auf Rieders zerschundene Arme.

„Geht schon.“ Der Polizist wollte nicht als städtischer Softie erscheinen.

„Dann können wir weitermachen.“

„Was?“

„Den Sanddorn quetschen.“

Rieder sah seinen Nachbarn verständnislos an.

„Die Beeren müssen durchs Sieb für den Saft. Ich habe sie schon mal ein bisschen abgekocht, damit die Schale etwas weicher ist und die Saftpresserei leichter geht.“

„Aha. Gibt’s da nicht ’ne Saftpresse oder so was?“

„’ne Saftpresse?“ Malte schüttelte befremdet den Kopf.

Rieder folgte Fittkau zu seinem Häuschen, einem langgestreckten alten Fischerhaus mit Reetdach. In dem kleinen Hof, der durch die vielen Anbauten um das Haus und die Schuppen entstanden war, standen die Plastikeimer mit den gelben Beeren und ein leerer Bottich. Daneben lagen ein Küchensieb und ein Quirl.

Rieder nahm das Sieb und hielt es ins Licht. „Da soll was durchkommen?“

„Das passt schon“, antwortete Fittkau. Er nahm ihm das Sieb aus der Hand und füllte es mit Beeren. Dann begann er mit dem Quirl die Beeren im Sieb zu zerreiben. Der Saft tropfte dickflüssig in den Bottich. Doch die Schalen der Beeren waren immer noch so hart und das Mark der Beeren so breiig, dass das Sieb schnell verstopft war.

„Mach mal weiter!“ Fittkau übergab Rieder Sieb und Quirl. Malte verschwand in einem seiner Schuppen. Rieder kam ins Schwitzen. So sehr er auch rührte und quetschte, der Bottich füllte sich nur langsam.

Fittkau kam mit einem Korb voller Flaschen wieder heraus.

„Das Sieb ist zu klein“, maulte Rieder. Malte reagierte nicht, sondern ging mit den Flaschen ins Haus.

‚Wenn die alle mit Saft gefüllt werden sollen‘, dachte sich Rieder, ‚dann muss ich die ganze Nacht rühren.‘

Fittkau machte ihm ein Zeichen, mal anzuhalten. Er schaute in den Bottich, der jetzt gerade halbvoll war. Dann setzte er einen Trichter auf eine Flasche und füllte nun ganz vorsichtig etwas Saft aus dem Bottich hinein. Dann hielt er die Flasche hoch und nickte. Offenbar war er mit der Qualität des Sanddornsaftes zufrieden. „Sieht gut aus. Bin gleich wieder da.“

Fittkau verschwand mit dem Bottich im Haus, kam aber gleich wieder mit dem leeren Gefäß zurück. „Während ich drinnen den Saft aufkoche und in die Flaschen fülle, kannst du hier weitermachen.“

Dann stellte er den Bottich wieder hin und machte eine kreisende Bewegung, damit Rieder mit dem Quetschen der Beeren fortfahre.

Langsam ging die Sonne unter. Rieder sah vor lauter Rühren nicht, wie sich der Himmel im Westen der Insel blutrot verfärbte. Erst als Fittkau das Außenlicht an seinem Häuschen anmachte, wurde ihm klar, wie lange er jetzt schon Sanddorn durch das Küchensieb matschte.

Rieder stand auf. Das Brennen auf den Armen war verschwunden. Dafür schmerzte sein Rücken. Er streckte sich und lief ein paar Schritte. Dabei sah er, wie eine Frau hektisch an die Tür seines Häuschens klopfte. Es war seine Nachbarin zur anderen Seite. Dora Ekkehard, die Kinofrau. Als sie Rieder entdeckte, stürmte sie auf ihn zu.

II

Sie müssen sofort kommen. Am Kino liegt ein Toter!“, rief Dora völlig außer Atem.

Rieder kratzte sich am Kopf und wiegte den Kopf hin und her. „Ich bin eigentlich nicht zuständig. Ich habe frei. Sie müssten sich bitte an Herrn Damp wenden.“

„Zuständig, zuständig ... Wo sind wir denn hier? Da liegt ein Toter, und Sie erklären sich als Polizist für nicht zuständig. Wir sind hier doch nicht auf dem Finanzamt!“ Die Augen von Dora Ekkehard blitzten vor Zorn. Sie stemmte ihre Arme in die Hüften des kompakten Körpers.

„Haben Sie schon versucht, Damp zu erreichen?“

„Habe ich! Mailbox!“

Ole Damp war wie Rieder Inselpolizist auf Hiddensee und seit kurzem Revierleiter. Beide verband eine innige Hassliebe. Rieder hatte keine Lust, die schwelenden Machtkämpfe im kleinen Inselrevier neu anzufachen. Damp hatte Bereitschaft, und er würde es Rieder sehr übel nehmen, wenn er sich in seine Kompetenzen einmischte. Andererseits war Rieder klar, bei einem ungeklärten Todesfall konnte man nicht einfach Dienst nach Vorschrift machen.

„Haben Sie schon Dr. Möselbeck angerufen?“

„Der schickt mich doch! Möselbeck hat gesagt, Peter Stein ist nicht eines natürlichen Todes gestorben. Da muss die Polizei her.“

Rieder nickte und war aber zugleich verwirrt. Er ging davon aus, dass es sich um einen Zuschauer aus dem Kinopublikum handelte. Woher kannte Dora Ekkehard den Namen des Toten? „Ein Herr Stein?“, fragte Rieder.

Dora Ekkehard starrte Rieder an, als wäre er ein Außerirdischer. „Mensch, da liegt Peter Stein! Der Bauunternehmer!“

Rieder zuckte mit den Schultern. In sechs Monaten konnte man selbst auf einer kleinen Insel wie Hiddensee nicht jeden Insulaner kennen. Mit einem Peter Stein hatte er jedenfalls noch nichts zu tun gehabt. Aber wenn Möselbeck ein Verbrechen vermutete, musste er jetzt wohl handeln.

„Warten Sie einen Moment ...“ Er ging in sein Haus, um seine Sachen zu holen. Drinnen versuchte er, Damp zu erreichen. Er tippte die Nummer seines Kollegen in sein Telefon. Es klingelte. Dann meldete sich aber nur die Mailbox. Jetzt gab es nur noch eine Chance.

Rieder wählte die Nummer von seiner Freundin Charlotte Dobbert. Sie betrieb im südlichen Inselort Neuendorf das Strandcafé. Dort war Damp Stammgast. Nachdem es dreimal geklingelt hatte, ging Charlotte ans Telefon. „Hallo, kommst du bald?“, säuselte Charlotte ins Telefon. „Ich habe schon fast alle Gäste abgefüttert.“

„Sieht schlecht aus“, bemerkte Rieder.

„Warum?“ fragte Charlotte, und Rieder spürte körperlich ihre Enttäuschung.

„Kann ich dir jetzt leider nicht erklären. Sag mal, sitzt Damp bei dir?“

„Ph, komm doch her und schau selbst nach ...“, antwortete sie zickig.

„Charlotte! Es ist wichtig!“

„Okay. Er sitzt genau vor mir und ertränkt gerade seinen Frust im zweiten Bier.“

„Na prima. Kannst du ihn mir mal geben?“

„Was ist denn eigentlich los?“

„Charlotte, ich brauch’ mal Damp. Dringend!“

Er hörte, wie das Telefon über die Theke gereicht wurde. Charlotte Dobbert bemerkte spitz: „Hey, Damp, Mister Wichtig aus Vitte!“

„Sie haben frei“, begrüßte Damp seinen Kollegen.

„Und Sie haben Bereitschaft!“, gab Rieder zurück.

„Wollen Sie mich kontrollieren?“, brauste sein Kollege auf.

„Wieso sollte ich? Wenn Sie mal einen Blick auf Ihr Telefon werfen, werden Sie sehen, dass schon andere nach Ihnen verlangt haben. In Vitte liegt ein Toter am Zeltkino. Ein gewisser Peter Stein. Möselbeck meint, Sie sollten sich das mal ansehen.“

„Was? Wer?“, brüllte Damp ins Telefon. Dann hörte Rieder das Rascheln von Damps Uniform. Irgendetwas fiel zu Boden. Vermutlich das Diensthandy. Der Hörer von Charlottes Telefon flog auf die Theke und aus der Ferne drang ein „Ach, Scheiße!“ an Rieders Ohr.

„Damp! Damp!“, rief Rieder ins Telefon, aber es antwortete ihm Charlotte. „Der ist mit seinem Handy beschäftigt.“

„Sag ihm, er soll nach Vitte fahren. Wir treffen uns am Zeltkino.“ Da war aber schon wieder Damp am Telefon. „Ich hab’ das völlig überhört“, stotterte Damp, „und es gibt keinen Zweifel? Es handelt sich um Peter Stein?“

Rieder bestätigte es. „So sagt es die Kinobesitzerin, Frau Ekkehard. Sie steht hier bei mir im Garten.“

„Das gibt Ärger!“

„Warum? Wer ist denn dieser Peter Stein?“

„Na, der Bauunternehmer!“

„Und?“

„Er ist der beste Freund des Bürgermeisters.“

Da klingelten auch bei Rieder die Alarmglocken.

III

Die Neugierde hatte Malte Fittkau zu Rieders Haus getrieben. „Mensch, Dora, was machste hier schon wieder für einen Krach?“

„Kümmer dich um deinen eigenen Kram!“, raunzte sie Fittkau an.

Fittkau und Ekkehard waren ebenfalls Nachbarn. Ihre Grundstücke stießen hinter Rieders Haus aneinander. Sie verstanden sich aber nicht besonders gut. Immer wieder gab es Streit. Jetzt ging es um einen umgestürzten Baum. Ein Frühjahrssturm hatte eine Erle auf Doras Grundstück umgeknickt. Der Baum war aber auf Maltes Wiese gekracht und hatte seine Äste in die Wiese gebohrt. Wochenlang war nichts passiert. Dora hatte behauptet, keine Säge zu besitzen, um den Baum zu zerkleinern. Malte hätte eine gehabt, aber sie war zu stolz, ihn zu fragen.

Irgendwann hatte es Malte Fittkau gereicht. Er hatte den Baum zersägt und das Holz in einen seiner zahlreichen Holzschober gestapelt. Das hatte wiederum Dora auf die Palme gebracht. Sie hatte Fittkau wegen Diebstahls angezeigt. Es war Rieder äußerst peinlich gewesen, Malte Fittkau vorzuladen und zu vernehmen. Sein Nachbar hatte geltend gemacht, dass er nach altem Hiddenseer Strandrecht gehandelt hätte. Immerhin wäre der Baum auf seinem Grundstück gestrandet, wie ein Schiff am Strand, und damit sei das Holz nun sein Eigentum. Er würde es auf keinen Fall zurückgeben. Rieder unternahm nun eine Art Pendeldiplomatie zwischen den Grundstücken seiner beiden Nachbarn. Er versuchte einen Kompromiss zu finden. Aber Dora wollte das Holz zurück, und Malte wollte es behalten. Die Fronten waren verhärtet. Beide gingen sich auf der Insel aus dem Weg. Malte benutzte nicht mehr seine Gartenpforte am Wiesenweg, wenn er zum Supermarkt oder zum Strand wollte. Er nahm nun immer den zweiten Ausgang seines Grundstücks an der Sprenge, auch wenn das ein Umweg war. Dora Ekkehard tat es ihm gleich. Auch ihr Grundstück hatte einen Ausgang zum Wiesenweg und zur Sprenge. Eigentlich war es über die Sprenge kürzer, die neu ankommenden Filme bei der Insellogistik im Vitter Hafen abzuholen. Doch nun fuhr sie mit ihrem Fahrrad immer durch den Wiesenweg. Passierte es, dass sie sich an der Kreuzung Wallweg und Wiesenweg begegneten, dann schaute jeder in die entgegengesetzte Richtung. So war ihr Gespräch das erste, das beide seit Monaten miteinander führten.

Rieder kam gerade aus dem Haus, als sich die beiden angifteten. „Ich hoffe, du erstickst an deinen stinkenden Aalen!“, stichelte Dora. Fittkau nahm das Erlenholz zum Räuchern, und Rieder hatte den Verdacht, so ganz ungelegen war ihm der umgestürzte Baum nicht gekommen.

„Da kannst du lange warten. Ich warte immer noch, dass du mir den Schaden auf meiner Wiese bezahlst. Kannst ja die Kinopreise erhöhen, wenn du nicht flüssig bist.“

Rieder ging dazwischen. „Immer mit der Ruhe!“, rief er. Malte und Dora starrten ihn an.

„Können wir los?“, fragte er die Kinofrau.

Sie schwangen sich auf die Räder und fuhren den Wiesenweg hinunter Richtung Rathaus. Für ihr Alter, Anfang siebzig, legte die Kinofrau ein beachtliches Tempo vor. Rieder konnte kaum mithalten. Dora Ekkehard war eine Institution auf der Insel. Seit über vierzig Jahren betrieb sie zwischen Mai und Oktober das Zeltkino auf Hiddensee. Rieder selbst konnte sich noch erinnern, wie er Ende der sechziger Jahre als Kind mit seinen Eltern und seinen Brüdern auf der Insel Urlaub gemacht hatte. Schon damals verkaufte Dora die Karten für das Kino an dem kleinen Holzschalter vor dem großen halbrunden Zelt. Rieder wusste sogar noch den Titel des Films, den er mit seinem Bruder gesehen hatte: „Husaren in Berlin“. Mit Manfred Krug. Doras Gesicht hatte sich ihm eingeprägt. Er hatte sie deshalb sofort wiedererkannt, als er sie das erste Mal als Polizist auf der Insel wiedertraf. Einige der Urlauber in den Ferienwohnungen in der Nähe des Zeltkinos hatten sich bei der Polizei über den Lärm der Filmvorführungen bei den Spätvorstellungen beschwert. Dora war wütend geworden. „Dann sollen sie doch im Atombunker Urlaub machen. Da ist es hübsch still. Oder soll ich vielleicht Stummfilme zeigen, damit diese Typen ihre Ruhe haben?“ So war sie. Direkt und geradeheraus.

Sie bogen am Rathaus auf die Hauptstraße ein. Hier am nördlichen Ende des Ortes hieß sie Norderende. Das südliche nannten die Hiddenseer dementsprechend Süderende. An der Bernsteinwerkstatt fuhren sie nach links. Ein schmaler Pfad führte zwischen dünnen Bäumchen und Gestrüpp zum Kino. Im Dunkeln wirkte der Weg auf Rieder unheimlich. Auf dem kleinen Vorplatz standen einige Grüppchen herum. Sie diskutierten heftig miteinander. Gleichzeitig mit Rieder und Dora kam auch Damp mit dem Streifenwagen der Inselpolizei an. Das rotierende Blaulicht sorgte für neue Aufregung. Damp sprang aus dem Auto und stürmte auf Rieder zu: „Gibt’s schon was Neues?“

„Wir sind auch gerade erst angekommen.“

„Haben Sie schon Durk angerufen?“, fragte der Inselpolizist beinahe ängstlich. Michael Durk war der Inselbürgermeister.

„Noch nicht. Wir sollten erstmal die Lage klären.“ Rieder wandte sich an Dora Ekkehard. „Gehen Sie doch mal voraus zum Kino. Sie kennen sich ja aus.“

„Er liegt nicht im Kino.“ Dora zeigte in Richtung Strand. „Er liegt hinten im Dünenwäldchen.“

Gemeinsam bahnten sie sich den Weg durch die Menschen. Die ersten Gerüchte machten bereits die Runde.

„Die sollen einen erschossen haben.“

„Ich hab’ gehört, die haben ein altes Gerippe gefunden. Soll wohl noch ’ne Uniform anhaben.“

„Nee, das ist ein angetriebener Schwarzer, wahrscheinlich ein Asylant.“

„Na das hat uns gerade noch gefehlt, dass das jetzt hier so anfängt wie im Mittelmeer ...“

Vor dem Pfad zum Dünenwäldchen blockierte der Krankenwagen den Weg. Der Fahrer saß rauchend im Auto. Als er Rieder, Damp und Ekkehard kommen sah, winkte er kurz, startete das Auto, damit die drei vorbeikonnten auf den Pfad.

Damp hatte eine Taschenlampe aus dem Polizeiwagen mitgebracht, doch als er sie nun anschalten wollte, um in der Dunkelheit den Weg zu beleuchten, blieb sie dunkel. Immer wieder schob er fluchend den Schalter vor und zurück. Nichts tat sich.

„Kein Wunder, wenn Sie nachts immer so viele Bußgeldbescheide ausstellen“, meinte Rieder lakonisch Er spielte auf die Lieblingsbeschäftigung seines Kollegen an. Mit Übereifer sorgte er sich um die Verkehrssicherheit der Fahrräder. Das Hauptverkehrsmittel auf der Insel. Dazu legte er sich besonders gern nachts am Rande der Straßen zwischen Neuendorf, Vitte und Kloster auf die Lauer, um uneinsichtige Insulaner und überraschte Urlauber zur Rechenschaft zu ziehen, wenn sie auf ihren Rädern ohne Licht über die Insel fuhren. Rieder war zu Ohren gekommen, dass er es in einer der letzten Nächte besonders arg getrieben haben musste. Vierzig Bußgeldbescheide sollte Damp bei seiner nächtlichen Kontrolle ausgestellt haben. Wahrscheinlich war deshalb die Batterie der Taschenlampe leer. Damp widersprach: „Ach Quatsch, das mache ich doch im Auto. Die Batterie muss feucht geworden sein.“

„Dann wird auch bald die Batterie vom Steifenwagen leer sein“, prophezeite Rieder. Auch wenn Damp täglich den etwas altersschwachen Passat benutzte, um die wenigen Kilometer zwischen seiner Wohnung in Neuendorf und dem Revier in Vitte zu fahren, reichte das bestimmt nicht aus, um die Autobatterie wieder aufzuladen.

Damp begann die Taschenlampe im Dunkeln auseinanderzuschrauben. „Das ist jetzt nicht Ihr Ernst, dass Sie hier anfangen, die Lampe zu reparieren“, empörte sich Rieder.

„Ich will mir doch nicht den Hals brechen.“

„Das ist jetzt Schicksal. Wir müssen weiter. Möselbeck wartet auf uns. Frau Ekkehard kennt hier doch jeden Stein. Oder?“

„Ich denke schon“, antwortete Dora.

Vorsichtig gingen sie Schritt für Schritt auf dem Weg weiter. Nach fünfzig Metern tauchte die leuchtend rote Jacke des zweiten Sanitäters auf. Hinter ihm standen auch schon mehrere Leute, die von der Strandseite neugierig schauten, was passiert sei. Der Sanitäter strahlte mit einer Taschenlampe die Polizisten an und wies dann mit seinem Arm ins Wäldchen. „Hier entlang. Passen Sie auf die Wurzeln auf.“ Sie folgten dem Pfad und sahen bald ein Glühen. Es war Möselbeck, der Inselarzt. Er saß auf dem umgekippten Kahn und rauchte seine Pfeife.

„Tach zusammen, oder besser: Gute Nacht!“ Er stand auf. „Dann wollen wir mal.“

In Berlin hätte die Spurensicherung mit großen Scheinwerfern den Tatort taghell erleuchtet. Hier auf Hiddensee musste das flaue Licht der alten DDR-Stabtaschenlampe, Typ „Artas“, reichen, um den Toten in Augenschein zu nehmen.

Der Mann lag neben einem Angelkahn. Rieder erschien der kahle Schädel des Toten riesig. Die Augen waren weit aufgerissen, der Mund leicht geöffnet, als sei er über etwas sehr erstaunt. Die Kleidung wirkte eher schäbig, zur Insel passend. Rieder erinnerte sich, den Mann ab und zu auf der Insel und auch im Rathaus gesehen zu haben.

„Peter Stein. Siebenundfünfzig Jahre alt, achtzig Kilo schwer, einsachtzig groß“, stellte Möselbeck den Toten vor. „Vielleicht wäre es mir gar nicht so unnormal erschienen, dass er hier liegt. In seinem Alter ist ein Herzinfarkt nicht unüblich. Und Stein war ein Arbeitstier. Bluthochdruck ist eine Erbkrankheit in der Familie.“

Möselbeck machte eine kurze Pause. „Aber?“, fragte Rieder.

„Stein hat sich gerade durchchecken lassen in der Uniklinik Greifswald. Gestern habe ich ihm den Befund mitgeteilt“, erklärte der Inselarzt. „Alles okay. Herz, Lunge, Magen. Keine stillen Infarkte. Kein Magengeschwür. Nicht mal das Cholesterin war zu hoch. Wenn, dann hatte er nur ein, aus Männersicht würde ich sagen, das kleine Problem.“ Er sah Rieder und Damp vielsagend an und krümmte seinen ausgestreckten Zeigefinger.

„Impotent!“, rief Damp laut und hielt sich gleich die Hand vor den Mund.

„Zeugungsunfähig.“

„Na und? Seine Frau ist doch auch nicht mehr die Jüngste. Wollte die etwa noch Kinder?“

Möselbecks Blick zu Damp machte, selbst im schwachen Licht der Taschenlampe deutlich, was er von Damps Bemerkung hielt. Er hockte sich hin und winkte den Polizisten, es ihm gleich zu tun.

„Dann habe ich das hier entdeckt.“ Möselbeck beleuchtete die linke Gesichtshälfte des Opfers. „Sehen Sie die kleine Blutung?“

Der Arzt hielt den Strahl der Lampe auf die Schläfe. „Dort muss er einen Schlag abbekommen haben. Ziemlich heftig. Wahrscheinlich war er nicht gleich tot, aber bald.“

Sie standen wieder auf. „Ich will jetzt hier in der Dunkelheit auch nicht groß rummachen an dem Toten, Temperatur messen und so. Aber gefühlt ist er höchstens eine Stunde tot. Wie gesagt, der Schlag muss ihn nicht gleich erledigt haben.“

„Das bedeutet, Tatzeit und Todeszeit sind nicht identisch“, wandte Rieder ein. „Können Sie vielleicht in etwa sagen, wie viel Zeit zwischen dem Schlag und seinem Tod vergangen ist?“

Möselbeck schüttelte den Kopf. „Das kann nur eine Obduktion klären.“ Er stand auf. „Also Ihr Fall, meine Herren.“

„Aber was machen wir jetzt?“, fragte Damp in die Runde. Rieder nahm sein Telefon. „Ich rufe Behm an.“

Behm war Chef der Spurensicherung bei der Polizeidirektion Stralsund. Verschlafen meldete er sich.

„Mensch, Stefan, hast du mal auf die Uhr geschaut?“

„Hallo, Holm, habe ich. Aber leider haben wir hier einen Toten, wahrscheinlich erschlagen.“

„Oh nein, sag, dass das nicht wahr ist!“, fluchte Behm. „Wie sollen wir denn jetzt auf die Insel kommen? Wo liegt er überhaupt?“

„Am Zeltkino.“

„Kann ihn nicht bei irgendeinem Thriller der Schlag getroffen haben. Die Herbsturlauber sind doch meist etwas älter. Eine Autojagd, eine Schießerei ... da kann doch so was schon mal passieren, wenn die Pumpe nicht mehr so richtig will.“

„Ich muss dich enttäuschen. Kein natürlicher Tod. Möselbeck ist sich sicher.“

„Tja, dann ... ich versuche, die Truppe zusammenzukriegen und zu euch rüberzukommen. Ich melde mich wieder.“ Damit legte Behm auf.

„Kommen sie aus Stralsund?“, fragte Damp. Rieder zuckte mit den Schultern.

Kaum zehn Minuten später rief Behm an.

„Nichts zu machen. Wir kommen nicht rüber. Ich habe mit der Wasserschutzpolizei telefoniert. Es ist dicker Nebel angesagt. Da wollen die nicht los. Ist ihnen zu gefährlich.“

„Und was machen wir jetzt?“, fragte Rieder.

„Den Tatort sichern.“

„Toller Vorschlag. Wir haben hier nicht mal Scheinwerfer. Es gibt eine Taschenlampe. Und die gehört dem Arzt.“

„Na, wenn ihr da im Dunkeln schon hübsch rumgetrampelt seid, ist doch sowieso jede Spur zerlatscht. Da kann ich mir die Bescherung auch noch morgen früh ansehen.“

„Sollen wir den Toten hier so lange liegenlassen? Vielleicht noch Totenwache halten?“

Rieder hörte Behm durchs Telefon auflachen.

„Haste Angst, er könnte zur Geisterstunde wieder lebendig werden. Sag dir immer: ‚Wer tot ist, beißt nicht.’ Nee, im Ernst. Den könnt ihr wegtragen und morgen nach Greifswald schicken, nachdem ich ihn mir angesehen habe. Es gibt doch auf Hiddensee sicher irgendeinen Ort, wo die Toten bis zur Beerdigung aufgebahrt werden.“

„In der kleinen Kapelle auf dem Inselfriedhof in Kloster. Ich rufe den Pfarrer an.“

„Wir sehen uns dann morgen früh, wenn der Nebel weg ist. Ich melde mich, wenn wir von Stralsund losmachen.“

Behm beendete das Gespräch.

„Nebel? Ist doch gar kein Nebel“, meinte Damp.

Auch Rieder wunderte sich. Als er in Richtung Ostsee schaute, waren im hellen Mondschein nirgendwo Nebelschwaden zu entdecken. Aber was sollte er machen?

„Wenigstens müssen wir hier nicht die ganze Nacht hocken und den Toten bewachen“, meinte Damp erleichtert.

„Die Sanitäter haben einen Bodybag an Bord“, meldete sich der Inselarzt. „Ich kümmere mich darum, dass sie die Leiche verpacken.“ Damit verschwand er in der Dunkelheit und mit ihm das letzte Fünkchen Licht.

„Brauchen Sie mich noch?“, fragte Dora Ekkehard. Sie hatte die ganze Zeit schweigend abseits gestanden. Rieder hatte sie beinahe vergessen.

„Ja, schon. Wir müssen noch Ihre Aussage aufnehmen.“

„Muss das noch heute sein?“

„Ich denke schon.“

„Und die beiden jungen Leute?“

„Welche jungen Leute?“

„Die Stein gefunden haben. Die sitzen noch bei mir im Vorführraum.“

„Ach so.“ Rieder und Damp waren von dieser neuen Information überrascht. „Warum haben Sie bisher nicht gesagt, dass nicht Sie, sondern jemand anderes die Leiche gefunden hat?“

„Ich hab’s vergessen. Die Hektik ...“

„Die müssen wir auch noch vernehmen.“ Rieder überlegte kurz. „Gehen Sie doch schon vor. Wir regeln hier die Sache mit dem Toten und sind dann gleich bei Ihnen.“ Dora Ekkehard verschwand.

Die Polizisten waren allein. In der Dunkelheit konnten sie einander kaum erkennen.

„Blöde Sache“, meinte Rieder.

„Das kann man wohl sagen.“ Damp war ungewöhnlich versöhnlich gestimmt. Rieder fühlte sich unwohl in seiner Haut. Er spürte so etwas wie Platzangst. Er wollte sich nicht bewegen, um nicht auf den Toten zu treten, und gleichzeitig stand ihm Damps massiger Körper als unheimliche, dunkle Wand gegenüber.

„Was wissen Sie denn über diesen Peter Stein?“

„Nicht viel. Er baut alles auf der Insel, sitzt im Gemeinderat und ist ein dicker Kumpel von Durk. Und da sollten wir jetzt mal ran.“

„Ja, ja, aber Stein hat doch sicher auch eine Frau. Sollte die nicht vor dem Bürgermeister erfahren, dass ihr Mann tot ist?“

„Aber ich will keinen Ärger ...“

„Mit Durk sind Sie doch mittlerweile fast auf Du und Du?“ Bis vor kurzem war das Verhältnis zwischen dem Bürgermeister und Damp sehr gespannt gewesen. Damps Ordnungsliebe ging Bürgermeister Durk gewaltig auf die Nerven. Er hatte mehr als einmal dem Stralsunder Polizeichef in den Ohren gelegen, man möge Damp bitte wieder dahin versetzen, woher er, wenn auch schon vor über zehn Jahren, gekommen war – nach Rügen. Hiddenseer und Rüganer können sich von Natur aus nicht leiden.

Doch dann hatte Damp bei der Aufklärung des Mordes am Inselpfarrer sein Leben aufs Spiel gesetzt. Damit war er in der Achtung von Durk überraschend weit gestiegen. Er hatte Damps Beförderung zum Revierleiter sofort akzeptiert.

Damp traute dem Frieden nicht. Deshalb war es ihm jetzt auch wichtiger, Durk zu informieren, als sich mit dem Leid der Ehefrau zu beschäftigen. Dass sie nun Witwe war, daran ließ sich in seinen Augen sowieso nichts mehr ändern.

„Dann rufen Sie doch Durk an ...“, gab Rieder nach.

Kaum hatte er das ausgesprochen, hörte er in der Dunkelheit das Klicken der Tasten eines Mobiltelefons und dazu das hektische, aufgeregte Atmen seines Kollegen. Er selbst griff auch nach seinem Handy und suchte in dem beleuchteten Display nach der Nummer von Inselpfarrer Laube.

Wenig später hatten die beiden Sanitäter die Leiche in einem Plastiksack verstaut. Möselbeck ging mit seiner Taschenlampe vorweg, um den beiden Männern den Weg zu leuchten. Allerdings war es trotzdem schwierig, den Toten durch das unwegsame Gelände zu tragen. Ab und zu mussten die beiden Männer den Sack absetzen. Rieder beobachtete das Geschehen mit Missvergnügen. Er konnte jetzt schon Behm poltern hören, wie man hier noch eine vernünftige Spur sichern solle. Aber anders war es wohl nicht zu machen.

Als sie auf den Weg zum Zeltkino einbogen, warteten immer noch viele, um einen Blick auf den Toten zu erhaschen. Die schöne digitale Welt konnte auch zum Fluch werden.

Damp spannte gelbes Band mit der Aufschrift „Polizeieinsatz! Betreten verboten!“ zwischen den Bäumen, um den Pfad zum Tatort und den Weg zum Strand abzusperren. Allerdings würde das wohl kaum die neugierigen Touristen aufhalten, war sich Rieder sicher.

Nachdem die Leiche im Krankenwagen verladen war, fuhren die Sanitäter in Richtung Kloster ab. Die Menschen auf dem Platz machten für das Auto eine Gasse frei und bildeten eine Art Spalier. Unter den Wartenden entdeckte Rieder auch Malte Fittkau. Er nahm sogar seine Schiffermütze ab, als der Krankenwagen vorbeifuhr. Pfarrer Laube hatte versprochen, die Leiche in der kleinen Kapelle neben der Inselkirche aufzubahren und dort auch eine Leichenschau durch die Spurensicherung zuzulassen.

Kaum war das Auto verschwunden, kam Bürgermeister Durk durch die Gasse. Der sonst so dynamische Mann wirkte bedrückt. Wie von einer schweren Last niedergehalten, schleppte er sich zum Zeltkino. Er streckte den beiden Polizisten die Hand entgegen und drückte sie mit leichtem Nachdruck, als hätten sie einen gemeinsamen Angehörigen oder Freund verloren.

Rieders Verhältnis zum Bürgermeister war alles andere als spannungsfrei. Durk war der Mann aus Berlin nicht geheuer. Er fürchtete, er könnte sich in seine Angelegenheiten einmischen. Zugereisten, wie Fremde auf der Insel genannt wurden, begegnete er immer mit einer gewissen Skepsis.

Durk wandte sich an den Revierleiter. „Danke, Damp, dass Sie mich gleich angerufen haben. Haben Sie schon eine Spur?“

Statt des Revierleiters antwortete Rieder. „Wir stehen erst ganz am Anfang. Wir müssen abwarten, ob die Spurensicherung vielleicht noch etwas entdeckt. Die Kollegen können aber erst morgen kommen. Das wird also sicher schwierig ...“

„Wo ist es denn passiert?“

Rieder zeigte in Richtung Strandwald: „Da hinten, an einem alten Kahn.“

Durk schüttelte ungläubig den Kopf. „Das ist sein Kahn. Peters Kahn. Früher sind wir damit oft rausgefahren, haben Heringe geangelt. Eimerweise haben wir sie aus der See geholt ... Das ist alles schon so lange her ... Kann ich mir den Tatort ansehen?“

„Das ist keine gute Idee“, erwiderte Rieder vorsichtig. „Wir würden unseren Kollegen die Arbeit noch weiter erschweren.“

„Ich verstehe ... Peter und ich ... wir waren Schulkameraden, haben in der gleichen Bank gesessen, von der ersten bis zur zehnten Klasse. Hier in der Inselschule.“ Durk schüttelte den Kopf, als könne er es immer noch nicht fassen.

„Hätten Sie denn einen Verdacht? Wenn Sie ihn so gut kannten ...“, fragte Rieder.

Schulterzucken. „Keine Ahnung. Ich kann mir so etwas auf unserer Insel immer gar nicht vorstellen. So ein schönes Fleckchen Erde. Er hat die Insel sehr geliebt.“ Durk sprach mehr zu sich selbst und schaute dabei in Richtung Tatort. „Tja ... ich versteh’ es nicht ... Er hat so viel Gutes für Hiddensee getan.“

‚Da übt wohl schon einer für die Trauerrede‘, dachte Rieder im Stillen. Dafür hatte er jetzt aber keine Zeit. Es ging bereits auf Mitternacht zu. Sie mussten noch das Pärchen befragen, das die Leiche entdeckt hatte, Dora Ekkehards Aussage aufnehmen und die Ehefrau über den Tod ihres Mannes informieren.

„Verzeihen Sie, aber wir müssten noch ein paar Dinge erledigen“, unterbrach er Durk.

„Ja, ja, machen Sie Ihre Arbeit. Wenn Sie Hilfe und Unterstützung brauchen, meine Tür steht Ihnen offen.“ Dabei schlug er Rieder kumpelhaft auf die Schulter. Dann drehte er sich um und ging schweren Schrittes davon.

„Der ist ganz schön getroffen.“

„Klar. Stein war die Stütze seines Systems“, meinte Damp leise.

IV

Dora Ekkehards kleines Reich hinter der Rückwand des Kinos bestand aus zwei Räumen. In der kleinen Kammer, die auch gleichzeitig als Verkaufsschalter diente, konnte man kaum treten. An der Wand gegenüber der Tür stand ein riesiger Kühlschrank, daneben die Kästen mit Bier und Erfrischungsgetränken. Unter dem großen Fenster rechts, an dem sie die Kinokarten verkaufte, waren Kartons mit Chipstüten und Süßigkeiten gestapelt. In der Mitte stand ein alter Drehstuhl. Damit konnte sie alle Zutaten für einen zünftigen Kinobesuch erreichen. Im Vorführraum standen drei große Projektoren. Die Schriftzüge und Namen der Firmen deuteten auf ein längst vergangenes Zeitalter. Obwohl die Vorführung nun schon seit fast zwei Stunden vorbei war, war es hier drinnen immer noch heiß und stickig. Auf einer kleinen Bank an der Wand saßen dicht gedrängt Birte und Markus. Er hatte seinen Arm um ihre Schulter gelegt. Sie hielt krampfhaft eine Tasse in der Hand.

Rieder stellte Damp und sich vor. Damp war hinter Rieder in den engen Vorführraum getreten. Eigentlich war für ihn gar kein Platz mehr. Die Abluft der immer noch heißen Projektoren nahm ihm den Atem und trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. Außerdem bekam er Platzangst. Er quälte sich wieder zurück zur Tür. „Ich warte einfach draußen. Außerdem muss die Aussage von Frau Ekkehard noch aufgenommen werden.“ Damp drehte sich um und marschierte hinaus.

Rieder wandte sich den beiden Zeugen zu. „Sie haben also den Toten entdeckt?“

Birte und Markus berichteten, wie sie auf den Pfad abgebogen waren, sich auf den Kahn gesetzt hatten und Birte mit dem Fuß an den Toten gestoßen war. Danach waren sie zum Zeltkino gerannt. Dort hatten sie Dora Ekkehard von ihrem Fund erzählt. Die Kinofrau hatte dann gleich versucht, den Inselarzt zu erreichen.

„Als der Arzt da war, sollten wir hier warten. Und sie ist mit ihm zu dem ... Toten“, erzählte Birte. „Sie kam noch einmal zurück, um uns Bescheid zu sagen, dass sie die Polizei holen müsste. Seitdem sitzen wir hier.“

„Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen? Vor oder nach der Vorstellung?“

Beide sahen sich an und schüttelten dann den Kopf. „Wir wollen einfach nur nach Hause“, bat Birte ängstlich. „Das war so schrecklich. Wie er da lag.“ Die Frau war den Tränen nah.

„Ich kann Sie verstehen. Aber ich habe leider noch ein paar Fragen. Gab es einen Grund für Ihren Ausflug ins Strandwäldchen? Der Weg endet doch da einfach.“

Birte und Markus erröteten leicht und schauten betroffen auf den Fußboden. Markus fand zuerst die Sprache wieder. „Wir wollten noch ein bisschen allein sein.“ Er machte eine kurze Pause. „Nach dem Film!“

„Aber da hätten Sie doch auch an den Strand gehen können?“

„Ich meinte, völlig allein.“

„Mensch! Sind Sie so schwer von Verstand!“, platzte es aus Birte wütend heraus. „Warum will man allein sein? Im Dünenwald? Mondlicht. Sternenhimmel. Mein Gott!“

Rieder musste grinsen, ein wenig auch über seine eigene Begriffsstutzigkeit. „Schon klar. Und auf dem Weg dorthin? Ist Ihnen da jemand begegnet?“

Beide schüttelten den Kopf.

„Waren Sie davor schon mal dort?“

„Ja, ich“, antwortete Birte. „Im vergangenen Jahr habe ich dort ein paar Fotos von dem Boot gemacht. Es sah so schön aus, wie es von dem Efeu so langsam überwuchert wurde. Zwei Zweige rankten sich über den Kiel ...“

„Haben Sie die Fotos noch?“

„Klar.“

„Hier?“

„Ich müsste nur auf meinem Computer nachschauen. Den habe ich im Häuschen.“

„Ach, Sie wohnen hier auf der Insel?“

„Nein, wir sind im Urlaub bei Freunden, deren Familie hier auf der Insel ein kleines Ferienhäuschen besitzt. In der Dünenheide.“

„Das wäre nett. Bliebe noch die Frage: Kannten Sie den Toten?“

Markus schüttelte den Kopf. „Nein! Wir kennen hier auf der Insel niemanden außer unseren Freunden.“

„Und in der Dunkelheit haben wir doch auch gar nichts richtig gesehen“, ergänzte Birte.

„Woher wussten Sie denn, dass er tot ist?“

„Das wussten wir doch nicht! Wir sind einfach losgerannt. Hierher, um Hilfe zu holen. Das haben wir Ihnen doch schon gesagt“, erklärte Markus, der langsam ungeduldig wurde. „Könnten wir endlich nach Hause? Unsere Freunde werden sich schon Sorgen machen.“

„Klar. Wir bringen Sie hin. Dann weiß ich auch gleich, wo ich Sie finde, damit Sie die Aussage unterschreiben können und falls es noch ein paar Fragen gibt.“ Rieder notierte die Telefonnummern. Die beiden würden noch bis Ende der Woche auf der Insel bleiben.

Damp hatte inzwischen die Aussage von Dora Ekkehard aufgenommen. Die Polizisten verglichen kurz ihre Notizen. Sie stimmten überein.

Auch die Kinofrau drängte zum Aufbruch. „Ich würde dann auch gern die Bude zumachen. Wenn es nichts weiter gibt ...“

„Momentan nicht.“ Rieder und Damp verabschiedeten sich von ihr. Sie ließen Birte und Markus in den Polizeiwagen einsteigen und fuhren davon.