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Titel der dänischen Originalausgabe:
Empati. Det der holder verden sammen
© Helle Jensen, Jesper Juul, Jes Bertelsen, Steen Hildebrandt, Peter Høeg, Michael Stubberup og Rosinante/ROSINANTE&CO, København 2012
   
Published by agreement with Rosinante forlag, ROSINANTE&CO
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Alle Rechte der deutschsprachigen Ausgabe
© 2012 Beltz Verlag, Weinheim und Basel
Umschlaggestaltung: www.anjagrimmgestaltung.de (Gestaltung),
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Umschlagabbildung: © plainpicture/Fancy Images
E-Book: Beltz Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza
ISBN 978-3-407-22464-4

INHALT

EINS
WAS IST EMPATHIE?
 
Ein paar Worte vorab
 
Das bringt man alles schon mit
 
Die Lebensfreude trainieren
 
Therapie, Selbstentfaltung und die natürlichen Kompetenzen
 
Sprache, Emotionen und das innere Fundament
ZWEI
EMPATHIE: WAS DIE WELT ZUSAMMENHÄLT
 
Globale Betrachtungen
 
Die innere und äußere Tragfähigkeit
 
Kinder, Gesellschaft und Familie
 
Kinder und Schule: Empathie und ein gutes Lern- und Entwicklungsumfeld
 
»Der Traum vom Guten« – über Kinder und ihre Entscheidungen von heute
 
Die härteste Währung
DREI
EMPATHIE KANN MAN ÜBEN
 
Über die Übungen – wie fängt man an?
 
Wie werde ich mir meiner Grundkompetenzen bewusst?
 
Wie erkenne ich das Zusammenspiel der Grundkompetenzen?
 
Perspektiven
 
Beziehungskompetenz – die Kunst, andere Menschen zu sehen und ihnen so zu begegnen, wie sie sind
 
Vertrauen – in die Welt und in sich selbst
ANHANG
 
Übungen mit Kindern
 
Kinder, Nähe und Natur
 
»Die Lebenskompetenz von Kindern«
 
Endnoten
 
Literatur
 
Die Autoren
EINS
   
WAS IST EMPATHIE?
»Je besser unser Kontakt zu uns selbst ist, desto tiefer kann unser Verständnis für andere sein.«

Ein paar Worte vorab

Menschen darin unterstützen, den Kontakt zu sich selbst und den Kontakt zu anderen zu verbessern – das ist das Anliegen dieses Buches.
Wir sechs Autoren trafen uns 2007 zum ersten Mal, alle aus den unterschiedlichsten Fachgebieten, aber mit dem gemeinsamen Interesse, die Lebensumstände näher zu betrachten, unter denen Kinder heutzutage aufwachsen, in einer Welt schneller Veränderungen und eines dramatischen Werteverfalls. Dabei sind wir uns sicher, dass uns große Umbrüche noch bevorstehen – aber auch, dass wir schon mittendrin sind! Also haben wir uns zusammengesetzt, um Antworten auf die Fragen zu finden, die uns besonders am Herzen liegen: Was können wir Erwachsenen für die Kinder tun? Was ist dabei das Wichtigste und Wertvollste?
Seitdem haben wir uns regelmäßig getroffen. Zusätzlich zu unserem Dialog haben wir zwei Konferenzen organisiert, eine 2007 in Århus und eine 2009 in Kopenhagen. Wir haben Schulversuche in unseren Grundschulen angeregt und sie 2008 in dem Film Die 9. Intelligenz – die Intelligenz des Herzens dokumentiert.1 Außerdem haben wir uns auch öffentlich mit dem Thema auseinandergesetzt, Beiträge für eine Sonderausgabe der Zeitschrift Kognition og pædagogik geschrieben und begonnen, mit der Pädagogischen Universität von Dänemark zusammenzuarbeiten, deren zentrale Aufgabe es ist, an ausgewählten Grundschulen neue Unterrichtsinhalte auszuprobieren. Parallel dazu haben wir eine Reihe von Fortbildungen für Lehrer und Erzieher angeboten.
In diesem Buch ziehen wir die theoretischen und praktischen Schlüsse, wie sie sich aus dieser jahrelangen Zusammenarbeit für uns ergeben haben. Hauptsächlich geht es darum, dass wir den Kindern von heute nach unserer Auffassung dabei helfen müssen, dass sie in sich selbst ruhen, dass sie ihre eigene Ruhe finden.
Was bedeutet, in seinem eigenen Wesenskern zu ruhen, sich seiner selbst auch gefühlsmäßig sicher zu sein. Nur wer sicher in sich ruht, nur wer vom eigenen Gefühl her auf das bezogen ist, was ganz im Inneren einen selbst ausmacht, ist in der Lage, zu anderen Menschen einen tiefer gehenden Kontakt zu entwickeln und sich in einer Welt zurechtzufinden, die komplex ist, die sich ständig verändert und in der die Suche nach Rollenmodellen immer schwerer wird.
Empathie oder Mitgefühl ist eine Form, in der sich das »In-sich-selbst-Ruhen« im Miteinander mit anderen Menschen ausdrückt. Dabei wird jeder Mensch mit der Anlage dazu geboren, empathiefähig zu sein und in sich selbst zu ruhen. Und diese Anlage kann man entwickeln und vertiefen.
Die ersten beiden Teile des Buches beschäftigen sich zunächst mit dem, was Empathie ist und ausmacht, und der dritte Teil und der Anhang handeln davon, wie man sie üben, also gewissermaßen trainieren und ausbauen kann.
Wir haben drei Gruppen von Lesern vor Augen: In erster Linie richten sich die folgenden Seiten natürlich an jeden, der ernsthaft daran interessiert ist, den Kontakt zu sich und anderen zu verbessern. »Ernsthaft interessiert« bedeutet, dass man bereit sein sollte, die Arbeit in Kauf zu nehmen, die eine solche Vertiefung erfordert.
In zweiter Linie richtet sich das Buch an die Teilnehmer der Kurse über Empathie, die in Dänemark unter der Regie unseres Vereins »Die Lebenskompetenz von Kindern« stattfinden.2 Eigentlich jedoch wenden wir uns mit diesem Buch an die Kinder. Nicht direkt, denn es wendet sich von der Sprache, in der es verfasst ist, natürlich an Erwachsene. Aber das, was hinter unserem Konzept steht, beschäftigt sich vor allem mit der Lebenssituation der Kinder, und alle Übungen wurden in erster Linie für Kinder entwickelt.
Dabei hoffen und wünschen wir uns, dass sich die Erwachsenen die Übungen aneignen und sie dann den Kindern beibringen, wenn sie sich mit ihnen vertraut gemacht und sie wirklich verstanden haben.
Uns ist wichtig, hinzuzufügen, dass sich Verständnis und Vertrautheit aber nicht einfach wie von selbst einstellen. Man darf nicht erwarten, sein Empathievermögen nur durch das Lesen eines Buches zu vertiefen. Das funktioniert weder mit diesem noch mit einem anderen Buch, und natürlich kann man sein Wissen auch nicht allein auf der Grundlage einer Lektüre weitergeben.
Empathie ist kein Sachverhalt, der sich ausschließlich schriftlich vermitteln lässt. Empathie bedeutet Freundlichkeit, Einfühlungsvermögen und Verständnis im Alltag und zeigt sich in der Qualität, der Tiefe und Intensität des zwischenmenschlichen Kontaktes. Das lässt sich in der Schule am besten in einem lebendigen Unterricht vermitteln, wenn sich die Lehrerin oder der Lehrer vorher intensiv und ausgiebig mit seiner Fähigkeit auseinandergesetzt hat, in Kontakt zu anderen zu treten, und diese Beziehung dann auch in seinem eigenen Verhalten umsetzen kann.
Unser Buch kann für den Leser eine Quelle der Inspiration sein und allein auf diese Weise einen wertvollen Beitrag leisten. Wer jedoch mehr als diese Anregung bekommen will, sollte weiterführende Kurse besuchen. Für die Leser, die sich für unsere Arbeit interessieren, haben wir am Ende des Buches einen kurzen Abschnitt über unseren Verein »Die Lebenskompetenz von Kindern« und seine Entstehungsgeschichte angehängt. Dort findet man alle Informationen, wie man sich mit uns – auch in Deutschland – in Verbindung setzen kann.
Unser Buch ist in vier Teile gegliedert. Der erste Teil befasst sich mit der Empathie als Fundament des zwischenmenschlichen Kontakts. Das Wesen und die Grundlagen der Empathie stehen hier im Mittelpunkt. Je besser unser Kontakt zu uns selbst ist, umso tiefer kann unser Verständnis für andere sein. Und das kann man üben.
Ein solches Training läuft aber nicht darauf hinaus, dass wir uns neue Fähigkeiten aneignen müssen – so überraschend das auf den ersten Blick auch klingen mag. Es soll uns vielmehr darauf aufmerksam machen, was für Fähigkeiten wir von Natur aus bereits mitbringen. Wir nennen es »Die fünf natürlichen Kompetenzen«, angeborene Talente oder Begabungen, die zudem eng mit dem Gefühl von Lebensfreude verbunden sind.
Zwei Kapitel erläutern, dass die Übungseinheiten, die wir vorschlagen, weder Therapie noch Selbstentfaltung sein wollen – wovor wir im Übrigen großen Respekt haben. Beides hat in unserer Gesellschaft seinen Ort als Form der inneren Arbeit. Allerdings ist diese Form innerer Arbeit für Kinder nur selten von Bedeutung, und darum ist es uns wichtig, sie von den Übungen abzugrenzen, die wir hier vorschlagen.
Der zweite Teil über Empathie und Tragfähigkeit handelt davon, wie wichtig es ist, auch als Gruppe Empathie zu entwickeln. Die globalen Krisen haben ihre Ursachen in einer Krise des Miteinander, einer Krise des gegenseitigen Verständnisses auf internationaler Ebene. Und wir sind fest davon überzeugt, dass eine Lösung nicht zuletzt darin liegt, das Miteinander, also die zwischenmenschlichen Kontakte und Beziehungen, zu verbessern.
Das, was eine Gesellschaft gleichsam trägt, erfordert nämlich nicht nur ein äußerliches, stoffliches Gleichgewicht der Ökosysteme, sondern in gleichem Maße auch ein persönliches Gleichgewicht. Ein persönliches Gleichgewicht, dem eine uns selbst tragende innere Haltung entspricht, die den Raubbau an unserem Selbst verhindert.
Ausgehend von einer globalen Perspektive wollen wir in zwei Kapiteln die Aufmerksamkeit auf die Familie und das Grundschulsystem richten, auf die großen Schwierigkeiten, aber auch Möglichkeiten, die sich dort im Augenblick auftun. Da wir in Dänemark arbeiten, beziehen wir uns vorwiegend auf dänische Verhältnisse, doch sind unsere Beobachtungen sowohl zur Familien- als auch zur Schulsituation durchaus auf die deutschsprachigen Länder zu übertragen.
Die Schlussfolgerung aus diesen Kapiteln ist – wie schon gesagt –, dass Kinder und Erwachsene gleichermaßen mehr als alles andere Unterstützung darin benötigen, ihr Vermögen, in sich zu ruhen, zu stärken.
Und das kann man üben.
Wie man das genau tut – davon handelt der dritte Teil unseres Buches. Hier stellen wir in verschiedenen Kapiteln erste Übungskonzepte und unsere Überlegungen dazu vor, die helfen sollen, die bereits angesprochenen natürlichen fünf Kompetenzen zu entwickeln. In einem gesonderten Anhang folgen dann viele beispielhafe Übungen mit Kindern, die sich an den fünf natürlichen Kompetenzen orientieren, und wie man sie den Kindern gegenüber erläutert. Schließlich schildern wir, welche Möglichkeiten sich mit dieser Pädagogik für unterschiedliche Aktivitäten in freier Natur eröffnen.
Wie schon gesagt, richtet sich unser Buch, auch in der Art, wie es geschrieben ist, an die Erwachsenen. Aber eigentlich haben wir es doch für Kinder geschrieben. Und zwar in zweierlei Hinsicht. Zum einen glauben wir auf der Grundlage vieler Erfahrungen, die wir bereits dazu gesammelt haben, dass man Kindern auf ihrem Weg in die Welt der Erwachsenen besser helfen kann, als es heutzutage oft geschieht. Zum anderen wendet sich unser Buch auch an das innere Kind in uns. Jeder Erwachsene, der darauf hinarbeitet, seine Selbstsicherheit zu stärken und sein Gespür für die Mitmenschen zu vertiefen, wird auch – und zwar immer – einen Kontakt zu jener spontan überschäumend zum Ausdruck kommenden und unmittelbaren Freude herstellen, die ein Kind ausdrücken kann und die wir alle auch einmal genauso empfunden haben. Diese Freude können wir wieder zum Leben erwecken, nicht indem wir uns einfach wieder in unsere Kindheit zurückbegeben, sondern indem wir unsere Möglichkeiten – in unserem Körper und in unserem durch Erfahrung gewachsenen Bewusstsein – nutzen, um das Kind in uns wiederzuentdecken.
Wir möchten uns bei all denen bedanken, die bei der Entstehung dieses Buches geholfen haben: Hannah Jacobsen und Bjørn Winther haben wesentliche Teile der Kurse übernommen, die wir vom Verein »Die Lebenskompetenz von Kindern« angeboten haben. Außerdem haben sie zum Inhalt des Übungsteils beigetragen und des Abschnitts »Kinder, Nähe und Natur«. Renée Toft Simonsen, Katinka Götsche, Anders Laugesen und Matias Ignatius haben uns mit ihren Beiträgen in Wort und Schrift im Rahmen unserer Arbeit sehr inspiriert. Wir danken außerdem Henriette Due und Birgitte Prahm dafür, dass sie einige der Übungen kindgerecht für die Grundschule in Worte gefasst haben, verfügen doch beide über eine jahrelange praktische Erfahrung mit der Anwendung solcher Übungen an Schulen.
Zum Schluss noch eine persönliche Anmerkung: Wir Autoren verfügen alle über fachliche Kenntnisse zu den verschiedenen Aspekten des Lebens und Wesens von Kindern und der Umstände, in denen sie aufwachsen. Und wir alle sind auch Eltern. Selbstverständlich sind wir alles andere als perfekt, weder im Umgang mit Kindern noch mit anderen Erwachsenen. Wir sind im Gegenteil der Ansicht, dass wir die gleichen Fehler begangen haben und begehen wie alle anderen. Was uns zusammengeführt hat, ist der Wunsch, aus diesen Fehlern zu lernen, damit sich ihre Anzahl vielleicht verringert und sie einfach seltener vorkommen.

Das bringt man alles schon mit

»Miteinander« ist eine Art Handbuch. Allerdings unterscheidet es sich in einem wesentlichen Punkt von anderen Handbüchern: Hier geht es nicht darum, etwas Neues zu lernen. Es geht um die Wiederentdeckung von Fähigkeiten, die man eigentlich schon beherrscht.
Das mag auf den ersten Blick paradox klingen, finden sich in diesem Buch doch viele Argumente und Erklärungen, die der Leser oder die Leserin – so hoffen wir – genau lesen sollte, um zu verstehen, was wir meinen. Und danach folgen Übungseinheiten, die er oder sie – so hoffen wir ebenfalls – dann umsetzen und an denen er oder sie Gefallen finden kann. Dennoch ist es uns sehr wichtig, zu betonen, dass das, was wir hier beschreiben, nicht das Ziel hat, Kindern oder Erwachsenen neue Erkenntnisse zu vermitteln bzw. sie aufzufordern, etwas völlig Neues zu lernen.
Was wir damit im Einzelnen meinen, wird auf den folgenden Seiten vertieft. Vorab wollen wir diesen wichtigen Sachverhalt anhand zweier Beispiele verdeutlichen, mit denen wir alle etwas anfangen können: Entspannung und Kreativität.
Zur Entspannung: Um ganz bei uns selbst oder bei anderen zu sein, um mit uns und anderen wirklich in Kontakt zu kommen, muss unser Körper einigermaßen entspannt sein. Bei fast allen Übungen in diesem Buch ist die körperliche Entspannung eine wichtige Komponente. Eigentlich stellt sie sich ganz spontan ein, denn sie entspricht zuallererst einem natürlichen Zustand. Jeder, der schon einmal einen Säugling ganz dicht an seinem Körper im Arm gehalten hat, wird dessen tiefe, vertrauensvolle Gelöstheit gespürt haben. Wohingegen unser erwachsener, sehr viel wachsamerer und angespannter Körper unablässig versucht, das Gleichgewicht wiederherzustellen, das wir ihm immer wieder aufs Neue nehmen. Die meisten von uns – vielleicht sogar alle – müssen systematisch und täglich daran arbeiten, diesen Zustand körperlicher Entspannung und gleichzeitigen Wohlbefindens wieder herzustellen. Als Kind kannten wir ihn, und so muss es auch nicht unser Ziel sein, uns durch das Erlernen neuen Wissens oder Könnens in Entspannung zu üben. Wissen und Können sind bedeutende Schritte auf diesem Weg. Aber das Ziel ist der Zustand selbst. Es ist der Zustand, mit dem wir geboren wurden.
Daneben wollen wir das Spiel nennen und mit ihm verbunden die Kreativität. Alle Kinder spielen gerne, und wird ihnen diese Ausdrucksform genommen, hat das tief greifende Auswirkungen auf ihre Entwicklung. Das kindliche Spiel ist der natürliche Ausdruck angeborener, spontaner Kreativität. Aber auch Erwachsene haben das Bedürfnis, sich kreativ auszudrücken. Uns ist bekannt – aus Schilderungen von Künstlern, die beschreiben, was in ihnen vorgeht, wenn sie tätig sind, oder aus der Arbeit mit Menschen, die versucht haben, sich ihren inneren Gefühlen gegenüber zu öffnen –, dass wir bei diesem Vorgang mit alten, verurteilenden und bewertenden Stimmen aus unserem Inneren konfrontiert werden, die unser Körper und unsere Psyche im Laufe unseres Heranwachsens offenbar gespeichert haben. Und eben diese Stimmen bremsen uns, halten uns davor zurück, als Erwachsene dem Ideenstrom freien Lauf zu lassen. Obwohl der doch die einzige Quelle ist, aus der Kunst, Erfindungen bzw. jedwede Forschung und Erneuerung entspringen können.
Wenn eine solche Öffnung hin zur Kreativität trotzdem gelingt, erleben wir dieses Gefühl, von dem wir durchströmt werden, nicht wie eine Fertigkeit, die wir uns gerade angeeignet haben. Wir erleben es vielmehr als die Wiederherstellung der Verbindung zu einer natürlichen, ursprünglichen Handhabe der Welt, die wir wieder erblühen lassen.
Diese beiden Beispiele klingen auf den ersten Blick wie eine Selbstverständlichkeit, aber sie sind äußerst wichtig. Die Erfahrung hat uns gelehrt, wie grundlegend die innere Haltung ist, mit der man der Pädagogik begegnet, um die es hier geht. Und wenn man begriffen hat, dass gelebte Empathie in der Praxis keine neue Erfindung ist, sondern dass ihre Grundlage in uns selbst vorhanden und bis zu einem gewissen Grad schon ausgeprägt ist und bereitsteht, dann nimmt man allem, um das es hier geht, von Anfang an das Mythisch-Geheimnisvolle. Wenn man dann noch von der Grundannahme ausgeht, dass man in seinem Herzen und Bewusstsein alles trägt, was man dazu benötigt – zumindest in Keimform –, dann ist man schon auf dem Weg, seine Selbstsicherheit zu finden.
Auf einer solchen Grundlage besitzt die eigene innere Haltung gegenüber jedweder Anleitung zur Empathie – ob sie mithilfe dieses oder eines anderen Buches geschieht, oder sagen wir lieber mithilfe eines anderen Menschen – von vornherein den gleich hohen Stellenwert. Warum ist das so? Weil der Ausgangspunkt einer solchen Unterrichtssituation nicht der ist, dass der Lehrer einem etwas beibringen soll, was einem fehlt. Vielmehr unterstützt er dabei, Fähigkeiten auszubauen, die man bereits in sich trägt.
Ein weiterer wichtiger Effekt dieses Vorschussvertrauens in die eigenen Fähigkeiten ist, dass man seine Fortschritte bewusster wahrnimmt, wenn man mit dem Üben beginnt. Diese Fortschritte, wenn wir gerade etwas Neues erlernen und dann eine Fertigkeit oder ein Wissen beherrschen und einsetzen können, zeigen sich uns nämlich anders, als wir es gewohnt sind. Am Anfang sind die Fortschritte oft verhältnismäßig schwer zuzuordnen, aber man spürt, dass das Vertrauen in sich selbst und in andere wächst. So, als ob man nicht an einen neuen Ort reist, sondern vielmehr bei sich ankommt.

Die Lebensfreude trainieren

Empathie und Lebensfreude sind eng miteinander verbunden. Für die meisten von uns ist das tiefe und intensive Erleben von Freude sehr häufig, vielleicht auch immer, mit der Erfahrung verbunden, in einem tiefen und intensiven Kontakt zu anderen zu stehen. Sodass wir, indem wir unsere Lebensfreude trainieren, auch gleichzeitig unser Empathievermögen stärken.