Türkische Märchen
Märchen der Welt
Herausgegeben von Adelheid Uzunoglu-Ocherbauer
FISCHER E-Books
Adelheid Uzunoglu-Ocherbauer, 1942 in Graz geboren, studierte an den Universitäten Graz, Istanbul, Moskau und Wien. Sie promovierte zum Doktor der Philosophie in den Fächern Turkologie-Islamwissenschaft und Slawistik.
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Dieses E-Book ist der unveränderte digitale Reprint einer älteren Ausgabe.
Erschienen bei FISCHER E-Books
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2014
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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-403123-1
Dem Gedenken an meine Freundin
Lore Rühmann-Strohmexer
Es war einmal, es war keinmal. Mehr Menschen gab’s als Steine an der Zahl. In alter Zeit, die längst vorbei, das Sieb lag drinnen in der Streu, da die Kamele als Ausrufer umhergingen und die Flöhe mit dem Barbieren anfingen, ließ ich die Wiege meines Vaters knarrend schwingen.
Meine mollige Fliege summte und flog hoch in die Luft hinauf. Ich packte sie und fing ihr Fett in neunundneunzig Pfannen auf. Ihre Haut lud ich auf achtundachtzig Kamele. Von dort zog ich fort nach Istanbul. Klaubte in Tophane die Kanonenkugeln zusammen und steckte sie wie Maiskörner in meine Taschen. Nahm den Galataturm in die Hand, wie ein Rohr. Da kam ich an ein Meer; tat einen Schritt in seine Mitte, als wäre die das Ufer. Und bin doch tatsächlich hineingeplumpst!
Was ich erzähle, ist dem Märchen eigen, wollt ihr euch auch daran freuen, müßt ihr euer Ohr mir leihen, wer nicht zuhört, dem wird’s der bucklige Kadi zeigen.
In längst vergangenen Zeiten gab es einen Sultan, der sehr viel Gutes tat. Im Fastenmonat Ramadan verteilte er Speisen unter die Armen, und anläßlich der Bairamfeste schenkte er ihnen neue Kleider. An einem Tag im Jahr ließ er bei dem Brunnen gegenüber seinem Palast aus dem einen Rohr Öl und aus dem anderen Honig fließen, wofür ihn jeder in sein Dankgebet aufnahm.
Es war wieder einer jener Tage, da aus den Rohren Öl und Honig floß, als eine alte Frau zum Brunnen kam. Sie füllte ihren Krug, dessen Schnabel abgesprungen war, voll mit Öl. Der schlimme Sohn des Sultans saß am Fenster des Palastes und betrachtete die Leute, die sich um den Brunnen drängten. Als sich die alte Frau vom Brunnen entfernte, schoß er einen Pfeil ab – und der Krug lag in Scherben. Das Öl floß am Boden aus.
Der Prinz lachte schallend. Die arme Frau, die nicht wußte, wie ihr geschah, hob den Kopf und rief dem Prinzen zu:
»He, mein Sohn! Was habe ich dir denn getan, daß du deshalb meinen Krug zerbrechen mußtest? Ich erbitte von Gott, daß du dich in das Zitronenmädchen verlieben mögest und sie nicht sehen könntest!«
Nach jenem Tag verfiel der Prinz in Schwermut. Von früh bis spät dachte er darüber nach, was es mit diesem Zitronenmädchen wohl für eine Bewandtnis haben mochte, und die Neugierde quälte ihn so, daß er zu zerplatzen glaubte. Dem Sultan machte der grüblerische Zustand seines Sohnes Sorge, und eines Tages rief er ihn zu sich und fragte nach dem Grund seiner Betrübnis. Der Prinz antwortete, er müsse herausfinden, wer das Zitronenmädchen sei, und wolle deshalb, wenn er die Erlaubnis erhalte, aufbrechen, um nach ihr zu suchen.
Dem Sultan blieb nichts anderes übrig, als sich einverstanden zu erklären. Der Prinz traf alle Vorbereitungen zur Reise, nahm Abschied von seinen Eltern, dem Sultan und der Sultanin, und machte sich auf den Weg.
Er ging und ging, zog immer weiter fort, über Berg und Tal nach dem fernen Ort, war tagelang gewandert. Da begegnete er endlich auf dem Gipfel eines Berges einem alten Mann. Er entbot ihm einen Gruß und küßte ihm die Hand. Erfreut, daß der Jüngling seinem Alter Ehrfurcht bezeigte, indem er ihm die Hand küßte, fragte der Greis:
»Was führt dich, mein Sohn, so ganz allein in diese Gegend?«
Der Prinz erwiderte:
»Es soll ein Zitronenmädchen geben, das möchte ich zu gerne sehen. Ich habe mich aufgemacht, um nach ihr zu suchen. Aber obwohl ich nun schon so viele Tage unterwegs bin, konnte ich nicht die geringste Spur von ihr finden.«
Lachend unterbrach ihn der Alte:
»Ich weiß, wo sich das Zitronenmädchen aufhält, und will es dir beschreiben: Geh geradeaus fort. Bis hinter den gegenüberliegenden Berg. Dort stößt du auf einen Rosengarten. Die Rosenbäume haben riesengroße Dornen. Mit den Worten ›welch schöne Rosen‹ pflück eine Rose und riech an ihr. Beachte es nicht, wenn deine Hände bluten. Dann gehst du weiter. Du kommst zu einem Bach, dessen Wasser so rot ist wie Blut. Tritt an sein Ufer und trink einen Schluck, dabei sagst du: ›Ach, welch klares Wasser.‹ Setze deinen Weg fort. An einer Biegung wirst du ein Pferd und einen Hund antreffen, die mit einer Kette an einen Baum gebunden sind. Das Fleisch, das vor dem Pferd liegt, wirf dem Hund hin. Das Heu, das vor dem Hund liegt, gib dem Pferd. Geh weiter. Dann wirst du bald vor zwei Toren stehen. Das eine ist geschlossen, das andere offen. Öffne das geschlossene Tor und schließe das offene. Durch das Tor, das aufgeht, trittst du ein. Du wirst einen großen Garten betreten. Das ist der Schloßgarten des Dev, des Riesenungeheuers. Im Garten steht unter Tausenden von Obstbäumen auch ein Zitronenbaum. Diesen Baum mußt du herausfinden. An ihm hängen drei Zitronen. Pflück alle drei ab und flieh, ohne dich umzuschauen. Geh denselben Weg zurück, den du gekommen bist. Sobald du diese Zitronen aufschneidest, wird aus jeder ein Mädchen herausspringen. Sie werden sich von dir etwas wünschen. Kannst du diesen Wunsch erfüllen, geht alles gut; kannst du es nicht, müssen sie sterben. Sei vorsichtig. Und nun, mein Sohn, viel Glück auf deinem Weg.«
Der Prinz bedankte sich bei dem alten Mann, doch als er sich niederbeugte, um ihm die Hand zu küssen, war niemand mehr da. Der Greis war ganz plötzlich verschwunden.
Ohne Zögern setzte der Prinz seinen Weg fort. Schon nach kurzer Zeit befand er sich hinter dem Berg. Ein wenig später hatte er auch den Rosengarten erreicht. Obwohl er sich an den Dornen die Finger blutig riß, pflückte er eine Rose und roch daran mit den Worten: »Welch schöne Rosen.« Er schritt weiter. Stieß auf den Bach mit dem blutroten Wasser. Beugte sich nieder und nahm einen Schluck, wobei er sagte: »Ach, welch klares Wasser.« An einer Wegecke sah er Pferd und Hund, die mit Ketten an einen Baum gebunden waren. Er gab das Heu, das vor dem Hund lag, dem Pferd und warf das Fleisch, das vor dem Pferd lag, dem Hund hin. Kurz darauf kam er zu den beiden Toren. Er schloß das offene Tor, öffnete das geschlossene und betrat den Obstgarten des Dev.
Nach längerem Suchen fand er in dem riesigen Garten den Zitronenbaum. Wirklich hingen drei Zitronen daran. Er pflückte alle drei und machte sich auf den Rückweg. Gerade in dem Augenblick, als er den Garten durch das Tor verlassen wollte, bemerkte der Dev, daß seine Zitronen abgerissen worden waren, und brüllte mit einer Stimme, die Himmel und Erde erzittern machte:
»Türen, haltet ihn fest! Haltet diesen Jungen fest!«
Da fing das offene Tor zu sprechen an und entgegnete dem Dev:
»So viele Jahre hindurch war ich immer geschlossen. Niemand hat danach gefragt, wie ich mich fühle. Dieser Jüngling hat mich aufgemacht, jetzt ist mir wohler. Ich kann ihn nicht zurückhalten. Möge er froh seines Weges ziehen!«
Der Prinz ging durch das Tor.
Nun wandte sich der Dev an das Pferd und den Hund. Er schrie:
»Pferd! Hund! Haltet diesen Jungen! Laßt ihn nicht durch!«
Pferd und Hund antworteten gemeinsam:
»Wir halten ihn nicht. Seit Jahren zwingst du einen von uns, Fleisch, den anderen, Heu zu fressen. Er hat uns davon erlöst, indem er das Fleisch gegen das Heu austauschte. Gott vergelte es ihm. Wir können ihm nichts Böses tun.«
So ging der Prinz auch an Pferd und Hund vorbei.
Jetzt befahl der Dev dem Bach:
»Blutiger Bach! Blutiger Bach! Laß diesen Jungen nicht durch!«
Der Bach begann zu reden. Er sagte:
»Ich kann ihm nichts Böses tun. Du hast mich immer als Blutbach bezeichnet und nie von meinem Wasser getrunken. Er jedoch nahm einen Schluck und sprach: ›Ach, welch klares Wasser.‹ Darüber freute ich mich von ganzem Herzen. Ich lasse ihn durch. Das Glück sei mit ihm.«
Der Prinz durchquerte den Bach und kam in den Rosengarten. Der Dev schrie hinter ihm her:
»Dornige Rosen! Dornige Rosen! Haltet diesen Jungen! Versperrt ihm den Weg!«
Auch die Rosen huben zu sprechen an. Wie aus einem Mund gaben sie dem Dev zur Antwort:
»Du hast dich auch nicht einen Tag herabgelassen, an uns zu riechen. Stets hast du uns als dornige Rosen beschimpft. Dieser Jüngling jedoch achtete nicht auf unsere Dornen. Er kümmerte sich nicht darum, daß seine Finger bluteten. Er pflückte eine von uns und roch daran mit den Worten: ›Welch schöne Rosen.‹ Damit hat er uns eine Freude bereitet. Gott möge auch ihm Freude spenden und bei seinem Vorhaben Gelingen schenken.«
Der Prinz verließ ungehindert den Rosengarten und trat den Rückweg an. Der Dev hatte keine andere Wahl, als hinter dem Jüngling dreinzulaufen. Er eilte durch das Tor, kam auch an Pferd und Hund vorbei und gelangte zum Bach. Der aber ließ ihn nicht durch. Sein Wasser schwoll immer höher und höher und überflutete das ganze Land, wobei auch der Dev ertrank.
Während der Prinz, der davon keine Kunde hatte, seinen Weg fortsetzte, kam es ihm in den Sinn, eine der Zitronen aufzuschneiden. Er ließ sich am Wegrand nieder und zerteilte mit dem Messer die Frucht. Kaum war die Zitrone durchgeschnitten, entstieg ihr ein wunderschönes Mädchen. Sie rief dem Prinzen zu:
»Wasser! Wasser!«
Der Prinz schaute nach allen Seiten. Aber das widrige Geschick wollte es, daß sich weder ein Bach noch ein Brunnen in der Nähe befand. Das arme Mädchen stöhnte: »Wasser! Wasser!« und starb. Der Prinz wurde darüber sehr betrübt. Doch war nun nichts mehr zu machen. Er erhob sich und wanderte düsteren Sinnes weiter. Als er sich müde fühlte, setzte er sich unter einen Baum, um auszuruhen. Nun schnitt er die zweite Zitrone auf. Auch ihr entstieg ein Mädchen von blendender Schönheit.
Auch sie flehte den Prinzen an:
»Wasser! Wasser!«
Der Prinz, außer sich vor Aufregung, suchte überall nach Wasser. Aber in dieser öden Gegend gab es keine Quelle und keinen Fluß. Ohne etwas dagegen tun zu können, mußte er mitansehen, wie auch dieses Mädchen stöhnend und nach Wasser rufend starb.
Darüber wurde er so traurig, daß er sich selbst die bittersten Vorwürfe machte, die zweite Zitrone nicht an einem Wasser aufgeschnitten zu haben. Tief bekümmert setzte er seinen Weg fort. Er beschloß, die dritte Zitrone, komme, was da wolle, nur neben einem Wasser zu zerschneiden.
Er legte ein ziemliches Stück Weges zurück, bis er in die Nähe einer Stadt kam. Dort sah er einen mit Bäumen bestandenen Garten, in dessen Mitte sich ein großes Brunnenbecken befand. Ringsum war weit und breit kein Mensch zu sehen. Er trat herzu und setzte sich an den Rand des Beckens. Mit zitternden Händen nahm er die dritte Zitrone und schnitt sie auf.
Dieses Mal sprang ein Mädchen heraus, das war noch schöner als die beiden anderen, so prächtig wie der Mond am Vierzehnten.
»Wasser! Wasser!« rief sie.
Da packte sie der Prinz und warf sie in das Brunnenbecken. Nun hatte das Zitronenmädchen so viel Wasser, wie sie nur wollte, trank, bis ihr Durst gestillt war, plätscherte nach Herzenslust in dem kühlen Naß und stimmte ein fröhliches Gelächter an. Die Freude des Prinzen kannte keine Grenzen, denn er hatte das Zitronenmädchen vor dem Tode errettet. Belustigt sah er ihrem Treiben zu. Während sie sich in dem Becken wusch, sagte der Prinz:
»Meine Herrin, in diesem Zustand kann ich Euch nicht in unseren Palast führen. Wartet einstweilen hier! Ich will Euch ein schönes Gewand bringen. Ich hole auch gleich meine Soldaten, damit wir feierlich ins Schloß einziehen können.«
Das Zitronenmädchen erwiderte:
»Gut, mein Prinz, ich steige auf diesen Baum und werde dort oben auf Euch warten. Doch laßt Euch, wenn Ihr in den Palast kommt, von Euren Eltern nicht auf die Stirne küssen, sonst vergeßt Ihr mich.«
»Ich will mich daran halten«, sagte der Prinz. Dann zog er den Ring mit dem grünen Stein von seinem Finger, warf ihn ins Wasser und rief:
»Zitronenmädchen, nimm diesen Ring und steck ihn an deinen Finger! Sollten wir einander verlieren, so ist es ein leichtes, uns mit seiner Hilfe wiederzufinden.«
Das Zitronenmädchen fing den Ring auf und steckte ihn an den Finger. Der Prinz verließ sie. Er kehrte zu seinen Eltern ins Schloß zurück. Voller Freude über das Wiedersehen umarmten sie ihn und küßten ihn auf Stirn und Wangen. Von diesem Augenblick an hatte er das Zitronenmädchen vergessen.
Der Prinz hat sie zwar vergessen, aber wir wollen doch nach ihr sehen. Sobald sich der Prinz entfernt hatte, war das Mädchen aus dem Wasser gestiegen. Neben dem Brunnenbecken stand ein hoher Platanenbaum, dem rief sie zu:
»Beuge dich, Platane, beuge dich!«
Langsam beugte sich der Platanenbaum herunter. Nachdem sich das Zitronenmädchen auf einen seiner Zweige gesetzt hatte, richtete er sich wieder in die Höhe. Das Mädchen versteckte sich zwischen den Blättern, streckte aber den Kopf vor, um das reglos stehende Wasser anzuschauen.
Um diese Zeit kam aus einem der Häuser in der Stadt eine schwarze Dienerin zum Brunnen, um Wasser zu holen. Sie wollte gerade den Krug in das Becken tauchen – da hielt sie mit einem Male inne. Aus dem Wasser blickte ihr das schöne Gesicht des Zitronenmädchens entgegen; sie hielt es für ihr eigenes Spiegelbild und betrachtete es hingerissen. Dann sprach sie zu sich selbst:
»So schön bin ich! – und da soll ich als Dienstmagd arbeiten?« Sie füllte den Krug und kehrte eilends in die Stadt zurück. Sie sagte zu ihrer Herrin:
»Als ich den Krug ins Wasser tauchte, habe ich mein Spiegelbild gesehen. Was für ein schönes Mädchen bin ich doch! Was fällt Euch ein, mich zu so niedrigen Diensten anzuhalten? Ab jetzt gehe ich nicht mehr Wasser holen und mache auch keine andere mindere Arbeit mehr!« Die Frau meinte lachend:
»Ach, du dummes Mädel! Hättest du doch einmal den Kopf gehoben und zum Baum hinaufgeschaut, dann wüßtest du, wer da schön ist.«
Daraufhin begab sich die Negerin wieder schnell zurück zum Brunnen. Dort, wo sie ihr vermeintliches Spiegelbild erblickt hatte, hob sie den Kopf und schaute in die Wipfel des Baumes. Als sie zwischen den Zweigen ein Mädchen sah, das so schön war wie der Mond am Vierzehnten, mußte sie ihrer Herrin recht geben. Sie sprach das Zitronenmädchen an:
»Schönes Mädchen! Liebes, süßes Mädchen, nimm mich doch hinauf zu dir!«
Da sich der Prinz verspätet hatte, war dem Zitronenmädchen die Zeit lang geworden. So kam es ihr recht gelegen, mit dem schwarzen Mädchen ein wenig zu plaudern. Sogleich rief sie:
»Beuge dich, Platane, beuge dich!«
Vor den Augen des erstaunten Negermädchens neigte sich der Platanenbaum bis zur Erde. Als der Ast, auf dem das Zitronenmädchen saß, ganz nah am Boden war, setzte sich das schwarze Mädchen neben sie. Die Platane richtete sich wieder hoch. Die beiden Mädchen unterhielten sich über dies und das. Damit die Zeit schneller verginge, erzählte das Zitronenmädchen auch, was ihr zugestoßen war. Nachdem sich nun die Negerin ihre Lebensgeschichte angehört hatte, meinte sie:
»Wo du doch eine Feenmaid bist, hast du sicher auch einen Talisman. Willst du ihn mir nicht nennen?« Das Zitronenmädchen dachte sich dabei nichts Arges und antwortete: »Mein Talisman ist der kleine goldene Kamm in meinem Haar. Wenn dieser kleine goldene Kamm nicht an seinen Platz gesteckt wird, werde ich zu einem Vogel und fliege davon.«
Danach sprachen sie wieder über das und jenes, und dazwischen sagte das Negermädchen:
»Meine Herrin, Euer Haar ist ganz zerrauft. Neigt doch den Kopf, ich will Euch ein wenig kämmen …«
Das Zitronenmädchen beugte den Kopf, und die Negerin kämmte ihr mit dem goldenen Kamm das Haar. Als sie damit fertig war, steckte sie den Kamm nicht an die Stelle, von der sie ihn genommen hatte, sondern an die andere Seite. Und das Zitronenmädchen wurde zu einer weißen Taube und flog davon.
Da nun das Zitronenmädchen zu einem Vogel geworden und fortgeflogen war, holte das schwarze Mädchen vor Freude tief Atem. Dann zog sie ihre Kleider aus und verbarg sich, wie zuvor das Zitronenmädchen, zwischen den Blättern des Baumes. So wartete sie die Rückkunft des Prinzen ab.
Um diese Zeit geschah es, daß sich der Prinz wieder des Zitronenmädchens erinnerte. Sogleich rief er seine Soldaten zusammen und machte sich auf den Weg. Er nahm an seidenen Kleidungsstücken mit, was eine Prinzessin zum Anziehen benötigt. Auf seinem Roß vorausreitend, gelangte er zu dem Brunnenbecken. Als er den Kopf hob und auf dem Baum das schwarze Mädchen erblickte, fragte er erstaunt: »Mädchen, wie schaust du denn aus? Was ist mit dir geschehen?«
Die Negerin tat sehr traurig und sagte:
»Was wird es schon sein, mein Prinz? Ihr habt mich vergessen. Während ich hier die längste Zeit gesessen habe, brannte die Sonne und ich schmorrte, wehte der Wind und ich verdorrte. Vom vielen Weinen schmerzen meine Augen.«
Der Prinz glaubte diesen Worten. Nachdem das Negermädchen die schönen Kleider angelegt hatte, stieg sie mit Hilfe des Prinzen vom Baum herunter. Sie begaben sich gemeinsam zurück in den Palast. Als der Sultan und die Sultanin die Negerin sahen, wunderten sie sich. Das Mädchen war keineswegs so schön, wie der Prinz sie geschildert hatte. Doch um ihren Sohn nicht zu kränken, ließen sie sich nichts anmerken und rüsteten für die beiden zu einer Hochzeit, die vierzig Tage und vierzig Nächte währte.
Nach der Hochzeit kam des öfteren eine weiße Taube in den Garten des Palastes. Sie ließ sich auf einem Baum nieder und rief:
»Gartenmeister! Gartenmeister! Wenn der Prinz schläft, soll er schlafen und erwachen, süß wie Honig mögen seine Träume sein! Wenn das Negermädchen schläft, soll sie schlafen und erwachen, ihre Ruhe möge vergiftet sein! Die Äste, die ich berühre, mögen verdorren, weder Blüten noch Früchte tragen!«
Dann flog sie wieder fort. Und jeden Tag vertrockneten die Äste, auf denen sie sich niedergelassen hatte.
Als der Prinz eines Tages den Schloßgarten betrat, sah er, daß die Äste mancher Bäume verdorrt waren, und fuhr den Gärtner an:
»Warum achtest du nicht gut auf die Bäume?«
Da mußte der Gärtner erzählen, warum die Äste vertrockneten. Daraufhin befahl der Prinz:
»So bestreiche alle Äste mit Pech und fange die Taube!«
Der Gärtner führte sogleich aus, was ihm der Prinz befohlen hatte. Am nächsten Tag setzte sich die Taube wieder auf einen Ast und sagte:
»Die Äste, die ich berühre, mögen verdorren, weder Blüten noch Früchte tragen!«
Aber als sie wegfliegen wollte, blieb sie mit den Füßen am Pech kleben. Sogleich wurde der Prinz benachrichtigt. Man fing die Taube ein und sperrte sie in einen Käfig. Der Prinz gewann die Taube sehr lieb. Er hängte den Käfig in einer Ecke seines Zimmers auf. Befand er sich im Zimmer, so gurrte die Taube, sprach geradezu wie ein Mensch, wenn er aus dem Zimmer war, gab sie keinen Laut von sich.
Das schwarze Mädchen erkannte die Taube und sann nun auf Mittel und Wege, sie zu beseitigen. Eines Tages stellte sie sich krank und sagte:
»Wenn ich nicht das Fleisch einer weißen Taube essen kann, muß ich sterben.«
Der Prinz gab Befehl, auf dem Markt eine weiße Taube zu besorgen. Aber die Negerin bestand auf ihrer Forderung: »Es muß unbedingt diese Taube sein, eine andere will ich nicht!« Alle Bemühungen des Prinzen halfen nichts, er konnte das schwarze Mädchen nicht umstimmen. So ließ er die weiße Taube, die in den Käfig gesperrt worden war, schlachten.
Als man die Taube im Schloßgarten tötete, floß so viel Blut aus ihr, daß die Erde dort brennendrot wurde. Und im selben Augenblick wuchs an dieser Stelle eine riesige Zypresse. Als die Negerin die Zypresse sah, hielt sie das nicht länger aus und verlangte:
»Laßt mir aus dem Holz dieser Zypresse einen Thron anfertigen!«
Man wollte eine andere Zypresse schlagen, aber das schwarze Mädchen hörte auf niemanden. So blieb nichts anderes übrig, als jene Zypresse zu fällen und daraus einen schönen Thron für die Negerin herstellen zu lassen.
Das Holz, das dabei abfiel, wurde einer armen Frau geschenkt. Die nahm es unter Dankesworten, trug es zu sich nach Hause und schichtete es in einer Ecke auf, um es später zu verheizen. Als sie einmal von zu Hause wegging, um verschiedene Einkäufe zu machen, begannen sich die Holzscheite zu rühren. Und da kommt doch tatsächlich das Zitronenmädchen dazwischen hervor! Sogleich krempelte sie die Ärmel auf, fegte das Haus von oben bis unten und putzte alles blitzeblank. Dann ging sie in die Küche, kochte das Essen, wusch das Geschirr, trocknete ab und räumte alles an seinen Platz. Sie deckte den Tisch, und sobald sie damit fertig war, kroch sie in einen Schrank und versteckte sich.
Die arme Frau kam zurück. Als sie die Tür aufmachte, war sie sprachlos vor Erstaunen. Sie durchsuchte das ganze Haus, um herauszubekommen, wer das gemacht hatte. Da sie aber niemanden fand, rief sie:
»Bist du ein Geist oder ein Mensch?«
Das Zitronenmädchen verließ sein Versteck und sagte zu der Frau:
»Ich bin weder Geist noch Mensch. Ich bin eine Feenmaid; doch nun bin ich zu einem Menschen geworden, wie du es bist.« Sie ging auf die Frau zu und küßte ihr die Hand. Dann erzählte sie, was ihr zugestoßen war, und bat, sie möge sie an Kindes Statt annehmen. Die arme Frau, der das Alleinsein ohnehin nicht behagte, nahm sie als Tochter bei sich auf. Von da ab lebten sie einträchtig beieinander.
Da geschah es, daß der Prinz von einer Krankheit befallen wurde. Die Ärzte rieten ihm, möglichst viel Suppe zu essen. Jeden Tag schickte man aus einem Haus Suppe in den Palast; schmeckte sie dem Prinzen, so aß er die Schüssel leer, sagte sie ihm aber nicht zu, nahm er nur einen Löffel voll und ließ den Rest stehen. Als die Kunde von der Erkrankung des Prinzen dem Zitronenmädchen zu Ohren kam, kochte sie rasch eine gute Suppe. Sie warf den Ring mit dem grünen Stein, den ihr der Prinz gegeben hatte, hinein und sagte zu der armen Frau:
»Mütterchen, ich habe auch eine Suppe für unseren Prinzen gekocht. Sei doch so gut und bring sie in den Palast!«
»Aber ja, mein Liebling, gerne«, sagte die gute Frau, nahm die Schüssel mit der Suppe und begab sich zum Schloß. Die Soldaten wollten dieses Weiblein in den alten, abgetragenen Kleidern nicht einlassen. Der Prinz sah sie jedoch von seinem Fenster aus und befahl, ihr das Tor zu öffnen. Die Frau schritt die Treppen ins obere Stockwerk hinauf und überbrachte dem Prinzen die Schüssel. Sobald sie das Zimmer wieder verlassen hatte, kostete der Prinz die Suppe, sie schmeckte ihm. Er nahm einen zweiten Löffel, da spürte er etwas Hartes im Mund. Und wie er es herausnahm, sah er, daß es nichts anderes war als der Ring mit dem grünen Stein, den er dem Zitronenmädchen gegeben hatte! Nun war er sich darüber klar, daß die Negerin, die er im Glauben, sie sei das Zitronenmädchen, geheiratet hatte, jemand anderer war. Unverzüglich sandte er dem armen Weiblein einen Diener nach. Als sie eintrat, fragte er sie:
»Tante, hast du eine Tochter?«
»Ja, mein Sohn«, erwiderte die gute Frau. »Und noch dazu ist sie eine Feenmaid. Aber jetzt ist sie eigentlich ebenso ein Mensch wie wir.«
Die Worte der Frau erfreuten den Prinzen so sehr, daß er mit einem Schlag von seiner Krankheit genas. Er bat das Mütterchen, neben ihm Platz zu nehmen und ihm alles, was sie wisse, zu erzählen. Sie berichtete der Reihe nach, so wie sie es von dem Zitronenmädchen erfahren hatte. Da nun der Prinz die Wahrheit kannte, klatschte er in die Hände und befahl dem eintretenden schwarzen Diener:
»Meine Frau soll sofort kommen!«
Kurz darauf erschien die Negerin, vor Angst am ganzen Leibe bebend. »Du Lügnerin! Du falsches Weib!« schrie der Prinz sie an. »Sag, willst du vierzig Hacken oder vierzig Schabracken?« »Was fang’ ich mit vierzig Hacken an? Ich will vierzig Schabracken, daß ich in mein Land zurückkehren kann«, erwiderte sie.
Sogleich band man das schwarze Mädchen an die Schwänze von vierzig Schabracken und jagte sie hinauf in die Berge.
Im Schloß wurde aufs neue zu einer Hochzeit gerüstet. In nie gesehener Pracht feierten der Prinz und das Zitronenmädchen vierzig Tage und Nächte lang das Fest ihrer Vermählung.
Sie leben in Glück und Frieden, das gleiche sei euch beschieden.
Die Zeit rinnt an der Zeit vorbei
Das Sieb liegt drinnen in der Streu
Kamele spielen mit dem Ball
Im alten Bad, das nicht mehr neu
Der Bader hat keine Wasserschale zum Übergießen
Dem Bade fehlen Kuppel und Fliesen
Drinnen sah ich eine Frau
Ihr Badeschurz ist in der Mitte zerrissen
Auf dem Markt läuft ein Windhund herum
Sein Halsband ist durchgebissen …
Ich sagte zum Sattler:
»Machst du einen Halsriemen?
Möchtest du dir damit ein paar Groschen verdienen?«
Er sprach:
»Aber ja, gerne
Mach ich den Riemen,
Um was zu verdienen …«
Es war einmal, es war keinmal. Es war einmal ein Fürstensohn, der jeden Tag sein Pferd bestieg und an einem Garten vorüberritt. Drinnen in dem Garten goß ein schönes Mädchen die Basilikumstöcke. Eines Tages, als der Fürstensohn wieder vorbeikam, sah er das Mädchen. Er hielt sein Pferd an und sagte:
»Basilienkräutlerin, Basilienkräutlerin,
Tag und Nacht gießt du das Basilienkraut;
Wie viele Blätter hat das Basilikum?«
Das Mädchen erwiderte ihm:
»Du bist ein Fürstensohn, ein feiner Herr,
Reitest hoch zu Roß spazieren,
Herrschst und gebietest über die Welt;
Wie viele Sterne gibt es am Himmel?«
Den Fürstensohn überraschte die Dreistigkeit des Mädchens, aber er ließ es sich nicht anmerken und ritt weiter.
Nun war es ihm schon zur Gewohnheit geworden, jedesmal, wenn er dort vorbeikam, das Mädchen zu fragen:
»Basilienkräutlerin, Basilienkräutlerin,
Tag und Nacht gießt du das Basilienkraut;
Wie viele Blätter hat das Basilikum?«
Und das Mädchen gab ihm immer die gleiche Antwort. Eines Tages überlegt sich der Fürstensohn folgendes: »Gärtner haben gerne Leber (die Gärtner sind nämlich meist Albaner, und Leber nach albanischer Art ist in der ganzen Türkei berühmt), ich kaufe eine Leber und bring’ sie diesem Mädel mit.«
Er besteigt wieder sein Roß und ruft, als er vor dem Garten anhält:
»Basilienkräutlerin, Basilienkräutlerin,
Tag und Nacht gießt du das Basilienkraut;
Wie viele Blätter hat das Basilikum?«
Daraufhin entgegnet ihm das Mädchen:
»Du bist ein Fürstensohn, ein feiner Herr,
Reitest hoch zu Roß spazieren,
Herrschst und gebietest über die Welt;
Wie viele Sterne gibt es am Himmel?«