XIVorwort

Viele Managementbücher handeln davon, andere zu führen. Thema dieses Buches ist dagegen die Frage, wie man sich selbst führen kann, um wirksamer und zielgerichteter zu arbeiten. Dass man andere tatsächlich führen kann, ist mitnichten hinreichend erwiesen. Sich selbst aber kann man aber immer führen. Darüber hinaus wird man ohne konsequentes Selbstmanagement kaum in der Lage sein, seine Mitarbeiter erfolgreich zu leiten. Führung geschieht weitgehend durch Vorbild. Und Führungskräfte, die ihre eigene Arbeit nicht zielführend bewältigen können, sind kein gutes Vorbild.

Um einigermaßen effektiv zu sein, reichen Intelligenz, Fleiß und Wissen allein nicht aus. Effektivität ist eine andere, eine eigene Qualität. Andererseits sind aber auch keine besonderen Talente, Begabungen oder eine spezielle Ausbildung erforderlich. Man muss vielmehr ein paar ganz bestimmte – und ziemlich einfache – Dinge tun. Das Geheimnis sind einige wenige Praktiken, die in diesem Buch vorgestellt und erörtert werden. Diese Praktiken werden uns aber keinesfalls in die Wiege gelegt. Im Laufe meiner langjährigen Tätigkeit als Managementberater hatte ich mit unzähligen Führungskräften in verschiedensten Organisationen zu tun – in großen und kleinen; in Wirtschaftsunternehmen, Behörden, Gewerkschaften, Krankenhäusern, Universitäten und gemeinnützigen Einrichtungen; in den USA, in Europa, in Lateinamerika und in Japan. Dabei ist mir nicht ein einziges Naturtalent untergekommen, also eine Person, die als „effektive Führungskraft“ geboren wurde. Vielmehr haben alle effektiven Führungskräfte lernen müssen, effektiv zu sein. Und jede von ihnen musste so lange üben, bis ihr die Effektivität zur Gewohnheit wurde. Aber alle, die sich gezielt darum bemüht haben, haben dieses Ziel auch erreicht. Effektivität kann – und muss – erlernt werden.

Führungskräfte werden dafür bezahlt, effektiv zu sein – ob sie nun als Manager für die Leistungen anderer wie auch für ihre eigene Leistung Verantwortung tragen, oder ob sie als Fachkräfte ohne Führungsaufgabe ausschließlich für ihre eigenen Ergebnisse verantwortlich sind. Ohne Effektivität gibt es keine „Leistung“, egal wie viel Intelligenz und Wissen in die Arbeit einfließt und wie viele Stunden sie dauert.

Dennoch überrascht es kaum, dass der effektiven Führungskraft bislang nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Immerhin sind Organisationen – ob Wirtschaftsunternehmen, große Behörden, Gewerkschaften, Großkrankenhäuser oder große Universitäten – noch gar nicht so alt. Noch vor 150 Jahren kamen die meisten Leute mit solchen Organisationen kaum in Berührung, wenn man von dem gelegentlichen Besuch des örtlichen Postamts absieht, um einen Brief aufzugeben. Eine effektive Führungskraft zu sein bedeutet aber, dass man in einer Organisation und durch eine Organisation XIIeffektiv ist. Bis vor nicht allzu langer Zeit gab es also kaum einen Grund, warum man ihr besonders viel Aufmerksamkeit schenken oder sich um die geringe Effektivität von so vielen von ihnen sorgen sollte.

Heute jedoch können die meisten Menschen – insbesondere die mit einer höheren Ausbildung – durchaus damit rechnen, dass sie ihr gesamtes Arbeitsleben in irgendeiner Art von Organisation verbringen werden. Die Gesellschaft ist in allen Industrieländern zu einer Gesellschaft der Organisationen geworden. Folglich wird die Effektivität des Einzelnen zunehmend von seiner oder ihrer Fähigkeit bestimmt, als Führungskraft in einer Organisation effektiv zu sein. Gleichzeitig sind die Effektivität und die Leistungsfähigkeit, ja vielleicht sogar die Überlebensfähigkeit einer modernen Gesellschaft mehr und mehr von den Menschen abhängig, die als Führungskräfte in Organisationen tätig sind.

Die effektive Führungskraft ist auf dem besten Weg, eine wesentliche Ressource für die Gesellschaft als Ganzes zu werden, und Effektivität als Führungskraft ein vorrangiges Erfordernis für die Leistungen und Erfolge des Einzelnen – für junge Menschen am Anfang ihres Arbeitslebens gleichermaßen wie für Leute, die in der Mitte ihrer beruflichen Karriere stehen.

1Was macht eine effektive Führungskraft aus?1

Eine effektive Führungskraft muss keineswegs dem Bild entsprechen, das man sich heute üblicherweise unter einer Führungsfigur vorstellt. US-Präsident Harry Truman, zum Beispiel, hatte nicht einen Funken Charisma. Trotzdem war er eine der effektivsten Führungspersönlichkeiten der amerikanischen Geschichte. Auch einige der besten Geschäftsführer von Wirtschaftsunternehmen und gemeinnützigen Organisationen, mit denen ich im Laufe meiner mehr als 65-jährigen Beratungstätigkeit zusammengearbeitet habe, waren keine stereotypischen Führungsfiguren. Was ihre Charaktereigenschaften, Einstellungen, Werte, Stärken und Schwächen anging, waren sie völlig verschieden: Einige waren extrovertiert, andere eher verschlossen; einige waren locker und gelassen, während andere alles unter Kontrolle haben mussten; und einige zeigten sich stets großzügig, während andere geradezu geizig waren.

Was sie alle effektiv machte, waren diese acht Tugenden:

Mit den ersten beiden Tugenden fanden sie heraus, welche Maßnahmen sie ergreifen mussten. Die nächsten vier halfen ihnen dabei, dieses Wissen effektiv umzusetzen. Die letzten beiden stellten sicher, dass sich die ganze Organisation für die Umsetzung zuständig und verantwortlich fühlte.

Das nötige Wissen

Die erste Tugend besteht darin sich zu fragen, was getan werden muss – und nicht etwa was man tun will. Sich zu fragen, was getan werden muss, und diese Frage auch wirklich ernst zu nehmen, ist eine wesentliche Voraussetzung für erfolgreiche Führung. Sie nicht zu stellen, macht dagegen selbst die fähigste Führungskraft vollkommen ineffektiv.

2Als Harry Truman 1945 Präsident der Vereinigten Staaten wurde, wusste er genau, was er tun wollte: nämlich die vom Zweiten Weltkrieg aufgeschobenen wirtschaftlichen und sozialen Reformen von Theodore Roosevelts New Deal zu Ende bringen. Sobald er sich jedoch gefragt hatte, was getan werden musste, erkannte er sofort, dass die Außenpolitik seines Landes absolute Priorität hatte. Er organisierte seinen Arbeitstag so, dass jeden Morgen eine kurze Beratungssitzung zu außenpolitischen Fragen mit seinem Außen- und Verteidigungsminister stattfand. Dadurch wurde er in puncto Außenpolitik zum effektivsten Präsidenten in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika. Er hielt den Kommunismus sowohl in Europa als auch in Asien in Schach und leitete mit dem Marshall-Plan fünfzig Jahre weltweiten Wirtschaftswachstums ein.

Genauso erkannte Jack Welch als neuer Vorstandsvorsitzender von General Electric sofort, dass er statt der internationalen Expansion, die er gern in Angriff genommen hätte, zunächst alle Unternehmensteile loswerden musste, die – auch wenn sie noch so profitabel waren – niemals zur Nummer eins oder zwei ihrer Branche werden konnten.

Die Antwort auf die Frage „Was muss getan werden?“ zeigt fast immer mehr als eine dringende Aufgabe auf. Doch effektive Führungskräfte verzetteln sich nicht. Sie konzentrieren sich, wenn irgend möglich, auf eine einzige Aufgabe. Wenn sie zu der nicht unbedeutenden Minderheit von Menschen gehören, die etwas Abwechslung brauchen, um optimal arbeiten zu können, dann wählen sie zwei Aufgaben aus. Mir ist jedoch noch nie eine Führungskraft untergekommen, die mehr als zwei Aufgaben gleichzeitig in Angriff nehmen und wirksam bewältigen konnte. Effektive Führungskräfte setzen Prioritäten und halten daran fest. Für einen Vorstandsvorsitzenden könnte die vorrangige Aufgabe etwa darin bestehen, das Leitbild des Unternehmens zu verändern, während sich der Leiter einer Geschäftseinheit vielleicht dafür entscheidet, die Beziehung seiner Einheit zur Hauptverwaltung neu zu definieren. Andere Aufgaben, so wichtig oder attraktiv sie auch sein mögen, werden konsequent zurückgestellt.

Anstatt jedoch nach der Erledigung der ursprünglich vorrangigen Aufgabe einfach zum zweitwichtigsten Punkt auf der Liste überzugehen, fragen sich effektive Führungskräfte: „Was muss jetzt getan werden?“ Und mit der Antwort ergeben sich in der Regel ganz neue und andere Prioritäten.

Um noch einmal zu Jack Welch zurückzukommen: Laut seiner Autobiografie stellte er sich alle fünf Jahre die Frage, was jetzt getan werden musste. Und jedes Mal ergab sich für ihn eine ganz neue und andere Priorität.

Bevor Welch jedoch entschied, auf welche Aufgabe er sich in den nächsten fünf Jahren konzentrieren würde, setzte er sich noch mit einem ganz anderen Aspekt auseinander: Er fragte sich, für welche der zwei oder drei Aufgaben ganz oben auf seiner Prioritätenliste er selbst am besten geeignet wäre. Dann konzentrierte er sich auf diese Aufgaben. Die anderen delegierte er. 3Effektive Führungskräfte versuchen sich auf Dinge zu konzentrieren, die sie besonders gut können. Sie wissen, dass Unternehmen nur dann Leistung erbringen, wenn die Top-Manager etwas leisten – und andernfalls überhaupt nichts erreichen.

Die zweite (und nicht minder wichtige) Tugend effektiver Führungskräfte besteht darin sich zu fragen, ob eine Entscheidung für ihr Unternehmen richtig ist. Die Frage ist nicht, ob sie für Eigentümer, Aktienkurs, Mitarbeiter oder Manager richtig ist. Natürlich wissen sie, dass Aktionäre, Mitarbeiter und Manager wesentliche Interessengruppen sind, die eine Entscheidung unterstützen oder zumindest hinnehmen müssen, wenn sie wirklich effektiv sein soll. Sie wissen, dass der Aktienkurs nicht nur für die Aktionäre, sondern auch für das Unternehmen selbst eine Rolle spielt, weil das Kurs-Gewinn-Verhältnis die Kapitalkosten bestimmt. Aber sie wissen auch, dass eine Entscheidung, die für das Unternehmen nicht richtig ist, letzten Endes auch für keine der Interessengruppen richtig sein kann.

Diese zweite Tugend ist vor allem für Führungskräfte in Familienunternehmen (der Großteil der Betriebe in jedem Land der Welt) von Bedeutung – insbesondere, wenn es um Personalentscheidungen geht. In einem erfolgreichen Familienunternehmen wird ein Familienmitglied nur dann befördert, wenn es allen familienexternen Mitarbeitern auf derselben Ebene messbar überlegen ist. Als der Chemiekonzern DuPont anfangs noch als Familienunternehmen geführt wurde, gehörten alle Spitzenmanager (außer dem Leiter des Rechnungswesens und dem Firmenanwalt) zur Familie. Alle männlichen Nachfahren der Gründer hatten einen Anspruch auf eine Einstiegsposition. Eine Beförderung kam für sie jedoch nur dann infrage, wenn ein hauptsächlich aus Nicht-Familienmitgliedern bestehendes Managergremium zu dem Schluss kam, dass der Kandidat hinsichtlich seiner Fähigkeiten und Leistungen allen gleichrangigen Mitarbeitern überlegen war. Dieselbe Regel kam ein Jahrhundert lang in dem äußerst erfolgreichen britischen Familienunternehmen J. Lyons & Company (heute Teil eines großen Mischkonzerns) zur Anwendung, als es die britische Gastronomie- und Hotelbranche dominierte.

Die Frage „Was ist richtig für das Unternehmen?“ garantiert natürlich nicht, dass die richtige Entscheidung getroffen wird. Selbst die geistreichste Führungskraft ist menschlich und damit anfällig für Fehler und Vorurteile. Stellt man sie jedoch nicht, wird sich die Entscheidung höchstwahrscheinlich als falsch erweisen.

Der Aktionsplan

Führungskräfte sind Macher: Sie setzen Ideen um. Wissen bringt ihnen erst dann Nutzen, wenn es in Taten umgesetzt wurde. Bevor sie jedoch in Aktion 4treten, müssen sie ihren Kurs planen. Sie müssen über gewünschte Ergebnisse, voraussichtliche Einschränkungen, künftige Kurskorrekturen, Kontrollpunkte und Auswirkungen auf die Einteilung ihrer Zeit nachdenken.

Zuerst definiert die Führungskraft die gewünschten Ergebnisse, indem sie sich fragt: „Welche Beiträge sollte das Unternehmen im Laufe der nächsten anderthalb bis zwei Jahre von mir erwarten? Zu welchen Ergebnissen kann ich mich verpflichten? Welche Fristen kann ich dabei einhalten?“ Dann denkt sie über Aspekte nach, die ihren Handlungsspielraum möglicherweise einschränken: „Ist dieser Kurs ethisch richtig? Ist er für die Organisation akzeptabel? Ist er rechtlich zulässig? Ist er mit dem Leitbild, den Werten und den Grundsätzen der Organisation vereinbar?“ Selbst wenn diese Fragen bejaht werden können, ist längst nicht gewährleistet, dass die geplanten Maßnahmen auch wirklich effektiv sind. Eine Nichtbeachtung dieser Einschränkungen führt jedoch mit Sicherheit dazu, dass sie sich am Ende nicht nur als falsch, sondern auch als ineffektiv erweisen werden.

Der Aktionsplan ist eher eine Absichtserklärung als eine verbindliche Zusage. Er darf nicht zu einer Zwangsjacke werden. Er sollte oft überprüft werden, weil jeder Erfolg – und jede Niederlage – neue Chancen schafft. Dasselbe gilt für Veränderungen im Geschäftsumfeld, auf dem Markt und insbesondere im Hinblick auf die Mitarbeiter des Unternehmens. Alle derartigen Veränderungen machen eine Überprüfung des Plans erforderlich. Schriftliche Pläne sollten immer der Notwendigkeit von Flexibilität Rechnung tragen.

Außerdem muss es Teil eines jeden Aktionsplans sein, die erzielten Ergebnisse laufend den ursprünglichen Erwartungen gegenüberzustellen. Effektive Führungskräfte bauen zu diesem Zweck in der Regel zwei Kontrollpunkte in ihre Aktionspläne ein. Die erste Kontrolle findet nach der ersten Hälfte des festgelegten Zeitrahmens statt, zum Beispiel nach neun Monaten. Die zweite Kontrolle erfolgt am Ende, bevor der nächste Aktionsplan erstellt wird.

Schließlich muss der Aktionsplan zur Grundlage des Zeitmanagements der Führungskraft werden. Zeit ist die knappste und wertvollste Ressource einer Führungskraft. Und Organisationen – ob Behörden, Unternehmen oder gemeinnützige Einrichtungen – sind von Natur aus Zeitverschwender. Ein Aktionsplan ist völlig nutzlos, wenn er nicht darüber bestimmen kann, wie die Führungskraft ihre Zeit verwendet.

Napoleon soll einmal gesagt haben, dass keine erfolgreiche Schlacht jemals ihrem Plan gefolgt wäre. Trotzdem hat Napoleon jede seiner Schlachten weitaus gründlicher geplant als alle Generäle vor ihm. Ohne Aktionsplan werden Führungskräfte zu Gefangenen der Ereignisse, die sich in ihrem Umfeld abspielen. Und ohne Kontrollpunkte, die eine regelmäßige Überprüfung der Planung auf veränderte Gegebenheiten zulassen, haben sie 5keine Möglichkeit herauszufinden, welche Ereignisse wirklich wichtig sind und welche nur störende Nebensächlichkeiten.

Die Umsetzung

Bei der Umsetzung ihrer Pläne müssen Führungskräfte vor allem auf den Entscheidungsprozess, auf effektive Kommunikation, auf Chancen (im Gegensatz zu Problemen) und auf die sinnvolle Gestaltung von Besprechungen achten. Ich werde im Folgenden auf jeden dieser Punkte einzeln eingehen.

Verantwortung für Entscheidungen übernehmen

Eine Entscheidung ist erst dann getroffen, wenn folgende Fakten allgemein bekannt sind:

Unzählige Entscheidungen in Organisationen geraten ins Schleudern, weil diese Grundvoraussetzungen nicht erfüllt sind. In den 1950er Jahren verlor einer meiner Klienten seine Führungsposition auf dem schnell wachsenden japanischen Markt. Die Firma hatte beschlossen, ein Gemeinschaftsunternehmen mit einem neuen japanischen Partner aufzubauen, dann aber nicht klar kommuniziert, wer die Einkäufer darüber informieren sollte, dass der Partner seine Produktspezifikationen nicht in Fuß und Pfund, sondern in Meter und Kilogramm definierte – mit dem Ergebnis, dass niemand diese Informationen je weitergab.

Das regelmäßige Überprüfen von Entscheidungen – und zwar zu vorab vereinbarten Zeitpunkten – ist ebenso wichtig wie ein wohl durchdachter Entscheidungsprozess. So kann eine schlechte Entscheidung korrigiert werden, bevor sie echten Schaden anrichtet. Von den Ergebnissen bis hin zu den zugrunde liegenden Annahmen können dabei verschiedenste Aspekte auf den Prüfstand gestellt werden.

Besonders wichtig ist dieser Schritt bei den kritischsten und schwierigsten aller Entscheidungen: jenen über die Einstellung und Beförderung von Mitarbeitern. Untersuchungen von Personalentscheidungen zeigen, dass nur ein Drittel wirklich erfolgreich ist. Bei einem weiteren Drittel ist weder ein 6klarer Erfolg noch ein deutlicher Misserfolg erkennbar. Und ein Drittel scheitert schlicht und einfach. Effektive Führungskräfte wissen das und kontrollieren (sechs bis neun Monate später) die Ergebnisse ihrer Personalentscheidungen. Wenn sie dabei feststellen, dass eine Entscheidung nicht zu dem gewünschten Ergebnis geführt hat, kommen sie keineswegs zu dem Schluss, dass der fragliche Mitarbeiter keine Leistung erbracht hat. Vielmehr schließen sie daraus, dass sie selbst einen Fehler gemacht haben. In einem gut geführten Unternehmen versteht es sich von selbst, dass Mitarbeiter, die (insbesondere nach einer Beförderung) in einer neuen Position versagen, nicht unbedingt selbst dafür verantwortlich gemacht werden können.

Außerdem sind es Führungskräfte sowohl ihrer Organisation als auch ihren Kollegen schuldig, keine leistungsschwachen Mitarbeiter in wichtigen Positionen zu dulden. Sie müssen versetzt werden, auch wenn sie ihre Leistungsschwäche nicht selbst verschuldet haben. Einem Mitarbeiter, der mit einer neuen Stelle nicht zurechtkommt, sollte angeboten werden, wieder auf seine frühere Ebene und Gehaltsstufe zurückzukehren. Tatsächlich wird diese Möglichkeit nur selten wahrgenommen, weil die Mitarbeiter – zumindest in amerikanischen Firmen – solche Problemstellen in der Regel aus eigenem Antrieb aufgeben. Dennoch kann sich allein das Vorhandensein dieser Option als außerordentlich wirkungsvoll erweisen, weil Mitarbeiter dazu ermutigt werden, eine sichere und bequeme Stelle aufzugeben, um eine riskante neue Aufgabe in Angriff zu nehmen. Immerhin hängt die Leistungsfähigkeit der gesamten Organisation von der Bereitschaft ihrer Mitarbeiter ab, solche Risiken einzugehen.

Eine systematische Überprüfung von Entscheidungen kann auch ein wirksames Instrument für die Selbstentwicklung sein. Indem sie die Ergebnisse einer Entscheidung mit den an sie gestellten Erwartungen vergleichen, erkennen Führungskräfte ihre eigenen Stärken, in welchen Bereichen Verbesserungsbedarf besteht und wo es ihnen noch an Wissen und Informationen fehlt. Sie sehen, inwiefern sie voreingenommen sind. Sehr oft stellen sie dabei fest, dass ihre Entscheidungen ergebnislos geblieben sind, weil sie eine Stelle nicht mit dem richtigen Mitarbeiter besetzt haben. Eine Stelle mit dem am besten geeigneten Mitarbeiter zu besetzen ist eine entscheidende und schwierige Aufgabe, die viele Führungskräfte vernachlässigen – unter anderem deshalb, weil die besten Mitarbeiter bereits zu beschäftigt sind. Das systematische Überprüfen von Entscheidungen zeigt Führungskräften aber auch ihre eigenen Schwächen auf – insbesondere die Bereiche, in denen sie ganz einfach nicht qualifiziert sind. In diesen Bereichen treffen kluge Führungskräfte keine Entscheidungen und ergreifen auch keine Maßnahmen, sondern delegieren diese Aufgabe. Jeder Mensch hat solche Bereiche; das universelle Führungsgenie gibt es nicht.

Die meisten Abhandlungen über den Entscheidungsprozess gehen davon aus, dass nur hochrangige Führungskräfte Entscheidungen treffen oder nur die Entscheidungen von Spitzenmanagern relevant sind. Das ist ein gefährlicher 7Irrtum. Entscheidungen werden auf jeder Ebene einer Organisation getroffen, angefangen bei Fachkräften ohne Führungsverantwortung und einfachen Teamleitern. Diese scheinbar geringfügigen Entscheidungen sind in einer wissensbasierten Organisation von enormer Bedeutung. Von Kopfarbeitern wird erwartet, dass sie mehr über ihr jeweiliges Fachgebiet wissen als alle anderen. Deshalb ist es sehr wahrscheinlich, dass sich ihre Entscheidungen auf die ganze Organisation auswirken werden. Die Fähigkeit, gute Entscheidungen zu treffen, spielt auf allen Ebenen eine äußerst wichtige Rolle und muss in wissensbasierten Organisationen jedem Mitarbeiter explizit vermittelt werden.

Verantwortung für die eigene Kommunikation übernehmen

Effektive Führungskräfte stellen sicher, dass sowohl ihre Aktionspläne als auch ihr Informationsbedarf verstanden werden. Konkret bedeutet dies, dass sie ihre Pläne mit allen Kollegen (also mit über- und untergeordneten sowie ranggleichen Mitarbeitern) teilen und diese um ihre Meinung bitten. Gleichzeitig kommunizieren sie offen, welche Informationen sie zur Bewältigung ihrer Aufgaben benötigen. Der Informationsfluss von Mitarbeiter zu Vorgesetztem erhält gewöhnlich am meisten Beachtung. Doch Führungskräfte müssen dem Informationsbedarf ihrer Vorgesetzten und Kollegen gleich viel Bedeutung zumessen.

Dank Chester Barnards 1938 erschienenem Klassiker The Functions of the Executive ist heute allgemein bekannt, dass Organisationen in Wahrheit durch Informationen zusammengehalten werden und nicht durch Eigentums- oder Beherrschungsverhältnisse. Dennoch verhalten sich viel zu viele Führungskräfte so, als seien ausschließlich Informationsspezialisten – zum Beispiel Buchhalter – für Informationen und den Informationsfluss zuständig. So erhalten sie zwar enorme Datenmengen, die sie weder brauchen noch anwenden können, dafür aber kaum Informationen, die sie tatsächlich benötigen. Dieses Problem lässt sich am besten dadurch umgehen, dass jeder Manager die erforderlichen Informationen identifiziert, aktiv um sie bittet und so lange darauf drängt, bis er sie in den Händen hält.

Chancenorientiert denken

Gute Führungskräfte konzentrieren sich auf Chancen und nicht auf Probleme. Natürlich müssen Probleme aus der Welt geschafft werden; man darf sie nicht unter den Teppich kehren. Doch das Lösen von Problemen, so unerlässlich es auch sein mag, liefert keine Ergebnisse. Es verhindert Schäden. Um Ergebnisse zu erzielen, muss man Chancen nutzen.

8In erster Linie sehen effektive Führungskräfte Veränderungen als Chance und nicht als Bedrohung. Sie sehen sich systematisch Veränderungen innerhalb und außerhalb der Organisation an und fragen: „Wie können wir diese Veränderung als Chance für unser Unternehmen nutzen?“ Konkret untersuchen sie die folgenden sieben Situationen auf günstige Gelegenheiten:

Effektive Führungskräfte stellen auch sicher, dass vorhandene Chancen nicht von Problemen erdrückt werden. In den meisten Firmen werden auf der ersten Seite des monatlichen Managementberichts die wichtigsten Probleme aufgezählt. Weitaus klüger ist es jedoch, auf der ersten Seite vorhandene Chancen zu nennen und die Probleme für die zweite Seite aufzuheben. Sofern es sich nicht gerade um eine echte Katastrophe handelt, sollten Probleme in Managementbesprechungen erst dann behandelt werden, wenn alle Chancen analysiert und ausführlich erörtert wurden.

Die Stellenbesetzung ist ein weiterer wichtiger Aspekt chancenorientierten Handelns. Effektive Führungskräfte lassen ihre besten Mitarbeiter an Chancen und nicht an Problemen arbeiten. Dies kann beispielsweise dadurch erreicht werden, dass jedes Mitglied des Managements alle sechs Monate zwei Listen erstellt – eine mit unternehmensweiten Chancen und eine mit den leistungsstärksten Mitarbeitern der Firma. Diese Listen werden dann besprochen und zu zwei großen Sammellisten zusammengeführt, wobei jedem Mitarbeiter auf der einen Liste die für ihn am besten geeigneten Chancen der zweiten Liste zugeordnet werden. In Japan gilt diese Vorgehensweise übrigens als wichtige Aufgabe des Personalmanagements in Großunternehmen und Ministerien, und zählt zu den größten Stärken der japanischen Geschäftspraxis.

9Für produktive Besprechungen sorgen

Die sichtbarste, einflussreichste und wohl effektivste Führungskraft einer nichtstaatlichen Stelle in den USA des Zweiten Weltkriegs und der darauffolgenden Jahre war kein Geschäftsmann. Es war Francis Kardinal Spellman, das Oberhaupt der römisch-katholischen Erzdiözese New York und Berater mehrerer US-Präsidenten. Bei seinem Amtsantritt war die Diözese insolvent und völlig demoralisiert. Sein Nachfolger übernahm ein Bistum, das an der Spitze der amerikanischen katholischen Kirche stand. Spellman hat oft gesagt, dass er tagsüber nur zwei Mal für sich allein war, und zwar jeweils 25 Minuten lang: wenn er nach dem Aufstehen am Morgen in seiner privaten Kapelle die Messe las und wenn er vor dem Zubettgehen das Abendgebet sprach. Den ganzen restlichen Tag verbrachte er in Besprechungen, angefangen beim Frühstück mit einer katholischen Organisation bis hin zum Abendessen mit einer anderen.

Andere wichtige Führungskräfte haben in der Regel mehr Freiheiten als der Erzbischof einer katholischen Diözese. Dennoch ist bislang jede Untersuchung des Arbeitstages von Managern zu dem Schluss gekommen, dass selbst rangniedrige Führungs- und Fachkräfte mehr als die Hälfte davon mit anderen Leuten – also in irgendeiner Art von Besprechung – verbringen. Daraus folgt, dass sie Besprechungen produktiv gestalten müssen, wenn sie effektiv sein wollen. Sie müssen dafür sorgen, dass Besprechungen keine lockeren Gesprächsrunden, sondern zielgerichtete Arbeitssitzungen sind.

Der Schlüssel liegt darin, bereits im Voraus zu entscheiden, um welche Art von Sitzung es sich jeweils handelt. Denn sowohl die notwendigen Vorbereitungen als auch die angestrebten Ergebnisse sind von der Art der Besprechung abhängig:

Dann gibt es noch Besprechungen, die keinen anderen Zweck erfüllen, als es den Anwesenden zu ermöglichen, sich in der Nähe der Führungskraft aufzuhalten. Kardinal Spellmans Treffen beim Frühstück und Abendessen zählten zu dieser Kategorie. Es ist unmöglich, solche Besprechungen produktiv zu gestalten. Sie sind die Strafe, die ein hohes Amt mit sich bringt. Die Effektivität ranghoher Führungskräfte bestimmt sich unter anderem dadurch, inwieweit sie ein Übergreifen solcher Treffen auf ihren Arbeitstag verhindern können. Spellman beispielsweise war in hohem Maße nur deshalb so effektiv, weil er derartige Treffen auf Frühstück und Abendessen beschränkte und den restlichen Tag konsequent von ihnen freihielt.

Um eine Besprechung produktiv zu machen, ist eine gute Portion Selbstdisziplin erforderlich. Die Führungskraft muss festlegen, um welche Art von Besprechung es sich jeweils handelt und sich dann an dieses Format halten. Außerdem muss die Sitzung beendet werden, sobald ihr spezifischer Zweck erfüllt wurde. Gute Führungskräfte stellen keinen weiteren Punkt zur Diskussion. Sie fassen das Gesagte zusammen und schließen die Sitzung.

Eine gute Nachbereitung ist ebenso wichtig wie die Besprechung selbst. Der große Meister der Nachbereitung war Alfred P. Sloan, der effektivste Konzernchef, den ich je kennengelernt habe. Sloan, der von den 1920er Jahren bis in die 1950er Jahre General Motors leitete, verbrachte den Großteil seiner sechstägigen Arbeitswoche in Besprechungen – drei Tage pro Woche in formellen Ausschusssitzungen mit fester Besetzung und die übrigen drei Tage in spontanen Meetings mit einem oder mehreren Managern des Unternehmens. Zu Beginn einer formellen Sitzung nannte er den Zweck der Zusammenkunft. Dann hörte er zu. Er machte nie Notizen und sprach nur selten, außer um Unklarheiten zu beseitigen. Am Ende resümierte er die Inhalte, dankte den Anwesenden und verließ den Raum. Direkt im Anschluss verfasste er ein kurzes Memo an einen der Teilnehmer. Darin fasste er die Diskussion und sämtliche Schlussfolgerungen noch einmal ausführlicher zusammen und konkretisierte jegliche Arbeitsaufträge, die in der Sitzung beschlossen worden waren (einschließlich der Entscheidung, eine weitere Besprechung zu diesem Thema abzuhalten oder eine Angelegenheit eingehender zu untersuchen). Er nannte einen Zeitrahmen und die jeweils verantwortliche Führungskraft. Dann schickte eine Kopie an alle Teilnehmer der Sitzung. Diese Memos (von denen jedes ein kleines Meisterwerk war) ermöglichten es Sloan, so außergewöhnlich effektiv zu werden.

11Effektive Führungskräfte wissen, dass jede Besprechung entweder produktiv oder reine Zeitverschwendung ist.

In der Wir-Form denken und sprechen

Die letzte Tugend besteht darin, nicht in der Ich-Form zu denken und zu sprechen, sondern stets von einem „Wir“. Effektive Führungskräfte wissen, dass sie die Hauptverantwortung tragen, die sich weder teilen noch delegieren lässt. Autorität haben sie aber nur deshalb, weil sie das Vertrauen der Organisation genießen. Das bedeutet, dass sie an die Bedürfnisse und Chancen der Organisation denken, bevor sie sich um ihre eigenen Bedürfnisse und Chancen Gedanken machen. Dieser Grundsatz mag einfach klingen; das ist er nicht, aber trotzdem muss er strikt eingehalten werden.

Wir haben gerade acht Tugenden behandelt, die Führungskräfte effektiv machen. Zum Schluss möchte ich gewissermaßen als „Bonus“ noch eine weitere Tugend ansprechen. Sie ist so wichtig, dass ich sie auf die Ebene einer Regel heben will: Hören Sie zu und sprechen Sie erst, wenn alles gesagt wurde.

Effektive Führungskräfte haben die unterschiedlichsten Charaktereigenschaften, Stärken, Schwächen, Werte und Ansichten. Ihre einzige Gemeinsamkeit besteht darin, dass sie die richtigen Dinge tun. Manche werden als effektive Menschen geboren. Aber der Bedarf ist viel zu hoch, als dass er allein durch herausragende Talente befriedigt werden könnte. Effektivität ist eine Disziplin. Und wie jede Disziplin kann Effektivität erlernt und muss erarbeitet werden.

 


1  Anm. d. Übers.: Diese Einleitung war nicht Bestandteil der ersten Auflage des Originals aus dem Jahr 1967, sondern wurde von Peter F. Drucker erst später eingefügt.

131. Effektivität kann erlernt werden

Die vorrangige Aufgabe einer jeden Führungskraft besteht darin, effektiv zu sein. Ob sie in einem Wirtschaftsunternehmen oder einem Krankenhaus arbeitet, in einer Behörde oder einer Gewerkschaft, in einer Universität oder beim Militär – von einer Führungskraft wird in erster Linie erwartet, dass sie die richtigen Dinge tut. Und das bedeutet nichts anderes, als dass sie effektiv zu sein hat.

Trotzdem sind auffallend wenige Führungspositionen mit besonders effektiven Menschen besetzt. Hohe Intelligenz ist in solchen Positionen häufig anzutreffen. Vorstellungskraft ist alles andere als eine Seltenheit. Und auch das Wissen ist in der Regel beträchtlich. Doch scheint kaum ein Zusammenhang zwischen der Effektivität einer Person und ihrer Intelligenz, ihrer Vorstellungskraft oder ihrem Wissen zu bestehen. Brillante Menschen sind oft auffallend ineffektiv; sie übersehen, dass ein brillanter Intellekt an sich noch keine Leistung darstellt. Sie haben nie gelernt, dass sich Erkenntnisse nur durch harte, systematische Arbeit in Effektivität umwandeln lassen. Andererseits finden sich in jeder Organisation immer auch einige äußerst effektive „Zugpferde“. Während andere in der fieberhaften Geschäftigkeit umherhasten, die hochintelligente Menschen so oft mit „Kreativität“ verwechseln, setzt das Zugpferd langsam und bedächtig einen Fuß vor den anderen und erreicht – wie die Schildkröte in der alten Fabel – als Erstes das Ziel.

Intelligenz, Vorstellungskraft und Wissen sind unabdingliche Ressourcen, aber nur durch Effektivität werden Ergebnisse daraus. Für sich allein setzen diese Qualitäten lediglich die Grenzen dessen, was erreicht werden kann.

Warum wir effektive Führungskräfte brauchen

Intelligenz, Vorstellungskraft und Wissen sind unabdingliche Ressourcen, aber nur durch Effektivität werden Ergebnisse daraus. Für sich allein setzen diese Qualitäten lediglich die Grenzen dessen, was erreicht werden kann.

All das sollte eigentlich offensichtlich sein. Warum aber hat man dann in einer Zeit, in der sich ganze Berge von Büchern und Artikeln mit allen anderen 14Aspekten des Aufgabenspektrums einer Führungskraft befassen, ihrer Effektivität so wenig Aufmerksamkeit gewidmet?

Ein Grund für diese Nachlässigkeit liegt darin, dass Effektivität die spezifische „Technologie“ der Wissensarbeiter in Organisationen darstellt. Für manuelle Arbeiten ist Effizienz völlig ausreichend – also die Fähigkeit, die Dinge richtig zu tun, im Gegensatz zu jener, die richtigen Dinge zu tun. Die Leistung eines Handarbeiters kann immer an der Menge und Qualität einer definierbaren und diskreten Ausbringung beurteilt werden. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts haben wir gelernt, Effizienz und Qualität manueller Arbeiten zu messen und zu definieren – und zwar so weit, dass wir die Leistung der einzelnen Arbeitskraft um ein Vielfaches steigern konnten.

Früher machten Handarbeiter – ob Maschinenführer oder Frontsoldaten – den Großteil aller Beschäftigten einer jeden Organisation aus. Es wurden nur wenige effektive Menschen gebraucht: nämlich die an der Spitze, deren Befehle von den anderen ausgeführt wurden. Gemessen an der gesamten Belegschaft waren es so wenige, dass wir ihre Effektivität – zu Recht oder zu Unrecht – als selbstverständlich ansehen konnten. Wir konnten uns auf das Vorhandensein von „Naturtalenten“ verlassen – auf die wenigen Menschen in jedem Bereich menschlichen Schaffens, die aus irgendeinem Grund all die Dinge einfach können, die wir anderen uns hart erarbeiten müssen.

Heute können wir uns kaum noch vorstellen, dass sich der Begriff „Regierung“ während des Amerikanischen Bürgerkriegs Mitte des 19. Jahrhunderts auf nicht mehr als eine Handvoll Leute bezog. Lincolns Kriegsminister hatte weniger als fünfzig zivile Mitarbeiter, von denen die meisten nicht etwa Führungskräfte und politische Entscheidungsträger waren, sondern Telegrafisten. Und auch Theodore Roosevelts gesamter Washingtoner Regierungsstab um 1900 hätte bequem in irgendeinem der heutigen Regierungsgebäude entlang der National Mall untergebracht werden können.

Das Krankenhaus von gestern kannte keine „medizinischen Fachkräfte“ wie Röntgen- und Labortechniker, Ernährungsexperten, Therapeuten oder Sozialarbeiter, von denen heute bis zu 250 auf 100 Patienten kommen. Abgesehen von einigen Krankenschwestern gab es nur Putzfrauen, Köche und Dienstmädchen. Der Arzt war der Wissensarbeiter und die Krankenschwester seine Hilfskraft.

Bis vor Kurzem stellte die Effizienz der Handarbeiter, die einfach nur Anweisungen ausführten, das größte Problem einer jeden Organisation dar. Wissensarbeiter nahmen zahlenmäßig nirgends eine vorherrschende Stellung ein.

Tatsächlich war früher nur ein kleiner Teil aller Wissensarbeiter überhaupt in einer Organisation tätig. Die meisten von ihnen arbeiteten als selbstständige Fachkräfte, bestenfalls mit einem Büroangestellten. Ihre Effektivität 15oder ihr Mangel daran betraf nur sie selbst und wirkte sich auch nur auf sie selbst aus.

Heute dagegen ist die große Wissensorganisation die zentrale Realität. Die moderne Gesellschaft ist eine Gesellschaft großer organisierter Institutionen. Und in jeder einzelnen, selbst in den Streitkräften, hat sich der Schwerpunkt auf den Wissensarbeiter verlagert – auf die Person, die nicht Muskelkraft oder Handfertigkeit zur Arbeit einsetzt, sondern das, was sie zwischen den Ohren hat. Die meisten Leute, die gelernt haben mit Wissen, Theorien und Konzepten zu arbeiten und nicht mit körperlicher Kraft oder manuellen Fähigkeiten, sind heutzutage in einer Organisation tätig und insoweit effektiv, als sie einen Beitrag zu deren Entwicklung leisten können.

Effektivität kann heute nicht mehr als selbstverständlich angesehen und auch nicht mehr vernachlässigt werden.

Das eindrucksvolle System aus Messungen und Prüfungen, das wir für manuelle Arbeiten entwickelt haben – vom Industrial Engineering bis hin zur Qualitätskontrolle – ist nicht auf die Wissensarbeit übertragbar. Kaum etwas ist unproduktiver als eine Technikabteilung, die in kürzester Zeit wunderschöne Pläne für das falsche Produkt erstellt. An den richtigen Dingen zu arbeiten ist das, was Wissensarbeit effektiv macht. Und dieser Aspekt lässt sich mit keinem Maßstab für manuelle Arbeit beurteilen.

An den richtigen Dingen zu arbeiten ist das, was Wissensarbeit effektiv macht. Und dieser Aspekt lässt sich mit keinem Maßstab für manuelle Arbeit beurteilen.

Man kann den Wissensarbeiter nicht ständig kontrollieren oder genau überwachen. Man kann ihm nur helfen. Führen aber muss er sich selbst – und zwar so, dass er gezielt Ergebnisse liefert und einen Beitrag leistet; dass er, mit anderen Worten, effektiv ist.

Vor einiger Zeit wurde in der Zeitschrift The New Yorker eine Karikatur veröffentlicht. Sie zeigte ein Büro, auf dessen Tür zu lesen war: CHAS. SMITH, GENERAL SALES MANAGER, AJAX SOAP COMPANY. Die Wände waren kahl, mit Ausnahme von einem großen Schild mit der Aufschrift DENKE. Der Mann, der im Büro saß, hatte die Füße auf den Tisch gelegt und blies Rauchringe an die Decke. Draußen gingen zwei ältere Männer vorbei, von denen der eine zum anderen sagte: „Aber wie können wir sicher sein, dass Smith an Seife denkt?“

Tatsächlich kann man sich nie sicher sein, was ein Wissensarbeiter denkt – und dennoch ist das Denken seine spezifische Aufgabe; es ist das, was er „tut“. Die Leistungsbereitschaft des Wissensarbeiters hängt von seiner Effektivität 16ab, von seiner Fähigkeit, etwas zu bewirken.2 Ist er nicht in der Lage, die richtigen Dinge zu tun, dann wird die Hingabe, mit der er sich seinem Beruf widmet und sich dafür einsetzt, einen echten Beitrag zu leisten, schon bald verkümmern und er zu einem desillusionierten Zeitabsitzer, der jeden Tag von neun bis fünf mechanisch seine Arbeit verrichtet.

Der Wissensarbeiter stellt nichts her, was von sich aus effektiv ist. Er produziert kein physisches Erzeugnis wie einen Graben, ein Paar Schuhe oder ein Maschinenbauteil. Er produziert Wissen, Ideen und Informationen. Für sich allein sind diese „Produkte“ nutzlos. Ein anderer Wissensarbeiter muss sie erst als Input verwenden und in seinen Output verwandeln, bevor sie überhaupt real werden. Die größten Weisheiten sind nicht mehr als bedeutungslose Daten, wenn wir sie nicht auf unser Handeln und Verhalten anwenden. Aus diesem Grund muss der Wissensarbeiter etwas tun, was dem Handarbeiter nicht abverlangt wird: Er kann sich nicht auf den inhärenten Nutzen seines Produkts verlassen, wie es bei einem hochwertigen Paar Schuhe der Fall wäre, sondern muss zusätzlich Effektivität bieten.

Der Wissensarbeiter ist der eine „Produktionsfaktor“, durch den die hochentwickelten Gesellschaften und Volkswirtschaften der heutigen Welt wettbewerbsfähig werden und bleiben.