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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Einmarsch

Runde eins

Pause

Runde zwei

Pause

Runde drei

Schlussgong

Schiedsspruch

Leserkontaktseite

Kommentar

Risszeichnung Terranischer Kampfroboter TARA-VIII-UH

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2763

 

Mondlicht über Naat

 

Veränderung im Arkonsystem – der Plan des Atopischen Tribunals schreitet voran

 

Verena Themsen

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

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Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Die Terraner – wie sich die Angehörigen der geeinten Menschheit nennen – sind längst in ferne Sterneninseln vorgestoßen.

Immer wieder treffen Perry Rhodan und seine Gefährten auf raumfahrende Zivilisationen und auf die Spur kosmischer Mächte, die das Geschehen im Universum beeinflussen.

Mittlerweile schreiben wir das Jahr 1517 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Milchstraße steht weitgehend unter dem Einfluss des Atopischen Tribunals. Dessen Richter behaupten, nur sie könnten den Weltenbrand aufhalten, der sonst unweigerlich die Galaxis zerstören würde.

Zugleich versuchen sie, im Sinne ihrer neuen Friedensordnung der Milchstraße ihren Stempel aufzudrücken. Ein besonders prominentes Beispiel ist das Arkon-System. Gemäß richterlichem Beschluss mussten die Arkoniden es räumen und an die eigentlichen »Besitzer« zurückgeben: die Naats, die nicht wie die Arkoniden einwanderten, sondern tatsächlich unter dem Licht der Sonne Baag entstanden.

Aber das scheint nicht alles zu sein, was die Atopen vorhaben. Und unverhofft leuchtet ein neues MONDLICHT ÜBER NAAT ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Chuv – Der Richter des Atopischen Tribunals sucht die Herausforderung der Naats.

Galgkar – Eine Bleichhaut kämpft um ihre Zukunft.

Sholtan Perlvin – Ein Informationsaufbereiter interessiert sich für die Heiligen Zweikämpfe

Tormanac da Hozarius – Der Vizeimperator entdeckt neue Welten.

Yaren Yildiz – Die Terranerin hofft auf Akzeptanz für ihren Sohn.

Einmarsch

 

Schimmernd drehte der Ball sich im hellen Sonnenlicht, stieg dem blassblauen Himmel entgegen. Tormanacs Blick glitt an ihm vorbei, durch atmosphärische Schichten in das All. Vor funkelndem Sternenlicht sah er Robotschiffe ihre Bahnen ziehen. Geduldig patrouillierten sie durch Systeme, beschützten das Volk, das sie erschaffen hatte. Stündlich verließen an unzähligen Orten des Reiches weitere Schiffe die Werften, erschaffen aus Arkonstahl modernster Fertigung und bis zur letzten Kammer mit dem Neuesten aus Forschung und Technik angefüllt.

Alles war in Ordnung. Ihre Welt war geschützt. Er konnte sich ganz auf sein Spiel konzentrieren.

Das straff im Rahmen gespannte Geflecht durchschnitt die Luft und katapultierte den Ball aus seiner Bahn. Quer über das Feld jagte er, knapp über das Netz hinweg, und schlug kurz vor der Linie des Aufschlagfelds im Boden ein. Roter Staub wirbelte auf, während der Ball flach weiterschoss und das Spielfeld verließ, bevor der Gegner ihn erreichen konnte.

»Vorteil da Hozarius.«

Der Vizeimperator lächelte. Ein nicht gehaltener Aufschlag, Ass genannt. Dieser terranische Sport war nicht schwierig, wenn das Gespür erst da war. Er reckte sich unwillkürlich, schlug den Rahmen des Schlägers gegen die linke Hand und nickte seinem Übungspartner zu. Ein Ball entstand in seiner Hand. Er warf ihn ohne Zögern zum nächsten Aufschlag.

Sein Triumph währte nur kurz. Der Aufschlag wurde so schnell retourniert, dass sein Rückhandschlag von seinem Gegner zu einem unhaltbaren Schmetterball umgewandelt werden konnte. Diesen Fehler wiederholte er nicht, aber auch das perfekte Zusammenspiel, das zuvor zum schnellen Punkt geführt hatte, gelang ihm nicht wieder. Stattdessen fand er sich nach dem zweiten verlorenen Aufschlag in einem Schlagabtausch wieder, bei dem sein Gegner ihn mit langen Bällen von einer Ecke des Spielfeldes zur anderen jagte.

Tormanac reagierte bloß, versuchte, zu retten, was zu retten war, so lange es ging. Er erkannte, dass er die Kontrolle nicht mehr zurückgewinnen konnte. Es war eine Erfahrung, mit der er zu vertraut war, als dass er sie gerne länger hinauszog. Tormanac blieb stehen und ließ den Ball an sich vorbei ins Aus springen.

»Spiel, Satz und Sieg an Valik da Anwor«, hallte die Schiedsrichterstimme unpersönlich über den Platz, nur hörbar für die beiden Spieler, obwohl es keine sichtbare Abgrenzung zu den anderen Feldern gab.

Tormanac ging zum Netz, streckte die Hand zum traditionellen terranischen Abschlussgruß aus und lächelte. »Gerade dachte ich, ich hätte es erfasst, schon bekomme ich den dreifachen Gegenbeweis.«

Der durchtrainierte Zaliter ihm gegenüber erwiderte das Lächeln, ergriff Tormanacs Hand und streifte mit der anderen das Schweißband ab. »Du hast enorme Fortschritte gemacht, Zarlt. Der Aufschlag vorhin war perfekt. Du musst nur noch ein wenig mehr auf deine Handhaltung achten und vor allem mehr Routine gewinnen. Irgendwann werden dir der richtige Moment und die richtige Haltung so in Fleisch und Blut übergehen, dass du deine Gegner von einer Seite des Feldes zur anderen jagen kannst.«

»Das wäre einmal eine willkommene Abwechslung. Es gibt hier eine Menge Spieler, die deutlich geübter sind als ich. Mir war gar nicht bewusst, dass fremde Sportarten sich so großer Beliebtheit erfreuen.«

Tormanac musterte die umliegenden Courts, die bis zum endlosen Horizont und darüber hinausreichten, wenn er den Blick darauf konzentrierte. Immer wieder gab es Verschiebungen, die Nachbarschaft änderte sich von einem Moment zum nächsten. Das Paar auf dem Feld, das neben ihrem lag, winkte ihm zu. Er lud sie mit einer Geste ein, heranzukommen. Sie ließen ihre Schläger los, die reglos in der Luft hängen blieben, und folgten der Aufforderung.

Valik da Anwor hob zustimmend die Hand. »Ich übe mich gerade in Taliüssi-Ger. Um dabei mit den Jülziish mithalten zu können, muss man ihre vier Augen haben, oder man hat schnell eines der bewegten Hindernisse im Rücken. Ziemlich gewöhnungsbedürftig, auf diese Weise zu sehen. Eine echte Herausforderung.«

»Klingt interessant. Schick mir mal eine Einladung, wenn ein Spiel ansteht. Ich würde mir das gerne ansehen.«

»Mache ich. Bis zu unserer nächsten Runde!« Er neigte den Kopf, legte die Rechte an die linke Brust und verschwand.

»Gosner, Hochedler«, sagte der gertenschlanke junge Mann, der mit seiner Begleiterin herankam. Sein langes weißes Haar war zum Großteil in einem dicken Flechtzopf zurückgebunden. »Ich bin Mavaron del Orian, und das hier ist meine Schwester Marinde. Es freut uns sehr und ist uns eine Ehre, dir hier zu begegnen. Wir sind große Bewunderer deiner Politik.«

Tormanac nickte dem jungen Mann zu und betrachtete dessen Begleiterin. Ihr Gesicht war kantiger, als es dem Schönheitsideal entsprach, und ihre Augen standen leicht schräg – entweder ein Zeugnis fremden Blutes in ihrer Familie oder ein Modetick. Das Haar trug sie im Gegensatz zu ihrem Bruder kurz und asymmetrisch geschnitten. Unter ihrer braun gebrannten Haut zeichneten sich Muskeln ab, die ihre Sportlichkeit unterstrichen, ohne sie unattraktiv zu machen. Sie lächelte Tormanac an, selbstbewusst und mit einer Selbstverständlichkeit, als begegnete sie jedem Tag dem Zarlt von Zalit, Arkons Vizeimperator.

Er erwiderte ihr Lächeln. »Ich fürchte, mit dieser Meinung befindet ihr euch dieser Tage in einer Minderheit. Die einen sagen, ich hätte mehr Rückgrat gegenüber dem Tribunal zeigen und es notfalls zum Krieg kommen lassen müssen. Die anderen sind der Meinung, die Regierung hätte schon viel früher das Reich auf mehr Flexibilität ausrichten müssen, da das Verschwinden der Erde und des Solsystems ja bereits gezeigt hätte, wie riskant es ist, alles auf ein Zentralsystem auszurichten. Sie mögen sich nicht einig sein, was man hätte besser machen sollen, aber dass man es hätte besser machen können, darin sind sie es.«

Marinde wischte durch die Luft. »Unsinn. Das alles war nicht vorhersehbar. Und warum mehr Blut vergießen als notwendig? Es war richtig, dem Tribunal scheinbar nachzugeben. Sie haben uns ohnehin nichts genommen, das wir hier nicht ebenso gut und besser haben. Und nun sind sie unsere Beschützer, während wir die Welt schaffen, die uns gefällt.«

Sie breitete die Arme aus. Ein warmer Windhauch drückte das Gras hinunter, auf dem sie standen, und trug den Duft von Albon-Duftsträuchern und Wasser heran. Schimmernde Khasurnbauten erschienen zwischen den Bäumen, wurden von einem Schwarm bunter Vögel umflogen und vergingen wieder. Auf einem nahen Teich landeten mit lautem Plätschern Kronenten und spreizten ihre perlmuttschimmernden Flügel. Die Tennisplätze waren vergessen.

Ihr Bruder betrachtete lächelnd die Landschaft. »Auch die anderen werden es irgendwann begreifen. Sie werden erkennen, wie überholt ihre Art zu leben ist. Hier erschaffen wir wirkliche Kultur. Hier, wo Gedanken Wahrheit sind und die Verwirklichung unserer Ideale so greifbar ist wie nie zuvor. Nur unsere Phantasie setzt die Grenzen. Die Zähe Welt soll denen überlassen bleiben, die die Fesseln der Stofflichkeit nicht abzuschütteln wissen. Hier ist das Wahre Arkon.«

Ein Muskel zuckte in Marindes Mundwinkel bei dem Enthusiasmus ihres Bruders. Sie warf ihm einen halb spöttischen, halb liebevollen Blick zu. Ihre Gründe, die Welt der Messinghauben der Außenwelt vorzuziehen, schienen nicht mit so viel Idealismus getränkt zu sein.

Tormanac hob wieder den Blick in den hellen Himmel, hinter dem er unzählige Sternsysteme wusste. Jedes war mit einem Gedanken erreichbar. Gleichzeitig konnte er sich sämtliche Daten über sie darstellen lassen, Fakten durchgehen und Entscheidungen fällen. Es gab auch für ihn nicht mehr viele Gründe, in seinen materiellen Körper zurückzukehren, der alt und tödlich krank in seinen Räumen lag.

»Eine Menge Leute halten das Messingträumen für Realitätsflucht«, sagte er. »Sie begreifen nicht, wie real diese Welt ist.«

Marinde schnaubte. »Als ob sie Spaß an den Begrenzungen hätten, die die Zwänge des körperlichen Lebens einem auferlegen. Einerseits wird großer Wert darauf gelegt, dass der Geist wichtiger sei als der Körper, und gleichzeitig wird eine rein geistige Welt als falsch verurteilt. Warum müssen wir einen Körper durchs Leben quälen, wenn wir Roboter und Maschinen erschaffen haben, die sich bestens darum kümmern können? Nutzen wir diese Freiheit besser dafür, uns um die wirklich wichtigen Dinge zu kümmern. Es ist, wie du sagtest – sie haben keine Ahnung und wissen nicht, was sie wollen. Sie wissen nur immer, was alles falsch ist.«

Die junge Frau – war sie wirklich so jung, oder war das nur ihre Erscheinungsform? – wechselte mit einem Achselzucken in ein Badekleid mit weiten Seitenausschnitten. Ohne sich weiter um die Männer zu kümmern, rannte sie zu dem Teich, der sich vor ihr zum See ausdehnte, federte zu einem langen, flachen Sprung ab und glitt fast geräuschlos in das Silber. Keine Welle verriet den Punkt ihres Eintauchens.

Mavaron seufzte. »Ich fürchte, Marinde sieht vor allem den praktischen und sensorischen Gewinn, auch wenn sie die richtigen Gedanken hat. Dabei eröffnet die Messingwelt uns so viele weitere Möglichkeiten.«

Tormanac fragte sich, ob der junge Mann vor ihm seine Gedanken ausbreiten konnte. Das Bild der vernetzten Geister, das sich ihm aufdrängte, seit er die Messingwelt zum ersten Mal betreten und ihre Wahrheit gespürt hatte. Das Bild eines durch und durch vergeistigten Volkes, das sich neue Universen erschloss – innere auf jeden Fall, aber vielleicht auch äußere. Womöglich würde auf diesem Weg sogar irgendwann der Tag kommen, an dem sie ihre Körper gar nicht mehr benötigten. Sie mochten werden wie ...

Ein Ausruf Mavarons unterbrach seine Gedanken. »Ein Vretatou!«

Tormanac drehte sich um. Die heranschwebende Figur war dem Vretatou des Garrabo-Spiels nachempfunden und leuchtete wie geformtes Sonnenlicht. Noch war sie kaum größer als ihr Vorbild auf dem Spielbrett in Tormanacs Wohnräumen, doch sie kam schnell näher.

Der Vizeimperator seufzte. »Ich werde in der Zähen Welt gebraucht.«

Mavaron neigte den Kopf. »Es ist bewundernswert, wie du hier lebst und trotzdem die Verbindung nach außen aufrechterhältst, um Sorge zu tragen, dass alles für uns geregelt wird. Du bist wahrlich unser Imperator.«

»Vizeimperator«, korrigierte Tormanac, ohne den Blick von dem Vretatou zu nehmen.

»Nicht für uns hier. In dieser besseren neuen Welt bist du der Zhdopanthi.«

Tormanac sah den Ernst und das Feuer in Mavarons Blick. »Das ehrt mich. Aber wir werden ein andermal weiter darüber sprechen müssen. Entschuldige mich bitte jetzt.«

Noch während Mavaron mit einem weiteren Neigen des Kopfes einen Schritt zurücktrat, verblasste er. Das Bild der Umgebung nahm Tormanac allerdings in seine Privatsphäre mit.

Er wandte sich der von ihm programmierten Figur zu. »Was gibt es, Wächter?«

Er war noch nicht lange unter der Messinghaube. Sicher konnte sich nicht so bald etwas ergeben haben, das seine körperliche Anwesenheit in der Zähen Welt erforderte?

Die Figur schwebte vor ihm. »Es haben sich Änderungen im jetzt Baagsystem genannten Arkonsystem ergeben, die deiner unmittelbaren Aufmerksamkeit bedürfen.«

»Dinge von Tragweite?«, hakte Tormanac nach.

»Durchaus«, bestätigte der Vretatou. »Von kosmischer Tragweite.«

 

*

 

Der Schlag ließ Galgkar zurücktaumeln. Kreise und Punkte tanzten vor seinen Augen, während er um den nächsten Atemzug rang. Mit einem Knurren stürmte er wieder vor, wich den zugreifenden Armen seines Gegners aus und drängte ihn mit seinem Schwung mehrere Schritte zurück. Gleichzeitig setzte er einen Griff an, der bei einem Wesen aus Fleisch und Blut die Knochen hätte knacken lassen.

»Vorsicht! Ihr zertrampelt mir noch die Nachtkorallen!«

Der warnende Ruf seiner Ziehmutter lenkte Galgkar für einen Moment ab. Gonngor nutzte die Gelegenheit, brachte den jungen Naat durch eine Gewichtsverschiebung ein Stück aus dem Gleichgewicht und nahm seinen Arm in eine schmerzhafte Klammer.

Galgkar brüllte auf, verstärkte seinen Halt noch und hob seinen Gegner mit einem Ruck vom Boden. Ein weiterer Schrei, und der Muabugh flog mehrere Schritte weit gegen eine flechtenbedeckte Ziermauer. Über ihm blähte sich die Sturmplane unter einer Bö.

»Ich erkenne die Niederlage an«, ertönte Gonngors blecherne Stimme. »Mögest du im Mua steigen!« Der Trainingsroboter schaltete ab.

Galgkar kam es vor, als spürte er den Nachhall des Aufpralls noch im Boden. Es war ein guter Wurf gewesen.

»Gonngor ist wirklich kein Gegner mehr für dich.«

Galgkar hatte nicht bemerkt, dass Yaren herangekommen war. Nun stand seine Ziehmutter neben ihm, klein und zerbrechlich wie die meisten Terraner. Ihr Sprachverstärker hatte sich automatisch der zunehmenden Lautstärke des Sturms angepasst. Ohne ihn wäre die schwache Stimme im Getöse des Windes auf den Schutzplanen verloren gegangen.

»Er ist mein einziger Gegner«, antwortete der junge Naat. »Niemand wird einen wie mich zum Muathamen herausfordern, egal wie gut ich kämpfe.«

»Glaub nicht alles schon verweht, Ootur. Wir beide haben zwei starke Willen.«

Yaren hob den Blick zu den Sturmplanen, die den Wind über die Grube führten und den Sand abhielten. Ihr braunes, in einem Flechtzopf am Kopf fixiertes Haar schimmerte im letzten Abendlicht. Sie betrachtete die Abbilder der Monde, die unter die Planen projiziert waren. Mit dem Nachlassen der Tageshelligkeit schälten sie sich immer klarer heraus.

Der Himmel über den Planen war wie fast immer vollständig bedeckt von Wolken und Staub. Selten gab es zumindest einen kleinen Riss oder ein Loch, das den Blick ins All ermöglichte. Für Galgkar war das normal, und er hatte als Kind die Aussicht in solche Tiefen eher als erschreckend empfunden. Yaren dagegen hatte den freien Blick auf die Gestirne vermisst und deshalb die Projektoren installieren lassen, die ein echtes Abbild des Himmels über den Wolken erzeugten.

Dicht über der Kante der Grube stand Naator, eine graubraune Halbscheibe, gerade so groß wie sein Daumennagel am ausgestreckten Arm. Auf der gegenüberliegenden Seite war als schmale Sichel der halb so groß wirkende Coylter zu sehen, der innerste Mond, der im Lauf der Nacht noch zur vollen Scheibe werden würde. Jelldens sanftes Gelborange, das an den gebogenen Rändern einen Rosastich aufwies, leuchtete weiter oben als kräftigerer, wenn auch noch einmal deutlich kleinerer Bogen. Die restlichen sechs Monde in der Projektion waren kaum mehr als bunte Leuchtflecken, ein schwacher Ersatz für das helle Sternenmeer im Zentrum von Thantur-Lok.

»Das Himmelsballett«, sagte Yaren so leise, dass Galgkar es über den ewigen Sturm trotz ihres Sprachverstärkers fast nicht gehört hätte. »Irgendwie muss ich immer daran denken, wenn ich diese vielen Monde sehe.«

»Ballett ist terranisch«, sagte Galgkar. »Sehnst du dich zurück?«

Yaren senkte den Blick. »Es gab Gründe, weshalb ich von Terra wegwollte und mich um die Stelle als Geochemikerin hier am Lavony-Institut beworben habe.«

Und wegen mir bleibst du hier.

»Gibt es auf Terra auch Bleichgeborene wie mich?«, fragte Galgkar scheinbar zusammenhanglos.

Yaren starrte mit gerunzelter Stirn den Fels unter ihren Füßen an. Schließlich antwortete sie mit abwesender Stimme: »Terraner haben andere Gendefekte als Naats. Es gibt den Albinismus, aber würdest du daran so stark leiden, dass wie bei dir schwarze Haut zu weißer wird, könntest du deinen armen Gonngor wahrscheinlich nicht so durch die Gegend schubsen. Bleibt hochgradiger Albinismus unter Terranern unbehandelt, bringt er Sehstörungen mit sich, die jeden Sport unmöglich machen, der schnelle Reaktionen und gezieltes Zugreifen erfordert.«

»Dann korrigieren Terraner diesen Defekt?«

Galgkars Ziehmutter zuckte die Achseln; eine fremdartige Geste, an die er sich aber inzwischen bei ihr gewöhnt hatte. »Ich schätze, das kommt auf den Grad des Defektes an. Es gibt viele leichte Formen, die keinen Eingriff erfordern. Die meisten vermeiden dann lieber die Risiken, die jede Genmanipulation mit sich bringt, so gering sie sein mögen.«

Galgkar schlug die rechte Faust in die linke Hand. Plötzlich wallte wieder diese Wut in ihm auf, derer er wohl nie ganz Herr werden würde. »Aber ich hatte keine leichte Form. Trotzdem haben meine Eltern ihn nicht korrigiert. Und dann haben sie mich alleingelassen.«

Yaren legte eine Hand auf Galgkars Arm. »Du weißt, dass es nicht gerecht ist, so über sie zu urteilen. Sie wollten dich stützen und für dich da sein. Ihr Tod war ein Unfall, unten in den heißen Gasklüften. Eine unvermutete Felsverschiebung hat eine Ventilgruppe versagen lassen.«

Unwillig streifte Galgkar Yarens Hand ab. »Sie hätten bedenken müssen, dass so etwas passieren kann! Sie hätten wissen müssen, in was für einer Lage ich dann sein würde, als Bleichling, den keiner im Clan um sich haben will! Sie hätten mich niemals so aus der Kapsel brechen lassen dürfen!«

Yaren umfasste ihr Handgelenk. Als er sah, wie sie sich auf die Unterlippe biss, spürte er ihren Schmerz, als wäre er ihm selbst zugefügt worden. Wieder einmal hatte er ihr mit seiner Grobheit wehgetan – der Einzigen, die da gewesen war, als alle anderen ihm den Rücken gekehrt hatten. Er wandte sich ab.

»Wäre ich doch nie geboren worden.«

»Galgkar! Sieh mich an!«

Ihre Stimme bannte ihn, wie immer. Sie musste nicht laut sein, um auf ihn einzuwirken. Widerwillig drehte er sich zurück. Über ihnen steuerte der Sturm auf Orkanstärke zu.

Yaren stand steif aufgerichtet da, die Hände in die Seiten gestemmt und die dunklen Augen unter gerunzelter Stirn zu ihm hochgerichtet. Ihr Flechtzopf hatte sich ein Stück aus den Klammern gelöst und flatterte wie eine Peitsche im Wind.

»Du wirst jetzt nicht aufgeben!«, forderte sie. »Du wirst mir keine Schande bereiten. Ich habe dich als Ootur aufgenommen, weil ich deine Kraft gesehen habe und wusste, dass dein Clan einen Fehler beging. Bis er es ebenfalls erkennt, kämpfen wir beide Seite an Seite, du und ich, und du wirst mich dabei nicht enttäuschen!«

Galgkar blähte die Nasensegel auf und schloss sie mit einem hörbaren Laut. Seine zu Fäusten geballten Hände öffneten sich, schlossen sich, öffneten sich wieder. Er kämpfte gegen seine Wut an, seine Enttäuschung über das Leben, das ihm auferlegt worden war. Aber er war nicht allein. Yaren hatte wahr gesprochen. Er war ungerecht. Er nahm seine Gefühle wieder so streng in Zaum, wie man es von einem jungen Naat erwartete, der die Schwelle zum Erwachsensein überschreiten wollte.

»Verzeih, Oonkari.« Er ließ sich auf die Hände sinken. »Ich wollte dich nicht enttäuschen. Ich werde daran arbeiten, mehr Stärke in mir zu finden, um mein Los mit dem Gleichmut zu tragen, den du von mir erwarten kannst.«

Yaren streckte eine Hand aus und legte sie an die Seite seines Gesichtes. »Du machst mich jeden Tag stolz, mein Ziehsohn. Und egal, ob es Schicksal oder höhere Mächte waren, die mich da sein ließen, als deine Eltern starben und ihr Clan dich zum Ootur erklärte, ich bin dankbar dafür. Ich werde dafür kämpfen, dass du als Muanaat ins Erwachsenenleben übertrittst. Wir finden einen Muacurn für dich, damit du beim Muathamen kämpfen kannst. Ich habe dir den Muabugh deines Vaters erstritten. Ich schaffe auch das.«

Bevor Galgkar antworten konnte, hob Yaren den Arm mit dem Komband. Auf einen knappen Sprachbefehl erschien das Kopfholo eines Kollegen aus ihrer Arbeitsgruppe. Er wirkte aufgeregt, soweit Galgkar es in der Projektion erkennen konnte – er fuhr ständig mit den Händen durch das feine Kopfgespinst, das die Arkoniden und Terraner »Haar« nannten.