Hartmann von Aue

Inhalt

Fußnoten

2.2.3. Lückenhafte Überlieferung: Der ‚Ereck‘

Aus diesem Grund ist hier auch stets vom ‚Ereck‘ die Rede – im Gegensatz zum Usus der Forschung, wo in Anlehnung an den französischen Text Chrétiens immer von ‚Erec‘ die Rede ist. Wenngleich die Schreibweisen der Namen bei Hans Ried z.T. sehr stark variieren, taucht in der gesamten Überlieferung Hartmanns (einschließlich der Fragmente) kein einziges Mal die französische Schreibung Erec auf, bei weitem die häufigste ist hingegen die Schreibung Ereck (vgl. Hammer/Reuvekamp-Felber/Millet 2017:XXIII. Ähnlich wie bei der mittelhochdeutschen Schreibweise Iwein (im Gegensatz zum französischen Yvain) sollte auch hier dem überlieferungsgeschichtlichen Befund Rechnung getragen und die vorherrschende Schreibung des Ambraser Heldenbuches verwendet werden.

Die von der früheren Forschung behauptete Verfasserschaft dieser ‚Mantel‘-Erzählung durch Heinrich von dem Türlîn kann mittlerweile nicht mehr aufrecht erhalten werden: sie basiert auf vagen Parallelen zur ähnlich gestalteten Tugendprobe in Heinrichs Roman ‚Diu Crône‘ – solche Tugendproben sind aber Bestandteil zahlreicher Erzählungen und nicht spezifisch für die ‚Crône‘ (vgl. Reuvekamp-Felber 2016).

2.3. Fazit

Im Falle der verschiedenen Fassungen des ‚Armen Heinrich‘ hat zuletzt die digitale Edition an Bedeutung gewonnen, die eine direkte, synoptische Vergleichbarkeit der einzelnen Fassungen ermöglicht, vgl. dazu http://digi.ub.uni-heidelberg.de/de//ahd/index.html. Für die mittelalterliche Lyrik-Überlieferung ist Ähnliches bereits im Aufbau (vgl. http://www.ldm-digital.de/), für den ‚Iwein‘ in Vorbereitung (vgl. http://digi.ub.uni-heidelberg.de/de/iwd/index.html). Dagegen sind mit den verschiedenen Ausgaben des ‚Ereck‘ auch ganz unterschiedliche Ansprüche verbunden: diejenigen, die einen ins Mittelhochdeutsche rückübersetzten Text bieten, haben einen Rekonstruktionscharakter, deren Text einem möglichen, aber nie sicher fassbaren Original nahezukommen sucht und dabei auch von der Überlieferung abweicht, während die Ausgabe, die den Text des einzigen Überlieferungszeugen, des Ambraser Heldenbuches wiedergibt, eher ein frühneuzeitliches Rezeptionszeugnis des mittelalterlichen Textes präsentiert.

3.1. Überblick

Im Folgenden wird nach ‚Minnesangs Frühling‘ (MF) zitiert. Die dort vorgegebene Liedzählung liegt auch der Ausgabe von Ernst von Reusner (1985) zugrunde.

4.2. Schwierige Kohärenz: Reimpaardialog und Schlussgedicht als selbstwidersprüchliche stæte-Demonstration

Freundliche Auskunft von Peter Stotz, Zürich: „In der Hymnendichtung ist eine solche Reduktion des Strophenumfangs, sozusagen in Treppenstufen, schon prinzipiell nicht denkbar, weil die einzelnen Strophen von einem stets gleichbleibenden ‚Melodiegehäuse‘ umschlossen sind. Aus der Sequenzendichtung, wo die Strophenformen natürlich laufend wechseln (können), wäre mir auch kein Beispiel geläufig, worin der Umfang systematisch-sukzessive reduziert wäre. Aber auch aus den Dichtungen literarischen Charakters ist mir nichts Derartiges geläufig, weder bei den der Antike verpflichteten Strophenformen, noch bei den neuen, rhythmischen.“

Die Überlieferung setzt diese systematische verstechnische Kürzung an den Übergängen nicht vollständig um. So fehlt in A Bl. 26ra die Initiale zu Beginn des Schlußgedichts (HaKl 1645) ebenso wie die am Ende des Textes (HaKl 1911, Bl. 26va → Abb. 4.2.); vgl. http://hvauep.uni-trier.de/kb_klage.php?q=manuscripts. Zur Kürzungsfunktion Köbele 2021.

6.3. Die âventiure und andere weltlenkende Instanzen

Hier ist zu präzisieren: Sie tritt nicht unter ihrem Namen als Figur auf. Allerdings begegnet sie uns im ‚Iwein‘ in anderer Gestalt, und zwar unter Umständen gleich doppelt: Zum einen könnte man die allegorische Figur der Minne, die mit dem Erzähler über die Wahrheit seines Berichts debattiert, als ein Derivat der âventiure begreifen (HaIw 2971–3028). Zum anderen ist ausgerechnet der Waldmensch, der kurioserweise nichts von âventiure weiß, Besuchern aber den Weg dorthin weist, mit ihr verwandt (HaIw 425–603, 979–988). Johann von Würzburg ersinnt in der Nachfolge von Hartmanns Schilderung den männlichen Aventuer, der seine Bedeutung wieder im Namen trägt (JoWÖ 3262), vgl. Schnyder 2002:267–271.

6.4. Doppelweg

Die methodische Problematik von Kuhns Vorgehen kann hier nur angedeutet werden. Eine ausführlichere Darstellung hätte insbesondere zwei Faktoren zu berücksichtigen: Kuhn interpretiert zum einen die semantische Vorprägung zu stark, die jede Form der sinngebenden Komposition auszeichnet – er verwechselt also gewissermaßen (generell) sinngebendes mit (speziell) schematisch konstruierendem Erzählen (vgl. dazu Bleumer 2015:227–229). Dieser Lapsus hängt zum andern wiederum mit der oben erläuterten modernen Lektüreerwartung zusammen, die in den Deutungen Kuhns und seiner Nachfolger ebenfalls eine gewisse Rolle spielt: Weil eine vorbereitende bzw. psychologische Motivierung nicht im (seit der Moderne) gewohnten Maß gegeben ist, wird das Geschehen als von ‚oben‘ oder ‚außen‘ und damit als von einer höheren Ebene bestimmt wahrgenommen (vgl. bes. Kuhn ²1969:149f.).

7.3. Lunetes (Er-)Findungen: Ein unsihtiger geist öffnet der Erzählung Tür und Tor

Carruthers 1999:173–220 kann an vielen Beispielen aus der lateinischen Literatur des Mittelalters zeigen, wie das Bett der Braut in der Tradition der Hoheliedexegese als ein bevorzugter Ort der Komposition von Dichtung gedeutet wird.

9.1. Aspekte männlicher und weiblicher Agency

In der Fassung B lauten die Verse: ich vürhte, daz unser arebeit / von iuwer grôzen zageheit / under wegen belîbe. / ezn zaeme einem wîbe, wodurch sich der Sinn nur marginal verschiebt.

12.2.1. Stilkritik im Literaturkatalog

Sehr deutlich hat darauf Scholz 2009 hingewiesen, der die vermeintliche Verpflichtung der mittelalterlichen Poetik auf ein Ideal der perspicuitas als einer Eindeutigkeit der Aussage angesichts der breiten Tradition allegorischer Textdeutung eher kritisch sieht. Vgl. auch die präzisierende Reaktion von Huber 2015 sowie die Weiterentwicklung der Diskussion über Hartmanns Stil 2018.

12.3. Zwîvellop, daz hoenet? Die ‚Krone‘ Heinrichs von dem Türlin

Vollmann 2008:155f. zeigt, dass Heinrich sich hier an den PVBA-Überlieferungsstrang von Chrétiens Roman hält, während Hartmann die Namen in der CHE-Überlieferung abbildet. Die Beurteilung der Übernahme ist zudem durch eine Konjektur in HeKr 2352 (An Ereken, nande,) erschwert, denn die Handschriften haben gar keinen expliziten ‚Erec‘-Bezug: In der Wiener Handschrift V steht Anes reken, die Heidelberger Handschrift P hat Vnd ander recken. Vgl. dazu Gouel 1998:157.

Als einer der wichtigsten deutschsprachigen Dichter des Mittelalters ist Hartmann von Aue in Forschung und Lehre außerordentlich präsent. Kaum ein anderer wird in Pro- und Hauptseminaren so oft besprochen, kaum einem anderen haben Germanistische Mediävist_innen aus aller Welt so viele Studien gewidmet. Freilich stellt gerade die Fülle der wissenschaftlichen Zugänge Lehrende wie Studierende vor eine beträchtliche Herausforderung. Sich im weiten Feld des Forschungsdiskurses einen Überblick zu verschaffen, ist schwierig, und noch schwieriger ist es, ihn in all seinen Voraussetzungen zu vermitteln. Wo aktuelle Beiträge im Kontext jahrzehntelanger Debatten stehen, auf anspruchsvollen methodischen Grundlagen beruhen oder erhebliche literaturgeschichtliche Vorkenntnisse verlangen, stoßen die Möglichkeiten des akademischen Unterrichts rasch an ihre Grenzen.

Diese Einführung möchte hier helfend einspringen. Sie versammelt Beiträge, die wichtige und aktuelle Themen der Forschung zu Hartmann von Aue verständlich darstellen, um Studierenden den Einstieg in eine forschungsbasierte Beschäftigung mit dem Werk dieses Klassikers der mittelhochdeutschen Literatur zu erleichtern. Dabei wendet sie sich insofern an eine etwas weiter fortgeschrittene Leser_innenschaft, als sie die inhaltliche Kenntnis von Hartmanns Texten voraussetzt. Ziel ist also nicht die Unterstützung der Erstlektüre – dafür liegt mit den Einführungen von Cormeau/Störmer ³2007, Wolf 2007 und Lieb 2020 schon eine Auswahl an fachkundigen Handreichungen vor –, sondern die Begleitung von vertiefenden Zweit-, Mehrfach- und Neulektüren.

Für diese vertiefenden Lektüren ist der Blick auf die Forschung aus mehreren Gründen von höchster Relevanz. Wenn man sich eingehender mit Hartmanns Werk auseinandersetzen möchte, sollte man erstens wissen, inwiefern man dafür auf bestehende Forschung zurückgreifen kann. Die Beiträge dieses Buches führen deshalb exemplarisch an solche Themen, Ansätze und Methoden heran, die sich als forschungsprägend erwiesen haben, wobei sie auch Entwicklungen und historische wie konzeptuelle Hintergründe beleuchten. Um das so vermittelte Wissen für die eigene Arbeit fruchtbar zu machen, reicht die bloße Kenntnisnahme freilich noch nicht aus. Dafür bedarf es ferner sowohl der Einübung in den Forschungsdiskurs als auch eines weitergehenden Verständnisses jener Kräfte, die ihn bestimmen und vorantreiben.

In diesem Sinn ist die titelgebende Ankündigung einer literaturwissenschaftlichen Einführung zu verstehen. Die Spezifikation bedeutet zuallererst den Abschied von jenen Sicherheiten, die Studierende am Anfang ihres Studiums gern suchen. Stattdessen rückt sie die Prozesse forschenden Fragens und Hinterfragens in den Blick. Die Beiträger_innen dieses Buches sind als Expert_innen in besonderer Weise dazu berufen, den aktuellen Stand in verschiedenen Bereichen der Hartmannforschung zu erläutern. Darüber hinaus repräsentieren sie die stimmliche Vielfalt eines Forschungsdiskurses, dessen Vitalität im Nebeneinander ganz verschiedener Positionen und Herangehensweisen zum Ausdruck kommt. Wenn die Beiträge in einzelnen Punkten differieren, wenn sie von unterschiedlichen Voraussetzungen ausgehen oder zu verschiedenen Schlussfolgerungen einladen, dann ist das darum keinesfalls als Inkohärenz oder Widerspruch zu betrachten, sondern allein als Signum ihrer wissenschaftlichen Authentizität.

Der Konzeption des Buches entspricht, dass es auf Inhaltsangaben, kommentierende Paraphrasen und ausführliche Analysen von Einzeltexten größtenteils verzichtet. In einigen Beiträgen werden zwar bestimmte Texte bzw. Gattungen fokussiert; dies geschieht jedoch im Rahmen einer konzertierten Abfolge von historischen, methodischen, generischen und thematischen Schwerpunktsetzungen. Daraus ergibt sich der übergreifende Nexus der Einführung: Unter der Rubrik ‚Dichter und Werk‘ (A) diskutieren zwei Beiträge zunächst literaturgeschichtliche Voraussetzungen von Hartmanns Schaffen (→ Kap. 1.) und Probleme der Überlieferung (→ Kap. 2.). Daran anschließend widmen sich zwei Kapitel Aspekten der Poetik von Hartmanns Werk. Zuerst (B) entfalten Beiträge zu Hartmanns lyrischen (→ Kap. 3.) und

Insgesamt ist dieses Buch so angelegt, dass es sowohl durchgehend als auch in einzelnen Teilen mit Gewinn gelesen werden kann. Die Beiträge bauen konzeptuell aufeinander auf, sind aber in ihrem inhaltlich-gedanklichen Nexus jeweils in sich geschlossen. Korrespondenzen und Verbindungen werden durch (→) Querverweise markiert. Um die Orientierung im Band zu erleichtern und Studierende zu eigenen Erkundungen in der Forschung zu ermutigen, sind den einzelnen Beiträgen Abstracts voran- und Hinweise zu weiterführender Literatur nachgestellt. (Zitier-)Ausgaben der mittelalterlichen Texte und Nachweise der Sekundärliteratur werden in den Verzeichnissen am Ende des Bandes aufgeschlüsselt; dort findet sich auch eine vollständige Aufstellung der überlieferten Handschriften und Fragmente von Hartmanns Texten.

 

Gedankt sei allen, die dieses Buch ermöglicht und an ihm mitgewirkt haben. Zuallererst sind das die Beiträgerinnen und Beiträger. Sie haben sich spontan und mit Begeisterung zur Mitwirkung bereit erklärt und dem Konzept der literaturwissenschaftlichen Einführung durch kenntnisreiche Überblicke, detaillierte Textanalysen, kluge Auswahlentscheidungen und Pointierungen gleichermaßen Kontur und Tiefe verliehen. Dank gebührt darüber hinaus Tillmann Bub, der die Arbeit an diesem Buch angestoßen, seine Entstehung auch in Phasen des Stockens geduldig begleitet und die Publikation umsichtig betreut hat. Rebecca Küster war mir als studentische ‚Probeleserin‘ sowie bei der Einrichtung der Beiträge und der Literaturverzeichnisse eine große Hilfe, Katharina Gerhardt hat das Buch sorgfältig lektoriert. Auch ihnen sei dafür herzlich gedankt.

Literatur um 1200. Hartmanns Dichtung im literaturhistorischen Kontext

Timo Felber

Abstract: Das Kapitel ordnet den Autor und sein Werk in den Kontext zeitgenössischer Kultur und Literatur ein. Dabei werden Probleme scheinbar biographischer Selbstaussagen ebenso thematisiert wie Besonderheiten mittelalterlicher Schrift- und Lesekultur im Zusammenhang der Herausbildung einer neuen Form von ‚höfischer‘ Dichtung.

Hartmann von Aue ist der bedeutendste deutschsprachige Dichter des 12. Jahrhunderts. Seine außerordentliche schriftstellerische Vielseitigkeit findet ihren Niederschlag in einem Werk, das verschiedene groß- und kleinepische sowie lyrische Gattungen umfasst. Unter Hartmanns Namen überliefert sind die Artusromane ‚Erec(k)‘ und ‚Iwein‘, die legendarischen Erzählungen ‚Gregorius‘ und der ‚Arme Heinrich‘, die Dialogdichtung ‚diu Klage‘ sowie ein Korpus von 18 Liedern. Er greift auf Vorbilder in der traditionellen lateinischen Dichtung (Legende, Vita, selbstbetrachtender Dialog), v.a. aber auf zeitgenössische Formen und Prätexte der RomaniaRomania (roman courtoisroman courtois) sowie der Germania zurück (MinnesangMinnesang). Als einer der ersten profilierten volkssprachigen Dichter steht er für das Aufblühen der sogenannten höfischen Kultur, aus der sein Werk hervorgeht und die es zugleich maßgeblich prägt. Zahlreiche Autoren des 13. Jahrhunderts preisen Hartmann als einen Autor, der das Erscheinungsbild der deutschen Literatur dieses Zeitraums mitgeprägt habe. Obwohl seine literaturgeschichtliche Bedeutung mithin immens ist und er sich zudem in all seinen Texten wenigstens kurz über sich selbst äußert, verfügen wir – wie auch bei anderen Autoren der Zeit um 1200 – kaum über gesichertes biographisches Wissen. Im ersten Abschnitt dieses Kapitels soll daher der Frage nachgegangen werden, wie Hartmann unter den Bedingungen des Literaturbetriebs um 1200 überhaupt als Autorperson greifbar wird und wie ein solcher Zugriff unser Textverständnis befördern kann. Der in dieser Einführung angestrebte differenzierte wissenschaftliche Zugang setzt darüber hinaus die Rekonstruktion der kulturellen und literarischen Kontexte seines

1.1. Wer war Hartmann von Aue? Biographischer Autor und literarische Autorbilder

Auch wenn die poststrukturalistische Kritik den Autor als Interpretationskategorie wirkmächtig in Frage gestellt hat, bleibt das wissenschaftliche Verständnis literarischer Texte auf den AutorAutorschaft als Produktionsinstanz bezogen. Das Wissen um die biographische Existenz des Autors hilft, Texte gesellschaftlich sowie wissensgeschichtlich zu kontextualisieren, nicht zuletzt mit dem Ziel, Interpretationen zu plausibilisieren (Jannidis 1999:25). Dies müsste auch und gerade für die mittelalterliche Literaturpraxis gelten, doch entziehen sich deren Akteure aufgrund der desaströsen Quellensituation zumeist einem wissenschaftlichen Zugriff: „Wir kennen im Mittelalter in der Regel nicht den Autor, der den Text hervorgebracht hat, sondern nur den Text, der den Autor hervorbringt“ (Wenzel 1998:5). Dies lässt sich beispielhaft an Hartmann von Aue zeigen. Unser gesamtes Wissen über ihn stammt aus literarischen Texten. Andere Quellen (Tauf- oder Sterberegister, Urkunden o.ä.), die Aufschluss über sein Leben geben könnten, gibt es nicht. Bei einer biographischen Rekonstruktion, die sich auf die Lektüre literarischer Texte des Mittelalters stützt, begegnen deshalb einige unhintergehbare methodische Probleme. Anders als in modernen Textausgaben existieren in mittelalterlichen Handschriften keine Titelblätter mit Angaben zum Verfasser. Wenn ein Autor seinen Text mit seinem Namen in Verbindung bringen wollte, musste er sich selbst nennen: Prologe und Epiloge sind bevorzugte Stellen solcher Selbstnennungen. Da diese in der Überlieferung nicht selten weggelassen wurden, war es für den Verfasser jedoch sicherer, seinen Namen an verschiedenen Stellen seines Werkes einzuflechten. Wer biographische Informationen aus solchen SelbstnennungenAutorsignatur Selbstnennunggenerieren möchte, steht schließlich vor dem methodischen Problem, dass Dichter über die Lizenz verfügen, Unwahres über sich zu erzählen (Kablitz 2008). Es gilt folglich, die biographische Autorexistenz nicht mit der literarischen Szenerie der

1.1.1. Der Name

Hartmann nennt sich in seinen Texten selbst Hartmann von Ouwe. Diese Selbstbezeichnung Autorsignaturfindet leicht variiert (Der von Ouwe, Der Ouwære) Bestätigung in den Dichtungen anderer Autoren, die Hartmann als einen der größten Dichter seiner Zeit herausstellen (→ Kap.12.). So heißt es im ‚Tristan‘ Gottfrieds von StraßburgGottfried von Straßburg‚Tristan‘:

Hartman der Ouwære,

[…]

swer guote rede ze guote

und ouch ze rehte kan verstân,

der muoz dem Ouwære lân

sîn schapel unde sîn lorzwî (GoTr 4621; 4634–4637)

Hartmann, der Ouwære, […] wenn einer gute Dichtung gut und auch richtig beurteilen kann, so muss der dem Ouwære seinen Ehrenkranz aus Lorbeer zugestehen.

Die Schreiber der großen Lyrik-Sammelhandschriften um 1300 nennen ihn übereinstimmend Her Hartman von Owe (zur Weingartner LiederhandschriftLiederhandschriftenWeingartner Liederhandschrift (B) B und Codex ManesseLiederhandschriftenCodex Manesse (C) C, → Abb. 1.1. und 1.2.). Auch wenn das Owe hier dem vielfach im Minnesang genutzten Leidausruf owê entspricht (so z.B. in Hartmanns Lied IV: Owê, waz tæte si einem man, / dem sî doch vient wære, MF 209,15f.) und daher die literarische Klagefigur des unglücklichen Liebenden aufruft, machen die weitgehenden Namensübereinstimmungen nahezu sicher, dass es einen Autor mit Namen Hartmann von Aue gegeben hat.

Autorbild zu den Liedern Hartmanns von Aue in der Weingartner Liederhandschrift (B).

Abb. 1.2.

Autorbild zu den Liedern Hartmanns von Aue in der Großen Heidelberger Liederhandschrift (C).

Datierung und Herkunft

Die Entstehung mittelalterlicher Literatur kann in aller Regel nicht genau datiert werden. Anders als moderne Textausgaben gibt es in mittelalterlichen Codices keine Titelei, der das Erscheinungsdatum zu entnehmen wäre. Zudem haben wir weitestgehend keine Autographe, d.h. vom Autor selbst verfasste Texte. Mittelalterliche Literatur liegt nahezu immer in Abschriften vor, die lange Zeit nach der Entstehung der Dichtung angefertigt wurden. Das gilt auch für Hartmanns Texte. Die überlieferten handschriftlichen Zeugnisse seines Werks datieren vom frühen 13. Jahrhundert bis ins frühe 16. Jahrhundert (→ Kap. 2.). ÜberlieferungFerner gibt es in den Texten Hartmanns keine einzige zeitgeschichtliche Anspielung, die einen sicheren Anhaltspunkt für eine Datierung bietet. Dennoch können wir die Schaffenszeit Hartmanns ungefähr auf die Jahre 1180–1200/05 eingrenzen. Dazu bedienen wir uns der Erwähnung Hartmanns sowie seiner Romane ‚Erec(k)‘ und ‚Iwein‘ im ‚Parzival‘ Wolframs von EschenbachWolfram von Eschenbach‚Parzival‘. Aus dieser Erwähnung resultiert, dass Hartmann seine Romane vor der Entstehung des ‚Parzival‘ verfasst haben muss. Den ‚Parzival‘ aber können wir ungefähr datieren, weil sich darin eine Anspielung auf ein historisches Ereignis findet. Wolfram vergleicht nämlich die im Roman geschilderte Zerstörung einer Landschaft durch ein Belagerungsheer mit der Verwüstung der Erfurter Weingärten in der historischen Realität:

Erffurter wîngarte giht

von treten noch der selben nôt:

maneg orses vuoz die slâge bôt. (WoPz 379,18–20)

Die Erfurter Weingärten befinden sich durch Tritte immer noch in der gleichen Not: Viele Hufschläge verwüsteten sie.

Damit spielt Wolfram wahrscheinlich auf die Zerstörungen im Erfurter Umland an, die während der Belagerung der Stadt im Zuge des Thronstreits zwischen Philipp von SchwabenPhilipp von Schwaben und Otto IV.Otto IV. von Braunschweig im Jahr 1203 entstanden sind. Da in der Formulierung Wolframs die Weingärten immer noch zerstört sind, setzt man die Entstehung dieser Textstelle des ‚Parzival‘ um 1205 an. Damit wäre für Hartmanns Dichtung ein terminus ante quem gewonnen.

Noch unsicherer sind die Indizien für den Beginn von Hartmanns Autorschaft. Autorschaft Die Prätexte der beiden Artusromane Hartmanns, Chrétiens de TroyesChrétien de Troyes‚Yvain‘Chrétien de Troyes‚Erec et Enide‘ ‚Erec et Enide‘ und ‚Yvain‘, lassen sich ebenfalls nicht genau datieren. Man

Eine relative ChronologieChronologie, also eine Reihenfolge der Dichtungen Hartmanns, ist nicht wirklich zu erweisen, auch wenn man sich in der Forschung konsensual auf die Reihung der Erzähltexte in der Abfolge ‚Erec(k)‘ – ‚Gregorius‘ – ‚Armer Heinrich‘ – ‚Iwein‘ verständigt hat. Diese Anordnung gründet auf den Vergleich von Reimtechnik, Wortwahl und Versrhythmus. Man geht dabei stillschweigend von der problematischen Prämisse aus, dass ein Autor sich mit fortschreitender Zeit stilistisch stetig verbessert. Gesichert scheint in der Reihung nur, dass der ‚Erec[k]‘ vor dem ‚Iwein‘ entstanden ist, da hier auf die Handlung des Erec[k]romans Bezug genommen wird, dessen Kenntnis bei den Rezipienten also erwartet werden kann. Die ‚Klage‘ wird zuweilen als Erstlings- oder neben dem ‚Erec(k)‘ als Frühwerk Hartmanns angesehen, doch bietet die als Beleg für diese Einordnung herangezogene Selbstbezeichnung Hartmanns als jungelinc (HaKl 7) keine hinreichende Sicherheit (zur Problematik der biographischen Auswertung der Selbstaussagen: → Kap. 1.1.3.). In den Liedern gibt es nicht einen einzigen Anhaltspunkt, der eine Datierung zuließe.

 

Noch größere Schwierigkeiten als die zeitliche Einordnung bereitet die Frage nach der Herkunft Hartmanns. Wir können ihn familiär gar nicht, regional nur sehr bedingt verorten. Beides hängt damit zusammen, dass es im 12. Jahrhundert noch keine Nachnamen gibt. ‚Von Aue‘ ist eine Herkunftsbezeichnung. Es handelt sich bei unserem Autor folglich um Hartmann aus Aue. Allerdings wissen wir nicht, aus welchem ‚Aue‘ Hartmann stammt. In der Forschung gilt der Südwesten Deutschlands, das alte Herzogtum Schwaben, als wahrscheinliches Herkunftsgebiet, weil seine Reimsprache geringe Spuren eines alemannischen Dialekts aufweist und Heinrich von dem TürlinHeinrich von dem Türlin‚Die Krone‘, ein Dichter aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, in seinem Artusroman ‚Die Krone‘ behauptet, dass Hartmann von der Swaben lande stammt (HeKr 2353). In Schwaben existieren freilich viele Orte mit Namen Aue, sodass eine genauere Zuordnung Spekulation bleiben muss.