Wer das Leben gewinnen will,

wird es verlieren;

wer aber das Leben um meinetwillen verliert,

wird es gewinnen. (Mt10,39)

Meinen Schülerinnen und

Schülern gewidmet

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Wien © 2019 Dr. Irene Kohlberger

Covergestaltung: Gerda Salomon

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9783750483002

Inhalt

Einführung

Gott hat zweimal gesprochen: in der Schrift und in der Geschichte. Seine Sprache ist jedoch stets die gleiche: die Sprache der Gerechtigkeit und der Liebe. Geschichtliche Ereignisse sind nicht bloße Symbole höherer Wahrheit, sondern tatsächliche Stufen im göttlichen Erlösungsvorgang, an dem die Menschheit teilnimmt. Nichts geschieht, das nicht ein Abbild des einen Ereignisses wäre: Gott wird Mensch und stirbt, um die innere Gestalt der Menschheit, wie sie ursprünglich gedacht war und durch die Selbstherrlichkeit des Menschen verlorengeht, wiederherzustellen.

Obwohl Menschen außerhalb von kirchlichen Einrichtungen, nur sehr selten von der Kirche offiziell als Heilige anerkannt werden, gibt es eine große Zahl von unbekannten Männern und Frauen, die von Gott erwählt, alle Voraussetzungen erfüllen, um als heilig zu gelten. Doch weiß niemand davon, was zu ihrer hohen Berufung beigetragen hat. Daher findet sich auch kein Gremium, das jene anonymen HeldInnen zur Heiligsprechung vorschlagen könnte.

Doch gibt es eine Reihe von Heiligen der Frühzeit, die ohne offizielle Heiligsprechung bis heute verehrt werden. Es waren einfache Menschen, die ihr Leben für ihren Glauben an Christus hingaben. Und diese Menschen gab es und gibt es bis heute. Man weiß von ihnen wenig. Sicher ist nur, dass nach dem Befund von Amnesty international Christen zu jener Gruppe von Menschen gehören, die weltweit am häufigsten verfolgt und ermordet werden.

Die Gründe dafür sind vielfältig! Die christlichen Märtyrer der römischen Zeit wurden verfolgt, um das Reich zu retten. Die einzige Klammer, die um die Zeitenwende das große römische Reich als Einheit zusammenhalten konnte – so dachte man – war der Glaube an die Göttlichkeit des Kaisers. Wie den alten Göttern Jupiter, Juno, Mars und allen anderen, sollte man den verstorbenen und lebenden Kaisern opfern. Nur wenn die Götter durch Opfer „beruhigt“ wären, könnte man auf ihre Huld hoffen. Kaiserkult war zugleich Götterkult, der die Garantie für Kriegsglück und Wohlergehen miteinschloss.

Die Römer, sonst allen Kulten im Reichsgebiet gegenüber aufgeschlossen, vermochten diese „jüdische Sekte“, wie sie anfangs erlebt wurde, nicht zu tolerieren. Hartnäckige, auch junge Leute, die sich weigerten, mit einigen Weihrauchkörnern den alten Göttern zu opfern, irritierten auch vernünftige und leidenschaftslose kaiserliche Beamte. Sie verstanden nicht, was diese Verrückten mit ihrer Weigerung bezweckten und reagierten mit Erstaunen, das nicht selten in Wut umschlug, wie es in den Märtyrerakten der Frühzeit dokumentiert wird. Später wurden die Christenverfolgungen zu einem Selbstläufer. Nicht alle Kaiser erließen Verfolgungsdekrete. Doch immer wieder – so hat man den Eindruck – suchte man Sündenböcke, denen man die Schuld zuschieben konnte, warum bestimmte Ziele der Regierung nicht erreicht werden konnten. Manchmal – wie es bei Kaiser Trajan der Fall war - suchte man offensichtlich eine Tradition aufrecht zu erhalten. Merkwürdig genug, aber seine schwankende Haltung gegenüber den Christen ist durch glaubwürdige Zeugen dokumentiert. Die von Plinius dem Jüngeren an Trajan gerichteten Briefe sind dafür ein wichtiges Zeugnis

Im Europa der Jahrtausendwende starben christliche Missionare nicht selten durch Hände von Männern, die ein vordergründiges finanzielles Interesse leitete. So starb Bonifatius unter den Schwerthieben von heidnischen Friesen, die vermutlich vom Glanz der Altargeräte geblendet waren. Adalbert von Prag fiel den Prussen zum Opfer, weil er zur Gefahr für die Einnahmen ihrer heidnischen Priester wurde. Die Liste der Märtyrer zur Zeit der europäischen Mission könnte man noch lange fortzusetzen.

In der vorliegenden Schrift wird versucht, die Biographie zweier Heiliger nachzuzeichnen, die Grundzüge des irdischen Lebens von Jesus Christus gleichsam widerspiegelt. Beide sind zunächst erfolgreich, werden bejubelt und an höchster Stelle bevorzugt, dann aber aus politischer Raison einem Gericht vorgeführt und schließlich zum Tod verurteilt. Die Art ihrer Hinrichtung spiegelt genau die Gebräuche wider, die zu ihrer Zeit als Machtsymbole dienten: Der Tod im reinigenden Feuer für die Jungfrau, die ihr Leben in seltener Reinheit und Klarheit gelebt hat und der Schwerthieb für einen Mann, der als einziger den üblen Machenschaften einer Hofkamarilla stand hielt.

Zur historischen Situation

Nach dem Erlöschen der männlichen Linie der Kapetinger im Jahre 1328 gelangte ein Cousin aus dem Hause Valois, als Philipp VI. auf den französischen Thron. Aufgrund seiner Abstammung – seine Mutter Isabella war die Tochter von Philipp IV. – erhob auch König Eduard III. von England Anspruch auf die französische Krone und fiel mit seinen Truppen in Frankreich ein. Obwohl den Franzosen zahlenmäßig unterlegen, gelang es ihm in der Schlacht von Crecy (1346), die Franzosen vernichtend zu schlagen. Eine neue Kriegstechnik, verhalf ihm nach Meinung der Historiker, zu diesem überraschenden Sieg. Im Jahr darauf gelang es den Engländern, auch Calais zu erobern, das zwei Jahrhunderte in ihrer Hand bleiben sollte und als Brückenkopf für ihre Angriffe gegen Frankreich diente.

Im Jahre 1355 flammte der Krieg neuerlich auf, als der älteste Sohn von Edward III., der „Schwarze Prinz“, in Bordeaux landete. In der Schlacht von Portiers konnten die Engländer einen zweiten großen Sieg erringen und den französischen König Johann II. und dessen Sohn gefangen nehmen. Im Friedensvertrag von Bretigny wurde ein außergewöhnlich hohes Lösegeld für den König erpresst und einige französische Provinzen als englische Kriegsbeute einbehalten.

Eine äußerst problematische Entscheidung von König Johann II., der seinen jüngsten Sohn mit Burgund belehnte, führte zu einer weiteren Zersplitterung des Landes.

Später gelang es dem legendären Konnetabel Duguesclin, der die englische Kampftaktik genau studiert hatte, die Engländer Schritt für Schritt zurückzudrängen, bis ihnen nur mehr Calais, Bordeaux und Bayonne verblieb. Der französische König, Karl VI., wurde schon als Knabe gekrönt (1380) Als er älter wurde, stellte sich heraus, dass er geisteskrank war. Die Regierungsgeschäfte wurden daher von seinen Onkeln geführt. Einer von ihnen war der Herzog von Burgund. Später versuchte auch der Herzog von Orléans, als jüngerer Bruder des Königs, im Spiel um die Macht seine Position zu festigen und machte u.a. die Königin Isabeau von Bayern1 zu seiner Geliebten. Während dieser Zeit vertieften sich die Gegensätze zwischen der Krone und Burgund immer mehr. Als der Herzog von Burgund starb und ihm sein Sohn Johann Ohnefurcht folgte, wurde dieser für den Regenten Ludwig von Orléans ein gefährlicher Gegner. Dieser war ein Mann, der seine politischen Ziele nicht verhehlte, sondern öffentlich verlauten ließ: „Je ay desir de moy avancer!“ (Ich wünsche mich selber an die Spitze zu stellen). Sein Mittel der Wahl war schließlich die Ermordung seines Cousins.

Der daraufhin ausbrechende Bürgerkrieg, ausgelöst vom Sohn des Ermordeten, Karl von Orleans, fand Unterstützung vor allem beim Herzog von Armagnac, dem Schwiegervater des Ermordeten. Doch Johann Ohnefurcht hatte damit gerechnet. Er hielt sich an Paris, wo sich Ludwig durch sein sittenloses Leben und eine drastische Steuerpolitik viele Feinde gemacht hatte. Es kam zu einem Aufruhr in der Stadt, der in einem Blutbad endete und erst durch massives Eingreifen des Herzogs von Armagnac niedergeschlagen werden konnte.

In England beobachtete man den französischen Bürgerkrieg mit Interesse. Auf Grund innerer Kämpfe hatten die Engländer bislang auf einen weiteren Krieg gegen Frankreich verzichten müssen. Nun ersuchten beide französischen Parteien England um Waffenhilfe.

Während Heinrich IV. mehr Sympathien für die französische Krone hatte, näherte sich sein Sohn der junge Heinrich V. dem Gegenspieler, dem Herzog von Burgund. Er nutzte die politische Lage in Frankreich aus, belagerte 1415 mit seinen Truppen Harfleur, um die Normandie zu erobern. Als Charles d’Albret mit französischen Truppen näher rückte, zog sich Heinrich V. in Richtung Calais zurück, wurde aber nach geschickter Umgehung aufgehalten und zum Kampf gezwungen. Es kam zu der berühmten Schlacht bei Azincourt, die mit einem glänzenden Sieg der Engländer endete. Auf französischer Seite blieben etwa fünfzehnhundert Krieger am Leben, unter ihnen Karl von Orléans, der in englische Gefangenschaft geriet.

Nun kam es zur Invasion Frankreichs. In Paris fielen die Burgunder ein und übernahmen die Herrschaft über die Stadt. Als König Karl VI. und seine Gattin Isabeau 1418 in die Gewalt der Burgunder gerieten, floh der erst sechzehn Jahre alte Thronerbe, der spätere Karl VII., aus der Stadt nach Südfrankreich.

Nachdem Johann Ohnefurcht Paris eingenommen hatte, wurde ein Treffen zwischen dem Thronfolger und dem Herzog von Burgund arrangiert. Ein Vergleich zwischen Krone und Burgund schien im Hinblick auf die drohende Gefahr, die von den Engländern ausging, die einzige Möglichkeit, um diese abzuwehren. Südlich von Paris, auf einer Brücke, die über die Yonne führte, trafen einander Johann Ohnefurcht und der Thronfolger am 10.September 1419. Man reichte sich die Hand. Danach kam es zu einem Wortwechsel. Johann Ohnefurcht rief verächtlich, dass der Thronfolger nichts ohne die Billigung seines geisteskranken Vaters entscheiden könne und kehrte ihm den Rücken. Als sich der Thronfolger erschrocken und gekränkt umwendete und die Brücke verlassen wollte, hörte er hinter sich Lärm. Was wirklich geschah ist ungewiss. Man nimmt aber an, dass einer der Männer Karls, von Zorn übermannt, dem Herzog nachlief und ihm mit der Streitaxt den Schädel spaltete.

Die Ermordung des Herzogs Johann Ohnefurcht in Gegenwart des Dauphins veränderte die politische Landschaft erheblich. Die Königin von Frankreich, Isabeau, und der Herzog von Burgund schlossen nun ein förmliches Bündnis mit Heinrich V. von England. Dieser nahm Katharina, die Schwester des Thronfolgers zur Frau. Im Vertrag von Troyes erklärte 1420 Isabeau ihren Sohn, Karl, den Dauphin, als illegitim und schloss ihn damit von der Thronfolge aus. Als Erbe wurde Heinrich V. eingesetzt. Doch dieser starb überraschend im August 1422 und Karl VI. knapp zwei Monate später. Die Franzosen erkannten den Vertrag von Troyes daraufhin nicht mehr an und riefen den Dauphin als Karl VII. zum König von Frankreich aus.

Heinrich VI. war zu diesem Zeitpunkt gerade ein Jahr alt. Der Bruder seines Vaters, der Herzog von Bedfort, übernahm die Amtsgeschäfte und setzte den Krieg in Frankreich erfolgreich fort. Er heiratete eine Schwester des Herzogs von Burgund und nannte sich selbst Regent von Frankreich. Eine Zeitlang glückte es der Armee des Königs, den Engländern standzuhalten, doch wurde diese in der Schlacht bei Verneuil im August 1424 vernichtend geschlagen. Als sich Richemont, der Bruder des Herzogs der Bretagne, plötzlich entschloss, zur Partei Karl VII. zu wechseln, scheiterte er mit seinem guten Willen an den Intrigen La Trémoilles, einem der verhängnisvollen Ratgeber des Dauphins.

Dennoch gab es Städte und Landstriche, die treu zu Karl VII. hielten und sich Engländern und Burgundern widersetzten. Auch gelang es durch eine Art frühe „Partisanenarbeit“ der Bevölkerung die Engländer in den besetzten Gebieten immer wieder herauszufordern.

Im Sommer und im Herbst 1427 sah es danach aus, als sollte den Engländern eine Entscheidung gelingen. Im Osten eroberten englische Truppen die Champagne, im Westen Pontorson. Eine andere Heersäule drang nach Süden vor und schloss Orléans ein. Würde Orléans eingenommen, wäre die Sache wohl entschieden. Die Stadt bildete wegen ihrer strategischen Lage den Schlüssel zum königstreuen Südfrankreich. Währenddessen befand sich Herzog Karl von Orléans in noch immer in englischer Gefangenschaft und beschäftigte sich mit Poesie. Obwohl ein Gesetz eindeutig verbot, ein Land anzugreifen, dessen Herr sich in Gefangenschaft befand, belagerten die Engländer Orléans, und zwar ohne Karl freizugeben. Dies vergrößerte die Erbitterung gegenüber den Engländern im ganzen Land und stärkte maßgeblich den Widerstand.

Dunois, „der Bastard von Orléans“, der Bruder des gefangenen Herzogs, leitete die Verteidigung der belagerten Stadt. Auf ihn und auf Orléans waren nun alle Blicke gerichtet. Fiel Orléans, dann war alles verloren.

Abb. 1: Frankreich 1429

Als sich eine englische Versorgungskolonne unter Falstaff in Richtung Orléans bewegte, um die Belagerungstruppen mit Proviant zu versorgen, schickte der Dauphin Truppen aus, um diese aufzuhalten. Doch das Unternehmen misslang, und die französischen Kämpfer wurden besiegt. In die Geschichte wird dieses Treffen am 12.Februar 1428, als „Herings Schlacht“ eingehen, da der englische Proviant zum größten Teil aus gesalzenen Heringen für die Belagerer von Orléans bestand. Mit dieser neuen Niederlage schien im Land die letzte Hoffnung zu schwinden die Engländer jemals loszuwerden. Die Bewohner von Orléans aber waren trotz allem entschlossen, sich niemals zu ergeben.

Der Dauphin selbst wurde immer apathischer und schien sich in sein Schicksal zu fügen, als etwas völlig Unerwartetes geschah: „Eine Gestalt trat in die Arena der Weltgeschichte, die nicht ihresgleichen hatte und hat!“ (nach Sven Stolpe, Das Mädchen von Orléans)


1 Isabeau von Bayern wurde als fünfzehnjähriges Mädchen mit dem französischen König Karl VI. aus dynastischen Interessen verheiratet. Sie sprach kein Wort Französisch, als sie an den Hof kam, lernte aber bald sich den mehr als lockeren Sitten der französischen Hofhaltung anzupassen. Als ihr Gemahl, der König, nahezu völlig umnachtet, nur mehr in seiner eigenen Welt lebte, wurde sie die Geliebte des Herzogs von Orléans ebenso, wie des Herzogs von Burgund. Sie vernachlässigte ihre Kinder, überließ sie völlig dem Einfluss des Hofes und sah sie manchmal monatelang nicht. Sie selbst pflegte teure Hobbies, z. B. die Aufzucht eines jungen Leoparden, den sie mit jungen Lämmern fütterte. Dazu kam, dass sie den französischen Kronschatz plünderte und immer wieder Gold nach Bayern bringen ließ.

Jeanne d’Arc

(1410 bis 1431)

Von Gott berufen, durch Stimmen belehrt, wird ein junges Mädchen aus seiner „natürlichen“ Lebensweise herausgeholt, um die jahrzehntelange Besatzung von Frankreich durch die Engländer zu brechen. Diese Stimmen schicken sie zum König, der - obwohl legitimer Thronerbe - gezwungen ist, ein privates Leben zu führen. Sie, ein junges Mädchen aus Domrémy, sollte Orléans befreien und den König nach Reims zur Krönung führen, so lautete ihr Auftrag.

Jugend in Domrémy

Das Leben von Jeanne begann in dörflicher Umgebung, in einer Zeit großer politischer Spannungen. Domrémy liegt im Tal der Maas, an der Grenze zwischen Champagne und Lothringen an einer sehr wichtigen Straße. Die geographische Lage des Dorfes erlaubte seinen Bewohnern kein friedliches Leben, weil der Ort immer wieder von marodierenden Räuberbanden oder regulären Königstruppen heimgesucht wurde. Um sich zu schützen, mieteten die Bauern ein verfallenes Schloss auf einer Insel des Flusses, sodass sie bei drohenden Überfällen ihr Vieh in den Burghof zu treiben und ihre Familien in Sicherheit bringen konnten. Trotzdem kam es vor, dass bei überraschenden Überfällen die Dorfleute um ihr Vieh und ihre gesamten Vorräte gebracht wurden.

Geboren wurde Jeanne um 1410 als viertes Kind einer Bauernfamilie in einem Haus, das nahe an der Dorfkirche lag und bis heute steht.

Abb. 2: Geburtshaus von Jeanne d’Arc

Insgesamt waren sie fünf Geschwister, zwei ältere Brüder, eine ältere Schwester und ein jüngerer Bruder. Jeanne besuchte nie eine Schule und konnte – wie fast alle Bauernkinder der damaligen Zeit - weder lesen noch schreiben. Die Mutter lehrte sie das Vaterunser, das Glaubensbekenntnis und das Ave-Maria. Ergänzt wurde ihr religiöses Wissen durch die Tradition der Heiligenlegenden und der liturgischen Feiern zum Kirchenjahr.

In den späteren Verhören bezeichnet sie sich zwar selbst als Hirtin, fügte aber gleichzeitig hinzu, dass sie lieber zu Hause war und sich freute, wenn andere das Vieh hüteten. Auch behauptete sie voll Stolz, dass es keine Frau in Rouen gäbe, mit der sie sich im Nähen nicht messen könne. Von einem Kind der Nachbarn wurde sie als überaus lieb und als „admirable bonne“ beschrieben. Auch berichtete das gleiche Mädchen, dass sich Jeanne vor allem im Haus beschäftigte und nicht mit dem Vieh auf die Weide ging. Sie fluchte nie, sondern begnügte sich mit den Worten „sauns faute“ (selbstverständlich) als Kraftausdruck. Während ihrer kurzen militärischen Laufbahn benutzte sie die Phrase „por mon martin“ (in etwa „bei meinem Esel“). Übereinstimmend berichteten die Kameraden ihrer Kindheit und Jugend, dass sie auffallend beweglich und kräftig war: Ein körperlicher Vorzug, den sie bei ihren späteren weiten Ritten und im kriegerischen Alltag gut brauchen konnte.

Ein Stück östlich des eigentlichen Dorfs befindet sich ein waldbedeckter Hügel, der im Prozess von Jeanne eine verhängnisvolle Rolle spielen sollte. Hier entsprang eine Quelle, der magische Kräfte zugeschrieben und die für den Sitz von Naturgeistern gehalten wurde. Jeanne kannte die Überlieferung, betonte aber ausdrücklich, dass sie an die Zaubermacht dieser Feen niemals geglaubt habe. Auch eine mächtige Buche stand auf diesem Hügel, deren gewaltige Äste sich bis zum Boden senkten. Dort feierten die Bauern am vierten Fastensonntag „Laetare“ ein Fest. Dabei aßen sie ihre mitgebrachten Speisen und tranken aus der nahen Quelle, während die jungen Leute feierten und tanzten, bis die Nacht anbrach. Der Sage nach war unter einem Haselstrauch des Hügels auch eine Alraune verborgen. Wer es wagte, sie aus dem Boden zu ziehen, konnte damit rechnen, reich zu werden.

Sicher waren die Leute ihrer Umgebung mit vielen alten magischen Formeln bestens vertraut – doch galt das nicht nur für Domrémy - sondern für die meisten ländlichen Gebiete der damaligen Zeit.

In dieser Welt hörte Jeanne im Alter von 13 Jahren plötzlich „eine Stimme“. Dazu heißt es im Protokoll:

Hierauf erklärte sie, dass sie im Alter von dreizehn Jahren eine göttliche Stimme gehört habe, die ihr helfen und sie führen wollte. Zuerst war sie sehr erschrocken. Sie hörte diese Stimme gegen zwölf Uhr mittags, im Sommer, im Garten ihres Vaters; Jeanne hatte am Tage vorher nicht gefastet. Sie hörte die Stimme von rechts, von der Seite der Kirche her; es kam selten vor, dass sie die Stimme hörte, ohne gleichzeitig ein Licht zu sehen. Dieses leuchtete stets von der gleichen Seite, von der sie die Stimmen hörte; und in der Regel war das Licht sehr stark. Als sie dann nach Frankreich kam, hörte sie die Stimmen oft.2

Das ist das entscheidende Dokument. So begannen nach ihren eigenen Worten, die sie nie widerrief, ihre Offenbarungen. Später fügte sie noch Einzelheiten hinzu:

Sie sagte auch, dass sie, wenn sie sich im Wald befand, oft hörte, wie ihr die Stimmen entgegenkamen. Und sie meinte, dass es eine edle Stimme wäre und glaubte, dass diese Stimme von Gott gesandt sei; nachdem sie diese dreimal gehört hatte, erkannte sie, dass es die Stimme eines Engels gewesen war. Sie sagte ferner, dass diese Stimme sie stets beschützte und dass sie genau verstand, was sie sagte.

Diese Schilderung erinnert an spätere Zeiten, als die Muttergottes Kindern erschien (La Salette, Lourdes, Fatima), die an große Einsamkeit gewöhnt waren und ihre einzige Bildung aus dem Katechismus bezogen.

Es ist wichtig, das Bild der ersten Offenbarung Jeannes festzuhalten: tiefe Stille im väterlichen Garten, eine Stimme, ein Lichtschein und einige moralische Ratschläge. Später berichtete sie neue Einzelheiten: sie erzählte von der Begegnung mit der Hl. Katharina und der Hl. Margarete, betonte aber, dass sich ihr zuallererst der Erzengel Michael gezeigt habe. Er war es, den sie im Alter von dreizehn Jahren sah und hörte. Er war jedoch nicht allein, sondern von himmlischen Heerscharen umgeben.

Auf die Frage der Richter, ob sie wirklich Michael und seine Engel gesehen habe, antwortete sie: „Ich sah sie mit eigenen Augen so deutlich wie ich euch sehe. Und als sie verschwanden, weinte ich; und ich hätte es gerngehabt, wenn sie mich mitgenommen hätten.“

Diese traurigen Worte Jeannes erinnern an die Worte von Petrus (Lk 9,33) „Herr lass uns drei Hütten bauen, eine für dich, eine für Moses und eine für Elias!“ Auch bei ihm war ein ähnliches Gefühl entstanden…

Um die Bedeutung dieser Erscheinungen für Jeanne besser verstehen zu können, werden im Folgenden die Legenden dieser Heiligen kurz skizziert:

Katharina war Tochter des Königs Costus von Zypern. Als der Sohn des römischen Kaisers die schöne, hochgebildete und reiche Frau heiraten wollte, sah diese in einem Spiegel, dass ihr der Bewerber nicht an Adel, Schönheit, Reichtum und Weisheit entspreche. Auch andere Männer wies sie stolz ab. Als ihr ein Einsiedler von Jesus Christus erzählte, erkannte sie in ihm ihren richtigen Bräutigam.

Sie ließ sich taufen und erlebte in einer Vision, wie das Jesuskind ihr den Verlobungsring an den Finger steckte. Als der römische Kaiser Maxentius während eines Militärzugs in die Stadt auch von den Christen heidnische Opfer verlangte, weigerte sich Katharina und bestand darauf, ihr Recht und ihre besseren Argumente in einer Diskussion zu beweisen.

Der Kaiser lud fünfzig der besten Philosophen ein, die aber allesamt gegen die kluge Argumentation Katharinas nicht aufkamen und sich danach zum Christentum bekehrten. Sie ließen sich taufen und wurden daraufhin vom Kaiser verbannt.

Abb. 3: Hl. Katharina von Alexandrien

Daraufhin bot er Katharina an, sie zur Frau zu nehmen. Als sie sich weigerte, ließ er sie auspeitschen und ins Gefängnis werfen.

Im Kerker brachte ihr eine weiße Taube Nahrung und ein Engel tröstete sie, worauf sich auch die Wachmannschaft bekehrte. Schließlich sollte Katharina gerädert und gevierteilt werden, doch die Räder brachen und töteten stattdessen die Folterer. Dieses Wunder brachte das Volk, die Garde und die Kaiserin auf ihre Seite. Als seine eigene Frau sich zur Macht des Christengottes bekannte, ließ der Kaiser Katharina die Brüste abreißen und seine Frau und die von ihr bekehrten Garden umbringen. Wenig später ließ er Katharina enthaupten. Doch aus ihrer Halswunde strömte kein Blut, sondern Milch. Engel ergriffen ihren Leib und entführten sie auf den Berg Sinai, wo das um 550 entstandene Kloster des brennenden Dornbusches (2. Mose 3, 2 – 4) nun nach ihr benannte wurde. So die Legende.

Vom 12. Jahrhundert an wurde Katharina von den Kreuzrittern zur Patronin erwählt, als überweltliche Schlachtenhelferin angerufen und nun auch im Abendland verehrt. Ab dem 13. Jahrhundert war Katharina, nach Maria die am meisten verehrte Heilige und wurde eine der „Vierzehn Nothelfer.“ Wohl keiner anderen Heiligen trug man so viele Patronate an wie ihr, während das ursprüngliche Ritterpatronat zunehmend in Vergessenheit geriet

Abb.4: Die Hl. Magarete von Antiochien

Margareta - in der Ostkirche ist Marina der gebräuchliche Name - ist auch eine legendäre Märtyrerin. Sie soll die Tochter eines heidnischen Priesters gewesen sein, die von ihrer Amme heimlich im christlichen Glauben erzogen wurde. Als ihr Vater dies bemerkte, verstieß er seine Tochter und denunzierte sie beim Stadtpräfekten Olibrius. Sie floh, wurde aber gefunden und vor Gericht gestellt. Als die hübsche Angeklagte Olibrius als Ehemann ablehnte, wurde sie mit Fackeln angesengt und in siedendem Öl gekocht, blieb aber unverletzt. Das Volk war von diesen Wundern so beeindruckt, dass sich viele von ihnen nun offen zum Christengott bekannten. Daraufhin wurden die Neugetauften enthauptet, wie auch Margareta

Eine andere Legende berichtet von ihrer Begegnung mit dem Teufel in Gestalt eines Drachen. Als sie im Gefängnis zu Gott betete und ihn bat, er solle sie den Feind sehen lassen, gegen den sie zu kämpfen habe, erschien ein gewaltiger Drache, der sie zu verschlingen drohte. Margareta machte das Kreuzzeichen, und der Drache verschwand. Diese Begegnung wurde zum weitverbreiteten Inhalt der bildlichen Darstellung von Margarete: Sie selbst hält ein Kreuz in der Hand und an einer Kette, zu ihren Füßen, ein Drache.

Diese naiven Legenden standen in einem seltsamen und tiefen Bezug zu Jeannes späterem Leben. Auch Jeanne wird einer großen Schar von Richtern allein gegenüberstehen, ohne Beistand, schutzlos, wie Katharina, und sie wird sich verzweifelt zur Wehr setzen, um von den rauen Henkersknechten nicht vergewaltigt zu werden. Auch Jeanne wird, wie die beiden Heiligen, ihre Keuschheit wahren und lieber sterben, als ihrem Glauben - ihren Stimmen - abzuschwören.

Das erste, was die Stimmen Jeanne auftrugen, war nicht mehr und nicht weniger, als dass sie ein gutes Mädchen sein und fleißig beten solle. Diesem Auftrag gehorchte sie mit großem Eifer, wie ihre Eltern und Gefährtinnen bezeugten. So wird von Henri Arnolin, einem Priester, berichtet, dass Jeanne während der Fastenzeit dreimal beichtete, und er sie beobachtete, wie sie in der Kirche vor dem Kruzifix kniete mit dem Gesicht am Boden. Oder wie sie ein anders Mal unbeweglich mit gefalteten Händen kniete, das Gesicht und die Augen auf das Kreuz oder eine Statue der seligen Jungfrau gerichtet.