Artur Rümmler

2084

Money Goodbye

Krimi aus einer besseren Zeit

Roman

Für Edith

„Das Ziel der Gesellschaft ist das allgemeine Glück.“

(Artikel 1 der französischen Verfassung vom 24. 6. 1793)

Die wichtigsten Personen

Giovanni Forster, Adviser und Writer

John Forster, sein Vater, Controller (Hauptperson in „2040 - Im Visier der Macht“)

Bella Dahlberg, Giovannis Mutter, Schauspielerin (Hauptperson in „2040 - Im Visier der Macht“)

Tommy Dahlberg, Giovannis Halbbruder, Augenarzt (auch in „2040 - Im Visier der Macht“)

Napoleon, Android, Giovannis Homebot

Bob Alessandro, Techniker

Audrey, seine Tochter

Michael Bruckmann, Mordopfer

Ernst Bruckmann, sein Vater, Chirurg

Roberto, Giovannis Freund, Informer

Antoinette, Androidin, Robertos Homebot

Susa, Freundin Giovannis, Sängerin

Clarissa, Finder

Chuck, Freund Giovannis, Musiker

Dana, Bobs Ex-Partnerin, Geliebte von Michael, Vertraute Giovannis

Erroll, Danas Freund, Musiker

Deborah Williamson, genannt Dabby, Jugendfreundin Giovannis

Jerry Anderson, Schönheitschirurg, Kollege Ernst Bruckmanns

Sam Gray, Londoner Freund Giovannis

Priscilla, Sams und Dabbys Freundin, Kosmetikerin

Peggy, Londoner Freundin Giovannis

Cliff Tucker, Reiseorganisator

Melina Drossinakis, Heilerin (Hauptperson in „2040 - Im Visier der Macht“)

Nadja, Giovannis Freundin, Softwarespezialistin

Rocco, Robertos Großvater

Khadeeja, Robotik-Spezialistin

Aldous, Finder, Kollege von Clarissa

Gordon Baker, Ex-Milliardär

Boxer, Verschwörerin

Wang, Freund Giovannis, Weltreisender

Miguel, Controller

Penporn, seine Freundin

1

Die Leiche sah überzeugend aus. Auf der Oberseite des Kopfes, umgeben von dunklem Haar, klaffte eine tiefe Wunde. Im jungenhaften Gesicht des Toten keine Angst, kein Schmerz, vielleicht ein Ausdruck von Überraschung. Am Rahmen der Liege ein Display mit seinem Namen und Lebensdaten, die zwanzig hatte Michael Bruckmann gerade noch geschafft.

„Der hat nicht lange gelitten. Das ging schnell“, sagte der Weißkittel, als er die Liege wieder wegschob, ungerührt und kühl, als hätten seine Emotionen die Temperatur des Leichendepots angenommen.

Der Fall war bereits geklärt. Die Finder hatten den Täter vernommen und analysiert, alle Indizien samt Tatwaffe verwiesen auf ihn, und der Täter war geständig. Sein Motiv: Eifersucht. Dieses selten gewordene Verbrechen interessierte mich. Die objektiven Bedingungen für Eifersucht waren eigentlich nicht mehr vorhanden.

Ich hatte als Informer begonnen, machte dann eine Ausbildung als Finder und absolvierte ein paar Monate Praxis, war bereits seit ein paar Jahren als Adviser tätig, und beschloss nun, parallel dazu als Writer mit einem Krimi aktiv zu werden. Hier hatte ich meinen Stoff gefunden.

Ich schaute mir den Täter in der Sphere an. Bob Alessandro, Jahrgang 2044, große, kräftige Gestalt, kantiges Gesicht, knarrende Stimme, recht impulsiv in seinen Reaktionen, nicht unsympathisch. Vom Alter her eine durchaus komplexe Person für mein Vorhaben, hatte er doch die turbulenten Jahrzehnte vor der Errichtung der neuen Gesellschaft durchgemacht, in der er den zweiten Teil seines bisherigen Lebens verbringen durfte. War er in seiner Jugend als Handwerker tätig, so in den letzten Jahren als Techniker für Mega-Maschinen im Brückenbau.

Ich traf ihn im Finder-Center, wo Menschen mit regelwidrigem Verhalten unter die Lupe genommen wurden. Bob lag auf der blauen Couch, als ich eintrat, und erhob sich widerwillig. Der Druck seiner breiten Hände brachte meine Finger ganz schön in Bedrängnis. Wir setzten uns in die bequemen Feel-Good-Sessel. Das überwiegend in zarten Blautönen gehaltene, zweckmäßig eingerichtete, aber gemütliche Zimmer strahlte Ruhe aus. Die Fensterscheiben spendeten angenehm reguliertes Licht. Aus den Wänden sickerte angenehme Kühle, eine Wohltat an diesem heißen Tag.

Erwartungsvoll schaute Bob mich an.

„Ich bin Giovanni Forster“, stellte ich mich vor, „zurzeit Adviser. Darf ich unser Gespräch aufzeichnen?“

„Nein.“

„Ich möchte, wenn du erlaubst, noch einmal über deine Tat reden.“

Missmutig schüttelte er den Kopf.

„Aber die Finder haben mich doch schon genug ausgequetscht.“

„Ja, aber sie haben sich nicht genug mit der Struktur deines Motivs auseinandergesetzt und mich beauftragt, noch einmal genauer hinzuschauen. Wir möchten, dass andere aus deinem Fehler lernen.“

„Na gut, wenn’s denn sein muss“, sagte er, immer noch etwas unwillig.

„Wie kam es zu deiner Tat?“

„Das hab ich doch schon alles erzählt. Also, ich bin normalerweise immer donnerstags abends bei meinem Stammtisch und komme dann meistens spät zurück zu Dana. Doch diesmal fühlte ich mich nicht wohl im Magen, vielleicht hatte ich zu kalt getrunken. Ich denke also, ich geh besser nach Hause, mache aber noch einen Umweg, die Abendluft ist so schön warm, das tut mir gut. Ich komme bei meinem Tower an, blicke hoch und sehe unser erleuchtetes Fenster, Dana ist wie immer zu Hause.“

Er wurde unruhiger, rutschte hin und her.

„Ja und dann seh ich diesen Kerl rauskommen, es ist ja schon dunkel, aber ich erkenne ihn, greife einen Stein, der da so rumliegt, und hau ihm mit aller Kraft auf den Kopf.“

Er zuckte mit der Hand und schnaufte heftig.

„Und in diesem Moment hast du nicht daran gedacht, dass du Leben auslöschst, das Schlimmste, was du tun kannst.“

„War mir völlig egal, ich war wütend und wollte dieses Schwein totschlagen.“

„Woher wusstest du, dass Michael mit deiner Partnerin was hatte?“

„Das habe ich mir lange genug angeguckt. Vor Monaten kam mir der erste Verdacht. Ich habe die beiden im Supply Center gesehen, wo Dana tätig ist. Sie wirkten sehr vertraut miteinander. Und vor zwei Wochen turtelten sie und küssten sich und merkten nicht, dass ich das gesehen hatte. Da war mir dann alles klar. Und als ich ihn letzte Woche auf frischer Tat ertappte, da riss bei mir der Faden.“

„Hast du noch ein anderes Gefühl gehabt außer Wut?“

„Nein.“

„Vielleicht Angst, Dana zu verlieren?“

„Nein.“

„Und du kannst dir nicht vorstellen, dass Dana dich jetzt verlässt?“

„Nein, sie gehört doch zu mir. Ich werde sie nicht gehen lassen, weil ich sie liebe.“

Ich hatte den Eindruck, dass ich vorerst nicht weiter kam, und verabschiedete mich.

„Ich denke, die Finder werden sich noch eine Weile mit dir beschäftigen.“

In der Tür warf ich einen Blick zurück. Bob lag schon wieder auf der Couch. Ein echter Neandertaler. Der Krimi über ihn würde ein Knüller werden.

Beim ersten Ring bestieg ich die Schwebebahn. Zügig glitt sie voran, über Grünflächen und Parks, Spielplätze und Sportstätten, wo sich zahlreiche Leute bei Bilderbuchwetter tummelten, schlängelte sich, Stopp machend bei den Circles, durch die Barrios. An einem Park im Bergkristall-Areal stieg ich aus und betrat die Terrasse des Cafes Umbrella. Unter dem gewölbten Dach strömte eine leichte Brise durch die offenen Seiten. Kaum hatte ich in einem breiten Swing Chair Platz genommen, kam schon eine zierliche Helferin mit hüpfendem Zopf herbeigesprungen.

„Was darf ich dir bringen?“

„Einen Orangensaft und eine Empanada mit Käse.“

Sie eilte davon. Ich schaute mir die Gäste an. Als Adviser hatte ich eine Menge Leute kennen gelernt, ihre Mimik und Gestik studiert, und es machte mir jetzt viel Spaß, meine Kenntnisse der Körpersprache anzuwenden. Im Äußeren der Menschen wie in einem Wörterbuch zu lesen, ein echtes Vergnügen, auch wenn sich der Schluss auf das Innere zuweilen als Trugschluss erwies. Was ging in dem reglos dasitzenden alten Mann am Nachbartisch vor, dessen Profil ich sah? Leichter zu erraten die Gefühle des Pärchens am Rand der Terrasse. Sie hatte sich nach vorne gebeugt und streichelte seine Hand, die auf der Tischplatte ruhte, während er lächelte und etwas sagte, was bei ihr ebenfalls ein Lächeln auslöste.

Wie hatte wohl die Körpersprache von Bob und Dana ausgesehen, wenn sie zusammen waren, eine Zeitlang vor der schrecklichen Tat? Sicher gab es eine Körpersprache der Eifersucht. Hätte man die Tat verhindern können? Sollte man vielleicht im Bereich Human Science die Ausbildung in Körpersprache intensivieren, um Konflikte zu vermeiden, die es eigentlich nicht mehr geben musste?

Die Helferin tänzelte, ein Liedchen summend, herbei und platzierte geschickt das Bestellte auf dem Tisch.

Eine Hand legte sich von hinten auf meine Schulter.

„Na, mein Guter, was gibt’s Neues?“, sagte Roberto und verlangte einen Kaffee.

„In dieser Welt gibt’s immer was Neues, Alter. Wie geht es Timo?“

Robertos offenes Gesicht unter den schwarzen Locken öffnete sich noch mehr, seine Augen blitzten, eine wohlige Energie schien durch ihn zu fließen. Er lachte, dann sprudelte es aus ihm heraus.

„Dem geht’s galaktisch, und er ist so süß! Er fängt ja gerade an zu laufen, und wie er so wackelt und kleine Schreie ausstößt! Richtig zum Knuddeln!“

Ich nahm einen Schluck und biss in die Empanada.

„Da erlebst du etwas Schönes. Aber vergiss nicht, auch Nadine zu knuddeln.“

„Ja, ja, wir haben die Aktivitäten reduziert, um mehr Zeit auch für uns beide zu haben.“

Robertos Kaffee brachte ein alter Mann. Mit Sorgfalt, aber etwas umständlich postierte er den Unterteller samt Tasse, in der das braune Getränk bis zum Rand schwappte.

„Und wie läuft’s als Informer?“, fragte ich Roberto.

„Die Sphere ist eine Welt für sich. Ich blicke noch nicht so richtig durch. Im Moment sortiere ich noch Nachrichten mit Hilfe der News-bots. Bald werde ich selber Nachrichten verfassen, und später mach ich Dok-Filme. Und du? Hast du den Adviser beendet?“

„Ich bin jetzt auch noch Writer. Du hast doch sicher vom Fall Bob Alessandro gehört?“

„Klar. Ganz Bellytown war aus dem Häuschen.“

„Ich mache daraus einen spannenden Roman.“

„Klingt sehr interessant. Den möchte ich als Erster lesen.“

„Wird mir eine Ehre sein, mein Lieber.“

Ich hatte keine Lust, das Interview mit Bob einsam zu Hause zu protokollieren, ließ mich von der Schwebebahn ins Rosenquarz-Areal zurücktragen, betrat einen Park meines Barrios und setzte mich unter dicht belaubten Bäumen auf eine leere Bank. Um mich herum lebhaftes Treiben. Auf dem gepflegten Rasen spielende Kinder, vor Vergnügen quietschend, Sitzgruppen aus lachenden und schmausenden Leuten beim Picknick, auf dem breiten Gehweg gemütlich schlendernde Fußgänger, vor mir spendete ein plätschernder Springbrunnen kühle, feuchte Luft, die sich wohltuend auf meine Haut legte. Die Stimmen und Geräusche verschmolzen zu einem bunten akustischen Teppich, der mich angenehm umhüllte.

Ich aktivierte mein Flash, diktierte die wesentlichen Dinge, schaute auf den vor mir schwebenden Text, korrigierte und ergänzte ihn. Zufrieden war ich mit dem Ergebnis des Gesprächs nicht, aber es war ein Anfang. Die ganze Sache musste noch erheblich vertieft werden.

Ich lehnte mich zurück, ließ meinen Blick über die friedliche Parklandschaft schweifen, da sah ich, wie ein alter Mann am Brunnenrand stolperte und mit dem Oberkörper auf dem harten Gehweg aufschlug. Sofort sprang ich auf und rannte zu ihm, auch andere eilten herbei. Ich kniete mich neben ihn. Er lag, wie er gefallen war, auf dem Bauch, die Augen geschlossen, aus der Nase strömte Blut. Ich fühlte seinen Puls, er schlug ruhig. Die Umstehenden nahmen mit gefühlvollen Worten Anteil oder gaben sachliche Ratschläge, was zu tun sei.

Ein junger Mann mit Köfferchen drängte sich durch.

„Ich bin Arzt und komme vom Medpoint da drüben.“

Er deutete auf einen nahen Wohntower. Er drehte den Körper des Alten, der inzwischen wieder seine Augen geöffnet hatte, auf die Seite und nahm Untersuchungen vor.

„Scheint nicht viel passiert zu sein. Jedenfalls kann ich nichts Ernsthaftes feststellen. Nur Hautabschürfungen an den Händen und Nasenbluten. Das Nasenbein ist nicht gebrochen.“

Er versorgte die verschrammten Hände, richtete den Alten auf in Sitzhaltung, stoppte das Nasenbluten. Nach einer Pause half er ihm auf die Beine und führte ihn zu einer Bank.

„Lasst ihn eine Weile hier sitzen. Einer von euch sollte nachher mit ihm zu einem Medpoint gehen, damit er noch mal durchgecheckt wird.“

Ich erklärte mich bereit.

„Das hätte nicht passieren müssen“, sagte erregt eine Frau. „Der Mann ist über den Brunnenrand gestolpert. Das muss doch nicht sein. Drüben in meinem Barrio ist der Rand abgeflacht.“

„Ja“, sagte ein Mann, „wir sollten das mal in die Sphere stellen und auf der nächsten Asamblea fordern.“

„Guter Vorschlag“, stimmten andere zu.

Laut diskutierend, löste sich die Menge auf. Einige gingen zum Alten, umarmten ihn, gratulierten ihm, dass er so viel Glück bei seinem Sturz gehabt hatte. Ich setzte mich neben ihn. Ein Lächeln stand auf seinem Gesicht. Ich tippte ihm vorsichtig auf die Schulter.

„Tut dir noch was weh?“

Er schüttelte den Kopf.

„Das hätte auch anders ausgehen können. Aber du bist gut gefallen.“

Er nickte und lächelte weiter.

„Ja“, sagte er nach einer kleinen Pause, „überhaupt habe ich das Gefühl, dass ich in dieser Gesellschaft immer gut falle. Ich war in Gedanken bei meiner Frau, sie ist vor ein paar Jahren gestorben, und da hab ich auf nichts geachtet. Wenn ich sehe, wie die Leute sich um einen kümmern, dann weiß ich das sehr zu schätzen.“

„Ist doch selbstverständlich.“

Er wurde lebhafter.

„Nein, nein, das ist gar nicht selbstverständlich, junger Freund. Ich bin jetzt fünfundneunzig und habe harte Zeiten erlebt, wo alles anders war. Ich war Zwangsarbeiter, bin verfolgt worden und gehöre deshalb zu denen, die unsere heutige Gesellschaft mit vollem Herzen aufgebaut haben.“

Gerührt legte ich den Arm um ihn und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

„Du sprichst wie mein Vater. Darf ich dich jetzt zum Medpoint bringen?“

Er nickte und hakte sich bei mir ein.

„Wohnst du hier im Barrio?“, fragte ich.

„Ja, Circle 5.“

„Dann sind wir Nachbarn. Ich im Circle 4.“

Die Caracol-Bar lag auf der Westseite des Rosenquarz-Areals, ihre Bauweise ähnelte einer aufgeklappten Muschel. Sie diente als beliebter Treffpunkt der Sexwilligen. Ein gewisser Reiz bestand darin, dass man sich nicht per Flash verabredet hatte. Wer hierher kam, wartete auf den erregenden Kick, den Stromstoß beim überraschenden Anblick des ersehnten passenden Partners, auf den magischen Sog der ineinander tauchenden Augen, auf die knisternde Berührung der Haut, die möglichst schnell folgen musste.

Mit den Dates in der Sphere hatte ich bereits einige schlechte Erfahrungen gemacht. Trotz optimaler Präsentation hatten sich die Frauen für mich als Fehltreffer erwiesen. Deshalb zog ich diesmal die Überraschung der Planung vor.

Ich setzte mich in die Mitte der Terrasse auf ein kleines Sofa und schaute mich um. Über mir dunkelblauer Abendhimmel, um mich herum Pärchen in regem Gespräch und wartende Singles, darunter hübsche Girls. Ich ließ mir ein Glas eines aphrodisischen Getränks bringen und musterte sie genauer. Einige recht junge taten dasselbe mit mir und wandten ihren Blick schnell wieder ab. Vielleicht war ein Endzwanziger bereits außerhalb ihres Horizonts, vielleicht auch war ich mit meinen dunklen, schulterlangen Haaren einfach nicht ihr Typ.

Auf dem Tisch vor mir leuchtete ein Display, das die Sitzordnung der Gäste wiedergab. Mit einem Fingertipp konnte man den Kontaktwunsch gezielt signalisieren. Diese fürchterlich altmodische Kennenlernmethode aus dem früheren Jahrhundert, die meine Urgroßeltern noch in Schwung versetzte, machte wider Erwarten den Heutigen überraschend viel Freude. Während ich noch schwankte zwischen Blond und Dunkel, schloss sich über mir die Muschel und schuf einen Raum der diskreten Begegnung. Durch die transparente Oberseite drang das pulsierende Licht von künstlichen Sternen und überzuckerte die Szene mit einem Hauch außerirdischer Romantik.

Mein Display blinkte. Eine Brünette interessierte sich für mich. Eigentlich hatte ich für diese Haarfarbe nicht viel übrig, fand sie wenig markant, ja langweilig, beschloss jedoch, das Angebot zu testen, und gab grünes Licht.

„Susa.“

Sie reichte mir die Hand.

„Giovanni.“

Ich küsste ihre Wangen. Wir setzten uns nebeneinander, ich ließ etwas Abstand. Susa trug die Haare wie ich, ihr rundliches Gesicht wirkte unternehmungslustig. Ein paar Jahre mochte sie jünger sein als ich.

„Du gefällst mir“, sagte sie mit kokettem Augenaufschlag.

Gleichzeitig begann ihr rotes Minikleid aufzuleuchten wie die Sonne, und zwei grüne Buchstaben formierten sich: Du.

„Ich bin gespannt auf dich“, sagte ich.

Die Sonne erlosch, das Kleid bekam wieder seine normale Farbe, aber die beiden grünen Buchstaben tanzten eng wie ein Paar.

Susa blickte mich auffordernd an.

„Ich befinde mich zurzeit in einer neuen Phase meiner sexuellen Entwicklung.“

„Nämlich?“

„Bisher war ich mehrmals längere Zeit mit einem Partner zusammen. Momentan wechsle ich die Männer schneller.“

„Mit welchem Ziel?“

„Ich möchte einfach herausfinden, bei welchem ich den größten Genuss habe.“

„Und jetzt willst du es mit mir probieren?“

„Ja.“

Entschlossen schaute sie mich an. Ich selber hatte ihre Entwicklungsphase längst absolviert, mein Interesse an den Frauen war etwas umfassender. Aber mir gefiel Susas Direktheit.

„Einverstanden.“

„Dann können wir ja gehen“, sagte sie. „Wir gehen zu mir.“

Susa wohnte ganz in der Nähe. Auf dem Weg durch den Park eilte sie mit schnellen, leichtfüßigen Schritten, fasste meine Hand und zog mich hinter sich her. Nach wenigen Minuten erreichten wir ihren Tower und sausten in den zwölften Stock. Mit einem Code-Satz öffnete sie ihre Tür.

Beim Eintreten flammte aus den Wänden grelles Licht, das sie mit einem Wort in Dämmerlicht abschwächte. Heftig umschlang sie mich, küsste mich, als wolle sie mich verspeisen, ließ aber schnell von mir ab, streifte ihr Kleidchen herunter, unter dem sie nichts trug, und wartete. Ich hatte etwas mehr auszuziehen, strich ihr dann mit meinen Händen über Haare, Gesicht, Schultern, Arme und Brüste, zwischen die Beine.

„Mach schon“, keuchte sie erregt und riss mich nach unten.

Ich drang in sie ein, und schon nach wenigen Stößen verwandelte sich ihr Stöhnen in laute Schreie. Ich hatte Mühe, mich zurückzuhalten, wechselte mehrmals die Stellung, um ihr Zeit zu lassen, und als mir schien, dass sie genug hatte, gönnte ich mir meinen Schluss.

Schnaufend lagen wir nebeneinander. Susa verkörperte nicht gerade das Schlankheitsideal. Ihr mittelgroßer, wohlgeformter Körper fühlte sich fest an, die braune Haut zart und glatt

„Wieso willst du dich eigentlich noch entwickeln?“, fragte ich leise, „du kannst doch schon alles.“

„Ja, aber so einfach ist das nicht. Das flutscht nur so bei dir. Bei anderen habe ich das noch nicht erlebt.“

„Wie kommt das?“

Sie richtete sich auf.

„Ich weiß nicht. Du bist einfach mein Typ. Wie du aussiehst, die Art, wie du guckst, dich bewegst, wie du mit mir umgehst. Irgendwie habe ich in mir ein Bild von dir. Du passt sexuell zu mir, und du hast Erfahrung.“

Sie kuschelte sich bei mir ein. Ich schwieg.

„Was machst du zurzeit?“, fragte ich dann.

Sie setzte sich mir gegenüber und kreuzte die Beine.

„Ich bin ausgebildete Sängerin“, sagte sie mit einem gewissen Stolz. Eigentlich bin ich eine erfahrene Altenpflegerin, hatte aber plötzlich Lust auf Gesang.“

„Macht’s Spaß?“

„Und wie!“, lachte sie und trällerte mit feinem Sopran eine Kette von Tönen.

„Wo singst du?“

„Meine Ausbildung ist zwar abgeschlossen, aber ich singe weiterhin dort im Zentrum. Ich singe Schlager, aber am liebsten Opernarien. Und was machst du?“

„Ich bin Adviser und versuche mich jetzt als Schriftsteller.“

„Einen Schriftsteller kenne ich noch nicht.“

Der Fall Bob Alessandro erschütterte sie.

„Wie kann so etwas passieren? Ich hasse eifersüchtige Männer.“

„Ich mag sie auch nicht.“

Wir plauderten noch ein bisschen über den Fall, bis es mir langweilig wurde und ich begann, mich abzuseilen.

„Du kannst bei mir schlafen, wenn du willst“, bot sie an. „Ich habe genug Platz. Mein Freund ist ausgezogen, und ich darf diese Drei-Zimmer-Wohnung behalten, solange kein Bedarf ist.“

Ich wollte das kurze Sexerlebnis nicht mit einer Übernachtung aufwerten.

„Ein nettes Angebot, aber ich möchte nach Hause.“

Beim Abschied umschlang sie mich leidenschaftlich.

„Es war schön mit dir“, flüsterte sie.