Woher wir kommen, wohin wir gehen

Der Himmel ist unsere Heimat

Beat Imhof


ISBN: 978-3-96862-006-1
1. Auflage 2020
© Aquamarin Verlag GmbH, Voglherd 1, 85567 Grafing, www.aquamarin-verlag.de

Umschlaggestaltung: Annette Wagner

Inhalt

Leitgedanken

Die menschliche Seele kann schon im gegenwärtigen Leben als verknüpft mit zwei Welten zugleich angesehen werden.

IMMANUEL KANT, PHILOSOPH

 

Die Welt naturwissenschaftlich zu erklären, reicht nicht.

Es braucht einen Dialog zwischen Naturwissenschaft und Theologie.

ARNOLD BENZ, ASTROPHYSIKER

 

Viele Forscher hatten die Vorstellung, Religion könne langfristig durch exaktes Wissen ersetzt werden. Nach unserer heutigen Auffassung ist dieses Ziel prinzipiell unerreichbar.

HANS-PETER DÜRR, ATOMPHYSIKER

 

Die Gottesidee ist kein Fremdling im Reich der Physik, sondern ihre eigentliche Heimat.

SIEGFRIED MARKUS, PHYSIKER

 

Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaften macht atheistisch, aber auf dem Grund des Bechers wartet Gott.

WERNER HEISENBERG, PHYSIKER

 

Je weniger Kenntnis ein Forscher besitzt, umso ferner fühlt er sich von Gott. Je größer sein Wissen ist, umso mehr nähert er sich ihm.

ALBERT EINSTEIN, PHYSIKER

 

Glaube und Vernunft, Philosophie und Theologie sind ineinander verschlungen: Man denkt im Glauben und glaubt im Denken.

HANS KÜNG, THEOLOGE

Sagt es niemand, nur den Weisen,
Weil die Menge gleich verhöhnet.

J. W. VON GOETHE

Vorwort

Als eines seiner bekanntesten Werke schuf der französische Maler Paul Gauguin (1848-1903) das Bild einer tropischen Landschaft mit einer Gruppe von Tahitianerinnen vor grünblauem Hintergrund (1891). Unter sein Gemälde, das heute im Musée d‘Orsay in Paris zu sehen ist, schrieb er die Worte: „Woher kommen wir? Was sind wir? Wohin gehen wir?“ Das sind Fragen, die uns alle angehen, die aber von den meisten Menschen übergangen oder verdrängt werden.

„Unser Leben gleicht der Reise eines Wanderers in der Nacht.“ So beginnt das Beresina-Lied und vermittelt uns ein anschauliches Bild für unser Dasein in dieser Welt. In einem Kirchenlied heißt es: „Wir sind nur Gast auf Erden und wandeln ohn Ruh / mit mancherlei Beschwerden der ewigen Heimat zu.“

So mancher Mensch weiß nicht, woher er kommt, was er hier soll und wohin er geht. Da ist es wohl angebracht, ab und zu innezuhalten, um sich zu fragen: Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin soll ich gehen? Wer sich vergewissern will, wo er jetzt steht, sollte zurückschauen, um festzustellen, woher er gekommen ist. Ebenso müsste er sich vorausblickend fragen, wohin er nun gehen will. Eine derartige Standortbestimmung ist auch für uns notwendig, damit wir auf dem Weg zu unserem Endziel bleiben. Es handelt sich um die große Existenzfrage nach unserem Woher und Wohin, vor undenklichen Zeiten gestellt und nie bis ins Letzte erhellt. Bereits in den „Upanishaden“ wurden vor Jahrtausenden die Fragen gestellt: Wer sind wir Menschen? Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Warum leben wir?(1)

Nur wer darüber nachdenkt und eine einleuchtende Antwort findet, kann damit rechnen, den Sinn seines Lebens zu finden. Leider hat der Dichter Matthias Claudius (1740-1815) recht: „Wir wissen so wenig, wo wir herkommen, als wo wir hingehen, noch was wir hier eigentlich sollen und sind. Wir haben nichts in Händen, darauf wir uns verlassen und damit wir uns trösten und unser Herz stillen können.“(2) Der hellsichtige Engländer Shaw Desmond hat sich sein Leben lang mit unserem geistigen Woher und Wohin beschäftigt und stellt fest: „Es ist eine Kuriosität unserer gegenwärtigen Zeit, dass sich der größte Teil der abendländischen Kulturmenschheit damit zufrieden gibt, zwischen Geburt und Tod gleichsam in der Luft zu hängen, und dass der Mensch von seinem Woher und Wohin nichts weiß und dass ihm auch die Kirchen außer vagen Andeutungen und einigen mehrdeutigen Bibelsprüchen nichts Konkretes zu bieten vermögen.“(3)

Wir Menschen kommen und gehen und sind nur vorübergehend hier auf unserem Planeten Erde. Vor kurzem waren wir noch nicht hier, und in Kürze werden wir nicht mehr hier sein. Unsere Anwesenheit hier auf Erden ist zeitlich beschränkt. Wir sind Vorübergehende ohne feste Bleibe. Wir sind Fremde mit befristeter Aufenthaltsgenehmigung. Wir sind Wanderer zwischen zwei Welten. Wir sind Passanten auf der Durchreise. Dies lehrt uns folgende Geschichte: „Ein alter Rabbi wohnte in einem einfachen Zimmer. Dieses war recht bescheiden, ja fast ärmlich eingerichtet. Da stand ein Tisch, davor ein Stuhl, in der Ecke eine Liege, daneben lagen ein paar Bücher, das war alles. Eines Tages trat ein junger Besucher ein und sah erstaunt, wie einfach der gelehrte Mann da hauste. „Rabbi, wo hast du deine Möbel?“, wollte der Fremde wissen. „Und wo sind deine?“, fragte der Alte zurück. „Meine Möbel? Ich habe keine bei mir, ich bin ja bloß auf der Durchreise.“ „Ich auch“, antwortete der jüdische Gelehrte.“ (4)

Es ist faszinierend, uns rückwärts blickend zu fragen, wo wir vor unserem jetzigen Leben waren, und ebenso ist es ratsam, vorausschauend darüber nachzudenken, wo wir nach unserem jetzigen Dasein sein werden. Endgültige Antworten werden wir trotz allen Hinterfragens und Ergründenwollens wohl kaum erhalten. Aber wir werden dabei auf dem Weg der fortschreitenden Selbsterkenntnis ein gutes Stück weiterkommen, was unserem Leben und Streben einen tieferen Sinn verleiht. Noch heute wissen die wenigsten eine Antwort auf die Frage nach unserem Woher und Wohin. Der Quantenphysiker Michael König, der seit drei Jahrzehnten den Zusammenhang zwischen Geist und Materie erforscht, stellte im Jahr 2011 fest, dass es immer noch nur „eine Minderheit ist, die wirklich wissen will, wo die Menschen herkommen, wo sie hingehen und welche geistigen und seelischen Entwicklungsmöglichkeiten sie überhaupt haben“.(5)

Durch die heutigen Naturwissenschaften lassen sich diese Fragen nicht erschöpfend beantworten. Sie kennen sich nur auf der einen Wirklichkeitsebene aus, nämlich auf der sinnlich wahrnehmbaren Ebene unserer diesseitigen materiellen Welt. Was darüber hinausreicht, ist ihnen zumeist fremd. Auch die Geisteswissenschaften, welche sich mit der spirituellen Seite der Wirklichkeit befassen, sind uns bis heute auf diese Grundfragen unseres menschlichen Daseins eindeutige Antworten schuldig geblieben. Selbst die verschiedenen religiösen Konfessionen vermochten uns bis heute keine einleuchtenden Wahrheiten zu vermitteln, sonst würden sie nicht derart widersprüchliche Ansichten vertreten.

Da der Mensch nicht nur ein körperliches, sondern auch ein geistbegabtes Wesen ist, muss seine Herkunft eine zweifache sein: Eine natürliche und eine übernatürliche, eine materiell-diesseitige und eine spirituell-jenseitige. Wegen dieser doppelten Herkunft sind wir Menschen sozusagen Bewohner zweier Welten. Als solche sind wir von himmlischer Herkunft dem Geiste nach, von irdischer Abkunft dem Körper nach. Daher gehören wir sowohl einem vergänglichen als auch einem unvergänglichen Ursprungsland an. So sah es die Mystikerin Hildegard von Bingen (1098-1179) vor nahezu tausend Jahren, als sie schrieb: „Die Seele stammt vom Himmel, der Leib von der Erde.“

Wir leben hier nur vorübergehend in einer materiellen Welt und kehren nach unserem Erdendasein in die geistige Welt zurück, die unsere wahre Heimat ist. Diese bezeichnete schon Platon (um 428-348 v. Chr.) als jenen „überhimmlischen Ort“, den wir erreichen werden, wenn wir unsere Seele in jenen ursprünglichen Zustand der Reinheit bringen, den sie verloren hat.(6)

Im Jahr 1818 sagte Goethe (1749-1832) zu Caroline von Egloffstein: „So zwingt uns doch eine innige Sehnsucht, den Blick immer wieder zum Himmel zu erheben, weil ein unerklärbares tiefes Gefühl uns die Überzeugung gibt, dass wir Bürger jener Welten sind, die so geheimnisvoll über uns leuchten und wir einst dahin zurückkehren werden.“ Im Jahr 1824 äußerte er in einem Gespräch mit J. P. Eckermann (1792-1854): „Der Mensch, wie sehr ihn auch die Erde anzieht mit ihren tausend und abertausend Erscheinungen, hebt doch den Blick forschend und sehnend zum Himmel auf, der sich in unermesslichen Räumen über ihm wölbt, weil er tief und klar in sich fühlt, dass er ein Bürger jenes geistigen Reiches sei, woran wir den Glauben nicht abzulehnen noch aufzugeben vermögen. In dieser Ahnung liegt das Geheimnis des ewigen Fortstrebens nach einem unbekannten Ziel.“ In einem kleinen Gedicht aus dem Jahr 1825 schreibt der Weise von Weimar: „So löst sich jene große Frage / Nach unserem zweiten Vaterland. / Denn das Beständige der ird‘schen Tage / Verbürgt uns ewigen Bestand.“(7)

Eine letzte Gewissheit, wohin uns der Weg des Lebens führt, werden wir wohl nie gewinnen, solange wir unterwegs sind. Wir werden dem großen Psychologen Carl Gustav Jung (1875-1961) zustimmen müssen, der in seinem letzten Lebensjahr zur Einsicht kam: „In nichts bin ich ganz sicher. Ich habe keine definitive Überzeugung – eigentlich von nichts. Ich weiß nur, dass ich geboren wurde und existiere, und es ist mir, als ob ich getragen würde. Ich lebe auf der Grundlage von etwas, das ich nicht kenne. Trotz aller Unsicherheit fühle ich eine Solidität des Bestehenden und eine Kontinuität meines Soseins. Die Welt, in die wir hineingeboren werden, ist roh und grausam und zugleich von göttlicher Schönheit. Es ist eine Temperamentssache zu glauben, was überwiegt, die Sinnlosigkeit oder der Sinn.“(8)

Es gibt heute ungezählte Anleitungen zur Lösung von Krisen und Konflikten in Partnerschaft, Familie, Beruf und Gesellschaft. Wohlfühlprogramme und Erfolgstrainings werden angeboten. Wozu dies alles für uns Menschen letzten Ende gut sein soll, wird freilich nicht gesagt, weil das angestrebte Ziel am Vordergründigen und Oberflächlichen hängen bleibt. Auf was es wirklich und langfristig ankommt, kann nur der wissen, der für seinen ganzen Lebensweg einen entsprechenden Plan als Orientierungshilfe kennt. Dieser muss ihm aufzeigen können, woher er kommt, wozu er hier ist und wohin er geht. Das vorliegende Buch möge ihm hierzu eine sinnvolle Lebenshilfe bieten.

Für unser Woher und Wohin fand der Dichter Ludwig Uhland (1787-1862) die nachfolgenden Worte:

 

Du kamst, du gingst mit leiser Spur.

Woher? Wohin? Wir wissen nur:

Ein flüchtiger Gast im Erdenland;

Aus Gottes Hand in Gottes Hand.

 


 

1. Ruben, Walter: Die Philosophie der Upanishaden. Francke Verlag, Bern 1947.

2. Claudius, Matthias: Einfältiger Hausvater-Bericht über die christliche Religion. Sämtliche Werke. Im Selbstverlag, Wandsbeck 1774, Bd. 3-4, S.127.

3. Desmond, Shaw: Wie du lebst, wenn du gestorben bist. H. Bauer Verlag, Freiburg i. Br. 1960, S. 217.

4.. Imhof, Beat: Wege zur Weisheit. Symbolgeschichten. Rothus Verlag, Solothurn 2006, 3.Aufl., 2006, S. 39.

5. König, Michael: Das Urwort. Die Physik Gottes. Scorpio Verlag, Berlin, München 2011, 2. Aufl. 2011.

6. Perls, Hugo: Plato. Seine Auffassung vom Kosmos. Francke Verlag, Bern, München 1966, S. 75.

7. Seiling, Max: Goethe als Esoteriker. Verlag „Die Silberschnur“, Melsbach / Neuwied 1988, S. 107-108.

8. Jaffé, Aniela: Erinnerungen, Träume, Gedanken von C. G. Jung. Rascher Verlag, Zürich, Stuttgart 1963, S. 360.

Einleitung

So mancher Mensch ist sich seiner wahren Herkunft nicht bewusst. So lebt er alltäglich und gewöhnlich dahin, ohne zu wissen, wer er eigentlich ist. Ihm ergeht es ähnlich wie jenem Adler, der sein Leben lang glaubte, ein Huhn zu sein. Hiervon erzählt folgende Geschichte: „Ein Mann fand auf einer Wiese ein Adlerei. Ohne zu fragen, woher es kam, legte er dieses in das Nest einer brütenden Henne. Der junge Adler schlüpfte mit den Küken aus und wuchs mit diesen auf. Sein ganzes Leben lang benahm er sich wie ein Huhn. Ohne je seine Flügel zum Flug zu breiten, scharrte er mit den Hühnern im Hinterhof und auf dem Miststock. Nachts schlief er nach Hühnerart stehend auf einem Bein. Eines Tages sah er hoch über seinem engen Gehege einen herrlichen Vogel mit weitgespannten Flügeln frei dahingleiten. Voll Bewunderung schaute der gefangene Jungadler ihm nach. „Wer ist das?“, fragte er den Hahn, der gerade vorbeistolzierte. „Das ist der Adler, der König der Lüfte“, erklärte ihm der Gockel, „doch kümmere dich nicht darum; du und ich, wir sind von anderer Abkunft.“ Also dachte er nicht mehr weiter darüber nach. Etliche Jahre danach starb der Adler, immer noch im Glauben, ein Huhn gewesen zu sein. So bewahrheitet sich: Wer das Denken eines Huhnes hat, für den bleibt die Welt ein Hühnerstall.”(1)

Auch die Frage, wohin wir nach dem Verlassen unseres irdischen Daseins gehen, bleibt den meisten Menschen ein Rätsel. In Europa sind rund 50% der hierzu Befragten der Ansicht, nach dem Tod sei alles aus – und was von uns bliebe, sei das Nichts. Vor Jahren hielt ich in einem Rotary-Club einen Vortrag. In der Diskussion fragte ich die Anwesenden, alles gebildete Herren und führende Geschäftsleute: „Woher kommen wir?“ Ein Mann der Wirtschaft antwortete mir: „Von nirgends.“ Als ich wissen wollte, wohin wir im Tode gehen, meinte ein reformierter Pfarrer: „Ins Nichts.“ Leider müssen wir noch heute dem Rosenkreuzer Max Heindel beipflichten: „So weit die breite Masse der Menschheit in Betracht kommt, sind die drei großen Fragen: Woher sind wir gekommen? Warum sind wir hier? Wohin gehen wir? bis zum heutigen Tag unbeantwortet geblieben.“(2)

Die offiziellen Hüter der Wahrheit auf Kanzel und Katheder sind kaum in der Lage, auf diese uralten Menschheitsfragen einleuchtende Antworten zu geben. Wir fühlen uns im Alltagsleben kaum angesprochen von der abgehobenen Sprache des indischen Jesuiten Francis X. D‘Sa, (geb.1936), Professor für Indische Religionen und Philosophie in Poona: „Unser Woher ist die bedingungslose Liebe, die zugleich eine vergegenwärtigende und damit innerlich befreiende und zur Gemeinschaft führende Liebe ist. Unser Wohin ist eine zur Gemeinschaft drängende Liebe.“(3) Damit fehlt auch eine klare Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens. In einem Vortrag in München erklärte Richard Steinpach im Jahr l979: „Die Fragen nach dem Sinn des Lebens, die Fragen nach dem Wohin und Woher, nach den wirkenden Schöpfungsgesetzen sind heute dringender als je zuvor!“(4) So müssen wir dem evangelischen Pfarrer Till A. Mohr beipflichten: „Menschen, die nach dem Sinn, dem Woher und Wohin des irdischen Lebens fragen, stoßen auf Probleme, die sie mit Hilfe des ihnen überlieferten kirchlichen Glaubens nicht lösen können.“(5)

Fragen wir uns, was Denker und Dichter im Lauf der Zeit auf die Frage nach unserem Woher und Wohin zu sagen wussten. Von einem Philosophen aus dem alten Persien stammen die Worte: „Ich kam in diese Welt und weiß nicht warum, noch woher, gleich den vom Himmel fließenden Wassern. Ich gehe hinaus gleich den Winden in der Wüste und weiß nicht wohin.“ Der Universalgelehrte G. E. Lessing (1729-1781) fragte: „Der Mensch – wo ist er her? Zu schlecht für einen Gott, zu gut für ein Ungefähr.“ Ein unbekannter Dichter schrieb: „Niemand kann sagen, wo ich hergekommen bin. Und wo ich hingehe, da gehen alle Dinge hin. Der Wind weht, das Meer geht und niemand versteht.“ In einem Gedicht des Malers Ludwig Thoma (1839-1924) aus „Achtzig Lebensjahren“, das manchmal dem Mystiker Angelus Silesius (1624-1677) zugeschrieben wird, heißt es:

 

Ich komm‘, weiß nit woher,

ich bin und ich weiß nit wer,

ich leb‘ und weiß nit wie lang,

ich sterb‘ und weiß nit wann,

ich geh und weiß nit wohin:

Mich wundert‘s, dass ich fröhlich bin.

 

Es handelt sich um die Nachdichtung einer mittelalterlichen Poesie des Theologen Martinus von Biberach aus dem Jahr 1498,

Ähnlich schreibt der Dichter und Arzt Justinus Kerner (1786-1862): „Ich weiß nicht, woher ich gekommen, ich weiß nicht, wohin ich werd‘ genommen.“ Sogar der geniale Geist Goethes befand sich hier im Ungewissen, als er schrieb: „Der Mensch ist ein dunkles Wesen, er weiß nicht, woher er kommt, noch wohin er geht. Er weiß wenig von der Welt und am wenigsten von sich selbst.“ In seinen Nordsee-Bildern schreibt der deutsche Lyriker Heinrich Heine (1797-1856): „Was bedeutet der Mensch? Woher ist er gekommen? Wohin geht er? Wer wohnt dort droben auf goldenen Sternen?“ Der amerikanische Schriftsteller und Nobelpreisträger Ernest Hemingway (1899-1961) fand: „Mein Leben ist ein dunkler Weg geworden, der nach Nirgendwo hinführt und wieder nach Nirgendwo, und noch einmal nach Nirgendwo, dunkel und ohne Ende nach Nirgendwo.“ Kaum einsichtiger gab sich der lettische Dichter Werner Bergengruen (1892-1964): „Ich weiß nicht mehr, woher ich komm und nicht, wohin ich geh.“ Der französische Schriftsteller und Nobelpreisträger Albert Camus (1913-1960) hielt es für absurd, dass wir in einem Universum ohne Sinn und Ziel leben müssen, und schrieb in seinem „Sisyphos-Mythos“: „Wenn der Mensch erkennen würde, dass auch das Universum lieben und leiden kann, dann wäre er versöhnt. Aber in einem Universum, das plötzlich der Illusionen und des Lichts beraubt ist, fühlt sich der Mensch fremd. Aus diesem Verstoßen-sein gibt es für ihn kein Entrinnen, weil er der Erinnerung an eine verlorene Heimat oder der Hoffnung auf ein gelobtes Land beraubt ist. Dieser Zwiespalt zwischen dem Menschen und seinem Leben, zwischen dem Schauspieler und seinem Hintergrund ist eigentlich das Gefühl der Absurdität.“(6) Nicht weiter in seinem Streben nach Selbsterkenntnis kam Hermann Hesse, wenn er einsieht: „Ach, man weiß so wenig, so verzweifelt wenig von den Menschen. Hundert Jahreszahlen von lächerlichen Schlachten und Namen von lächerlichen alten Königen hat man in der Schule gelernt, aber vom Menschen weiß man nichts! Wenn eine Glocke nicht schellt, wenn ein Ofen raucht, weiß man sogleich, wo zu suchen, wie er zu heilen ist. Aber von unserem eigenen Wesen, von dem, was allein schuld ist an unserem Glück und Weh, von dem wissen wir nichts, gar nichts. Ist das nicht wahnsinnig?“ Der Schriftsteller Manfred Heuer bedauert: „Woher wir kommen, wissen wir nicht, auch nicht, wohin wir gehen. Wir werden in das Leben hineingeworfen und nach einer längeren oder kürzeren Lebensdauer in die Nacht des Todes gestoßen.“(7) Gleicher Meinung ist der rumänisch-deutsche Publizist Richard Reschika: „Wir wissen so wenig, wo wir herkommen, als wo wir hingehen, noch was wir eigentlich hier sollen und sind; und wir haben nichts in den Händen, worauf wir uns verlassen und womit wir uns trösten und unser Herz stillen können.“(8)

Auch unter den Philosophen blieben sehr viele im Ungefähren und Unbestimmten. Schon vor zweitausend Jahren schrieb der römische Philosoph Seneca (4 v.Chr.-65 n.Chr.) an seinen Freund Lucilius: „Du meinst, es sollte mich nicht kümmern, woher ich selbst gekommen bin? Ob ich diese Welt nur einmal erblicke oder öfter geboren werde? Wohin ich von hier gehe? Was meine Seele erwartet, wenn sie die Erde verlässt?“(9) Der englische Philosoph David Hume (1711-1776) gestand: „Wenn ich um mich blicke, sehe ich überall nur Widerspruch, Verwirrung und Streit. Und wenn ich in mich schaue, stoße ich allenthalben auf Zweifel und Ungewissheit. Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin führt mein Weg? Ich befinde mich mit diesen Fragen in tiefster Dunkelheit.“ Nicht besser erging es dem französischen Philosophen Voltaire (1694-1778), als er fand: „Manchmal bin ich nahe daran, in Verzweiflung zu versinken, wenn ich bedenke, dass ich nach allem Forschen nicht weiß, woher ich komme, was ich bin, wohin ich gehe, was aus mir werden wird.“ Der dänische Religionsphilosoph Sören Kierkegaard (1813-1855) fragt: „Wo bin ich? Wer bin ich? Wie kam ich dazu, hier zu sein? Was ist das, was man die Welt nennt? Wie bin ich in diese Welt gekommen? Warum hat man mich nicht gefragt? Und wenn ich schon gezwungen bin, daran teilzunehmen, wo ist der Chef? Ich würde ihn gerne sehen.“ Rudolf Steiner (1861-1925), der Begründer der Anthroposophie, gesteht: „Wenn es sich aber um das handelt, was die höchste Bestimmung des Menschen genannt werden soll, dann gelangt das Denken der Gegenwart in eine schier verzweiflungsvolle Unsicherheit.“

Auch einige moderne Denker wissen unserem Woher und Wohin keinen tieferen Sinn abzugewinnen. Martin Heidegger (1889-1976) beurteilt unser Leben als ein Geworfensein ins Dasein und als ein Sein zum Tode. Noch sinnloser empfand es Jean Paul Sartre (1905-1980), als er schrieb: „Es ist irrsinnig, dass wir leben; es ist unsinnig, dass wir sterben.“ Für ihn ist der Mensch „einer zufälligen Laune der Natur entsprungen, sinnlos zu Bewusstsein und Freiheit verdammt, ins Dasein geworfen, sich selbst zum Ekel geworden, und ist letztlich als völlig überflüssig in dieser Welt nicht mehr als ein sinnloses Zuviel“. Der Psychoanalytiker Ingnace Lepp fragte sich: „Was gelten alle unsere Kenntnisse der äußeren Welt, wenn wir nicht wissen, was wir selber eigentlich sind. Dort hat die wissenschaftliche Kenntnis der Natur seit dreihundert Jahren Riesenfortschritte gemacht, während unsere Kenntnis des Menschen kaum vollständiger ist als die von Sokrates und Diogenes.“ Auf seine humoristische Art schrieb Erich Kästner (1899-1974): „Wir fahren alle im gleichen Zug. Und keiner weiß wohin.“(10)

Was sagen uns die Naturwissenschaftler hierzu? Im 17. Jahrhundert verzweifelte der französische Mathematiker Blaise Pascal (1623-1662) beinahe ob der Unmöglichkeit, auf die Frage nach unserem Woher und Wohin eine befriedigende Antwort zu finden. Er gestand: „Ich sehe das stumme Universum und den Menschen ohne Licht, sich selbst hingegeben und wie verirrt in diesen Winkel des Alls, ohne zu wissen, wer ihn dort hingestellt, wozu er da ist, was er im Tode wird, aller Erkenntnis bar. Und ich erschrecke wie ein Mensch, den man ihm Schlaf auf eine öde, einsame Insel verbannt hat, und er erwacht, ohne zu wissen, wo er ist, ohne Macht zu entrinnen. Das ewige Schweigen dieser unendlichen Räume erschreckt mich. Und ich wundere mich, wie man ob dieses elenden Zustands nicht in Verzweiflung verfällt.“(11) Nicht anders dachte der Naturforscher Alexander von Humboldt (1769-1859), als er feststellte: „Das ganze Leben ist der größte Unsinn. Wüssten wir wenigstens, warum wir auf der Welt sind. Aber das bleibt dem Denker ein Rätsel.“ Selbst Albert Einstein (1879-1955), dem religiöse Vorstellungen nicht fremd waren, vermerkte: „Seltsam ist unsere Lage hier auf dieser Erde. Jeder kommt hierher, ungebeten und ungerufen zu kurzem Aufenthalt, ohne zu wissen warum und wozu.“(12) Der Physiker Max Planck schrieb: „Woher komme ich und wohin gehe ich? Seit Jahrtausenden haben Wahrheitssucher über unser Woher und Wohin nachgedacht. Das ist die große, unergründliche Frage, die für jeden von uns gleich lautet. Die Wissenschaft kennt die Antwort nicht.“ Auch der französische Biochemiker und Nobelpreisträger für Medizin, Jacques Monod, der den Menschen als „Zigeuner am Rande des Universums“ bezeichnete, schrieb 1970 in seinem Buch „Zufall und Notwendigkeit“: „Der Mensch weiß endlich, dass er in der teilnahmslosen Unermesslichkeit des Universums allein ist, aus dem er zufällig hervortrat. Nicht nur sein Los, auch seine Pflicht steht nirgendwo geschrieben.“(13) Tiefgründig forschte der französische Arzt Alexis Carrel nach dem Wesen des Menschen und beschreibt ihn schließlich in seinem Buch „Der Mensch – das unbekannte Wesen“ als ein nicht erkanntes Wesen. Der Parapsychologe J.B. Rhine fragte: „Was sind wir Menschen – du und ich? Niemand weiß es. Man weiß eine ganze Menge vom Menschen, aber seine eigentliche Natur – das, was bewirkt, dass er sich so und nicht anders verhält – ist noch immer ein tiefes Geheimnis.“

Hoffen wir, dass Ian Currie Recht behält, wenn er feststellt: „Wir sind die 2000. Menschheitsgeneration, die von der grundlegendsten aller Fragen heimgesucht wird, die sich der Mensch stellen kann: Warum bin ich hier? Warum lebe ich? Woher komme ich und was wird aus mir, wenn ich sterbe? Doch wir werden die letzte Generation sein, die auf diese Fragen keine Antwort hat.“(14) Es ist, wie der Psychologe Alfred Dalliard, von der Geistchristlichen Gemeinschaft in Zürich, zutreffend schreibt: „Was heute dem Menschen in erster Linie fehlt, ist ein Ur- und Grundwissen über seine Herkunft, über seine Vergangenheit. Der Mensch hat seine Herkunft vergessen. Dieses ‚Grund‘-legende Wissen ist ihm im Verlauf der Zeit verloren gegangen.(15). Diesen Fragen nachzugehen, ist die Absicht des vorliegenden Buches, damit einleuchtende Antworten gefunden und all jene Unsicherheiten behoben werden, die heute immer noch nachklingen in dem Musical „Hair“ aus dem Jahr 1968:

 

Wo komm ich her?

Wo geh ich hin?

Sagt, wozu?

Sagt, woher?

Sagt, wohin?

Sagt, worin

liegt der Sinn?

 


 

1. Imhof, Beat: Wege nach Innen. Symbolgeschichten. Rothus Verlag, Solothurn 2006, 3. Aufl., S. 15-16.

2. Heindel, Max: Die Weltanschauung der Rosenkreuzer. Verlag der Rosenkreuzer-Gemeinschaft, Zürich o.J., S. 19.

3. D‘Sa, Francis X.: Gott, der Dreieine und der All-Ganze. Patmos Verlag, Düsseldorf 1987, S. 63.

4. Steinpach, Richard: Wieso wir nach dem Tode leben. Verlag Weirauch, München 1979, S. 1.

5. Mohr, Till: Kehret zurück, ihr Menschenkinder! Aquamarin Verlag, Grafing 2004, S. 27.

6. Camus, Albert: Der Mythos von Sisyphos. Ein Versuch über das Absurde. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1959, S. 36.

7. Heuer, Manfred: Über des Menschen Pein. In: Esotera, Nr. 3, 1975, S. 208.

8. Reschika, Richard: Christentum. 50 Fragen – 50 Antworten. Gütersloher Verlag, Gütersloh 2011, S. 12.

9. Seneca: Briefe an Lucilius. In: Natur und Bestimmung des Menschen. Texte aus der Antike, hrsg. Von Walter Rüegg. Buchclub Ex Libris, Zürich 1964, S. 542.

10. Kästner, Erich: Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke. Atrium Verlag, Zürich 1981, S. 13.

11. Pascal, Blaise: Gedanken. Verlag Philipp Reclam, Stuttgart 1956, S. 34.

12. Einstein, Albert: Worauf es ankommt. Historische Originalaufnahmen. Schallplatte. Hrsg. von Wolfgang Korruhn, Buchclub Ex Libris, Zürich 1968, S. 4.

13. Monod, Jacques: Zufall und Notwendigkeit. Philosophische Fragen der modernen Biologie. Deutscher Taschenbuch Verlag, Verlag. 1988, S. 211.

14. Currie, Ian: Niemand stirbt für alle Zeit. C. Bertelsmann Verlag, München 1979, S. 14.

15. Dalliard, Alfred: Entstehung der Schöpfung im Geistigen. In: Medium, Nr. 6, Verlag der Geistchristlichen Gemeinschaft, Zürich 1999, S. 1.

Teil I • Woher wir kommen


Wer wissen will, wohin er geht,
muss wissen, woher er kommt.

WILL QUADFLIEG