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Gertraud Schöpflin

Eine Badewanne voll Glück

Wie meine Träume
laufen lernten

… in Kinderlosigkeit, Adoption,
Mutterglück und offenen Familienfragen

Gertraud Schöpflin, Journalistin und Lehrerin, verheiratet und Mutter von vier Söhnen, lebt nahe Stuttgart und ist als Referentin für Veranstaltungen unterwegs. Kontakt: Gertraud.schoepflin@t-online.de

Die Bibelzitate sind vorwiegend aus folgenden Übersetzungen: Bibeltext der Neuen Genfer Übersetzung – Neues Testament und Psalmen, © 2011 Genfer Bibelgesellschaft. Wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung. Alle Rechte vorbehalten.

Zitate anderer Übersetzungen sind wie folgt gekennzeichnet:
ELB – Revidierte Elberfelder Bibel © 1985/1991/2006 SCM-Verlag

© 2020 Brunnen Verlag GmbH, Gießen

Inhalt

Stimmen zum Buch

Alle einverstanden?

Besuch! Dann wisch noch schnell den Tisch …

Tränen zum Muttertag

Trost mitten in Trauer

Ein Baby zu Weihnachten

Mama, ich will ein Kind zum Spielen haben!

Ein Kind in Schwarz-Grau

Eine Brücke aus Seifenblasen

Gut gebrüllt, kleiner Löwe!

Na Kleiner, wohin fliegst du?

Ein Lachen vom Himmel

Alle Mann an Bord!

Fledermäuse und andere Schatten

Engelsflügel und Elefantentanten

SOS im Aquarium

Warum gerade ich?

Wiedersehen in Weißrussland

Paka heißt Tschüss!

Warum dieses Buch?

Fragen und Impulse zu den Kapiteln …

Danke

Ich widme dieses Buch

Stimmen zum Buch

Von Prof. Dr. Elisabeth Jäger, Claudia Filker, Maria Prean, Marlies Kielhorn, Helmut Limburger, Rita Bially, Julia X.

Ungewollte Kinderlosigkeit ist oft ein leises Leiden, ein unbestimmtes, manchmal unheimliches Warten und verstecktes Trauern. Zur Sprache kommt es selten, und wenn, dann meistens nur im kleinen Kreis. Es rührt an eine heikle Stelle: Auch wenn die heutigen technologischen Entwicklungen es nicht so stehen lassen wollen – der Mensch ist nicht Herr über Leben und Tod. Er kann nicht Kinder machen und Leben schaffen, sondern erfährt an dieser Grenze seine Ohnmacht und Abhängigkeit vom Schöpfer. Das kann die Beziehung zu Gott auf eine Probe stellen, und es lohnt sich, die Verletzlichkeit und Bedürftigkeit in diesen Fragen ernst zu nehmen und sich dafür zum Beispiel auch persönliche Zeit in einer Seelsorge oder geistlichen Begleitung zu nehmen. In der Bibel wird dieser Not in fast auffallender Weise Raum gegeben und auch deutlich, dass jede Frau, jedes Paar gefragt ist, einen eigenen und persönlichen Weg im Umgang mit dieser Frage zu suchen.

Ich freue mich über das vorliegende Buch und den Mut von Gertraud Schöpflin, ihre Lebensgeschichte zu diesem Thema zu teilen.

Die Lücke kann tatsächlich unterschiedlich gefüllt werden: In meiner Praxis habe ich Frauen, die nicht selten mit Depressionen kämpfen und erst einmal Zeit brauchen, ihre Situation anzunehmen. Manche entscheiden sich für ein Leben ohne Kinder und finden den Frieden mit sich und Gott wieder, indem sie ihr Leben mit persönlichen Projekten anreichern, z. B. bisher ungesehenen Wünschen aus der eigenen Kindheit mehr Gewicht und Raum zu geben und „Fruchtbarkeit“ durch sozialen Einsatz oder künstlerischen Selbstausdruck zu entwickeln. Das braucht oft seine Zeit und ist ein ganz eigener Prozess. Dabei ist es in jedem Fall hilfreich, authentische Berichte von anderen Frauen als Anregung zu bekommen.

Gertraud Schöpflin hat sich für den Weg entschieden, Kinder zu adoptieren und berichtet in berührender Weise, wie sich dabei ihr Leben verändert. Es tut gut, zu lesen, wie sich ihr Vertrauen in Gott dabei neu gründet und festigt und ihr diese Beziehung über schmerzliche Momente hinweghilft. Um ein altes, zuerst oft missverstandenes Wort zu wählen: dass Demut Gott gegenüber etwas zutiefst Heilsames im Umgang mit eben dieser Frage werden kann.

Ich wünsche dem Buch viele offene Leser(innen) und freue mich bereits jetzt über das Teilen der Erfahrungen von Gertraud mit uns.

Prof. Dr. Eva Maria Jäger,
IHL Liebenzell, Professorin für Soziale Arbeit mit dem Schwerpunkt Lebens- und Sozialberatung

Gertraud Schöpflin schreibt mit so viel Herz von ihrer Trauer über Kinderlosigkeit, von aufregenden Adoptionen, Schwangerschaften mit Hindernissen! Und von den gewaltigen Anstrengungen, wenn die größten Wünsche in Erfüllung gehen – vom Leben mit einem vollen Familiennest. Herausgekommen ist ein Buch vom Scheitern und Aufstehen. Ein schonungslos offenes, ehrliches Buch. Ein Buch voller Mut und Gottvertrauen. Halten Sie beim Lesen unbedingt ein Taschentuch griffbereit!

Paare mit Kinder- oder Adoptionswunsch, aber auch gestresste Mütter und Väter werden von diesem Buch profitieren. Nicht zuletzt, weil es der Autorin gelingt, am Ende eines jeden Kapitels ihren Leserinnen und Lesern ausgezeichnete „sachdienliche“ Hinweise zu geben.

Claudia Filker,
Mutter von vier Adoptivkindern aus drei Kontinenten und zwei leiblichen Kindern, Autorin

Wie viele Söhne habt ihr jetzt? Vier! Glory to God!

Ich habe ja auch drei adoptiert. Einer meiner Söhne ist schon in der Ewigkeit, aber ich bin inzwischen total in Frieden darüber. Meine Tochter habe ich mit neun Monaten bekommen. Damals war ich sechsundsechzig Jahre alt und musste mein Leben noch einmal völlig umstellen.

Sie hat sich natürlich an nichts von früher erinnert. Eines Tages fragte sie mich: „Mama, warum bist denn du so hell und ich so dunkel?“

Da sagte ich: „Schatzi, weil du in einem anderen ‚Baucherl‘ warst.“

„In was für einem Bauch war ich denn?“

„In einem afrikanischen.“

„Mama, … wie alt war denn die?“

Da sagte ich: „Zwölf Jahre.“

„Oh …“

„Angel“, sagte ich zu ihr – sie war damals dreieinhalb, „ich habe ihr versprochen, wenn du sie sehen willst, werden wir kommen. Du musst es nur sagen, und wir gehen sie besuchen.“

Sie schwieg eine Weile, dann sagte sie: „Des werd ich dir dann sagen, wenn ich die sehen will.“

Drei Tage später krabbelte sie unter meinem Bett durch, legte sich auf mich drauf und zog sich die Decke über den Kopf. Dann flüsterte sie: „Mama, bete für ein kleines Mädchen!“

Also begann ich: „Lieber Gott, jetzt hast du mir schon so einen lieben Jungen gegeben, den Richard. Ich bin so dankbar. Aber so ein kleines Mädchen wäre schon die Erfüllung! Das wäre wirklich der Höhepunkt des Lebens!“

Plötzlich kitzelte Angel mich.

Ich sagte: „Wow, da ist ja schon etwas drinnen!“ Ich klopfte auf die Decke. „Nein, das ist ja schon so groß, lieber Gott!“, rief ich. „Lass es doch herauskommen!“

Und dann krabbelte sie heraus.

Ich habe geweint vor Dankbarkeit und Freude und sie abgebusselt.

Drei Wochen lang spielten wir das jeden Tag. Ich war ratlos und fragte Gott: „Was soll ich tun?“

Er sagte: „Lass sie! Sie verarbeitet ihre Ablehnung.“

Inzwischen ist sie ein Teenager und wir lieben uns sehr, sehr, sehr. Vor einigen Wochen sagte sie zu mir: „Gell, Mama, das ist doch genial, wie der liebe Gott uns zusammengebracht hat. Dich aus Europa und mich aus dem kleinen Dorf zu dir – Mama, das war der beste Schachzug!“

Als ich dreißig Jahre alt war, gab mir Gott einen Bibelvers aus Jesaja 54, in dem es heißt, dass die Kinderlose mehr Kinder haben wird als die Verheiratete. Da war ich ganz schön sauer. Ich wollte das nicht! Ich wollte eigene! Und zwar zehn! Doch es kam anders …

Heute sagen 14 000 Kinder zu mir „Mama Maria“!

Ich glaube, Gott vergisst nichts. Gottes Zeitpunkt ist der Wichtigste. Das ist mir ganz wichtig – der Zeitpunkt Gottes! Denn er ist nie zu früh und nie zu spät – auch wenn er für unser Gefühl zu spät ist.

Maria Luise Prean-Bruni, Gründerin und Leiterin der christlichen Hilfsorganisation „Vision for Africa International“, lebt als dreifache Adoptivmutter in Uganda und Österreich.

Erst als ich die letzte Seite verschlungen hatte, konnte ich das Buch aus meiner Hand legen.

Schonungslos offen erzählt die Autorin von der Achterbahn ihrer Erlebnisse.

Als heimlicher Zaungast taucht man in die Ereignisse mit ein.

Ein Familientisch erzählt seine Geschichte. Und jeder, der an diesem Tisch sitzt, will dessen Abenteuer auch hören.

Hoffnung, Enttäuschung, Verzweiflung, Schmerz und Trost – mit Zuversicht und Freude – reichen sich unnachgiebig die Hand.

Schließlich lässt sich im Wirbelsturm dieser Geschichte Gottes Handschrift entziffern.

Seine Gedanken und Wege sind tatsächlich ungeahnt höher, als unsere Wünsche und Vorstellungen es vermögen. Und das ist gut so!

Marlies Kielhorn, Integrationsfachkraft an der Freien Evangelischen Schule Böblingen

Familiengeschichten gibt es seit Anbeginn der Menschheit. Jede Familie hat dabei ihre ureigene Vita. Was es bedeutet, konsequent im Glauben an einen lebendigen Gott den eigenen Familienweg zu gehen, beschreibt dieses Buch eindrücklich und anschaulich. Über die vordergründige Thematik der Adoption hinaus liefert das Buch vielfältige Anknüpfungspunkte in verschiedenen Lebenslagen. Für mich als Bruder der Autorin eine Zeitreise in der Familienchronik mit bewegendem Einblick in die Seele meiner Schwester.

Helmut Limburger,
Lehrer, Bruder der Autorin

Gestern Abend habe ich zu lesen begonnen. Ich kam bis zum 6. Kapitel. Heute Vormittag habe ich direkt weitergelesen – bis zum Schluss. Wie ein Roman geschrieben – voller Spannung mit tiefgründigen Gedanken. Ich hatte das Gefühl, mit dem Paar auf der Reise zu sein. Einer Reise, die ich unglaublich finde. Einer Lebensreise voller Herausforderungen. Wie Gertraud Schöpflin alles gemeistert hat und immer wieder im Vertrauen losgegangen ist und sich im Warten geübt hat (was ja mit am schwersten ist), das finde ich wirklich sehr bewundernswert. An einigen Stellen musste ich lachen, an einigen Stellen liefen mir die Tränen, weil ich sehr berührt war.

Die Autorin schreibt mit großer Ehrlichkeit über Ängste und Sorgen, so, wie das Leben ist. Sie muss immer sehr viel in ihr Tagebuch geschrieben haben!

„Eine Badewanne voll Glück“ enthält so viel Ermutigung, Glaubensstärkung und Trost.

Auf jeden Fall brauchen wir jetzt weitere Exemplare zum Verschenken!

Rita Bially,
Redaktion Magazin „Charisma“

„Ich konnte gar nicht aufhören zu lesen. Doch als ich zum Kapitel kam, das meine Geschichte enthält, musste ich es weglegen. Mir kamen die Tränen. Manchmal kann ich selbst nicht glauben, was ich alles durchgemacht habe, und dass ich die Kraft hatte, all das durchzustehen. Es hat aber auch mein Herz berührt, was ihr alles durchgestanden habt.

Ich werde euch bis an meine letzten Tage dankbar sein, dass mein Kind so schön aufwachsen durfte und so ein toller Junge geworden ist.

Ich würde mich freuen, wenn das Buch ein Erfolg wird und anderen Mut macht!“

Julia X., leibliche Mutter des ältesten Sohnes
(Name zum Schutz der Person geändert)

Alle einverstanden?

„Alle einverstanden, dass wir ein Buch darüber schreiben?“

„Ist okay für mich.“

Levi

„Ich vertraue dir da schon, dass du das Richtige schreibst.

Ich will mich mit dieser Geschichte nicht verstecken!“

Josia

„Also gut, aber nur wenn ich dein Manager werde.“

Isaak

„Mir egal. Solang’s nicht illegal ist …“

Elia

„Ich dachte, das hebst du dir auf fürs Alter?“

Hanspeter

Besuch! Dann wisch noch schnell den Tisch …

Ich höre, wie die Gäste unten im Erdgeschoss in den Hausgang treten. Zum Glück hat irgendeiner die Haustüre geöffnet.

O Schreck, der Wohnzimmertisch! Der hat es auch nötig!

Mein Lappen fährt über den Schmutzfilm, den Chips, Salzstangen, Nutella-Brot und Popcorn in den letzten Tagen hinterlassen haben. Unbemerkt, versteht sich. So heimlich, wie die Packungen mit diesen Köstlichkeiten oft auch aus dem Schrank gewandert sind.

Ich habe aufgehört, Fragen zu stellen, wie: „Wer hat die ‚Merci‘ aus dem Schrank geklaut?“ Sie waren eigentlich für die Klavierlehrerin bestimmt. Stets beteuern mir vier Unschuldsmienen nur: „Ich war’s nicht!“ Und der Hund scheidet aus. Er stibitzt nur Katzenfutter.

Leider sind nicht alle Beispiele aus unserem Familienalltag so harmlos. Andere Vorfälle haben mich mehr als an meine Grenzen gebracht. Ich habe mir abgewöhnt, mich über alles aufzuregen. „Ich bin Mutter und nicht Polizistin“, sage ich mir, wenn ich den Schuldigen nicht finde. Das Gefühl, belogen zu werden, hat mich oft geschmerzt. Darum bleiben manche Fälle ungelöst. Es muss genügen, dass Gott den Überblick behält.

Mit dem Geschirrtuch reibe ich das weiche Kiefernholz trocken. Dunkle Astlöcher geben der Maserung ihr unverwechselbares Aussehen. Das Holz ist glatt und makellos. Das war nicht immer so. Es gab Zeiten, da sah dieser Tisch aus wie eine Werkbank. Tiefe Rillen hatten Gabeln, Scheren und andere spitze Gegenstände in dieses Holz gegraben. Nicht allein in das Holz – ordentliche Schrammen hat auch unser Idealismus im Laufe der Jahre abbekommen.

Der Tisch war nicht verkratzt gewesen, als ich ihn mitgeheiratet habe.

Zu diesem Möbelstück gehörte ein Mann, der meine Träume mit mir teilte: Hanspeter!

Wir wollten eine Familie gründen und glücklich sein – wie andere auch. Das mit der Familie ließ jedoch jahrelang auf sich warten. Und das mit dem Glück … Das ist eine Geschichte für sich!

Auf jeden Fall kam der Tag, an dem mir dieser Wohnzimmertisch reif für den Sperrmüll erschien.

„Ich will keine ‚Werkbank‘ zwischen Sofa und Sessel“, so lautete meine Begründung für den Abschied. Ich wollte mich nicht nur von diesem Möbelstück aus Kiefernholz trennen, das es in jedem Abholbereich eines Mitnahmemarktes gab. Auch all die schmerzhaften Erinnerungen wollte ich loshaben, die mit den Furchen im Holz und den geschundenen Ecken verbunden waren. Die wenigsten Kratzer hatte der ganz normale Alltag diesem Tisch zugefügt.

Mutwillig hatten kleine Hände aus Zorn und Eifersucht darin Spuren hinterlassen – und nicht nur in diesem Tisch … So manches erinnert uns bis heute an die schmerzhaften Kerben unseres Familienabenteuers.

Anfangs hatten mein Mann und ich allein an diesem Tisch gesessen. Acht Jahre warteten wir darauf, dass sich unser Leben mit Kindern füllen würde – anfangs träumten wir davon, zuletzt weinten wir darum. Wir hatten nur zwei Katzen.

„Gib ihnen Kinder statt Katzen!“, beteten Freunde für uns.

Dann geschah das Wunder: Wir wurden vom Ehepaar zu einer Familie.

Innerhalb von neun Jahren veränderte sich unser Familienstand von kinderlos zu kinderreich. Eines nach dem anderen scharte sich um den Tisch. Jede Ankunft war ein Fest!

Doch auch Wunder gehen nicht spurlos an uns vorüber. Dieser kleine Tisch bekam alles mit – und vieles ab.

Nach einem Umzug erschien mir seine Zeit abgelaufen. Ich sah mich in einem Möbelhaus bereits nach einem neuen um. Aber mein ältester Sohn, damals ein Teenager, bettelte um Gnade.

„Gib ihn mir. Ich reparier ihn dir!“

Zuerst wollte ich dem Jungen und dem Tisch keine Chance geben.

„Nein danke! Im Wohnzimmer will ich etwas Schönes haben!“

Doch der Halbwüchsige blieb hartnäckig. Mein Mann meinte, ich könne ihm doch den alten Tisch zum „Werkeln“ überlassen, so wie unsere Söhne auch alte Radios und Rührgeräte auseinanderbauen durften. In Ordnung – kurz vor dem Sperrmüll hat man nichts mehr zu verlieren. Und der neue Tisch war ja schon ausgesucht.

Unser Ältester nahm das Ding mit in die Werkstatt. Ein paar Stunden später schleppte er ihn wieder zurück.

„Und?“

Mit einem triumphierenden Blick hievte er ihn wieder an seinen alten Platz.

Ich traute meinen Augen kaum. Meine Hand fuhr über die Platte. Frisch geschliffen fühlte sich das Holz an wie Samt – weich und unversehrt. Ich hatte die Maserung noch nie so wahrgenommen.

Ein neuer Tisch stand vor mir. In geheilter Schönheit.

All die Furchen und Kratzer der vergangenen Jahre – sie waren verschwunden.

Nur … der Lack war ab. Endgültig.

Bis heute steht der Holztisch bei uns im Wohnzimmer in der Sofaecke. Ich gebe ihn nicht mehr her. Für mich ist er ein Schmuckstück.

Er ist ein Sinnbild geworden für die Wunden und die Heilung, die wir erlebten, für die Höhen und Tiefen unserer Geschichte.

Du willst sie hören? Setz dich gern mit an den Tisch!

1

Tränen zum Muttertag

„Verschaff mir endlich Kinder, sonst will ich nicht länger leben!“
1. Mose 30,1

Eine Obstkiste voll kleiner Blumentöpfe steht vorne an der Bühne. „Fleißige Lieschen“ – die hat man mir einst schon im Kindergarten in die Hände gedrückt, um sie meiner Mutter zu schenken.

Ich ahne schon, was in diesem Gottesdienst kommt. Es ist Muttertag. Zeit, die Mütter in der Gemeinde zu ehren. Die Kleinen marschieren mit den Betreuern des Kinderprogramms vorne im Gottesdienstraum auf. Der Pastor tritt lächelnd hinter das Mikrofon. „Wir bitten alle Mütter, einmal aufzustehen. Wir haben eine Überraschung für euch …“

Ich bleibe sitzen. In mir rumoren alte Erinnerungen. Ich kann einfach nicht aufstehen. Ich leide an „Muttertags-Allergie“. Verstohlen schiele ich zu den Singles und Kinderlosen schräg gegenüber.

Was kann ich dafür, dass ich Mutter bin und sie nicht?

Es ist ein unverdientes Geschenk!

Während der Pastor die Dankesworte an die Mütter richtet und ihre Hingabe rühmt, studiere ich die Schattierungen des grauen Teppichbodens. Zu sehr leide ich mit den Frauen, die ungewollt keine Mütter sind. Wie sie sich wohl gerade fühlen? Früher waren für mich Momente wie diese grauenhaft.

Alle Frauen sind Evas!

Am liebsten würde ich es laut sagen.

Alle haben die Berufung, Mütter in dieser Welt zu sein und Leben zu spenden – auch die, die nicht geboren haben!

Der Dank an die Mamas ist lieb gemeint. Ich weiß. Aber ich kann mich nur schwer an den Blumen freuen. Die Kinder mit den „Fleißigen Lieschen“ finden zu mir, auch wenn ich nicht mit den Müttern aufgestanden bin. Ich halte das Töpfchen in der Hand und betrachte die kleinen rosa Blätter der Blüten. Dabei steigen in mir die Gefühle jener Zeit auf, in der man mir diese Blumen nicht überreicht hätte. Der Muttertag trieb mir viele Jahre Tränen in die Augen …

Schon vor der Ehe hatten wir uns ausgemalt, wie schön es sein würde, eine große Familie zu haben. „Ich will, dass du der Vater meiner Kinder wirst“, hatte ich Hanspeter nach seinem Heiratsantrag in einem Park ins Ohr geflüstert.

Doch meine Hoffnung, so wie einst meine frisch verheiratete Mutter schneller schwanger zu werden als aufgeklärt zu sein, erfüllte sich nicht. Jeder Zyklus endete mit der gleichen Enttäuschung, die auch noch körperlich schmerzhaft war.

„Du musst deinen Lebensstil ändern. Dein Job ist zu stressig“, riet man mir. Mein Leben damals pulsierte. Meine Tätigkeit bei einer Tageszeitung war anstrengend und schön zugleich. Eigentlich liebte ich dieses pralle Leben … Doch ich beschloss, ein Studium zu beginnen. Ich schrieb mich bei der Pädagogischen Hochschule ein – in der Hoffnung, schwanger zu werden. Lehrerin zu werden, war nicht unbedingt mein Ziel. Aber Mutter wollte ich werden – um jeden Preis!

Auch neugierige Zeitgenossen begannen bei dem inzwischen länger verheirateten Paar langsam nachzuhaken. „Wollt ihr eigentlich keine Kinder?“, so kamen mit der Zeit die ersten Anfragen. Nicht jedem wollte ich diese Frage beantworten. Es ermüdete, mich immer wieder zu rechtfertigen.

„Das steht dir aber gut!“, bekam ich zu hören, wenn ich es wagte, ein Kleinkind von Bekannten hochzunehmen. Um Kommentare zu vermeiden, gewöhnte ich es mir ab und mied die Nähe zu kleinen Kindern.

Zum Glück gab es Orte, an denen wir ehrlich sein konnten. In unserer Kirchengemeinde, besonders in unserem Hauskreis, fanden wir Freunde, die uns ernst nahmen, uns zuhörten und für uns beteten. Auch wenn sie in einem Fall sogar mit dem Gegenteil zu kämpfen hatten! Sie erwarteten ein ungeplantes Kind … und hatten an ihrer Situation genauso zu knabbern wie wir an unserer Not.

Unseren Verwandten waren wir dankbar, dass sie uns nie unter Druck gesetzt haben, obwohl es sich Hanspeters betagte Eltern sicher gewünscht hätten, Enkel zu erleben. Aber sie gehörten zu einer Generation, die solche Themen nicht ansprach. Hanspeters Vater starb, ohne je einen Enkel gesehen zu haben. Mein Mann wurde daraufhin viele Wochen krank.

Aus Trauer und Enttäuschung, weil die Wiege leer blieb, wurden Depression und Hoffnungslosigkeit. Jeden Sonntagnachmittag, wenn wir Zeit zum Nachdenken hatten, tat sich vor mir ein großes schwarzes Loch auf und ich versank darin. Ohne die Perspektive, ein Kind zu haben, kam mir mein Leben sinnlos vor. Ich fühlte mich wertlos – im Kern getroffen in meiner Identität als Frau. Diese Trauer hatte mich im Griff und war mit dem Verstand nicht zu bezwingen.

Hanspeter stand hilflos daneben. Auch er trauerte – aber er drückte es anders aus. Er wünschte sich sehnlichst ein Mädchen mit Locken. Doch er sprach selten von seinen Träumen. Auch er vergoss Tränen. Aber meist im Stillen und allein. Sein Körper begann stattdessen in Krankheitssymptomen zu zeigen, was seiner Seele schwerfiel, in Worte zu fassen.

Wir träumten von dem, was wir gerne mit unseren Kindern unternommen hätten … Aber was will ein Paar allein in einem Zoo oder Freizeitpark? Wir fühlten uns an solchen Ausflugszielen für Familien umso einsamer. Es nervte mich, aber alles Lebensglück schien an der Erfüllung dieses einen Herzenswunsches zu hängen! Wie schön wäre es, wenn … Diese Gefühle holten uns immer wieder ein. Ein Leben ohne Kinder schien uns einfach unvorstellbar.

Also quälten wir uns weiter. Längst bestimmte der Terminkalender die Zeiten unserer Intimität. Wir begannen einen Frauenarzt ins Vertrauen zu ziehen. Er optimierte den Blick auf die fruchtbaren Tage weiter per Medikamente und Ultraschall. Ich war es bald leid, die reifenden Eizellen am Bildschirm zu beobachten. Die Follikel wurden vermessen, damit der Arzt den Zeitpunkt bestimmen konnte, wann wir „aktiv“ werden sollten.

Doch was half es mir, ein unbefruchtetes Ei zu beobachten? Es ermüdete mich, Monat für Monat vergeblich zu hoffen … Auch Hoffnung kann zur Qual werden!

Ich wünschte, diesen Herzenswunsch aus mir herausschneiden zu können und beneidete kinderlose Ehepaare, die sich offensichtlich zufrieden anderen Lebensaufgaben zugewandt hatten. Doch wir fanden keinen Ausweg aus dem dunklen Tal und keine Abkürzung durch diese Trauer.

Bin ich verurteilt, zu hoffen? Im vierwöchigen Rhythmus? Jahrelang?

Wann werden wir dieses Thema endlich „weglegen“ können?

Es gab keine Ursache für unsere Kinderlosigkeit, die uns das Thema aus der Hand genommen hätte. Die medizinischen Untersuchungen verliefen ergebnislos – wie bei vielen unfruchtbaren Paaren.

„Ihr seid ja noch jung!“, hörten wir oft. „Das kommt schon noch … Habt Geduld!“ Doch es tröstete uns mit den Jahren immer weniger. Die biologische Uhr tickte – mir als Frau war das schmerzlich bewusst. Die Fruchtbarkeit nimmt ab einem Alter von etwa dreißig Jahren immer mehr ab – solche wissenschaftlichen Studien beruhigten mich nicht gerade. Längst erlaubte ich es mir nicht mehr, in Geschäften Bücher über Babyentwicklung oder Kindererziehung durchzublättern, geschweige denn durch Abteilungen mit Babykleidung zu schlendern. Lediglich ein paar Erinnerungsstücke meiner Schwiegermutter, die sie selbst aus rosa Wolle gestrickt hatte, hob ich in einem alten Koffer auf. Sie hatte mir die Jäckchen und Mützen zu Beginn unserer Ehe erwartungsvoll überreicht.

Mit jeder Enttäuschung, Zyklus für Zyklus, wuchs in mir mein Groll auf Gott. Warum schenkte er uns kein Kind? Er konnte uns doch den erbetenen Nachwuchs schenken! Wir hatten bereits sein Eingreifen und Reden erlebt. Warum reagierte er nicht und erfüllte unseren Herzenswunsch?

Wir versuchten, uns auf andere Lebensaufgaben zu konzentrieren. Themen anzupacken, die man nur ohne Kinder angehen konnte. Halbherzig ließ ich mich darauf ein. Mir blieb ja keine andere Wahl.

Ich gab mir einen Ruck und meldete mich für die Zeit meines restlichen Urlaubs zur Mitarbeit in einem Hilfsprojekt in Albanien an. Das einst gegen den Westen streng abgeriegelte Land hatte damals gerade seine Grenzen geöffnet. Mit einem Team christlich motivierter junger Leute stieg ich in einen Lastwagen voller Hilfsgüter in Richtung Südeuropa.

Ich wollte meine Sehnsucht vergessen. Ich wollte ein sinnvolles Leben jenseits des Kinderwunsches suchen. Doch das Thema schlich mir nach. In den Bergen Albaniens holte es mich ein – und zwar völlig anders als erwartet!

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Was, wenn Wünsche sich nicht erfüllen?
* Brief-Gedanken an eine Freundin siehe Seite 159 ff. *

2

Trost mitten in Trauer

„Ja, du hast mein Klagelied in einen Reigentanz verwandelt!“
Psalm 30,12

Unser Kleinbus zottelt dem Lastwagen hinterher, der über die staubigen Straßen durch das Bergland von Albanien rumpelt. Eine Plane verbirgt die Schätze, die sich auf der Ladefläche befinden: Hilfsgüter für ein Krankenhaus. Wir wagen es nicht anzuhalten. Jede Menge, die sich in einem Dorf um uns sammeln würde, gilt als Gefahr, ausgeraubt zu werden. Der Blick aus dem Wagenfenster gleicht einer Zeitreise. Menschen mit bepackten Eseln bewegen sich am Straßenrand. Kinder hüten Kühe und Gänse. Schrottreife Autos, überladen mit Menschen und Gepäck, überholen uns. Manche Straßen sind weggespült oder in so schlechtem Zustand, dass wir Stunden für die rund 100 Kilometer brauchen.

Am Morgen sind wir in der Hauptstadt Tirana im Rahmen des Hilfseinsatzes zu dieser besonderen Aktion in jenes weiter entfernt liegende Krankenhaus aufgebrochen. Zuvor hatte unsere Gruppe junger Leute unter anderem Säcke mit Babykleidung gepackt, die an Mütter in der Entbindungsstation verteilt werden sollen.

Sogar die siebzigjährige Holländerin muss dieses Mal mitreisen. Sonst betreut sie im Auftrag der Mission das Kleiderlager hinter dem hohen Stacheldrahtzaun. Diese alte Dame beeindruckt mich: Sie verbringt bewusst ihren Lebensabend in Albanien, um ihre verbleibenden Kräfte dort einzubringen. Unsere „Oma“ – so nennen wir sie liebevoll – hat auf der Fahrt einen besonderen Auftrag: Sie soll im Krankenhaus in den Bergen ein Baby abholen, das zu einer Adoption nach Norwegen vermittelt wird.

Endlich erreichen wir die Stadt, deren baufällige Häuser sich an einen Hang schmiegen. Irgendwo oberhalb liegt das Krankenhaus. Dort ist Eile geboten.