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Bücher für Entdecker

Books on Demand bietet Autoren ein neues Verlagskonzept. Viele Debütanten, etablierte Autoren und engagierte Verleger nutzen den Publikationsservice von Books on Demand und bereichern den Buchmarkt mit interessanten und außergewöhnlichen Titeln. Vito von Eichborn, einer der innovativsten Buchmacher Deutschlands, wählt als Herausgeber für die Edition BoD herausragende Neuerscheinungen aus. Lesen Sie selbst, welche Entdeckungen das Programm von Books on Demand möglich macht.

Mehr Infos auch auf www.bod.de.

Walter Michael “Micha” Dobrow, geboren 19.11.1952 in Breloh/Lüneburger Heide, lebt abwechselnd in Scharbeutz an der Ostsee und in Norderstedt. Endlich im Vorruhestand und deshalb mit Zeit und Muße kann er sich ganz seinen Leidenschaften hingeben, seiner Frau Angela und dem Schreiben der Art von Literatur, die er selbst gern liest und kauft. Geschichte und Liebe zur See sind der Antrieb zur Beschreibung der Abenteuer, an denen er selbst durch Zeit, Raum und Schicksal gehindert, nicht teilnehmen konnte.

Vito von Eichborn war Journalist, dann Lektor im S. Fischer Verlag, bevor er 1980 den Eichborn Verlag gründete, dessen Programm noch heute ein breites Spektrum umfasst: Humor, Kochbücher und Ratgeber, Sachbücher aller Art, klassische und moderne Literatur sowie die Andere Bibliothek. Nach seinem Ausstieg im Jahre 1995 war er u.a. Geschäftsführer bei Rotbuch/Europäische Verlagsanstalt und sechs Jahre Verleger des Europa-Verlags. Seit 2005 ist Vito von Eichborn selbständig als Publizist tätig und fungiert u.a. seit März 2006 als Herausgeber der Edition BoD.

Inhaltsverzeichnis

Meine Buchhändlerin sagte mir, „ja“, sagte sie …

Der Überfall

Eine neue Zukunft

Die Schweden kommen

Im Mastkorb

Im Mittelmeer

Schiffbruch

Im Sturm

Batavia

Cheong-lai

Seeschlacht

Heimkehr

Dörtes Verrat

Fehrbellin

Ein neues Kommando

Afrika

Groß-Friedrichsburg

Sklavenjagd

Cholera

Der Edelmann

Das Sklavenschiff

Das Ende der „DERFFLINGER“

Glossar

All denen gewidmet, die beim Lesen
mit mir auf Abenteuer-Reise gehen
.

Meine Buchhändlerin sagte mir, „ja“, sagte sie …

Ja, das Thema hört sich gut an, historischer Seefahrerroman, Dreißigjähriger Krieg und so. Die Seeabenteuer von Autoren wie Alexander Kent und Patrick O’Brian gehen immer gut. Was ist denn das Besondere an diesem Pedder Carstens?“

„Na ja, zunächst mal ist Dobrow ein deutscher Autor. Der Hintergrund ist uns also näher, denn dies ist unsere Geschichte. Die Handlung, die um die ganze Welt führt, dreht sich vor allem um Stade und Emden, aber auch die Ostsee, den Großen Kurfürsten und Preußen. In Europa ist viel los: Frankreich, Holland, England, Schweden, Polen, Sachsen führen die unterschiedlichsten Kriege …“

„Gab es denn diesen Kapitän wirklich?“, unterbrach mich meine Buchhändlerin, wie sie es immer tut.

„Nein, der ist Fiktion. Aber es gab den Roten Adler – auf der Fahne des Kurfürsten. Und es gab den im Buch auftauchenden Major von der Groeben, der als Kommandant an der Goldküste das Fort Groß-Friedrichsburg bauen ließ. Dort beteiligten sich die Preußen am Sklavenhandel, dessen Brutalität im Roman eindringlich geschildert wird …“

„Also jetzt mal von vorne“, meinte sie, „kurz und knapp: Wie geht der Plot?“

„Okay, im Geschwindgang: Marodierende Soldaten brennen einen stattlichen Hof in der Heide nieder. Der Bauer und seine Familie, die Mägde und Knechte werden misshandelt, vergewaltigt, ermordet – nur der sechsjährige Pedder überlebt. Der reisende Händler Klemenz, dem in Stade ein Gasthof und ein Badehaus mit Bordell gehören, außerdem Schiffsbeteiligungen, nimmt ihn mit und sorgt für seine gute Ausbildung. Das dänische Stade wird von den Schweden erobert.

Der vierzehnjährige Pedder wird Schiffsjunge, Matrose, erleidet Schiffbruch vor Borkum, wo ein Mädchen namens Dörte von ihm schwanger wird. Von Holländern aufs Schiff gepresst, landet er in Batavia, wird Schiffsführer zwischen den Molukken und Sumatra. Er kämpft mit Piraten, Mönche eines Klosters werden ermordet, Schlachten geschlagen. Seine Frau Cheong-lai bekommt zwei Kinder von ihm. Bei einem Gefecht auf See verliert er den rechten Unterarm.

Kaum ist Pedder nach abenteuerlicher Rückfahrt wieder zu Hause angelangt, werden durch eine Intrige von Dörte seine javanische Frau und seine Tochter als Hexen auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Als von der Groeben an die Goldküste segelt und das Fort baut, führt Pedder eins der Schiffe. Sein erster Sohn Moritz wird Seemann, fährt auch nach Afrika und erlebt den grausamen Sklavenhandel. Sein zweiter Sohn Jens kämpft als Soldat in der Schlacht von Fehrbellin und wird später Offizier des Kurfürsten. In Stade stirbt ein Drittel der Bevölkerung an Cholera. Pedder wird schließlich Hafenkommandant in Emden. Die Söhne haben inzwischen geheiratet, der asiatisch aussehende Jens sogar eine Baronin. Moritz führt eine Reederei. Nach all den Grausamkeiten also, wie es sich gehört: Happy End.“

„Donnerwetter, da ist ja viel Action.“ Meine Buchhändlerin holte Luft. „Anders als bei Kriminalromanen nimmt ja die Kenntnis der Geschichte nichts von der Spannung. Was ich wie auch meine Kunden an historischen Romanen mag – wenn sie gut sind, wie dieser ganz offensichtlich –, ist nicht nur, dass sie so spannend sind wie Krimis. Sondern vor allem, dass man quasi subkutan ganz viel lernt …“

„Aber ja“, unterbrach nun ich, „und deshalb ist es so entscheidend, dass die Autoren die Zeit, über die sie schreiben, gründlich recherchiert haben. Bei diesem Dobrow stimmt alles, nicht nur die historischen Geschehnisse, sondern auch die Details, wie die Leute sich kleideten und ernährten. Auch wie die Seefahrt funktionierte und wie ein Schiff gebaut sein musste, wenn die Böen durch die Takelage orgelten, wie Kaufleute und Sklavenhändler ihre Geschäfte machten und wie das Leben im Städtchen Stade ablief, auch wie …“

Ich brach ab, denn ich stand allein da. Meine Buchhändlerin war wortlos zum Eingang geeilt, um eine Kundin zu begrüßen.

Da bleibt mir nur, viel Vergnügen zu wünschen bei der Lektüre dieser aufregenden Schicksale von Schiffen und Menschen.

Vito von Eichborn

Der Überfall

Pedder fror. Der Winter war einfach nicht gewichen in diesem Jahr und erst jetzt, Anfang April, war es doch noch Frühling geworden und überall zeigte sich frisches Grün. Pedder war sechs Jahre alt und der jüngste Sohn des Heidebauern Jens Carsten, der seinen Hof, seit vielen Generationen im Besitz der Familie und etwas abseits der staubigen Landstraße, die von der Salzstadt Lüneburg nach Süden führte, auf Celle zu, bewirtschaftete. Der große Krieg, der seit Jahren mit wechselndem Erfolg das Land verwüstete, hatte bisher einen Bogen um die kleinen einsamen Heidedörfer gemacht. Pedder wusste nicht viel über die Welt außerhalb des Dorfes. Breloh bestand aus acht Höfen, die den eigentlichen Kern der Gemeinde bildeten. So etwas wie einen zentralen Platz, wie andere Dörfer ihn hatten, gab es nicht. Die Leute, die sich auf den Höfen verdingten, wohnten bis auf wenige Ausnahmen auch dort. Nur einige Handwerker, wie der Schmied Lütjens und der Maurer Holtermann sowie ihre Gesellen, hatten kleine Katen an der Kreuzung der Zuwege der einzelnen Höfe gebaut. Der kleine Weiler Munster, der auch eine Kirche, einen Arzt und ein paar andere Kleinhandwerker besaß, lag drei Kilometer nach Süden zu. Pedder hatte seit einem Jahr die Aufsicht über die kleine Ziegenherde übertragen bekommen. Seine acht Geschwister, drei Brüder und fünf Schwestern, arbeiteten alle auf dem Hof. Marie, die Älteste, würde in der nächsten Woche den Erben des Seeger-Hofes heiraten. So war es zwischen den Familien ausgemacht. Marie war eine etwas herbe und nicht sehr fröhliche junge Frau. Schon beinahe 22, hätte die Hochzeit vor vier Jahren stattfinden sollen, aber Martin, der Bräutigam, war damals plötzlich auf die Idee gekommen, sich ein wenig in der Welt umsehen zu wollen, und war erst kürzlich ins Dorf zurückgekehrt und was er zu erzählen hatte, mochten die Leute nicht glauben. Vom Brand der Stadt Hildesheim, die die Schweden eingeäschert und geplündert hatten, und von der allgemeinen Not im Land. Das allerdings glaubten sie alle, denn immer häufiger kamen Bettler und Hungernde auch in diesen vergessenen Landstrich.

Rabe, der große schwarze Schäferhund, der Pedder auf Schritt und Tritt begleitete, richtete sich mit einem Ruck auf. Er hatte neben Pedder auf der Erde gelegen und geschlafen. Ein leises Knurren kam aus seiner Kehle und seine Ohren waren steil aufgerichtet. Pedder schenkte dem weiter keine Beachtung, denn Rabe mochte vielleicht ein Wildschwein oder einen Fuchs gewittert haben. Aber in diesen Zeiten war Vorsicht angesagt und auch wenn er erst sechs Jahre alt war, hatte ihm sein Vater früh und mit Nachdruck beigebracht, dass Vorsicht der bessere Teil des Mutes ist. Nun konnte er die leisen, aber näherkommenden Geräusche von Hufen und das Knarren von Holzrädern auf dem Sandweg hören. „Ssssstt“, zischte er Rabe zu, der ihn kurz ansah, dann aber die Nackenhaare sträubte und ein dumpfes Grollen vernehmen ließ. Pedder packte den Hund an dem Strick, den er ihm um den Hals geschlungen hatte, und zerrte das widerstrebende Tier hinter ein Gebüsch. Selten kamen Fremde diesen Weg entlang und so hoffte Pedder, ein Nachbar käme auf ihn zu. Ein Pferd schnaubte und dann sah Pedder einen großen vierrädrigen Leiterwagen mit einer Plane und zwei großen knochigen Gäulen davor, die schwer ziehen mussten. Über den Aufbau der Plane hinweg gab es Seile, an denen die verschiedensten Waren hingen. Hacken, Schaufeln, ein Sattel, Zaumzeug, Seilrollen, leise klappernde Töpfe und Pfannen … alles, was man sich vorstellen konnte. Auf dem Kutschbock hockte ein alter Mann, jedenfalls schien er alt zu sein, denn er hatte einen schlohweißen, struppigen Bart und seine Gesichtshaut sah verwittert und schartig aus, verziert durch einige schlecht verheilte Pockennarben. Seine kleinen Augen verschwanden beinahe unter den buschigen Augenbrauen und unter der großen, von einem Bruch schief verwachsenen Nase ragte eine klobige braune Pfeife hervor. Der Schlapphut, mit einer leuchtend roten Feder geschmückt, ließ nichts von einer Haartracht sehen. „Klemenz!!“, brüllte Pedder und stürmte aus seinem Versteck, gefolgt von dem nun fröhlich herumspringenden Hund. „Brrrrrr“, stieß der Mann auf dem Bock hervor und die Pferde stoppten, sich nach dem herumjagenden Hund umsehend. „Der junge Herr Carstens, sieh an … so groß schon …“, rief der Mann, band die Zügel an den Pfosten und sprang behände auf den Boden. Der Trödelhändler Klemenz Treisinger, den alle nur mit seinem Vornamen riefen, lachte und zog scherzhaft den Hut vor dem Jungen. Dabei wurde ein völlig kahler Kopf sichtbar, auf dessen Haut vernarbte Wundränder sichtbar waren. Schnell stülpte er sich den Hut wieder auf und breitete die Arme aus. Seit vielen Jahren schon kam er in dieses Dorf, so wie in alle Dörfer landauf, landab, von der Küste bis zu den Bergen. Nur die Tatsache, dass er stets unparteiisch blieb und mitunter auch sein Mäntelchen nach dem Wind hängte, wenn die jeweilige Obrigkeit ihn befragte, für wen er sei, und die weniger schöne, aber für ihn notwendige Tatsache, dass er schon mal ein wenig im Auftrag spionierte, wobei er darauf achtete, dass er es für beide Seiten gleichmäßig tat, hatten ihn die vielen Kriegsjahre bisher schadlos – jedenfalls fast – überstehen lassen. Harmlos sah er aus und unterwürfig, aber viele Räuber und Wegelagerer hatte er schon im Wald verscharrt, die sich ihrer sicher waren, bis sie ein Schuss aus der Pistole, die immer geladen und griffbereit lag, oder ein Wurfmesser, zielsicher geschleudert und stets im weiten Ärmel des Umhanges verborgen, getroffen hatte.

„Min Jung, wo geiht dat hier int Dörpen!“, sagte er, nachdem sich Pedder wieder aus seinem Arm befreit hatte. Klemenz beherrschte alle Dialekte, die in seinem Reisegebiet gesprochen wurden und das waren einige. „Gut!“, sagte Pedder und schielte auf die große aufgenähte Tasche an Klemenz’ Mantel, die, wie jedes Kind im Reich wusste, immer einen Vorrat Zuckerwerk enthielt. Lachend zog Klemenz, der ja seine Pappenheimer kannte, eine braune klebrige Zuckerstange hervor, die er erst von einigen anderen Süßigkeiten lösen musste, und gab sie Pedder, der sie andächtig betrachtete und sich artig bedankte. „Nächste Woche ist Hochzeit bei uns …“, stieß Pedder mit vollem Mund hervor. Klemenz klatschte vergnügt in die Hände. „Das ist ja mal eine gute Nachricht in diesen Zeiten“, rief er. Das würde ein gutes Geschäft werden und er hatte genau die Ware auf seinem Wagen, die so ein Fest brauchte. Drei große Ballen bunten Tuches, für die er schon lange Abnehmer suchte, und auch ein bisschen Schmuck aus Silber und Glas. Nebenbei freute er sich aber auch ehrlich über alles, was den Krieg vergessen ließ und nach ein bisschen Normalität und Frieden aussah. „Wird Martin also doch sesshaft“, murmelte er in seinen Bart und schüttelte den Kopf. Er hatte Martin ein Stück mitgenommen, als dieser, verletzt und völlig erschöpft nach dem Desaster von Hildesheim, nur noch heim wollte. „Tja, Jung – wir sehen uns später“, verabschiedete sich Klemenz und griff dem großen Braunen ins Halfter, um den Rest des Weges zu Fuß zu gehen. Pedder sah ihm nach und freute sich schon auf den Abend.

Der Carstens-Hof war wie alle Gehöfte in diesen Zeiten mit einer großen Mauer aus Feldsteinen umgeben. Mit einem breiten Tor und einem Türmchen, auf dem Knechte mit Musketen versuchen würden, Angreifer zu verscheuchen. Jetzt stand das Tor weit offen und schon von weitem konnte Klemenz das geschäftige Treiben auf dem Hof beobachten, denn der Zuweg führte schnurgrade vom Waldrand auf den Hof zu. Vom Waldrand, von einem gut getarnten Hochsitz her, hatte Moritz, einer der älteren Söhne des Bauern, schon die Ankunft des harmlosen Händlers signalisiert. So etwas war einfach lebenswichtig und die jeweiligen Posten konnten keine Nachsicht erwarten, sollten sie nicht rechtzeitig melden, wer sich da näherte. Da noch nicht Mittag war, waren fast alle Männer, der Bauer, zwei seiner älteren Söhne und die vier Knechte auf den Feldern, aber die Frau, die fünf Töchter und die drei Mägde standen erwartungsvoll am Brunnen. Es erschien ihnen als gutes Zeichen, dass jetzt, so kurz vor der Hochzeit, der Händler erschien, der doch sonst nur alle drei Monate auf den Hof kam. Alle genossen schon die Vorfreude, in den Waren zu wühlen und langersehnte Träume erfüllt zu bekommen. Kaum dass der Wagen zum Stehen kam, rannten die Frauen schon herbei und bestürmten Klemenz mit ihren Fragen und Wünschen. Er kannte das und freute sich auf gute Geschäfte. Aber zunächst geziemte es sich nach altem Brauch, die Bäuerin, in Abwesenheit des Bauern die Herrin, um Erlaubnis für den Handel zu bitten; eine Formalität, denn Bauer und Bäuerin sehnten die Ankunft des Händlers ebenfalls herbei, aber eben gute Sitte. Klemenz verbeugte sich also vor Gesine Carstens, der ihre zwölf Schwangerschaften und das harte Leben der Heidebauern anzusehen war, zog seinen Hut, was bei den Jüngeren leise Entsetzensschreie auslöste, und fragte: „Erlaubt, hohe Herrin dieses schönen Hofes, meine Waren Euch und dem Gesinde feilbieten zu dürfen.“ Gesine musste lachen bei der altehrwürdigen Floskel, machte aber dann eine ernste Miene und sagte: „Er mag uns bieten, was er hat und wenn’s kein Schund ist, ist er uns willkommen.“ Dann lachte sie wieder und reichte Klemenz die Hand. „Schön, dass Ihr da seid, wo doch Marie in den Stand der Ehe tritt und es Bedarf an allem gibt, aber habt Ihr Hunger, Durst?“ „Oh danke!“, entgegnete der Händler. „Der Weg war lang und wenn Ihr habt … gern nehme ich eine Brotzeit.“ Gesine schickte eine Magd und schon nach kurzer Zeit standen ein Teller mit Wurst und Käse sowie ein Humpen mit schäumendem Bier auf dem großen Holztisch vor dem Haus. Es war nun fast Mittag und die Sonne schien, trotzdem es erst April war, warm. Zwei der Mägde mussten nun den Männern Essen auf das Feld bringen und murrten, weil sie fürchteten, der Handel würde ohne sie beginnen. Aber Klemenz ließ sich Zeit und alle, die nichts zu tun hatten, standen um ihn herum und hörten ihm zu, was er aus der Welt zu berichten hatte. Die Länder ringsum waren allesamt mit dem mittlerweile 26 Jahre dauernden Krieg in Berührung gekommen und noch immer war kein Ende absehbar. Aber so genau wollten es die Frauen gar nicht wissen. Ihnen reichte, was es Neues in den Städten in der Umgebung gab, denn in Celle und Lüneburg, bestenfalls noch Hannover, endete ihre Welt. So berichtete Klemenz von der Belagerung Burgdorfs, der Plünderung und Abschlachtung der Männer und der Schändung der Frauen, was bei den Mägden ein unruhiges Raunen hervorrief. Sie alle hatten schon oft solche Schilderungen gehört, aber hier in den Wäldern fühlten sie sich sicher und ihnen würde schon nichts geschehen. Dass Burgdorf nur 60 Kilometer entfernt lag, entging ihnen vollkommen und so verging die Zeit. Gesine wurde schon leicht unruhig, denn vernünftige Arbeit war, solange der Händler da war, von den Mägden nicht zu erwarten. So drängte sie Klemenz, doch endlich die Plane zu öffnen und die Waren auszubreiten. „Na dann wollen wir mal!“, sagte er schließlich, nahm mit seinem Dolch eine letzte Scheibe Wurst auf und machte sich ans Ausladen seiner Schätze. „Habt ihr auch alle eure Geldkatze parat?“, fragte er und die Frauen nickten eifrig.

Es wurde ein lustiger Nachmittag auf dem Carstens-Hof. Die Leute vom Meier-Hof waren fast vollzählig herübergekommen und auch die Frau des Schmiedes Lütjens und der Maurer Holtermann mit seiner großen Familie waren da. Klemenz staunte, was er diesmal alles loswurde. Sogar die alte Armbrust, die er schon im zweiten Jahr herumfuhr, und ein paar alte, ziemlich ausgetretene Lederstiefel, die er einem Wegelagerer abgenommen hatte und die dieser garantiert nicht mehr brauchte, brachte er an den Mann. Irgendwann im Laufe des Nachmittags waren auch die Männer heimgekommen und auch sie kauften, bis ihr Geld zu Ende war. Einer der Knechte hielt immer wieder einen prachtvollen Dolch in einer schwarzen Lederscheide in der Hand und fragte Klemenz schließlich, ob er ihm wohl Kredit gäbe, aber das machte der Händler nicht, auch wenn ihm der Bursche leidtat. Dann erlahmte das Geschäft und die Leute verzogen sich mit ihren Schätzen. Klemenz machte sich daran, die restliche Ware aufzuladen und freute sich schon auf die Stunde, in der er in Ruhe sein Geld zählen würde. Niemand ahnte, wie gut trotz der harten Zeiten sein Geschäft lief. Niemand wusste, dass ihm in Stade ein Gasthaus mit Badehaus und ein paar verschwiegenen Zimmern darüber gehörte und Anteile an zwei großen Handelsschiffen. Er lächelte still vor sich hin. Diese Reise noch, dann such ich mir eine Frau und setz mich zur Ruhe, sagte er sich, aber das tat er schon seit einigen Jahren und dann gab es doch noch eine Reise. Die Wahrheit war, dass er es nirgends lange aushielt und so fuhr er eben Jahr für Jahr durchs Land und wunderte sich selbst, dass er noch lebte.

Der Bauer Jens Carstens kam aus dem Haus auf ihn zu und blieb eine Weile stumm neben dem geschäftig arbeitenden Händler stehen. Klemenz kannte das schon. Diese Bauern waren alle schweigsam und fast ein bisschen schüchtern, weil sie so gut wie keinen Umgang mit Leuten außerhalb ihres Dorfes hatten. Endlich räusperte sich der große vierschrötige Mann: „Na, Klemenz, erzähl mal, was in der Welt vorgeht.“ Der Händler wusste, dass die Welt dem Bauern egal war und so kam er gleich auf die Ereignisse in Burgdorf und die Lage in den anderen Dörfern und Städten in der Gegend zu sprechen. „Tja Jens, es ist hier nicht mehr sicher. Weiter unten im Cellischen haben die Bauern guten Erfolg mit ihrer Bürgerwehr und so mancher Söldner liegt schon unter der Heide, aber es kommen immer mehr versprengte Heerhaufen durch, die schon lange keinen Sold mehr gesehen haben und das ist gefährlich. Mit ein paar Mistforken könnt ihr da nicht gegen an.“ Jens Carstens nickte bedächtig. „Ich bau auf mein Glück“, sagte er dann. „Irgendwann ist ja wohl Schluss mit dem Krieg und so Gott will, bleiben wir unbehelligt, wenn nicht … ich hab ein paar Musketen da oben.“ Er nickte in Richtung des Türmchens neben dem Tor, auf dem jetzt Adolf, der Großknecht, Wache hielt. Moritz hatte seinen Hochsitz verlassen, als die Männer und Pedder mit den Ziegen nach Haus gekommen waren. Klemenz wollte den Mann nicht beunruhigen, aber gegen einen erfahrenen Soldatentrupp würde diese hölzerne Befestigung nicht lange halten. „Komm rein und iss mit uns“, lud ihn der Bauer ein und Klemenz nahm gern an. Er wollte an diesem Abend nur noch die paar Kilometer bis nach Munster und das Essen war für die fahrenden Händler sozusagen Teil ihres Einkommens, das sie mit Erzählungen und Geschichten aus aller Welt beglichen. An der langen Tafel in der Döns, der großen Stube gleich hinter der Eingangstür, saßen schon fast alle Familienangehörigen und Leute, die auf den Hof gehörten. Pedder saß dicht neben seinem Lieblingsbruder Moritz, der wie eine größere Ausgabe seines kleinen Bruders aussah. Dunkle, struppige Haare, braune Augen, gesunde Gesichtsfarbe und eine scharfgeschnittene Nase. Pedder winkte aufgeregt, als der Händler eintrat. Er hatte zwischen sich und Marie einen Platz freigehalten, um in der Nähe des Händlers zu sein und ja nichts zu versäumen. Klemenz setzte sich lächelnd auf die Bank neben den Jungen und verbeugte sich galant vor Marie, die mit einer Handbewegung ihren bauschigen Rock an sich zog, um Platz zu schaffen. Klemenz konnte nicht umhin einen tiefen Einblick in ihren Ausschnitt zu tun und der Anblick der großen runden Brüste mit dem tiefen Tal dazwischen ließ ihn ein bisschen schwindelig werden und er merkte, dass er erregt wurde. „Wenn dieser Martin nicht wäre …“, dachte er, wandte sich schnell ab und ließ sich von Pedder Wasser in seinen Becher aus gebranntem Ton füllen. Wein oder Bier gab’s leider auf diesen Bauernhöfen selten, bedauerte Klemenz. Das Essen zog sich hin. Es gab Gerstengrütze, Salat und für die Familie und den Gastgebratenes Huhn, bei dem die Mägde und Knechte nur zusehen konnten, aber das waren sie gewohnt und verhungert war hier auf dem Carstens-Hof auch noch niemand. Das Gespräch bestritten fast ausschließlich der Händler, der Bauer und Gesine. Hin und wieder wagte auch Marie eine Frage. Alle anderen lauschten stumm dem Gespräch. Der Bauer beendete das Mahl abrupt, indem er aufstand und so zu verstehen gab, dass noch Arbeit auf dem Hof wartete. Auch Klemenz stand auf. Er nahm Maries Hand, hielt sie länger als nötig und sagte: „Viel Glück für dich und Martin. Er ist ein guter Mann und ich glaube, ihr passt gut zueinander.“ Er griff in die Tasche und überreichte Marie ein kleines silbernes Kreuz an einem Lederband, das sie errötend annahm. Sie zog sich das Band über den Kopf und verwirrt sah Klemenz, dass das Kreuz genau zwischen den Brüsten zu liegen kam. Sie bedankte sich und lief davon. Klemenz verabschiedete sich von den anderen und Pedder begleitete ihn zu seinem Wagen. „Wenn ich groß bin, will ich auch Händler sein“, verkündete der Junge. „Na dann hab ich ja bald einen Lehrjungen“, antwortete Klemenz lächelnd. „Aber zehn musst du schon sein, sonst wird das nix“. „Wirklich?“, fragte der Junge mit großen Augen. Dann streckte er seine kleine Hand aus. „Abgemacht!“, sagte er ernsthaft und Klemenz musste sich bemühen, nicht zu lachen, denn ein wenig komisch wirkte der kleine Pedder schon, wie er so dastand mit seinen sechs Jahren und seine Zukunft besiegelte. „Wir sehen uns in einem halben Jahr“, versprach Klemenz und ließ seine Pferde mit einem Schnalzen wissen, dass sie anziehen sollten. Als er das Tor passierte, winkte ihm der Knecht zu und als er sich umdrehte, sah er Pedder da stehen und winken. Schon bald erreichte er Munster und wie gewöhnlich lenkte er sein Gespann auf den Lüdershof. Die Szene dort glich der in Breloh, aber Klemenz spannte nur aus und ließ sich eine Kammer zum Schlafen anweisen. Morgen würde hier der Handel beginnen.

Cordt Buck war ein vorsichtiger Mann. Er hatte nun die vierzig überschritten und mehr als die Hälfte davon hatte er im Krieg verbracht. Zuerst als junger Bursche bei der Stadtwache von Iserlohn, wo er aufgewachsen war und wo seine Familie beim Brand der Stadt nach der Eroberung durch Truppen des Herzogs von Hechingen ums Leben gekommen war. Verletzt und blutverschmiert hatten ihn die Sieger in den Ruinen liegen lassen und so hatte er seine erste Schlacht überlebt. Dann kamen Soldaten des Feldherrn Wallenstein und ihnen hatte er sich angeschlossen. Ihm war längst egal, worum es in diesem Krieg ging. Im Grunde hatte er es nie gewusst und wie ihm ging es den meisten Menschen, die nach sechsundzwanzig Jahren Krieg noch übrig waren. Man lebte, kämpfte, starb … und kein Hahn krähte danach. Cordt saß auf seinem Pferd, einem großen grauen Kriegsgaul, der unempfindlich auf Schüsse und Kampfeslärm reagierte und das war das Wichtigste. Vor sich und hinter sich am Sattel waren alle Habseligkeiten befestigt, die er besaß. Beim Plündern hatte er immer darauf geachtet, sich nicht mit schweren und großen Gegenständen abzugeben. Und wenn doch einmal ein Gemälde, ein Silberleuchter oder Ähnliches auf sein Los fiel, hatte er es schnell wieder an die Hehler verkauft. Zwei schwere Gürtel mit eingenähten Goldmünzen hatte er um den Bauch unter dem Harnisch und das Gewicht machte ihm zu schaffen, wenn er einmal laufen musste. Hinter Cordt hatte der Rest der Truppe angehalten. Vierzehn Mann waren noch übrig nach der Schlacht bei Lippe, die die verfluchten Schweden für sich entschieden hatten. Als sozusagen selbstständiger Hauptmann hatte Cordt bis vor einer Woche noch fast 200 Mann unter seinem Kommando gehabt und es war halt Pech, dass die Schweden dieses Mal so überlegen gewesen waren. Cordt sah sich um. „He Leon, komm mal.“ Der Angesprochene, ein dunkelhäutiger Mann, setzte sein Pferd in Bewegung und schloss zu Cordt auf. „Si Capitan?“, fragte er. Leon stammte aus Spanien und war nicht der einzige Ausländer in Cordts Haufen. „Sieh mal, da ist ein Dorf. Was meinst du … der Mond scheint hell genug und ich habe Hunger.“ Leon grinste breit. Er kannte seinen Hauptmann und auch er hatte keine Lust, sein Geld unnütz für Lebensmittel auszugeben. Cordt nickte und befahl den Leuten abzusitzen. Frank, ein schweigsamer Schwabe, wurde eingeteilt, die Pferde zu bewachen. „Lasst die Musketen und Pistolen hier, wir wollen keinen unnötigen Lärm machen, bis wir abhauen“, sagte Cordt und die Soldaten nahmen ihre Säbel und Beile. Leise schlichen sie in einer Reihe den im Mondlicht gut zu erkennenden Weg auf das Bauerngehöft zu. Am Waldrand hielten sie und Cordt erteilte seine Befehle.

Im Haus schlief alles. Der harte Arbeitstag und die Aufregung, die der Besuch des Händlers mit sich gebracht hatte, forderten ihren Tribut. In der Kammer hatte der Bauer nach dem Zubettgehen die Kerze ausgeblasen, sich zu seiner Frau umgedreht und ihr wortlos mit plumpen Bewegungen ihr Nachthemd hochgestreift. Dann war er, ohne sich die Mühe zu machen, sich selbst oder sie vollständig auszuziehen, in sie eingedrungen, was nicht leicht war, denn beide waren nicht schlank und Gesine hatte keine Zeit gehabt, feucht zu werden. Sie hatte ergeben die Schenkel geöffnet, wie so oft, und war froh, als der Bauer von ihr abließ, sich umdrehte und einschlief. Auch auf den Strohsäcken des Gesindes hatte es hier und da noch ein wenig Unruhe gegeben und Moritz hatte die erst fünfzehnjährige Frieda, die jüngste Stallmagd, neben sich im Bett. Sie hatten sich etwas liebevoller miteinander beschäftigt, denn beide hatten erst vor einer Woche festgestellt, was Mann und Frau so alles miteinander tun können. Auf dem Turm neben dem Tor hatte jetzt Frieder, der älteste Knecht, Wache. Es war ein harter Arbeitstag für ihn gewesen und er hatte sich bei dem Händler eine feine Flasche Branntwein gekauft. Obwohl verboten, hatte er sie mit auf seine einsame Wache genommen und sich vorgenommen, nur hin und wieder einen Schluck zu trinken, aber es waren große Schlucke und nun schnarchte Frieder auf dem Bretterboden.

Die Söldner hatten sich vorsichtig an das Tor herangeschlichen. Cordt hatte erst erwogen, seine Leute über die Mauer klettern zu lassen, aber die erwies sich als hoch und in zu gutem Zustand. Ein wenig erstaunt war er, dass sie noch nicht entdeckt worden waren, aber dann vernahmen sie die Schnarchlaute vom Wachturm. Auf ein Zeichen Cordts machten drei Mann eine Räuberleiter und Frieder starb, ohne noch einmal aufzuwachen. Jesco, der finstere Korporal aus Zwickau, wischte sein Messer an Frieders Hose ab und nahm einen tiefen Zug aus der Branntweinflasche, die so die erste Beute des Überfalls wurde. Jesko glitt leise die Stufen der Leiter hinab und öffnete den Riegel. Nun geschah alles sehr schnell. Das Tor knarrte, und die Soldaten stürmten in den Hof. Rabe und die anderen Hunde bellten wie wahnsinnig, die Leute im Haus erwachten und wurden fast sofort von den Soldaten, die die Tür aufbrachen, erschlagen oder erstochen. Das Bauernhaus hatte im Erdgeschoss nur einen großen Raum, an den sich Küche und Stall anschlossen. In Abseiten schliefen die Knechte und Mägde. Zwei der Soldaten stießen Äste, die zum Anfeuern neben dem glimmenden Herd lagen, in die Glut und beim Schein dieser Fackeln wüteten die Söldner. Während die Männer noch schlaftrunken sofort getötet wurden, trieben Leon und ein anderer die Mägde lachend in eine Ecke. Cordt und drei Soldaten rannten die Stiege nach oben und töteten nacheinander die Söhne des Bauern, ihn selbst, der um Gnade flehte, und Gesine, die mutig mit ihrem Nachttopf nach Cordt warf. Im letzten Zimmer hatte Moritz sofort erkannt, was vor sich ging, und Pedder, der hereinstürzte und laut schrie, an sich gezogen, ihm eine Ohrfeige gegeben, damit er aufhörte zu schreien, und ihn unter das Bett geschoben, wo schon Frieda nackt und zitternd lag. Dann hatte er sein Messer von der Kommode genommen und war, nackt wie er war, den Soldaten entgegengestürzt. Cordt lachte rau, als er ihn sah, und stieß ihm mit einer einzigen Bewegung seinen Säbel, an dem schon das Blut des Bauern und seiner Frau klebte, in die Brust. Moritz fiel und ein dicker Strahl Blut schoss aus der Wunde, als Cordt seinen Säbel herauszog, indem er einen Stiefel auf Moritz’ nackten Bauch stellte und die Waffe herausriss. Moritz wandte mit letzter Kraft den Kopf und sah Pedder an, der entsetzt zusehen musste, wie sein Bruder abgeschlachtet wurde. Hinter Cordt drängte Gernot, ein Hesse, mit hochrotem Gesicht in die Kammer und sah sich nach lohnender Beute um. Er wollte sich schon enttäuscht abwenden, als er unter dem Bett Friedas nackten Fuß herausragen sah. Er stieß Cordt an, der laut auflachte. Gernot packte Friedas Fuß und zog das schreiende Mädchen unter dem Bett hervor. „Wen haben wir denn hier gefangen …“, freute sich Gernot, packte die jammernde Magd, die versuchte mit den Händen ihre Blöße zu verbergen, und zerrte ihre Arme auseinander. Cordt grinste und öffnete seinen Gürtel, gab dem stöhnenden Moritz, der alles hilflos mit ansah, während er verblutete, einen Tritt, und ließ seine Hose fallen. Frieda schluchzte nur noch leise und starrte auf Cordts steifes Glied, das sich unter seinem Hemd erhob. Gernot stieß das Mädchen grob aufs Bett. „Los mach schnell, ich will auch!“, krächzte er und nestelte an seiner Hose, während Cordt Friedas Beine auseinanderschob und mit dem Finger, den er mit Spucke befeuchtet hatte, grob ihre Scheide öffnete. Dann ließ er sich auf sie fallen und Frieda schrie gellend, als er in sie eindrang. Sie versuchte sich zu wehren und Cordt versetzte ihr einen Faustschlag, der sie gnädigerweise bewusstlos werden ließ. Immer heftiger wurde sein Schnaufen, bevor er sich in sie ergoss und über ihr erschlaffte. „Los komm runter …“, drängte Gernot und nahm Cordts Platz ein. Kurz bevor es ihm kam, erwachte Frieda und sah Cordt mit irren Augen an. Er nahm seinen Säbel vom Boden auf und schnitt ihr die Kehle durch, während sein Kumpan noch auf ihr lag. Gernot zog seine Hose hoch. „Hättst ja noch ne Minute warten können“, maulte Gernot, aber Cordt versetzte ihm einen Stoß. „Lass uns abhauen, wer weiß, ob die Nachbarn nicht doch noch was merken.“ Die Männer beachteten die Leichen von Frieda und Moritz nicht weiter und wandten sich der Stiege zu.

Pedder hatte sich unter dem Bett in die Hosen gemacht und sich die Unterlippe blutig gebissen. Er hatte beinahe nicht gewagt zu atmen und als der Söldner Frieda neben ihm wegzog, hatte er gedacht, auch er würde gleich in die Kammer gezerrt werden. Grauen hatte ihn gepackt. Dicht neben ihm auf dem Boden lag Moritz, dessen Blut die Dielen rot gefärbt hatte. Seine gebrochenen Augen starrten Pedder an und er hatte Angst, seinen toten Bruder zu berühren.

Unten im Haus hatten währenddessen die anderen Söldner eine wüste Orgie der Gewalt an den anderen Mägden und den Töchtern verübt. Jede war mindestens dreimal vergewaltigt worden, bevor sie getötet wurde. Die Männer wussten, dass sie keine lebenden Zeugen zurücklassen durften, denn selbst in diesen gesetzlosen Zeiten mochte es einen Landvogt geben, der nicht ruhte, bis die Schuldigen am Galgen hingen. Wo kein Zeuge, da kein Hängen, das wussten die Leute und verfuhren danach. „Los, alles, was Wert hat und die Fressalien mitnehmen und schaut, ob Bier da ist und dann ab!“, befahl Cordt und die Soldaten, die fluchten, weil sie kein Geld finden konnten, stopften Brot und Schinken in die groben Mehlsäcke, die sie in der Scheune gefunden hatten. Sie jubelten, als einer ein Fässchen Bier entdeckte und das angebrochene in der Küche wurde schnell reihum gereicht und geleert. Nichts war zu hören und die Nacht lag pechschwarz über dem Wald. Cordt war mit Leon vor das Haus getreten und lauschte. Befriedigt wandte er sich dann an seinen Unterführer. „Stecht das Vieh ab und dann fackeln wir Scheune und Haus ab.“ Leon nickte und erteilte seinerseits Befehle an die herumrennenden Männer. Kurze Zeit später waren sie marschbereit, schwer beladen mit Säcken voller Lebensmitteln und dem Bierfass. Cordt ging noch einmal ins Haus und leuchtete mit seiner Fackel in die Ecken. Gefühllos starrte er die nackten blutbesudelten Leichen der Frauen an, die kreuz und quer auf dem Boden lagen. Dazwischen die erschlagenen Knechte und die Hunde mit aufgeschlitzten Bäuchen. So war das eben im Krieg, dachte der Hauptmann und war sicher, dass auch ihm niemand Pardon geben würde, wenn es dazu kam. Dann trat er durch die Tür und hielt die Fackel an das Strohdach, das sofort Feuer fing. Wie eine rasende Welle breitete sich die Flamme über das schräge große Dach aus und die Soldaten grölten und einige rannten mit ihren Fackeln zur Scheune, um sie ebenfalls anzuzünden wie das Backhaus und die kleinen Vorratsscheuer und den Schweinestall. Der ganze große Carstens-Hof war dem Verderben preisgegeben und niemand hätte jetzt noch das Feuer löschen können. „Los, weg hier!“, rief Cordt und die Söldner verschwanden in der Nacht.

Pedder hatte sich unter dem Bett hervorgezwängt, als aus dem Strohdach über ihm dicke Rauchschwaden in die Kammer drangen. Seine Augen tränten und er konnte sie nicht von den toten Körpern der Magd und seines Bruders wenden. Er musste husten, konnte es nicht unterdrücken und lauschte angstvoll, ob man ihn nun holen würde, aber nur das lauter werdende Knacken und Dröhnen des an Macht gewinnenden Feuers war zu hören und ihm wurde bewusst, wie heiß es wurde. Er würde verbrennen, wenn er blieb. Auch im Flur war alles schon verqualmt und er tastete sich zur Stiege. Kurz bevor er sie erreichte, stolperte er über etwas und er erkannte den leblosen Körper seiner Mutter …

Später wusste er nicht zu sagen, wie er aus dem Haus und in den Wald gekommen war. Der Feuerschein hatte die Nachbarn endlich alarmiert und als sie eintrafen, war alles zu spät und der große Hof brannte in voller Ausdehnung. Nur der Wachturm stand noch und dort fand man Frieder und wusste Bescheid. Angstvoll bewaffneten sich die Männer und noch Tage danach wagte niemand im Dorf zu schlafen und nicht mehr für lange Zeit kehrte der Frieden in das Heidedorf zurück.

Eine neue Zukunft

Klemenz Treisinger hatte fest geschlafen. Auf dem Lüdershof hatte es noch ein paar Krüge Bier gegeben und die Leute auf dem Hof freuten sich schon auf den morgigen Handel. Er erwachte vom Lärm, der sich draußen immer mehr verstärkte. Laute Rufe und viel Hin-und-Her-Gerenne. Ein wenig benommen noch vom Schlaf und vom Alkohol rieb er sich die Augen und setzte sich auf. Es war noch dunkel, aber er hatte keine Vorstellung von der Uhrzeit und so beschloss er, dass es ihn wohl nichts anginge, was sich da draußen tat, und wollte sich eben wieder hinlegen, als es heftig an der Kammertür pochte und eine Magd mit einer Kerzenlampe in der Hand die Tür aufriss. „Der Bauer meint, Sie sollten kommen, es ist etwas passiert in Breloh.“ Klemenz war aufgesprungen, als sie hereinkam und wollte noch sagen „Lass bitte die Lampe da …“, aber sie war schon wieder verschwunden und er suchte fluchend im Dunkeln seine Sachen. In der Stube um den großen Tisch, der genauso aussah wie bei Carstens und bei allen anderen Bauern des Landes, standen die Männer des Hauses, teils mit Musketen, teils mit Forken und auch Äxten bewaffnet und hörten einem Boten zu, der gerade berichtete, was ihm von den Vorgängen auf dem Carstens-Hof bekannt war. Lüders setzte Klemenz schnell ins Bild. „Carstens in Breloh ist überfallen worden“, sagte er leise. Er wies aus dem Fenster in Richtung des Dorfes, aber es war nichts zu sehen. Klemenz nickte langsam und ging zur Tür. Mehr hätte Lüders auch nicht zu sagen brauchen. Klemenz kannte den Ablauf solcher Überfälle zur Genüge, um schon jetzt ein Grauen zu spüren. Der Hof war relativ dunkel, auch wenn Knechte mit Fackeln Pferde anspannten und sattelten, denn es war selbstverständlich, zu Hilfe zu eilen. Klemenz konnte jetzt deutlich über dem drei Kilometer entfernten Breloh einen roten unheimlichen Feuerschein erkennen. Die anderen kamen aus dem Haus. „Glaubt ihr, die Kerle sind noch in der Nähe?“, fragte Lüders beklommen. Klemenz zuckte die Schultern. „Weit können sie noch nicht sein, aber ihr solltet Posten aufstellen, bis klar ist, wer und wie viele das waren“, riet er. „Kommt ihr mit uns?“, fragte Lüders und Klemenz nickte. Er ging zu seinem Wagen und nahm seine Steinschlosspistole und Munition, holte einen seiner Gäule von der Koppel und schwang sich behände auf den nackten Rücken des Pferdes. Er gab ihm die Sporen und folgte dem kleinen Trupp, bestehend aus Bauer Lüders, zweien seiner Söhne sowie einigen Knechten. Der Weg war nun, als sie sich an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, gut zu erkennen. Die Lüdersleute ritten schnell, denn sie kannten den Weg und Klemenz hatte Mühe zu folgen. So langsam graute der Morgen und schon bald gesellten sich immer mehr Leute zu ihnen und als sie den immer noch brennenden Carstens-Hof erreichten, waren es wohl an die hundert Männer, alle bewaffnet und wütend. Sie saßen vor dem Tor ab und ließen die Pferde in Obhut einiger Knechte. Die Leute aus Breloh waren schon vor ihnen da gewesen und standen untätig herum. Es gab nichts mehr zu tun oder zu retten. Die Zerstörung war vollständig und es machte die Bauern wütend, dass selbst die Schweine und Ziegen abgeschlachtet worden waren Niemand rechnete mit Überlebenden und sie zuckten zurück, als die ausgeglühten Mauern des Hauses in sich zusammenbrachen und noch einmal eine riesige Funkengarbe als letztes Fanal in den Himmel schickten. Der Schmied Lütjens, der einst Unteroffizier in einer Kompanie des Welfenherzogs gewesen war, hatte das Kommando übernommen und die Bauern, die gewöhnlich einen großen Standesdünkel gegen die Handwerker entwickelten, erkannten für diesmal seinen Sachverstand an und befolgten seine Anweisungen. Lütjens stellte aus den jüngeren Leuten und Knechten eine Truppe zusammen und brach mit ihnen auf, um die Verfolgung der Täter aufzunehmen, beziehungsweise sicherzustellen, dass sie weg waren. Lütjens war sich bewusst, dass seine Leute keine Gegner für eine entschlossene Soldatenbande waren, aber die jungen Kerle waren wütend und rachsüchtig. Man würde sehen …

Die aufgehende Sonne zeigte ein trauriges Bild. Der einst stolze Hof war vollständig verschwunden. Geschwärzte Balken und Mauerreste überall … Tierkadaver, auf denen sich bereits Fliegen sammelten … Es stank nach Qualm und Rauch und Tod. Frieder war der einzige Tote, der außerhalb des Hauses und somit intakt geblieben war.

Wer genau ihn fand, konnte später nicht mehr gesagt werden, aber Pedder lebte und darüber freuten sich alle. Nackt hatte er im Wald gesessen und die Arme um den Kopf gelegt und es war nicht leicht gewesen, ihn davon zu überzeugen, dass es nicht die Söldner waren, die ihn holen wollten. Holtermann hatte ihm vorerst seine viel zu weite Jacke umgelegt und zu sich nach Haus mitgenommen, wo seine Frau ihm nahrhafte Getreidegrütze und Bier hinstellte. Bier trinken war Pedder gewohnt, denn das bekamen die Kinder auf dem Land schon früh. Es handelte sich um leichtgebrautes Landbier, das jeder Hof für den Eigengebrauch braute. Auf dem Hof hatten, sobald die Trümmer etwas abgekühlt waren, die Aufräumungsarbeiten begonnen. Lütjens Leute waren auch zurück. Sie hatten die Spuren der Truppe schnell gefunden und sie in schnellem Trab, manchmal auch im Galopp, eine Zeitlang in Richtung Uelzen verfolgt, aber dann, als die Aussichtslosigkeit, die Soldaten noch einzuholen, offenkundig wurde, hatten die Knechte, von denen manch einer ganz froh war, einer Auseinandersetzung aus dem Wege zu gehen, erleichtert Lütjens Befehl zur Umkehr befolgt.

Mit langen Stangen zogen die Leute die Reste des Strohdachs und des Fachwerks weg und bald wurden die ersten Leichen, stark verbrannt und unkenntlich, geborgen. Man legte sie in einer Reihe auf den Hof und viele der Landleute hatten Tränen auf dem Gesicht. „Was wird jetzt aus dem Jungen?“, fragte Klemenz Treisinger, der überall, wo Hilfe nötig war, angepackt hatte. Lüders zuckte die Schultern. „Wir werden beraten und jemand wird ihn aufnehmen … Der Dorfrat entscheidet.“ „Und der Hof?“, fragte Klemenz. „Tja, Pedder ist ja wohl der Einzige aus der Familie, der lebt, aber er kann die Steuern ja nicht zahlen und den Hof aufbauen. Der Landvogt wird sich wohl alles für den Herzog von Braunschweig unter den Nagel reißen und wie ich den kenne, hätte er wohl Lust, den lästigen Pedder verschwinden zu lassen. Besser, wir sagen ihm nicht, dass der Junge überlebt hat. In diesen Zeiten … ihr wisst ja.“ Klemenz schwieg eine Weile. „Ich mag den Jungen und wenn euer Dorfrat ihn mir anvertrauen mag … Ich nehm ihn zu mir und geb ihm ein Heim, auch wenn es bloß ein Trödlerwagen ist.“ Lüders sah den Händler überrascht an und versuchte, seine Erleichterung nicht zu deutlich zu zeigen. Insgeheim überlegte er schon, ob er dem Landvogt nicht die schöne Wiese an der Öertze, die durch den Ort floss, abschwatzen konnte. Er verzog keine Miene, nickte langsam und sagte: „Ich rede nachher mit den anderen Bauern und ich denke, das wird für alle das Beste sein.“ Klemenz sah etwas glitzern, als ein Sonnenstrahl eine der verkrümmten Gestalten traf. Vorsichtig zerschnitt er den Ledergurt, der sich in die Haut der toten Marie eingebrannt hatte, und hielt das silberne Kreuz, das er ihr gestern geschenkt hatte, in der Hand. „Marie …“, sagte er zu den schweigenden Leuten und jemand rückte die Leiche, die einzige, die identifiziert werden würde, etwas zur Seite. Klemenz verabschiedete sich und ging zur Kate des Maurers Holtermann, wo Pedder sich mittlerweile etwas erholt hatte. Klemenz nickte der Frau zu, die ihm geöffnet hatte, und setzte sich zu dem Jungen an den Tisch. Der Junge saß stumm da und seine verschmierten Wangen wurden immer wieder von rollenden Tränen überlaufen. „Tut mir so leid, Pedder, so was passiert heutzutage leider.“ Klemenz wusste nicht recht, was er dem Jungen sagen sollte. Er kannte sich mit Kindern nicht aus und so beschloss er, den Jungen wie einen Erwachsenen anzusprechen. „Deine Leute sind alle tot und der Hof zerstört und wenn du willst … Du kannst mit mir kommen und mein Lehrling sein, auch wenn du erst sechs bist. Topp, die Hand drauf.“ Er streckte dem Jungen, der bei seinen Worten den Kopf gehoben und ihn mit offenem Mund angesehen hatte, die Hand hin. „Ich darf mit?“, rief Pedder dann. Die Aussicht, auf Reisen zu gehen mit seinem großen Vorbild Klemenz, hatte ihn für den Moment alles vergessen lassen, was passiert war. Eben noch voller Grauen und verzweifelt, bot sich jetzt eine Zukunft für ihn. „Ich will mit und werde alles lernen, damit ich ein Händler werde wie du“, sagte er feierlich und schlang plötzlich seine Arme um den Hals des überraschten Händlers, dass dem die Luft wegblieb. Dann weinte er wieder und Klemenz ließ es geschehen, dass die salzigen Tränen des Jungen seinen Hals benetzten.

Später gingen sie zum Carstens-Hof, aber je näher sie kamen, desto mehr verkrampfte sich die Hand des Jungen in Klemenz’ Hand und er sah ein, dass das nun zu viel wurde für Pedder. „Du willst da nicht mehr hin, nicht wahr?“, fragte er leise und Pedder nickte nur und wandte das Gesicht ab, damit Klemenz nicht sah, dass er heulte. Klemenz drückte die kleine Hand fest. „Brauchst dich deiner Tränen nicht zu schämen. Waren gute Leute, deine Familie, und man muss trauern, um wieder leben zu können. Komm ich bring dich zurück zu Holtermann und hol dich nachher mit dem Wagen da ab.“ Lüders stand noch mit einigen Leuten an der Brandstelle. Die Leichen waren weggebracht worden und würden später auf dem Kirchhof in Munster beigesetzt werden. Klemenz schlenderte direkt zu der Stelle, wo die Pferde grasten, und holte seinen Schecken, dann ging er zu Lüders. „Habt ihr schon wegen des Jungen beraten? Ich hab mit ihm gesprochen er will mit mir gehen …“ Lüders nahm seine Pfeife aus dem Mund, blickte nachdenklich die Trümmer an und nickte dann. „Es ist das Beste. Nehmt ihn mit. Ach, meine Leute und die anderen von Munster … ist zwar schon spät, aber … Wir brauchen noch dies und das und so bald kommt ihr ja nicht wieder.“ Klemenz musste unwillkürlich lachen. Er selbst hatte beinahe ganz vergessen, warum er überhaupt da war. „Ja natürlich!“, rief er aus. „Ich reite los und bring meine Ware auf den Marktplatz. In einer Stunde eröffne ich meinen Stand.“ Lüders nickte und Klemenz schwang sich in den Sattel. „Ach Lüders“, sagte er dann. Ich lass den Jungen bei Holtermanns Frau, bis ich abfahre, und hol ihn dann. Ich glaube nicht, dass er die Beerdigung durchsteht …“ „Ist schon recht so, das Dorf regelt alles“, murmelte der Bauer und Klemenz tippte an seine Hutkrempe und trabte an.

Keine zwei Stunden später hätte man meinen können, dass nichts geschehen wäre. Die Sonne brannte, der kleine Marktplatz schien vor Kauflustigen zu bersten und um die Gelegenheit zu nutzen, hatten sich einige andere Stände neben Klemenz’ Wagen etabliert, allerdings fast ausschließlich Landleute und Handwerker aus dem Ort und im Handumdrehen war ein richtiger kleiner Markt im Gange. Sogar zwei fahrende Musikanten, der eine mit einer Fiedel, der andere abwechselnd mit einer Trommel oder einer Flöte, hatten sich eingefunden. Klemenz sah mit Wohlwollen, wie seine Bestände sich verringerten. Sein nächstes Ziel war Soltau, wo es am Freitag einen richtigen Markttag gab und wo er Marktrecht hatte. Dort hoffte er, seinen Wagen so weit zu leeren, dass er nach Hause, so nannte er seine Kammer hinter dem Lagerhaus in Stade, fahren konnte, um neue Ware zu laden und die nächste Reise beginnen zu können. Gegen vier Uhr Nachmittags verlief sich das Volk, die Musikanten verschwanden und bald war Klemenz allein auf dem Platz. Von dem Turm der kleinen Kirche aus Feldsteinen fing die Glocke an zu läuten und Klemenz schlug ein Kreuz. Er war nicht besonders gläubig, zeigte so aber seinen Respekt vor den Toten und murmelte eine Art Gebet vor sich hin. Dann machte er zu, dass er seine restlichen Sachen auflud und spannte die Pferde an, die sich auf einer nahen Wiese ausgeruht hatten. Wenn die Geschehnisse auf dem Carstens-Hof, die ihm nun einen Lehrjungen eingetragen hatten, nicht passiert wären, er wäre hochzufrieden mit diesem Tag gewesen.