Einleitung

Mein Leben hatte ich der Biologie, genauer gesagt, der Arachnologie (Spinnenkunde) gewidmet. Es war ein gerader Weg. Mit zehn Jahren bin ich in den Naturschutz eingetreten, haben mein Abitur gemacht, um anschließend studieren zu können. Zu meinem 30ten Geburtstag hatte ich dann meinen Doktortitel in der Tasche und war ausgebildeter Biologe und Landschaftsökologe. Einen anderen Job als die Biologie kam nicht in Frage, also gründete ich, weil eine Anstellung nicht in Frage kam, erstens gab es keine arachnologischen Stellen und zweitens war mein Freiheitsdrang zu groß, einen kleinen Laden der Dienste zu diesem Thema anbot. Daneben traf ich meine Frau im Naturkundemuseum in Münster, gründete eine Familie, zeugte mit ihr vier gesunde Kinder und ließ mich nieder. Alles ganz gerade, keine größeren Kurven und Sackgassen. Ich hatte mich eingerichtet und war der Meinung, dass dieses Leben für mich so bestimmt war und das es dies bis zum Ende meiner Tage auch so bleiben würde.

Nach dem vierten Kind kam dann aber alles anders. Meine Frau erkrankte an Krebs. Ich kümmerte mich in den folgenden zweieinhalb Jahren um sie, managte ihre Krankheit und übernahm alle diesbezüglichen Entscheidungen, erzog nebenbei die Kinder, führte den Haushalt und, ach ja, führte meinen Laden weiter. 2009 brach dann alles endgültig zusammen, meine Frau hatte es nicht geschafft und starb.

In dieser Zeit hatte ich schmerzlich Eines erkennen müssen und tat dies auch in den Monaten nach ihrem Tod: ich habe Gefühle! Eine Seite, die ich bisher nahezu vollständig ausgeblendet hatte. Die Wissenschaft, auch die Medizinische in der Krebszeit, waren ausgelegt auf Daten und Fakten. Das ist einfach, weil ich mich an Zahlen, Publikationen und Methoden entlang hangeln konnte. Sie sind kalt und gehen niemals bis an den Kern. Sie stehen auf Papier, in Büchern, Fachpublikationen und im Rechner. Sie stehen niemals in mir als Mensch. Sie sind klar und geben scheinbar halt, weil sie doch so eindeutig sind. Diese verloren mit dem Tod meiner Frau dann aber schlagartig und vollständig an Bedeutung für mich, denn auch sie (die Daten), die mich durchs Leben getragen hatten, taugten nicht, um ihren Tod zu verhindern und mir zu helfen mit mir und meinen Gefühlen klar zu kommen. Ich fiel, weil die Zahlen mir keinen Halt geben konnten, in ein tiefes schwarzes Loch meiner Gefühle. Monate später krabbelte ich mühsam und völlig ausgeblichen wieder aus diesem Loch heraus und musste feststellen, dass ich mir das bisherige Leben zu einfach gemacht hatte. Ich hatte nur die Wissenschaft im Kopf, aber das Leben bestand nicht nur daraus, sondern aus einer Kombination aus Geist und Bauch. Die Wissenschaft ist nur eine Methode irgendetwas zu beschreiben oder zu erklären. Eine Methode von unzählig Vielen. Da die Wissenschaft in meinen Augen nicht taugte, wollte ich in der zweiten Hälfte meines Lebens, die Dinge anders angehen und dem Gefühl mehr Raum anbieten. Ich gab die Biologie, mein bisheriges inneres Zentrum, auf und wurde Fotograf und Autor. In den folgenden Monaten führte ich viele Gespräche (Trauergruppen, Trauercafé, Ausbildung zum Sterbebegleiter, Internetforen, Lesungen) mit unterschiedlichen Menschen im ganzen Bundesgebiet und dabei fiel mir zunehmend auf, dass Männer und Frauen ganz unterschiedlich mit Trauer umgehen. Männer hatten dabei offensichtlich mehr Hemmungen, als Frauen. Also stellte ich einen Satz in den Raum: Männer trauern anders!

Ich erntete Zustimmung, Kopfschütteln und Rückmeldung, wie:

„Was soll das denn?“

„Wir Männer sind doch keine kleinen Mädchen. Die sollen mal nicht so weinerlich tun, sondern mal was schaffen. Ärmel aufkrempeln und ran klotzen!“

„So ein Quatsch, Männer und Frauen trauern gleich.“

Richtig dachte ich, eine typische Männersicht. Wir schaffen etwas, kontrollieren, arbeiten wie Pferde auf dem Feld, bis wir abends todmüde in die Betten fallen, nur um am nächsten Morgen das Gleiche zu tun.

- Ich persönliche habe tatsächlich eine Zeit lang jeden Abend so lange gearbeitet, bis mir die Augen zufielen, damit ich im Bett nicht nachdenken musste. Und natürlich in der Krankheitszeit habe ich gearbeitet wie ein Tier. Je mehr Arbeit umso besser, weil dann kein Raum war nachzudenken. -

Aber müssen wir Männer tatsächlich mal abschalten, trinken wir uns ein Bierchen, oder zwei oder drei oder gehen ins Fitnessstudio und stemmen fünf Tonnen Gewichte, rennen uns die Seele aus dem Leib oder meinen Abends zum Workout mit dem Rennrad noch kurz eine 80km Runde zu drehen. Wir können aber auch anders und suchen uns eine Geliebte und toben uns sexuell aus. Wir haben die Wahl. Das alles machen wir dann solange, bis unser Körper ein NEIN brüllt und wir uns in Depressionen und andere Krankheiten stürzen. Ja, wir können was schaffen, gestalten, dafür haben wir aber auch einen Preis zu zahlen, nämlich den, dass wir eher von der irdischen Bühne abtreten, als die Frauen. Aber warum machen wir das? Ticken wir noch ganz sauber oder hat dieses Verhalten vielleicht einen Grund, eine Ursache?

Dieser möglichen Ursache möchte ich nachspüren.

Nachfolgend werden Sie zwei Dinge in diesem Buch finden: