Paul Verlaine: Gedichte

 

 

Paul Verlaine

Gedichte

 

 

 

Paul Verlaine: Gedichte

 

Übersetzt von Wolf von Kalckreuth

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Gustave Courbet, Paul Verlaine, um 1870

 

ISBN 978-3-8619-9527-2

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-4674-9 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-4677-0 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck der Sammlung: Paris (A. Lemerre) 1866. Hier in der Übersetzung von Wolf von Kalckreuth.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Verlaine, Paul: Ausgewählte Gedichte. Übers. v. Graf Wolf v. Kalckreuth, Leipzig: Insel-Verlag, 1983

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Traurige Landschaften

Wundersame Dämmerung

Erinnerung in Dämmerlicht verglühend

Zittert und loht am fernen Himmelsrand

Der Hoffnung, die geheimnisvoll bald fliehend

Bald wachsend flammt, wie eine Scheidewand.

Wie mancher Blume farbenbunt Gewand,

Wie Dalie, Tulpe, Lilie erblühend,

Ein Gitter rings umrankend und umziehend

Mit gift'gem Hauch, der all mein Wesen bannt;

Voll schweren Wohlgeruchs, der zu mir fand,

Aus Dalie, Tulpe, Lilie erblühend,

Ertränkend Seele, Sinne und Verstand,

Bis mich mit schwerer Ohnmacht übermannt

Erinnerung in Dämmerlicht verglühend.

 

Abendsonnen

Blass giesst im Verrinnen

Auf Felder und Rain

Schwermütiges Sinnen

Der scheidende Schein.

Schwermütiges Sinnen

Wiegt flüsternd mich ein,

Mein Herz zu umspinnen

Im scheidenden Schein.

 

Und fremde Träume

Ziehn sonnengleich

Über Heiden und Bäume,

Rotflimmernd und weich,

Endlos durch die Räume

Ziehn sonnengleich

Sie über das Reich

Der Heiden und Bäume.

 

Herbstlied

Den Herbst durchzieht

Das Sehnsuchtslied

Der Geigen

Und zwingt mein Herz

In bangem Schmerz

Zu schweigen.

 

Bleich und voll Leid,

Dass die letzte Zeit

Erscheine,

Gedenk' ich zurück

An fernes Glück,

Und ich weine.

 

Und so muss ich gehn

Im Herbsteswehn

Und Wetter,

Bald hier, bald dort,

Verweht und verdorrt

Wie die Blätter.

 

[Am graubedeckten Horizont erhebt]

Am graubedeckten Horizont erhebt

Sich rot der Mond, vom Nebeltanz getragen.

Das Feld schläft dampfend ein, die Frösche klagen

Im grünen Schilf, durch das ein Frösteln bebt.

 

Den Kelch verschliesst die Wasserblume wieder,

Starr und gedrängt in weiter Ferne reihn

Sich Pappeln auf in ungewissem Schein,

Leuchtkäfer irren zu den Büschen nieder.

 

Der Eulen lautlos finstre Schar erwacht,

Die Luft mit schwerem Fluge zu durchsteuern,

Der Äther füllt sich mit gedämpften Feuern,

Venus taucht bleich hervor: das ist die Nacht.

 

Die Nachtigall

Es senkt wie ein Schwarm von Vögeln sich

All mein Erinnern hernieder auf mich,

Hernieder durchs gelbe Laub von den Zweigen,

Und gebeugt ist mein Herz, wie Erlen sich neigen,

Die sich spiegeln, wo das Wasser der Reue

Schwermütig gleitet in tiefer Bläue.

Sie senken sich, bis im wachsenden Wehen

Des Winds ihre bösen Stimmen vergehen,

Im Baume verklingen mit sterbendem Laut,

Dass Stille rings von den Zweigen taut.

Nur die Stimme, die sie, die fern ist, in Tränen

Verherrlicht, tönt, nur die Stimme voll Sehnen

Des Vögleins, das erste Liebe mir war,

Das heute noch singt, wie vor manchem Jahr.

Und in dem trauernden Mondenscheine,

Der bleich und feierlich strahlt, wiegt eine

Schwermütige Nacht der Sommerszeit

Voll tiefer Sehnsucht und Dunkelheit

Im Himmel in flüsternden Windesschauern

Das Zittern des Baums und des Vogels Trauern.

 

Capriccios

Frau und Katze

Sie spielte mit ihrem Kätzchen

Und reizend waren zu schau'n

Die weissen Hände und Tätzchen

Beim Tändeln im Abendgrau'n.

 

Versteckt hielt voll lustiger Mätzchen

Im Handschuh, o Tücke der Frau'n,

Die spitzigen Nägel mein Schätzchen,

Die scharf wie Messer, traun.

 

Auch die andere wollte gefallen

Und versteckt ihre grausamen Krallen,

Doch währt ihre Sanftmut nicht lang ...

 

Und im Zimmer, in Dämm'rung versunken,

Wo ihr silbernes Lachen erklang,

Erglänzten vier Phosphorfunken.

 

Herr Prudhomme

Haupt der Familie und ein würd'ger Bürgermeister.

Der hohe Kragen schluckt sein Ohr, man sieht es kaum,

Die Äuglein schwimmen sorglos wie in sel'gem Traum,

Sein buntgestickter Schuh, wie farbenfreudig gleisst er.

 

Nicht der Gestirne Gold und nicht die Lauben preist er,

Wo süss der Vogel singt, und nicht den Himmelsraum.

Was kümmert ihn die Flur, der Wiesen grüner Saum?

Auf seiner Tochter Heirat richtet seinen Geist er.

 

Herr Dingsda ist's, der ihm als Schwiegersohn gefällt.

Er ist Botaniker, ist dick, hat ziemlich Geld –

Mög' ihn der Himmel vor dem Dichterpack behüten!

 

So schlecht gekämmtes Volk hat ihm noch nie gepasst.

Mehr als sein ew'ger Schnupfen ist es ihm verhasst.

Auf seinen Morgenschuh'n, da prangt der Lenz in Blüten.

 

Verschiedenes

Initium

Ich sah sie auf dem Ball im Wirbeltanz der Paare,

Der Geigen Lachen einte sich dem Flötenklang,

Hold spielten um ihr Ohr die feinen, blonden Haare,

Ihr Ohr, zu dem mein Wunsch gleich einem Kuss sich schwang,

Als spräch' er gern und wäre doch zu reden bang.

 

Und die Mazurka trug in schwebend-stillem Tanze

Mild tönend wie ein Lied sie weiter durch die Reih'n,

Ein Reim von süssem Klang, ein Bild von lichtem Glanze,

Und ihre Kinderseele strahlte hell und rein

Durch ihrer grauen Augen sinnlich weichen Schein.

 

Und unbewegt seit diesem Augenblicke bete

Ich ihre Schönheit an, der sich mein Herz geweiht,

So schreitet bang, als ob in Tempels Nacht sie träte,

In die Erinnerung der Liebe Herrlichkeit.

 

Und hier, ich fühl' es wohl, ach hier beginnt mein Leid.

 

Serenade

Wie ein Toter, der längst vom Leben schied,

Aus dem Grabe sänge,

Trägt Herrin zu dir mein klagendes Lied

Seine zitternden Klänge.

 

O öffne Seele und Ohr, den Klang

Meiner Laute hörend.

Für dich ertönt, für dich mein Gesang,

So hold, so zerstörend.

 

Ich singe dein Auge voll goldenen Glücks,

Das schattenlos klare,

Dann den Lethe deiner Brust, dann den Styx

Deiner dunklen Haare.

 

Wie ein Toter, der längst vom Leben schied,

Aus dem Grabe sänge,

Trägt Herrin zu dir mein klagendes Lied

Seine zitternden Klänge.

 

Und das Lob meines Sanges preist und erhebt

Den Leib, den geweihten,

Dessen süsser Duft zur Nacht mich umwebt

In schlaflosen Zeiten.

 

Und ich singe die Küsse von rotem Mund,

Dass dein Preis ohne Mängel,

Deine Süsse, die mich gerichtet zugrund,

Meine Dirne, mein Engel![20]

 

O öffne Seele und Ohr, auf den Klang

Meiner Laute hörend.

Für dich ertönt, für dich mein Gesang,

So hold, so zerstörend.[21]

 

Nevermore

Voran mein armes Herz, mein alter Kampfgenosse,

Neu baue im Triumph dein buntes Siegestor,

Von falschem Goldaltar steig' Weihrauchduft empor,

Gib, dass an Abgrundshang der Flor der Blumen sprosse,

Voran mein armes Herz, mein alter Kampfgenosse.

 

Zu Gott hin dringe deines Lieds verjüngter Klang,

Lass, heis're Orgel, das Tedeum mächtig tönen,

Die frühen Runzeln schmink', dein Antlitz zu verschönen,

Häng' rote Teppiche die morsche Wand entlang,

Zu Gott hin dringe deines Lieds verjüngter Klang.

 

Klingt Schellen, läutet Glöckchen, tönet Glocken!

Mein weltentrückter Traum ward Wahrheit, es umschlingt