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Abkürzungsverzeichnis

e.S.                                    Eigene Schlussfolgerung

h.i.O.                                 Hervorgehoben im Original

IuK-Technologien             Informations- und

                                          Kommunikationstechnologien

IW                                     Interview, Verweis auf

                                          nummeriertes Transkript

m.E.                                  Meines Erachtens

m.M.                                 Meine Meinung

u.a.m.                                Und andere mehr

u.a.                                    Unter anderem / und andere1

v.A.ü.                                Vom Autor übersetzt

  1. Im Kontext einer Quellenangabe steht die Abkürzung für „und andere“ und verweist darauf, dass (Mit)Autoren im Kurzbeleg fehlen bzw. nicht angeführt werden – Bsp.: Autor u.a. Jahr: Seite. Ist die Abkürzung im Kurzbeleg vor der Autorenangabe, gilt  die Ausnahme nicht – Bsp.: vgl. u.a. Autor Jahr: Seite. Hierbei steht vgl. u.a. für vergleiche unter anderem diese Quelle.

Einleitung

Das Internet und der Computer als Einheit bilden seit Jahren ein „nicht wegzudenkendes Werkzeug“ für verschiedenste Arbeitsschritte im Büro oder Privaten. So schreiben Schwemmle und Wedde (2012: 7), dass angesichts „der rasanten Diffusion und der gravierenden Auswirkungen“ der IuK-Technologien eine digitale Prägung der Arbeitswelt nicht mehr Zukunftsprognose, sondern Gegenwart ist. Zumeist dient das Internet und der Computer aber nur zur Unterstützung der Arbeitsprozesse, währenddessen sich die Arbeitenden auch physisch am Unternehmensstandort befinden. Diese Unterstützungen äußern sich dadurch, dass die digitalen Medien zum Austausch von Wissen oder Information, zur Kommunikation zwischen verschiedenen Leistungsstufen oder u.a. auch als elementarer Bestandteil in der Vereinfachung von bürokratischen Arbeiten in Unternehmen ihren Anwendungsbereich finden - wie beispielsweise in der Personalverrechnung.

Doch scheint es Tendenzen zu geben, die digitale Medien nicht mehr nur in einer unterstützenden Rolle im Leistungsprozess verorten, sondern ihnen neue Möglichkeiten der individualisierten, subjektivierten und entgrenzten Arbeit zuschreiben. Schwemmle und Wedde führen dazu den Begriff der „digitalen Arbeitsgegenstände“ ein. Anzuführen wären hier neue, von starren Strukturen losgelöste Formen der Arbeit von Menschen, die Leistungen entweder in einem örtlich vom Unternehmen abgegrenzten Angestelltenverhältnis oder selbstständig in Form von Kleinstunternehmen verrichten. Vor allem im Angestelltenverhältnis tritt das Internet in der Regel in Kombination mit den technischen Endgeräten in Mittlerfunktion auf. Anders ist der Einsatz der Möglichkeiten bei jenen Online-Selbstständigen, bei denen das Internet den „Arbeitsgegenstand“ darstellt, d.h. es wird die Erwirtschaftung von Kapital alleinig im Netz ohne Arbeitgebenden sichergestellt.

Diese neuen Formen der Erwerbsarbeit, derer sich BloggerInnen, MarketingstrategInnen, Prominente oder Online-Spielende bedienen, begegnen den Autor und einen großen Teil der aktiven Internetnutzenden im alltäglichen Leben, meist ohne dass über diese Berufe und deren Praktiken adäquat Bescheid gewusst wird. Zudem sind die Geschäftsfelder, mit der sich diese Schrift beschäftigt, derart neu, dass sie weder ausreichend in der Wissenschaft untersucht und begründet sind, noch es für mehrheitliche Teile der NutzerInnen vorstellbar ist, wie damit auch Geld verdient werden kann. Den Potentialen und Herausforderungen dieser neuen Erwerbsmodelle, wie beispielsweise ein Mehr an Eigeninitiative (vgl. Peitler 2009) oder ein flexibleres Gestalten der Arbeits- und Freizeiten (vgl. Jürgens/Voß 2007), soll ein hoher Stellwert in dieser Arbeit gewidmet werden, um dieses relativ neue Feld der Neuen Medien1 im Zusammenhang mit der darin stattfindenden Arbeit zu beleuchten. Diese Masterarbeit zeigt Chancen und Herausforderungen sowie verschiedene Finanzierungsmodelle der Online-Arbeitenden am Beispiel von BloggerInnen und MarketingstrategInnen auf, versucht sie in den Kontext der theoretischen wissenschaftlichen Diskussion einzubetten und skizziert einen Blick auf zukünftige Entwicklungen unter Bezug auf die forschungsleitenden Fragestellungen:


  1. Welche Potentiale bieten digitale Medien für die selbstständige Erwerbsarbeit im Internet und welche Herausforderungen entstehen dadurch?
  2. Welche Finanzierungsmodelle zur Existenzsicherung hält das Arbeiten im Internet für BloggerInnen und MarketingstrategInnen bereit? 


Vorgehen: Um einer adäquaten Beantwortung der Fragestellungen Folge zu leisten, entschied sich der Autor, Grundlagenforschung im Sinne explorativer Forschungsansätze zu betreiben und führt die Ergebnisse sowie die mit der Theorie verknüpften Erkenntnisse aus der Triangulation von qualitativen ExpertInneninterviews und Visualisierungen in eine umfassende Ergebnisdarstellung und -interpretation über.

Zunächst werden in den ersten drei Kapiteln dieser Arbeit die theoretischen Grundlagen angeführt, die das Fundament der in Kapitel 5 und 6 dargelegten Ergebnisse und Erkenntnisse bilden. Konkret versucht Kapitel 1 Arbeit im historischen Verlauf darzulegen und darüber hinaus, mit Statistiken und Studien unterlegt, gegenwärtige Haupterwerbsformen wie insbesondere neue Modelle der Selbstständigkeit in den digitalen Medien vorzustellen. Das zweite Kapitel befasst sich mit den Charakteristika mediatisierter Arbeit und legt zugleich dar, welchen Phänomenen Arbeitende ausgesetzt sind, wenn sie unter dem Einfluss von Neuen Medien stehen. Eine Abgrenzung der digitalen Medien als „Arbeitsgegenstand“ und die Vorstellstellung der untersuchungsrelevanten Arbeitsformen sowie auch innovativer Marketing-Methoden findet in Kapitel 3 statt. Auf die theoretische Basis folgen eine Darlegung des verwendeten Forschungsdesigns sowie weiterführende methodische Überlegungen. In selbigem Kapitel versucht sich der Autor auch an einer Selbstpositionierung. Kapitel 5 beinhaltet die mit der Theorie verknüpften Ergebnisse der durchgeführten empirischen Studie, die in Kapitel 6 abschließend zusammengefasst werden.

  1. Unter dem Begriff der „Neuen Medien“ fallen „Technologien‚ mit deren Hilfe kommuniziert wird und Informationen verarbeitet werden. Auch Anwendungen wie Internet, E-Mail, Social-Networks, Chat, Instant-Messanger, Telefonkonferenzen und Videokonferenzen zählen dazu.“ (Roth-Ebner 2015: 47)

1 Arbeit im Wandel der Zeit

Arbeit ist seit dem Beginn der Menschheit eng mit der Existenzsicherung verknüpft und definiert sich unter historischer Betrachtung zu bestimmten Zeitpunkten unterschiedlich. Wie sich diese Unterschiede auf die Arbeitenden auswirken, wird in diesem Kapitel näher dargelegt.


1.1 Arbeit im zeitlichen Verlauf – Von der Sklaverei bis zur Industrialisierung


„Ein gemeinsamer Ausgangspunkt menschlicher Arbeit in unterschiedlichen Zeiten, historischen Formen und Begriffsbestimmungen ist die Notwendigkeit der Existenzsicherung. Betrachtet man Arbeit aber in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung über die Jahrhunderte hinweg, zeigen sich eklatante Verschiebungen [...]. In der Moderne wird die Arbeit schließlich auch zum zentralen Gestaltungsprinzip sozialer Zusammenhänge [...] in das aber auch das Element der Selbstverwirklichung durch Arbeit Eingang gefunden hat." (Kraus 2006: 22f. zit. nach Gruschinski 2011: 1)


Arbeit und hierbei genauer die Erwerbsarbeit, definiert sich je nach historischen und kulturellen Kontexten unterschiedlich. Über viele Jahrhunderte hinweg war Arbeit in der Regel durch körperliche Betätigung für den Großteil der Menschen selbstverständlich sowie unumgänglich, um das Überleben für die Familienmitglieder und für sich selbst sicherzustellen (vgl. Holzinger 2010: 18).1 Herauszustreichen gilt über die bedingt freiwillige Arbeit hinaus die Sklavenarbeit, die den Produktionsfaktor Mensch unter Zwang zur Leistungserstellung ausbeutete. Grundsätzlich wurden hierbei ethnische Minderheiten oder Kriegsgefangene zur Verrichtung von körperlichen Arbeiten unter Zwang genutzt. Wer glaubt, dass diese Art der Ausnutzung der Ressource Mensch unter Zwang, in weitentfernter Vergangenheit sein Ende gefunden hat, täuscht, werden doch abgeschwächte Formen der Sklaverei auch in der Neuzeit und Gegenwart beobachtet. (vgl. ebd.)

So erlebte die Sklaverei in Zeiten der Ausdehnung des europäischen Seehandels einen Aufschwung, in dem es in den Kolonien in Übersee zu Zwangsarbeit kam und vor allem aus Afrika ArbeiterInnen zum Aufbau der Wirtschaft in diesen Staaten eingeführt wurden. Die Sklaverei ist aber kein Phänomen von sozialschwachen Staaten, sondern wurde auch im nationalsozialistischen Deutschland eingesetzt, um während des zweiten Weltkrieges die Kriegsproduktion aufrechterhalten zu können. (vgl. Haehnel/Ulz 2010: 27 und vgl. Holzinger 2010: 18)

Selbst heutzutage werden unter dem Begriff des „Feudalismus“ in lateinamerikanischen Staaten Landwirte und GroßgrundbesitzerInnen durch hohe Abgaben bzw. Formen der Leibeigenschaft ausgebeutet. (vgl. Holzinger 2010: 18 und vgl. Frambach 2002: 226f.) Wurde in der frühen Epoche der griechischen Antike der Begriff „Arbeit“ noch als Voraussetzung für Wohlstand und gesellschaftliches Ansehen positiv gesehen, verschlechterte sich das Ansehen durch die Zunahme der Sklavenarbeit zum puren Lebenserhalt immens. Die Zunahme an Menschen in unfreien Abhängigkeitsverhältnissen stand damit in direkter Korrelation mit der Geringschätzung ihrer Leistung und Person. (vgl. Frambach 2002: 227)

Als freie(r) BürgerIn galt zu Zeiten des antiken Griechenland in der Regel nur, wer materielles Eigentum und somit materielle Freiheit besaß. (vgl. ebd.) Erst mit der christlichen Lehre findet ein signifikanter Wandel im Verständnis von Arbeit statt und wertet die arbeitende Schicht auf (vgl. ebd. und vgl. Holzinger 2010: 19). „Das Christentum bezweifelt den antiken Glauben an die Unvergänglichkeit des Kosmos und stellt statt dessen die Botschaft“ (Frambach 2002: 227) auf, dass die menschliche Seele zum einen unsterblich ist und zum anderen der Mensch als Abbild Gottes geschaffen wurde (vgl. ebd.). Gerade das Verständnis, dass Gott ein Ebenbild erschaffen hat, zeigt, dass auch die Fähigkeit einer Arbeit nachzugehen, von Gott gewollt ist. Doch definierte das Christentum Arbeit nicht nur als von Gott gegeben, sondern auch als Strafe (vlg. ebd.). So schreibt Frambach (2002: 27): „Aber das Christentum kennt die Arbeit auch als Last und Mühe, die dem Menschen als Strafe für den Sündefall auferlegt wurde. Allerdings ist es nicht die Arbeit als solche, mit der Gott den sündigen Menschen bestraft, als vielmehr die Schwere der Arbeit, die mit ihr verbundene Mühsal, Pein und Last.“

Das Aufkommen des Christentums manifestierte ein in sich widersprüchliches Arbeitsverständnis, das als göttlicher Auftrag und zugleich göttliche Strafe (vgl. ebd.) „[...] für eine selbstverschuldete ursprüngliche Entzweiung des Menschen von seiner göttlichen Transzendenz2 gesehen wurde.“ (ebd.) Das bedeutet, dass die Vernunft stets auf die „metaphysische und spirituelle Transzendierung der stofflichen Welt verpflichtet“ (Zelter 1994: 53) war. Später, um 1200 n.Chr., etablierte sich ein weiterentwickeltes Idealverständnis von Arbeit, das eine Kombination von Beten und anschließender geistiger Arbeit vorsah.

Dies impliziert aber auch, dass alle Arbeiten, die von diesem Idealbild abwichen, als nicht erstrebenswert galten. Ein umfassenderes Verständnis von Arbeit, das liberal viele Teilbereiche der Leistungserstellung als erstrebenswert erachtet und negative Konnotationen mit dem Begriff „Arbeit“ ablehnt, brachte die Reformation im 15. Jahrhundert. Arbeit soll während dieser Zeit aber nicht psychologische Aspekte wie „Arbeitslust, Selbstverwirklichung, Arbeitsleid oder Entfremdung“ fördern, sondern steht noch immer unter der Prämisse „Arbeit als im göttlichen Auftrag stehende Berufung“. Im Zentrum der Arbeit steht noch nicht die Neigung des Individuums, sondern die Pflicht der Arbeit selbst. (vgl. Frambach 2002: 227-229) Mit der modernen Vernunftepoche der Aufklärung ab ca. dem 17. Jahrhundert wird der Arbeitsbegriff schließlich säkularisiert3 und mit neuen Charakteristiken versehen (vgl. ebd.: 228). Die Darstellung von Arbeit als Selbsterhaltungsfunktion und als Produkt menschlicher Verstandsleistungen, als Denken tritt in Erscheinung. Der Mensch wird immer freier in der Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit. Zudem entwickeln sich im Laufe des 15. Jahrhunderts die Wissenschaften; Sie gelten als die Krönung menschlicher Verstandsleistungen und werden zum Instrument des Fortschritts. (vgl. ebd.: 228f.)

Einen weiteren signifikanten Wandel bildeten die Veränderungen des 19. Jahrhunderts. Im Kern der Wandelungsprozesse stand die Industrialisierung, die neue Blickwinkel auf die Erwerbsarbeit aufbrachte und zu weitreichenden Konsequenzen für die heutige Auffassung des Begriffes beitrug. So schreiben beispielsweise Schmidt und Kocka, dass sich die Erwerbsarbeit hin zu einer auf bestimmte Lebensphasen ausgerichteten Entscheidung jedes Einzelnen entwickelte. Erstrebenswert galt einen Beruf auszuüben, den man sein restliches Leben gerne ausübt. Die Trennung von Arbeitsplatz und Zuhause rückte verstärkt in den Fokus. (vgl. Schmidt/Kocka 2010: 31)


„Mit Arbeit stellte man etwas her, das über die Arbeit selbst hinauswies. Mit Arbeit erfüllte der Mensch eine Aufgabe, die ihm gestellt war oder die er sich setzte, sei es für das eigene Überleben oder Vorwärtskommen, sei es für die Gemeinschaft oder die Gesellschaft, in der er lebte. Mit Arbeit war Mühe verbunden und die Bereitschaft, Widerstände zu überwinden.“ (ebd.: 32)


Dieses Arbeitsethos spielte in den Anfängen der Industrialisierung eine elementare Rolle, auch wenn es im Wirtschaftsgeschehen nicht flächendeckend Einzug hielt. Die Anfänge waren geprägt von Ausbeutung der Mitarbeitenden und auch von Kindern. Erst Arbeitsrechtsbewegungen die in organisierten Gruppen auftraten, erreichten Verbesserungen im Recht jedes(r) einzelnen Arbeitenden. Diese Emanzipationsprozesse, die zu umfassenden Rechten heutiger Industrienationen beitrugen, finden derzeit zeitversetzt in Schwellen- und Entwicklungsländern statt. (vgl. Füllsack 2009: 67ff. zit. nach Holzinger 2010: 20)

Fand am Anfang der Industrialisierung noch eine Unterscheidung zwischen den Begriffen „Arbeit“ und „Nicht-Arbeit“ statt, etablierte sich schnell die Unterscheidung zwischen „Arbeit“ und „Freizeit“. Mit dem Begriff „Arbeit“ wurde neuerlich Erwerbsarbeit gemeint, die sich von sonstigen Aufgaben, wie beispielsweise der Hausarbeit oder Familienarbeit, abgrenzte. Diese neue Bezeichnung hielt vor allem deshalb Einzug, weil viele Menschen aufgrund der Industrialisierung und Verstädterung ihrer Leistungserstellung in Manufakturen, Werkstätten, Fabriken, Bergwerken, Büros oder Verwaltungen, klar von ihrem Wohnort abgegrenzt, nachgingen. (vgl. Kocka 2001: 8f.) Insgesamt traten der Erwerbsarbeitsplatz „[...] und die Sphäre des Hauses/der Familie auseinander. Erwerbsarbeit war früher eng mit sonstigen Arbeiten und Daseinsverrichtungen verknüpft, war eingebettet gewesen.“ (ebd.: 9) Die Veränderungen führten zu einer Änderung dieses Verständnisses, das den „Arbeitsplatz als Ort kontinuierlicher und klar abgrenzbarer Tätigkeit [...]“ (ebd.) charakterisierte.

Auch der Begriff des „Normalarbeitsverhältnis“ kam auf. Arbeit entwickelte sich zu einem differenziert funktionierenden Teilbereich des täglichen Lebens; Arbeitsleistung und Output ließen sich deutlicher definieren und leichter bemessen als zuvor und konnten nun besser, unter dem zuvor genannten Begriff der „Erwerbsarbeit“, also dem Teil des Lebens, der das Auskommen sichert, zusammengefasst werden. Zu einem Paradigmenwechsel kam es auch deshalb, weil auf einmal starrere Strukturen in der Arbeitswelt verankert wurden, die für die Menschen eine immense Neuerung darstellten. War es in der vorindustrialisierten Zeit „normal“, seinen Lebensunterhalt aus unterschiedlich vielen, auf den Tag verteilten Erwerbsquellen, die zudem auch noch im Laufe des Lebens wechselten, zu erarbeiten, reichte der Arbeitsteilung geschuldet, in Zeiten der Industrialisierung, idealerweise ein einziger „Job“ hierfür aus. Zum ersten Mal formulierte sich der Begriff „Beruf“ mit seinen verschiedenen Sparten, Qualifikationen und Tätigkeitsfeldern, die auf die Identität des Individuums abgestimmt werden können. (vgl. ebd.: 9)

Jenseits dieses „Normalarbeitsverhältnis“ mussten viele Menschen im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts aber weiterhin mehreren Erwerbsquellen nachgehen, die zudem während des Arbeitslebens wechselten, um ihr Auskommen zu sichern. Dieses Phänomen ergab sich verstärkt in der Gruppe der wenig qualifizierten Arbeitenden. Im 19. Und frühen 20. Jahrhundert war das „Normalarbeitsverhältnis“ der Literatur folgend wohl eher die Norm als Normalität. Wirklich durchsetzen konnte sich dieses „Normalarbeitsverhältnis“ erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts durch die Ausbildung und die Entwicklung des Sozialstaates in der westlichen Welt. (vgl. ebd.)

Dieses Voranschreiten brachte eine gewisse Stetigkeit in die Erwerbswelt und drängte die Feststellung auf, dass dieses „Normalarbeitsverhältnis“ im 19. und frühen 20. Jahrhundert die Norm und nicht Normalität war. (vgl. ebd.: 9f.) „Arbeit bedurfte nun kaum noch der Rechtfertigung durch anderes. Vielmehr wurde sie selbstbegründend und sinnstiftend.“ (Kocka 2001: 10) Wurde über das eigene Leben erzählt, waren Ausführungen bezugnehmend auf die getane Arbeit unter anderem ein ganz wesentlicher Teil. Arbeit wurde zu einem Teil der eigenen Identität und zu einem zentralen Begriff der entstehenden Sozialwissenschaften. (vgl. ebd.)

Warum setzte sich die Erwerbsarbeit durch? Im Grunde war für den Erfolg neuer Systeme in den letzten Jahrhunderten vor allem die nachhaltig sinkende Bedeutung von Religion und Glaube verantwortlich. Die Erwerbsarbeit, nach der neuen Vorstellung als abgegrenzte Sphäre von Freizeit (vgl. ebd.), „setzte sich im Kampf gegen herkömmliche Formen der gesellschaftlichen Organisation [durch], die sie verdrängte, ersetzte und marginalisierte“ (ebd.), wenn auch nicht zur Gänze. Arbeit meinte nicht mehr zu arbeiten, weil sie von der Religion geboten war, sondern seines eigenen Willens. Erwerbsarbeit bedeutete ab nun, Arbeit um Güter herzustellen, oder Dienstleistung um Bedürfnisse zu befriedigen und stand in Korrelation mit dem Zweck des Tauschens am Markt. Arbeit soll demnach Einkommen und nicht mehr das blanke Überleben sichern und dies ungeachtet selbstständiger oder abhängiger Stellung des Arbeitenden. Arbeit für monetären Leistungsanspruch ist nur eine Form, wenngleich aber die wichtigste und am weitesten verbreitete Form4 geworden und bis heute für den Siegeszug der Erwerbsarbeit geblieben (vgl. ebd.: 109. Erwerbsarbeit schafft zumeist Freiheit, Gerechtigkeit, Anerkennung und Ziele. „Wer die eigene Arbeitskraft, das eigene Können, die eigene Leistungsfähigkeit erfolgreich auf dem Arbeitsmarkt anbot, erfuhr dadurch ein Stück Anerkennung durch andere.“ (ebd.: 11). Diese Art der Anerkennung, die sich in Form von Achtung, Lob, Bewunderung, Respekt, Zuspruch uvm. äußerte, konnte von den Menschen weder von unfreier, gebundener oder obrigkeitlich geregelter noch von freiwilliger oder unbezahlte Arbeit geboten werden (vgl. ebd.: 11).

So bewegend die Veränderungen der Arbeit waren, ist der Prozess des Wandels aber keineswegs abgeschlossen. Erwerbsarbeit steht auch heutzutage vor Entwicklungen, die wiederum neue Arbeitsweisen und andere Kombinationen des Verhältnisses von Arbeit zu Freizeit zulassen und sich von allem Bisherigen, vor allem durch neue Telekommunikationsmedien, unterscheiden. Im Folgenden werden die gegenwärtige Arbeitssituation dargelegt und anschließend Zukunftstrends abgebildet, bevor auf Trends im Bereich der Selbstständigkeit eingegangen wird.


1.2 Gegenwärtige Entwicklungen und Zukunftsaussichten


Die Arbeitsteilung hielt während der Industrialisierung Einzug und war maßgeblich an den Produktivitätsgewinnen dieser Zeit beteiligt (vgl. Eichhorst u.a. 2013: 3). Arbeitsschritte und –prozesse wurden in immer kleinere Einheiten zerlegt und liefen klar strukturiert und definiert ab. Geprägt von hierarchischer Unternehmensstruktur ist diese Art des Arbeitens heute unter dem Begriff der „Taylorisierung“ bekannt und steht für die Zeit der standardisierten Massenproduktion. Von dieser hierarchischen und vorgegebenen Art der Leistungserstellung wird heutzutage vermehrt Abstand genommen und Modelle der kundenspezifischen Produktion gewinnen an Beliebtheit. (vgl. Schelten 2012: 143) Dadurch ergeben sich auch für MitarbeiterInnen und Arbeitssuchende neue Anforderungen, die sich in Form von subjektivierten, entgrenzten oder flexibilisierten Arbeitsweisen bemerkbar machen. Vermehrt kommt es zugleich zu einer Rückverlagerung unternehmerischer Verantwortung und Risiken auf die ArbeitnehmerInnen. (vgl. Eichhorst u.a. 2013: 3)

Auch die Arbeitsbeziehungen ändern sich durch dieses Voranschreiten und äußern sich beispielsweise, indem die hierarchischen Strukturen entfallen und anstatt von Handlungsanweisungen und strikten Vorgaben, auf Zielvereinbarungen und auf das Arbeiten in Teams, unter modernen Bezahlungs- und Belohnungssystemen, gesetzt wird. Diese Modelle sehen zumeist auch eine Kombination aus Grundentgelt und leistungsabhängigen Vergütungen vor. Bemerkenswert ist, dass die Trennung zwischen Arbeit und Freizeit, wie im vorangegangenen Kapitel beschrieben und als Erfolg der Industrialisierung gewertet, vermehrt an Bedeutung verliert und durch gegenwärtige Veränderungen, wie Flexibilisierung, Subjektivierung, Entgrenzung, Virtualisierung, Globalisierung etc., zu einer Vermischung führt. (vgl. Eichhorst u.a. 2013: 3) Schelten (2012: 143f.) beschreibt den Wandel der Arbeit unter der Prämisse der Zeit sehr treffend. „Stetig sind Kosten zu reduzieren, Komplexität und Dynamik der Arbeit verändern sich ständig.“ Charakterisiert wird diese Dynamik durch Flexibilisierungs-, Virtualisierungs- und Dezentralisierungsprozesse bei Beschäftigten und den Organisationsstrukturen, hohe Innovationsraten bei IuK- sowie Produktionstechnologien, Outsourcing von Leistungen, übergreifende Unternehmenskooperationen, unstetige Teamstrukturen, neue Formen der Arbeitsverträge in Befristung oder Teilzeitarbeit oder Selbständigkeit (vgl. ebd.). „Diese Entwicklungen sind verbunden mit einem schneller werdenden Vorgang der Wissenserneuerung und einem immer häufigeren Wechsel von Tätigkeit und Arbeitsplatz. Die Zeit beschleunigt sich.“ (ebd.)

Maßgeblich an dem seit den 1980er Jahren voranschreitenden fundamentalen Wandel der Arbeit beteiligt, ist der Einzug neuer Informations- und Kommunikationstechnologien (IuK-Technologien) mit ihren erweiterten Möglichkeiten der Gestaltung von Arbeit. Zeitgleich mit dem Aufkommen der innovativen Möglichkeiten der IuK-Technologien kam es auch zu einer Öffnung der Märkte, die zu einer globalen Weltwirtschaft führte (vgl. Peitler 2009: 1). Ausgelöst von der Masse an Informationen, die ständig und überall abrufbar sind, und der Erleichterung des Austausches mit Menschen an räumlich entfernten Orten, entstand die sogenannte „Wissensgesellschaft“, eine soziale Konstruktion, die in sozialen und ökonomischen Zusammenhängen nach einem hohen Maß an Reorganisation verlangt (vgl. Krys 2011: 376). Der Einzug von modernen IuK-Technologien bietet neue Lösungsansätze, um vormals komplizierte, manuelle Arbeitsprozesse einfacher und automatisiert durchzuführen (vgl. Bornemann 2010: 2), wenngleich es in von Routineaufgaben geprägten Arbeitsprozessen zu keiner merklichen Veränderung kam. Dies kann zumeist damit begründet werden, dass einfache und standardisierte Arbeitsschritte maschinell oder in Fließbandarbeit durchzuführen sind (vgl. Matuschek/Arnold/Voß 2007: 324).

Gerade wegen diesen Entwicklungen kann seit den 1990er Jahren beobachtet werden, dass Arbeitsverhältnisse, die auf Flexibilisierungs-, Globalisierungs-, Subjektivierungs-, Entgrenzungsprozessen u.a. aufbauen, zunehmend an Bedeutung gewinnen. Zugleich änderte sich aber auch die Rolle der ArbeiterInnen, die zur zentralen Quelle der Wertschöpfung erklärt wurden. Nie zuvor stand der einzelne Mensch in diesem Maße im Mittelpunkt der Wertschöpfung, als es gegenwärtig der Fall ist (vgl. Kleemann/Matuschek/Voß 2002: 53). Zudem wird dem Individuum auch die Freiheit eingeräumt, sich in das Unternehmen mit seinem Engagement einzubringen und mitzugestalten. Der Kompromiss hierfür liegt in erhöhter Anforderung an humane Befähigungen, wie beispielsweise analytisches und synthetisches Denken, Selbstständigkeit, Teamfähigkeit und vor allem der Bereitschaft, ein hohes Maß an Verantwortung zu übernehmen (vgl. Schelten 2012: 144; vgl. Kutz 2008: 20 und vgl. Kleemann/Matuschek/Voß 2002: 5f.).

Auf Seiten der ArbeitnehmerInnen zeigen sich aber auch Trends, wenn es um die Auswahl der zukünftigen Unternehmen und die Hauptmerkmale geht, die für potentielle ArbeitgeberInnen attraktiv sind. So stehen nicht mehr nur monetäre Reize im Zentrum des Interesses von ArbeitnehmerInnen, sondern vermehrt die richtige Balance zwischen Arbeits- und Freizeit. So würden rund 57 % der deutschen ArbeitnehmerInnen hinsichtlich der Kompetenzförderung, 36 % aufgrund flexibler Arbeitszeiten und mehr als die Hälfte für mehr Freizeit auf ein höheres Gehalt verzichten (vgl. Kelly Global Workforce Index 2015: 2). Darüber hinaus zeigt sich, dass ArbeitnehmerInnen in der Regel im besonderen Maße wert auf Weiterbildungsmöglichkeiten und persönliche Entfaltung legen (vgl. ebd.: 3). Weltweit ist erkennbar, dass die Wünsche der ArbeitnehmerInnen im Vergleich der Nationalstaaten mit hohem und niedrigem Lebensstandard auseinanderklaffen.

In Ländern mit hohem Sozial- und Lebensstandard ist das Bedürfnis nach guter Work-Life-Balance und besseren Weiterbildungsmöglichkeiten um rund zehn Prozentpunkte niedriger, als in Ländern wie beispielsweise Thailand, Indien oder Indonesien (vgl. ebd.). Auch die sogenannte Arbeitsplatzsicherheit, also die Sicherheit eines oder einer Beschäftigten den Arbeitsplatz relativ sicher behalten zu können, ist über die letzten Jahrzehnte hinweg immer wieder ein Entscheidungskriterium bei der Auswahl des Jobs gewesen. Diese Arbeitsplatzsicherheit und -fürsorge muss heutzutage der Eigenverantwortung und Flexibilität der Arbeitenden weichen. Dieser Trend wird sich auch in Zukunft fortsetzen und sich die Wirtschaft in Europa weiter in Richtung einer stärkeren Dienstleistungs-, Wettbewerbs- und Wissensgesellschaft entwickeln. (vgl. Roth 2012a: 7f.)

Dadurch entstehen für Arbeitende und Unternehmen Chancen, die es zu realisieren gilt, aber auch Risiken durch Überforderung. Verantwortungsstress wird zu einem Problem für Mitarbeitende, die es verlernt oder auch gar nicht gelernt haben, Grenzen zu setzen. Da zu dem Verantwortungsstress auch noch die Vermischung zwischen Arbeits- und Freizeit, geschuldet durch die Möglichkeiten der IuK-Technologien, kommt, ist die psychische oder physische Erkrankung des/der Einzelnen zu einer potentiellen Bedrohung für ArbeitnehmerInnen und UnternehmerInnen der heutigen Zeit geworden. Daher wird es zunehmend wichtig, dass Menschen/Personen in Führungspositionen nicht mehr nur Fachkompetenz und Durchsetzungskraft mitbringen, sondern Weitblick und Einfühlungsvermögen aufweisen, um Überforderungen von MitarbeiterInnen rechtzeitig erkennen zu können. (vgl. Eichhorst u.a. 2013: 3)

Risiken gibt es aber nicht nur für Menschen, die aufgrund der neuen Arbeitsmöglichkeiten, -weisen und –welten gänzlich neue Wege der erfolgreichen Arbeit lernen müssen, sondern auch für Wissenschaft und Politik, die mit dem Aufkommen von globalen Märkten und den IuK-Technologien zudem eine Zunahme an Menschen ohne Beschäftigung erwarten. Diese Prognostizierungen können, verglichen mit den Arbeitsmarktdaten der letzten Jahre (hierzu auch Eurostat 2015b. oS.), allerdings nicht verifiziert werden. Zwar hat es massive Verschiebungen zwischen den Wirtschaftszweigen, Branchen oder Berufen gegeben oder sind gar ganze Branchen oder Berufsgruppen verschwunden, doch sind immer auch neue Tätigkeitsfelder (siehe Kapitel 1.3) hinzugekommen. (vgl. Eichhorst/Buhlmann 2015: 5) „Die Erwerbsarbeit unterliegt damit einem ständigen Prozess der kreativen Zerstörung im Schumpeterschen Sinne5, sie geht jedoch – im Gegensatz zu früheren und aktuellen Vorhersagen [...] – offenbar nicht aus.“ (ebd.)

Volkswirtschaftlich gesehen, ist es, aufgrund der neuen Märkte, neuer Technologien oder durch das Verschwinden von Branchen oder Berufen, zu keinem langfristigen Rückgang der Erwerbstätigen oder der geleisteten Arbeitsvolumina gekommen. Es gibt also keine Anzeichen für strukturelle und langfristige Abnahmen an bezahlten Erwerbstätigen, weder bezüglich der absoluten Beschäftigungszahlen noch hinsichtlich der jeweiligen Arbeitszeit je Arbeitenden. (vgl. ebd.: 5) In Deutschland und Österreich beispielsweise liegen die Beschäftigungszahlen absolut auf Höchstständen (vgl. Statistik Austria 2015a: o.S. und vgl. Eichhorst/Buhlmann 2015: 5). Die Beschäftigungszahl von Österreich liegt 2011 bei 4,3 Millionen (vgl. Statistik Austria 2012b: o.S.) und von Deutschland 2013 bei 44,05 Millionen (vgl. Statista 2014: o.S.). Diese Entwicklung bedeutet nicht nur ein Allzeithoch von Menschen in Beschäftigung, sondern auch 15 % mehr Arbeitsplätze in Österreich im Zeitraum 1991-2011 bzw. 10 % mehr Arbeitsplätze in Deutschland im Zeitraum 1991-20136.


Gleichwohl verzeichnete das Arbeitsvolumen, also die Gesamtzahl an bezahlten Arbeitsstunden, mit 58 Milliarden Stunden in Deutschland ein neues Rekordhoch seit Anfang der neunziger Jahre (vgl. Eichhorst/Buhlmann 2015: 5f.). Europaweit ist die Beschäftigungsquote relativ konstant. In der Arbeitskräfteerhebung der Europäischen Union für Erwerbspersonen zwischen 15 und 64 Jahren 2013 ergab sich eine durchschnittliche Beschäftigungsquote in den EU-28 Mitgliedsstaaten von 64,1 %. Dies ist zwar ein um 1,6 Prozentpunkte höherer Prozentsatz verglichen mit den Zahlen aus 2003, jedoch lag die Quote 2008 schon bei 65,7 % und sank in Folge wieder. (vgl. Eurostat 2014: o.S.)

Während die Gesamtbeschäftigungsquote der EU-28 im Jahr 2013 mit 1,6 Prozentpunkten unter dem Stand von 2008 lag, sind die Zahlen aus den jeweiligen Mitgliedsländern sehr unterschiedlich. In neun EU-Mitgliedstaaten kam es zu einem Anstieg der nationalen Beschäftigungsquoten (vgl. ebd.). „Die größten Zuwächse registrierten Malta (+5,3 Prozentpunkte) und Deutschland (+3,2 Prozentpunkte), während Luxemburg, Ungarn und die Tschechische Republik jeweils“ (ebd.) kleinere Zuwächse verzeichneten. In Ländern wie Griechenland hingegen kam es zu einem Rückgang der Beschäftigung und die Quote fiel von 61,9 % (2008) auf knapp 50 % (2013). „Auch in Spanien, Zypern, Kroatien, Portugal, Irland, Dänemark und Slowenien gingen die Beschäftigungsquoten zwischen 2008 und 2013 erheblich zurück (um 5 Prozentpunkte und mehr).“ (ebd.)

Die Arbeitslosenstatistiken zeigen ein ähnliches Bild. Stieg die Anzahl der Personen ohne Arbeit relativ zu der Gesamtbevölkerungszahl in Deutschland seit 1980 kontinuierlich von 3,3 % oder absolut um 890.000 Menschen, endet dieser Anstieg im Jahr 2005 bei einem Hoch von 11,7 % oder 4,86 Millionen Menschen. Ab 2006 ist ein deutlicher Aufschwung der Wirtschaft am Arbeitsmarkt erkennbar und die Arbeitslosigkeit ging bis 2014 auf rund 4,5 % oder 2,9 Millionen Arbeitslose zurück. Dieser Wert unterschreitet demnach das Niveau von 1992 (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2014: o.S. und vgl. Eurostat 2015b: o.S.). In Österreich sieht die Entwicklung der Arbeitslosigkeit ähnlich wie in Deutschland aus, doch lag die Arbeitslosenquote bis 2010 durchschnittlich 2 Prozentpunkte darunter. Seit 2008 dreht sich dieses Bild und Österreich ist im Gegensatz zu Deutschland mit zunehmenden Arbeitslosenraten konfrontiert (vgl. Eurostat 2015b: o.S.). So liegt die Arbeitslosenquote in Österreich gegenwärtig bei rund 5,8 % und wird im Jahr 2016 mit 5,7 % prognostiziert (vgl. WKO 2015e: o.S.).

Europaweit kam es ab 2008 zu einem signifikanten Anstieg der Arbeitslosigkeit und lag 2013 durchschnittlich bei rund 11,6 %. Seit April 2013 kommt es aber zu einer Erholung im Euroraum und die Quote sank bis Mai 2015 um 1,3 Prozentpunkte auf 9,3 % (vgl. Eurostat 2015b: o.S.). Grund für die Erhöhung der Arbeitslosigkeit im Euroraum sind aber nicht die Technisierung oder Digitalisierung, sondern generelle globale wirtschaftliche Probleme, ausgelöst durch die Finanz-, Immobilien-, Banken- und Schuldenkrise, die 2008 die Finanzwelt vor Schwierigkeiten stellte und Auswirkungen auf die Realwirtschaften bis heute hat (vgl. Scheiblecker 2008: 577).

Abschließend kann festgehalten werden, dass trotz des technologischen Fortschritts, wie der Massentauglichkeit des Computers oder der Verbreitung des Internets und der Technisierung und Automatisierung der Produktionsschritte bzw. der Auslagerung von Produktionen in Billiglohnländer, zwar viele Berufe und Branchen massiv einem Wandel unterworfen waren, dies aber offenbar nicht zu einem Rückgang der Arbeitskraftnachfrage führte. Auch die Gehälter und das Einkommen litten unter dieser Entwicklung nicht und zeigen eine Stabilität des Gesamtarbeitsmarktes. (vgl. Eichhorst/Buhlmann 2015: 5f.)

1.3 Berufe und Branchen im Wandel

Es ist davon auszugehen, dass sich die Arbeitsbedingungen und –welten für Beschäftigte kurz- bis mittelfristig durch eine Reihe sozialer, ökonomischer und technischer Trends verändern werden. Aus ökonomischer Perspektive beeinflusst die Globalisierung das Arbeitsumfeld sehr stark (vgl. Rump 2007: 2). 1995 betrug die Exportquote in Österreich 34,8 %. Im Jahr 2012 ist der Prozentsatz der exportierten Güter ins Ausland bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt um 22,5 Prozentpunkte auf 57,3 % gestiegen (vgl. Statistik Austria 2012a: o.S.). An der Steigerung der Exportmenge ist maßgeblich der Einsatz moderner und leistungsfähiger IuK-Technologien beteiligt (vgl. Rump 2007: 2). Diese Zahlen zeigen sich auch für Deutschland, wo der IuK-Arbeitsmarkt seit 1998 nahezu jedes Jahr stärker wuchs als das gesamte Bruttoinlandsprodukt. Die Entwicklungen, im Zusammenhang mit Jobs und den IuK-Technologien, strahlen aber nicht branchenspezifisch, sondern quer über alle Sektoren der Volkswirtschaft (vgl. Häring 2007: 1.1).

So zeigt speziell eine Statistik der Universität Kassel, dass für innovative Unternehmen der Einsatz von IuK-Technologien zur Verbesserung des Unternehmenserfolgs unabdinglich ist. 73 % der befragten Unternehmen gaben in dieser Studie an, dass IuK-Technologie als das wichtigste Instrument zum Wissensaustausch angesehen wird (vgl. Daskalakis/Kauffeld-Monz 2007: 16). Weber und Ziegler (2011: 90) sprechen davon, dass durch die IuK-Technologien sowohl unternehmensintern als auch unternehmensübergreifend latente Wertschöpfungspotenziale zu heben sind. Weiters unterstützen die IuK-Technologien Unternehmen dabei, auf neuen Märkten mit neuen Geschäftsmodellen erfolgreich zu sein. Dies bedeutet aber zunächst nicht, dass der Einzug der IuK-Technologien, bereits bestehende Berufsbilder ablösen und verdrängt, sondern vielmehr, dass sie zu einer Effizienz-, Prozess- oder Leistungssteigerung führen. Der IuK-Sektor wird deshalb als Innovations-Impuls-Geber der Wirtschaft gesehen, weil dieser nahezu bei allen Branchen Weiterentwicklungsprozesse auslöst. (vgl. Häring 2007: 1.1) „Nicht nur im Verarbeitenden Gewerbe und den Dienstleistungsbranchen führt der Einsatz von IuK-Technologien zu Produkt- und Prozessinnovationen [...]“ (ebd.), sondern auch in der Verwaltung, wo sie einerseits zu einer Reduktion von Kosten und andererseits zu neuen und verbesserten Leistungen der öffentlichen Hand für Mitarbeitende aber vor allem BürgerInnen und Unternehmen führen (vgl. ebd.).

Diese Effizienz-. Prozess- oder Leistungssteigerungen werden oftmals auch unter dem Begriff der „Rationalisierung“ zusammengefasst. Die genannten Potentiale sind aber keineswegs immer gleichsam Arbeitskraft-Rationalisierung, zumeist unterliegen sie aber rationaler und messbarer Maßstäbe. Ausgelöst durch Steigerungen im Bereich der Effizienz kommt es aber zumeist zu Veränderungen in der Personalstruktur, die folglich zum Abbau von wenig(er) Qualifizierten führen. Das Verschwinden von Berufen ist eine übliche Begleiterscheinung wirtschaftlicher Entwicklung und nicht eine Erfindung der Neuzeit. So weiß man mit Berufen wie Windenmacher, Lersener oder Guillocheure uvm. nichts mehr anzufangen, weil sie durch die Industrialisierung, den Einzug der IuK-Technologien, Globalisierungsprozesse, Preisdumping und Begleiterscheinungen der Konsumgesellschaft weichen mussten. Beispiele dafür, dass verschwindende Berufe immer schon eine Begleiterscheinung wirtschaftlicher Entwicklung waren, lassen sich in jedem Jahrhundert finden. (vgl. Drewoll o.J.: o.S.)

So reihen sich neben den oben angeführten Beispielen für längst vergessene Arbeiten, Berufe wie Milchmann, Klingelmann, Weißnäherin, Sautreiber, Traktorist oder Lokomotivheizer uvm.7 in diese Liste ein. (vgl. ebd.) Zwischen 1850 und 1950 entstanden aufgrund des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts Berufe wie ChemikerIn, FotografIn, InstallateurIn, RohrlegerIn, StatistikerIn, technische(r) ZeichnerIn oder ZeitungsreporterIn. In den Jahren zwischen 1900 und 1950 kamen Berufsstände der ElektroingeneurInnen, KraftfahrerInnen, BüromaschinenbedienerInnen, BetonbauerInnen oder BaumaschinenfahrerInnen hinzu. In den Jahren nach 1950 reihten sich zusätzlich DatenverarbeiterInnen, FernsehtechnikerInnen, KerntechnikerInnen, ElektronikerInnen und ElektrotechnikerInnen, Gesundheitsjobs, MarktforscherInnen oder Marketingfachkräfte uvm. in die Liste der „neuen Berufe“ ein. (vgl. Erhard/Lahner 1970: 34-34)

Das Aufkommen eines neuen Berufes brachte zumeist auch ein Verschwinden eines anderen mit sich. So verdrängten die FotografInnen die PortraitzeichnerInnen und die KraftfahrerInnen die KutscherInnen, die zuvor womöglich das Verschwinden der Laufboten mitverantworteten. (vgl. ebd.) Dennoch führt das Voranschreiten wirtschaftlicher Entwicklung nicht zugleich eine Erhöhung der Arbeitslosenzahlen bzw. eine zwingende Abnahme der Pro-Kopf-Arbeitszeit (siehe Unterkapitel 1.2.). Heutzutage ergeben sich Verschiebung am Arbeitsmarkt, das Verschwinden alter und das Aufkommen neuer Berufe vielfach durch die weitgreifende Digitalisierung von Organisations- und Arbeitsabläufe. Gegenwärtige Beispiele:


- TaxifahrerInnen und das gesamte Beförderungsgewerbe unterliegen einem hohen Konkurrenzdruck und gehören zu den wenig-qualifizierten und schlechtbezahlten Jobs. Zunehmend gerät dieses Gewerbe unter Druck, da Online-Carsharing-Portale in ökonomischer und ökologischer Hinsicht oft im Vorteil sind (vgl. Die Welt: 2014a: o.S.).

- LastkraftwagenfahrerInnen werden sich mittelfristig nicht gegen selbstfahrenden Automobile durchsetzen können. Das stellte Daimler nach Inbetriebnahme des ersten zugelassenen und selbstfahrenden LKW in den Raum, der mittels internetbasierter Datenabgleiche völlig ohne menschlichem Zutun funktionieren soll (vgl. Die Welt: 2014b: o.S.). Auch führerInnenlose Züge und U-Bahn Systeme verbreiten sich in Europa und bringen den Unternehmen noch dazu den Vorteil, Streike und menschliches Versagen zu minimieren (vgl. Die Welt 2014c: o.S.).