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Die Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter www.d-nb.de abrufbar.

ORIGINALAUSGABE

Einbandmotiv: Charlotte Horn

Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt

© 2012 Alle Rechte bei der Autorin und Künstlerin

ISBN 978-3-8448-4297-5

INHALT

Einleitung

TEIL I

Gedanken zum Thema ›Holocaust‹

TEIL II

Bilder zum Holocaust

Schlussbemerkungen

Literaturliste

Vita der Autorin und Künstlerin

Einleitung

Sollte man sich heute noch mit dem Thema ›Holocaust‹ befassen?

Das Thema Holocaust oder Shoa ist eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte, in seiner Unerklärlichkeit und Irrationalität nur mit den mittelalterlichen Hexenprozessen vergleichbar. Während dieser Zeit des Nationalsozialismus wurden die Juden um ihrer Eigenschaft als Juden verfolgt, gedemütigt, ausgesondert aus der menschlichen Gesellschaft, zu lebensunwerten Wesen erklärt und schließlich in grausamster Weise in Konzentrationslagern zu Tode gebracht. Auch als die Ostfront zusammenbrach, die Lager geräumt wurden, sich das Ende des Dritten Reiches abzeichnete, entließ man die verbleibenden Juden nicht, sondern brachte sie in endlosen Märschen, den sog. Todesmärschen, um, mit dem alleinigen Ziel, sie ihrer physischen Existenz zu berauben. Anstatt sich ihrer Arbeitskraft zu versichern, ging der Wille des mörderischen Regimes Adolf Hitlers dahin, diese Menschen auszurotten.1

Was geht uns das heute an? Unterscheiden wir uns grundlegend von der Generation unserer Eltern, Großeltern, Urgroßeltern, eben den Menschen, die das Kaiserreich als Kinder, den ersten Weltkrieg als Jugendliche, die Weimarer Republik als Erwachsene durchlebten? Was hätten wir getan, um dieses Ereignis zu verhindern? Können sich solche Geschehnisse trotz der geschichtlichen Erfahrung wiederholen? Gibt es Hass gegen Muslime, Roma, gegen die jetzt wieder hier lebenden Juden? Oder kann man sagen, es ist schon so lange her, eben Geschichte, und Geschichte »wiederholt sich nicht«?

Geschichte lässt sich m. E. nicht aus dem Gedächtnis verdrängen. Die Erinnerung kommt immer wieder. Im Gegenteil: die Erinnerung wird durch Verdrängung stärker und beeinflusst gerade dadurch unsere Gesellschaft im Hier und Jetzt. Durch diese Geschichte und eine mangelnde Auseinandersetzung werden Themen wie Sterbehilfe und Organspende bei uns viel schwieriger zu lösen sein als in Gesellschaften, in denen der Staat keine Bevölkerungsgruppe durch Einsatz staatlicher Mittel ermordet hat.

Ob und wie man sich dem Thema ›Holocaust‹ nähert, ist individuell verschieden, hängt von persönlichen Erfahrungen ab und wie man mit diesen umgeht. In meinem eigenen Leben gab es zahlreiche Vorkommnisse, die mir schlagartig deutlich werden ließen, dass diese Auseinandersetzung notwendig und unerlässlich war.

1983 war ich in Belgien im Rahmen meiner Wahlstage zum juristischen Vorbereitungsdienst, saß im Nachtzug von Aachen nach Brüssel hinter meiner Tageszeitung und hoffte, bald in Brüssel anzukommen.

In Lüttich stiegen zwei Damen fortgeschrittenen Alters ein, die anfingen, sich lebhaft zu unterhalten. Zuerst hörte ich nicht hin, bis mir klar wurde, worüber sie redeten. Sie berichteten von Familienangehörigen, und wie diese im Konzentrationslager Bergenbelsen zu Tode gekommen waren.

Die beiden Frauen waren Jüdinnen; sie sprachen das jüdische Totengebet, sie weinten und waren vom Schmerz überwältigt. Ich begriff, dass sich für diese beiden die Geschichte noch heute abspielte, nicht entfernt war, nicht vergangen, sondern das Gefühl über den Verlust, dessen Warum sie nicht begriffen, lebendig war. Dieses Gefühl des Verlustes würde erst mit ihnen sterben, es würde als unendliche Traurigkeit in ihren Kindern weiterleben und von Generation zu Generation prägend sein.

Mit keinem Wort hatte ich mich bemerkbar gemacht, war glücklich, hinter meiner Tageszeitung nicht wahrgenommen zu werden. Scham erfüllte mich und ich war dankbar, dass niemand mit mir sprach. Ich wollte keine Deutsche sein. Ich war wütend, dass mein Volk mir diese Geschichte als Hypothek auf mein Leben hinterlassen hatte. Instinktiv spürte ich, dass mein Einwand, nach dem zweiten Weltkrieg geboren worden zu sein, mich nicht freisprechen konnte. Ein weiteres prägendes Erlebnis war, dass mir bei einem Urlaub im Jahr 2004 an der französischen Atlantikküste ein anderer Urlauber, gebürtig aus Polen, unmissverständlich zu verstehen gab, dass er grundsätzlich mit Deutschen nichts zu tun haben wolle. Er bezog sich auf das deutsche Verhalten in seiner polnischen Heimat, schilderte das kriminelle Vorgehen deutscher Verbände der Waffen-SS gegen wehrlose polnische Juden und meinte, dass erst viele weitere Generationen kommen müssten, damit er wieder mit Deutschen spräche. Nein, der bloße Umstand, dass meine Familie nach dem Kriege geboren sei, sei kein Grund; es sei noch viel zu früh.

Schon aus diesen beiden Beispielen lässt sich ersehen, dass die Zeit für diejenigen, die Unrecht begangen haben, schneller zu vergehen scheint als für die, die Opfer oder auch nur Zuschauer, Zeugen der Greuel des Holocaust gewesen sind. Wir Deutschen meinen, es sei schon über siebzig Jahre her, für die anderen sind es gerade mal siebzig Jahre. Das Misstrauen, Deutsche könnten sich wieder so verhalten wie die Deutschen von damals, sitzt immer noch tief, was man z. B. an dem - jedenfalls anfangs - zögerlichen Verhalten der englischen und französischen EU-Partner anlässlich der deutschen Wiedervereinigung ablesen konnte. Das vereinte, erstarkte Deutschland wurde bei den EU-Partnern als Bedrohung empfunden, Angst musste abgebaut und Vertrauen geschaffen werden.

Zu diesem Vertrauen gehört m. E., dass man sich eben mit der Geschichte auseinandersetzt. Es gibt zwar keine Kollektivschuld, aber eine wie auch immer geartete Gnade der späten Geburt nach dem Krieg entbindet niemanden von der Aufgabe zur Reflektion. Und dies wird so bleiben, auch tausend Jahre nach Untergang jenes unsäglichen »tausendjährigen Reiches«.

Diese Verpflichtung gilt gerade für die Jugendlichen, die Heranwachsenden, die politisch interessiert und wachsam sein müssen, deren Lebensweg in einer vielfach verzahnten und vernetzten Welt beginnt. Nur wenn jeder das Menschsein des anderen, die unabänderliche, unveräußerliche Würde des jeweils anderen begreift und anerkennt, kann dieser Lebensweg gelingen. Nur so ist der Interessensausgleich zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und Nationen möglich, so wie im Kleinen das achtsame, sorgsame Miteinander in Familien und zwischen Nachbarn auch die Achtung der Würde des Einzelnen bedingt. Das Anderssein der Anderen sollte als Bereicherung empfunden werden und uns neugierig machen auf andere Lebenseinstellungen und Lebensentwürfe; man sollte davon lernen wollen.

Wäre der Zweite Weltkrieg gewonnen worden, wäre das jüdische Volk in Europa vernichtet worden. Seine Kultur, seine Religion, seine Einsichten und Erfahrungen wären für alle anderen verloren gewesen. Unwiederbringlich wären Gedanken eines Heinrich Heine verstummt, wir würden die Sinfonien Gustav Mahlers nicht hören. Ärmer wären wir und unsere eigene Individualität hätte gelitten.

Nur wer erkennt, dass die Menschenwürde des anderen immer auch die eigene Menschenwürde ist, wird erfassen, dass Menschen gleich welchen Alters, welcher Hautfarbe oder Religion immer zusammen gehören. Es geht dem Individuum am besten, wenn es dem Nächsten, dem Bruder, dem Nachbarn am besten geht. Im Umkehrschluss ist es um die eigene Würde schlecht bestellt, wenn man die des anderen herabsetzt, ihn herabwürdigt und demütigt. Man beraubt sich selbst, weil man sich seine eigene Menschenwürde durch menschenunwürdige Behandlung des Anderen nimmt.

Wie in der Neunten Sinfonie Ludwig van Beethovens gehofft und herbeigesehnt, sollte vielmehr folgender Wunsch wahr werden:

Alle Menschen werden Brüder! Und zwar im Hier und Heute!

1 Vgl. Goldhagen, Daniel J. 2000: Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust. Vollständige Taschenbuchausgabe. München. S. 385 ff.

Teil I

Gedanken zum Thema ›Holocaust‹

Was bedeutet der Begriff ›Holocaust‹, was ist mit ›Shoa‹ gemeint?

Das aus dem Griechischen stammende Wort ›holokautoma‹, das ursprünglich einen heidnischen Tieropferkult beschrieb, gelangte in den englischen Sprachgebrauch und wurde seit der Zeit um 1600 nach Christus als außergewöhnliche Brandkatastrophe verstanden, bei der unendliche viele Menschen zu Tode kommen. Durch die Verwendung des Begriffes ›Holocaust‹ für den Mord begangen an den Juden, aber auch an den Zigeunern - hier den Sinti und Roma - soll auf die tragische Prägung der Geschichte durch jenes staatliche Töten hingewiesen werden.

Aufgrund dieses griechischen ›holokautoma‹, welches das Verbrechen an Menschen einem heidnischen Tieropfer gleichzustellen scheint, wird der Holocaust im Dritten Reich vom jetzigen Staat Israel als ›Shoa‹ oder ›Schoa‹ (Schreibweise auch ›Schoah‹ oder ›Shoah‹) bezeichnet. Der Begriff bedeutet ›Katastrophe‹ oder ›großes Unglück‹.

1959 wurde in Israel und weltweit der Gedenktag Jom haScho'a an dieses Verbrechen eingeführt, das in der jüdischen Theologie auch ›Dritter Churban‹ (hebräisch: Vernichtung oder Verwüstung) genannt wird. Man stellt es damit der ersten (586 v. Chr.) und zweiten (70 n. Chr.) Zerstörung des Jerusalemer Tempels gleich. Es wird als Großkatastrophe der Geschichte des Judentums verstanden, die auch alle Nachfahren dieses Volkes in zukünftigen Generationen betreffen wird.2

In Israel ist die Erinnerung an die Shoa Staatsziel. Yad Vashem vefolgt dieses Ziel, indem hier alle Zeugnisse gesammelt werden. Durch Beschluss der Knesset wurde Yad Vashem als staatliche Behörde gegründet.3