Vorwort
Einleitung/Einführung
Meine Motivation, mich mit diesem Thema zu befassen
Beschreibung der Arbeitsweise
Statistische Daten über Scheidungen/Trennungen
Eigene Überlegungen zu den Statistiken
Die Rolle des Vaters in der Entwicklung des Sohnes
Interview mit Herr M. zu seiner Lebensgeschichte
Die gemeinsamen Rollen beider Elternteile
Die Rolle des Vaters
Geschichtliche Entwicklung
Die Düsseldorfer Studie zur Rolle des Vaters
Das Vaterbild heute
Warum ist der Vater wichtig?
Zeit - das größte Geschenk
Gemeinsamkeit und Teamwork
Baby- und Kleinkindalter
Spiel, Spannung, Abenteuer
Religion und Glauben
Sexuelle Identität
Gewalt und Aggression
Rituale
Auswirkungen des Vaterverlustes auf die Entwicklung von Söhnen
Theoriehintergrund
Erläuterung der Phasen
Protestphase
Verzweiflungsphase
Gleichgültigkeitsphase
Auswirkungen auf die gesellschaftliche Entwicklung
Auswirkungen auf die Geschlechtsrollenentwicklung
Auswirkungen auf das Mann-Sein
Männliches Leitbild
Kräfte messen - Fairness
Werte und Männlichkeit
Suche nach Männlichkeit
Auswirkungen auf das Verhalten
Auswirkungen durch die Alleinerziehung der Mutter
Möglichkeiten, die Auswirkungen in der Entwicklung von Söhnen ohne Väter auszugleichen oder zu lindern
Theoretische Grundlagen
Struktur
Gespräch mit dem Kind
Rituale
Organisierte Aktivitäten
Zusammenarbeit unter Eltern
Tipps für die Vorgangsweise
Bitten von Kindern an getrennte Eltern
Jungenarbeit
Schlussbetrachtung
Literaturliste
Mit diesem Buch ist es mir ein Anliegen, Auswirkungen auf die Entwicklung von Söhnen festzustellen, die durch eine Trennung/Scheidung der Eltern ohne Vater aufgewachsen sind. Es ist mir klar, dass es verschiedene Formen der Vaterentbehrung wie Vaterlosigkeit (Vater nie gekannt), Vaterverlust (durch Tod) und Vaterverlust (durch Trennung/Scheidung) gibt.
Die Grundlage für dieses Buch ist meine Diplomarbeit zum Abschluss der Ausbildung zum „Dipl. Trainer für prozessorientierte Gruppenarbeit“ an der Lehranstalt für Ehe- und Familienberatung der Privatschule der Diözese Feldkirch mit Öffentlichkeitsrecht, Ausbildungslehrgang 2006 – 2009.
Meine Ausführungen beziehen sich ausschließlich auf den Vaterverlust durch Trennung/Scheidung der Eltern in Bezug auf Söhne im Kleinkindalter und die Folgewirkungen in der Entwicklung zum „Mann“, die daraus entstehen können.
Eine weitere Fragestellung ist für mich, welche Aktivitäten mit Jugendarbeitern, Psychologen oder Institutionen dabei behilflich sein können, ein evt. vorhandenes Entwicklungsmanko auszugleichen oder zu lindern.
Ich gehe von der These aus, dass die Findung einer eigenen männlichen Rolle, der männlichen Geschlechtlichkeit, das „Mannsein“ an sich, ohne Vater stark erschwert ist.
Dieses Thema interessiert mich aus eigenen Gründen, da auch ich ohne Vater aufgewachsen bin. Im Alter von zwei Jahren trennten sich meine Eltern und mein Vater zog in eine andere Wohnung im selben Ort. Ich selbst kann mich nicht mehr an die Zeit erinnern, als mein Vater noch im gemeinsamen Haushalt lebte. Es fehlen mir sämtliche Erinnerungen an diese Zeit. Leider habe ich es nicht geschafft, meinen Vater oder meine Mutter vor ihrem Tod zu fragen, warum sie sich getrennt haben.
Bis zu meinem Alter von 50 Jahren hat es mich nicht interessiert. Im Zuge meiner Ausbildung als „Dipl. Trainer für prozessorientierte Gruppenarbeit“ mussten wir ein Genogramm erstellen. Beim Aufbau des Genogramms habe ich festgestellt, dass ich sehr wenig über meine Ahnen und die Hintergründe der Trennung meiner Eltern weiß. Diese Tatsache beschäftigt mich heute sehr stark und es tut mir sehr leid, dass ich nicht den Mut gefunden habe, mich mit diesem Thema vor dem Tod meiner Eltern zu beschäftigen. Jetzt ist es zu spät und ich habe keine Möglichkeit mehr, sie zu fragen und bin auf Erzählungen von nächsten Verwandten angewiesen.
Es ist mir dabei klar, dass sie mir nur ein Bild aus ihrer Sicht vermitteln können und die Beziehung der erzählenden Person zu meinem Vater eine wesentliche Rolle spielt.
Im ersten Teil meiner Arbeit befasse ich mich mit statistischen Daten über die Entwicklung der Scheidungen und Trennungen der letzten 20 Jahre in Österreich.
Im zweiten Teil gehe ich auf die Rollenverteilung von beiden Elternteilen und auf die Rolle des Vaters in einem Familienverband ein. Es ist mir hier besonders wichtig, die Aufteilung der Rollen zwischen Mutter und Vater bei der Entwicklung von Söhnen herauszuarbeiten, damit die fehlenden Komponenten in dieser Entwicklung klar werden.
Im dritten Teil befasse ich mich mit den Auswirkungen auf die Entwicklung von Söhnen durch das Fehlen des Vaters.
Im vierten Teil untersuche ich verschiedene Möglichkeiten, die Auswirkungen in der Entwicklung von Söhnen ohne Väter auszugleichen oder zu lindern.
Ab Ende meiner Arbeit ziehe ich meine Schlüsse aus den Ergebnissen meiner Untersuchung und vergleiche sie mit eigenen Erfahrungen.
Ich will an dieser Stelle auch klar definieren, dass sich diese Arbeit ausschließlich mit der Bedeutung des Vaters für den Sohn befasst, weil ich nur diese Sichtweise kenne und keinerlei Diskriminierung des weiblichen Geschlechts beabsichtigt ist. Jedoch würde es den Umfang dieser Diplomarbeit sprengen, wenn ich auch über die weibliche Seite Untersuchungen und Nachforschungen anstellen würde.
Bei den Ehescheidungen2 insgesamt ist auf Grund der Entwicklung in den letzten 10 Jahren ersichtlich, dass sich die Trennungsrate von 38,6% auf 49,5% erhöht hat. Das ist ein Steigerungsfaktor von 10,6% innerhalb von 10 Jahren und macht mir die Brisanz des Themas deutlich. Die Trennungsrate beträgt somit schon fast 50%, wo für Kinder in verschiedensten Altersstufen nur mehr ein Teil der Eltern im gemeinsamen Haushalt verfügbar ist und als AlleinerzieherIn für die Entwicklung von Kindern verantwortlich ist. Damit sollen keine/n AlleinerzieherIn diskriminiert, sondern lediglich aufgezeigt werden, dass hier Gefahren von Auswirkungen in der Entwicklung von Kindern gegeben sein könnten. Interessant ist auch der Bereich, nach wie viel Ehejahren im Durchschnitt Trennungen erfolgen. Der höchste Prozentsatz lässt sich zwischen 10 und 25 Ehejahren scheiden. Der zweithöchste Prozentsatz liegt bei unter 5 Jahren. Wenn Kinder aus diesen Ehen vorhanden sind, so sind hauptsächlich Kinder im Vorschulalter oder in der Pubertät von diesen Trennungen betroffen. Laut Statistik liegen die Zahlen der Kinder aus den geschiedenen Ehen bei insgesamt 21.061 Kindern im Jahr 2007. Im Vergleich zu den Geburten von 75.204 Kindern und Kindern aus geschiedenen Ehen von 21.061 Kindern im Jahr 2007 ist dies ein Prozentsatz von 28%, die von nur einem Elternteil aufgezogen werden.
Ehescheidungen von 1955-2010 in Zahlen:
insgesamt |
Eheschließungen |
Ehescheidungen |
1955 |
56.689 |
8.994 |
1960 |
58.508 |
8.011 |
1965 |
56.738 |
8.423 |
1970 |
56.773 |
10.356 |
1975 |
46.542 |
10.763 |
1980 |
46.435 |
13.327 |
1985 |
44.867 |
15.460 |
1990 |
45.212 |
16.282 |
1995 |
42.946 |
18.204 |
2000 |
39.228 |
19.552 |
2005 |
39.153 |
19.453 |
2006 |
36.923 |
20.336 |
2007 |
35.996 |
20.516 |
2008 |
35.223 |
19.701 |
2009 |
35.469 |
18.806 |
2010 |
37.545 |
17.442 |
Ehescheidungen von 1970-2010 in Prozent:
|
in% |
1970 |
18,1 |
1975 |
19,8 |
1980 |
26,3 |
1985 |
30,8 |
1990 |
32,8 |
1995 |
38,3 |
2000 |
43,1 |
2001 |
46,0 |
2002 |
45,2 |
2003 |
44,0 |
2004 |
46,1 |
2005 |
46,4 |
2006 |
48,9 |
2007 |
49,5 |
2008 |
47,8 |
2009 |
46,0 |
2010 |
43,0 |
1 Internet: URL http://www.oif.ac.at/fileadmin/OEIF/FiZ/fiz_2011.pdf, Stand: 12.01.2012
2 Die Gesamtscheidungsrate gibt an, wie groß der Prozentsatz der Ehen ist, die durch eine Scheidung (und damit nicht durch den Tod eines der beiden Ehepartner) enden. Basis für die Berechnung der Gesamtscheidungsrate sind die im jeweiligen Jahr beobachteten Scheidungen, die in Beziehung zu jenen Eheschließungsjahrgängen gesetzt werden, aus denen sie stammen (ehedauerspezifische Scheidungen).
Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wann mein Vater unsere Familie verlassen und sich von meiner Mutter getrennt hat. Aus Mitteilungen meiner Brüder muss ich ca. 2-3 Jahre alt gewesen sein. Ich selbst kann mich nicht mehr an die Anwesenheit meines Vaters im gemeinsamen Haushalt erinnern. Ich kann eben sowenig sagen, wie er sich um mich gekümmert hat, ob er sich über meine Geburt gefreut hat, wie er mit mir umgegangen ist, ob er stolz auf mich als Sohn war oder ähnliche Aspekte. Für mich war er nicht mehr anwesend oder auch anders gesagt, nie anwesend gewesen. Ich verspüre keinerlei Gefühle wie Freude, Trauer, Wut oder Verlassenheit, wenn ich zurückdenke an mein Kleinkindalter. Ich habe auch nie mit meiner Mutter gesprochen, warum sie sich getrennt haben. Irgendwie war immer eine Barriere in meinem Innern da und ich habe mich nicht getraut, aktiv mit meiner Mutter darüber zu reden und nach den Gründen zu fragen. Mein Kontakt zu meinem Vater begann erst ab dem Schulalter. Immer wenn ich mit meinem Zeugnis nach Hause gekommen bin, musste ich zu meinem Vater in die naheliegende Firma, wo er als Facharbeiter tätig war, um das Zeugnis unterschreiben zu lassen. Meine Mutter hat mir erklärt, dass sie nicht geschieden waren, sondern lediglich getrennt lebten und mein Vater der Erziehungsberechtigte war. Diese Vorgangsweise habe ich nie so richtig verstanden. Heute sehe ich es als einen Versuch meiner Mutter, wenigstens noch eine minimale Kontaktmöglichkeit zu meinem Vater herzustellen. Das ist ihr auch damit gelungen. Meine Erinnerung zu diesen Treffen ist heute noch sehr positiv und ich sehe die Bilder noch in mir, als wenn es gestern gewesen wäre. Ein kleinerer, aber kräftiger Mann mit einem sehr markanten Gesicht und sehr rohen und verarbeitenden Händen, dunklen Haaren, immer ein Lächeln auf dem Gesicht, wenn wir uns getroffen haben, eine dunkle, kräftige und wohl tönende Stimme und einen kräftigen Händedruck, wenn wir uns begrüßt haben. Ich kann mich auch noch daran erinnern, dass ich immer eine Ovomaltine aus dem Automat bekam, was zu dieser Zeit für mich ein großes Geschenk war. Er hat mich dann immer gefragt, wie es mir in der Schule geht, was ich in meiner Freizeit mache und dabei immer wieder über mein Haar gestrichen und mich gehalten. Diese Berührungen jagen mir heute noch einen freudigen Schauer über meinen Rücken, wecken aber auch Wehmut und Sehnsucht nach dieser Zeit in mir.
In weiterer Folge haben wir uns ab und zu bei Bergtouren oder beim Schifahren eher zufällig getroffen und er hat mich immer eingeladen zu einem Essen oder einem Getränk oder wir haben uns beim Schifahren gemessen, wer schneller wieder beim Einstiegspunkt am Schilift ist. Wenn ich wieder einmal zu Fuß mit meinem Schiern unterwegs war, weil das Geld nicht für den Lift reichte, vermittelte er mir immer einen kleinen Job mit „Bügel geben“ für eine Stunde und dann konnte ich den Rest des Tages kostenlos fahren. In seinem Rucksack hatte er immer eine kleine Jause dabei und für mich fiel immer auch etwas ab. Ich kann mich auch noch genau erinnern, dass ich mit meiner Mutter beim Schifahren war und er mich bei der Abfahrt ins Tal auf die Schultern genommen hat und wir dann gemeinsam ins Tal abgefahren sind. Dabei hatten wir einen Sturz und ich bin im hohen Bogen in den Schnee geflogen. Wir haben beide nur gelacht. Er hat mich wieder auf die Schultern genommen und wir sind weitergefahren. Im Hauptschulalter ist dann unser Kontakt abgebrochen und wir haben uns nur noch selten und nur zufällig getroffen.