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Ewgenij Titow

Die
Sibirische
Zeder

Die »Königin der Taiga« und
die Kostbarkeiten der Zedernnüsse

Aus dem Russischen übersetzt von Jana Heiß

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Titel der Originalausgabe: Кедр – царь сибирской тайги

Copyright der Originalausgabe © Колос, 2007

Copyright © der deutschen Ausgabe Verlag »Die Silberschnur«, 2019

Alle Rechte vorbehalten.

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ISBN 978-3-89845-624-1

eISBN 978-3-89845-728-6

1. Auflage 2019

Übersetzung: Jana Heiß

Umschlaggestaltung: XPresentation, Güllesheim; unter Verwendung

verschiedener Motive von © inxti und © Sergei Denisov;

www.shutterstock.com

Verlag »Die Silberschnur« GmbH

Steinstraße 1 · D-56593 Güllesheim

www.silberschnur.de · E-Mail: info@silberschnur.de

Inhalt

Vorwort

Im Zedernwald wird zu Gott gebetet!

Die Verwandten der Sibirischen Zeder

Das Schicksal der Zeder in Russland

Die wichtigste Nussbaumart Russlands

Zeder, meine gefallene Heldin

Der Wiederaufbau der Nussindustrie

Nützliches Wissen über die Zeder

Die Samenproduktion der Zedernwälder

Die Aufzucht von Zedern

Auslese und Behandlung der Samen

Aufzucht der Sämlinge

Aufzucht der Setzlinge

Vegetative Vermehrung der Zirbelkiefer

Aus dem Leben einer Zeder

Schlusswort

Über den Autor

Literaturverzeichnis

Abbildungen

Meinen edelmütigen und dankbaren

Zedernfreunden gewidmet …

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Vorwort

Auf dem eurasischen Kontinent hat die Natur einzigartige fruchttragende Nadelbaumarten aus der Gattung der Kiefer (Pinus) hervorgebracht. Es handelt sich dabei um die sogenannten Nordzedern, zu denen die Sibirische Zirbelkiefer (Sibirische Zeder), die Europäische Zirbelkiefer (Europäische Zeder) und die Koreanische Zirbelkiefer (Korea-Zeder) zählen.

Die mehr symbolische Bezeichnung “Zeder” erhielten diese Bäume aufgrund ihrer äußerlichen, aber nicht biologischen Gemeinsamkeiten mit den mächtigen Südzedern wie der Libanon-Zeder, der Atlas-Zeder und der Himalaya-Zeder, die tatsächlich zur Gattung der Zeder (Cedrus) gehören und echte Zedern sind. Doch bereits seit vielen Generationen wird die Sibirische Zirbelkiefer in ihrer Heimat Russland Zeder genannt, was auch in der Wissenschaftsund Unterhaltungsliteratur fest etabliert und allgemein anerkannt ist, obwohl der Name aus botanischer Sicht natürlich nicht korrekt ist. Er ist aber so geläufig, dass es unsinnig erscheint, die Sibirische Zeder Kiefer zu nennen. Europäische Botaniker und die Bevölkerung der Bergregionen Mittel- und Südeuropas unterschieden die Europäische Zirbelkiefer schon immer von der gewöhnlichen Kiefer. Aus diesem Grund existieren in verschiedenen europäischen Sprachen und Dialekten viele eigenständige oder volkstümliche Bezeichnungen für die Europäische Zeder.

In Russland wurde der Zeder ein besonderes und hartes Schicksal zuteil. Die Sibirische Zeder und die Korea-Zeder, die sowohl die Menschen als auch die vielseitige Tierwelt der Taiga mit wunderbaren Nüssen reich beschenken, wurden, genau wie die Tanne und die Fichte, viele Jahrzehnte lang geringgeschätzt und als Bauholz gefällt.

Wird sie nicht gefällt, wird eine Zeder in ihrem jahrhundertelangen Leben Zeuge von den Vorzügen wie auch von den Lastern der menschlichen Gesellschaft: Sie beobachtet die Staatskunst der Zaren und Anführer des Landes auf der einen und die Ignoranz verschiedener Amtsträger im Umgang mit Ressourcen auf der anderen Seite. Sie sieht die bewusste Nutzung vieler Reichtümer der Zedernwälder der Taiga und die verschwenderische Zerstörung, die rein industrielle Nutzung des nusstragenden Baumes als Baumaterial. Sie ist Zeuge des leidenschaftlichen Schutzes, der ihr von Spezialisten wie Forstwirten und der wissenschaftlichen Gemeinschaft zuteil wird, und leider auch von Holzdiebstahl durch gierige Waldarbeiter. Sie hat das gesetzliche Verbot industrieller Abholzung im Jahr 1990 erlebt sowie dessen spätere Aufhebung nach dem modernen Prinzip “Fortschritt, der mit Profit einhergeht”. Dieser Ausdruck wurde vom Schriftsteller Leonid M. Leonow, Autor des Buches “Der russische Wald”, geprägt.

Die Sibirische Zeder ist ein Inbegriff von Schönheit. Sie ist majestätisch, wunderschön und sorgt bei Menschen mit Sinn für Ästhetik zu jeder Jahreszeit für Ergriffenheit. Die große Vielfalt ihrer dekorativen Möglichkeiten ist eine wahre Fundgrube für die Landschafts- und Gebäudebegrünung, die Bepflanzung von Vorgärten, um nur einige Beispiele zu nennen. In Russland gibt es keine andere Baumart, die, auch in ihrer Vielfalt an nützlichen Eigenschaften, der Sibirischen Zeder gleichkommt. Dieser farbenreiche, immergrüne Gigant der Taiga dient nicht nur der forstwirtschaftlichen Produktion, sondern verfügt auch über ein breites Spektrum an heilenden Wirkungen. Heilkräfte sind in den Nüssen, den Nadeln, dem Harz (Terpentin), dem Holz und der sterilen Zedernluft, die vom Duft der ätherischen Öle und des Balsams erfüllt ist, enthalten. Es ist sogar durchaus anzunehmen, dass die langlebigen Zedern mit ihren weit zum Himmel geöffneten Baumkronen kosmische Energie speichern und möglicherweise beim Kontakt mit einem Menschen dessen Bioenergetik verändern und Lebensenergie erhöhen.

Das Kostbarste an diesem Baum sind aber seine bereits erwähnten Zedernnüsse, bei denen es sich um ein sehr kalorienreiches Produkt mit hoher Bioaktivität handelt. Die Zedernnüsse waren einst eine wichtige wirtschaftliche Ressource Russlands. In den letzten Jahren wurden sie aufgrund der Massenzerstörung der ertragreichen Zedernwälder, der niedrigen Samenproduktivität, des hohen Alters der übrig gebliebenen Bäume und der zeitaufwendigen Gewinnung unter den schweren Bedingungen in der Taiga zu einer raren und teuren Ware. Das Wiederaufleben der Massenproduktion von Zedernnüssen und die Deckung des wachsenden Bedarfs an diesem einzigartigen Nahrungs- und Heilprodukt sowie dem daraus gewonnenen Zedernöl hängt mit der Schaffung von hochergiebigen Zederngärten, Zedernplantagen und der Anpflanzung von Zedern sowohl in ihren natürlichen Wachstumsgebieten als auch in ihr nicht heimischen Gebieten zusammen.

Auf diese und weitere Themen möchte ich in allgemeinverständlicher Form in diesem Buch eingehen. Es erzählt von dem schweren Schicksal des Wunderbaumes in Russland und von seinen positiven Eigenschaften, aus denen jeder Mensch einen Nutzen ziehen kann, indem er die Zedernwälder der Taiga besucht, einen Zederngarten anlegt oder auch nur einige wenige Zedern anpflanzt und aufzieht. Dies ist zudem das erste Buch über die große Bedeutung und die Errungenschaften der Plantagenaufzucht von Zirbelkiefern zu verschiedenen Zwecken. Die Nutzung dieses Wissens ermöglicht es, ertragreiche Zederngärten zu schaffen und Zedern nicht nur in Russland, sondern auch in Europa anzupflanzen. Mein Buch richtet sich daher an Forstarbeiter, Züchter, Nussbaumexperten, Gärtner sowie an neugierige, außergewöhnliche und gutherzige Menschen, die die Schönheit und Kostbarkeit der Natur zu schätzen wissen. Schützt und vermehrt den Reichtum der Zedern! Pflanzt Zedern an und gebt das Wissen über sie weiter. Sie werden euer Leben verschönern und verlängern.

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Im Zedernwald wird zu Gott gebetet!

Der Anblick von Zedern ist faszinierend. Mächtige, schokoladenfarbene Stämme sind von weichen, dunkelgrünen Nadelbüscheln umsäumt. In 30 Metern Höhe sind sie mit einer breiten, mit Zapfen übersäten Krone geschmückt. Die Entdecker Sibiriens, die Kosaken, waren von diesem wunderschönen Baum verzaubert. Sie nannten ihn Sibirische Zeder, da er in seiner äußeren Gestalt große Ähnlichkeit mit der echten Zeder – dem majestätischen Baum in Kleinasien und in angrenzenden Gebieten, welchen die Kosaken nur vom Hörensagen kannten – aufweist. Zwischen der Zeder und der Kiefer gibt es aber signifikante ökologische und biologische Unterschiede: Im Gegensatz zu den echten Zedern (Libanon-, Himalaya- und Atlaszeder), die wärmeliebend sind und keine essbaren Samen tragen, bringen die winterharten Nordzedern auch essbare Nüsse hervor. Trotzdem hat es sich eingebürgert, die Zirbelkiefer Zeder zu nennen, diese Bezeichnung wird bereits seit einigen Jahrhunderten in der wissenschaftlichen Terminologie verwendet.

Die erhabene und zugleich melancholische Schönheit der Königin der sibirischen Taiga wird in einem russischen Sprichwort zum Ausdruck gebracht: “Im Kiefernwald wird gearbeitet, im Birkenwald wird gelacht und im Zedernwald wird zu Gott gebetet.” Mönche waren die Ersten, die der Fähigkeit der Sibirischen Zeder, den Geist zu stärken, Wertschätzung und Anerkennung entgegenbrachten. Vor über 400 Jahren legten sie auf dem Gebiet des ehemaligen Tolga-Klosters, das 1314 in der Nähe der Stadt Jaroslawl errichtet worden war, den sowohl in Russland als auch in Europa ersten Zedernhain an. Mit einem glücklichen Händchen und Gottes Segen brachten die Mönche diese Nadelbäume auch in andere Klöster, wo sie Gärten, Parks und Höfe verschönerten.

Die Sibirische Zirbelkiefer (Pinus sibirica) ist auf dem russischen Boden weit verbreitet: Sie ist von der Republik Komi bis nach Jakutien und vom Polarkreis bis zur russischen Landesgrenze in West- und Ostsibirien zu finden. Ihr Verbreitungsgebiet umfasst die nordöstlichen Gebiete des europäischen Teils von Russland, den nördlichen und mittleren Ural sowie West- und Ostsibirien. Sie gedeiht in äußerst unterschiedlichen Umwelt- und Klimaverhältnissen sowie in Flach- und Bergland, worauf ihre große intraspezifische Variabilität zurückzuführen ist. Das Verbreitungsgebiet der Sibirischen Zeder erstreckt sich von West nach Ost auf einer fast 4500 Kilometer langen Geraden, vom Unterlauf des Flusses Wytschegda bis zum Aldanhochland, und von Nord nach Süd auf 2700 Kilometer Länge von der Stadt Igarka am Unterlauf des Jenissei bis zum Oberlauf des Orchon in der Mongolei.

Außerhalb von Russland wächst die Sibirische Zeder nur im Gebiet Ostkasachstan und in der nördlichen Mongolei. In diesen Gebieten gedeiht sie auf einer Fläche von etwas über 400 000 Hektar, in Russland nimmt ihr Bestand eine Fläche von etwa 36 Mio. Hektar ein.

Die westliche Grenze, die das Verbreitungsgebiet der Sibirischen Zeder markiert, verläuft vom Ural Richtung Nordwesten durch das Gebiet zwischen den Flüssen Tschussowaja und Ufa, kreuzt den Fluss Kama und reicht bis an den Unterlauf der Wytschegda. Hier befinden sich die westlichsten, natürlich wachsenden Zedernwälder dieser Art auf der osteuropäischen Ebene. Von hier aus nimmt der Grenzverlauf eine Wendung in nördliche Richtung und erstreckt sich anschließend nach Nordosten in Richtung des Flusses Petschora.

Bei dieser Grenze im Westen, die das Areal der Sibirischen Zeder markiert, handelt es sich jedoch nicht um eine klimatische Grenze. Auch über diese Linie hinaus wachsen auf dem europäischen Teil des Landes erfolgreich künstlich herangezüchtete Zedernwälder. Diese gibt es nicht nur in den an das Verbreitungsgebiet angrenzenden Regionen, sondern auch weiter westlich gelegen, wie in der Wolgaregion, in Zentralrussland und in der Zentralen Schwarzerde-Region.

Die Sibirische Zeder stellt relativ hohe Ansprüche an die Luftfeuchtigkeit und verträgt nur moderate Temperaturschwankungen. Das Bedürfnis nach einer höheren Boden- und insbesondere Luftfeuchtigkeit ist aber die einzige ökologische Kapriole der Zeder. Die Sibirische Zeder ist ein Mesophyt und kommt daher vor allem in mäßig feuchten Gebieten vor.

Die Art ist weitgehend frosthart und gedeiht innerhalb eines relativ großen Temperaturbereichs. Im Winter kann die Temperatur im nördlichen Verbreitungsgebiet, wie in den Bergen Ostsibiriens, auf bis zu -50 Grad Celsius sinken. Selbst Frost im späten Frühling oder frühen Herbst schadet den vegetativen Organen des Baumes nicht. Die generativen Organe (weibliche und männliche Zapfen) können jedoch unter Umständen in einem frühen Entwicklungsstadium Schaden nehmen, wenn die Temperaturen im Frühjahr zu tief sinken. Auch wenn die Zeder mit niedrigen Graden gut zurechtkommt, liebt der Baum doch die Wärme, z. B. in den Niedergebirgen des Altai und Sajan. Genau hier entwickeln sich die Zedern am besten und leben am längsten. In der dunklen Taiga im Nordosten des Altai wurden auf einer Höhe von 400 Metern über dem Meeresspiegel bis zu 45 Meter hohe Zederngiganten mit einem Durchmesser von bis zu knapp 2,5 Metern gefunden. Sie waren zwischen 800 und 850 Jahre alt (Abb. 1, S. 130).

Freistehend bilden die Bäume eine abfallende, prächtige, breite und besonders fruchtreiche Krone aus. In der oberen Hälfte der Krone entwickeln sich die weiblichen Zapfen, in der unteren Hälfte wachsen die männlichen “Ährchen”, also die Pollenspender. Zedern sind folglich einhäusig, sie bestäuben sich selbst mit ihren eigenen Pollen, die vom Wind verteilt werden und sich in gelben Wellen auch über beträchtliche Entfernungen hinweg verbreiten.

An den Boden stellt die Zeder keine großen Ansprüche. Bei ausreichender Feuchtigkeit kann sie auf den verschiedensten Böden gedeihen, auch auf sandigen und steinigen Böden sowie auf Schwarzerde. Am besten wächst sie auf fruchtbaren, stark drainierten, lehmigen und sandigen Böden mit guter Bodenstruktur und ausreichend Feuchtigkeit.

Der Art und Beschaffenheit des Bodens hat auch einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung des Wurzelsystems. In feinem Untergrund breiten sich die Wurzeln meist in den oberen Schichten aus, während sich in gut drainierten Böden mit feiner mechanischer Zusammensetzung starke Ankerwurzeln bilden, die zwei bis drei Meter tief in den Grund vordringen. Zusammen mit den dicken Wurzelauswüchsen stützen sie zuverlässig den mächtigen, mehrere Tonnen schweren oberirdischen Teil des Baumes. Das für diese Art charakteristische Wurzelsystem ist nach circa 40 Jahren vollständig ausgebildet; danach werden die Wurzeln, je nach Wachstumsbedingungen, nur noch länger und dicker. Bei freistehenden Zedern reichen die Wurzeln weit über die Größe der Krone hinaus und breiten sich gleichmäßig aus. Wächst die Zeder in einem Wald, wachsen ihre Wurzeln jedoch nur selten über die Fläche der Kronenprojektion hinaus.

Das ökologische Optimum für diese Art bildet die Subzone der südlichen Taiga und der Gürtel des Niedergebirges (dunkler Gürtel) der Altai-Sajan-Bergregion mit fruchtbaren Böden und den besten hydrothermischen Bedingungen.1 Unter diesen Bedingungen werden die produktivsten Samen in Hinblick auf das Wachstum und den biologischen Ertrag gebildet. Auch die Zedernwälder im unteren Mittelgebirge des Nordost-Altais zeichnen sich durch eine hohe Samenproduktivität aus. In diesen Regionen ist der wertvollste Genpool dieser Art zu finden – mit einer relativ hohen Konzentration an seltenen Genotypen in Bezug auf Ertragsfähigkeit, Wachstumsgeschwindigkeit, Schönheit, Harzertrag und andere wertvolle Eigenschaften (Abb. 2, S. 131).

Das Altai-Gebirge gilt als die Heimat der Sibirischen Zeder, hier tritt sie in ihrer ganzen Pracht in Erscheinung. Eintönigkeit ist in den Zedernwäldern nicht anzutreffen. Dämmerlicht und Kühle beherrschen die niedrig gelegenen, mit hohem Gras bewachsenen Zedern-Fichten-Wälder der (dunklen) Taiga, wo riesige, 30 bis 35 Meter hohe Stämme von eineinhalb bis zwei Meter Durchmesser mit mächtigen Baumkronen von einem stabilen Wurzelsystem getragen werden. Bei freistehenden Bäumen entsteht eine außerordentlich dekorative, kandelaberartige Krone, wie sie bei keiner anderen Nadelbaumart zu finden ist. Die nach oben gebogenen Enden der Zweige verleihen der Zeder ihre typische Erscheinung und lassen sie Leichtigkeit, Entschlossenheit sowie Vollkommenheit ausstrahlen.