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»Ich liebe jeden Aspekt des Filmemachens, und ich denke, das ist meine Lebensaufgabe.«

Clint Eastwood

Es wurde immer kurioser, als ich den Namen »Clint Eastwood« fallen ließ.

Die eine sagte: »Hat der nicht Brücken am Fluss gedreht? Das war ein wirklich toller Film.« »Mit Meryl Streep.« »Ja – die ist einfach großartig!«

Der Zweite: »Dieser Western, wie hieß der noch? Der lief doch bei 3Sat oder Arte, Hängt ihn höher, der ist doch auch von ihm, oder?«

Nummer drei: »Ich sage nur: ›Spaghetti Western‹! Wie hieß er da noch mal – Brandy? … Blandy?« »Blondie. Zwei glorreiche Halunken.« »Genau. Und der andere, der hieß wie … wie … – wie Taco, nur anders. Hat der nicht auch in Psycho mitgespielt?« »Tuco. Ah, und du verwechselst da was. Den Tuco hat Eli Wallach gespielt. Und in Psycho war Martin

Die Erste: »Ist von dem nicht auch Gran Torino? Wo er diesen Alten spielt, in dieser Nachbarschaft, die vor die Hunde geht, und wo er am Ende stirbt? Dirty Harry in alt, aber ganz anders als Dirty Harry. Und Million Dollar Baby?! Das ist doch auch von ihm, oder?«

Ich warf noch die Stichworte Der Texaner (keine Reaktion) und Magnum (die Handfeuerwaffe, nicht der Privatdetektiv im Hawaiihemd) ein. Das Clint-Eastwood-Quiz wurde merklich ruhiger. Weil die anderen nicht mehr mitkamen:

Wie viele Dirty-Harry-Filme gab es eigentlich? Und in welchem schoss er mit einer Harpune? (Fünf; und: im letzten, Das Todesspiel.)

Drehte er nicht auch einen Kriegsfilm, bei dem die Helden gar keine Helden sind? (Flags of Our Fathers erzählt den Kampf, besser: die Schlächterei während des Zweiten Weltkriegs um die winzige Pazifikinsel Iwojima aus US-amerikanischer Perspektive. Und gleich im Anschluss drehte Eastwood mit Letters from Iwo Jima die Geschichte ein weiteres Mal, aus japanischer Perspektive.)

Und was mit einem Affen? (Es war ein Orang-Utan. Und es waren zwei verschiedene Orang-Utans. Und zwei Filme. Der Mann aus San Fernando. Und Mit Vollgas nach San Fernando.)

Gab es da nicht auch etwas mit einem Flugzeug? (Sully)

Und mit einem Raumschiff und Astronauten im Rentneralter, die ins All fliegen – da war doch auch der aus Auf der Flucht dabei? (Space Cowboys; und, ja, die zweite Hauptrolle übernahm Tommy Lee Jones.)

Hat Eastwood eigentlich jemals Oscars bekommen? (Hat er. Vier.)

Clint Eastwood 1995 in Die Brücken am Fluss (lächelnd!)

Die Fragen wurden ab der nächsten Runde schwieriger, bald saßen sie da, ratlos, überrascht vom Spektrum an Filmen, Rollen, Themen und Motiven, das sich nach und nach entfaltete, erst die letzte Frage wurde richtig beantwortet:

Wie hieß der erste Liebesfilm, bei dem Eastwood Regie führte? Wie der Regisseur, von dem er sich Effizienz beim Drehen abschaute? Wie lautete der dümmliche deutsche Titel von Play Misty for Me? Und was spielte Eastwood darin: einen Gärtner, einen Radiomoderator oder (Suggestivfrage) einen Polizeiinspektor? In welchem Film verkörperte er einen Prediger und wurde um ein Haar von einem jungen Kerl in einem Sportwagen überfahren, der drei Jahre zuvor, mit 20, schon für einen Oscar nominiert worden war? Und welcher Schauspieler durfte bei Eastwood einen fiesen Psychopathen spielen, obwohl er ansonsten auf Klamauk und sentimentale Geschichten mit Tieren und Töchtern festgelegt war, und machte das zum Fürchten gut? Zum Schluss gab es eine leichtere Frage: Welchen hart trinkenden Filmregisseur verkörperte Clint Eastwood in einer Film-Hommage, einem seiner persönlichen Lieblingsfilme, der an den Kinokassen floppte? Kleiner Tipp: Dieser Regisseur hatte mehrfach mit Humphrey Bogart zusammengearbeitet und mit diesem unter anderem Die Spur des Falken und Gangster in Key Largo gedreht.

(Hier die Auflösung: Begegnung am Vormittag / Breezy. Don Siegel. Sadistico – Wunschkonzert für einen Toten. Radiomoderator. Die Letzten beißen die Hunde / Thunderbolt

 

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Einige Regisseure, formulierte der Filmkritiker Pascal Mérigeau zum Niederknien schön, machen Filme in der Art und Weise, wie sie denken, andere, wie sie träumen – er meinte Federico Fellini –, wieder andere so, wie sie sprechen (und traf damit den New Yorker Martin Scorsese ziemlich genau).

Clint Eastwoods Filme, analysiert Mérigeau, seien hingegen so, wie er geht. Natürlich, ungezwungen, mit Schritten, die abgemessen, aber nicht zwanghaft kalkuliert sind, Schritte, die eher über den Boden gleiten als ihn berühren – und dies, während er mit einem warmen und ruhigen Blick alles um sich herum in Augenschein nimmt, dabei leicht lächelt, wobei das Lächeln nicht ironisch ist und auch nicht distanziert-distanzierend, sondern signalisiert: Hier hat jemand viele Gedanken im Kopf und spricht nur einen Bruchteil davon aus. Und das seit Jahrzehnten.

Denn mit seiner Karriere hat Clint Eastwood mittlerweile Rekorde aufgestellt. Seit mehr als sechs Jahrzehnten ist er in Hollywood aktiv. Er ist der letzte Regisseur bedeutender Westernfilme der 1960er, 1970er und 1980er Jahre, der im 21. Jahrhundert noch arbeitet. Er ist der erfolgreichste Schauspieler-Regisseur-Produzent der Filmgeschichte. Der Rolling Stone-Journalist Tim Cahill rechnete das 1985 aus – ohne zu ahnen, dass die Karriere 35 Jahre später noch immer nicht vorbei wäre –: »Seit 1955 haben seine 40 Filme mehr als 1,5 Milliarden US-Dollar eingespielt, eine Zahl, die an das Bruttosozialprodukt von Ländern wie Malta, Mauretanien, den

»I’m a storyteller.« So bezeichnet sich Clint Eastwood gern. Als Geschichtenerzähler. Und tatsächlich: Seine Filme handeln vom Geschichtenerzählen. Von Dramen. Auch von den Dramen des Alterns und damit einhergehender Veränderungen des Blicks auf die Welt, die Menschen und deren Beziehungen zu- und untereinander. Und vom Tod. Letzteres auch durch Gewalt. Dinge, die sich bei Eastwood berühren, in Brechungen, in Brüchen. In der Verschmelzung von Genres, von cop movie und Western etwa, verhandeln sie zugleich ihre eigene Zeit. Sind deren Spiegel und Zerrspiegel. In gewaltaffiner Übertreibung. In detailgetreuer Abbildung. Und: mit emotionalem Tiefgang.

Keineswegs übertrieben ist der Untertitel von David Sterritts Monographie The Cinema of Clint Eastwood: »Chronicles of America«. Amerikanische Chroniken, das sind Eastwoods Filme. Americana. Amerikanische Passionsgeschichten. Die aber nicht erst seit 1992, seit Erbarmungslos (Unforgiven), globale Themen verhandeln, hochmoralische und philosophische. So ist es nur folgerichtig, dass amerikanische Filmwissenschaftler einen Band der Philosophie Clint Eastwoods widmeten.

Sind die Figuren, die Helden, die Eastwood spielt, nicht ambivalent, oft angeknackst oder gebrochen? Ja, sind es überhaupt noch Helden? »Von Beginn an«, schreibt Georg Seeßlen, »lebt und kämpft der Eastwood-Held auf des Messers Schneide, er ist ein ebenso verzweifelter Dissident wie militanter Rechtsanarchist; zur Selbstjustiz braucht er nicht einmal solche ideologischen und sentimentalen Legitimationen wie Charles Bronson. Er schießt Menschen tot, das ist seine Passion. Aber

Mit großer ökonomischer Raffinesse – zeitökonomische Effizienz schlägt sich beim Regisseur Eastwood in bemerkenswert kurzen Drehzeiten nieder, 35 bis höchstens 39 Tage – wechseln sich bei ihm kommerzielle Arbeiten ab mit Filmen, die thematisch eher riskant anmuten.

Zugleich verhilft er Schauspielerinnen und Schauspielern zu Glanzrollen: Hilary Swank in Million Dollar Baby (2004), Kevin Costner in A Perfect World (1993), Forrest Whitaker in Bird (1988), Tim Robbins in Mystic River (2003) oder Jeff Daniels in Blood Work (2002), einem Film, den die Kritik nicht mochte, unverdientermaßen, wie ich finde, und das Publikum auch nicht, was ich für noch unverständlicher halte. Und mehrfach Morgan Freeman.

Filmpartner wie Telly Savalas, Gene Hackman oder John Malkovich nutzten seinen kaum einen Gesichtsmuskel verziehenden Stoizismus, um exzessiv dagegenzuhalten. Die New Yorker Filmkritikerin Pauline Kael, die Eastwoods Filme mit Hohn begleitete, stufte ihn einmal als Absolventen der Mount Rushmore School of Acting ein, der Mount-Rushmore-Schauspielschule, womit sie das gewaltige Bergmonument in South Dakota meinte, aus dem steinerne Riesenköpfe von vier US-Präsidenten herausgeschlagen wurden.

»The Last of the Independents«. Als dies Don Siegel 1973 in seinem Film Der große Coup (Charley Varrick) auf den Firmenwagen Varricks, verkörpert von Walter Matthau, pinseln ließ, hätte er damit noch nicht den damals 43-jährigen

Mit Clint Eastwood zu arbeiten, war, wie mit einer gut geölten Maschine zu arbeiten. Um ihn sind all diese Leute, mit denen er schon so lange zusammenarbeitet. Ich glaube, ich kann mich ehrlich nicht daran erinnern, täglich länger als bis vier Uhr nachmittags gearbeitet zu haben. Und wir haben nie mehr als zwei Takes gebraucht.

Diese Vertrautheit lässt sich an Beispielen festmachen. Seit den frühen Siebzigern hat Eastwood mit nur drei Kameramännern zusammengearbeitet, mit Bruce Surtees, Jack N. Green und Tom Stern. Er vertraute nur vier Cuttern: erst Ferris Webster, dann über 30 Jahre lang Joel Cox plus Gary D. Roach und 2016 Blu Murray, Sohn eines Sound Editors, der seinerseits seit langem zum Eastwood-Team gehört. Von 1973 bis 2006 war nur ein Production-Designer für ihn tätig, der 1915 geborene Henry Bumstead. Und von 1982 bis 2006 nur eine Casting-Direktorin, Phyllis Huffman.

 

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Wohl noch überraschender dürfte sein, dass er, als Konservativer in Hollywood eher politischer Außenseiter – unrühmlicher Tiefpunkt war ein skurriler Auftritt im Jahr 2012 auf der Republican National Convention, dem Landesparteitag der Republikanischen Partei der USA, bei dem er auf dem Podium einen leeren Stuhl ins Kreuzverhör nahm, der Präsident Obama verkörpern sollte (sehr rasch bedauerte Eastwood diese spontane Idee und nannte den Auftritt »this silly thing«) –, in nicht wenigen Filmen liberale Positionen einnimmt, freiheitliche und individualistische, nicht nur gemeinschaftsstützende, sondern gemeinschaftskreierende und jeder Gewalt zuwiderlaufende.

Kindheit, Familie, Karriereanfänge

Gewaltlos fing alles an, sehr normal. Im Kleinbürgertum, das von Weltwirtschaftskrise und der Rezession im Amerika der 1930er Jahre gebeutelt wurde. So auch die Familie von Clinton Eastwood Junior, geboren am 31. Mai 1930 in San Francisco. Sein Vater zog mit der bald vierköpfigen Familie – Clints Schwester Jeanne wurde im Januar 1934 geboren – durch

(Clint Eastwood)