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Nr. 3077

 

Unter dem Weißen Schirm

 

Die Cairanerin fürchtet um ihren Sohn – und muss die Terraner jagen

 

Verena Themsen

 

 

 

PERRY RHODAN KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Privates Verhörprotokoll Dupa Emuladsu, Teil I

1. Im Senkenwald

Privates Verhörprotokoll Dupa Emuladsu, Teil II

2. Orsaidd

Privates Verhörprotokoll Dupa Emuladsu, Teil III

3. Chalcai

Privates Verhörprotokoll Dupa Emuladsu, Teil IV

4. Gartengeplauder

Privates Verhörprotokoll Dupa Emuladsu, Teil V

5. Internierungshaus

Privates Verhörprotokoll Dupa Emuladsu, Teil VI

6. Senkenwald

Privates Verhörprotokoll Dupa Emuladsu, Teil VII

7. Institut für Biodiversität

Privates Verhörprotokoll Dupa Emuladsu, Teil VIII

8. Institut für Informationskreatech

Privates Verhörprotokoll Dupa Emuladsu, Teil IX

9. Räume und Wartungsschächte

Privates Verhörprotokoll Dupa Emuladsu, Teil X

10. Chiones Zelle

11. Enzephalotronik

Fanszene

Leserkontaktseite

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner, die ihre Erde und das Sonnensystem hinter sich gelassen haben. In der Unendlichkeit des Alls treffen sie auf Außerirdische aller Art. Ihre Nachkommen haben Tausende Welten besiedelt, zahlreiche Raumschiffe fliegen bis zu den entlegensten Sternen.

Perry Rhodan ist der Mensch, der von Anfang an mit den Erdbewohnern ins All vorgestoßen ist. Nun steht er vor seiner vielleicht größten Herausforderung: Er wurde vorwärts durch die Zeit katapultiert und findet sich in einem Umfeld, das nicht nur Terra vergessen zu haben scheint, sondern in dem eine sogenannte Datensintflut fast alle historischen Dokumente entwertet hat.

Nachdem er in der fernen Galaxis Ancaisin einen Weg fand, die sogenannte Zerozone zu betreten und womöglich eine Fährte Terras zu finden, begibt sich sein Raumschiff RAS TSCHUBAI ohne ihn auf den weiten Rückweg in die Milchstraße. Mit sich nimmt die Besatzung die Erkenntnis, dass die Cairaner, die sich als Herrscher der Heimatgalaxis aufspielen, nichts anderes sind als Flüchtlinge vor einer weitaus schrecklicheren Gefahr: den Phersunen und ihrer Schutzmacht, der »Kandidatin Phaatom«.

In der Milchstraße wird der Vorstoß Atlans nach Arkon von einer entsetzlichen Tragödie überschattet: Gucky wird ermordet. Und unweit des abgeriegelten Arkonsystems materialisiert ein gigantisches Objekt. Die Rede ist vom Sternenrad der Cairaner: Eine Spionagemission dort endet UNTER DEM WEISSEN SCHIRM ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Chione McCathey – Die Wissenschaftlerin spielt das Spiel ihres Lebens.

Dupa Emuladsu – Die Psychologin fürchtet um ihren Sohn.

Lionel Obioma – Der Hyperphysiker ist vorsichtig pessimistisch.

Dancer und Schlafner – Die Geschwister agieren erneut in Maske.

Der TARA-Psi – Der Roboter teilt sein Geheimnis

Privates Verhörprotokoll Dupa Emuladsu, Teil I

 

»Es tut mir leid, dass ich dir das hier nicht ersparen kann.«

»Mach dir darüber keine Sorgen. Ich habe damit gerechnet.«

»Hattest du keine Angst vor den Verhören?«

»Ich bin eine führende Wissenschaftlerin. Man verhört mich ständig, egal ob ich Prognosen zum Verlauf einer kosmischen Katastrophe abgeben oder nur meinen Budgetantrag begründen soll.«

»Das ist zwar eine amüsante Sicht der Dinge, aber wohl kaum mit deiner jetzigen Situation vergleichbar. Du bist ein ungebetener Eindringling und musst daher als Feind eingestuft werden. Mit Feinden geht niemand sanft um.«

»Du weißt nicht viel über den Umgang unter Wissenschaftlern, oder?«

1.

Im Senkenwald

 

Obioma lehnte sich gegen die kahle, von Wasser und Wind riffelig geschliffene Felswand ihres neuen Verstecks und seufzte.

»Ich mache mir Sorgen um Chione.«

Der TARA-Psi hatte sie erneut in einen Senkenwald gebracht, dieses Mal einen, der im Randbereich mit schroffen Sandsteinklippen durchsetzt war. Regen und Wind hatten das Gestein zerfurcht und tiefe Riefen hinterlassen, in denen Pflanzen Fuß gefasst und sich lange Rankenteppiche gebildet hatten.

Einer dieser Teppiche hing von der Kante des Überhangs, unter dem sie saßen, und schützte sie gemeinsam mit dem dichten Gestrüpp am Boden vor den Blicken abenteuerlustiger Waldwanderer. Zwar waren Passanten eher unwahrscheinlich, da in dieser Gegend die beiden Sonnen längst untergegangen waren und die Senkenwälder auch nicht der Ästhetik der Cairaner entsprachen, aber solange man nach ihnen suchte, durften sie nichts ausschließen.

Lionel bemerkte den schnellen Blick, den Dancer und Schlafner nach seinen Worten wechselten. Die beiden ehemaligen Kopfgeldjäger saßen am Eingang auf dem Boden, um mit den Geräten ihrer Anzüge die Pflanzen und die im Nachtdunkel liegende Umgebung im Auge zu behalten, während der TARA-Psi versuchte, eine Funkverbindung zur Welt außerhalb des Sternenradsystems herzustellen.

Die Geschwister waren im Gegensatz zu Obioma kampf- und einsatzerprobt. Sie mussten ihn und Chione eigentlich schon seit dem Zusammentreffen auf der FONAGUR als Klötze am Bein empfinden, selbst wenn sie nie etwas in der Art gesagt oder angedeutet hatten. Andererseits hatte Chione Einblicke in die Struktur des Sternenrads gewinnen können, die den anderen womöglich verborgen geblieben wären.

Nur brachte das alles nichts, wenn sie dieses Wissen nicht weitergeben konnten. Stattdessen hatten sie Chione verloren.

Dancer nickte ihrem Bruder kaum merklich zu und verließ ihren Platz, um sich dichter zu Obioma zu setzen.

»Chione wird schon nichts passieren«, sagte sie mit gedämpfter Stimme. »Ihr war völlig klar, worauf sie sich eingelassen hat, als sie das Treffen vereinbarte. Sie hätte den Cairanern auch einfach nur mitteilen können, wo der Junge ist, um dann als Letzte mit dem TARA-Psi herzuteleportieren. Aber sie wollte die persönliche Begegnung mit der Frau, die hinter uns her war, obwohl sie wusste, dass Dupa Emuladsu sie bei aller Dankbarkeit für die Rückkehr ihres Sohnes nicht laufen lassen würde.«

»Ich weiß.« Obiomas Blick wanderte von Dancers Gesicht abwärts zu dem SERUN-SR TT, den die Terranerin trug. Chione hatte nicht riskieren wollen, dass dieses Stück teurer Spezialtechnologie in die Hände der Cairaner fiel, und ihn Dancer überlassen. Dank der Anpassungsfähigkeit des Anzugs konnte die Ex-Kopfgeldjägerin ihn tragen, obwohl sie zehn Zentimeter kleiner war als Chione.

»Chione hat außer ihrem Eindringen in das Sternenrad nichts verbrochen, und sie wird den Cairanern schnell klarmachen können, dass sie nicht weiß, wo wir sind und was wir vorhaben.«

»Falls die Cairaner ihr glauben«, unkte Obioma. »Womöglich tun sie das erst, nachdem sie härtere Mittel angewendet haben. Außerdem erfüllt bereits unser Eindringen den Tatbestand der Spionage, und die wird in Kriegszeiten nicht selten mit dem Tod oder Schlimmerem bestraft.«

»Sind wir denn im Krieg? Mach dich nicht verrückt«, riet ihm Dancer. »Das bringt weder uns noch ihr etwas. Selbstverständlich werden wir versuchen, sie rauszuholen. Und bis dahin solltest du dich jeweils auf den gerade anstehenden Schritt konzentrieren und nicht über reine Eventualitäten nachdenken.«

Obioma hob die Schultern. »Im Moment steht aber nichts für mich an. Der TARA-Psi beherrscht seine internen Funkaggregate bestens, da braucht er mich nicht. Und als Wache tauge ich wenig. Ich habe den Funkspruch formuliert und codiert, den wir an die SYKE, die TARTS oder die THORA durchbringen wollen. Jetzt kann ich nur noch warten. Da bleiben solche Gedanken nicht aus, auch wenn mir klar ist, dass sie nur hinderlich sind.«

»Hast du in der Nachricht auch Chiones Gefangennahme erwähnt?«

»Natürlich. Immerhin könnte sie den Cairanern sagen, dass Atlan an Bord der THORA ist. Ich vermute zwar, dass die das aus der Überwachung des Funkverkehrs ohnehin schon wissen, aber die Bestätigung könnte da draußen durchaus etwas am Taktieren der Cairaner ändern. Allerdings bezweifle ich, dass der TARA-Psi Erfolg damit hat, eine Funkverbindung aufzubauen. Der Weiße Schirm blockt alles ab.«

Der Weiße Schirm. Der Gedanke an das energetische Gebilde, von dem das gesamte Sternenradsystem eingehüllt und geschützt wurde, verursachte bei Obioma ein unangenehmes Gefühl des Eingesperrtseins. Sie hatten sich an Bord eines abgeschleppten Naatraumers erfolgreich eingeschlichen, aber bislang sah der Hyperphysiker keine Möglichkeit, das Kunststück auch in umgekehrter Richtung zu vollbringen.

Andererseits hatten sie zwar einige interessante Informationen gesammelt, aber es war nichts Brisantes dabei, woraus sich ein Ansatzpunkt ergab, mit dem man die Macht der Cairaner aushebeln konnte. Somit gab es eigentlich keinen Anlass, sich über die Rückkehr Gedanken zu machen.

»Vielleicht findet Chione etwas heraus«, sagte er. »Immerhin sitzt sie nun vermutlich bei den Cairanern, während wir uns wieder einmal im Wald verstecken.«

»Nur, weil ich darauf hoffe, habe ich bei Chiones Plan mitgemacht. Allerdings werden wir anderen nicht auf der faulen Haut liegen bleiben. Im Moment ist allerdings Schlaf angesagt. Morgen geht es für uns dann wieder los. Wir sammeln Informationen und bereiten Chiones Befreiung vor.«

Obioma nickte. »Ich hätte nur gerne vorher noch ein wenig frische Luft und Bewegung. Denkst du, das ist drin?«

Dancer sah zurück zu ihrem Bruder, der mit den Achseln zuckte. Gänzlich ohne Maske wirkte er bis auf seine Glatze ähnlich durchschnittlich wie seine Schwester, an deren Gesicht bis auf die etwas größere Nase nichts Auffälliges war. Das war die Stärke der beiden – in Maske konnten sie etwas hermachen, wie zum Beispiel als das arkonidische Gladiatorenpärchen Pethora und Guulem da Gavvhad, das in einschlägigen Kreisen einen gewissen Ruhm genoss.

Doch wenn sie die Maske ablegten, konnten sie mit der Menge verschmelzen, und niemand würde sie mit ihren vorgespiegelten Personas in Verbindung bringen. Obioma konnte sich vorstellen, dass das hilfreich war. Selbst Dancers extrem hellblaue Augen, die immer ein wenig abwesend wirkten, verstärkten eher den Eindruck, dass man sie nicht wahrnehmen musste.

»Also gut«, sagte Dancer. »Sei aber vorsichtig. Eine Lampe mitzunehmen wäre zu gefährlich, weil jemandem das Licht auffallen könnte. Wir können es uns aber auch nicht leisten, einen Verletzten mitzuschleppen. Halt dich also von unwegsamem Gelände fern.«

»Mache ich.«

»Und bleib nicht zu lange weg. Wir wollen morgen früh vor Sonnenaufgang los.«

Obioma seufzte und murmelte: »Ja, Mama.«

 

*

 

Der Hyperphysiker schob sich durch den Rankenvorhang und hoffte, dass dieser kein Eigenleben entwickeln würde. Nach den Erfahrungen im vorherigen Senkenwald, in dem die Bäume sich langsam, aber messbar bewegt hatten, war ihm die Fauna von Ecaitan unheimlich geworden.

Vorsichtig stieg er anschließend durch ein niedriges Gestrüpp, die Blicke misstrauisch auf die Silhouetten der Zweige geheftet, und spürte endlich weichen, ein wenig federnden Waldboden unter den Stiefeln des Schutzanzugs. Er blieb stehen, schloss die Augen und ließ die kühle Luft tief in die Lungen dringen.

Die ätherischen Aromen waren einem rudynischen Nadelwald ähnlich, gleichzeitig waren aber einige Duftnoten beigemischt, die er als exotisch und erfrischend empfand. Ein wenig wie Zitrone oder Minze. Gegen die feuchte und modrige Luft nahe den Felsen war es ein reiner Genuss.

Als er die Augen wieder öffnete, hatten sie sich an die relative Dunkelheit gewöhnt. Ganz dunkel wurde es dank des Weißen Schirms nie. Das energetische Phänomen wurde aus den beiden Lichtfontänen geboren, die das zentrale Weiße Loch Emlophe ausstieß. Es blockierte zwar den Blick auf die umgebende Sternenfülle des Kugelsternhaufens M 13, schimmerte aber selbst in einem silbrig-weißen Licht, das die Planetennächte nie gänzlich dunkel werden ließ.

Am stärksten war der Effekt sicher auf dem Planeten Ghibona, der das Weiße Loch und die beiden es umtanzenden Sonnen am dichtesten umkreiste und das direkte Licht der Fontänen erhielt. Aber auch auf Ecaitan, wo das Licht sich bereits verteilt hatte, um den Schirm aus langsam rotierenden Energien zu bilden, war die Lichtfülle ausreichend, um selbst im Wald einigermaßen sicher die Umrisse der Bäume und Büsche erkennen zu können.

Lionel Obioma hatte trotzdem nicht vor, weiter als einige Schritte zu gehen. Er mochte den Wald, aber er war Hyperphysiker, kein Waldläufer. Er brauchte nur ein paar Züge der frischen Luft, um den Kopf frei zu bekommen.

Vor drei Tagen hatten er und Chione sich an Bord der FONAGUR geschlichen, um in das Sternenrad zu gelangen. Chione war die treibende Kraft dahinter gewesen, er eher der Mitläufer, auch wenn das unglaubliche Gebilde ihn ebenfalls faszinierte.

Dancer, Schlafner und der TARA-Psi hatten sie empfangen und professionell in ihren Einsatz integriert, obwohl sie kaum mehr als Eierköpfe und in kritischen Situationen eher hinderlich als hilfreich waren. Wenn es um die Action ging, waren die Geschwister tonangebend, ging es um Technik, der TARA-Psi.

Chione hatte zumindest ihr Fachwissen einbringen können, als es um die Entschlüsselung der Struktur des Sternenrads ging. Aber er ... er hatte bislang nichts Nennenswertes geleistet. Er hätte gehen und den cairanischen Jungen zurückbringen sollen, nicht Chione.

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Illustration: Dirk Schulz

Obioma seufzte. Die Welt schien ihm so düster und bedrohlich wie der Wald ringsum, daran konnte das Wunder des Schirms nichts ändern, der ihn in sanften Schimmer tauchte. Chione hätte ihn deswegen wohl als ewigen Pessimisten aufgezogen. Aber sie war nicht da.

»Dancer hat recht. Ich darf mich nicht verrückt machen«, murmelte er. Aber es fiel ihm schwer, sich an diese Mahnung zu halten.

Müde und kein bisschen optimistischer kehrte er in das Versteck zurück.

Privates Verhörprotokoll Dupa Emuladsu, Teil II

 

»Wenn du nur eine Wissenschaftlerin bist, wie du behauptest, und keine Agentin der Liga oder sonst einer galaktischen Gruppierung, was willst du dann im Sternenrad?«

»Machst du Witze? Das hier ist ... lunar! Kosmisch! Absolut unglaublich! Ein leibhaftiges, an der sofortigen Selbstzerstörung gehindertes, mithin quasi gezähmtes Weißes Loch? Das ist jenseits von allem, was ich jemals erträumen konnte! Wie hätte ich als Astrophysikerin nicht versuchen sollen, diesem Phänomen näher zu kommen und mehr darüber zu erfahren?«

»Die Ablehnung war dir klar mitgeteilt worden, und offensichtlich kam sie auch nicht unerwartet, denn du hattest dich für den Fall einer militärischen Abwehr vorbereitet. Sollte dich der Teleporter auch gestern abholen? Hat er dich hängen gelassen?«

»Teleporter? Welcher Teleporter?«

»Verkauf mich nicht für dumm! Als wir euch im Senkenwald aufgestöbert hatten, haben wir euren Roboter mit einem Bewusstlosen in seinem Tragekorb gestellt. Beide verschwanden vor unseren Augen, nachdem wir den Fünf-D-Schirm ausgeschaltet hatten. Da es an der Stelle keine verborgene Transmitterstation gab, muss der Mann im Korb ein Teleporter sein. Wahrscheinlich hatte er seine Bewusstlosigkeit nur vorgespielt.«

»Dass der Mann ein Teleporter ist, höre ich zum ersten Mal. Ich kenne ihn kaum, wir sind eher durch Zufall zusammengekommen. Er wollte sich mit der FONAGUR einschleichen, ebenso wie ich, wobei ich seine Gründe nicht kenne. Wir bildeten eine Zweckgemeinschaft.«

»Du willst also sagen, er war nicht dein Begleiter in dem Diskusraumer? Das finde ich sehr unwahrscheinlich, denn immerhin erscheint dein Überleben nach der Zerstörung des Raumers ähnlich wundersam wie sein Verschwinden im Senkenwald.«

Ein Seufzen. »Erwischt. So sind wir an Bord der FONAGUR gekommen. Ich bin keine sonderlich gute Lügnerin, oder?«

2.

Orsaidd

 

Lionel Obioma hatte miserabel geschlafen.

Natürlich waren in ihrer Ausrüstung – klein zusammengefaltet – selbstaufblasende Matratzen gewesen, ebenso wie Schlafsäcke aus so hauchfeinem Stoff, dass sie problemlos in eine Hosentasche passten, und trotzdem reißfest und mit dem optimalen Mix aus Wärmeisolierung und Feuchtigkeitstransfer versehen. Aber es war trotzdem eine völlig andere Art, zu schlafen.

Außerdem machte er sich Sorgen um Chione.

»Achtung, wir kommen in hundert Metern auf freies Gelände«, warnte der TARA-Psi.

»Deflektoren aktivieren!«, befahl Schlafner, obwohl sie im beginnenden Morgengrauen vermutlich ohnehin mit der Umgebung verschmolzen.

Obioma gehorchte trotzdem, ohne nachzudenken. Unmerklich war Schlafner für ihn zum Anführer geworden. Er war lange genug auf Flottenschiffen geflogen und oft genug Teil eines Einsatzteams gewesen, um sich an Befehlsstrukturen zu gewöhnen, auch wenn es normalerweise nicht seine Art war.

Es war das Geschäft des Wissenschaftlers, zu hinterfragen. Aber ihm war klar, dass so etwas bei Einsätzen zu kritischen Verzögerungen führen konnte. Also verlegte er das Hinterfragen soweit es nicht sein Fachgebiet betraf, auf hinterher und ordnete sich so lange den Erfahreneren unter.

Sie folgten einer Route, die Dancer mit dem TARA-Psi ausgearbeitet hatte. Sie führte dort, wo sie sich nicht gut ohne technische Hilfsmittel verstecken konnten, unter selbst um diese Zeit viel beflogenen Gleitertrassen hindurch. Das gab ihnen gute Chancen, sich mit den Flugaggregaten für eine Weile gewissermaßen unter einen langsam fliegenden Gleiter zu kleben, um in dessen energetischen Emissionen zu verschwinden.

Mit etwas Glück würden sie irgendwann einen finden, der nach Orsaidd flog, wo die FONAGUR gelandet worden war. Der wie ein nach Osten offener Kreisbogen mit verlängerten Armen geformte Kontinent Maixon war nicht sonderlich groß, und die Hauptstadt nur zwei Flugstunden von ihrem Versteck entfernt. Ihre Überlegung war, das Chione dort gemeinsam mit den Báalols und Naats des Schiffes interniert worden sein könnte.

Gemeinsam hoben sie auf Schlafners Zeichen ab und jagten auf einen Lastengleiter zu. Obioma schlug das Herz bis zum Hals, als der Gleiter vor ihm immer weiter wuchs und ihm klar wurde, was sie da gerade taten. Wenn der Gleiter auch nur eine unerwartete Bewegung machte und dabei jemanden touchierte, konnte das für denjenigen das Aus bedeuten.

Die Anzugpositronik würde rechtzeitig reagieren, versuchte er sich zu beruhigen. Es kann gar nichts passieren, lalala ... nicht dran denken ...

Er lenkte sich damit ab, an den vorigen Abend zu denken. Dancer, Schlafner und der TARA-Psi hatten lange die Köpfe zusammengesteckt, um ihr Vorgehen zu planen. Obioma hatte dabei nicht zum ersten Mal das Gefühl gehabt, dass der Roboter für die Geschwister nicht nur wegen seiner Psi-Fähigkeiten etwas ganz Besonderes war.

Manchmal gingen sie auf eine fast freundschaftliche Weise mit ihm um. Aber er war auch ein sehr weit entwickeltes Modell, und es mochte sein, dass er sogar einen Plasma-Anteil hatte. Das würde ihn in die Nähe der Posbis rücken, die eigene Persönlichkeiten hatten und mit denen man durchaus Freundschaft schließen konnte.

Dancer packte ihn am Ärmel und riss ihn zurück. »Träum nicht, Lionel!«

Erschrocken fuhr er zusammen und bemerkte, dass er beinahe unter der Deckung des Gleiters herausgedriftet wäre.

»Entschuldige«, murmelte er. »Ich bin irgendwie nicht ganz auf der Höhe. Der Schlafmangel.«

»Dann lass dir vom Cybermed ein Aufputschmittel spritzen.«

Selbst über den Anzugfunk konnte Obioma den gereizten Tonfall hören. Klar, er gefährdet sie schließlich alle, wenn er nicht bei der Sache war. Wieder war er der Klotz am Bein.

Er instruierte den Cybermed, und wenig später ging es ihm tatsächlich besser. Beinahe verdächtigte er die Medizinpositronik, einen Stimmungsaufheller beigemischt zu haben. Aber das war Unsinn. Solche Eigenmächtigkeiten waren völlig ausgeschlossen, solange der Träger des Anzugs bei klarem Bewusstsein war.

Sie wechselten den Gleiter im Flug, als ihrer zur Seite wegschwenkte. Noch zwei Mal wiederholten sie das Manöver, und langsam bekam Obioma ein Gefühl dafür und genoss den Flug. Dann mussten sie jedoch landen. Ein weiteres Waldstück, dann arbeiteten sie sich durch bewirtschaftete Felder, deren hochstämmige Pflanzen ihnen Sichtdeckung gaben.

Schließlich lagen sie wieder an einer Gleitertrasse auf der Lauer.

»Lionel Obioma?«, drang die Stimme des TARA-Psi aus Lionels Funk.

Verwundert registrierte er, dass der Roboter einen Privatkanal geschaltet hatte. »Ja?«

»Mir ist aufgefallen, dass du mich beobachtet hast.«

»Natürlich habe ich das. Technik fasziniert mich, und der Gedanke, dass unsere Technik inzwischen so weit ist, auch Psi-Fähigkeiten zu synthetisieren, ist ... faszinierend.«

»Ist das alles, was du dabei empfindest? Faszination? Es spielen keinerlei negative Gefühle mit?«

Obioma seufzte. »Vor allem Faszination, ja. Aber wenn du schon so fragst – es macht mir auch Angst. Keine Technologie kann auf Dauer exklusiv gehalten werden, und wenn ich mir vorstelle, dass du oder einer deiner späteren Nachfolger in die falschen Hände geraten könnte und dann Völker ohne die nötige Reife Roboter mit solchen Fähigkeiten wie deinen ins Feld schicken können ...«

Er schüttelte sich unwillkürlich.

»Ich habe mir das schon gedacht. Aber du musst keine Angst haben. Ich bin einzigartig, und es wird nie eine Kopie von mir geben können.«