Mai, Mirka Forbidden Feelings – Ich darf dich nicht vermissen

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© 2020 Piper Verlag GmbH, München

Redaktion: Ulla Mothes

Covergestaltung: Alexa Kim "A&K Buchcover"

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Widmung

 

Für die von uns, die in der Dunkelheit gefangen zu sein glauben und
Georgies blaue Tage nur zu gut kennen. Ihr seid stark und wundervoll.

 

Für die von uns, die jemanden vermissen. Ihr seid nicht allein.

 

Und für Stephan, der mehr zu dieser Geschichte beigetragen hat, als er weiß. Danke für alles. Du bist etwas Besonderes!

Motto

Ein Blick.
Ein Lächeln.
Und schon bin ich gefangen.

 

Ich sage:
»Ich bin kompliziert.«

 

Du bist nicht gegangen.

 

Ein kurzer Abend
und schon sind da Gefühle
die nicht sein sollen

 

Denn ich weiß nicht
ob wir beide
auch tatsächlich
ein und dasselbe wollen.

 

Bestimmt nicht.

 

Denn wie könntest du
nach hundert Wörtern
in denen die Zeit sich diesmal misst
so sicher wie ich sagen
dass es Liebe ist?

 

Kim Stapelfeldt

Prolog

Georgie

»Wir haben also wirklich einen Mitbewohner gefunden?«, frage ich bereits zum zweiten Mal, und Erleichterung macht sich in mir breit. Obwohl ich seit ein paar Tagen dauererschöpft bin, belebt diese Neuigkeit meinen Geist.

»Allerdings«, antworten Jessy und Ben, meine beiden Mitbewohner, wie aus einem Mund und strahlen bis über beide Ohren. Ich kann nicht anders und erwidere ihr Lächeln. Es ist auch wirklich eine tolle Neuigkeit.

Wir suchen jetzt schon seit fast drei Monaten nach jemandem, der zu unserer kleinen Gruppe, bestehend aus drei Studenten mitsamt schwarzem Labrador, passt. Eigentlich hatte ich gehofft, meine Freundin Lacy würde bei uns einziehen, wenn sie aus Frankreich zurück wäre, aber das hat nicht wie geplant geklappt.

Lacy war meine Mitbewohnerin im Wohnheim der Wesleyan University. Vor etwas mehr als einem Jahr hat sie mir dann spontan mitgeteilt, dass sie ins Ausland gehen würde, und kurz darauf zog Jessy bei mir ein und wurde schnell zu einer meiner engsten Freundinnen.

Während Lacy nicht da war, standen wir zwar regelmäßig in Kontakt, aber ich habe bis heute das Gefühl, dass sie mir übel nimmt, dass ich mich mit Jessy angefreundet habe.

Nachdem sie sich entschloss, nicht mit uns zusammenzuziehen, mussten wir mit der Suche noch einmal ganz von vorn anfangen. Inzwischen hat sich meine Freundschaft mit Lacy nach einer Auseinandersetzung aufgelöst, aber immerhin scheint sich das Mitbewohnerproblem geklärt zu haben.

Anfangs waren wir noch der Meinung, es würde einfach, aber mit jedem Vorstellungsgespräch sanken unsere Hoffnungen, jemanden zu finden, der zu uns passen könnte.

Ein absolutes Highlight war ein Kerl, der dachte, dass es sich bei uns um eine reine Frauen-WG handeln würde, und bei Bens Anblick schnaubend abzog. Inzwischen war ich mir fast sicher, dass wir niemanden mehr finden würden, und ausgerechnet an dem Wochenende, das ich bei meiner Cousine verbracht habe, sind meine Freunde offensichtlich fündig geworden. Wenn das immer so funktionieren würde mit wichtigen Entscheidungen, dann würde ich gern öfter wegfahren und den beiden alles überlassen.

»Noah passt wirklich perfekt zu uns«, erklärt meine beste Freundin und lächelt mich strahlend an. »Er kommt gleich her, damit du ihn kennenlernen kannst und bringt den unterschriebenen Vertrag mit.«

Bei ihren Worten rutscht mir das Lächeln aus dem Gesicht. Der Name bohrt sich wie ein Pfeil in mein Herz und das Gift der Erinnerung beginnt langsam sich auszubreiten. Mit einem Mal fällt mir das Atmen schwer, der Raum beginnt sich zu drehen und die Konturen verschwimmen vor meinen Augen. Ich taumle und taste panisch nach der Wand, um mich abzustützen.

Noah. Ich schüttle innerlich den Kopf, versuche mich zu beruhigen und mir einzureden, dass es viele Männer mit diesem Namen gibt. Viele Männer, die nicht er sind. Er kann es gar nicht sein, das wäre ein zu großer Zufall.

Die Gedanken rasen unaufhaltsam durch meinen Kopf, egal wie sehr ich mir einrede, dass er es nicht ist. Die Erinnerungen an das letzte Jahr strömen auf mich ein, und ich unterdrücke ein Keuchen. Dieses Jahr hat mein Leben komplett auf den Kopf gestellt.

Alles lief großartig, bis ich Noah kennenlernte. Den Noah, mit den zerbrochenen Träumen. Noah Portman. Den Mann, der mir das Herz zerriss.

Meine Gedanken wandern weiter zu dem Tag, als Doktor Soniac mir die Neuigkeiten verkündete, die mein Leben von Grund auf veränderten.

Teil 1

Kapitel 1

Georgie

»Na, wie geht es uns denn heute, Georgiana?«, erkundigt sich Dr. Soniac mit einem freundlichen Lächeln.

»Sie wissen genau, dass ich diese Frage hasse, Doc«, gebe ich zurück, und sie schmunzelt. Dieses Gespräch führen wir bei jeder Sitzung aufs Neue.

»Und Sie wissen, dass ich sie jedes Mal wieder stelle«, antwortet sie gelassen und entlockt mir ebenfalls ein Lächeln.

»Wir sind eben ein gutes Team.«

Meine Therapeutin lächelt mich mit diesem immer heiteren Therapeutenlächeln an, das Sonnenschein in meinen trüben Gedanken verbreiten soll und mir oft tierisch auf die Nerven geht.

Als ich Dr. Soniac kennengelernt habe, konnte ich diese Stimme und das dazugehörige »Alles wird gut« kaum ertragen. Heute sind es die – inzwischen unregelmäßigen – Termine bei ihr, die mir immer wieder Kraft zum Weitermachen geben.

Bis vergangenen Sommer hatte ich wöchentliche Termine bei ihr, inzwischen melde ich mich dann, wenn ich es gerade dringend brauche oder ich einfach das Gefühl habe, wir haben uns vielleicht zu lange nicht gesehen. So wie heute.

»Es geht mir gut«, erkläre ich, und es stimmt. Heute fühle ich mich mit mir und der Welt um mich herum im Reinen und bin glücklich darüber, dass es diese Tage gibt und sie immer mehr werden.

Depression ist ein hässliches Wort, und wenn man es ausspricht, dann haben Menschen oft gleich ein bestimmtes Bild vor Augen und drücken einem einen gedanklichen Stempel auf. »Aber du bist doch so ein fröhlicher Mensch«, höre ich immer wieder, und es nervt mich.

Ja, ich bin ein Mensch, der sehr oft gut gelaunt ist. Ich bin die lebenslustige Georgie, mit der man Pferde stehlen kann und die andere zum Lachen bringt. Aber es gibt leider nicht nur die gelben Tage voller Sonnenschein und Einhornstaub. Es gibt auch die blauen.

Meine blauen Tage sind die, an denen ich all meine Stärke aufwenden muss, um überhaupt aufzustehen. An denen mich die Georgie, die lustig ist und Spaß macht, unendlich viel Kraft und Nerven kostet und an denen jedes Lächeln eine Qual ist.

Bis heute kann ich nicht sagen, warum die Depression in mein Leben kam, aber ich erinnere mich sehr gut an ihre Anfänge in meinen ersten Highschool-Jahren. Damals war es, als hätte sich von einem Tag auf den anderen ein dunkler, tiefblauer, Schleier über die Welt um mich herum gelegt, und bis heute weiß ich nicht, warum. Ich fühlte mich allein, unverstanden und unendlich traurig. Meine Gefühle erdrückten mich, und ich wollte nicht mehr weiterleben. Meine Familie konnte mir nicht helfen, aber sie überzeugte mich, dass ich Hilfe brauche. Und sie hatte recht. Allein wäre ich verloren gewesen.

In dieser Zeit habe ich gelernt, Dr. Soniac zu vertrauen, und bin froh darüber. Sie hat mir geholfen, stärker zu werden, mit den blauen Tagen zu leben und sich mit mir gefreut, als sie mit der Zeit seltener wurden.

»Das ist gut, Georgie«, spricht mich die alte Dame nun mit einem so freundlichen Unterton an, der in mir ein ungutes Gefühl auslöst. Es ist ein Schlechte-Neuigkeiten-Tonfall. »Ich muss Ihnen heute nämlich etwas sagen.«

Um mich herum wird es ganz still. Ich höre nur noch meinen Atem und das laute Ticken der großen Uhr, die hinter Dr. Soniac an der Wand hängt. Das Engegefühl in meiner Brust verstärkt sich, und ich bekomme Angst vor dem, was gleich kommen wird.

»Ja?«

Leider kann ich zu meinem Ärger nicht verhindern, dass meine Stimme leicht zittert. Ich wittere schlechte Neuigkeiten, und davon brauche ich momentan eigentlich keine. Es soll ein guter Tag bleiben, bitte.

»Ich werde in Rente gehen«, sagt sie ruhig und reißt mir mit einem einzigen Satz den Boden unter den Füßen weg.

»Was?«, keuche ich erschrocken, während sich die Panik in meinem Körper ausbreitet wie eine Welle. Die Person, mit der ich über alles spreche, wird mich verlassen.

»Aber was soll ich denn ohne Sie machen?«, frage ich und klinge so verzweifelt, wie ich mich fühle. Egal wie oft ich herkomme, sie ist immer hier, wenn ich sie brauche. Das kann doch nicht plötzlich anders sein.

Dr. Soniac sieht mich mit einem Ausdruck ehrlichen Bedauerns an, und ich registriere die tiefen Falten um ihre Augen herum.

»Es dauert ja noch eine Weile, bis es so weit ist«, sagt sie sanft. »Ich will Sie nur auf die Übergangszeit vorbereiten.«

»Übergangszeit?«, echoe ich und presse die Lippen zusammen, bevor sich der Papageienmodus aktivieren kann und ich nur noch ihre Worte nachplappere.

»Ich kann Ihnen versprechen, dass Sie nicht auf sich allein gestellt sein werden«, sagt sie und reißt mich damit aus meinen Gedanken. »Bald fängt ein junger, sehr fähiger Kollege bei mir an, und wenn ich in Rente gehe, wird er meine Patienten weiter betreuen, bis meine eigentliche Nachfolgerin ihr Jahr bei Ärzte ohne Grenzen beendet hat.«

Mühsam versuche ich, all diese Informationen zu verarbeiten, als sie schon weiterspricht.

»Sie können dann natürlich entscheiden, ob Sie hier bei meiner Nachfolgerin als Patientin bleiben oder wie Sie weiter verfahren wollen. Wir werden das alles gut vorbereiten, versprochen.«

Anders als sonst hat ihre Stimme heute keine beruhigende Wirkung auf mich. Zwar habe ich in der letzten Zeit oft darüber nachgedacht, ob ich die Therapie überhaupt noch brauche, aber in diesem Moment fühlt es sich an, als könnte ich nicht mehr ohne sie leben. Die irrationale Furcht vor einer ungewissen Zukunft legt sich wie eine kalte Hand um mein Herz und lässt mich zittern.

»Wenn Sie nicht mehr da sind, dann will ich gar nicht mehr in Therapie«, platze ich mit den Gedanken heraus, die sich gerade in meinem Kopf manifestieren. »Ich brauche doch sowieso keine regelmäßigen Termine mehr.«

»Diese Entscheidung würde ich nicht so voreilig treffen«, sagt Dr. Soniac sanft. »Lassen Sie sich Zeit. Noch bin ich ja eine Weile da, und vielleicht kommen Sie gut zurecht.«

»Sicher«, sage ich und kann ein wütendes Schniefen nicht unterdrücken.

»Machen Sie sich jetzt nicht zu viele Gedanken, Georgie«, bittet meine Therapeutin freundlich, und ich unterdrücke ein gequältes Lachen. Sorgen? Wer, ich? Aber nicht doch.

 

Später am Abend sitze ich im Studentenzimmer meiner Freundin Lacy und versuche standhaft, ihren bettelnden Welpenblick zu ignorieren.

»Komm schon, Georgie«, jammert sie nun schon zum wiederholten Mal. »Wir wollen doch nur in eine Bar. Bitte komm mit.«

Ich seufze schwer und lasse meinen Blick durch das Zimmer wandern. Ich war noch nicht oft hier, seitdem Lacy wieder da ist. Ein Grund dafür ist auch, dass Lacy mit meiner erklärten Erzfeindin Jenna zusammengezogen ist und mir allein schon der schwere Duft von Parfüm auf die Nerven geht, der hier immer in der Luft hängt. Außerdem habe ich das Gefühl, direkt in Barbies Traumhaus gelandet zu sein, wenn ich das WG-Apartment der beiden betrete. Viel Pink, viel Kitsch, viel Grauen.

»Georgie, was ist jetzt?«, drängt Lacy erneut und zwingt mich dadurch, mich wieder auf ihr Anliegen zu konzentrieren.

Mir ist gerade überhaupt nicht nach einem Abend in einer Bar. Nach der Schreckensbotschaft von Dr. Soniac bin ich immer noch ziemlich durch den Wind.

Ben gibt noch Klavierunterricht, und Jessy verbringt die Zeit mit ihrem Schatz.

Weil ich es heute Abend aber definitiv nicht ertragen kann, allein zu sein, habe ich mich zu Lacy gesellt und weiß gerade nicht, ob ich es bereue. Seitdem sie nach ihrer Rückkehr aus Frankreich beschlossen hat, doch nicht wie geplant in die WG von Ben, Jessy und mir zu ziehen und stattdessen Jennas neue beste Freundin zu werden, haben wir uns nicht oft gesehen, und gerade wirkt sie auf mich genauso falsch und aufgesetzt wie ihre Mitbewohnerin. Ihre Mitbewohnerin ist Jenna, das Biest, also known as erste Cheerleaderin höchstpersönlich. Es fühlt sich an, als würden wir uns nicht mehr wirklich kennen.

»Du weißt doch, dass das nie meine Welt war und ich mit Jenna und ihrer Clique nichts mehr zu tun habe«, maule ich halbherzig und erinnere mich mit Grauen an mein erstes Semester, als ich in kurzen Sportröckchen herumgehüpft bin, um die Hohlköpfe aus dem Basketballteam der Wesleyan University anzufeuern.

Ich kann mir nicht mehr erklären, wie ich damals auf die hirnverbrannte Idee gekommen bin, das könnte zu mir passen.

Zum Glück habe ich aber schnell verstanden, dass dem nicht so ist, und meide seitdem alles, was mit Cheerleading und Sport zu tun hat, wie die Pest.

»Ich weiß.« Lacy seufzt und fasst ihre langen hellblondierten Locken zu einem Pferdeschwanz zusammen. »Aber die Mädels sind wirklich nicht so schlimm, wie du es immer darstellst.«

Ich schnaube, merke aber selbst, wie meine Abwehr zu bröckeln beginnt. Zwar stimme ich mit Lacys Einschätzung gar nicht überein, aber vielleicht ist ein unbeschwerter Abend ja genau das Richtige für mich? Und ich muss ehrlicherweise zugeben, dass nicht alle Cheerleader wie Jenna sind. Einige waren sogar wirklich okay und das, obwohl ich absolut nicht zu ihnen gepasst habe.

»Na gut«, gebe ich also nach, und Lacy strahlt. »Wenn ich mich nicht umziehen muss«, setze ich schnell hinzu, weil sie sich für diesen Abend ziemlich aufgetakelt hat.

»Musst du nicht«, antwortet sie nachsichtig und mustert meinen großen, dünnen Pulli sowie die ausgeblichene Jeans kritisch. Sie passen perfekt in den Spätsommer, und ich bin damit zufrieden. Lacy allerdings nicht, wie es aussieht.

»Aber bitte zieh wenigstens nicht diese grässlichen Sneaker an«, sagt sie mit einem abschätzigen Blick auf meine ausgetretenen Lieblingsschuhe. »Größer sein steht dir, und Absätze bringen deine knackigen Beine toll zur Geltung.«

»Ich mag meine Sneaker, meine Beine ohne Absätze, und mit meiner Größe habe ich auch kein Problem«, verteidige ich bockig meine Kleiderwahl, und Lacy verdreht die Augen.

»Also das hat sich wirklich nicht geändert, während ich weg war«, murmelt sie kopfschüttelnd. »Du bist immer noch der größte Dickkopf unter der Sonne.«

»Ich habe nicht vor, das zu ändern«, gebe ich mit einem kurzen Lachen zurück und spüre im selben Moment, dass meine Sorgen kleiner werden, weil sie mich ablenkt.

Weil Lacy es inzwischen wirklich eilig hat, ziehen wir unsere Jacken an und machen uns auf den Weg. Man merkt, dass der Sommer sich langsam verabschiedet, denn jetzt, am frühen Abend, kühlt es bereits merklich ab.

Das Joe’s ist ein gemütlicher Irish Pub in der Nähe des Campus. Auf dem Weg dorthin schreibe ich Jessy eine Nachricht, damit sie weiß, wo ich bin.

Die grüne Fassade des Pubs lädt zum Eintreten ein, der Name prangt auf einem großen Schild aus Holz, und das Ambiente wirkt friedlich. Aber dieser Eindruck täuscht gewaltig, denn drinnen erschlägt mich der Lärmpegel aus einer Unzahl verschiedener Stimmen. Es ist einer der beliebtesten Treffpunkte für Studenten und immer gut besucht.

»Die anderen sind da drüben«, ruft Lacy mir über den Lärm hinweg zu und deutet auf einen Tisch, um den eine Gruppe junger Frauen versammelt ist. Ich kenne die meisten von ihnen. Jenna sitzt am Kopfende des Tisches und hält Hof. Als wir näher kommen, gibt sie gerade die Geschichte ihrer neusten Eroberung zum Besten.

»Er ist natürlich reich und sieht umwerfend gut aus. Das Armband hier ist von ihm.«

Sie hält ihr Handgelenk hoch, an dem ein silbernes Bettelarmband glitzert. Es ist hübsch, aber ich wundere mich immer wieder, wie diese Frau es schafft, jede Woche einen anderen Typ aufzureißen, während sie eigentlich nur einen haben will. Einen, der kein Interesse an ihr hat. Rider, Jennas Traummann, hat mehr als deutlichgemacht, dass sie bei ihm keine Chance hat. Seitdem hat sie eine Menge One-Night-Stands, und den Bettelarmband-Kerl wird sie sicher auch spätestens nächste Woche wieder los sein.

»Hi, Ladys«, grüße ich in die Runde und unterbreche damit Jennas Erzählung. Sie dreht sich um und mustert mich mit zusammengekniffenen Augen.

»Georgiana«, sagt sie, und aus ihrem Mund klingt der Name sogar noch schlimmer, als er ohnehin schon ist.

Wir haben uns nie wirklich verstanden, und seitdem Jessy gut mit Rider befreundet ist, hat sich Jennas Hass auf uns verzehnfacht. Sie hat ihre damalige Mitbewohnerin Anne gegen Lacy ausgetauscht, weil Anne inzwischen ebenfalls zu unserem Freundeskreis gehört, und ignoriert uns alle seitdem so gut wie möglich.

»Jenna«, gebe ich im selben Tonfall zurück, und wir starren uns einen Augenblick lang an. Schließlich unterbricht sie unseren Blickkontakt, und ihr Gesichtsausdruck wird zuckersüß, als sie sich Lacy zuwendet.

»Da bist du ja, Schatz«, begrüßt sie sie, und die beiden tauschen Küsschen rechts, Küsschen links aus.

Ich lasse mich neben Adriana fallen und lächele sie an. Sie ist eine der Cheerleaderinnen, die mir nicht konstant auf die Nerven gegangen sind. Außerdem ist sie eine niedliche kleine Person, die niemandem etwas Böses will und höchstens etwas zu viel von ihrem Dauerschwarm Todd Williams redet.

»Na, Georgie«, beginnt sie ein Gespräch und zwirbelt eine ihrer braunen Korkenzieherlocken zwischen ihren Fingern hin und her. »Wie geht es dir?«

Bei ihrer Frage denke ich automatisch wieder daran, was heute Mittag in der Sitzung mit Dr. Soniac passiert ist. Der Gedanke daran, mich einem neuen Menschen zu öffnen, macht mir Angst. Wie er wohl sein wird, der Übergangstherapeut? Ich würde mich selbst als eine generell offene Person beschreiben, aber wenn meine blauen Tage mich gefangen halten, will ich niemanden sehen. Genauso wenig möchte ich allerdings über diese Phasen sprechen.

Ich kann nicht einmal bei meinen besten Freunden mein Herz ausschütten, weil ich das Gefühl habe, dass niemand es wirklich verstehen kann. Ben und Jessy wissen von meinen Terminen bei Dr. Soniac, und ich vermute, dass gerade Jessy sich ihren Teil dabei denkt, aber ausgesprochen habe ich es ihnen gegenüber nie.

All diese Gedanken schießen mir bei Adrianas Frage durch den Kopf, aber es gibt nur eine Antwort, die ich jedes Mal gebe, wenn mich jemand fragt.

»Mir geht es gut«, antworte ich, und sie lächelt beinahe erleichtert. Es ist ein Lächeln, das ich immer wieder bei Menschen wahrnehme. Ein Lächeln, das zeigt, dass sie Angst davor hatten, man könnte die Frage ehrlich beantworten.

»Freut mich zu hören. Zeichnest du eigentlich immer noch?«

Ich bin überrascht von diesem abrupten Themenwechsel, gehe aber darauf ein, weil es ein Gebiet ist, bei dem ich mich auskenne und das ich liebe.

»Ja, ich habe dieses Semester sogar nur noch Vorlesungen in diesem Bereich belegt.«

»Oh, wirklich?«, fragt sie und hebt überrascht die Augenbrauen. »Und was ist mit der Neurobiologie?«

Heute scheint ein Tag der unangenehmen Fragen zu sein, und ich verkneife mir mit Mühe ein Stöhnen. Die Tatsache, dass ich in diesem Semester die Kunst in den Vordergrund gerückt habe, hat mir schon einiges an Kopfschmerzen bereitet und mehr als eine Diskussion mit meinem Vater nach sich gezogen, der davon alles andere als begeistert war.

»Ja, dieses Semester wollte ich mal was anders machen«, antworte ich abgelenkt und lasse meine Augen durch den Pub wandern.

Die Einrichtung im Joe’s ist wie bei den meisten Irish Pubs in dunklem Holz gehalten, was im gedämpften, goldenen Licht der Lampen ein verwunschenes Flair erschafft. In der Mitte des Raumes ist die Bar zu finden, die sich als Blickfang präsentiert. Vor dem Tresen stehen einige langbeinige Barhocker, und dahinter ist eine riesige Auswahl an Flaschen mit alkoholischen Getränken malerisch in Szene gesetzt. Im weiteren Raum verteilt stehen runde Tische, um die dunkelgrüne Sessel und Hocker drapiert sind. Alles in allem ist der Pub urgemütlich, und ich bin gerne hier.

Normalerweise ist es mir aber lieber, wenn ich nicht von kichernden Cheerleadern umgeben bin.

»Schaut euch mal den Typ da an«, höre ich in diesem Moment Jenna kreischen, und obwohl ich es nicht will, wandern meine Augen automatisch in die Richtung, in die sie zeigt.

Mein Blick wandert suchend über die Menge, und mit einem Mal fängt ein Augenpaar ihn auf. Selbst auf die Entfernung erkenne ich, dass es die blausten Augen sind, die ich jemals gesehen habe.

Um mich herum scheint die Zeit stillzustehen, und ich nehme nichts anderes mehr wahr als diese Augen, deren Blick sich über den Abstand einiger Meter direkt in meinen bohrt. Der Mann, zu dem die Augen gehören, ist …

»Meinst du den Knackarsch?«, unterbricht die quietschende Stimme eines der Mädchen, die mit uns am Tisch sitzen, den Moment. Sie deutet auf den Mann, zu dem die Augen gehören, von denen ich mich noch immer magisch angezogen fühle. Er steht an der Bar. Neben ihm ein zweiter Mann, wahrscheinlich ein Kumpel von ihm.

»Genau den«, ruft Jenna und schüttelt mit einem neckischen Augenaufschlag ein weiteres Mal ihre Haare. »Ich lasse mich jetzt von ihm auf einen Drink einladen.«

»Aber was ist mit dem Bettelarmbandtyp?«, rutscht es mir heraus, und der Blick, den ich ernte, würde selbst eine Feuersbrunst in Sekundenschnelle vereisen.

»Lass das mal meine Sorge sein.«

Ohne es zu wollen, bin ich eifersüchtig bei der Vorstellung, dass sie heute Abend mit diesem Mann nach Hause gehen könnte. Ich bin nicht auf der Suche nach einem Mann. Warum also stört es mich, dass Jenna ihr taktisches Talent im Flirten bei diesem Kerl anwenden will, den ich gar nicht kenne?

»Alles okay, Georgie?«, flüstert Lacy mir zu, und ich spüre zu meinem Ärger, wie ich rot werde.

Schnell nicke ich und stehe auf.

»Ja klar, ich habe nur Durst und brauche einen Drink«, sage ich schnell und verhaspele mich bei den Worten. Lacy zieht skeptisch eine Augenbraue hoch, und ich weiß genau, dass sie mir kein Wort glaubt.

Ich trinke nie Alkohol, weil ich es nicht mag, wie es den Charakter eines Menschen verändert, und obwohl ich gerade am liebsten mit dieser Regel brechen würde, weiß ich, dass es ein Fehler wäre. Ich bin nicht gut mit Veränderungen. Gar nicht.

Auf dem Weg zur Bar achte ich darauf, nicht zu Jenna und dem Fremden zu sehen, sondern zum anderen Ende des Tresens zu laufen.

»Was darf es denn sein«, erkundigt sich der Barmann bei mir. Ich atme einmal tief durch und treffe eine Entscheidung.

»Ich kriege bitte einen alkoholfreien Caipirinha«, sage ich und nicke ihm zu. Er sieht aus wie ein typischer Barmann aus einer Sitcom. Sein muskulöser Oberkörper steckt in einem enganliegenden weißen Shirt und spannt an den Oberarmen.

»Dasselbe wie die Lady bitte«, höre ich eine Stimme neben mir und entdecke einen Mann, der nicht mehr ganz jung ist. Er steckt in Cordhose und Pullunder und mustert mich anzüglich. Seine Augen sehen wässrig aus, und er schwankt, als er sich neben mir auf einen freien Barhocker schiebt.

»Der geht auf mich, Süße«, macht er mir mit einem maliziösen Lächeln ein eindeutiges Angebot.

Es ist immer dasselbe. Entweder die Kerle sehen in mir den Kumpeltyp, oder sie denken, sie hätten leichtes Spiel bei mir, weil ich so klein bin. Damit sind sie aber schiefgewickelt. Ich plustere mich unwillkürlich auf.

Jessy behauptet immer, dass ich sogar ziemlich furchteinflößend wirken kann und sie anfangs ordentlichen Respekt vor mir hatte. Sonst weise ich derartige Behauptungen strikt von mir, aber jetzt ist einer der Augenblicke gekommen, in denen ich genau das will. Ich hole tief Luft, und dann kommt alles ganz anders als geplant. In dem Moment als, ich mich bereitmache, dem Typ die Abfuhr entgegenzuschleudern, die er sich verdient hat, legt sich eine warme Hand auf meine Hüfte, und ich höre eine tiefe Männerstimme dicht hinter mir.

Noah

»Siehst du, ich hatte recht.« Mein bester Kumpel Josh wirft mir einen Blick zu, und in seinen Augen liegt ein triumphierender Ausdruck. Grinsend verdrehe ich die Augen.

»Ja, du hattest nicht ganz unrecht«, gebe ich zu. Der Abend im Joe’s war seine Idee, und ich hatte absolut keine Lust. Heute ist nicht mein Tag, und eigentlich will ich niemanden sehen. Und weil ich auch nicht der Typ dafür bin, meine Laune in Alkohol zu ertränken, war mir nicht klar, was ich im Pub sollte.

Dass ich mich schließlich doch zu diesem Abend habe überreden lassen, ist eindeutig darauf zurückzuführen, dass Josh einer der überzeugendsten Menschen ist, die ich kenne. Er hat, ganz der künftige Anwalt, so lange auf mich eingeredet, bis ich alles gesagt hätte, was er will, nur damit er die Klappe hält.

Jetzt gerade muss ich aber zugeben, dass er seine Idee, in den Pub zu gehen, gut war. Auch wenn ich wahrscheinlich andere Gründe habe als er. Schon seit dem Moment, in dem wir den Pub betreten haben, liegt Joshs Aufmerksamkeit auf einem Tisch, um den eine große Gruppe junger Frauen sitzt. Keine von ihnen hat sich auf ihre natürliche Schönheit verlassen, sondern sie sehen aus, als hätten sie Stunden damit verbracht, sich aufzustylen.

»Sind die heiß«, murmelt Josh, und ich verbeiße mir ein Grinsen.

»Hör auf zu sabbern«, befehle ich schmunzelnd, als sich zwei weitere Frauen zu der Gruppe gesellen, von denen aber nur eine zu ihr zu passen scheint. Die andere tanzt völlig aus der Reihe. Mein Blick bleibt an ihr hängen, obwohl ich zu weit weg bin, um sie richtig erkennen zu können. Anders als bei den anderen sind ihre schwarzen Haare nicht lang, sondern kurz und fallen in Locken bis zu ihrem Kinn. Mir fällt ebenfalls positiv auf, dass sie Pulli und Jeans trägt und sich nicht übertrieben aufgebrezelt hat.

»Das musst du gerade sagen«, reißt Joshs Stimme mich aus meinen Gedanken, und ich zucke leicht zusammen, als er mir einen fragenden Blick zuwirft. »Wo bist du denn mit deinen Gedanken, Noah?«

»Ach, nicht so wichtig«, murmle ich, sehe wieder zu dem Tisch und blicke direkt in ein Paar dunkler Augen. Die junge Frau mit den kurzen Haaren sieht direkt zu mir, und selbst auf die Entfernung fühlt es sich an, als würde ihr Blick in meine Seele dringen, sich mit ihr verhaken, um sie nie wieder loszulassen. Mein Mund wird trocken, und die Zeit bleibt stehen. Ich kann nicht beschreiben, was es ist, aber etwas an ihr zieht mich an, und mir ist klar: Ich will sie kennenlernen!

»Na, was geht in deinem Kopf vor, schöner Mann?«, gurrt mit einem Mal eine weibliche Stimme an meinem Ohr, und ich drehe widerwillig den Kopf von der Unbekannten weg. Neben mir steht eine der geklont wirkenden Frauen. Barbie, schießt es mir durch den Kopf. Sie sieht aus wie eine Barbie. Den Kopf hat sie neckisch zur Seite geneigt und klimpert mit den Wimpern. Diese Geste soll wohl verführerisch wirken, lässt mich aber völlig kalt. Das Erste, was mir auffällt, ist die dicke Make-up-Schicht, mit der sie ihre Haut zugekleistert hat, und gleich danach steigt mir ein süßlicher Parfümgeruch in die Nase.

»Jetzt gerade überlege ich, ob wir uns kennen«, antworte ich abgelenkt, während ich mit meinen Gedanken ganz woanders bin. Die schwarzhaarige junge Frau hat sich vom Tisch erhoben und läuft Richtung Tresen.

»Noch nicht«, flirtet mein Gegenüber drauflos. »Aber das können wir ja ändern.«

»Äh, was?«, frage ich und beobachte aus dem Augenwinkel, wie sich ein merkwürdiger Kerl neben die schwarzhaarige junge Frau auf einen Barhocker fallen lässt. Sie ist jetzt keine fünf Meter von mir entfernt, und ich stelle fasziniert fest, wie zart ihr Profil ist. Sie hat eine gerade Nase, hohe Wangenknochen, und obwohl ich sie noch nicht richtig anschauen konnte, weiß ich einfach, dass sie wunderschön ist. Allein wie ihre Haare sich verspielt bis zu ihrem Kinn locken …

»Ich meinte, dass ich dich unbedingt kennenlernen muss«, sagt Barbie, und ihre Stimme klingt ein bisschen gereizt. »Willst du mich nicht auf einen Drink einladen?«

»Tut mir leid«, antworte ich mechanisch und beobachte angespannt, wie der merkwürdige Kerl sich zu meiner Unbekannten beugt. »Kein Interesse. Ich muss jetzt auch etwas erledigen. Aber danke für das Angebot.«

Ich nicke Barbie kurz zu, stoße mich vom Tresen ab und gehe dann zielstrebig auf meine Unbekannte zu.

»Darf ich dich vielleicht auf einen Drink einladen?«, höre ich Joshs Stimme hinter mir und verbeiße mir mühsam ein Lachen. Mein Kumpel hat es definitiv nötig, wenn er ein Mädchen angräbt, das gerade sein Glück bei mir versucht hat.

Kurz drücke ich ihm die Daumen, denn solch eine Frau ist genau sein Typ. Dann konzentriere ich mich wieder auf das Geschehen vor mir. Ich höre, wie der Mann die schwarzhaarige Frau auf einen Drink einlädt, und erkenne sofort, dass sie das nicht will. Ihre ganze Haltung strahlt Ablehnung aus, und in mir macht es klick und mein Beschützerinstinkt schlägt Alarm.

Ohne groß darüber nachzudenken, trete ich hinter die beiden und lege eine Hand auf die Hüfte meiner Unbekannten. Dann räuspere ich mich und beuge mich ein Stück nach vorn.

»Kein Bedarf, Kumpel. Für ihre Getränke bin ich zuständig«, sage ich, und meine Stimme klingt autoritär.

Die schwarzhaarige Frau dreht sich zu mir um, und mir stockt der Atem.

Ich hatte recht. Sie ist wunderschön.

Kapitel 2

Georgie

Ich fahre herum und traue meinen Augen kaum. Vor mir steht der Mann mit den strahlend blauen Augen und lächelt mich an. Sein Blick ruht fest auf mir, und ich kann meine Augen nicht von ihm abwenden. Er mustert mich intensiv und drückt kurz meine Hüfte.

»Oder, Liebling?«, fragt er mit einem halben Lächeln und beugt sich zu mir. Seine warmen Lippen streichen über meine Schläfe, und ich bekomme keine Luft mehr. Was passiert hier gerade?

»Liebling?«, fragt er erneut, und ich reiße mich zusammen.

»Ja«, bringe ich krächzend hervor, und der schmierige Kerl hebt abwehrend die Hände.

»Sorry, Mann«, sagt er, und seine Stimme klingt verwaschen. Er muss schon ziemlich viel getrunken haben. »Ich wusste nich, dass die Kleine vergeben is. Alles cool, Mann.«

Er wendet sich von uns ab und zieht schwankend davon. Ich sitze einen Augenblick lang wie paralysiert da. Was. Ist. Hier. Gerade. Passiert?

Wie kommt der Typ, der eben noch bei Jenna stand, zu mir? Und warum liegt seine Hand immer noch auf meiner Hüfte, obwohl der schmierige Kerl schon auf der Suche nach einem anderen Opfer ist?

Als ich den Blick hebe, wird mir klar, dass die blauen Augen mich immer noch intensiv mustern. Sie sind sogar noch blauer, als ich dachte. Ich sollte wohl etwas sagen, aber mir fällt nichts ein. Mein Gehirn ist wie leergefegt.

»Danke«, krächze ich schließlich, und ein Lächeln zupft an den Mundwinkeln meines Retters.

»Kein Problem«, sagt er und strahlt mich an. »Ich hatte irgendwie das Gefühl, du könntest Hilfe gebrauchen.«

Erleichtert stelle ich fest, dass ich mich wieder ein bisschen gefangen habe.

»Ich glaube, ich wäre auch allein klargekommen«, gebe ich zurück und lächele ihn an. »Eine Frau hat da so ihre Methoden, was aufdringliche Kerle angeht.«

Wieder zuckt es um seine Mundwinkel, und ich möchte nicht, dass unser Gespräch jetzt schon endet. Schnell spreche ich weiter.

»Das bedeutet aber nicht, dass ich eine ritterliche Geste nicht zu schätzen weiß.« Ich schmunzele und strecke ihm meine Hand entgegen. »Ich bin übrigens Georgie.«

Mein Retter hat sich inzwischen auf den freigewordenen Barhocker neben mir fallen lassen, stützt sich mit den Ellenbogen auf dem Tresen ab und bettet sein Kinn so auf seine Hände, dass er mich ansehen kann.

»Freut mich, Georgie. Ich bin Noah, und da wir uns jetzt schon mal vorgestellt haben und ich weiß, dass du ritterliche Gesten durchaus schätzt: Darf ich dich auf einen Drink einladen?«

Überrascht sehe ich ihn an. Sein Angebot überrascht mich, und im ersten Moment zögere ich.

»Ach komm schon«, sagt mein Retter, oder vielmehr Noah, und lächelt gewinnend. »Ich verspreche dir, dass ich kein Irrer bin, der dir K.o.-Tropfen unterjubeln will. Vor allem nicht, weil ich jetzt weiß, dass Frauen da ihre Methoden haben.«

Seine Worte bringen mich zum Lachen. Es gluckst geradezu aus mir heraus. Seine offene und lockere Art fasziniert mich, und es spricht ja nichts dagegen, sein Angebot anzunehmen.

»Einen Drink habe ich zwar schon bestellt, aber ich würde mich freuen, wenn du ihn mit mir zusammen trinkst«, antworte ich deshalb, und ein jungenhaftes Grinsen erhellt sein Gesicht.

»Dann kriege ich bitte dasselbe wie die Lady«, sagt er und lehnt sich auf seinem Hocker zurück, mit dem Rücken gegen den Tresen. Ich unterdrücke ein Grinsen. Er wird sich wundern, wenn in seinem Getränk der Sprit fehlt.

»Und jetzt erzähl mal, Georgie. Wer bist du?«, sagt Noah nach einem Augenblick des Schweigens.

Seine unverblümte Frage überrascht mich, und ich nehme erst einmal einen tiefen Zug aus dem Glas, das der Barkeeper mit den Worten »Bitte schön« vor mich hingestellt hat. Wer ich bin … Das ist eine Frage, die mir nie jemand so direkt gestellt hat. Normalerweise erkundigen sich die Menschen nach deinem Beruf, deinen Hobbys oder Ähnlichem, aber ich habe es noch nie erlebt, dass jemand, den ich in meinem normalen Alltag treffe, nach mir als Mensch fragt. Deswegen wirft mich diese kurze Frage ziemlich aus der Bahn.

Ich kaue auf meiner Unterlippe herum und zupfe an einem losen Stück Nagelhaut. Schließlich hebe ich den Kopf und sehe in Noahs blaue Augen.

»Ich weiß es glaube ich gar nicht«, sage ich und erschrecke im selben Moment über meine Ehrlichkeit. Auch wenn er andere Dinge fragt, als ich es gewohnt bin, kann ich mir nicht vorstellen, dass ihn wirklich interessiert, was im Innern einer völlig Fremden vor sich geht. Außerdem bin ich gar nicht der Typ dafür, einen Seelenstriptease vor einem Mann hinzulegen, nur weil er mir eine persönliche Frage stellt.

Ungewohnt verschüchtert für meine Verhältnisse sehe ich auf und begegne seinem Blick. Er sieht nicht genervt oder abgeschreckt aus. Stattdessen erkenne ich ehrliches Interesse in seinen Augen, und Wärme flutet meinen Körper. Was macht er mit mir?

»Das ist nichts, wofür du dich schämen müsstest«, sagt er sanft, und es kommt mir vor, als sei er ein Stück näher an mich herangerückt. »Ich glaube, die meisten Menschen kommen irgendwann an einen Punkt, an dem sie feststellen, dass sie sich erst einmal selbst finden müssen.«

»Uhh, klingst du weise. Bist du Yoda?« Ich versuche, der Situation durch diese scherzhafte Bemerkung den Ernst zu nehmen, und es gelingt mir. Noah lacht und trinkt ebenfalls einen Schluck aus seinem Glas. Einen Augenblick lang zögert er, nippt noch mal an seinem Glas und runzelt die Stirn. Dann schüttelt er den Kopf und mustert mich.

»Warten deine Freundinnen nicht auf dich?«, fragt er mit einem unbestimmten Kopfnicken hinter mich. Da wird mir klar, dass ich tatsächlich einen Moment lang vergessen habe, dass ich heute nicht allein hier bin.

Langsam drehe ich mich um und stelle fest, dass sehr viele Cheerleaderaugenpaare gespannt auf uns gerichtet sind. Die meisten von ihnen sehen einfach nur neugierig aus, aber es gibt ein Augenpaar, das wütende Funken in meine Richtung sprüht. Dieses Augenpaar ist es auch, das mich an etwas erinnert.

»Wie bist du eigentlich darauf gekommen, mir zu helfen?«, erkundige ich mich und wende mich wieder an Noah. »Ich dachte, du hättest ein eindeutiges Angebot bekommen.«

Ich fluche innerlich, weil meine Stimme spitz und eifersüchtig klingt. Was passiert mit mir? Ich bin nicht so!

»Du meinst von Barbie?«, fragt Noah, und ich kichere, weil diese Bezeichnung für Jenna nicht treffender sein könnte. Und ein bisschen auch, weil es mich freut, dass er ihrem Charme nicht erlegen ist, sondern so erfrischend direkt ist.

»Sie klang so, als stündest du definitiv auf ihrer Liste«, murmle ich und weiche seinem Blick aus.

Er lacht leise, und der warme Ton klingt so, wie flüssiges Karamell schmeckt. Samtig und angenehm süß.

»Das kann schon sein«, antwortet er, und ich hebe den Blick, weil seine Stimme so spitzbübisch klingt. »Aber sie stand definitiv nicht auf meiner Liste und so …« Er lässt den Rest des Satzes offen, und mein Herz macht einen Satz. Will er damit sagen, dass ich auf seiner Liste stehen könnte?

»Aber warum bist du stattdessen zu mir gekommen?«, frage ich nach, und mein Mund fühlt sich trocken an. Schnell nehme ich einen weiteren Schluck aus meinem Glas und befeuchte meine Lippen mit meiner Zungenspitze. Sie fühlen sich an wie Schmirgelpapier. »Bin ich deine Ausrede für eine Flucht?«

»Oh nein, Georgie.« In seinen Augen funkelt es. »Du interessierst mich, seit du den Raum betreten hast.«

Seine Worte sind wie ein lauter Knall in völliger Stille.

»Was?«, frage ich, und meine Stimme ist nicht mehr als ein Wispern. Seine Worte saugen den Sauerstoff aus dem Raum, und ich spüre, wie mir die Hitze in die Wangen steigt.

»Du bist mir sofort aufgefallen«, sagt er leise, und ich versuche, mir meine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen.

»Wie meinst du das?«, frage ich, und meine Stimme zittert.

»Es waren deine Augen«, sagt er, und mir bleibt einen Augenblick lang die Luft weg. Noah spricht weiter, und ein Lächeln umspielt seine Mundwinkel. »Als ich deine Augen gesehen habe, war ich sofort von dir fasziniert. Deine ganze Ausstrahlung ist so besonders, dass man dich einfach bemerken muss.«

Mir fehlen die Worte, und ich sehe ihn einfach nur an. So sieht er mich?

»Du bist mir auch aufgefallen«, platze ich heraus, als ich plötzlich Lacys Stimme hinter mir höre.

»Kommst du nicht mehr zu uns, Georgie?«, erkundigt sie sich, und als ich mich zu ihr umdrehe, sehe ich die Neugier auf ihrem Gesicht sofort.

»Es tut mir leid, ich habe sie aufgehalten«, mischt sich Noah mit einem charmanten Lächeln ein. »Ich bin Noah.«

Lacys Blick wandert von Noah zu mir und wieder zurück.

»Lacy«, antwortet sie mit kurzer Verzögerung und fährt sich mit der Zunge über die Lippen. Mit einem Mal strafft sie die Schultern.

»Die Mädels und ich wollten noch tanzen gehen. Hast du nicht Lust, uns zu begleiten, Noah?«, fragt sie, und mir stockt der Atem.

»Ihr wollt tanzen gehen?«, frage ich möglichst unbeteiligt nach und versuche meine Wut über die Tatsache zu verdrängen, dass meine Freundin einen Typen anbaggert, der mit mir beschäftigt war.

»Ich bin eigentlich nicht so der Tänzer«, beginnt Noah, und mir rutscht das Herz in die Hose. Er wird sich von ihr überreden lassen. Ganz sicher. Er wird mit ihnen weggehen.

»Aber wenn Georgie möchte, dann komme ich natürlich mit«, sagt er in diesem Moment, und ich traue meinen Ohren kaum. Als ich meinen Kopf hebe, liegt sein Blick freundlich auf mir, und Lacy steht der Mund offen. So hat sie vermutlich noch nie ein Mann abblitzen lassen.

»Georgie tanzt auch nicht«, sagt sie und klingt eingeschnappt. Das Lächeln auf Noahs Gesicht wird eine Spur breiter.

»Das passt ja perfekt. Ich hätte eigentlich auch eher Hunger. Hast du Lust, etwas mit mir essen zu gehen, Georgie?«

Jetzt ist es mein Mund, der offensteht. Dieser Mann muss verrückt sein, sonst würde er doch keinen Abend mit mir einem Abend mit tanzenden Cheerleader-Barbies vorziehen.

»Willst du, Georgie?«, unterbricht Noah meine Gedanken des Selbstzweifels, und ich spüre, wie ich nicke.

»Ja, sehr gerne«, sage ich und drehe mich zu Lacy, deren Augen Funken sprühen. »Viel Spaß euch.«

»Ja, dir auch«, motzt sie, macht auf dem Absatz kehrt und rauscht durch den Raum zu dem Tisch zurück. Sie sagt etwas zu den anderen, wirft ihre Haare über die Schultern, und im nächsten Moment stehen sie alle auf.

»Ich sollte schnell meine Tasche holen«, sage ich zu Noah, der Lacy amüsiert nachsieht.

»Ja, mach das.« Seine Stimme klingt ebenfalls amüsiert, und als ich aufstehe und mich auf den Weg zu meiner Tasche mache, habe ich weiche Knie, was nicht am Drink liegen kann.

Noah löst etwas in mir aus, das ich nicht verstehe. Ich kann es nicht einmal benennen. Es fühlt sich warm und gut an, so, wie Süßigkeiten oder der perfekte Sommertag. Ich freue mich, dass er den Abend mit mir verbringen möchte.

Schnell hole ich mein Handy aus der Tasche und tippe eine Nachricht an Jessy.

Georgie: Hey, Süße. Ich bin ein bisschen länger weg. Wir gehen noch was essen.

 

Ich weiß, dass ich ihr damit einen wichtigen Teil vorenthalte, und mein Gewissen schlägt auch an, aber ich will ihr nicht erzählen, mit wem ich etwas essen gehe. Zu gut erinnere ich mich daran, wie ich sie einmal ausgelacht habe, als sie frisch in ihren Freund Alex verliebt war.

Sie hat mir damals prophezeit, dass ich auch noch dran wäre. Im Brustton der Überzeugung verneinte ich und war mir völlig sicher. Natürlich bin ich schon mit Jungs ausgegangen, aber noch nie hat es einer geschafft, mein Herz höherschlagen zu lassen. Nach einigen Fehlversuchen war ich überzeugt, dass ich dafür einfach nicht der Typ bin, aber jetzt, in diesem Moment, gerät meine Einstellung zu diesem Thema doch ziemlich ins Wanken.

Jetzt übertreib mal nicht gleich, Georgie. Das ist ein Typ, den du heute zum ersten Mal siehst. Also lass das Hochzeitskleid im Schrank!

Als ich am Tisch ankomme, sind die anderen im Aufbruch begriffen. Sowohl Jenna als auch Lacy erdolchen mich mit ihren Blicken. Irritiert stelle ich fest, dass der Kerl, der vorhin bei Noah stand, jetzt in der Gruppe der Barbies steht und sich pudelwohl zu fühlen scheint.

»Alles okay?«, wende ich mich an meine Freundin, obwohl offensichtlich ist, dass sie gerade ein Problem hat.

»Ja klar, was soll sein?«, fragt sie und klingt dabei so zickig, dass ich zurückzucke.

»Entschuldige mal!« Meine Stimme wird eine Spur lauter. Ich bin nicht der Typ Mensch, der sich von anderen herumschubsen lässt oder alles hinnimmt, ohne den Mund aufzumachen. »Was ist gerade dein Problem? Ich gehe doch nur etwas essen.«

»Klar, mit einem Typ, der zum Niederknien heiß ist«, faucht sie, und ich hebe überrascht eine Augenbraue.

»Jetzt komm mal klar, Lacy. Es ist meine Sache, mit wem ich weggehe, und seine, dass er mich eingeladen hat. Also entspann dich bitte.«

»Gut, wenn du das so willst«, sagt sie, und ihre Stimme klingt gefährlich leise. »Aber dann brauchst du dich bei mir nicht mehr zu melden. Unsere Freundschaft ist Geschichte.«

Mit klappt die Kinnlade herunter. Habe ich gerade richtig gehört?

»Du kündigst mir wegen so etwas die Freundschaft?«, frage ich fassungslos, und Lacy zuckt die Achseln.

»Weißt du, Georgie«, sagt sie dann und klingt beinahe gelangweilt. »Ich glaube, wir haben beide gemerkt, dass unsere Wege nicht mehr zusammenpassen. Seitdem ich wieder da bin, hängst du doch lieber mit Jessy und Ben rum. Ich glaube, wir haben uns auseinandergelebt.«

Wie angewurzelt stehe ich da und starre sie an. Ich warte auf den Schmerz, aber er bleibt aus.

»Wenn du meinst«, sage ich schließlich ruhig und greife nach meiner Handtasche. »Mach es gut, Lacy«, sage ich noch, bevor ich mich umdrehe und gehe. Seitdem Lacy wieder zurück ist, habe ich mich immer häufiger über sie geärgert. Sie war in Frankreich und ist mit der offensichtlichen Annahme zurückgekehrt, dass alles nach ihrem hübschen Kopf laufen muss. Allerdings verstehe ich ihr Verhalten in diesem Moment überhaupt nicht. Mir jetzt einfach so die Freundschaft zu kündigen, ist doch ein bisschen drastisch. Wenn sie sich zurückgesetzt fühlt, weil ich mit einem »Typ, der zum Niederknien heiß ist«, essen gehe, spricht das nicht für sie.

»Da bist du ja wieder«, begrüßt Noah mich, als ich mit meiner Tasche zurückkomme. »Was war da denn los? Sah emotional aus.«

Die Schmetterlinge in meinem Bauch schlagen beim Klang seiner Stimme heftig mit den Flügeln, und ich schüttele den Kopf.

»Nur eine ganze Menge unnötiges Rumgezicke«, wiegele ich ab und warte gespannt darauf, was er jetzt vorhat.

»Wollen wir chinesisch essen gehen?«, erkundigt er sich, und ich nicke.

»Ich liebe chinesisches Essen«, sage ich, und in diesem Moment knurrt mein Magen so laut, dass Noah es definitiv gehört hat. Sofort laufe ich puterrot an, aber er lacht nur.

»Dann komm, ich kenne hier einen hübschen Laden.«

Kapitel 3

Noah

Gemeinsam verlassen wir das Joe’s und treten auf die Straße. Der Sommer geht langsam in den Herbst über, und überall werden die Kleider dicker, die Ärmel und die Röcke länger. Heute ist einer der vermutlich letzten warmen Tage, und ich glaube, Georgie ist die Einzige, die das heute Abend nicht ausgenutzt hat. Sie trägt einen leichten Pullover und eine verwaschene Jeans, die sich wie eine zweite Haut an ihre kurvige Figur schmiegt. Sie sieht in diesem legeren Outfit heißer aus als jede andere Frau, die sich extra in Schale schmeißt.

Sie wirkt selbstbewusst. Stark. Gleichzeitig habe ich das unstillbare Bedürfnis, sie zu schützen. Als ihre Freundin eben versuchte, mich von ihr wegzulotsen, habe ich Unsicherheit und Angst in ihren Augen erkannt, und dabei hätte selbst eine ganze Schar Victoria-Secret-Models mich nicht von ihr wegholen können.

»Dein Freund ist mit den Barbies abgehauen«, sagt Georgie plötzlich, und ich halte inne.

»Josh?«, frage ich, und sie nickt.

»Der, der mit dir am Tresen stand. Er hat sich an meine«, sie zögert kurz, und ihre Nase kräuselt sich. »Na ja, meine jetzt wohl ehemalige Freundin gehängt.«

»Ehemalig?«, frage ich, als die Bedeutung ihrer Worte bei mir ankommt.

»Akuter Fall von ›Ich lade dich nicht zu meinem Geburtstag ein, bäh‹, aber ich will nicht darüber reden«, sagt sie knapp, und ich verbeiße mir ein Lachen bei dieser bildlichen Beschreibung.

»Und mit ihr ist mein bester Freund also abgezogen«, murmle ich vor mich hin und schüttele kurz den Kopf. Das ist typisch Josh. Ein Frauenheld, wie er im Buche steht.

So ist er einfach, und wenn er nicht mein Freund wäre, dann hätte ich vermutlich keine gute Meinung von ihm. Aber Josh ist seit dem Kindergarten an meiner Seite und hat mich auch in der schwersten Zeit meines Lebens nicht alleingelassen. Das rechne ich ihm wirklich hoch an, und wahrscheinlich sind wir auch deshalb noch befreundet.

Jetzt konzentriere ich mich aber auf Georgie, die neben mir die Straße entlangläuft und offensichtlich nicht weiß, wie sie das Gespräch mit mir weiterführen soll.

»Ist Georgie eigentlich eine Abkürzung?«, mache ich es ihr leichter, und sie verzieht kurz und unwillig den Mund.

»Ja«, gibt sie dann in einem ungnädigen Tonfall zurück, und ich muss mir ein Lachen verbeißen, weil sie gerade unfassbar komisch aussieht.

»Schlechtes Thema?«, erkundige ich mich, und sie schürzt zustimmend die Lippen.

»Wenn du wüsstest. Meine Eltern haben mich mit dem Namen Georgiana gestraft.«

»Georgiana«, wiederhole ich leise und lasse den Namen auf meiner Zunge zergehen. »Ich mag den Namen, aber ich finde, dass Georgie besser zu dir passt«, stelle ich dann fest, und meine Worte zaubern ihr ein Lächeln ins Gesicht. Selbst von der Seite erkenne ich dabei ein niedliches Grübchen.

»Ja, nicht wahr? Georgiana klingt so hochgestochen.«

Sie rümpft ihre gerade, zierliche Nase und bringt mich damit schon wieder zum Lachen. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich mich das letzte Mal mit einem Menschen, den ich gerade erst kennengelernt habe, so unbeschwert unterhalten habe.

»Ben nennt mich immer Eure Hoheit oder Lady Georgiana«, erklärt sie, und mit einem Schlag ist es mit meiner guten Laune wieder vorbei.

Georgie

»Wer ist denn Ben?«, fragt Noah mit einem Mal deutlich ernster, und als ich ihn von der Seite ansehe, erkenne ich, dass sein Kiefer angespannt aussieht und kantiger hervortritt als eben noch. Er wird doch nicht eifersüchtig sein?

»Ben ist mein bester Freund«, erkläre ich schnell. »Er und meine beste Freundin Jessy sind meine Mitbewohner.«

»Ach so!« Noah klingt wirklich erleichtert, und jetzt grinse ich ihn an.

»Was dachtest du denn, wer er ist? Mein Zuhälter?«

Ihm klappt der Mund auf, und ich muss mir ein Grinsen verbeißen.

»Nein«, sagt er dann, und ich glaube zu sehen, dass sich seine Wangen leicht röten. »Ich dachte, er wäre dein Freund.«

Ich bleibe stehen und drehe mich zu ihm. Ich möchte ihn fragen, warum ihn das stören würde, aber ich bringe die Frage nicht über die Lippen. Noch nicht.

»Ist er aber nicht«, gebe ich zurück, und in diesem Moment meldet sich zum Glück mein Magen wieder zu Wort. »Und da wir das jetzt geklärt hätten: Ich habe echt Hunger. Ist es noch weit bis zu dem Chinarestaurant?«

»Da drüben ist es schon«, sagt er und deutet auf die gegenüberliegende Straßenseite.

»Na dann mal los.«

Das Restaurant entspricht wirklich in jedem Punkt den Klischees eines Chinarestaurants. Als wir den Raum betreten, werden wir von einer Menge Rot und Gold begrüßt, und ich nehme sanfte, sphärische Musikklänge wahr. Mein Blick landet direkt auf einem dicken, nackten Buddha aus Gold. Ein Gedanke schiebt sich in meinen Kopf, aber bevor ich ihn aussprechen kann, werden wir von einem kleinen Chinesen in bunter Tracht im Empfang genommen, der sich tief vor uns verbeugt.

»Krass«, flüstere ich Noah zu. »Das ist ja wirklich mega traditionell hier.«

»Ich hab dir doch gesagt, dass es schön ist«, antwortet er genauso leise, während wir dem kleinen Mann zu einem kleinen Tisch in einer Ecke des verwinkelten Raumes folgen.