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Über dieses Buch:

Wenn stolze Reiche wanken und uralte Mächte wieder zum Leben erweckt werden, muss sich ein jeder entscheiden, wofür er im Leben steht …
Sind nach einem Jahrtausend wirklich die Götter zurückgekehrt? Der seit Jahren währende Bürgerkrieg der Menschen scheint wie ein Vorbote des Untergangs zu sein: Über alle Lande erstreckt sich die Zerstörung und der Tod. Doch inmitten des Chaos werden neue Stimmen laut, die von einer anderen Welt berichten! Auch Aroanída, die zauberhafte Elynn, und der kriegserprobte Daric träumen allen Widerständen zum Trotz weiter davon, in diesen schicksalshaften Zeiten Frieden zu finden. Sie ahnen nicht, wie nah sie dem Wunsch ihrer Herzen sind – und welche Opfer sie dafür bringen müssen …

Über die Autorin:

E. S. Schmidt wurde 1970 in Frankfurt am Main geboren und erfindet seit dem 6. Lebensjahr Geschichten. Einige davon sind in Zeitschriften und Anthologien vertreten und haben bereits Preise gewonnen.

Bei dotbooks erscheint ihre Fantasy-Trilogie »Die Chroniken der Wälder«, die die folgenden Einzelbände umfasst: »Das Erwachen der Hüterin«, »Die Rückkehr der Elynn«, »Der Tod der Götter«.

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Originalausgabe Januar 2020

Copyright © der Originalausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Sarah Schroepf

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Irina Alexandrovna, Carlos Amarillo, Tom Tom

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (CG)

ISBN 978-3-96148-749-3

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E. S. Schmidt

Der Tod der Götter

Roman

dotbooks.

VIII

Kapitel 1

Daric betrachtete das getrocknete Blut an seinen Händen und fragte sich, ob in seinem Leben jemals ein Jahr vergehen würde, in dem er keines vergoss.

Wieder einmal hatten sie eine Schlacht geschlagen, wieder einmal hatten sie Gefangene gemacht. Im Lager war die Stimmung unwirklich. Die Erschöpfung kroch in die Köpfe, doch in den Körpern pulsierte noch der Kampf und verhinderte den Schlaf. Viele saßen herum und stierten mit leeren Augen vor sich hin, andere beschäftigten sich mit mehr oder weniger sinnvollen Tätigkeiten. Irk schleifte wieder einmal seine Waffen. In ein paar Jahren würde er das Metall bis auf die Griffe abgerieben haben. Hemlin drehte seine Flöten in den Händen, ohne darauf zu spielen, hinter einem der Zelte übergab sich jemand.

Diesmal hatte Aroanída ihn nicht in einen Berserker verwandelt, und das war gut so. Diese seltsamen Einbrüche des Magischen beunruhigten seine Männer. Außerdem war dies ein menschlicher Krieg, und er sollte mit menschlichen Mitteln geführt werden.

Aber es bedeutete auch, dass er sich an die Gesichter der Männer erinnerte, in deren Leiber er sein Schwert gerammt hatte.

Er nahm den Krug auf und ließ das Wasser über seine Hände rinnen, verrieb das Blut zu roten Schlieren und spülte diese schließlich fort. Dann betastete er behutsam die Haut über seinem Wangenknochen. Der Riss war verschorft, und auch die Wunde an seinem Unterarm sah nicht so aus, als würde sie mehr als einen Verband benötigen.

»Jetzt schulden sie uns nicht nur einen Monatssold«, sagte Sirun, der neben Aroanída an der Feuerstelle hockte und sich seine Holzschale mit Gerstenbrei füllte, »sondern auch noch die Prämie für die Schlacht.«

»Das ist ja wohl nichts neues.« Hemlin steckte seine Flöte weg. Er war ein alter Soldat, der seine Erfahrung gern mit den Jüngeren teilte – etwa wie man die Stiefel so ausstopfte, dass einem bei Frost die Zehen nicht erfroren, oder wie man die unvermeidlichen Druckstellen behandelte, die das Marschgepäck hinterließ. Doch auch er war heute einsilbig.

Es war eine Feldschlacht gewesen – ohne Sieger, nur Verlierer. Wenn man gegen eine Stadt stürmte, dann hatte man die Mauern entweder überwunden oder nicht. In einer Feldschlacht hingegen war irgendwann der Punkt erreicht, an dem der einzelne Kämpfer in seiner näheren Umgebung keinen lebenden Feind mehr fand – und keinen Elan mehr hatte, das Schlachtfeld nach einem neuen abzusuchen. Dann kehrte man ins Lager zurück und beobachtete, dass die Gegner das Gleiche taten.

»Der General wird sich schon darum kümmern«, sagte Daric. »Bisher hat Túrin Gath noch immer irgendwo Geld aufgetrieben.«

Sirun stand auf und blies in die dampfende Schale. »Wir sollten uns die Gefangenen anschauen. Du musst dir langsam einen Burschen aussuchen.«

»Ich hatte in meinem ganzen Leben noch keinen Diener.«

»Aber jetzt bist du der Freie von Eldrin und Leutnant des dritten Banners des sechsten Regiments des Kaisers.« Er rührte mit einem Holzlöffel in dem dampfenden Brei herum. »Keine Sorge. Du wirst dich schon daran gewöhnen, von vorne bis hinten bedient zu werden.«

Daric beobachtete Irk, der aufgestanden war, um neues Brennholz ins Feuer zu legen. Es gefiel Daric nicht, dass er Aroanída dabei so nahe kam. Irk konnte die Entstellung seines Gesichts durch wucherndes Barthaar verdecken, doch heute hatte Daric den Mann wieder einmal kämpfen sehen, und inzwischen war er sich sicher. Irks Bewegungen, seine Art, das Schwert zu führen, all das verriet ihn.

»Wir sollten gleich gehen«, sagte Sirun kauend, »sonst sind die Besten weg. Und du solltest die andere Uniform anziehen.« Er deutete mit dem Löffel auf die ausgefranste Schulterpartie, wo Daric die Ärmel abgetrennt hatte, um aus einer zu engen Jacke eine passende Weste zu machen. »Vielleicht musst du dich mit anderen Leutnants um die besten Männer streiten.«

»Soll ich auch Helm und Schwert mitnehmen?«, gab Daric mürrisch zurück.

Sirun grinste. »Könnte helfen.«

Doch Sirun hatte recht: Unter den Ilonari galt das Äußere viel. Also ging Daric in sein Zelt, um sich umzuziehen. Er suchte ein frisches Hemd heraus und schloss die gute Jacke darüber, merkte dann aber, dass er sie falsch zusammengeknöpft hatte.

»Lass mich das machen.« Aroanída war ihm gefolgt. Sie schob seine Hände zur Seite, und er ließ sie gewähren. Fachkundig rückte sie die Jacke zurecht, zupfte den Kragen des Hemdes in Form und schloss dann die Knöpfe wieder. Fast konnte man vergessen, dass sie eine Elynn war, die in ihren Wäldern völlig unbekleidet lebten.

Er genoss diese Gesten der Fürsorge, die Art, wie sie sich immer selbstverständlicher in ihrem menschlichen Leben bewegte. Mehr und mehr wurde es zu einem gemeinsamen Leben, wenn auch an einem Ort, der voller Mühen und Gefahren war. Über ihren Kopf hinweg spähte er durch den Spalt im Zelteingang. Sirun kratzte seine Schale aus, Irk ließ seinen Dolch mit bedächtiger Kraft über die raue Fläche eines Wetzsteins gleiten. Er war der Einzige, der sich auf die nächste Schlacht vorbereitete, die doch mit Sicherheit kommen würde. Und es war nicht verwunderlich, dass es ausgerechnet Irk war, der so handelte.

Seit Monaten waren sie miteinander unterwegs, doch nicht ein einziges Mal hatten sie sich im Kampf geübt. Als Daric noch in der Arena gestanden hatte, hatte man ihn gezwungen, seine Kraft und Geschicklichkeit an jedem einzelnen Tag zu festigen, doch Soldaten ließ man einfach nach ihrem eigenen Gutdünken gewähren.

Ob Irk wohl in der Lage sein würde, die Männer zu trainieren?

Aroanída, die ihr Werk beendet hatte, folgte seinem Blick. »Irk erinnert mich an einen Bären«, sagte sie. »Groß, brummig und voller Pelz.«

Der Vergleich war treffend. Dunkle Haare standen dicht und lockig nicht nur auf Irks Armen, sondern auf so ziemlich jeder Stelle, welche die Kleidung frei ließ. Doch Aroanída sollte sich nicht zu sehr mit ihm anfreunden. »Halte dich von ihm fern.«

»Warum?«

»Er könnte gefährlich sein.«

»Gefährlicher als die anderen Soldaten?« Spott lag in ihrer Stimme. Natürlich, er selbst hatte sie zu diesen Männern gebracht, deren Beruf es war, zu töten. Doch Irk war mehr als nur ein Soldat.

»Die Narben auf seiner Wange«, sagte Daric. »Sie stammen nicht aus einem Kampf. Er hat versucht, ein Brandzeichen zu zerschneiden.«

Aroanída hob die Hand und ließ ihre Finger über Darics Wange gleiten. »Das gleiche, das du einst getragen hast?«

Einen Moment noch sah er zu dem Soldaten hinüber, dann senkte er den Blick auf sie. »Ja. Irk hat in der Arena gestanden.«

»Bist du sicher? Unter all den Haaren ist das schwer zu sagen.«

»Es sind nicht nur die Narben. Es ist die Art, wie er sich in der Schlacht bewegt. Ich habe ihn schon einmal kämpfen gesehen.«

»Denkst du, er hat dich auch erkannt?«

»Vermutlich nicht. Ich hatte meinen Auftritt nach ihm, und da er verwundet wurde, denke ich nicht, dass er sich den angeschaut hat.« Er presste die Lippen aufeinander. Dann sagte er: »Das Problem ist: Nur Räuber und Mörder werden zur Arena verurteilt.«

»Er könnte unschuldig verurteilt worden sein. Wie du.«

»Vielleicht. Vielleicht auch nicht.«

»Wir könnten ihn fragen.«

»Das wirst du schön sein lassen.« Daric fasste ihre Schulter und zwang sie, ihn anzuschauen. »Er ist entlaufen, nicht freigelassen. Sonst müsste er das Brandmal nicht verbergen.« Ein freigelassener Schwertsklave bekam einen Freipass: ein mit dem offiziellen Siegel einer Stadt geprägtes Stück Kupfer, das die meisten von ihnen um den Hals trugen.

»Vielleicht wollte er nur nicht mehr angestarrt werden.«

»Du hast zu viel Vertrauen in die Menschen, Aroa.«

»Im Gegenteil, Daric. Seit frühester Kindheit wurde ich gelehrt, dass die Menschen böse sind, brutal und unberechenbar. Willst du mir sagen, dass meine Lehrer recht hatten?«

»In manchen Fällen schon.«

»Irk lebt seit Jahren mit anderen Soldaten zusammen. Meinst du nicht, es wäre aufgefallen, wenn er ein unberechenbarer Mörder wäre? Er ist sogar Rottmeister geworden, von den Männern des Zeltes selbst gewählt.«

Sie hatte recht. Dass es Irk gelungen war, sich den Respekt der Soldaten zu verdienen, sprach für ihn. Aber genügte das? »Was wird er tun, wenn er fürchtet, entlarvt zu werden?«

»Das muss er ständig fürchten. Aber nur, wenn er weiß, dass er dir vertrauen kann, kannst du auch ihm vertrauen.«

Die Männer nannten Aroanída »die Leutnantin«, und nicht etwa »Frau Leutnant«, wie es üblich wäre. Es war ein halb scherzhafter Ehrentitel, und er sprach von dem Respekt, den sie ihr zollten, seit Aroanída die Männer in die Wüste geführt hatte, um ihn und Túrin Gath zu retten. Er betrachtete sie zärtlich, ließ seinen Blick über ihr fein geschnittenes Gesicht gleiten, die vollen Lippen, die mandelförmigen Augen, in denen so viel Zuversicht lag. Zuversicht in ihn, dass er die richtige Entscheidung treffen, die richtigen Worte finden würde. Irgendwie gab dieses Vertrauen ihm Stärke. »Was tun bloß die Männer, die keine so kluge Frau haben?«

»Sie gehen unter«, antwortete sie und reckte sich ihm entgegen, um seinen Kuss zu empfangen. Er folgte der Aufforderung, und einen Moment lang verloren sie sich in der zärtlichen Liebkosung. Es fiel ihm schwer, den Kuss zu beenden. Widerstrebend löste er sich von ihr. »Vergiss nicht, woran du eben gedacht hast«, sagte er. »Genau da machen wir heute Abend weiter.«

Irk hatte den Dolch zur Seite gelegt und begutachtete nun kritisch die Schneide seines Schwertes. Daric sah sich um und entdeckte im Abfall eine der fauligen Rüben, die sie nicht für das Essen hatten verwenden können. Sie war schwarz, weich und von Madenlöchern durchsiebt. Trotzdem wies sie Schnittflächen auf, wo der Koch den letzten Rest essbarer Substanz abgeschnitten hatte. Nahrung war knapp geworden. Es war Wochen her, dass die Männer Fleisch zwischen die Zähne bekommen hatten. Selbst wenn man ihnen endlich ihren Sold ausgezahlt hätte – es gab kaum noch welches zu kaufen.

Daric hob die Rübe auf und warf sie mit Wucht direkt auf Irk. Obwohl der Mann die Bewegung höchstens aus den Augenwinkeln heraus hatte wahrnehmen können, hob er die Waffe rechtzeitig, um das Geschoss abzuwehren. Die Rübe zerplatzte bei der Begegnung mit der Klinge und regnete zischend ins Feuer.

»Gute Reaktion«, sagte Daric anerkennend. »Du verstehst es, mit dem Schwert umzugehen.«

Irk antwortete nichts darauf. Er legte die Klinge auf seine Oberschenkel und sah Daric abwartend an. Der setzte sich neben ihn, sodass er leiser sprechen konnte.

»Die Art, wie du die Klinge im letzten Moment drehst. Ich habe das schon einmal gesehen.« Daric klaubte verstreute Reste der Rübe auf und warf sie ins Feuer. »In der Arena von Peronat.«

Irks Blick wurde wachsamer, doch noch immer schwieg er.

»Es war ein guter Kämpfer«, sagte Daric. »Wie war sein Name noch?« Er ließ eine Pause entstehen, doch Irk sagte kein Wort. Sein Gesicht wirkte angespannt, konzentriert – wie ein in die Enge getriebenes Tier, das vor dem Angriff zögert, weil es noch hofft, davonzukommen. Daric war sich sehr bewusst, dass Irks Rechte locker und wie nebenbei auf dem Schwertgriff ruhte, während sein eigenes Schwert in der Scheide steckte. »Ich glaube, er nannte sich Jurin, der Bär.«

Das Zucken von Irks Lidern verriet ihn. Seine Haltung war angespannt, kampfbereit.

»Es ist immer gut, von den Besten zu lernen.« Daric gab sich ganz bewusst eine Blöße, indem er den Blick abwandte und ihn über das Lager schweifen ließ. »Was die Männer hier wirklich brauchen, ist Training. Eine tägliche Übung ihrer Fähigkeiten. Meinst du, du wärst in der Lage, sie zu drillen?« Sein Blick kehrte zu Irk zurück.

Irks Kiefermuskeln schienen zu angespannt, um sich zu bewegen. Er brauchte einen Moment, bis er nickte. »Ja«, sagte er, und es klang heiser.

»Gut. Dann werde ich das anordnen.« Daric stand auf. »Sirun und ich gehen jetzt, um uns die Gefangenen anzusehen. Deine Rotte hatte heute keine Verluste, nicht?«

Wieder dauerte es einen Moment, bis Irk reagierte. Vielleicht brauchte er Zeit, um den Schrecken zu verdauen, vielleicht war es einfach seine bedächtige Art. Schließlich schob er das Schwert in die Scheide. »Nein«, sagte er. »Wir hatten Glück.«

Daric dachte daran, wie Irk gekämpft hatte – nicht nur an seine Technik. Auch die Tatsache, dass er stets bei seinen Männern blieb, ihnen eine Gasse hieb oder den Rücken deckte, ihnen Anweisungen zurief und Warnungen. Irk war einer der Männer, die selbst im Getümmel nie den Überblick verloren. Kein Wunder, dass man ihn zum Rottmeister gemacht hatte.

»Deine Männer hatten nicht nur Glück«, sagte er. »Sie hatten dich.«

***

Die gefangenen Soldaten hockten schmutzig und erschöpft in langen Reihen. Ihre Fußgelenke waren in Eisen geschlossen. Eine lange Kette verband jeweils zwanzig oder dreißig Männer miteinander. Auf ähnliche Weise wurden Verurteilte zusammengeschlossen, nachdem man sie gebrandmarkt hatte. Dann schritten die Besitzer der Kampfschulen, der Minen und der Galeeren die Reihen ab und feilschten um die Preise. Daric erinnerte sich gut an das Gefühl von damals – die Scham, die Verzweiflung.

Nun war er derjenige, der die Reihen entlangschritt und die Gefangenen musterte wie Ware. Diese Männer allerdings wirkten nicht verzweifelt. Zwar lag Erschöpfung in ihren Augen, aber keine Angst. Sie vertrauten darauf, dass man sie in die Reihen des Kaiserbruders eingliedern würde. Manche sahen zu ihm hinauf, gelangweilt oder herausfordernd. Andere starrten vor sich hin oder dösten mit geschlossenen Augen. Ein schlanker, blonder Mann hatte die Beine bequem ausgestreckt, stützte sich auf einen Ellbogen auf und las in einem Buch. Er unterbrach seine Lektüre nicht, als Daric vor ihm stehen blieb.

»Was liest du?«, fragte Daric.

Der junge Mann schaute auf und blinzelte gegen das Licht. »Tenerek Sim«, antwortete er. »Kennt Ihr seine Schriften?« Seine Aussprache war vornehm, sein Ton leichthin, als plaudere er in einem Teegarten. Dabei war sein Gesicht noch schmutzig und blutbespritzt.

»Nein, aber ich kenne dich«, antwortete Daric. »Du warst Adjutant in Woran-Sul.«

Der junge Mann schloss das Buch und hielt es sich als Sonnenschutz über die Augen. »Das ist wahr, Leutnant. Ich erinnere mich auch an Euch. Es scheint Euch besser zu gehen.«

Der junge Mann hatte Daric im Herbst einen Platz im Lazarett verschafft, damals, als er geglaubt hatte, sterben zu müssen. »Du trägst die Uniform der Kaiserwitwe.«

»Ja, das ist eine lustige Geschichte. Mein zerstreuter Hauptmann hat uns auf einem Aufklärungsritt direkt hinter die feindlichen Linien geführt. Ich wurde gefangen genommen und unter ihre Soldaten gesteckt. Habe den ganzen Winter auf Kosten der Witwe gelebt.«

Daric erinnerte sich lebhaft an den Hauptmann, der seine Untergebenen als unfähig beschimpft hatte und doch auf deren Fähigkeiten angewiesen gewesen war.

»Und?«, fragte Daric. »Bist du bereit, die Seiten wieder zu wechseln?«

Der Mann zuckte mit den Schultern. »Ich trage den Rock, der mir meinen Sold garantiert.«

»Das will ich hören. Wie ist dein Name?«

»Fendrico, Leutnant, aber die meisten nennen mich Fender.«

»Fendrico, hm? Du kommst aus dem Süden?«

»Nein, Leutnant, aber mein Vater.«

Daric schaute zweifelnd auf das blonde Haar des Mannes, und der grinste. »Wie es heißt, war mein Vater auch überrascht, aber als guter Sohn zweifle ich das Wort meiner Mutter nicht an.«

»Nun gut, Fender. Ab jetzt gehörst du zum dritten Banner des sechsten Regiments des Kaisers.« Daric winkte einen der Schließer heran, und Fender stand auf. »Darf ich auch etwas fragen, Leutnant?«

»Nur zu.«

»In Woran-Sul wart Ihr ein einfacher Soldat. Nun tragt Ihr das Abzeichen eines Ilonars

»Du wirst feststellen, dass ich immer noch einfach bin. Zum Beispiel kann ich nicht lesen. Darum brauche ich dich.«

»Daran soll’s nicht liegen.« Fender wedelte mit dem schmalen Band und verstaute ihn dann in seiner Weste. »Ich kann Euch jeden Abend daraus vorlesen, wenn Euch danach ist.«

»Und was steht da drin?«

»Die Gedanken eines klugen Mannes, Tenerek Sim aus Jerofan. Er spricht davon, wie das Volk sich selbst seine Gesetze schaffen könnte.«

»Was für ein Unsinn«, murrte Sirun. »Die Ilonari machen die Gesetze.«

Fender lächelte. »Und findest du etwa, sie machen sie gut?«

»Die Welt ist, wie sie ist.«

»Wir selbst schaffen unsere Welt – durch unsere Ideen und unser Handeln.«

Daric gefiel dieser Gedanke, doch Sirun sagte: »Die Götter selbst haben die Ilonari eingesetzt. Was gibt es da noch zu reden?«

»Die Männer, die von den Göttern eingesetzt wurden, sind seit über tausend Jahren tot. Warum müssen wir noch heute ihren Nachkommen dienen?«

»Weil sie dich sonst aufknüpfen lassen, Bücherwurm. Warum ist ein Hänfling wie du überhaupt Soldat geworden?«

Fender zuckte mit den Schultern. »Weil ich sonst im Schuldturm gelandet wäre.« Er sah Daric bedauernd an. »Ehrenschulden.«

»Spielschulden«, übersetzte Sirun verächtlich.

»Du bist ein Ilonar?«, fragte Daric erstaunt, denn nur ein Ilonar würde dieses Wort verwendet haben.

Fender grinste. »Aber ja, ich bin ein Ilonar.« Er vollführte eine komplizierte Verbeugung, die zugleich gekonnt und affektiert wirkte. »Fender von Haumingen, dritter – wenn auch ungewöhnlich blonder – Sohn des Freien von Haumingen.«

»Glaub ja nicht, dass wir deswegen vor dir den Hut ziehen«, grummelte Sirun.

»Wie bedauerlich. Aber vielleicht kann ich Euch die Hofreverenz lehren, ehrwürdiger Rottmeister.«

Er setzte zu einer erneuten Verbeugung an, doch Sirun wehrte ab: »Bleib mir bloß vom Leib mit dem weibischen Kram.«

Daric lachte. Dann sagte er: »Geh und lass dich in die Soldliste eintragen als Adjutant des dritten Banners.«

Fender salutierte und machte sich davon. Das gefiel Sirun nicht. »Du lässt ihn ganz alleine gehen?«

»Ich habe den Verdacht, es gibt keinen Ort, zu dem er fliehen könnte. Außerdem habe ich nicht vor, unsere neuen Männer speziell zu überwachen. Wenn ich ihnen nicht einmal im Lager vertrauen kann, wie soll ich ihnen in der Schlacht vertrauen?«

Sirun brummte und nahm den Weg die Reihe entlang wieder auf. »Suchen wir uns nun noch einen richtigen Soldaten aus? Drywin hat einen Mann verloren. In der nächsten Schlacht wird uns der Possenreißer nicht viel nützen.«

Daric blieb stehen und hielt den Rottmeister an der Schulter auf. »Sirun«, sagte er ernst. »Fender hat mir Freundlichkeit erwiesen, als ich es nötig hatte. Er trägt das Herz auf dem rechten Fleck.«

Sirun zuckte mit den Schultern. »Du bist unser Leutnant. Du bestimmst, wer dazugehört.«

»Und keine Sorge, Irk wird schon noch einen halbwegs brauchbaren Kämpfer aus ihm machen.«

»Irk? Er braucht keinen Neuen. Ich dachte, Fender wird dein Bursche.«

»Schon, aber Irk wird ab morgen alle Männer des Banners trainieren. Wenn wir das nächste Mal in die Schlacht ziehen, werden wir keine leichten Gegner abgeben.« Er sah sich um. »In deinem Rottzelt ist auch ein Platz frei geworden.«

»Ich sehe hier nichts, was mir gefällt. Außerdem nehme ich an, du willst deinen neuen Burschen nicht unbedingt in deinem eigenen Zelt schlafen lassen.«

Daric war erstaunt über Siruns Fürsorge. »Ich dachte, du magst Fender nicht.«

»So kann ich zumindest ein Auge auf den Bücherwurm haben.«

***

Früh am nächsten Morgen ließ Daric das gesamte Banner antreten. Müde und unrasiert schälten sich die Männer aus den Zelten. Nur die Rottmeister waren bereits angekleidet und standen neben ihm. Mit ihnen hatte er seine Pläne schon am vorangegangenen Abend besprochen.

Daric wartete, bis die Soldaten in mehr oder weniger ordentlichen Reihen neben ihren Zelten standen. Dann rief er: »Ich habe euch gestern in der Schlacht kämpfen sehen, und ich kann sagen: Manche von euch kämpfen wie Gott Argkhan persönlich.«

Zustimmendes Murmeln erklang. Einigen der Männer wurde von den Kameraden auf die Schulter geklopft.

»Andere allerdings«, fuhr Daric fort, »schwingen ihr Schwert, als wäre es ein Zaunpfahl bei einer Dorfschlägerei.«

Verhaltenes Lachen antwortete ihm.

»Das reicht vielleicht, um zu überleben, aber nicht, um zu siegen. Und es reicht sicherlich nicht, um den Kameraden an eurer Seite zu schützen.«

Jetzt lachte niemand mehr.

»Ihr seid gute Männer, jeder von euch. Bestimmt die Hälfte hat das Zeug zum Doppelsöldner.« Das mochte zwar kein sonderlicher Anreiz sein, wenn nicht einmal der einfache Sold ausgezahlt wurde, trotzdem war der Titel eines Doppelsöldners eine der wenigen Ehrungen, die einem einfachen Soldaten zuteilwerden konnten. »Laut General Gath werden wir noch einige Wochen lang hier lagern, und diese Wochen werden wir nutzen. Jeden Morgen, eine Stunde nach Sonnenaufgang, werdet ihr euch auf der Wiese östlich des Lagers einfinden, und Irk wird euch beibringen, was er weiß. Wir beginnen damit heute.«

Einige murrten, denn sie hatten andere Pläne für den Tag gemacht, doch im Allgemeinen ist ein Soldat an allem interessiert, was sein Überleben auf dem Schlachtfeld wahrscheinlicher macht, und so verließ das Banner das Lager geschlossen und begann auf einer Wiese zu exerzieren. Viele der Übungen, welche die Muskeln stählen und Geschicklichkeit und Schnelligkeit erhöhen sollten, waren Daric bekannt. Sie vertrieben seine letzten Zweifel daran, aus welcher Welt Irk in die Armee geflüchtet war.

Als sie gegen Mittag das Training beendeten, sangen die Grillen in der sommerlichen Hitze. Die Männer marschierten zu einem nahe gelegenen Fluss, um sich den Schweiß von der Haut zu waschen und ihre Wassersäcke aufzufüllen. Die Sonne ließ Siruns schwarze Tätowierungen leuchten und beschien unbarmherzig die Narben auf Marths nacktem Rücken, die von Gan-Šivolas Peitsche stammten. Daric überkam noch immer Zorn, wenn er an die ungerechte Bestrafung des Jungen dachte.

Nach einem kurzen Bad im eisigen Wasser watete Drywin gerade wieder ans Ufer und wrang dabei sein Hemd aus. »Ich habe einen Bärenhunger«, sagte er zu Daric, »den Männern geht es sicher nicht anders. Wenn wir exerzieren, sollte jeweils ein Zelt zurückbleiben, um das Mittagessen zu organisieren.«

»Gute Idee.« Sirun rieb sich über die glänzende Glatze. »Und jeden Tag übernimmt eine andere Rotte diese Pflicht.«

»Organisiert das«, wies Daric sie an. Er sah Fender am Boden hocken und ging zu ihm hinüber. Der junge Mann massierte mit schmerzverzerrtem Gesicht seinen Unterschenkel.

»Ich habe einen Krampf. Mein Körper ist einfach nicht geschaffen für diese Art der Betätigung.«

»Das geht vorbei.« Daric hielt ihm die Hand hin. »Noch mehr von der gleichen Medizin wird den Schmerz vertreiben.«

Fender griff zu und ließ sich von Daric auf die Füße ziehen. »Irk macht seine Sache ziemlich gut«, sagte er und klopfte sich den Schmutz von der Hose. »Sein Vorgehen hat Methode – wie in den Schulen, in denen Verurteilte für die Arena ausgebildet werden.«

Daric hatte befürchtet, dass der eine oder andere auf diese Idee kommen würde. »Vielleicht ist er einmal Lehrer in einer Kampfschule gewesen«, sagte er leichthin. »Wer weiß schon, welche Wirrungen des Schicksals jeden Einzelnen hierhergeführt haben.«

Doch damit gab Fender sich nicht zufrieden. »Vielleicht kennt er es aber auch, weil er selbst auf diese Weise trainiert wurde. Ist Euch seine Wange aufgefallen?«

Es reichte nicht, die Sache herunterzuspielen, Daric musste deutlicher werden. Er trat nahe an Fender heran, bis er merkte, dass der schmächtige Mann den Impuls unterdrücken musste, zurückzuweichen. »Lass mich eines klarstellen«, sagte er leise. »Gleichgültig, was Irk früher gewesen ist oder getan hat, jetzt ist er ein Teil meines Banners. Und ich werde nicht dulden, dass jemand Gerüchte über ihn streut. Habe ich mich klar genug ausgedrückt ?«

»Völlig.« Fender trat einen Schritt zurück. »Und ich entschuldige mich, wenn ich einen falschen Eindruck erweckt habe. Irk ist ein guter Kamerad, und was er für die Männer tut, ist großartig. Aber es gibt einen Unterschied zwischen dem Mann in der Arena und dem auf dem Schlachtfeld: Der Kämpfer auf dem Schlachtfeld ist nicht allein.«

Das war nicht der einzige Unterschied. In der Arena kam es nicht nur darauf an, den Gegner zu besiegen. Der Kampf musste zudem elegant sein, wagemutig und ideenreich. Der Kämpfer musste das Publikum für sich gewinnen, damit es ihn im Falle einer Niederlage begnadigte. Auf dem Schlachtfeld hingegen spielte Eleganz keine Rolle. Ein ungeschliffener Schlag, der den Gegner fällte, war besser als eine geschickte Parade, die ihn nur abwehrte.

»Du hast recht.« Daric wandte sich dem Lager zu. »Um in der Schlacht zu überleben, braucht es womöglich andere Techniken als in der Arena.«

Fender schloss sich ihm an. »Die alten Völker kämpften anders«, sagte er. »Vor dem Krieg der Götter besaßen sie große Schilde, mit denen sie nicht nur sich selbst, sondern auch ihren Nebenmann schützen konnten. So rückten sie gemeinsam vor, wie eine undurchdringliche Wand.«

»Woher weißt du das?« Daric bückte sich nach einem der Krüge, die die Männer gefüllt hatten.

»Das steht in alten Schriften. Es gibt viel Wissen in den Bibliotheken, das niemanden mehr zu interessieren scheint. Vieles ist verloren gegangen, als die Welt in Trümmer fiel.«

Daric blieb stehen. »Du hast diese Schriften bei dir?«

»Nein.« Fender lachte. »Aber ich habe mir Notizen gemacht. Was mich fasziniert, das schreibe ich auf. Ich denke, ich finde in meinen Aufzeichnungen den einen oder anderen Kniff, den ich an Irk weitergeben kann.«

»Tu das«, sagte Daric. Dann fragte er nachdenklich: »Woran liegt das? Warum trainieren wir unsere Sträflinge, aber nicht unsere Soldaten?«

Fender, der gerade seine Jacke überstreifte, lächelte grimmig. »Das ist leicht zu erklären, Leutnant. Ein Kämpfer in der Arena verdient Geld für seinen Herrn. Ein Soldat kostet Geld.«

»Also zählt Geld mehr als ein Menschenleben?«

»So ist die Welt.«

»Sagtest du nicht, wir selbst schaffen die Welt?«

»Tja.« Fender hob die Hände. »Aber leider nicht Ihr und ich.«

»Wer sonst?«, fragte Daric. »Und warum, zum Durgrunn, überlassen wir es ihnen?«

Fender hatte keine Antwort auf diese Frage, und Daric erwartete auch keine. Er nahm einen Schluck aus dem Krug und sah dabei aus den Augenwinkeln einen mageren Jungen, der suchend zwischen den Männern umherlief. Natürlich war es Drywin, der sich seiner annahm. Er beugte sich zu dem Kind hinunter, dann zeigte er auf Daric, und der Junge kam zögernd näher.

»Ich suche den Leutnant des dritten Banners«, sagte der Junge scheu.

»Du hast ihn gefunden. Worum geht es?«

»Der General möchte Euch sehen.«

»Na, dann werde ich ihn nicht warten lassen.« Daric reichte den Krug an Fender weiter und wollte schon losgehen, als ihm der Gesichtsausdruck des Jungen auffiel. Das Kind sah ganz so aus, als wolle es jeden Moment losweinen. »Was hast du?«, fragte er.

»Der General sagte …«, ein zittriges Luftholen, »… Ihr würdet mir ein Stück Brot geben.«

Jetzt erst wurde Daric bewusst, wie mager der Junge war. Seine Arme waren kaum dicker als Stöcke und ragen aus einem viel zu großen Hemd. »Fender wird dich zu meiner Frau bringen«, sagte er und zeigte auf den Soldaten. »Die wird dir zu essen geben.«

Fender nickte lächelnd und winkte den Jungen zu sich. »Komm, kleiner Mann. Wir werden sehen, was die Leutnantin für dich hat.«

Kapitel 2

Auf dem Weg zum Hauptquartier passierte Daric einen Trupp neuer Rekruten, die gerade von einem Feldwebel zusammengestaucht wurden. Man erkannte die Neuen immer an der ärmlichen, zusammengewürfelten Kleidung, den unsicheren Blicken und den dürren Gliedern. In der letzten Zeit hatte Daric viel zu viele dünne Menschen gesehen. Der Krieg war mitten in seinem dritten Jahr, und vielerorts waren nicht nur die Vorräte, sondern auch das Saatgut aufgezehrt. Nur selten passierten sie auf ihrem Marsch Felder voller Korn oder Kohl, viel häufiger wucherte darauf Unkraut, und immer deutlicher schmeckte das Brot, das sie im Tross erstanden, nach dem Holzmehl, mit dem es gestreckt wurde. An Rekruten herrschte dementsprechend kein Mangel. Für viele waren die Armeen des Kaiserbruders und der Kaiserwitwe – oder des Thronräubers und der Hure, wie die jeweils gegnerische Seite sie gerne betitelten – die letzte Zuflucht vor dem Hungertod. Das galt zumindest dann, wenn der Sold ordentlich ausbezahlt wurde oder die Gegend sich zum Plündern eignete.

Nicht nur die Feldfrüchte wurden weniger. Das meiste Vieh war geschlachtet oder hatte sich in die Wälder geflüchtet, wo sich ausgewilderte Schafe und Ziegen zu kleinen Herden zusammenfanden, und auch die Menschen waren spürbar weniger geworden. Immer öfter durchquerten die Soldaten auf ihren Märschen leere Dörfer, ausgestorben oder aufgegeben. Heute lagerten sie in einem solchen Weiler: Die Zelte der Soldaten gruppierten sich um fünf niedrige Häuser, in welche die höheren Offiziere eingezogen waren. Niemand wusste, wohin es die ehemaligen Bewohner dieser kleinen Siedlung verschlagen hatte.

Túrin Gath, der Befehlshaber der beiden Regimenter, residierte im größten und ansehnlichsten der Häuser, das dennoch so niedrig war, dass Daric sich durch die Tür bücken musste. Wieder einmal saß der General über Listen, Briefe und Karten gebeugt. Die Versorgung der Soldaten nahm den Befehlshaber mehr und mehr in Anspruch.

»Wie ist die Stimmung?«, fragte Gath statt einer Begrüßung.

»Sie wäre besser, wenn der Sold ausgezahlt würde.«

»Ich weiß. Glaub mir, ich weiß, wie wichtig der Sold für die Moral der Truppe ist.«

Nicht nur für ihre Moral, auch für ihr Überleben. Immerhin mussten sie ihre Lebensmittel selbst im Tross erstehen, und einige nahmen bereits Schulden bei Kameraden auf, die ihr Geld besser zusammengehalten hatten.

»Umso wichtiger ist deine neue Aufgabe«, sagte Gath. »Hauptmann Gan-Šivola hat das dritte Banner dafür vorgeschlagen. Er scheint deine Fähigkeiten inzwischen anzuerkennen.«

Wahrscheinlicher erschien Daric, dass die Aufgabe entweder gefährlich oder schwierig war – oder beides.

Gath stand auf und kam um den Tisch herum. »Die drei Städte der Kir-Almath haben ihren Tribut zusammengelegt und im Tempel der Celares in Galankir hinterlegt. Du wirst die Truhe abholen und hierherbringen. Ihr Inhalt reicht für den ausstehenden Sold, alle Prämien und sogar noch die nächsten vier Monate.«

Also gefährlich. Aber auch ehrenvoll. Dem dritten Banner wurde der Sold für beide Regimenter anvertraut. »Und Ihr meint, fünfzig Männer sind ausreichend, um die Truhe zu schützen?«

»Allerdings, und zwar aus dem einfachen Grund, dass niemand außer einer Handvoll Männern weiß, was ihr tatsächlich eskortiert. Und du wirst dafür sorgen, dass das so bleibt. Offiziell holst du meine Nichte ab, die Ilonara Taressa Sul-Gath. Sie ist die Tochter meiner verstorbenen Schwester. Die Truhe ist Teil ihres Gepäcks.«

Also doppelt gefährlich – sollte der Nichte etwas zustoßen, hätte Daric das Wohlwollen seines Gönners verspielt. »Bringt Ihr Eure Nichte damit nicht in Gefahr?«

Gath lächelte. »Das sagt der Mann, der sich auf diesem Feldzug von seiner eigenen Frau begleiten lässt. Wie geht es ihr im Übrigen?« Er wartete keine Antwort ab, sondern ging zu einem Seitentisch hinüber, auf dem wie üblich eine Karaffe und mehrere Gläser standen. »Es erstaunt mich«, sagte er, während er zwei Gläser füllte, »dass sie noch immer keinerlei Anzeichen für eine Schwangerschaft zeigt.«

Der General war nicht der Einzige, dem diese Tatsache aufgefallen war. Im Banner hatte es schon zu mildem Spott in Bezug auf Darics Manneskraft geführt. Das ließ sich nicht ändern – Menschen konnten mit Elynn keine Kinder zeugen, aber da niemand wissen durfte, dass Aroanída kein Mensch war, blieb Daric nichts anderes übrig, als den Spott hinzunehmen.

Gath reichte ihm eines der Gläser. »Andere Männer an deiner Stelle würden sich um den Fortbestand ihres Namens sorgen. Zumal dieser nun der eines Freien von Eldrin ist.«

»Andere Männer«, sagte Daric langsam und drehte das Glas in den Händen, »sind nicht mit Aroanída verheiratet.«

»Dann liegt es also an ihr, nicht an dir?«

Daric hatte nicht vor, dieses Thema weiter zu erörtern. »Ihr spracht von Eurer Nichte, General.«

Gath lächelte. »Ich sprach von Nachkommenschaft, und das aus gutem Grund. Die fehlenden Resultate meiner bisherigen Leidenschaften lassen mich nämlich befürchten, dass ich meine Nachfolge anderweitig werde regeln müssen.«

Das war erstaunlich offen gesprochen, und Daric hütete sich davor, sich irgendwie dazu zu äußern.

»Falls ich kinderlos sterbe«, fuhr Gath fort, »wird Gath-Arum an meinen Vetter Kamural fallen – und das darf ich auf keinen Fall zulassen.« Er trank einen Schluck und schloss genießerisch die Augen. Als er sie wieder öffnete, war sein Blick entschlossen. »Und hier kommt Taressa ins Spiel. Ich habe vor, den Mann an Sohnes statt anzunehmen, den sie ehelicht. Ihre Nachkommen werden die Erben meines Namens sein. Ich hoffe, das macht dir deutlich, wie sehr sie mir am Herzen liegt.«

Diese Aufgabe wurde immer besser. Daric fragte sich, ob Gan-Šivola Darics Versagen bloß erhoffte oder ob er vorhatte, nachzuhelfen. »Ist der Mann Eurer Wahl auch in Galankir?«

»Noch haben Taressa und ich uns nicht auf einen Kandidaten einigen können, aber das ist nur eine Frage der Zeit. Sie ist eine gute Nichte, und sie hat einen guten Geschmack. Du siehst also, wie wichtig es mir ist, dass Taressa sicher hier eintrifft.«

»Ich verstehe völlig.« Daric verneigte sich knapp. »Und ich werde dafür sorgen, dass Ihr Eure Nichte bald begrüßen könnt.«

Pflichtschuldigst nahm er einen Schluck von dem Branntwein, an dem er noch immer keinen sonderlichen Gefallen fand. Er bevorzugte die frische Würze eines Bieres.

»Und es versteht sich, dass du über den anderen Zweck der Reise niemandem etwas sagst.«

»Aber sollten meine Männer nicht wissen, was sie …«

»Nein! Soldaten müssen auch gehorchen, wenn sie nicht verstehen. Es geht hier um ein kleines Vermögen, das schnell Begehrlichkeiten weckt, und ein Soldat hat sich schnell verplappert, wenn der Wein süß ist.«

»Und … meine Frau?«

Gath schüttelte den Kopf. »Du weißt, wie sehr ich sie schätze, aber … je weniger davon wissen, umso besser.«

Daric hasste es, Geheimnisse vor Aroanída zu haben – zumal sie es zweifellos bemerken würde. Trotzdem sagte er: »Ich verstehe, General.«

»Noch etwas.« Gath schlenderte zu seinem Schreibtisch zurück und schaute auf seine Korrespondenz hinab. »Hast du von den Gerüchten aus Peronat gehört?«

»Ich glaube nicht, General.« Tratsch und Gerüchte kursierten viele unter den Soldaten, aber Peronat spielte darin zurzeit keine besondere Rolle.

»Eine Niverne soll eine Weissagung ihrer Göttin erhalten haben. Soweit berichtet wird, hat sie eine feurige Rede gegen den Krieg und gegen die Ilonari als dessen Ursache gehalten.«

In Darics Nacken stellten sich die Haare auf. Nicht einen Moment lang glaubte er an göttliches Eingreifen. Die Götter existierten nicht. Das, was die Menschen in grauer Vorzeit als Götter verehrt hatten, waren nichts anderes als sehr mächtige, sehr skrupellose Elynn gewesen. Und doch konnte viel mehr hinter dieser Nachricht stecken als eine verwirrte Niverne.

Es lag nicht einmal ein Jahr zurück, dass er Mara im Nivernentempel von Woran-Sul das letzte Mal gesehen hatte. Sie war eine Elynn, aber sie hatte jahrzehntelang verborgen unter den Menschen gelebt. Als das Oberhaupt der Nivernen von Gath-Arum hatte sie die menschliche Ohnmacht gegenüber Leid und Tod schmerzlich erlebt, und schließlich hatte sie sich nicht mehr damit abfinden wollen. Sie hatte schon einmal versucht, als die Göttin Niverna aufzutreten. Es war unwahrscheinlich, dass sie diese Pläne aufgegeben hatte.

»Wer immer diese Frau ist«, sagte Gath, »wir können es uns nicht leisten, dass solcher Unsinn die Moral der Truppe untergräbt. Du wirst entsprechendes Gerede deiner Männer unterbinden, aber berichte mir über alles, was du diesbezüglich hörst.«

»Natürlich, General.« Daric stellte das halb volle Glas zur Seite. Er hatte es plötzlich eilig, zu Aroanída zurückzukehren. »Wäre das dann alles?«

Gath betrachtete ihn nachdenklich. »Ja«, sagte er schließlich. »Du kannst gehen. Mögen die Götter deine Reise segnen.«

***

In einem Zeltlager gab es nicht viele Orte, an denen man unbelauscht war. In einiger Entfernung jedoch verlief ein Fluss, an dessen Ufer die Frauen des Trosses ihre Wäsche wuschen. Das Klatschen der Stoffe und das Singen und Lachen der Frauen wehten zu Aroanída hinüber, während sie im Gras saß und zusah, wie Daric unruhig auf und ab ging. Schließlich blieb er stehen. »Was werden die Elynn jetzt tun?«

»Sie werden zu ihr gehen«, antwortete sie. Mara hatte sich genährt. Das Todesurteil, das auf diesen Frevel hin ausgesprochen worden war, bestand noch immer. Und wenn es Jahrhunderte dauerte, es würde vollstreckt werden.

»Aber vielleicht ist sie gar nicht mehr in Peronat, streut auf diese Art nur Gerüchte. Vielleicht war sie auch nie da. Jeder kann behaupten, die Götter verabscheuten diesen Krieg.«

»Das kann doch nur helfen, damit dieses Töten endlich ein Ende findet.«

»Natürlich. Aber wir sollten ihn beenden, nicht die Elynn

»Was ist der Unterschied?«

»Es ist eine Lüge, Aroa. Ein Frieden, der auf einer Lüge basiert, kann keinen Bestand haben.«

»Daric.« Sie stand auf und trat auf ihn zu. »Ist es nicht besser, wegen einer Lüge zu leben, als wegen einer zu sterben?«

»Der Thron ist keine Lüge.«

»Die Ilonari kämpfen um den Thron, weil sie denken, dass ihnen das Recht auf Herrschaft von Göttern verliehen worden sei. Ist das nicht eine Lüge?« Sie hob die Hand und strich sanft über seine Wange.

»Nicht.« Unwillig entzog er sich ihrer Berührung.

»Was hast du?«

»Ich will nicht, dass du mich mit deinen elynnischen … ich muss nachdenken.« Er wandte sich ab.

Sie hatte nicht vorgehabt, seine Gefühle zu beeinflussen, und seine Unterstellung verletzte sie. »Ich bin, was ich bin«, sagte sie trotzig.

»Und ich liebe, was du bist. Alles davon. Aber du gibst auch nicht vor, eine Göttin zu sein.«

»Ich gebe vor, ein Mensch zu sein«, erinnerte sie ihn. Auch das war eine Lüge.

»Zu deinem eigenen Schutz.« Nun war er es, der die Berührung suchte. Er legte den Arm um ihre Hüfte und zog sie zu sich heran. »Und ich bin froh, dass du das tust. Keine Heilungswunder mehr. Kein Kampf als Berserker.«

»Ich war dennoch bei dir.« Sie hatte sich während der Schlacht in ihr Zelt zurückgezogen und ihre gesamte Konzentration auf ihn gerichtet. »Ich hätte dir jederzeit beispringen können.«

»Ich weiß.« Er legte seine Stirn gegen die ihre. »Ich spüre es, wenn du mich auf diese Weise umfängst. Aber es ist gut, dass es nicht nötig war.« Er küsste sie.

»Manchmal hasse ich es, nicht sein zu dürfen, was ich bin.« Sie dachte an die Männer, die nach der Schlacht ihren Verletzungen erlegen waren. »Narim und Alikat hätte ich vielleicht retten können.«

»Sie waren Soldaten. Sie haben mit dem Tod gelebt. Wie jeder von uns. Ihre Zeit war gekommen.«

Sie löste sich unwillig aus seiner Umarmung. »Und genau darum erhebt Mara das Wort. Weil ihr selbst es nicht tut.«

»Aber dann soll sie es als Mara tun, als Elynn, nicht als Göttin.«

»Aber nur so hört man auf sie.«

»Es ist eine Lüge«, wiederholte er. »Nichts Gutes kann daraus erwachsen.« Er ließ die Schultern sinken und hielt ihr auffordernd die Hand hin. »Komm. Lass uns zurückgehen. Wir müssen den Abmarsch vorbereiten.«

Sie schaute auf seine Hand und zögerte.

Sie hatte Daric nie von ihrem Gespräch mit dem Fen’Atá von Woran-Sul erzählt. Davon, dass der Priester des Fenhir sie für eine »Verborgene« hielt, eine Göttin, die unerkannt unter den Menschen wandelte. In den vergangenen Wochen hatte sie oft daran gedacht, und sie hatte sich gefragt, ob der Priester nicht recht hatte.

Das Wort Elynn, das die Menschen verwendeten, war ihr noch immer fremd. Sie war eine Ilana, und Ilana war nun einmal das alte Wort für Göttin. Nach der großen Schlacht von Ahashora hatten die Ilani ihre Throne geräumt, hatten ihre Macht und die Verehrung der Menschen abgelegt wie ihre Brokatmäntel. Sie hatten sich in die Wälder zurückgezogen, hatten sich sogar für die Sterblichkeit entschieden, indem sie sich nicht mehr von dem Anth anderer Lebewesen nährten. All das änderte nichts daran, dass sie einmal die Götter dieser Welt gewesen waren.

Aber wäre es dann nicht ihre Pflicht, mehr zu tun? Mehr zu helfen? Einen Unterschied zu machen?

»Was hast du?« Daric hielt ihr noch immer die Hand entgegen.

Sie schüttelte die Gedanken ab. »Nichts.« Sie legte ihre Hand in die seine. »Ich dachte nur an das, was du über Gan-Šivola und unseren Auftrag gesagt hast.« Sie würden Gaths Nichte eskortieren, ein wichtiger Auftrag, und wenn sie scheiterten, würde das Gan-Šivola gelegen kommen. »Ich habe noch nie eine In’kha gesehen, die so voller Eigennutz und Ichsucht ist wie die dieses Mannes.« Und so voller Hass gegen Daric.

***

Nach den Geschehnissen in der Wüste von Ahashora hob keiner der Männer auch nur eine Augenbraue, als Aroanída am nächsten Morgen reisefertig, ein Bündel auf dem Rücken, vor das Zelt trat. Für sie selbst stand es außer Frage, dass sie die Männer begleiten würde. Daric war ihr Gefährte, ihr Thalín, und unter den Ilani war es nicht üblich, seinen Thalín alleine ziehen zu lassen.

Die meisten der Männer taten letzte Handgriffe. Nur vier standen abwartend herum: Sie waren in der Schlacht stärker verwundet worden als ihre Kameraden und würden zurückbleiben, um ein Auge auf die Zelte zu haben. Es wäre zu aufwendig, Planen und Gestänge für die wenigen Tage mitzuführen. Man würde unter freiem Himmel nächtigen. Aroanída freute sich darauf, nach langer Zeit einmal wieder auf einem lebendigen Polster aus Moos oder in der Umarmung eines Baumes zu schlafen.

Drywin ging an ihr vorbei und zwinkerte ihr zu. Alle hier behandelten sie wie ihresgleichen, und natürlich wussten sie es auch nicht besser. Manchmal, für kurze Augenblicke, konnte sogar Aroanída selbst fast vergessen, dass sie kein Mensch war – oder diese Leute keine Ilani.

Das Wetter war gut, als sie sich auf den Weg machten, und während Fender und Drywin darüber spekulierten, ob es sich bei der Nichte des Generals um eine zarte Schönheit oder eine anspruchsvolle Matrone handeln würde, marschierten die meisten der Männer schweigend vor sich hin. Einige von ihnen mochten noch ihre Muskeln von Irks Training spüren.

Trotzdem legte Daric ein gutes Tempo vor. Etwas drängte ihn, diesen Auftrag so schnell wie möglich hinter sich zu bringen, etwas, das er vor ihr verbarg und das doch allzu deutlich in seiner In’kha flackerte. Sie hatte ihn noch am gestrigen Abend darauf angesprochen.

»Ich darf es dir nicht sagen«, war seine Antwort gewesen. »Niemandem. Befehl vom General.« Und nach einer Pause: »Ich werde es dir trotzdem sagen. Wenn es wichtig wird.«

Sie wollte ihn nicht zwischen zwei Loyalitäten zerreißen. Darum hatte sie sich damit begnügt. Vorerst. Ilani hatten Zeit. Und sie respektierten das Schweigen.

Ihr Weg führte zwischen brachliegenden Feldern hindurch. Einige davon lagen schon so lange ungenutzt, dass sich die Schösslinge von Birken und Vogelbeeren darauf angesiedelt hatten. Eigentlich freute Aroanída sich über diese Ausbreitung des Waldes, der die Heimat der Ilani war, aber sie wusste auch, dass der Anblick Daric bekümmerte. Für die Menschen bedeutete dieser Anblick Hunger und Niedergang.

Im ersten Dorf, durch das die Straße sie führte, verschloss man die Türen vor ihnen. Aus den abweisenden Häusern heraus wurde ihr Vorbeimarschieren durch Ritzen und Löcher beobachtet.

Aroanída war froh, dass Daric die Männer angewiesen hatte, ausreichend Proviant für die zwei Tage Marsch mitzunehmen. So würden sie kein Essen von den Bauern erpressen müssen – zumal diese in den vergangenen Monaten wehrhafter geworden waren.

»Der Bauer ist der natürliche Feind des Soldaten«, hatte Sirun ihr einmal gesagt. »Das war immer so, und das wird immer so sein.« Und da sie miterlebt hatte, wie die Soldaten den Bauern noch das Letzte nahmen, was sie zum Leben hatten, konnte sie das durchaus verstehen.

Im zweiten Dorf, das sie gegen Mittag erreichten, säumte eine schweigende Reihe von Männern die Straße, die ihre Mistgabeln und Dreschflegel demonstrativ in den Fäusten hielten. Es war eine hilflose Geste, denn die alten Männer und Knaben hätten den Soldaten kaum etwas entgegensetzen können. Trotzdem beeindruckte Aroanída die Entschlossenheit der Bauern.

Bei den Soldaten traf diese Geste allerdings auf weniger Respekt. »Die sollen es bloß versuchen«, knurre Sirun. »Sie werden schon sehen, was ein Dreschflegel gegen ein Schwert ausrichtet.«

»Ganz ruhig«, mahnte Daric. »Du wärst überrascht, was so ein Flegel mit deinem Schädel anstellen kann. Aber die haben nicht vor, zu kämpfen, wenn wir es nicht tun.«

Sie ließen das wehrhafte Dorf unbehelligt hinter sich.

Erst als die Sonne sich bereits dem Horizont näherte, erschien wieder die Silhouette eines Dorfes zwischen den Feldern. Fender schob sich zu Daric nach vorne.

»Ihr könntet in dem Dorf da vorne Unterkunft fordern«, sagte er. »Einem Leutnant steht das zu.«

»Das sind nur ein paar Hütten«, entgegnete Daric. »Es gibt dort nicht genug Betten für alle Männer.«

»Nicht für alle Männer, aber zumindest für den Leutnant, seine Frau – und seinen Adjutanten.«

»He, Bücherwurm!«

Fender wandte sich um und bückte sich gerade noch rechtzeitig, um einem Erdklumpen auszuweichen, den Sirun nach ihm warf.

»Hör auf zu plärren. Du wirst dir schon nicht deinen dürren Hals verkühlen, wenn du mal unter den Sternen schlafen musst.«

»Oh nein.« Fenders Blick war in die Ferne gerichtet. Aroanída wandte sich um und bemerkte eine alte, ausladende Ulme. Unter ihrer Krone hingen vier menschliche Körper. Krähen kreisten über den Gehenkten.