Ginga + Riamu
Light Novel
von
Martina Kald
© 2019 (1. Auflage)
Autorin: Martina Kald
Verlag: Littera Magia, Martina Mozelt
Löblichgasse 4/5, A-1090 Wien
Lektorat: Phoenix Lektorat
Korrektorat: Correctio – Freie Korrektorin
Covergestaltung: Martina Mozelt
Illustrationen: Riruko
Martina Kald
Facebook/Instagram: kaldspacepirate
Veröffentlichungen:
Ginga + Momo
Ginga + Kao
Turul 1
Weitere Bände in der Ginga+ Reihe sind in Vorbereitung.
Piep piep piep… Aus Gewohnheit streckte ich meinen Arm in Richtung Raumschiffdecke, um mich von dieser abzustützen und zu orientieren, wohin ich abgedriftet war.
Meine Hand griff allerdings ins Leere. Verschlafen setzte ich mich auf und versuchte, mich auf meine Umgebung zu konzentrieren, während meine Gedanken immer wieder abschweiften. Ich rieb meine Augen und streckte mich. Es schien, als hätte ich mich im Schlaf keinen Millimeter weit bewegt. Wahrscheinlich würde ich noch ein paar Tage brauchen, um mich an die neuen Verhältnisse zu gewöhnen, denn nach einem halben Jahr, fast durchgehender Schwerelosigkeit, kam es mir seltsam vor, wieder an den Boden meines Schiffes gebunden zu sein.
Ein Sensor, der den Innenbereich überwachte, reagierte auf meine Bewegungen, und erhöhte langsam die Helligkeit im Schiff. So hatten meine Augen genug Zeit, um sich an das Licht zu gewöhnen.
Piep piep piep… Ich hörte wieder dieses Geräusch, das mich so unsanft aus meinem Schlaf gerissen hatte. Mein Wecker?
Nein, der konnte es nicht sein. Der hatte einen anderen Ton und klang eher nach Piep-piep, Pi-pi-piep.
Ich versuchte zu begreifen, was um mich herum geschah, jedoch waren meine Gedanken immer noch träge und zogen sich wie Gummi. Wie lange hatte ich überhaupt geschlafen? Nicht besonders lange schätzte ich. Ein Blick auf die Zeitanzeige und ein Rechenversuch, für den ich länger brauchte, als ich es zugeben wollte, verrieten mir, dass seit dem Andocken an das Frachtschiff zwei Stunden vergangen waren. Ich musste mich also nicht über die langsam aufkommende Übelkeit und die schmerzenden Glieder wundern.
Piep piep piep!… Ich identifizierte endlich den Klingelton meines Kommunikators. Jemand rief mich an! Es wurde immer lauter, durchdringender und lenkte meine Aufmerksamkeit auf das ankommende Gespräch. Sollte ich es ablehnen oder einfach so lange ignorieren, bis der Anrufer aufgab? Nein, dafür war er einfach zu laut und nervig.
»Schon gut, schon gut. Ich bin ja wach«, murmelte ich vor mich hin.
»Anruf über Freisprechanlage annehmen«, sprach ich klar und deutlich aus, damit mein Raumschiff mich verstand. Ich hoffte, dass man mich wegen etwas Unwichtigem anrief und ich meinen Gesprächspartner so schnell wie möglich wieder abwimmeln konnte, um zurück ins Land der Träume zu sinken. Einen langen Schlaf hatte ich momentan besonders dringend nötig.
»Riamu, wer stört?«, fragte ich genervt, als die Leitung wenige Sekunden später stand.
Sollte mein Gegenüber ruhig meine schlechte Laune bemerken. Wahrscheinlich war es so ein dicker, haariger Mensch, der nichts Besseres zutun hatte, als mir irgendeine dumme Frage über die verladene Fracht zu stellen, die er sich alleine beantworten konnte, wenn er einfach nur in seine Unterlagen schaute.
Kaum sprach ich diese kurze, aber unschöne Begrüßung aus, begann sich vor mir ein Bild auf dem Hauptbildschirm aufzubauen. Im selben Moment bemerkte ich meinen Fehler. Raumfahrer benutzten im Normalfall einen reinen Sprachkanal. Ansonsten war niemand nah genug, um ein Videogespräch mit mir zu führen. Außer, es rief jemand Wichtiges an – was bedeutete, dass diese Person eindeutig eine respektvolle Begrüßung verdiente.
»Ach verdammt,« entfuhr es mir und ich hoffte, dass es sich nicht um meine Vorgesetzte, sondern lediglich ihre Sekretärin handelte. Als ich meine Großtante Moss erkannte, sank mir das Herz vollkommen in die Hose. Innerlich bereitete ich mich schon auf eine Standpauke vor. Warum musste ausgerechnet sie sich persönlich bei mir melden? Ein Kloß bildete sich in meinem Hals.
»Guten Morgen, Riamu. Der Ladebericht des Frachters liegt mir bis jetzt noch nicht vor. Kann ich davon ausgehen, dass alles reibungslos verlaufen ist und du dich auf dem Rückweg befindest?«
Zu meiner Erleichterung ging sie nicht auf meine lausige Begrüßung ein. Sehr untypisch. Normalerweise war sie streng, wenn es um die Umgangsformen ihrer Angestellten ging, zu denen ich zählte. Besonders Streit und böse Worte, unter uns Ymir, mochte sie überhaupt nicht.
Trotz der großen Entfernung gab es bei der Übertragung keine technischen Störungen. Aber mit etwas anderem hätte ich nicht gerechnet, niemand konnte es mit der Technologie unserer Heimatstation aufnehmen.
Verlegen versuchte ich, ihrem Blick standzuhalten.
Es gelang mir nicht. Betreten sah ich auf die leeren Fast-Food-Verpackungen, die vor mir auf dem Boden lagen. Ich hatte in letzter Zeit eindeutig zu oft die Schlemmerbude meines Vertrauens besucht.
Moss, die eiserne Dame, die sich ihr Leben lang hatte durchkämpfen müssen. Makellose Schminke und eine Haut, die keine einzige Unreinheit zeigte. Wie aus dem Ei gepellt saß sie da und strahlte pure Willenskraft aus, obwohl die Anzeige am unteren Rande des Bildschirms mir verriet, dass es auf Ymir drei Uhr früh sein musste.
Insgeheim hoffte ich, dass die Übertragung in ihre Richtung nicht so gut funktionierte, denn ich schämte mich für meinen erbärmlichen Anblick. Unfrisiert, mit abstehenden Haarbüscheln und verschwitzt, wie ich war, wollte ich von niemandem gesehen werden. Zum Glück gab es so etwas, wie eine Geruchsübertragung, nicht. Ich bereute, dass ich nach dem langen Arbeitstag keine Zeit verschwenden wollte, um mich zu waschen. Nachdem mein Schiff sicher am Frachter angedockt hatte, hatte ich die Sitzlehne nach hinten geklappt und war innerhalb von Sekunden eingeschlafen. Genauso hoffte ich, dass sie das Chaos im Hintergrund nicht bemerkte. Wenn man alleine auf kleinstem Raum lebte, störten die leeren Getränkeflaschen und Überbleibsel diverser Abendessen nicht. Besonders, wenn man diesen einen leichten Schubs geben konnte, um diese an die Decke, außerhalb meines Blickfeldes, schweben zu lassen. Nun flogen diese nicht mehr durch das Schiff, sondern bildeten einen dichten, müffelnden Teppich, der nur wenig Boden preisgab.
»Ja, bin ich. Es ist alles wie geplant gelaufen und ich kann meinen Zeitplan problemlos einhalten,« bestätigte ich zufrieden. Ich, als Profi, hatte schon eine gewisse Routine und daher keine Schwierigkeiten, mich an die vorgegebenen Fristen zu halten, ohne dabei allzu sehr gestresst zu sein.
»Es tut gut, nach einem halben Jahr, wieder nach Hause zu kommen und ich freue mich schon darauf, den neuen Hafen zu sehen. Wie ich gehört habe, ist er mittlerweile fertig.« sagte ich und versuchte, mit ein wenig Smalltalk die Stimmung ein wenig aufzulockern.
Auch wenn ich es ungerne zugab, fehlte mir meine Heimat. Das selbstgekochte Essen meiner Mütter, stundenlang mit Kolleginnen auf der Terrasse zu sitzen und zu reden, mein Schatz, und endlich einmal einen langen Spaziergang zu machen, ohne dabei um mein Leben fürchten zu müssen. Ja, sogar die gefilterte Luft fehlte mir.
Ich konnte es nicht genau festmachen, aber ein trauriges Aufblitzen in ihren Augen verriet mir, dass schlechte Nachrichten auf mich zukamen. Trotz der Müdigkeit dachte ich fieberhaft darüber nach, warum sie mich kontaktierte. War jemand gestorben? Bekam ich Ärger? Was hatte ich nun schon wieder angestellt? Ich überflog alle meine Schandtaten der letzten Monate und bereitete mich schon innerlich darauf vor, alles abzustreiten oder zu relativieren. An den zwei, drei Schlägereien war ich nun wirklich nicht schuld. Und das eine Mal, als ich den Asteroidenfarmer angespuckt hatte, war ebenfalls seine Schuld. Ich konnte ja nichts dafür, dass er seine Schrottkiste von Raumschiff nicht richtig parkte.
»Ich weiß deinen Einsatz und deinen Fleiß sehr zu schätzen. Vielen Dank dafür. Du bist ein wichtiges, hart arbeitendes Mitglied unserer Familie und unserer Gesellschaft. Wäre es nicht wichtig, würde ich dich jetzt nicht stören. Aber ich brauche deine Hilfe, in einer dringlichen Angelegenheit, die erledigt sein muss, bevor du nach Ymir zurückkommst.«
Erklärte sie mir diplomatisch und mir war klar, dass der Haken an der Sache noch kommen würde.
Ich seufzte erleichtert. Egal was kam, ich hatte nichts angestellt.
Mit einer Hand tastete ich den Boden neben mir ab, den Blick weiterhin auf den Bildschirm gerichtet. Meine Kehle war trocken und irgendwo hier musste doch noch eine halbe Flasche Momo herumliegen. Obwohl ich nicht wusste, um was es sich handelte, war mir jetzt schon eines klar: Ich würde diese Bitte unmöglich ablehnen können – meine Großtante wusste dies mit Sicherheit auch. Moss hatte diesen Betrieb nicht nur aufgebaut, sie war der Grund, warum es uns, die Ymir, als Gemeinschaft gab. Um genau zu sein, wäre ich ohne sie nicht einmal am Leben, denn sie hatte alle von uns Ymir zusammengebracht. Und ich? Ich war das kleinste Zahnrad. Eine einfache Postbotin, die ihr niemals eine Bitte abschlagen durfte. Auch wenn das bedeutete, dass meine Liebste etwas länger auf mich warten musste. Die Familie zuerst lautete unser Motto, das ich seit meiner frühesten Kindheit lebte. Ich nickte und versuchte, meine Müdigkeit abzuschütteln, um mich auf das Gespräch zu konzentrieren.
Ich ertastete die Flasche, bevor ich ihr antwortete.
»Natürlich, Tante, wenn es wichtig ist, dann werde ich mich natürlich umgehend darum kümmern. Für dich habe ich immer Zeit. Was kann ich tun? Soll ich einen Umweg machen und noch eine Ware abholen?« Ich hoffte, dass es sich lediglich um eine Kleinigkeit handelte, die ich schnell erledigen konnte. Es kam hin und wieder durchaus vor, dass ich meine Route bei der Heimfahrt ändern musste. Ungewöhnlich war nur, dass Moss persönlich mich deswegen anrief.
»Ich habe eine eher unkonventionelle Bitte, die ich sehr ungerne jemand anderem anvertrauen will. Du hast dich, seit du für mich arbeitest, als sehr zuverlässig erwiesen und bist von allen Mitgliedern unserer Familie, örtlich gesehen, am nächsten. Es geht um Noba. Die entsprechenden Routen und Karten übermittle ich dir gerade. Du bist ungefähr einen halben Tag von deinem neuen Ziel entfernt.« Das Kamerabild verschwand und zeigte neben meiner geplanten Flugbahn noch einen Asteroidengürtel, der mein neues Ziel darstellte. Der Ort sagte mir nichts.
»Noba? Meine Großtante?,« fragte ich verblüfft. Dies war ein ziemlich häufiger Vorname, daher wusste ich nicht genau, wen sie meinte. Meine Tante fiel mir als Erste ein. Sie galt als zuverlässig und geschickt. Ich konnte nicht glauben, dass ich ihr eine Hilfe sein würde. Meine Vorfreude, sie zu sehen war trotzdem groß. Unser letztes Treffen musste mindestens zehn Jahre her sein.
Meine Hand schloss sich um die Flasche, die ich öffnete, ohne sie eines Blickes zu würdigen und mit einem Zug austrank. Das süße, lauwarme Getränk enthielt keine Kohlensäure mehr, der hohe Zuckergehalt schaffte es dennoch, ein paar meiner bereits für tot erklärten Lebensgeister wieder zu wecken. Achtlos warf ich die inzwischen leere Flasche hinter mich. Mit einem Klacken traf sie die Tür zum Laderaum und landete dann mit einem leisen Knistern auf einem Berg leerer Papiertüten, die mit Schlemmerbude beschriftet und mit einem einschlafenden Faulkraul bedruckt waren, das einen Pilz umarmte. Wenn ich mich recht entsann, gehörte Moss dieses Franchise ebenfalls . Also musste ich mich ja eigentlich gar nicht schlecht fühlen, wenn ich meistens dortaß. Das Geld kehrte ja wieder zurück in den Besitz der Familie. Leider hatte ich keine Zeit, um mir weitere Gedanken über solche Trivialitäten zu machen, ich musste mein Vorgehen planen.
Wie es aussah, musste ich die Geschäfte des Frachters aufsuchen, um meine Vorräte aufzustocken, bevor ich mich von dem Schiff trennte. Meinem Zeitplan zufolge würde ich mich noch acht bis sechs Stunden von dem Frachtschiff mitziehen lassen und würde dann weitere vier Stunden durch das Hiraku-System fliegen, ehe ich den Treffpunkt, mit Noba, erreichen würde. Wenn ich mich beeilte, würde ich sogar ein kurzes Schläfchen abhalten können, ehe ich weiterflog.
»Nein, nicht sie.« Das Bild wechselte wieder zurück.