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Die Autorin

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Susette Schumann, Gesundheits- und Krankenpflegerin, Master of Business Administration Gesundheitsmanagement, tätig in der Fort- und Weiterbildung beim Evangelischen Diakonieverein Berlin-Zehlendorf, stellv. Vorstand der Deutschen Fachgesellschaft Aktivierend-therapeutische Pflege e. V.

Susette Schumann

Kompetenzen älterer Menschen

Lehrbuch zur praktischen Umsetzung des umfassenden Pflegebedürftigkeitsbegriffs, Band 1

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2020

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-035952-9

E-Book-Formate:

pdf:     ISBN 978-3-17-035953-6

epub:  ISBN 978-3-17-035954-3

mobi:  ISBN 978-3-17-035955-0

Vorwort

 

 

 

image Kompetenzen als Grundlage von Selbstbestimmung, Selbstständigkeit und sozialer Teilhabe image

Die Überschrift der gesamten Buchreihe »Altenhilfe verstehen und umsetzten« bietet eine willkommene Möglichkeit, die Unterstützung älterer Menschen trotz körperlicher, psychischer und sozialer Einschränkungen nicht aus der Perspektive ihrer Schwäche heraus zu beschreiben, sondern vielmehr aus ihrer Position der Stärke. Sie findet ihren Ausdruck in der eingehenden Beschäftigung mit den Kompetenzen älterer Menschen, die sie aufgrund ihrer Lebenserfahrung im Laufe ihres Lebens erworben haben und von der die Pflegenden in der Altenhilfe profitieren können, um Selbstbestimmung, Selbstständigkeit und soziale Teilhabe im Rahmen des Möglichen zu verwirklichen und durch Anstöße zur persönlichen Weiterentwicklung nachhaltig zu sichern.

image Auslegung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes image

Es scheint kein Zufall zu sein, dass auch pflegewissenschaftliche Veröffentlichungen und sozialpolitische Vorgaben den Fokus auf die Kompetenzen älterer Menschen und damit der Gestaltung der Lebenspanne Alter, die sich zwischen persönlicher Abhängigkeit und Unabhängigkeit bewegen kann, richten. Am deutlichsten wird dies an der wissenschaftlich-systematischen Entwicklung des noch »neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes«, der treffender als der »umfassendere Pflegebedürftigkeitsbegriff« beschrieben werden könnte. An seinem Beispiel wird deutlich, dass sich Altenpflege zukünftig inhaltlich mehr auf die zentralen Begriffe wie individuelle Ressourcen und Kompetenzen und in der Folge mit Selbstbestimmung, Selbstständigkeit und sozialer Teilhabe bei älteren Menschen konzentrieren wird. Altenpflege befasst sich von daher nur in Ausnahmesituationen und vorrübergehend, wie z. B. bei akuten gesundheitlichen Einschränkungen oder bei Phasen von körperlicher und geistiger Abhängigkeit von Dritten, mit der Kompensation von Defiziten, die dann in die Ermittlung noch vorhandener Ressourcen und Kompetenzen und deren Entwicklung münden sollte.

image Ressourcenorientierter pflegerischer Ansatz image

Die Fokussierung auf die Kompetenzen von älteren Menschen hat dann möglicherweise auch positive Auswirkungen auf das Altersbild, was gerade professionelle Personen in ihrem Handeln beeinflusst und so Auswirkung auf die Gestaltung der pflegerischen Versorgung hat.

Dieser ressourcenorientierte pflegerische Ansatz liegt sicherlich auch im Interesse der älteren Menschen, die ihre Lebenszufriedenheit eher aus einer von persönlicher Autonomie geprägten Lebensgestaltung ziehen können und die Phasen der persönlichen Abhängigkeit auf das absolute Minimum reduzieren möchten. Wünschenswert wäre deshalb, dass ihre Perspektive Eingang in zukünftige Empfehlungen zur qualitätsorientierten pflegerischen Versorgung finden würde und auf diesem Weg ihre Präferenzen Gegenstand des pflegerischen Aushandlungs- und Gestaltungsprozesses werden.

Die neue Buchreihe bietet eine Gelegenheit das Pflegeverständnis, das Altersbild und die darauf aufbauende qualitätsorientierte Entwicklung der pflegerischen Versorgung zu reflektieren und durch inhaltliche und methodische Anregungen zu erweitern.

In der vorliegenden Buchreihe »Altenhilfe verstehen und umsetzten« findet sich zum einen die Aufbereitung von aktuellem Wissen zu Ressourcen und Kompetenzen der älteren Menschen und zum anderen ein Überblick über Vorgehensweisen, ihre Kompetenzen zu identifizieren, sie mit ihnen gemeinsam und aus einer professionellen Perspektive zu bewerten, um im Anschluss daran Interventionen zu verabreden, die den Wünschen und Zielen der älteren Menschen entsprechen. Die Verknüpfung von pflegerischem Wissen und methodischer Vorgehensweise verbindet Theorie mit pflegewissenschaftlichen Inhalten und der persönlichen Bedeutung für den einzelnen älteren Menschen.

image Fachkompetenz image

Die Aufbereitung des aktuellen Wissens zu den verschiedenen Ressourcen und Kompetenzen erfolgt durch eine inhaltlich breit angelegte Darstellung der Inhalte mit dem Ziel der Erweiterung der eigenen Fachkompetenz. Darunter können inhaltliche Fakten, Grundsätze, Grundprinzipien, aber auch Konzepte oder Theorien verstanden werden (vgl. Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen 2011). Mit dieser Basis wird es möglich, professionelle Aufgaben zu bewältigen, die sich aus den individuellen Problemstellungen der älteren Menschen ergeben. Eine professionelle Aufgabe bewältigen bedeutet in diesem Kontext, die Identifikation der Ressourcen der Einzelperson, die angemessene und gemeinsame Erarbeitung einer Problemlösung unter besonderer Berücksichtigung der individuellen Wünsche und Ziele der älteren Menschen und der begründeten Darstellung eines pflegefachlichen Förderungsangebots. Die sich anschließende Umsetzung des Lösungsangebots, ggf. mit personeller Unterstützung anderer professioneller oder auch nicht professioneller Personen und die Evaluation des erzielten Ergebnisses runden diesen Prozess ab (vgl. Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen 2011).

image Methodenkompetenz image

Die Orientierung am person-orientierten pflegerischen Ansatz erfordert die Verfeinerung der eigenen Methodenkompetenz im Sinne von professionellen Vorgehensweisen, sich den Kompetenzen der älteren Menschen systematisch zu nähern. Sie beinhaltet die Kenntnis um ein an Systematiken oder Prinzipien orientiertes reflektiertes Handeln. Beides stellt in den Mittelpunkt, professionelle Gestaltungs-, Entscheidungs- und Handlungsoptionen unter Einbeziehung der älteren Menschen zu erkennen und zu nutzen (vgl. Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen 2011).

Es ist zu begrüßen, dass mit dem Pflegeberufe(reform)-gesetz im Jahr 2020 die Qualifikationserfordernisse des Deutschen Qualifikationsrahmens darin Eingang finden. Mit diesem Schritt basieren der berufliche und der hochschulische pflegerische Qualifikationserwerb aller zukünftigen Pflegenden auf einheitlichen Anforderungen, die den Dialog und die Kooperation zwischen den Absolventen beider Qualifikationswege zum Nutzen der älteren Menschen verbessern helfen.

Die dann auch eingeführten Vorbehaltstätigkeiten werden von beruflich pflegenden Personen ausgeführt werden, die eine Berufserlaubnis haben (vgl. Bundesgesetzblatt Juli 2017) und umfassen:

•  Die Erhebung und Feststellung des individuellen Pflegebedarfs.

•  Die Organisation, Gestaltung und Steuerung des Pflegeprozesses.

•  Die Analyse, Evaluation, Sicherung und Entwicklung von Qualität der Pflege (vgl. Bundesgesetzblatt Juli 2017).

Konkretisiert werden die pflegerischen Vorbehaltstätigkeiten durch die Beschreibung des zukünftigen Ausbildungsziels, dass im Rahmen der Ausbildung zu erreichen sein wird, um als professionell Pflegende tätig werden zu dürfen.

image Pflegerische Vorbehaltstätigkeiten image

Die Ausbildung soll Pflegende insbesondere im Umgang mit den Kompetenzen der älteren Menschen dazu befähigen, die Vorbehaltstätigkeiten im Detail auszuführen. Dazu gehören:

•  die Bedarfserhebung und Durchführung präventiver und gesundheitsfördernder Maßnahmen,

•  die Beratung, Anleitung und Unterstützung von älteren Menschen bei der individuellen Auseinandersetzung mit Gesundheit und Krankheit sowie bei der Erhaltung und Stärkung der eigenständigen Lebensführung und Alltagskompetenz unter Einbeziehung ihrer sozialen Bezugspersonen,

•  die Erhaltung, Wiederherstellung, Förderung, Aktivierung und Stabilisierung individueller Fähigkeiten der zu pflegenden Menschen insbesondere im Rahmen von Rehabilitationskonzepten sowie die Pflege und Betreuung bei Einschränkungen der kognitiven Fähigkeiten (vgl. Bundesgesetzblatt Juli 2017).

Das in Zukunft zu erreichende Ausbildungsziel orientiert sich im Bereich der Fachkompetenz an Prävention und Gesundheitsförderung in der Pflege, an der Befähigung älterer Menschen zu einer eigenständigen Lebensführung und zur Wiedererlangung verlorengeganger Kompetenzen durch einen Rehabilitationsprozess.

Inhalt

 

 

 

  1. Vorwort
  2. 1 Darstellung einer methodischen Vorgehensweise: den Einzelfall verstehen
  3. 1.1 Das hermeneutische Verstehen des Einzelfalls
  4. 1.1.1 Die pflegerische Fallarbeit: die Fallbesprechung
  5. 1.2 Das ressourcenorientierte Verstehen am Einzelfall
  6. 1.2.1 Die pflegerische Fallarbeit: die ressourcenorientierte Fallbesprechung
  7. 1.3 Der Prozess der pflegerischen Befundung am Einzelfall
  8. 1.3.1 Die Entwicklung eines pflegerischen Ressourcen- und Kompetenzstatus am Einzelfall
  9. 1.4 Die Priorisierung durch pflegerische Befunde und Ergebnisse
  10. 1.5 Fazit
  11. 1.6 Meine Lerngeschichte
  12. 1.6.1 Lernfragen
  13. 2 Die Ressourcen und Kompetenzen aus der Perspektive der älteren Menschen
  14. 2.1 Die individuellen Ressourcen von älteren Menschen
  15. 2.1.1 Die körperlichen Ressourcen
  16. 2.1.2 Die psychischen Ressourcen
  17. 2.1.3 Die emotionalen Ressourcen
  18. 2.1.4 Die kognitiven Ressourcen
  19. 2.1.5 Die sozialen Ressourcen
  20. 2.2 Ressourcen als Basis für Selbstregulation und Selbstwirksamkeit
  21. 2.3 Fazit und Reflexion des eigenen Wissens
  22. 2.4 Die individuellen Kompetenzen der älteren Menschen
  23. 2.4.1 Die körperlichen Kompetenzen
  24. 2.4.2 Die emotionalen Kompetenzen
  25. 2.4.3 Die kognitiven Kompetenzen
  26. 2.4.4 Die sozialen Kompetenzen
  27. 2.4.5 Die psychischen Kompetenzen
  28. 2.5 Die persönliche Einschätzung der Kompetenzen durch die älteren Menschen
  29. 2.6 Das Zusammenspiel von Ressourcen und Kompetenzen zur Gestaltung eines guten Lebens und von Lebensqualität
  30. 2.7 Fazit
  31. 2.8 Meine Lerngeschichte
  32. 2.8.1 Lernfragen
  33. 3 Die Förderung von Kompetenzen älterer Menschen durch professionelle Personen
  34. 3.1 Die Identifikation von Kompetenzen älterer Menschen
  35. 3.2 Die professionelle Gestaltung der Förderung von Kompetenzen
  36. 3.2.1 Den Anfang finden
  37. 3.2.2 Die Suche nach den persönlich bedeutsamen Kompetenzen
  38. 3.2.3 Vom Haltungsziel zum Handlungsziel
  39. 3.2.4 Vom Ziel zum Kompetenzpool
  40. 3.2.5 Den Einsatz von Kompetenzen anbahnen
  41. 3.2.6 Integration der neu erworbenen Kompetenzen ermöglichen
  42. 3.2.7 Transfer der Kompetenzen sozial absichern
  43. 3.3 Einordnung der Kompetenzen im Kontext von Unabhängigkeit bis Abhängigkeit der älteren Menschen
  44. 3.4 Fazit
  45. 3.5 Meine Lerngeschichte
  46. 3.5.1 Lernfragen
  47. 4 Das gemeinsame Aushandeln von kompetenzorientierter pflegerischer Versorgung zwischen den älteren Menschen und den Pflegenden
  48. 4.1 Der gemeinsame Entscheidungsprozess für die Unterstützung
  49. 4.2 Der gemeinsame Umsetzungsprozess
  50. 4.3 Der gemeinsame Evaluationsprozess
  51. 4.4 Die gemeinsame Ergebnissicherung zur Erhaltung der Nachhaltigkeit
  52. 4.5 Fazit
  53. 4.6 Meine Lerngeschichte
  54. 4.6.1 Lernfragen
  55. 4.7 Leitfragen zur praktischen Anleitung
  56. 5 Schlusswort und Darstellung des Lernerfolgs
  57. Literatur
  58. Stichwortverzeichnis

1          Darstellung einer methodischen Vorgehensweise: den Einzelfall verstehen

 

 

 

Den Einzelfall verstehen: es stellt sich zu Beginn die Frage, was im Zusammenhang mit den Ressourcen und Kompetenzen des älteren Menschen als »Einzel« und was als »Fall« bezeichnet werden kann?

»Einzel« kann für ein singuläres Ereignis, eine individuelle Situation, einen persönlichen Wunsch, ein persönliches Ziel, für eine Person und Persönlichkeit aber auch für eine am einzelnen Menschen ausgerichtete professionelle Aufgabe, Anforderung und deren Ergebnis stehen. Dem folgt eine an der einzelnen Person orientierte Problemlösung zur Bewahrung oder der Erweiterung ihrer persönlichen Kompetenzen1.

Als »Fall« kann etwas bezeichnet werden, womit eine Person rechnen muss, z. B. eine bestimmte Angelegenheit klären zu müssen oder das Auftreten oder Vorhandensein einer Erkrankung oder Einschränkung, die der professionellen Unterstützung bedarf2.

image Verstehen des Einzelfalls image

Das »Verstehen« des Einzelfalls als person-orientierter Ansatz bezieht sich auf die Wahrnehmung und die Deutung von verbal kommunizierten Worten, beobachteter Handlungen oder Situationen als Ausdruck nonverbaler Kommunikation. Dazu zählt, etwas sowohl kognitiv als auch intuitiv zu erfassen oder zu durchdringen, etwas deutlich wahrnehmen zu können, eine gute, vom gegenseitigen Verständnis getragene Beziehung haben oder etwas gut und sicher können3.

Den »Einzelfall verstehen« zeichnet sich deshalb durch seine facettenreiche Bedeutung aus, die sich mithilfe verschiedener Methoden erschließen lässt (image Abb. 1).

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Abb. 1: Chronologie und inhaltliche Bedeutung des Verstehens des Einzelfalls

image Kommunikation und Wahrnehmung image

Der erste Schritt ist das Kennenlernen und die Wahrnehmung einer Person oder einer Situation durch die Kommunikation miteinander. Sie kann verbal, nonverbal oder eine Mischung aus beidem sein. Im Laufe der Kommunikation sollen die persönlichen Wünsche und auch die Ziele des älteren Menschen deutlich werden, denn in der Regel wird er sehr ausführlich das aktuelle Problem bei der Alltagsgestaltung schildern, dies bietet die Möglichkeit die persönliche Situation aber auch den Leidensdruck zu schildern. Die Pflegende, nimmt diese Schilderungen auf und deutet sie aus ihrer und aus der Perspektive des älteren Menschen sowie aus ihrer pflegefachlichen Perspektive und bietet die gemeinsame Erarbeitung einer persönlichen Problemlösung an.

image Gemeinsame Problemlösung image