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GESCHICHTE DER STADT

MÜNCHEN

VON DEN ANFÄNGEN BIS HEUTE

Georg Reichlmayr

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IMPRESSUM

Verantwortlich: Sabine Klingan

Lektorat: Tobias Keil

Layout: BUCHFLINK Rüdiger Wagner

Repro: Cromika, Verona

Herstellung: Alexander Knoll

Printed in Germany by CPI Books

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Bildnachweis:

Umschlagvorderseite: AKG

Alle Bilder im Innenteil stammen von Andreas Koehler, Foto Video Sessner Gmbh © Georg Reichlmayr mit folgenden Ausnahmen:

Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Alte Pinakothek München: 65; Mikhail Markovskiy/shutterstock.com: 67; Foto LMU München, Christoph Olesinski: 164, 190; Foto: Andreas Lechtape © Museum Brandhorst: 205

Reproduktionsgenehmigung mit freundlicher Genehmigung von: Weiße Rose Stiftung/Bayerisches Staatsministerium für Justiz: 9; Bayerische Schlösser- und Seenverwaltung: 48, 54, 71, 78, 81, 82, 86, 99, 101, 109; Bayerisches Nationalmuseum: 33, 47; Münchner Stadtmuseum: 17, 18, 19; Erzdiözese München und Freising/Dompfarrei München: 37, 41; Erzdiözese München und Freising/Pfarrei St. Peter, München: 77; Weiße Rose Stiftung: 164; Deutsches Museum, München, Archiv, CD66387: 140; Marianische Männerkongregation München: 181

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Komplett überarbeitete, aktualisierte und erweiterte Ausgabe des 2018 im Sutton Verlag erschienen Titels Geschichte der Stadt München

© 2019 J. Berg Verlag in der Bruckmann Verlag GmbH

ISBN 978-3-86246-625-2

eISBN 978-3-86246-697-9

INHALT

VORWORT

WEISSES GOLD

Münchens Weg in die Geschichte

AUF DEN SCHWINGEN DES ADLERS

München als kaiserliches Zentrum

DER TRIUMPH DES ERZENGELS

Gegenreformation und Religionskriege

GEPLATZTE TRÄUME

München im Zeitalter des Absolutismus

VIVE L’EMPEREUR!

Napoleon in München

ATHEN AN DER ISAR

München als königliche Residenzstadt

GUADE OIDE ZEIT

Der Glanz der Künstlerstadt

RUSSENMASS UND REVOLUTION

Das rote München

IN DEN ABGRUND

München als »Hauptstadt der Bewegung«

»WENN DER SOMMER NICHT MEHR WEIT IST«

Vom Neubeginn zum Lifestyle

WEITERFÜHRENDE LITERATUR

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Carl Theodor von Piloty: Allegorie Monachia oder die Geschichte Münchens, 1879, im Großen Sitzungssaal des Münchner Rathauses

VORWORT

Monachia oder die Geschichte Münchens lautet der Titel eines Ölgemäldes von wahrlich erstaunlichen Ausmaßen, das 1879 von dem Akademieprofessor und Großmeister der Historienmalerei, Carl Theodor von Piloty, eigens für den Sitzungssaal im neuen Münchner Rathaus geschaffen wurde, den es bis heute ziert. Im Zentrum des Bildes beobachtet man den Auftritt einer imposanten Dame, der Personifikation Münchens, in opernreifer, triumphierender Pose, gekleidet in ein goldglänzendes, antikes, ja byzantinisches Gewand. Ihr ausgestreckter Arm hebt einen Lorbeerkranz, Pagen begleiten sie mit Stadtsiegeln und Wappen und zahllose namhafte Persönlichkeiten aus 700 Jahren Stadtgeschichte huldigen ihr. Doch weder die Dimension des Gemäldes von über 15 Metern Länge und fast 5 Metern Höhe noch die Latinisierung des Stadtnamens München und die antike Einkleidung der Monachia können darüber hinwegtäuschen, dass Münchens Geschichte eigentlich recht spät begann und längst nicht vergleichbar ist mit der langen Geschichte anderer bayerischer Städte wie Augsburg oder Straubing, die Jahrhunderte früher von den Römern gegründet wurden. Zumal der Bedeutung der Donaustadt Regensburg als mittelalterliche Residenzstadt bayerischer Herzöge, deutscher Könige und Kaiser und Bischöfe kann München lange nichts entgegenhalten. Doch dann, wenn auch spät, folgte ein steiler Aufstieg Münchens – der Auftritt der Monachia.

1158, vor über 860 Jahren, veranlassten wirtschaftliche und machtpolitische Interessen den bayerischen Herzog Heinrich den Löwen zur Gründung eines neuen befestigten Marktes an der Isar: München. Der entwickelte sich rasch zu einem lebendigen und überregional bedeutsamen Zentrum. Händler kamen von weither an die Isar und vernetzten es mit anderen Handelsplätzen. Schon bald, im 13. Jahrhundert, wurde Münchens erste Burg, der sogenannte Alte Hof, zum Herrschaftsmittelpunkt der Herzöge, und seither ist die Stadt Bayerns landespolitisches Zentrum. Genau darauf bezieht sich ein weiteres Gestaltungselement auf Pilotys Gemälde von 1879: Monachia tritt ins Rampenlicht der Geschichte vor dem Hintergrund einer beeindruckenden Architekturkulisse, deren Fassade mit den Darstellungen von Fürsten und Monarchen prächtig verziert ist. Der Glanz Münchens, so könnte man sagen, entfaltet sich vor royalem Hintergrund.

Genau darin erschließt sich sein historischer Kern: Nicht als Bürgerstadt, sondern vor allem als Residenzstadt ist Münchens Geschichte zu verstehen. Nicht das Rathaus am Marienplatz, und sei es optisch noch so dominant, sondern die Residenz der Wittelsbacher Herzöge, Kurfürsten und Könige am Hofgarten war für seine Geschicke, seine Architektur und seine Kunst maßgeblich bestimmend. Als Herrschaftszentrum der Wittelsbacher erlebte München glanzvolle Zeiten, war jedoch auch in zahlreiche Kriege besonders stark verwickelt. Dem Münchner Hof gelang der Aufbau enger und politisch bedeutsamer verwandtschaftlicher Beziehungen zu anderen Herrschaftszentren, und somit beteiligte er sich jahrhundertelang am Streit um die dynastische Vormachtstellung in Europa. Stets versuchte die Stadt, sich neben Wien, Paris und später Berlin zu behaupten. München maß sich mit anderen Metropolen und musste sich an ihnen messen lassen – und in mancherlei Hinsicht gilt das bis heute.

Ging es um Kunst und Kultur, dann ließen sich die Stadt- und Landesherren nur zu gerne beeinflussen: Künstler, Handwerker und Baumeister kamen aus allen Teilen Bayerns und Europas, insbesondere aus den Niederlanden und aus Italien, prägten Münchens Stadtbild und verliehen ihm antike, französische, venezianische, florentinische, römische und griechische Akzente. Noch heute bieten die Prachtarchitekturen König Ludwigs I. perfekte Kulissen für große Musikereignisse am Königsplatz oder am Odeonsplatz. Und doch war es genau dieser Ruhm der Kunststadt, der auch Adolf Hitlers Weg nach München lenkte. So bilden der Glanz der Kunstmetropole und der schmachvolle Abstieg in die maßlose Kulturvernichtung durch den Nationalsozialismus die zwei Seiten derselben Medaille. München darf sich als Isar-Athen rühmen und muss sich doch stets kritisch mit seinem einstigen Titel als »Hauptstadt der Bewegung« auseinandersetzen.

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Blick von Schwabing aus auf das Siegestor und die Figur der Bavaria mit Löwen-Quadriga. Architekt: Friedrich von Gärtner, 1843–1850

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Ausstellung zur Widerstandsgruppe Weiße Rose im Bayerischen Staatsministerium der Justiz

Das Streben nach internationaler Anerkennung haben auch die heutigen Kommunal- und Landespolitiker tief verinnerlicht – mit bemerkenswerten Erfolgen. Zahlreiche Großunternehmen haben in München ihren Sitz, 115 Staaten sind durch Konsulate vertreten, seine Universitäten belegen Spitzenplätze im weltweiten Ranking und viele Münchner Bürger stammen aus dem europäischen Ausland und aus der ganzen Welt. Touristisch zählt es aufgrund seines Kulturangebots und nicht zuletzt wegen des Oktoberfestes zu den meistbesuchten Städten des Kontinents. In friedlicher Weise hat München erreicht, was es immer sein wollte: eine viel beachtete Metropole im Herzen eines geeinten Europas.

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Darstellung Münchner Kindl im Schlussstein des Kreuzrippengewölbes im Eingangstor zum Neuen Rathaus am Marienplatz, um 1900

WEISSES GOLD

Münchens Weg in die Geschichte

Es ging um’s Geld: Im 12. Jahrhundert wurden neue Handelswege erschlossen, neue Märkte und Städte gegründet. Machtansprüche wurden oft rabiat durchgesetzt. 1158 übernahm Herzog Heinrich der Löwe die Kontrolle des Salzhandels und gründete München als Salzmarkt an der Isar. Schon bald sollte es Bayerns politisches Machtzentrum werden.

Schweres Gerät brachten die Archäologen im Sommer 2011 auf den Marienhof im Münchner Stadtzentrum. Das Areal direkt hinter dem Rathaus war seit jeher dicht bebaut gewesen, doch Schule, Wohngebäude, Geschäftsstraßen, Cafés und Hotels wurden in den Bombennächten des Januars 1945 komplett ausradiert. Fortan befand sich an der Stelle eine Freifläche, auf die sich jetzt die stadthistorische Aufmerksamkeit richtete. Schicht für Schicht gruben sich die Archäologen durch Münchens Jahrhunderte, fanden Gläser und Geschirr, stießen auf die Überreste der ersten Mädchenschule Bayerns im 17. Jahrhundert, legten frühneuzeitliche Werkstätten und die Fundamente der Wohnhäuser reicher Händler im Mittelalter frei, analysierten Brunnenschächte und datierten Hölzer und Scherben. Und machten erstaunliche Erkenntnisse: Münchens Stadtkern ist älter als angenommen! Es fanden sich Siedlungsspuren und Keramikscherben, die nachweislich aus der Zeit vor der Marktgründung stammen, welche durch schriftliche Quellen gut belegt ist. Schmälert dies die Bedeutung der ersten urkundlichen Erwähnung Münchens als forum apud Munichen im Augsburger Schiedsspruch von 1158? Ist der Gründungsmythos über Herzog Heinrich den Löwen damit widerlegt? Tatsächlich kann es nur wenig überraschen, dass in dieser verkehrsgünstigen Lage an einem passierbaren Isarübergang bereits früher dörfliche Ansiedlungen existierten. Gleichwohl wird Münchens historische Gründung wegen der archäologischen Siedlungsfunde nicht neu zu datieren sein. Denn gesellschaftliche Strukturen, besitzrechtliche oder gar politisch aussagekräftige Erkenntnisse aus der Zeit vor 1158 lassen sich weiterhin nicht festmachen. Und so bleibt es vorerst bei der macht- und wirtschaftspolitischen Gründung des Marktes durch den aufstrebenden Welfenherzog Heinrich den Löwen. Doch welche geologischen, klimatischen und schließlich politischen Voraussetzungen lassen sich für Münchens Entstehung und die frühen Siedlungen festhalten?

Bayern ist bereits seit mindestens 200 000 Jahren bewohnt, doch mit wirklicher Sicherheit lässt sich dies nur von seinem nördlichen Teil behaupten. Mit der Besiedlung Südbayerns und insbesondere der Gegend um München ließen sich unsere Vorfahren klimatisch bedingt viel mehr Zeit. Um dies zu erläutern, müssen wir einen Exkurs in die Erd- und Frühgeschichte unternehmen: Vor rund einer Million Jahren, als die Gebirgsbildung der Alpen so gut wie abgeschlossen war, kam es zu einer deutlichen Klimaveränderung. Die Eiszeiten setzten ein. Gewaltige Gletscher bedeckten nun das Voralpenland und einige Gletscherzungen erreichten die Region des heutigen München. Vor und unter den Eismassen lagerten sich mächtige Geröllschichten ab, Moränen, die noch immer den geologischen Untergrund des Münchner Südens bilden. Auch nach der Eisschmelze blieb die Gegend noch lange lebensfeindlich und abweisend: morastig, tundrenartig und vegetationsarm. Doch mit zunehmender Klimaerwärmung vor etwa 10 000 Jahren kehrte auch die Pflanzen- und Tierwelt zurück. Rasch breiteten sich Wälder auf der Schotterebene aus, allerdings waren sie so undurchdringlich dicht, dass sie wiederum die menschliche Besiedlung für lange Zeit verhinderten. Die Isar, an der später München liegen sollte, bahnte sich vom Karwendelgebirge in Tirol bis zur Donau ihr heutiges, knapp 300 Kilometer langes Flussbett mit Steilufern, zahlreichen Nebenarmen und weiten Flussauen. Ganz allmählich wurde das Klima konstanter und trockener, sodass sich die Urwälder lichteten und alle Voraussetzungen für die Erschließung der Region gegeben waren. Ab der Jungsteinzeit von etwa 4 000 bis 1 800 vor Christus sind Siedlungsspuren im weiteren Münchner Raum belegt. Auch bronzezeitliche Bestattungen sowie Grablegen und Keramiken jüngerer Kulturen sind nachgewiesen. Transportwege links und rechts der Isar für die im Alpenraum gewonnenen Erze sind schließlich seit der Eisenzeit belegt. So führte wohl eine Fernstraße am linken Isarufer von der Loisach nach Freising und querte dabei auch das spätere Münchner Stadtgebiet. Ab dem 5. Jahrhundert vor Christus kann man von einer planvollen Besiedlung durch die Kelten sprechen. Sie mieden jedoch die unmittelbaren Uferbereiche der Isar als Wohngebiete, da diese zu steil und unsicher waren. Erschwerend kam die unbeständige Wasserführung des Flusses hinzu: Im Sommer fällt die Isar regelrecht trocken, kann aber nach starken Regenfällen oder während der Schneeschmelze in kurzer Zeit zu einem tosenden Strom werden. So gaben die Kelten dem Fluss seinen bezeichnenden Namen Isaria, was etwa Die Reißende bedeutet.

Im Jahr 15 vor Christus erfolgte der groß angelegte Feldzug der Römer gegen die Kelten, mit dem die römische Herrschaft über das Gebiet der Zentralalpen und das Voralpenland bis zur Donau hin begann. Die Eroberer sicherten die Region durch zahlreiche Militärlager und begannen entlang der schiffbaren Flüsse Lech, Inn und Donau Siedlungen anzulegen. Städte wie Augsburg, Passau und Regensburg wurden in den römischen Provinzen Raetia und Noricum gegründet und Handelsstraßen geschaffen. Von Oberitalien über die Alpen und entlang des Lechtals bis zur Donau führte nun die Via Claudia Augusta, zudem von Bregenz über Kempten und Rosenheim nach Salzburg eine West-Ost-Verbindung, welche die Isar nahe dem heutigen Münchner Vorort Grünwald überquerte. Münzfunde aus römischer Zeit lassen vermuten, dass entlang der Isar reichlich Handel getrieben wurde und eine kleine regionale Straße auch direkt an ihrem Ufer verlief. Damit setzt die Geschichte des bayerischen Raumes ein, aus der uns schriftliche und bauliche Zeugnisse überliefert sind und in der Grundlagen geschaffen wurden, in die sich später auch München einfügen musste.

Ab dem 2. Jahrhundert nach Christus nahmen die militärischen Auseinandersetzungen der Römer mit germanischen Stämmen an Heftigkeit zu, und im Zuge der Völkerwanderungen brach das weströmische Imperium im 5. Jahrhundert schließlich zusammen. Eine Landnahme des bayerischen Raumes durch einen von Osten – möglicherweise aus Böhmen – eingewanderten Stamm der Bajuwaren, wie in früherer Forschung angenommen, hat es nicht gegeben. Die Bayern waren römisch geprägt und gingen am Beginn des 6. Jahrhunderts aus einer Verbindung mit den germanischen Nachbarstämmen hervor. Der Name der Bayern, der Männer aus dem Lande Baia oder der Bojer, ist keltischen und germanischen Ursprungs, jedoch in seiner eigentlichen Bedeutung ungeklärt. Die erste namentliche Erwähnung der Baiovarii findet sich in der Mitte des 6. Jahrhunderts im Werk des aus dem Balkanraum stammenden spätantiken Gelehrten Jordanes’. In seiner Geschichte der Goten lokalisiert Jordanes wie unmittelbar nach ihm auch Venantius Fortunatus die Bewohner des Landes Baiuaria östlich des Lechs. Seit diesem Zeitpunkt gibt es klare und mehr oder minder verlässliche Angaben über den Stamm der Bayern.

Die Agilolfinger waren das erste bayerische Herzogsgeschlecht mit dem Herrschaftsmittelpunkt in Regensburg. Aus der Frühzeit der Agilolfinger sind jedoch nur wenige historische Fakten überliefert. Legenden erzählen von Herzog Theodo vom Anfang des 6. Jahrhunderts, doch ist über ihn nur wenig bekannt. Dessen ungeachtet wurde er viele Jahrhunderte später von den bayerischen Herzögen aus dem Geschlecht der Wittelsbacher in deren eigenen Stammbaum eingegliedert. So findet sich ein fast lebensgroßes Gemälde Theodos in der barocken Ahnengalerie der Münchner Residenz. Theodo wurde für die Wittelsbacher gleichsam zum Beleg ihrer anscheinend weit zurückreichenden Vergangenheit, war für sie ein Anker in den geschichtlich bedeutsamen Ursprüngen Bayerns. Das sollte die herzogliche Autorität erheblich steigern, hatten die Agilolfinger doch die erste bayerische Gesetzessammlung (lex Baiuvariorum) erstellt, stammten ihre Gemahlinnen aus den mächtigen Königshäusern der Franken und Langobarden, saßen ihre Töchter auf den Königsthronen in Pavia und Paris, fiel in ihre Zeit das bedeutende Wirken von Bischöfen wie Emmeram, Rupert und Korbinian, gründeten sie Klöster wie Kremsmünster, Weltenburg und Niederaltaich, zählten zu den Agilolfingern berühmte Herrscher wie Odilo und Tassilo. Vor allem entstand zur Zeit der agilolfingischen Herrschaft die erste Bistumsstruktur: Der angelsächsisch-fränkische Missionar und Kirchenreformer Bonifatius gründete im frühen 8. Jahrhundert die Bistümer Regensburg, Passau, Salzburg und Freising, deren Strukturen Bayern bis heute prägen. »Gut hast Du daran getan, dem Land der Bayern eine kirchliche Ordnung zu geben, Bischöfe zu weihen und vier Bistümer zu gründen«, schrieb Papst Gregor III. 739 an seinen Legaten Bonifatius. 1 100 Jahre später wird Bayerns König Ludwig I. seine Grablege dem Patronat des heiligen Bonifatius widmen. Klöster und Kirchen gewannen eine enorme wirtschaftliche und politische Bedeutung: Kloster Emmeram in Regensburg erhielt das Burgenland und weite Teile der Slowakei, Salzburg wurde Sitz des Erzbischofs, das Bistum Passau kirchlicher Mittelpunkt am Inn. Erst am Ende des 8. Jahrhunderts, als Kaiser Karl der Große Bayern in sein Reich eingliederte und die Agilolfingerherrschaft beendete, sind Ansiedlungen im direkten Umkreis Münchens nachgewiesen. Es waren kleine Fischerdörfer am Isarufer, deren Namen meist mit der Silbe -ing endeten: Sendling, Schwabing und Menzing beispielsweise. Diese Bezeichnungen haben sich bis in die Gegenwart als Münchner Stadtteilnamen erhalten. In Bayern folgte auf die Herrschaft der Karolinger unter anderem die der Luitpoldinger, der sächsischen Liudolfinger und schließlich der Welfen. Und durch alle Jahrhunderte der frühmittelalterlichen Geschichte war und blieb Regensburg als herzogliche und zeitweise sogar kaiserliche Pfalz Zentrum Bayerns.

Der Freisinger Domberg liegt zirka 40 Kilometer isarabwärts nordöstlich von München. Die Gründung der geistlichen Stadt vor fast 1 300 Jahren machte Freising zur ältesten Siedlung zwischen Regensburg und Bozen. Früh entstanden Klöster und Stifte, darunter Weihenstephan, dessen Brauerei sich bis heute als älteste der Welt bezeichnet. Die enge Beziehung der Freisinger Bischöfe zum Königshof brachte ihnen zahlreiche Pflichten im Dienste des Reiches ein, wie Repräsentationsaufgaben und Reisen im Gefolge des Königs sowie die Teilnahme an Kriegszügen. Im Gegenzug erhielt das Bistum umfangreiche Begünstigungen und Güterübertragungen aus königlicher Hand, so zum Beispiel in Kärnten, den Dolomiten, Oberitalien, Oberösterreich und der Steiermark. Münzstätte, Zölle, Brücken- und Marktrechte sowie Grundbesitz waren die Haupteinnahmequellen des Bistums, das den Handel zwischen der Donau und den Alpenpässen bestimmte. Fast die gesamten Ufer entlang der Isar waren in Freisinger Besitz, einschließlich der Brücke, die bei Föhring den Fluss überspannte. Der Warenumschlag war bedeutend, denn auch die Salzstraße von den Abbaugebieten bei Salzburg und Reichenhall nach Augsburg verlief über diese Brücke. Der Salzhandel begründete den Reichtum Freisings und seines geistlichen Herrn, denn das Mineral war das Weiße Gold des Mittelalters: Es war unverzichtbar zum Haltbarmachen von Lebensmitteln und zudem aufwendig zu gewinnen und zu transportieren.

Mitte des 12. Jahrhunderts war Otto (1112–1158) Bischof von Freising. Er gilt als herausragender Geschichtsschreiber und Philosoph, Zisterziensermönch und Scholastiker, dessen Werke zu den wichtigsten Zeugnissen der Ereignisse des 12. Jahrhunderts zählen. Um einen Bischofsstuhl einzunehmen, musste man aus höchstem Reichsadel stammen, und Otto war mit dem staufischen Kaiserhaus eng verwandt: Er war Berater seines Halbbruders König Konrad III. und seines Onkels Kaiser Friedrich I. Barbarossa. Otto hatte ganz besonderen Grund, auf die Unterstützung des Kaisers zu hoffen, denn er musste sich mit seinem unmittelbaren Nachbarn, dem bayerischen Herzog aus dem Geschlecht der Welfen, auseinandersetzen. Und die Welfen, die bis heute als das älteste Adelsgeschlecht überhaupt gelten, waren wahrlich mächtig! Nachweisbar seit karolingischer Zeit prägte die Politik der Welfen sämtliche Jahrhunderte mittelalterlicher Geschichte. Seit 1080 stellten sie die bayerischen Herzöge, waren darüber hinaus Herzöge von Sachsen und hatten umfangreichen Besitz in Italien. Seit 1100 jedenfalls hatten die Welfen ihren festen und herausragenden Platz im Gefüge der Reichsfürsten und Heinrich der Stolze, Vater Heinrichs des Löwen, war unbestritten der mächtigste Fürst im Reich. Beeindruckt und bedroht von dieser Machtfülle schrieb Bischof Otto von Freising, dass die Welfen »von Meer zu Meer, von Dänemark bis Sizilien« herrschten.

Die enorme welfische Stellung in Bayern wurde kurzzeitig unterbrochen, als König Konrad III. 1138 den übermächtig gewordenen Herzögen nach heftigen Auseinandersetzungen ihre beiden Herzogtümer, Bayern und Sachsen, aberkannte. Im gleichen Jahr, 1138, wurden der junge Otto Bischof von Freising und im Jahr darauf sein Bruder Leopold IV. Herzog von Bayern – beide Halbbrüder des Königs. Für fast zwei Jahrzehnte, von 1138 bis 1156, wurde das bayerische Herzogtum nun von den Babenbergern regiert, zu denen der Freisinger Bischof Otto und Herzog Leopold IV. zählten. Bislang waren die Babenberger Markgrafen der Mark Austria gewesen, die einen Teil des Herzogtums Bayern bildete, und hatten sich dort durch erfolgreiche und effektive Verwaltungsmaßnahmen bewährt. Freising erlebte in der Mitte des 12. Jahrhunderts während der babenbergischen Herrschaft eine wirtschaftliche Blüte.

Heinrich der Löwe war erst neun Jahre alt, als sein Vater Heinrich der Stolze 1139 starb und er noch im Kindesalter, gestützt von seinem sächsischen Beraterkreis, den Kampf um die Wiedererlangung der Herzogtümer aufnehmen musste. Die Kaiserinwitwe Richenza, Gemahlin Kaiser Lothars III., und die Herzogswitwe Gertrud, Gemahlin Heinrichs des Stolzen, verteidigten die Ansprüche der Welfen in Sachsen, die Vormundschaft für Heinrich den Löwen übernahm dessen schwäbischer Onkel Welf VI. Tatsächlich suchte schon der nächste staufische Kaiser, Friedrich I., wieder den politischen Ausgleich mit den Welfen. 1142 wurde Heinrich der Löwe als Herzog von Sachsen eingesetzt und 1156 wurde auch Bayern an ihn übertragen. Die Welfen hatten sich behauptet und ihre überwältigende Machtstellung im Reich zurückgewonnen. Mit allen Mitteln bemühte sich Otto von Freising nun um den Erhalt seines Handelsnetzes und seiner Zolleinnahmen, konnte sich aber auf Dauer nicht gegen die wachsenden Übergriffe und die Konkurrenz Heinrichs des Löwen wehren, der kaiserliche Unterstützung genoss. In dieser angespannten Situation trat München durch einen Gewaltakt des Herzogs in die Geschichte ein.

Heinrich der Löwe (1130–1195) war sich seiner hochadeligen Abstammung bewusst und in seiner Politik von vornherein auf Maßstäbe europäischen Formats ausgerichtet. Der Löwe – Kunstmäzen, Kreuzfahrer und Städtegründer, Enkel Heinrichs des Schwarzen und Sohn Herzog Heinrichs des Stolzen, die ihre Herrscherstellung konsequent und frei von Skrupeln ausgebaut hatten – war wie seine Vorfahren ein ausgesprochen machtbewusster, jedoch auch wirtschaftlich denkender Herrscher. In vielen Entscheidungen war er seiner Zeit weit voraus. In seinen Herzogtümern Sachsen und Bayern betrieb Heinrich der Löwe eine gezielte Städtepolitik und schuf ein weitreichendes Handelsimperium. Heinrich gründete Handelszentren wie Lübeck und Braunschweig und vergab Stadtrechte, unter anderem an Hannover, Lüneburg und Stade. Im Süden lag der Fokus seiner Wirtschaftspolitik auf dem Salzabbau und dem Salzhandel. So erhob er 1158 Reichenhall zur Stadt, beerbte 1169 den letzten Hallgrafen und sicherte sich somit die Kontrolle des Salzabbaus. Auch den gesamten durch Bayern verlaufenden Salztransport und die damit verbundenen Einnahmen wollte er übernehmen. Doch die Salzstraße zog sich nach wie vor durch Freisinger Besitzungen und führte bei Föhring über die strategisch wichtige Isarbrücke. Tatsächlich waren zahlreiche juristische Fragen bezüglich Zuständigkeiten und Einnahmen im 12. Jahrhundert noch weitgehend ungeklärt. So konnte sich der Freisinger Bischof Otto hinsichtlich des Salzmarktes und der von ihm unterhaltenen bischöflichen Münze keineswegs auf ein königlich zugesichertes Recht berufen, sondern bestenfalls auf Gewohnheitsrecht. Und so stieß die Freisinger Position an den Isarhängen und der Furt zwischen Sendling und Schwabing nun mit aller Wucht auf die grundsätzlichen Machtansprüche Herzog Heinrichs des Löwen. Hier wurden die Interessensphären der Babenberger und der Welfen militärisch verteidigt. Mit Heinrich dem Löwen setzte eine langfristige Politik der bayerischen Herzöge ein, denn Heinrich und seine Wittelsbacher Nachfahren begannen, den Herrschaftsbereich der Freisinger Bischöfe durch einen Ring neuer Marktorte, Burgen und Städte zunehmend und dauerhaft einzuengen. Münchens Gründung markiert gleichsam den Auftakt einer neuen herzoglichen Wirtschafts- und Städtepolitik.

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Bronzedenkmal für Herzog Heinrich den Löwen am Alten Rathaus, Konrad Knoll, 1863

Als sich Bischof Otto samt großem Gefolge 1156 bis 1158 den kaiserlichen Feldzügen nach Italien anschloss, schuf Heinrich der Löwe Fakten: Seine Truppen rissen die Freisinger Brücke bei Föhring nieder, vernichteten den Markt und die dazugehörige Münzprägestätte und errichteten einige Kilometer entfernt eine neue Isarbrücke an einer alten Verbindungsstraße von Haidhausen nach Pasing. Damit besetzte Herzog Heinrich der Löwe den Bereich der heutigen Münchner Altstadt, also die Gegend zwischen Schwabing und Sendling, die ursprünglich zum Benediktinerkloster Schäftlarn gehörte, seit dem 11. Jahrhundert jedoch von Freising verwaltet wurde. Dabei knüpfte er möglicherweise an bereits bestehende Siedlungsstrukturen an, wie die aktuelle Forschung und die Grabungsbefunde am Marienhof nahelegen.

Von nun an kassierte Heinrich der Löwe, seit 1156 offiziell von Kaiser Friedrich I. mit dem Herzogtum Bayern belehnt, die Markt-, Brücken- und Wegezölle aus dem Salzhandel und ließ das Münzprägerecht zu seinen Gunsten ändern. Rasch schuf er alle Voraussetzungen für einen neuen Markt. Bischof Otto erhob wegen der gewaltsamen Verlegung des Isarübergangs umgehend Klage beim Kaiser. Doch Friedrich I. war die Zusammenarbeit mit dem mächtigen Welfenherzog wichtiger, und so bestätigte er kurz nach seiner Rückkehr aus Italien am 14. Juni 1158, dem Samstag nach Pfingsten, in Augsburg die Gründung des neuen Marktes namens München. Bis heute feiert die Stadt am 14. Juni ihr Gründungsfest.

Die kaiserliche Urkunde erklärte, dass Markt und Zollbrücke bei Föhring künftig nicht mehr bestünden – Bischof Otto stand vor den Trümmern seines zusammengebrochenen Handelsimperiums. Doch immerhin erwirkte er eine gewisse Entschädigung für seine Verluste, denn ein Drittel aller Markteinkünfte Münchens musste fortan an Freising gezahlt werden. Auch alle handelswichtigen Positionen wie die des Münzmeisters, des Richters, des Schreibers, der Zöllner und der Verwaltungsbeamten wurden paritätisch – von bischöflicher und herzoglicher Seite – besetzt. Außerdem lag die geistliche Zuständigkeit für den neuen Markt in Ottos Hand, da dieser zur Diözese Freising gehörte. Fast einstimmig geht die heutige Forschung davon aus, dass 1158 kein Urteil des Kaisers gefällt wurde, sondern dass es Bischof und Herzog unter kaiserlicher Vermittlung gelang, nach jahrelangen Auseinandersetzungen einen Interessenausgleich zu erzielen, eine gütliche Einigung. Doch die Zugeständnisse änderten nichts an der Tatsache, dass Freisings Handelsmonopol gebrochen und der Erfolg Heinrichs des Löwen verbrieftes Recht geworden war.

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Faksimile der Gründungsurkunde Münchens vom 14. Juni 1158

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Darstellung der alten Salzstraße vom Roten Turm an der Isar zum Schrannenplatz

Die Einnahmen aus dem Weißen Gold, das auf Ochsenkarren über die neue Brücke nach München kam, füllten in den kommenden zwanzig Jahren proportional die Kassen Herzog Heinrichs des Löwen und des Bischofs von Freising. Zusätzlich gewährte der Herzog dem Markt Stapelrechte, die jeden Salzhändler verpflichteten, seine Ladung drei Tage lang feilzubieten. Sie sicherten ihm einen permanenten Umsatz. Kontrollpunkt der eintreffenden Ladungen wurde der Bereich des heutigen Alten Rathauses, das Areal Marienplatz und Petersbergl wurde das frühe Zentrum der Verwaltung. Der neue Markt war fortan ein wichtiger Trumpf in der Wirtschaftspolitik des Herzogs. Bald kontrollierte er den Salzhandel von Reichenhall bis zum Lech, wo er 1160 die Festung Landsberg gründete. Die erste, mittelalterliche Brücke Münchens existiert natürlich längst nicht mehr. Etwa an der gleichen Stelle überspannt heute die Ludwigsbrücke die Isar, und an ihren Brückenpfeilern erzählen Inschriften von den Ereignissen im Jahre 1158 und von Heinrich dem Löwen.

Die Augsburger Urkunde Kaiser Friedrichs I. spricht von einem forum apud Munichen, einem Markt bei Munichen. Der Ausdruck leitet sich wohl von Mönchen ab, womöglich in Zusammenhang mit einem kleinen Kloster oder klösterlichen Besitz Schäftlarns. Als sicher gilt, dass die aus der Mitte des 13. Jahrhunderts stammenden frühesten Stadtsiegel Münchens den Kopf eines Mönchs unter einem gemauerten Stadttor zeigen. Der Mönch war also ursprünglicher und elementarer Bestandteil des Münchner Wappens. Im Laufe der Jahrhunderte erfuhr die Darstellung des Mönchs allerdings Veränderungen: Mit schwarz-goldenem Talar bekleidet hebt er bald seinen rechten Arm zum Schwur oder Segen, in der ausgestreckten Linken hält er die Bibel. Die Zeit des Barocks stellte ihn regelrecht stämmig und später gar verniedlicht dar. Und schließlich verwandelte sich der Mönch im 18. Jahrhundert zum Münchner Kindl und wurde so zur Symbol- und Werbefigur der Stadt.

München entwickelte sich rasch und planvoll. Zöllner, Richter und Münzmeister zählten zu den ersten Siedlern, höhere Beamte erhoben die Einnahmen und organisierten die Marktverwaltung im Auftrag der beiden Stadtherrn – des Herzogs und des Bischofs. Händler und Handwerker folgten. Wohl dreißig Jahre nach der Marktgründung ließ der gleichnamige Nachfolger des glücklosen Bischofs Otto die Kirche St. Peter erbauen und zur Pfarrkirche weihen. Ausgrabungen belegen, dass der sogenannte Alte Peter schon damals eine mächtige dreischiffige Basilika war – ein Indiz dafür, dass sich der Markt innerhalb kürzester Zeit zu einer ertragreichen Handelssiedlung entwickelt haben muss. Nahe der Pfarrkirche unterhielt der Freisinger Bischof seine Verwaltung, während unweit davon der Alte Hof entstand, eine burgartige Anlage für die Beamten des Herzogs.

Hauptmerkmal der jungen Siedlung wurde der zentrale Marktplatz, eine geräumige Freifläche am heutigen Marienplatz, den man noch bis ins 19. Jahrhundert hinein Schrannenplatz, Marktplatz oder einfach Platz nannte. Hier stapelten die ankommenden Händler ihr Salz und vertrieben die Erzeugnisse des Umlandes, und hier schlugen die herzoglichen Ministerialen die ersten Münchner Münzen. Dieses Herzog Heinrich dem Löwen kaiserlich verbriefte Münzrecht trug wesentlich zum Handelserfolg des neuen Marktes bei. Die Existenz einer Münzprägestätte unterstrich gleichsam die dauerhafte Stellung eines Marktes und ist im Falle Münchens der juristische Grund für die seither kontinuierliche Prägetätigkeit bis hin zum Euro. Um den ersten Marktplatz entstanden Nutzgebäude und die Häuser der Beamten. Von dort aus zogen sich die einfachen Behausungen der Handwerker und Händler bald immer dichter zum Isarufer hinab ins Tal. Die Siedler der Unterstadt lebten zwar in ständiger Bedrohung durch Hochwasser, konnten andererseits jedoch die nahen Flussarme zum Betreiben von Mühlen, zum Gerben von Leder und zum Fischen nutzen. Entlang der Haupthandelsstraße zwischen Isarbrücke und Marienplatz, dem Tal, reihten sich die Stellplätze für Pferde und Fuhrwerke und Herbergen und Gaststuben für die Händler aneinander.

Ein weiterer wichtiger Erwerbszweig Münchens neben dem Salzhandel wurde bereits im 12. Jahrhundert der Handel mit Holz, dessen Transport auf Flößen auf der Isar erfolgte. Das Flößerhandwerk prägte von Beginn an Münchens bauliche Entwicklung durch die Lieferung des erforderlichen Materials aus der Alpenregion. Auch später konnte die Flößerei wesentlich zum Wohlstand der Stadt beitragen, nicht zuletzt durch die Lieferung zahlreicher Luxusgüter aus dem venezianischen Fernhandel und als Verkehrsmittel zur Personenbeförderung zwischen Wolfratshausen und der Residenzstadt. Auch für diesen Handelszweig wurden eigene Stapelrechte eingeführt. Die größte Floßlände, die Untere Lände, wurde direkt an der neuen Salzstraße an der heutigen Ludwigsbrücke eingerichtet. Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts sollte die Zahl der Flöße auf bis zu 10 000 pro Jahr ansteigen, bevor ihre Funktion und Bedeutung durch die Eisenbahn abgelöst wurden.

Um den blühenden Markt zu schützen, wurde schon kurz nach der Augsburger Einigung 1158 die Errichtung einer wehrhaften Befestigung erforderlich. Die ersten Stadtmauern entstanden, vermutlich parallel mit dem Bau der Petersbasilika, und wurden um 1200 fertiggestellt. Schäffler- und Augustinerstraße, Färbergraben, Rosental, Sparkassenstraße und Hofgraben zeichnen den ungefähren Verlauf der Mauern nach, der selbst auf heutigen Stadtplänen noch erkennbar ist. Bauliche Reste dieser ersten Stadtbefestigung gibt es jedoch keine mehr. Dass Heinrich der Löwe diese ersten städtischen Anlagen noch selbst bestimmte, gilt inzwischen als sehr unwahrscheinlich. Eine Heinrichsstadt existierte wohl nicht. Auch lässt sich für die gesamte Regierungszeit Heinrichs des Löwen kein einziger Aufenthalt des Herzogs in München nachweisen – auch für ihn war Regensburg weiterhin Hauptaufenthaltsort und Herrschaftszentrum Bayerns. Münchens Kernstadt entstand im Wesentlichen nach 1180, als Heinrich der Löwe längst in kaiserliche Ungnade gefallen und nach einem spektakulären Gerichtsverfahren als Herzog entmachtet worden war.

Durch die herzoglich-bischöfliche Verwaltung war München in kurzer Zeit ein bedeutender befestigter und lukrativer Markt mit kirchlichen und behördlichen Strukturen an einer überregional wichtigen Handelsstraße geworden. Innerhalb weniger Jahrzehnte entwickelte er sich zur führenden Handels- und Gewerbestadt Oberbayerns, in der sich alles um Salz und Stapelrechte drehte. Lange Zeit war Bayerns Geschichte ohne München verlaufen, doch schon bald sollte es das neue Zentrum des Herzogtums werden.

Vor der bayerischen Staatskanzlei im Münchner Hofgarten befindet sich seit 1911 das monumentale Reiterstandbild für Herzog Otto I., ein Werk Ferdinand von Millers. Otto I. war ab 1180 als erster Wittelsbacher Herzog von Bayern. Nach ihm regierten die Wittelsbacher über sieben Jahrhunderte – eine überaus lange Herrschaftszeit. Münchens Schicksal war mit dem Handeln dieser Regenten auf das Engste verbunden, die territoriale Entwicklung Bayerns und die städtische Entwicklung bildeten fortan eine geschichtliche Einheit. Infrastruktur, Wirtschaftskraft, Repräsentationsbauten, Militäranlagen: Alle Geschicke von Stadt und Land sollten fortan von der Münchner Residenz der Landesherren aus bestimmt werden.

Die Wittelsbacher: Das ist eines der ältesten und bedeutendsten Herrscherhäuser Europas. Wer waren und woher kamen die Wittelsbacher, die zu Kurfürsten, Königen und Kaisern aufstiegen? Das Gebiet von Lechrain, Ilm, Glonn und Amper, die Orte Wittelsbach, Friedberg, Aichach, Indersdorf und Dachau beschreiben die Stammlande der Wittelsbacher, aber auch verstreute Gebiete um Bozen und Burglengenfeld zählten dazu. Ihre Stammburg lag zunächst bei Scheyern, wo ihre Bezeichnung als Grafen von Skyrum um das Jahr 1000 erstmals auftauchte. Aufgrund ihrer Verwurzelung im bayerischen Hochadel gelangen den Grafen der konsequente Ausbau ihrer bayerischen Machtposition und damit ein beachtlicher Aufstieg. Sie übernahmen zahlreiche Vogteien und gründeten Klöster. Ihrer, von wenigen Unterbrechungen abgesehen, strikten Anlehnung an die Politik der salischen Kaiser im 11. Jahrhundert verdankten sie 1116 schließlich ihren Aufstieg zu Pfalzgrafen von Bayern. Der Pfalzgraf war einerseits der Stellvertreter des Herzogs und gleichzeitig Beamter des Königs. Ihm oblagen die Kontrolle des Herzogs im königlichen Auftrag und die Wahrung der königlichen Rechte. Das Amt des Pfalzgrafen war also sehr bedeutend und bildete die Basis für das Ausgreifen der Wittelsbacher in die Reichspolitik. Mit dem Erhalt des Pfalzgrafenamtes verlegten die Scheyrer Grafen ihren Sitz auf eine neue Burg: Oberwittelsbach bei Aichach. Sie benannten sich fortan nach diesem neuen Sitz, während Scheyern ein Benediktinerkloster wurde – 1119, also vor 900 Jahren. Bald bekleideten die Wittelsbacher einflussreiche Ämter in Kirche und Reich. Konrad I. von Wittelsbach (vermutlich 1125–1200) zum Beispiel hatte in Paris studiert, profilierte sich im päpstlichen Dienst, wurde abwechselnd Erzbischof von Mainz und Salzburg und schließlich Kardinal und Erzkanzler des Reiches. Sein Einfluss erstreckte sich bis nach Hessen und Thüringen. 1184 und 1188 veranstaltete er in Mainz zwei der aufwendigsten und prachtvollsten Hoftage der Stauferzeit und brach 1197 an der Spitze des Kreuzzugs König Heinrichs VI. nach Palästina auf. Otto, Konrads Bruder, stieg zeitgleich am Kaiserhof auf. Dort wurden bald alle wichtigen Entscheidungen mit seinem Rat getroffen. Und so war es nur konsequent, dass Kaiser Friedrich I. auch Otto von Wittelsbach zum Pfalzgrafen ernannte. Seine Einsetzung erfolgte auf jenem Regensburger Hoftag im September 1156, auf dem der junge Welfe Heinrich der Löwe mit dem Herzogtum Bayern belehnt wurde. Die Regelungen für Bayern 1156, so kann man erkennen, folgten einem politischen Konzept: Der staufische Kaiser setzte auf eine erfolgreiche und stabile Zusammenarbeit mit dem mächtigen Welfenherzog Heinrich dem Löwen und förderte zugleich den Aufstieg seiner zuverlässigen Getreuen, der Wittelsbacher. Doch bei weitem nicht alle Großen des Reiches waren mit Otto von Wittelsbach als Pfalzgrafen einverstanden. Insbesondere der Freisinger Bischof führte heftige Gefechte mit dem Wittelsbacher. »Otto (…) übertrifft alle seine Vorfahren an Bösartigkeit und drangsaliert bis zum heutigen Tag unablässig die Kirchen Gottes«, schrieb der Freisinger Bischof in seiner berühmten Weltchronik.

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Reiterstandbild Herzog Otto I. im Hofgarten der Münchner Residenz, Ferdinand von Miller d.J., 1911

Otto von Wittelsbach konnte als Pfalzgraf zwar keine Reichtümer anhäufen, aber wiederholt seine Kaisertreue unter Beweis stellen. Seine große Stunde schlug, als der bayerische Herzog und Marktgründer Münchens Heinrich der Löwe ein Vierteljahrhundert später wieder in kaiserliche Ungnade fiel: Trotz der kniefälligen Bitte Friedrichs I. weigerte sich Heinrich der Löwe 1176 nämlich, dem Kaiser militärische Unterstützung in Italien zu gewähren – ein ungeheuerlicher Affront! Zahlreiche Fürsten warteten nur auf eine Gelegenheit, sich gegen den übermächtig gewordenen Welfen zu behaupten, und eröffneten wegen seines hochmütigen Verhaltens einen Prozess gegen ihn. 1180 bestätigte der Kaiser ihr Urteil: Über Heinrich den Löwen wurde die Reichsacht, der Bann, verhängt, die Herzogtümer Bayern und Sachsen wurden ihm aberkannt – eine der dramatischen Geschichten des hohen Mittelalters. Und zum neuen bayerischen Herzog bestimmte Friedrich I. seinen treuen Pfalzgrafen Otto. Dieser für die Wittelsbacher alles entscheidende Reichstag Kaiser Friedrichs I. fand im September 1180 im thüringischen Altenburg statt.

Otto I. von Wittelsbach (vermutlich 1117–1183), später mit dem Beinamen der Große versehen, begab sich sogleich auf Huldigungsreise durch sein neues Herzogtum und bemühte sich, das Amt dauerhaft für die Wittelsbacher zu sichern. In Anbetracht der mächtigen adeligen Konkurrenz in Bayern war dies nicht einfach. Zudem musste Herzog Otto I. ohne die lukrativen Einnahmen des Münchner Salzmarktes auskommen. Der Kaiser stellte nämlich am 13. Juli 1180 in Regensburg eine Urkunde aus, das zweite kaiserliche Dokument, das Münchens frühe Geschichte beleuchtet. Darin stellt sich seine Sichtweise auf die Marktgründung Münchens völlig anders dar als in der ersten Urkunde von 1158: Der Kaiser verurteilte nun Heinrichs des Löwen gewaltsame Brückenzerstörung von Oberföhring, ja, er erklärte die Marktverlegung Freisings sogar für unrechtmäßig. Um den wirtschaftlichen Urzustand wieder herbeizuführen, erhielt Freising nun allein alle Rechte an dem blühenden Markt München. Der neue Freisinger Bischof Adalbert gewann somit die Einnahmequelle zurück, die seinem Vorgänger einst von Heinrich dem Löwen genommen worden war. Münchens Verwaltung lag damit ab 1180 allein in den Händen der Freisinger Beamten. Immerhin verblieb das Münzrecht beim bayerischen Herzog und bildete in der Folgezeit die einzige Möglichkeit der Wittelsbacher, ihren machtpolitischen Einfluss in München schrittweise auszubauen und durchzusetzen. Dass Friedrich I. das Münzrecht bewusst ausklammerte, kann als Zeichen verstanden werden, dass München inzwischen eine beachtliche Rolle dabei spielte, verschiedene Ansprüche und Interessen in einer ausgeglichenen Balance zu halten. Eine tatsächliche Rückführung des Marktes nach Föhring und Freising wurde daher nicht in die Wege geleitet. Dennoch bleibt festzuhalten, dass München nicht sogleich Sitz der bayerischen Herzöge wurde. Vermutlich hat Otto I. von Wittelsbach den Markt nicht einmal mehr besucht, seit er durch die Regensburger Urkunde alle Rechte daran verloren hatte. Stattdessen konzentrierte sich die Aufmerksamkeit der wittelsbachischen Herzöge für die nächsten 50 Jahre ganz auf den Donauraum, namentlich auf Kelheim. In den wenigen Jahren bis zu seinem Tod 1183 schuf der Herzog gleichwohl die Basis für den weiteren Aufstieg der Wittelsbacher und führte seinen in Kelheim geborenen Sohn, den späteren Herzog Ludwig I. den Kelheimer, in die Kunst des Regierens ein. Seine Grablege fand Herzog Otto I. im Benediktinerkloster Scheyern, der ehemaligen Stammburg der Wittelsbacher, ebenso wie später sein Sohn Herzog Ludwig I. der Kelheimer und sein Enkel Herzog Otto II. der Erlauchte. Ein Jahrhundert lang blieb Scheyern noch Wittelsbacher Grablege, bis sich das Gedenken und damit die Identität der Herzöge nach München verlagerten.

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Benediktinerkloster Scheyern, einstiger Stammsitz und erste Grablege der bayerischen Herzöge aus dem Geschlecht der Wittelsbacher

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Glasfenster im Eingang zum Neuen Rathaus München mit der Darstellung des alten Schrannenplatzes, Mayersche Hofkunstanstalt, Karl de Bouché, um 1900

AUF DEN SCHWINGEN DES ADLERS

München als kaiserliches Zentrum

Ein bemerkenswerter Aufstieg und ein dramatischer Absturz: Die Wittelsbacher Grafen erlangten die Kontrolle über weite Teile der Donau, schafften den Aufstieg zu Herzögen Bayerns und den Zugriff auf München. Schließlich stellten sie mit Ludwig IV. den Kaiser im Heiligen Römischen Reich. Doch der imperiale Glanz verblasste bald.

Dass den Wittelsbachern der Herzogstitel nach Ottos Tod nicht genommen wurde, lag auch am Verhandlungsgeschick der herzoglichen Witwe Agnes von Loon. Gemeinsam mit ihrem Schwager, Erzbischof Konrad I. von Mainz und Salzburg, übernahm sie die Vormundschaft für ihren noch unmündigen Sohn – mit Erfolg. Ludwig I. der Kelheimer (1173–1231) konnte schließlich die Herrschaft als Herzog antreten. Ehrgeizig und zielstrebig setzten sich er und seine Nachfolger gegen den bayerischen Adel durch. An strategisch wichtigen Stellen gründeten sie neue Städte und ließen Burgen als weithin sichtbare Herrschaftszeichen erbauen, wie etwa in Landshut, Erding, Landau an der Isar, Dingolfing, Friedberg, Ingolstadt, Burghausen und Straubing. Innerhalb dreier Generationen vervielfachten die Wittelsbacher durch konsequentes Vorgehen ihre Besitzungen und finanziellen Mittel. 1204 vermählte sich Ludwig I. der Kelheimer mit Ludmilla, der Witwe seines gefährlichsten Widersachers, des Grafen von Bogen. Ludmilla war die Nichte des böhmischen Königs und brachte den Wittelsbachern beträchtlichen Besitz- und Prestigegewinn. Durch diese Ehe kamen die weiß-blauen Rauten in das bayerische Landeswappen. Und der Aufstieg setzte sich fort: 1214 verlieh Stauferkönig Friedrich II. die Pfalzgrafschaft bei Rhein an Ludwig I. den Kelheimer. Um sich die einflussreiche und wirtschaftlich lukrative Position am Mittelrhein dauerhaft zu sichern, vermählte der Herzog noch im gleichen Jahr seinen Sohn Otto II. den Erlauchten (1206–1253) mit der Welfen-Prinzessin Agnes, der Erbin der Pfalz. Seit dieser Hochzeit ziert der goldene Pfälzer Löwe das bayerische Wappen. Und wieder geschah der Aufstieg der Wittelsbacher im reichspolitischen Mächtespiel zwischen Staufern und Welfen – wie 1156 in Bayern, so 1214 in der Pfalz.