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DIE ERMORDUNG DES HAUBLER-MÜLLERS EBERTS (…)

Titelbild: Lager russischer Soldaten 1814

Die Ermordung des
Haubler-Müllers
Johann George Eberts
und dessen Eheweibes
in Niederwinkel

Ein Mordfall nach der Völkerschlacht von Leipzig

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Amt Waldenburg/Sachsen 1814/16

Editiert von Rainer Scherb

Mit Beiträgen von Mark Scheibe, Rainer Scherb und Carmen Winkel

Stiftung Historische Kommission für die Rheinlande 1789-1815

2014

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Die Untersuchungsakte

Rainer Scherb

Die Familie Ebert und die Häublermühle

Carmen Winkel

Militär und Gesellschaft im napoleonischen Zeitalter

Mark Scheibe

Deserteure, Raubkriminalität und Strafjustiz in Sachsen nach der Völkerschlacht

Autoren

Bildnachweise

Rainer Scherb

Vorwort

In der Völkerschlacht von Leipzig vom 16. bis 19. Oktober 1813 kämpften die Truppen der Verbündeten Österreich, Preußen, Russland und Schweden gegen die Soldaten Frankreichs und der Rheinbundstaaten unter Führung Napoleon Bonapartes. Dieses als Entscheidungsschlacht der Befreiungskriege bezeichnete Zusammentreffen mit vermutlich 600.000 Soldaten und ca. 100.000 Toten war bis zum 20. Jahrhundert wahrscheinlich die größte Schlacht der Weltgeschichte. Die Niederlage der französischen Truppen zwang Napoleon zum Rückzug, begünstigte den Einmarsch der Verbündeten in Paris und seine erste Abdankung im darauf folgenden Jahr. Noch einmal, im Jahr 1815, suchte Napoleon bei Waterloo eine Entscheidungsschlacht. Doch sie bedeutete seine endgültige Verbannung.

So stehen die Fakten in jedem Geschichtsbuch. Doch was die Bevölkerung im Umkreis solcher Kriegshandlungen erleiden musste, lässt sich nur erahnen. Verwüstete, ausgeplünderte oder im Zuge direkter Kampfhandlungen zerstörte Ortschaften dominierten in weitem Umkreis das Landschaftsbild. Das Antlitz Kranker, Verwundeter und Toter war allgegenwärtig. Viele Städte hatten andauernde Einquartierungen und Beschlagnahmungen zu ertragen. Die Menschen waren schutzlos den Soldaten aller Kriegsparteien, Deserteuren sowie Abenteurern und Kriminellen, die im Schlepptau der Armeen ihren Vorteil suchten, ausgeliefert.

Schriftstücke über die Ereignisse in Niederwinkel bei Waldenburg (Sachsen) zeigen am Schicksal eines Müllerehepaares, wie nahe die Bedrohungen selbst abseits der Hauptverkehrsadern kommen konnten.

Vor etwa zehn Jahren hatte ich die Gelegenheit, auf einem Flohmarkt im Ruhrgebiet eine handgeschriebene Akte über einen Mordfall auf einer Mühle in Sachsen im Jahre 1814 zu erwerben. Da gesellschaftliche Außenseiter, Räuberbanden und fahrendes Volk zu meinen Interessens- und Sammlungsgebieten zählen, erwarb ich das eher unscheinbare Aktenbündel. Die große Zeit der Räuberbanden war zwar 1814 schon seit mehreren Jahren vorüber und die berühmtesten sächsischen Verbrecher wie Nikol List oder Lips Tullian schon vor langer Zeit grausam hingerichtet worden, doch waren Bewohner einsam gelegener Gebäude, wie z. B. Mühlen, im frühen 19. Jahrhundert nach wie vor ein lohnendes Ziel von Räubern und Gesetzesbrechern. Oft waren die Müller auch gezwungen, aus reiner Überlebensstrategie gemeinsame Sache mit den Gesetzesbrechern zu machen, und die allein liegenden Gebäude außerhalb der Stadtmauern dienten als Unterschlupf zahlreicher Gauner. So oder so konnte ich also eine spannende Räuberlektüre erwarten.

Nach der Transkription der Akte zeigte sich bedauerlicherweise, dass dieser Mordfall nie aufgeklärt werden konnte. Meine ursprüngliche Erwartung, Aussagen des oder der Täter, sowie deren Aburteilung vorzufinden, erfüllte sich leider nicht. Später wurde mir klar, dass ein wesentlicher Bestandteil der Bedeutung dieser Schriftstücke sich erst erschließt, wenn man diese Tat im Zusammenhang mit den kriegerischen Ereignissen des Jahres 1813 einordnet.

Auf Nachfrage im Museum in Waldenburg erfuhr ich, dass das Verbrechen vom Hörensagen zwar bekannt, aber die genaueren Umstände im Dunkeln lagen.

Erstaunt hat mich, wie in Zeiten, in denen Gewalt, Mord und das Recht des Stärkeren zum Alltag gehörten, die Ermittlungen durchgeführt wurden. Die ärztliche Untersuchung der Leichen, die beinahe schon den Verdacht der Freude am Sezieren aufkommen lässt, und die ausführliche Befragung der Zeugen scheinen von dem tatsächlichen Wunsch geprägt, selbst in solch kriegerischen Zeiten ein Stück Normalität beizubehalten. Dem untersuchenden Amt in Waldenburg musste sicherlich schnell klar geworden sein, dass letztendlich das Ergebnis hauptsächlich aus Kosten bestehen würde, die die Stadt zu begleichen hatte.

Ich danke Frau Dr. Carmen Winkel und Herrn Dr. Mark Scheibe für ihre Beiträge, mit denen der Mordfall in die Zeitumstände in Sachsen am Ende des napoleonischen Abenteuers eingeordnet werden kann, und Frau Ulrike Budig vom Museum Waldenburg für ihre Auskünfte zu regionalgeschichtlichen Fragen.

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Feldmarschall Schwarzenberg (links) teilt den Oberbefehlshabern der alliierten Streitkräften, König Friedrich Wilhelm von Preußen, Kaiser Franz II. von Österreich und Kaiser Alexander von Russland den Sieg über Napoleon nach der Völkerschlacht von Leipzig (16.-19. Oktober 1813) mit. Napoleons Ende musste jedoch noch in weiteren Schlachten entschieden werden – insbesondere Sachsen wurde deshalb noch die kommenden vier Jahre zum Transitland vor allem für russische Deserteure, von denen zwei offenbar das Müllerehepaar Ebert in Niederwinkel ermordet haben.

Mark Scheibe

Vorwort für die Stiftung Historische Kommission für die Rheinlande 1789-1815

Die Zeit der Französischen Revolution und Napoleons (1789-1815) brachte Europa nicht nur die Losung von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit und Kriege mit Millionen von Toten auf den Schlachtfeldern zwischen Spanien und Russland, sondern vor allem tiefgreifende gesellschaftliche Änderungen und einen starken Impuls zu einem neuen, modernen Rechtsverständnis. Dieser Kontrast ist bizarr. So ist das während der Revolution in Frankreich geschaffene Strafrecht zu unserem heutigen deutschen geworden; das Zivilrecht in vielen Ländern Europas fußt noch heute auf dem von Napoleon I. geschaffenen Code civil.

Die 2011 gegründete Stiftung Historische Kommission für die Rheinlande 1789-1815 möchte diese Epoche, ihre bis heute bewahrten Errungenschaften, aber auch ihren Schrecken, den sie über weite Teile des Kontinents brachte, verstärkt in das Bewusstsein eines breiten Publikums bringen. Als Herr Scherb, der Entdecker der Akte des Mordfalls Ebert auf die Stiftung zutrat, war die Übernahme der Druckkosten eine Selbstverständlichkeit: Während Leben und Taten der Herrscher, politische Entwicklungen und die Kunst der Zeit immer wieder – man kann schon fast sagen, über die Maßen – in Publikationen gewürdigt wurden, sind Abhandlungen über Geschehnisse aus dem alltäglichen Leben eines Dorfes, einer Mikrogesellschaft, eher selten. Ein Grund dafür liegt sicherlich in den hier oft nur handschriftlich vorliegenden Zeugnissen, die wegen der damals üblichen deutschen Kurrentschrift heute nicht mehr oder nur mit großem Zeitaufwand gelesen werden können. Ein zweiter Grund, die Arbeit von Herrn Scherb zu unterstützen, war, dass die Bedeutung dieser Akte über die Schilderung eines „normalen“ Kriminalfalls dieser Zeit hinausgeht: Der Fall ist eingebettet in die Wirren nach der Völkerschlacht von Leipzig, als hunderttausende Soldaten durch das mittlere Deutschland zogen. Etliche von ihnen waren Deserteure, die zur Selbstversorgung stehlen und rauben mussten. Der Mordfall Ebert ist ein tragisches Beispiel von sicherlich hunderten ähnlichen, zu denen heute keine schriftlichen Überlieferungen mehr vorliegen. Die Akte ist deshalb auch ein Glücksfall für die Forschung über diese Zeit.

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Ausschnitt aus der politischen Karte von Sachsen vor der Neuaufteilung im Wiener Kongress 1815. Der Tatort bei Waldenburg ist mit einem roten Kreis markiert.

Die Untersuchungsakte

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Deckblatt der Akte. Die Akte im Format 35 x 22,5 cm enthält 24 durchnummerierte und eingeheftete Blätter aus dem Zeitraum von Februar 1814 bis Februar 1816.

Acta

Die Ermordung des Haubler=Müllers
Johann George Eberts und deßen
Eheweibes und die deshalb angestellte
Untersuchung
betr:

Ergangen
bei dem Fürst: Schönburg:
Amte Waldenburg
1814

E. No 10.

Blatt 1 Vorderseite

Reg

Amt Waldenburg, den 17 Feb. 1814

C

Erschien des Morgens um 9 Uhr an Amtsstelle

Johann Samuel List, Gärtner und Gerichtsschöppe

zu Niederwinkel

Mit dem Anbringen:

Heute früh sey der Zimmermann Martin und der

Tagelöhner Johann Gottfried Pohlers aus Schlagwitz1

in die sogenannte Haublermühle bei Niederwinkel

gegangen um daselbst zu mahlen, als diese beiden

Personen nun in die Mühle gekommen hätten

sie gefunden, daß der Müller Johann Georg Ebert

und dessen Frau gewaltsamer Weise wären ermordet

worden. Diese beiden obgedachten

Schlagwitzer Einwohner wären sogleich zum Richter

Karl Gottlob Porstmann in Niederwinkel gegangen

und hätten diesen Mord angezeiget, worauf der

Richter Porstmann mit einigen Niederwinkler

Einwohnern in die Haublermühle gegangen sey,

ihn Comparenten2 aber herrin ins Amt, um die-

Blatt 1 Rückseite

se Mordthat anzuzeigen geschickt habe.

Wer der Mörder sey, und wie u. auf welche Art

diese beiden Personen wären ermordet worden, weiß

er nicht.

Ist aufs Vorlesen dabei verblieben, und hat

sich mit unterschrieben.

Nachrichtlich anher bemerket worden.

Christian Gottlieb Zausch

Act.

Johann Samuel

List

Eodem3

Gleich darauf erschien auch

Karl Gottlob Porstmann Pferdbauer und

Richter zu Niederwinkel

mit dem Anbringen

Heute früh um 8 Uhr wären zwei Schlagwitzer

Einwohner der Zimmermann Martin, und der Tagelöhner

Pohlers, welche in der Haublermühle mahlen wollen

zu ihm gekommen, und hätten bei ihm angezeiget,

Blatt 2 Vorderseite

daß der Haublermüller Ebert, und dessen Eheweib

gewaltsamer Weise wären ermordet worden.

Auf diese Anzeige habe er sofort den Gerichtsschöppen

List herrin ins Amt, um den Mord anzuzeigen,

geschickt, er aber sey mit dem sonstigen

Richter Kertzscher aus Niederwinkel in die Haubler-Mühle

gegangen.

Als er nun dahin gekommen, habe er folgendes

gefunden:

Der Müller Ebert habe forne bei der Stubenthüre,

und dessen Frau hinten beim Tische auf der Erde gelegen,

und wären beide todt gewesen. An beiden habe

man sehr deutlich gesehen, daß sie auf eine gewaltsame

Weise wären ermordet worden.

Vor der Stubenthüre habe eine Axt, welche sehr

blutig gewesen, und auf dem Tische ein Flintenkolben

gelegen, und müsste daher vermuthen,

dass die Ebertschen Eheleute mit der Axt und

einer Flinte erschlagen worden.

Hierauf sey er auf den Boden gegangen, um

zu sehen, ob eben bei diesem Mord gestohlen

worden; hier habe er nun gefunden, dass mehrer

der Sachen, vornehmlich Weiberhauben aus Leder

wären herausgerissen innmaßen dieselben

auf den Dielen herum gelegen hätten.

Blatt 2 Rückseite

Auf dem Boden habe eine Soldatenmütze, welche

grau aussehe, und rund sey, gelegen, und man

müsste daher vermuthen, dass diese Mordthat

von Soldaten müsste verübet worden seyn und

aller Wahrscheinlichkeit nach sey es gestern

Abends beim Essen geschehen, denn das Essen stehe

noch auf dem Tische.

Auf Befragen,

ob sich gestern etwa in Niederwinkel Soldaten

hätten sehen lassen gab derselbe zu vernehmen,

dass gestern Nachmittag um 2 Uhr zwei Soldaten,

welche sich für Russen ausgegeben hätten,

zu ihm gekommen wären, und Quartier verlangt

hätten, er habe auch dieselbe sofort und zwar den

einen zu Daniel Lindner, und den andern zu Salomon

Pohlers einquartiert. Der eine von diesen

Soldaten habe eine Flinte, und beide eben

solche Mützen, wie er eine auf dem Ebertschen

Boden gefunden, auf, und beide graue Mäntel

angehabt. Diese beiden Soldaten wären auch

gestern Nachmittage um 4 Uhr wieder fort

gegangen, wohin aber, weiß er nicht.

Heute früh hab er auch ohngefähr 200 Schritte

von der Haublermühle weg nach Niederwinkel