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Die Autoren, die Autorin

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Prof. em. Dr. Dr. habil. Werner Sacher, Schulpädagoge an der Universität Erlangen-Nürnberg

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Prof. Dr. Fred Berger, Familien- und Bildungsforscher an der Universität Innsbruck

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Mag.a Dr.in Flavia Guerrini, Bildungswissenschaftlerin an der Universität Innsbruck

Werner Sacher, Fred Berger, Flavia Guerrini

Schule und Eltern – eine schwierige Partnerschaft

Wie Zusammenarbeit gelingt

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2019

 

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

 

Print:

ISBN 978-3-17-032707-8

 

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-032708-5

epub:    ISBN 978-3-17-032709-2

mobi:    ISBN 978-3-17-032710-8

 

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

 

 

  1. 1 Einleitung: Kooperation zwischen Schule und Elternhaus – oft schwierig, aber unverzichtbar
  2. 2 Erziehungs- und Bildungspartnerschaft zwischen Schule und Elternhaus
  3. 2.1 Von der Elternarbeit zur Erziehungs- und Bildungspartnerschaft
  4. 2.2 Zum Verständnis von »Partnerschaft«
  5. 2.3 Modell der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft
  6. 2.4 Aufgabenbereiche der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft
  7. 2.4.1 Entwicklung und Pflege einer Willkommens- und Gemeinschaftskultur
  8. 2.4.2 Intensiver und regelmäßiger Informationsaustausch
  9. 2.4.3 Erziehungs- und Bildungskooperation
  10. 2.4.4 Mitsprache und Mitbestimmung der Eltern
  11. 2.5 Entwicklung der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft
  12. 3 Prävention und Intervention bei Schwierigkeiten
  13. 3.1 Vertrauen aufbauen und erhalten
  14. 3.1.1 Die »Chemie« muss stimmen
  15. 3.1.2 Vertrauen bildet sich in Kontakten
  16. 3.1.3 Vertrauen entsteht im offenen und rückhaltlosen Informationsaustausch
  17. 3.1.4 Vertrauen wächst dort, wo es entgegengebracht wird
  18. 3.1.5 In Vorleistung gehen
  19. 3.1.6 Vertrauen entsteht im Bemühen um Konsens
  20. 3.2 Eltern stärken
  21. 3.2.1 Aufklärung und Beratung
  22. 3.2.2 Elternbildung und Erziehungstrainings
  23. 3.3 Gesprächskultur etablieren
  24. 3.3.1 Angemessene Haltung
  25. 3.3.2 Gestaltung der äußeren Situation
  26. 3.3.3 Allgemeine Regeln der Gesprächsführung
  27. 3.3.4 Gesprächsarten unterscheiden
  28. 3.4 Einbeziehung der Schülerinnen und Schüler
  29. 3.4.1 Thematisierung der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft
  30. 3.4.2 Schülerinnen und Schüler als Informanten
  31. 3.4.3 Gemeinsame Veranstaltungen und Aktivitäten mit Eltern
  32. 3.4.4 Eltern-Lehrer-Schüler-Gespräche
  33. 3.5 Allen Kindern Betreuer/innen zur Seite stellen
  34. 3.6 Unterstützung für Elternvertreterinnen und -vertreter organisieren
  35. 3.7 Mit Partnern in der Gemeinde vernetzen
  36. 4 Zeiten und Situationen potentiell schwieriger Zusammenarbeit
  37. 4.1 Zusammenarbeit mit Eltern in der Zeit der Sekundarschule
  38. 4.2 Zusammenarbeit in der Zeit der Berufs- und Studienorientierung
  39. 4.3 Zusammenarbeit bei den Hausaufgaben
  40. 4.4 Zusammenarbeit mit Eltern mit Kontaktschwierigkeiten
  41. 4.5 Familien in der Scheidungsphase und mit unterschiedlichen strukturellen Zusammensetzungen
  42. 4.6 Sozial benachteiligte Familien
  43. 4.7 Familien aus anderen Kulturen
  44. 4.8 Eltern mit Ängsten und Sorgen
  45. 4.9 Zusammenarbeit mit Vätern und Müttern mit unterschiedlichen Rollenvorstellungen
  46. 4.10 Zusammenarbeit bei pädagogischem Dissens zwischen Schule und Elternhaus
  47. 5 Zusammenfassung und Fazit
  48. Literatur

 

 

 

 

1          Einleitung: Kooperation zwischen Schule und Elternhaus – oft schwierig, aber unverzichtbar

 

 

 

Familien tragen doppelt so viel zum Bildungserfolg ihrer Kinder bei wie alle pädagogischen Organisationen (Kindergarten, Kindertagesstätten, Schule) zusammen. Das ist nicht nur ein Ergebnis groß angelegter aktueller Studien (Tietze, Roßbach & Grenner, 2005; Tietze, Becker-Stoll, Bensel, Eckhard, Haug-Schnabel, Kalicki, Keller & Leyendecker, 2013, S. 126f.) und von PISA-Begleituntersuchungen (OECD, 2001, S. 356f.), sondern ein Befund, den die internationale Bildungsforschung seit mehr als einem halben Jahrhundert immer und immer wieder erbrachte (Dave, 1963; Coleman, Campbell, Hobson, Mc Partland, Mood, Weingeld & York, 1966; Plowden-Report, 1967; Jencks, 1972; Schütz & Wößmann, 2005; Neuenschwander, 2009). Dieser Einfluss der Familien kann sowohl ein positiver und fördernder als auch ein negativer und hinderlicher sein. Aber in beiden Fällen sind pädagogische Organisationen schlecht beraten, wenn sie das Potenzial nicht nutzen, das in der Kooperation mit Eltern liegt.

Nun ist zwar der Effekt der Kooperation zwischen Eltern und Vertreter/innen pädagogischer Organisationen nicht identisch mit dem Einfluss der Familien auf den Bildungserfolg. Aber eine Studie von Werf, Creemers und Guldemond (2001) sollte doch zu denken geben: Danach wirkt sich die Kooperation zwischen Eltern und Lehrkräften stärker auf Schulleistungen aus als Faktoren der Unterrichtsgestaltung und Schulorganisation und als der Einsatz spezieller Medien. Lediglich die gezielte Weiterbildung von Lehrpersonen, die aber erhebliche finanzielle Ressourcen erfordert, hat stärkere positive Effekte als die viel kostengünstigere Elternarbeit.

Allerdings stehen der Kooperation zwischen Schule und Elternhaus in der Praxis einige Hindernisse im Wege, wie z. B. die beruflichen und privaten Belastungen von Eltern und Lehr- und Fachkräften und der sich daraus ergebende Zeitmangel1.

Hinzu kommt, dass von vielen Lehrkräften der Umgang mit Eltern als schwierig und belastend empfunden wird. Umgekehrt wird von Elternseite vielfach über Lehrkräfte geklagt, mit denen eine Kooperation nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich ist. Aber die Diskussion über »schwierige« Eltern und Lehr- und Fachkräfte führt nicht weiter. Kommunikation und Kooperation zwischen Eltern und Lehrkräften kann nur gelingen, wenn auch die Situation verstanden und berücksichtigt wird, in welcher die Akteure sich befinden.

Dazu bedarf es in der Regel eines Abrückens von der eigenen subjektiven Wahrnehmung, eines Perspektivenwechsels und der Bereitschaft, sich auf die Situation des jeweils anderen einzulassen. Die Entwicklung und Pflege einer kooperativen und respektvollen Beziehung zwischen Schule und Elternhaus ist eine unabdingbare Voraussetzung für gelingende Kommunikation. Deshalb stellen wir in den beiden folgenden Kapiteln zunächst das Modell einer Erziehungs- und Bildungspartnerschaft vor, die genau dieses zum Ziel hat. Zunächst beschreiben wir das Modell in seinen wesentlichen Elementen, um anschließend aufzuzeigen, wie auf einer solchen Partnerschaft aufbauend mit weiteren Maßnahmen Schwierigkeiten in der Kooperation und Kommunikation zwischen Eltern und Lehrkräften vorgebeugt und begegnet werden kann. Im folgenden vierten Kapitel beschäftigen wir uns mit Herausforderungen einer solchen Erziehungs- und Bildungspartnerschaft in besonderen Zeiten und Situationen, die sich z. B. durch anstehende Übergänge der Kinder im Schulwesen, durch schwierige Lebenslagen der Familie oder durch unterschiedliche Erziehungsauffassungen von Elternhaus und Schule ergeben können. Im Schlussteil fassen wir die wesentlichen Erkenntnisse und Empfehlungen noch einmal zusammen und versuchen, ein Fazit aus unseren Überlegungen zu ziehen.

1     Betz, 2015, S. 7f., S. 32; Betz, Bischoff, Eunicke, Kayser & Zink, 2017, S. 128; Beyer, 2018, S. 51f. u. S. 54f.; Sacher 2018a, S. 39f.; Wischer, 2017, S. 7f.

 

 

 

 

2          Erziehungs- und Bildungspartnerschaft zwischen Schule und Elternhaus

 

 

 

2.1       Von der Elternarbeit zur Erziehungs- und Bildungspartnerschaft

Schwierige Situationen in der Kommunikation und Kooperation zwischen Schule und Elternhaus lassen sich weitgehend vermeiden oder doch jedenfalls ein Stück weit entschärfen, wenn es gelingt, im Rahmen der Elternarbeit vertrauensvolle Beziehungen zwischen Eltern und Lehrkräften aufzubauen.

Leider lassen viele Schulen das Potential brach liegen, das in einer erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus steckt. Elternarbeit wird häufig mit mäßigem Engagement betrieben und eher einseitig auf die Anteilnahme der Eltern am Geschehen in der Schule ausgerichtet (z. B. Sacher, 2004; Sacher, 2007). Die Beschreibung, die Krumm (1996, S. 269) vor mehr als zwei Jahrzehnten vom Zustand der Elternarbeit im deutschsprachigen Raum gab, trifft teilweise immer noch zu:

»Die empirischen Untersuchungen zeigen übereinstimmend …, Schulleitung und Lehrer informieren nach Vorschrift, hören an, lassen über die (wenigen) vorgeschriebenen Sachverhalte abstimmen. Sie bieten die obligatorischen Sprechtage, Elternabende und Sprechzeiten an, aber nur wenige tun mehr. Allerdings lassen sich viele Lehrer auch informell vor und nach dem Unterricht ansprechen. Vorrangig informiert die Schulseite die Eltern … Wirkliche pädagogische Probleme kommen verhältnismäßig selten und kurz zur Sprache. Die tatkräftige Mitwirkung der Eltern in Schule und Unterricht bezieht sich auf Hilfsfunktionen (organisatorische Hilfen, Aufbringen von Geld für die Schule …). Am häufigsten sind Eltern als Helfer bei außerschulischen Klassenunternehmen zu finden. Lehrer und Eltern bekunden ›Elternarbeit‹ sei wichtig, und sie bekunden im Durchschnitt gute Einstellungen zueinander. Die Begeisterung an gemeinsamen Treffen oder Aktionen (Elternabenden, Hilfe bei Klassenausflügen) hält sich allerdings in Grenzen, vor allem auf Seiten der Lehrer.«

Eine solche Elternarbeit herkömmlicher Art, welche das Ergreifen von Initiativen hauptsächlich den Vertreter/innen der Schule vorbehält und den Eltern eine überwiegend passiv-einwilligende Rolle als Objekte der Bearbeitung durch die Schule zuweist, ist nicht mehr zeitgemäß. Auch der Begriff »Elternarbeit« sollte nicht mehr verwendet, sondern durch den der »Erziehungs- und Bildungspartnerschaft« ersetzt werden. Darüber hinaus ist eine partnerschaftliche Beziehung – wie Forschungsarbeiten überzeugend belegen2 – auch eine unverzichtbare Bedingung für die nachhaltige Förderung der kindlichen und jugendlichen Entwicklung.

2.2       Zum Verständnis von »Partnerschaft«

»Partnerschaft« darf in diesem Zusammenhang nicht idealistisch überhöht verstanden werden:

image Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch sehen wir Partnerschaft zwischen Personen oder Institutionen als gegeben, wenn sie gemeinsame Ziele verfolgen3 – im Falle der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft ist das Ziel die optimale Förderung der Kinder und Jugendlichen.

image Eine Partnerschaft muss demnach nicht unbedingt eine Gefühlsgemeinschaft sein, in der die Partner durch positive Emotionen miteinander verbunden sind.

image Sie setzt auch nicht zwingend den gleichen Hintergrund der Partner voraus – weder im Hinblick auf pädagogische Professionalität, noch auf Vermögen, Ansehen, Macht, Bildungsniveau oder was auch immer. Wohl aber gehört gegenseitiger Respekt unabdingbar zur Erziehungs- und Bildungspartnerschaft.

In der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft konkurrieren Eltern und Lehr- und Fachkräfte weder miteinander, noch praktizieren sie eine strikte Arbeitsteilung dergestalt, dass für Erziehung allein die Eltern zuständig sind und für Bildung ausschließlich die Schule zu sorgen hat. Vielmehr ergänzen sie einander in ihren pädagogischen Bemühungen komplementär und arbeiten einander zu (Sacher, 2014b, S. 151):

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Abb. 1: Aufgabenverteilung zwischen Schule und Elternhaus

image Soweit Erziehung weltanschauliche Orientierung und Werteerziehung i. e. S. ist, bleibt sie den Eltern vorbehalten, so wie die formelle Bildung durch Unterricht Angelegenheit und Auftrag der Schule ist. Daneben tragen die Eltern durch Organisieren einer anregenden häuslichen Umgebung, durch Fördern von Interessen und durch Nutzung kultureller Angebote die Verantwortung für die außerschulische informelle Bildung der Kinder und Jugendlichen.

image Bei weiteren Erziehungsaufgaben müssen Schule und Elternhaus zusammenarbeiten:

−  bei der Entwicklung moralischer Grundhaltungen (Wahrhaftigkeit, Gewaltfreiheit, Hilfsbereitschaft usw.)

−  bei der Anbahnung persönlicher, sozialer und methodischer Kompetenzen sowie

−  bei der Vermittlung von Sekundärtugenden (Zuverlässigkeit, Genauigkeit, Fleiß, Anstrengungsbereitschaft usw.)

Lehrkräfte kommen in diesen Bereichen nicht umhin, ebenso wie die Eltern Erziehungsarbeit zu leisten, um ihren Bildungsauftrag erfüllen zu können. Insbesondere bei der Vermittlung sozialer Kompetenzen haben sie große Verantwortung. Die Länderverfassungen und Schulordnungen erteilen ihnen deshalb auch ausdrücklich einen Erziehungsauftrag.

image Für die gesamte Erziehung und Bildung gibt das Grundgesetz den äußersten normativen Rahmen vor.

Vom »Elternhaus« als dem einen Partner kann natürlich angesichts vielfältiger aktueller Familienformen nur bedingt und in einem sehr weiten und abstrakten Sinne die Rede sein. Und unter »Eltern« sind nicht nur die biologischen Eltern und die Sorgeberechtigten zu verstehen, sondern alle Erwachsenen aus dem Umfeld der Kinder und Jugendlichen, die bereit sind, Verantwortung für sie zu übernehmen. D. h. »Eltern« in diesem Sinne können auch Großeltern, Onkel und Tanten, Pflegeeltern, Heimeltern, erwachsene Geschwister, Freunde, Bekannte und Nachbarn sein. Ferner sind auch die Kinder und Jugendlichen selbst wichtige Partner, die unbedingt in die Kooperation zwischen ihren Eltern und Lehrkräften einbezogen werden müssen (image Kap. 3.4).

2.3       Modell der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft

Schwierige Situationen in der Kommunikation und Kooperation zwischen Schule und Elternhaus lassen sich weitgehend vermeiden oder doch jedenfalls ein Stück weit entschärfen, wenn die partnerschaftliche Beziehung zwischen Schule und Elternhaus etwa nach den Standards organisiert wird, welche die amerikanische Parent-Teacher-Association formulierte (National Parent Teacher Association, 2007; National Parent Teacher Association, 2008; National Parent Teacher Association, 2009). Diese Standards beruhen auf dem internationalen Forschungsstand und sind im englischsprachigen Raum weit verbreitet und etabliert. Die an deutsche Verhältnisse angepasste Fassung, welche in Abbildung 2 dargestellt ist, wurde im Rahmen von Projekten der »Vodafone-Stiftung« (2013) und der »Stiftung Bildungspakt Bayern e. V.« (2014) entwickelt.

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Abb. 2: Modell der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft (Weiterentwicklung von Sacher, 2014a, S. 33)

Die Erziehungs- und Bildungspartnerschaft zwischen Schule und Elternhaus zielt letztlich darauf ab, den Schul- bzw. Lernerfolg und die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder und Jugendlichen zu fördern. Grundvoraussetzung dafür, dass ihr dies gelingt und sie – wie in der Abbildung dargestellt – eine entsprechende Wirkung erreicht, ist die Entwicklung und Pflege einer Willkommens- und Gemeinschaftskultur in der Schule. Damit ist gemeint, dass allen Eltern und Kindern das Gefühl vermittelt werden soll, in ihrer Schule willkommen zu sein und an der schulischen Gemeinschaft teilhaben zu können – einer schulischen Gemeinschaft, die von wechselseitigem Respekt geprägt ist und unabhängig von Herkunftskultur und sozialer Schicht alle einschließt. Nur wo eine solche Schulgemeinschaft existiert, kann offen informiert und vorbehaltslos kommuniziert werden, was wiederum Voraussetzung für eine erfolgreiche Kooperation zwischen Schule und Elternhaus ist. Die schulischen Kooperationsbemühungen sollen dabei ausdrücklich auch die Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern in der Gemeinde und Region, die Elternmitbestimmung sowie eine angemessene Beteiligung und Mitsprache der Schülerinnen und Schüler umfassen.

Die Arbeit in den vier Aufgabenbereichen einer Erziehungs- und Bildungspartnerschaft bedient sich unterschiedlicher individueller und kollektiver Kontaktformen. Die wichtigsten sind in Abbildung 2 genannt. Kontakte sind kein Selbstzweck. In der Regel verbinden sowohl Eltern als auch Lehrkräfte damit bestimmte Erwartungen und verfolgen damit bestimmte Absichten. Wenn Kontakte effektiv sein sollen, muss über diese Erwartungen und Absichten unter den Beteiligten Klarheit und Einvernehmen hergestellt werden, auch darüber, welcher der vier Aufgabenbereiche jeweils im Mittelpunkt steht. Ein Elternabend z. B. kann der Gemeinschaftspflege oder dem Informationsaustausch dienen oder auch eine Kooperationsveranstaltung sein, und je nachdem, welchem Ziel er dient, ist er anders zu gestalten (Sacher, 2014a, S. 32, S. 34, S. 35).

2.4       Aufgabenbereiche der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft

Im Folgenden erläutern wir die vier Aufgabenbereiche etwas ausführlicher.

2.4.1     Entwicklung und Pflege einer Willkommens- und Gemeinschaftskultur

Die Basis einer erfolgreichen Erziehungs- und Bildungspartnerschaft zwischen Elternhaus und Schule ist die Etablierung einer Willkommenskultur, d. h. die Gestaltung und Pflege eines Umfeldes, in welchem sich alle Eltern, Schülerinnen und Schüler an der Schule akzeptiert und als Teil einer Gemeinschaft fühlen.

Zunächst ist die Elternschaft einer Klasse und einer Schule oft nur ein soziales Zufallsaggregat:

»Eltern haben ja nicht schon deshalb gemeinsame Interessen, weil sie Eltern sind und ihre Kinder dieselbe Schule oder Klasse besuchen. Vielmehr interessieren und engagieren sich die meisten Eltern hauptsächlich und oft sogar ausschließlich für das Fortkommen des eigenen Kindes« (Sacher, 2014a, S. 77).4

Aus diesem sozialen Zufallsaggregat eine Solidargemeinschaft mit einer Willkommenskultur zu entwickeln, in der alle Eltern sich respektiert und angenommen fühlen, ist eine Herausforderung. Aber es ist auch die entscheidende Gelingensbedingung für die Erziehungs- und Bildungspartnerschaft. Die Eltern und Elternvertreterinnen und -vertreter stehen dafür ebenso in der Verantwortung wie die Schulleitung und das Lehrerkollegium.

Nach Heckmann (2012, S. 3ff.) können vier Ebenen der Willkommenskultur unterschieden werden: die Ebenen der Individuen, der interpersonalen Beziehungen, der Organisationen bzw. Institutionen und der gesamten Gesellschaft. Schulen können zwar wenig zur Willkommenskultur auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene beitragen. Aber sie haben viele Möglichkeiten, Maßnahmen auf den ersten drei Ebenen zu ergreifen:

image Willkommenskultur auf der Ebene der Individuen: »Willkommenskultur beginnt in den Köpfen und Herzen der Einzelnen, bei ihren Einstellungen, Gedanken und Gefühlen gegenüber den jeweiligen anderen« (Sacher, 2014a, S. 37). Das bedeutet, dass Lehrerinnen und Lehrer, Schulleiterinnen und Schulleiter sowie Elternvertreterinnen und Elternvertreter dazu aufgefordert sind, mögliche Vorurteile und Voreingenommenheiten zu reflektieren. Sie müssen bereit sein, ihre Einstellungen, Gedanken und Gefühle kritisch zu hinterfragen und sich um eine optimistische, erfahrungsoffene, vorurteilsfreie und tolerante Haltung bemühen.

image Willkommenskultur auf der Ebene interpersonaler Beziehungen: Auf dieser Ebene sind insbesondere die Interaktionen von großer Bedeutung. Lehrkräfte können hier zu einer Willkommenskultur beitragen, wenn sie sich ausreichend Zeit für Gespräche nehmen, aktiv auf Eltern zugehen und einen freundlichen und höflichen Umgang mit ihnen pflegen. Auch die unkomplizierte und zeitnahe Erreichbarkeit von Lehrkräften spielt eine wichtige Rolle (s. u.). Besonders beim Schuleintritt und am Beginn eines neuen Schuljahres ist es wichtig, solche positiven Beziehungen zu entwickeln und Angebote zu machen, welche die Eingewöhnung und das gegenseitige Kennenlernen erleichtern. Aber auch im laufenden Schuljahr bieten sich Möglichkeiten, die Eltern einzubinden (z. B. bei Veranstaltungen, Elternabenden usw.) und die Gemeinschaftsbildung in der Elternschaft und zwischen Eltern und Lehrkräften zu fördern.

image Willkommenskultur auf der Schulebene: Hier zeigt sich Willkommenskultur in der ansprechenden und übersichtlichen Gestaltung des Schulgeländes und des Schulgebäudes, im Vorhandensein von Hinweistafeln und Wegweisern sowie eines ruhig gelegenen und angemessen möblierten Elternsprechzimmers. Auch eine kleine Sitzgruppe vor dem üblichen Tresen im Sekretariat wäre ein Willkommenssignal. Ein wichtiges Element der Willkommenskultur ist die Berücksichtigung der Lebensverhältnisse aller Familien. Ein stillschweigendes Ausgehen vom Regelfall der vollständigen, gut situierten, bildungsnahen Mittelschichtfamilie ist unbedingt zu vermeiden. Das heißt z. B., dass die Zahl und die Termine von Elternveranstaltungen auf die zeitlichen Möglichkeiten der Eltern abgestimmt und Gespräche auch außerhalb von Sprechzeiten angeboten werden, die in der Kernarbeitszeit von Berufstätigen liegen, dass man ausdrücklich auch Alleinerziehende und sonstige Sorgeberechtigte einbezieht und neben traditionellen Familien auch Pflege-, Patchwork- und Regenbogenfamilien berücksichtigt, dass Sprachniveau und Lerntipps auch niedrigeren formalen Bildungsniveaus und nichtdeutschen Herkunftskulturen Rechnung tragen und die Kosten für Schulveranstaltungen, Ausflüge, Kurse und Exkursionen auch für Eltern mit geringen finanziellen Möglichkeiten erschwinglich sind (Sacher, 2014a).

Über die Entwicklung einer solchen Willkommenskultur hinaus können vielfältige gemeinschaftsfördernde Begegnungen organisiert werden: Elternabende sollten häufiger als »Klassenelternversammlungen« im wörtlichen Sinne durchgeführt werden, d. h. als Veranstaltungen, bei denen Eltern nicht nur von Lehrkräften informiert werden, sondern auch Gelegenheit haben, einander kennenzulernen und sich auszutauschen. Ebenso tragen Elterncafés, Elternbibliotheken, Elternstammtische und gemeinsame Unternehmungen der Eltern zur Gemeinschaftsbildung bei.

Das Schaffen einer sozialen Atmosphäre, in der sich alle Beteiligten wohlfühlen, ist eine wesentliche Voraussetzung für die nachfolgenden Schritte beim Aufbau einer Erziehungs- und Bildungspartnerschaft zwischen Schule und Elternhaus (Neuenschwander et al., 2004, S. 155ff.; Sacher, 2004, S. 2). Interessanterweise ist das Gelingen dieser weiteren Schritte, wie Untersuchungen zeigen, in weitaus geringerem Ausmaß von Schulart, Schulgröße und Schulstandort sowie von der Zusammensetzung der Elternschaft nach Bildungsniveau, sozialem Milieu und Herkunftskultur abhängig als von den Maßnahmen, die von Seiten der Schule zur Etablierung einer Willkommenskultur ergriffen werden (Sacher, 2014a, S. 42f.).

2.4.2     Intensiver und regelmäßiger Informationsaustausch

Eine erfolgreiche Erziehungs- und Bildungspartnerschaft zwischen Eltern und Lehrkräften erfordert eine regelmäßige, intensive und offene Kommunikation über die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen und ihre schulische und häusliche Situation. Dabei sollten vielfältige, niederschwellige und verlässliche Kommunikationswege und Medien genutzt werden (mündliche Ansprache, Briefe, Telefon, Handy, Schulhomepage, Email, SMS).

Informelle Gespräche und Kontakte (Tür-Angel-Gespräche, sich zufällig ergebende Gespräche bei Schulfesten und bei Begegnungen im Alltag, bei Elternstammtischen, Elterncafés usw.) werden von Eltern als ebenso hilfreich empfunden wie die durch Rechtsvorschriften geregelten formellen Kontakte (Sprechstunden, Elternsprechtage, Elternabende, Vorträge und Informationsveranstaltungen) (Sacher, 2004, S. 30).

Es genügt jedoch nicht, dass Eltern bei solchen Anlässen durch Lehrkräfte über die Leistungen und das Verhalten des Kindes sowie über wichtige Schulereignisse und Fragen des Unterrichts informiert werden. Im Sinne eines Informationsaustausches sollten umgekehrt auch die Eltern die Lehrkräfte informieren, z. B. über den sozialen Umgang und das außerschulische Verhalten des Kindes sowie den familiären Hintergrund und die zuhause praktizierte Erziehung. Andernfalls ist eine individuelle Förderung nur sehr eingeschränkt möglich.

In einem Modellprojekt von 2006/2007 holten Lehrkräfte von 15 % der Eltern öfter oder häufig Informationen über ihre Erziehungspraktiken und die Freizeitinteressen, den Medienkonsum und den Freundeskreis ihrer Kinder ein. Aber dreimal so viele Eltern (46 %) gaben an, öfter oder häufig über den Unterricht der Lehrkräfte und den Leistungsstand und das Verhalten ihrer Kinder informiert worden zu sein. Es hat also den Anschein, dass anstelle eines wechselseitigen Informationsaustausches zwischen Lehrkräften und Eltern eher nur ein einseitiger Informationsfluss von den Lehrkräften zu den Eltern stattfindet (Sacher, 2014a, S. 53).

Ebenso sollte eine unter Eltern (und auch Lehrkräften!) verbreitete passive Informationshaltung von einer aktiven Informationshaltung abgelöst werden. D. h. Eltern sollten nicht erwarten, dass Lehrkräfte gewünschte Informationen im Bedarfsfall bei ihnen nachfragen, sondern wichtige Informationen auch ohne Aufforderung mitteilen und die Lehrkräfte über Sachverhalte, die ihnen wichtig erscheinen, auch spontan und nicht erst auf entsprechende Bitten hin informieren. Außerdem sollten sie sich nicht immer darauf verlassen, dass die Lehrkräfte ihnen alles Wichtige ohnehin mitteilen, sondern auch selbst nachfragen. Eine vergleichbar aktive Haltung sollten sich selbstverständlich auch die Lehrkräfte aneignen.

Nicht selten tritt die passive Informationshaltung von Eltern noch einmal zugespitzt in einer Beschränkung auf problemveranlasste Kommunikation5