Jarosch, Lisbeth Alles schläft

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Lisbeth Jarosch

Alles schläft

 

((Seite 2 = vakat))

 

((Seite 3))

Lisbeth Jarosch

Alles schläft

Roman

Piper ((nur das Logo einsetzen))

 

((Seite 4))

Mehr über unsere Autoren und Bücher: www.piper.de

 

978-3-492-50268-9

© 2019 Piper Verlag GmbH, München

Redaktion: Theresa Schmidt-Dendorfer

Covergestaltung: © Traumstoff Buchdesign traumstoff.at

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Printed in Germany

 

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1. Kapitel

Das Aufleuchten eines Warnblinkers, mitten in der Ausfahrt!

Ich trete auf die Bremse, zerre am Lenkrad und schaffe es in letzter Sekunde, dem Laster auszuweichen. Das Antiblockiersystem meines BMWs rattert, dann schlittere ich aus der Kurve und komme abseits der Fahrbahn neben einem Leitpfosten zum Stehen. Das war knapp. Mit der Kühlerhaube stecke ich in einer Schneewehe fest. Meine Finger zittern, als ich sie vom Lenkrad nehme. Aber kaum habe ich den Schreck überwunden, regt sich die Wut in mir. Wofür hat man denn bitte ein Warndreieck?!

Ich schalte ebenfalls den Warnblinker an und hoffe, dass in den nächsten Sekunden kein anderes Fahrzeug die Ausfahrt nimmt, dabei ein ähnliches Ausweichmanöver fährt und in meinem Kofferraum landet. Ich atme tief ein, lockere den krampfhaften Griff ums Lenkrad und versuche rauszufinden, was da draußen los ist. Dichte Flocken in der Schwärze der Nacht, das grelle Orange der Warnblinker. Der Schneesturm, der schon seit Stunden wütet, erschwert die Sicht.

Ich lasse das Fenster runter, obwohl die eisige Kälte innerhalb eines Augenblicks die wohlige Wärme in meinem Auto zunichtemacht. Der Fahrer des Lkws läuft im Dunkeln mit hochgezogenem Kragen durch den Schneematsch um sein Fahrzeug herum.

»Ein toller Platz zum Parken!«, brülle ich dem Mann über den Wind hinweg zu. Er antwortet, indem er mir den Mittelfinger zeigt und unbeirrt weiter schlurft. Danke, dir auch schöne Feiertage, du Vollidiot!

Ich warte noch einen Moment, bis mein Puls wieder einen gesunden Wert erreicht. Dann lasse ich den Motor an, lege den Rückwärtsgang ein und trete aufs Gas. Erleichtert atme ich auf, als sich das Auto in Bewegung setzt. Vor meinem inneren Auge habe ich mich schon dabei gesehen, wie ich es per Hand freischaufle. Ohne Handschuhe, denn die habe ich im Eifer meiner Abreise bei Marcel gelassen.

Ich setze zurück auf die Fahrbahn. Danke meinem Schutzengel im Stillen dafür, dass keiner kommt, und fahre weiter. Langsamer jetzt. Eilig habe ich es ohnehin nicht, auch wenn die Uhr mittlerweile schon nach Mitternacht anzeigt.

 

Die Landstraße ist wie leer gefegt. Wer nicht unbedingt nach draußen muss, lässt es bei diesem Wetter bleiben. Die Fahrbahn ist nicht geräumt und daran wird sich vor morgen früh auch nichts mehr ändern. Es würde sich nicht lohnen, denn noch immer schneit es so stark, dass man kaum etwas sehen kann.

Im Radio erklingen die ersten Töne von Driving Home for Christmas, wie passend. Ich schalte aus, bevor mir noch die Reste des Raststättenfraßes hochkommen, weil dieser Heile-Welt-Scheiß so unerträglich ist.

Während ich das Ortsschild passiere und nach Wetterbach hineinfahre, bildet sich in meinem Hals ein dicker Kloß, der mit jedem zurückgelegten Meter stärker anschwillt. Als ich das letzte Mal hier war, dachte ich, ich würde nie wieder zurückkommen. Aber Dinge ändern sich.

Wenn man so durch die Scheibe blickt, könnte man meinen, Wetterbach wäre ein friedliches kleines Städtchen. Eines, in dem einem nichts Schlimmeres zustoßen kann, als dass man einen Strafzettel kassiert. Oder die Nachbarn hinter vorgehaltener Hand tuscheln, weil man den Rasen nur jeden zweiten Samstagvormittag mäht. Aber ich weiß es besser. Die hübschen, gepflasterten Gässchen und Zuckergussdächer können mich nicht täuschen, genauso wenig wie die bunten Lichterketten an den Fenstern und über der Straße. Ich lasse den Marktplatz links liegen, fahre an meiner ehemaligen Stammkneipe und meiner Lieblingsboutique vorbei. Biege dann ins Wohngebiet ab, wo die Straßenlaternen die schneebedeckten Doppelhäuser in ein heimeliges Licht tauchen und man nur darauf wartet, den Weihnachtsmann auf seinem Rentierschlitten durch die Nacht fliegen zu sehen.

Inzwischen hat der Wind ein wenig nachgelassen und dicke, flauschige Flocken fallen vom Himmel und meinen Scheibenwischern zum Opfer.

Als ich das Haus meiner Eltern am Ende der Straße ausmache, halte ich an. Mitten auf der Fahrbahn stelle ich den Motor ab und falte die Hände in meinem Schoß.

Alles in mir sträubt sich dagegen, diese letzten Meter zu fahren. Hinter den Fenstern brennt Licht, Marion ist also noch wach. Wahrscheinlich fragt sie sich, wo ich so lange bleibe, denn ich wollte früher hier sein. Aber kaum war ich unterwegs, habe ich keine Gelegenheit ungenutzt gelassen, den Moment unseres Wiedersehens hinauszuzögern.

Auch Marion klang alles andere als begeistert, als ich mich am Telefon angekündigt habe. Bestimmt ahnt sie, dass ich nur zurückkomme, weil ich mir nicht anders zu helfen weiß. Obwohl ich es ihr gegenüber anders dargestellt habe.

»Bald ist Weihnachten«, habe ich gesagt. »Da wird man doch seine Familie besuchen dürfen?«

»Du hast dich während der letzten zwei Jahre einen Dreck um diese Familie geschert«, hat Marion geantwortet, die Bitterkeit in ihrer Stimme unüberhörbar. »Warum also gerade jetzt?«

Weil ich nicht weiß, wohin ich sonst gehen soll, wäre die ehrliche Antwort gewesen. Weil ich mich verloren und einsam fühle. Weil ich keine Wohnung und nicht genug Geld habe, um lange in einem Hotel zu bleiben. Es sei denn, ich verkaufe mein Auto, aber das möchte ich nicht. Ich habe es mir selbst gekauft, obwohl Marcel der Meinung war, ich bräuchte keinen eigenen Wagen. Zum Glück habe ich nicht auf ihn gehört, sonst hätte mich Marion vom Flughafen abholen müssen, das wäre noch demütigender gewesen.

»Ist das nicht meine Sache?«, habe ich stattdessen gelangweilt gefragt, aber sie ließ nicht locker.

»Was ist mit Marcel?«

»Mit dem ist es vorbei.«

Diese Wahrheit wäre sowieso früher oder später ans Licht gekommen. Warum es also nicht gleich am Telefon hinter mich bringen? So musste ich wenigstens nicht Zeuge des hämischen Grinsens werden, das mit Sicherheit auf diese Neuigkeit gefolgt war.

Die Kälte sickert langsam wieder zu mir herein, weil die Heizung nicht mehr läuft. Ich taste nach meinem Handy und scrolle durch die Kontaktliste. Ob Hannes noch seine alte Nummer hat? Ich bin mir sicher, dass er glücklicher über meine Rückkehr sein wird als meine Schwester und wahrscheinlich auch meine Mutter. Ich habe heute während der Fahrt oft an ihn gedacht und mich auf ihn gefreut. Die Vorstellung, zu ihm zu fahren und die Nacht gemütlich an ihn gekuschelt in seinem Bett zu verbringen, ist unendlich verlockend.

Aber Hannes läuft mir ja nicht weg. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Man muss zumindest ein paar Bissen der widerlichen Hauptspeise runterwürgen, bevor es den Nachtisch gibt. Wer diese Gebote aufgestellt hat, wird sich schon was dabei gedacht haben.

Ein weiterer unangenehmer Gedanke trübt selbst diesen winzigen Lichtblick. Das letzte Mal, als ich Hannes gesehen habe, hatte er rote, verheulte Augen, und zwar meinetwegen. Das ist schon eine Weile her, doch vielleicht trägt er mir etwas nach?

Ach. Ich starte den Motor wieder und schüttle den Kopf. Eins nach dem anderen. Das flaue Gefühl in meinem Magen wächst zu einem schmerzhaften Krampf heran, als ich das letzte Stück fahre.

 

In der Einfahrt steht ein verschneiter weißer Van. Der Anblick ist ungewohnt, denn der Platz war früher für den Mercedes unserer Mutter reserviert. Marion muss ihn verkauft haben. So schön er auch gewesen ist, so schlecht war er doch für den Transport eines Rollstuhls geeignet.

Ich parke am Straßenrand, mitten im Schnee, und greife nach meinem Gepäck. Okay, einer der Koffer gehört mir, der andere Marcel, wenn man es genau nimmt. So wie der Großteil des Inhalts, denn er hat für die meisten meiner teuren Designerkleider und für die hochwertigen Kosmetikartikel gezahlt. Aber nur wiederholen ist gestohlen. Mitnehmen, was einem mehr oder weniger geschenkt wurde, ist konsequent.

Ich benutze die Klingel, ich glaube, zum ersten Mal in meinem Leben. Wer klingelt schon bei sich selbst? Ich komme mir vor wie eine Fremde, die um ein Quartier für die Nacht bettelt. Wie Maria. Aber ohne Josef, quasi die moderne Version der Heiligen Familie, man braucht ja keinen Mann mehr … Zum Glück bin ich nicht schwanger von wer-weiß-wem. Aber ein Stall, Heu und Stroh, Ochse und Esel – im Moment klingt das in meinen Ohren richtig angenehm, wenn man bedenkt, wer hier haust.

Ich erschrecke, als etwas mein Bein berührt, doch es ist nur Willie, mein Kater. Leise lachend beuge ich mich zu ihm runter und kraule ihm das schwarze, flauschige Fell, das ganz nass vom Schnee ist. Willie fängt sofort an, wild zu schnurren. Offensichtlich ist er nicht nachtragend.

Schwungvoll wird die Tür aufgerissen und Marions knochiges, langes Gesicht erscheint.

»Kannst du das Geklingel nicht lassen?«, fragt sie ärgerlich. »Du weckst Mama noch auf.«

Keine Umarmung, kein freundliches Lächeln. Ich habe auch keins von beiden erwartet, aber jetzt ist endgültig klar: Das hier wird unangenehm. Vielleicht noch unangenehmer, als ich mir vorgestellt habe. Und ich habe immerhin achtzehn Jahre mit Marion zusammengelebt und weiß demnach ganz genau, was »unangenehm« bedeutet.

Ich husche an ihr vorbei ins Haus. Es riecht nach Zimt und die Küche sieht aus, als hätte heute jemand Plätzchen gebacken. Die Schüsseln sind längst ordentlich gespült und stehen im Abtropfbecken, drei Keksdosen stapeln sich auf der polierten Arbeitsplatte unserer perfekt geplanten Einbauküche. Im Wohnzimmer steht ein kleiner, hübsch geschmückter Christbaum mit der Krippe darunter, die unsere Mutter jedes Jahr aufs Neue aufgebaut hat. Oh du fröhliche, pseudo-selige Kleinstadtweihnachtszeit …

»Wie geht es ihr?«, frage ich bemüht höflich, während ich mich aus dem Mantel schäle und mich daran mache, die Stiefel aufzuschnüren. Marion beobachtet mich aus schmalen Augen und verschränkt die Arme vor der Brust.

»Wie es einem nach zwei Schlaganfällen eben geht, Conni«, sagt sie knapp.

Ich nicke. Frage nicht weiter, weil ich heute Nacht nichts mehr hören werde außer Vorwürfen. Morgen früh kann ich mit meiner Mutter selbst reden, und auch Marion wird sich einkriegen. Oder auch nicht, was kümmert’s mich. Jetzt brauche ich erst mal ein wenig Schlaf.

»Dein Zimmer ist hergerichtet. Ich hab das Bett frisch bezogen«, sagt sie und ihre Stimme klingt jetzt tatsächlich eine kleine Spur wärmer.

Ich bedanke mich mit einem gezwungenen, versöhnlichen Lächeln und schnappe mir meine Koffer. Ich bin schon auf dem Weg zur Treppe, da ruft sie mich noch einmal zurück. Wusste ich doch, dass da noch was kommt.

»Wie lange wirst du bleiben?«

Ich zucke ahnungslos mit den Schultern. »Ich weiß noch nicht.« Bis ich mir darüber im Klaren bin, wie es weitergeht.

Marion mustert mich nachdenklich, kneift dabei aber wieder die Augen zusammen. Ist das pathologisch? Dass sie nicht ganz richtig ist, wusste ich schon immer, vielleicht ist es jetzt medizinisch bestätigt.

»Hier hat sich einiges verändert, seit du weggegangen bist«, sagt sie dann. »Manches davon auch zum Guten. Und ich werde nicht zulassen, dass du das zerstörst.«

»Ich habe sicher nicht vor, mich in dein Leben einzumischen«, sage ich gelassen. Was für ein Leben überhaupt? Hat sie Angst, dass ich ihre selbst gebastelte Weihnachtsdeko von den Fensterscheiben reiße? Am Ende trauen sich die Sternsinger nicht mehr hierher, um ihre grauenhaften Lieder zu trällern und den Türrahmen mit Kreide zu beschmieren. Die Nachbarn könnten hinter ihren altmodischen Spitzengardinen hervorschauen und umgehend am Telefon weitertratschen, dass im Hause Berghoff etwas vor sich geht. Es reicht weniger aus, um in Wetterbach zur Geächteten zu werden. Aber – den Ruf der Familie habe ich ja schon längst ruiniert. Ich kann nichts gegen das Lächeln ausrichten, das sich auf meinem Gesicht breitmacht, als ich mir vorstelle, wie meine Schwester volle zwei Jahre darum gekämpft hat, ihn wiederherzustellen. Wenn sie das wirklich geschafft hat – Respekt!

»Dann ist ja gut.« Marion greift sich einen Lappen und macht sich daran, die dreckigen Pfützen wegzuwischen, die meine Stiefel auf den Fliesen hinterlassen haben.

 

Ich gehe nach oben. Mein altes Zimmer ist sauberer, als ich es zurückgelassen habe. Die gelben Vorhänge sind frisch gewaschen und auf den Regalen liegt kaum ein Staubkörnchen. Das Bett ist gemacht und der Schreibtisch aufgeräumt. So sah es definitiv nie aus, als ich noch hier gelebt habe. Damals musste man über mindestens zwei Schulhefte und fünf dreckige Kleidungsstücke springen, um von der Tür bis zum Bett zu kommen. Den Schreibtisch habe ich statt zum Lernen als Ablage für Kosmetik verwendet, die Regale mit Modezeitschriften statt mit Büchern gefüllt. Mein Chaos gehörte zu den vielen Dingen, wegen derer Marion und ich uns immer in die Haare gekriegt haben. Aber hier, in meinem Zimmer, hatte sie nichts zu melden.

Die Müdigkeit überkommt mich mit voller Heftigkeit. Ich lasse mich aufs Bett fallen und mache mir gar nicht erst die Mühe, meine Klamotten auszuziehen. Ich bin den ganzen Tag unterwegs gewesen und das Wetter, viele unnötige Pausen und ein paar Stunden im Stau haben dafür gesorgt, dass die Fahrt sogar noch länger gedauert hat, als sie es sonst tun würde. Brüssel ist nicht gerade um die Ecke.

Das Einschlafen fällt mir trotzdem schwer. Ich hatte vergessen, wie still es hier ist. In Marcels Apartment gehörte der Lärm der Autos und die Sirene der Polizei zur ständigen Geräuschkulisse so selbstverständlich dazu wie der Café au Lait zum Frühstück.

Ich wälze mich unruhig hin und her. An Marcel zu denken, macht keinen Spaß. Ich habe ihn nicht geliebt, aber die Schmach, betrogen worden zu sein, sticht und zwickt, richtig lästig. So fühlt sich das also an, jetzt kann ich mitreden. Nicht zu fassen, dass mir so etwas passiert! Umso bitterer, weil sich alle, die mich vor diesem Schritt gewarnt und ihn einen Fehler genannt haben, bestätigt sehen werden, obwohl ich den Teufel tun werde, ihnen den Grund für das Scheitern unserer Beziehung zu nennen. Tja, Conni, war wohl doch nichts mit dem Sugardaddy. Ein hämisches Grinsen, ein bedauernder Blick, der nicht mal meine Oma täuschen könnte. Aber warum mache ich mir darüber überhaupt Gedanken? Ich drehe mich auf den Bauch, schlinge die Arme ums Kopfkissen und mache die Augen zu, die automatisch immer wieder aufgehen, obwohl ich doch schlafen will. Die Leute haben damals nicht verstanden, was ich von Marcel wollte, und sie werden heute nicht verstehen, dass ich nichts bereue, so ärgerlich das Ende unserer Beziehung auch sein mag. Ich wollte weg aus Wetterbach. Und ich hätte jede sich mir bietende Gelegenheit genutzt.

2. Kapitel

»Constanze.«

Meine Mutter ist die einzige Person, die mich immer mit meinem vollen Namen angesprochen hat, statt ihn abzukürzen. Sehr zu meinem Ärger, denn ich konnte ihn nie leiden. Als ich jünger war, hat mich eine Mitschülerin mal damit aufgezogen, obwohl die blöde Ziege sich besser nicht mit mir angelegt hätte. Aber sie hatte nicht unrecht: Wer heißt heute schon Constanze? Erst als Irene kam, die ihren genauso altmodischen Namen mit Stolz trug und sich nicht um solche Sprüche scherte, habe ich mich damit arrangiert. Dennoch klingt der Name noch immer irgendwie sonderbar in meinen Ohren. Meine Mutter hat ihn ausgesucht, hat mir mein Vater einmal erzählt. Nach einer Schauspielerin, die sie verehrt hat. Und auch, wenn ich ihn trotzdem nicht mochte, war diese Information irgendwie tröstlich. Denn das bedeutete, dass es wahrscheinlich zumindest einen Moment in unserem Leben gegeben haben muss, an dem meine Mutter sich über mich gefreut hat.

Ich lasse die Pflegehilfe, die Marion engagiert hat, an mir vorbei aus dem Zimmer schleichen und komme mit zögerlichen Schritten ans Bett. Je schneller ich das hinter mich bringe, desto besser. Ich atme flach, weil der Geruch von Krankheit in der Luft liegt, obwohl meine Mutter ja nichts Ansteckendes hat und ich mich nicht vor einer Infektion zu fürchten brauche. Ich hasse Elend einfach, ich möchte es weder einatmen noch berühren und eigentlich will ich es nicht mal sehen. Dummerweise brauche ich ihre Hilfe, deshalb überwinde ich mich trotz meines Unbehagens und schaue ihr ins Gesicht. Erschrocken öffne ich den Mund. Sie ist gealtert. Um deutlich mehr als die zwei Jahre, die ich weg gewesen bin. Das schlechte Gewissen überkommt mich unerwartet heftig. Ihre Haut ist so blass und dünn, dass man durch sie hindurchsehen kann.

Mit einer schwerfälligen Bewegung winkt sie mich noch ein Stück näher zu sich heran. Der Blick in ihren Augen kommt mir vor wie immer. Nicht direkt unfreundlich, aber eben auch nicht herzlich.

Sie versucht, etwas zu sagen, aber die Worte zu formen bereitet ihr Mühe.

»Du siehst hübsch aus.« Sie lächelt! Es wirkt etwas schief und angestrengt, aber es soll eindeutig ein Lächeln sein. Mir wird umgehend ein klein wenig leichter ums Herz. Ich habe nicht darauf spekuliert, von ihr etwas Nettes als Begrüßung zu hören. Es hätte mich nicht gewundert, von meiner Mutter genauso abgewiesen zu werden wie von Marion gestern Abend.

»Wie geht es dir?«, frage ich. Schlecht, offensichtlich. Wesentlich schlechter als bei meiner Abreise. Am liebsten würde ich den Kopf wegdrehen, oder gleich raus, an die frische, eisige Luft. Eine Lungenentzündung ist womöglich erträglicher als das hier.

Sie seufzt. »Es ging mir schon mal besser. Aber du weißt ja: Mich bringt so schnell nichts um.«

Mein Blick fällt auf den Rollstuhl, der hinter der Tür bereitsteht. Sie lügt. Ich erinnere mich nur zu gut daran, was für eine stolze Frau sie gewesen ist. Darauf angewiesen zu sein, dass jemand ihr bei den alltäglichsten Dingen hilft, muss die Hölle für sie sein. Aber Jammern ist nicht ihre Art. Das ist Marions Spezialgebiet.

»Marcel?«, fragt meine Mutter mit schwerer Zunge.

»Habe ich verlassen«, antworte ich genauso knapp. Das ist nur die halbe Wahrheit, denn er hat schließlich alles dafür getan, dass es soweit gekommen ist.

»Gut, dass du wieder da bist«, sagt meine Mutter. Obwohl das nicht gerade ein Feuerwerk an Emotion und Mutterliebe ist, bedeuten mir diese freundlich-nüchternen Worte etwas. Sie freut sich, mich zu sehen. Das allein ist schon erstaunlich genug, aber in Anbetracht meines Verhaltens während der letzten zwei Jahre grenzt es an ein Wunder. Ich bin gerührt, aber genau wie sie schaffe ich es nicht, ihr meine wahren Gefühle zu zeigen, sie in eindeutige Sätze, Mimik und Gesten zu packen. Weil es einfach ungewohnt ist, mich ihr von meiner verletzlichen Seite zu zeigen, wo sie doch früher immer auf der Suche nach einer Angriffsfläche zu sein schien.

»Ja«, erwidere ich deshalb nur dankbar.

 

»Sie hat dir nicht vergeben. Auch wenn sie das nicht so sagt«, belehrt mich Marion, als ich kurz darauf das Zimmer unserer Mutter verlasse. »Du hast uns im Stich gelassen.«

Sie deckt den Frühstückstisch. Ich setze mich auf meinen ehemaligen Lieblingsplatz vor dem Kamin, in der Hand eine Tasse dampfenden Kaffee, und lausche stumm Marions Vorwürfen. Es ist keine Lüge: Ich bin gegangen und auch nicht zurückgekommen, als unsere Mutter im Rollstuhl gelandet ist. Meine Gründe dafür interessieren Marion nicht, also lasse ich sie einfach schimpfen, genau wie die Nachbarn und alle anderen in Wetterbach, denen das Familiendrama nicht entgangen ist. Mit meiner Rückkehr gibt es endlich neuen Stoff für Klatsch und Tratsch. Bestimmt hängt Martha von nebenan schon mit dem Handy am Ohr geifernd am Gartenzaun, eine dicke Lage Schnee auf ihrer scheußlichen Pelzmütze.

»Papa würde sich im Grab umdrehen, wenn er davon wüsste«, ätzt Marion.

Ich kneife die Lippen fest zusammen, statt ihr die zornige Bemerkung entgegenzuschleudern, die sie für diese bescheuerte Aussage verdient.

»Kommt noch jemand?«, frage ich stattdessen, als mir auffällt, dass sie ein Gedeck zu viel auf den Tisch stellt. Im selben Moment höre ich, wie die Haustür aufgeht. Marion richtet sich hastig das mausbraune Haar. Sie hat es zu einem Zopf gebunden, was ihr Gesicht noch länger und dünner aussehen lässt.

»Hallo«, ertönt es aus dem Flur, wo unser Besuch offenbar gerade dabei ist, Mantel und Schuhe abzulegen. Die Stimme kommt mir bekannt vor.

Hannes.

Ich stelle hastig die Kaffeetasse zur Seite, stehe auf und verfluche mich dafür, dass ich bisher zu faul zum Duschen gewesen bin. Bestimmt sehe ich furchtbar aus. Aber was soll’s, für Hannes hat es nie eine Rolle gespielt, ob ich gestylt war oder nicht. Hat Marion ihn etwa eingeladen, um mir eine Freude zu machen? Ich mustere sie argwöhnisch, denn das passt nicht zu ihr, aber wer weiß – vielleicht gibt sie sich ja doch etwas Mühe, unser Verhältnis zu verbessern. Häuschen, guter Job und eine wiederhergestellte Familie – alle Kriterien erfüllt, nichts steht der Wahl zur Spießbürgermeisterin von Wetterbach mehr im Wege. Martha, die immer noch mit kaltgefrorener Nase am Zaun hängt, fällt sicher fast drüber, so sehr spekuliert sie auf einen Riesenkrach, aber womöglich unterschätzt sie Familie Berghoff?

Ich schaue erwartungsvoll zu Marion, und sie lächelt zurück, aber es wirkt irgendwie … komisch. Was ist los?

»Ich habe ganz vergessen, zu erwähnen, dass ich mittlerweile einen Freund habe«, sagt sie und nestelt wieder an ihren Haaren rum. Etwas stimmt nicht, ihre gute Laune versetzt mich in Alarmbereitschaft, mein Körper reagiert mit nervöser Anspannung, ohne zu wissen, warum genau.

Ich runzle die Stirn und sage verwirrt: »Schön. Das freut mich für dich!«

Quatsch, es überrascht mich eher! Marion ist zweiundzwanzig, zwei Jahre älter als ich, aber bevor ich ausgezogen bin, hat sie nie jemanden mit nach Hause gebracht. Ihre Mundwinkel zucken, während ich noch immer dabei bin, dieses eigenartige Lächeln zu analysieren. Hinterhältig. Ja, das trifft es. Sie lächelt hinterhältig.

Trotzdem realisiere ich den Grund dafür erst einen Moment, nachdem Hannes ins Wohnzimmer gekommen ist und ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange gegeben hat. Danach wendet er sich mir zu.

»Hallo Conni.«

Krampfhaft presse ich die Zähne aufeinander. Ich starre. Muss ich etwas sagen? Irgendwo in meinem Kopf läuft die Mahnung, dass dieser Gruß normalerweise nach einer Erwiderung verlangt. Aber normalerweise küsst Hannes ja auch nicht meine hämisch grinsende Schwester, ich befinde mich gerade offensichtlich in einer Parallelwelt. Und wer weiß schon, was da für Gesetze gelten.

»Hallo Hannes.« Das reicht hoffentlich. Mehr bringe ich nicht heraus.

Hannes fährt sich mit einer verlegenen Geste durchs Haar und lächelt gezwungen. Die Szene ist so absurd, dass ich nicht weiß, ob ich lachen oder kotzen soll. Oder beides, abwechselnd. Gnadenlose Weihnachtszeit.

Hannes also. Von allen Männern Wetterbachs stürzt sich meine Schwester auf den einen, der mir wichtig ist, sobald ich das Feld geräumt habe. Meinen Ex-Freund. Ich wusste zwar immer, dass sie ihn mochte, aber nie im Leben habe ich erwartet, dass Hannes sich eines Tages für sie erwärmen könnte. Er gehörte mir, sogar noch, nachdem ich Schluss gemacht hatte. Jeder wusste das, Marion auch.

Aber jetzt steht er da, in unserem Esszimmer. Mit demselben schlichten Haarschnitt wie früher, den gleichen, unmodern geschnittenen Jeans und dem freundlichen Gesicht mit den hübschen, aufmerksamen Augen.

Die Situation ist ihm peinlich, das kann ich ihm ansehen. Genau wie mir, obwohl ich immer noch eher entsetzt als peinlich berührt bin. Hannes war die Person, auf die ich mich am meisten gefreut habe, aber ich habe mir unser Wiedersehen definitiv anders vorgestellt.

Ich kann Marions Genugtuung angesichts meiner schockierten Reaktion spüren und setze rasch eine ungezwungene Miene auf, weil ich ihr diesen Triumph nicht gönne. Ich tue so, als wäre die Neuigkeit, dass Hannes und Marion ein Paar sind, nicht aufregender als die abgerissene Postfiliale, die ich auf meinem Weg hierher gesehen habe. Das ist also unser Stand. Nichts mit Versöhnung und Annäherung aneinander, meine Schwester konnte es bestimmt kaum erwarten, zu sehen, wie entgeistert ich sein würde. Diese Schlange!

»Ich hab schon gehört, dass du kommst«, sagt Hannes zu mir.

Er nimmt mich etwas unbeholfen in den Arm – obwohl wir uns schon viel, viel näher gekommen und einander so vertraut sind, fühlt sich die Berührung gerade unendlich seltsam an.

Marion nimmt Hannes die Tüte mit den Brötchen ab, bittet uns betont fröhlich zu Tisch, als wäre alles in bester Ordnung, und legt demonstrativ ihre Hand auf seine, während sie mit der anderen Kaffee einschenkt. Hannes lässt die Geste zu, obwohl er sich genauso unwohl fühlt wie ich. Seine Wangen sind feuerrot.

»Wie läuft es in der Bäckerei?«, frage ich, sobald ich mich niedergelassen und halbwegs im Griff habe. Ich brauche noch einen Moment, bis ich die richtigen Worte für Marion und ihn finde, solange muss ein unverfängliches Thema her. Die Blöße einer peinlichen Szene, bei der ich um Fassung ringe und am Ende womöglich heulend rausstürme, will ich mir nicht geben. Wenn Hannes weg ist, dann rede ich mit Marion.

»Wir können uns über die Umsätze nicht beklagen, obwohl die großen Ketten uns nach wie vor das Leben schwermachen«, nimmt Hannes die Vorlage dankbar an. »Allerdings geht es meinem Vater gesundheitlich immer schlechter. Er ist kaum mehr in der Backstube.«

»Tut mir leid, das zu hören.« Hannes’ Vater hat schon mit Parkinson zu kämpfen gehabt, als ich aus Wetterbach fortgegangen bin.

»Hannes hat das Geschäft mittlerweile weitestgehend übernommen«, mischt sich Marion ein und strahlt ihn an.

Das war zu erwarten, für Hannes war immer klar, dass er in Wetterbach bleiben will. Ich umklammere meine Kaffeetasse und versuche angestrengt, meine Gesichtsmuskeln zu entspannen, damit ich nicht so verkniffen aussehe.

»Gehst du heute Abend zum Klassentreffen?«, fragt Hannes mich auf einmal mit vollem Mund.

»Mit fünfzig Gramm weniger im Mund spricht es sich besser«, mischt Marion sich zärtlich zwinkernd ein, noch bevor ich antworten kann.

Ich ziehe die Augenbrauen hoch und widerstehe dem Drang, ungläubig den Kopf zu schütteln. Für schlechte Tischmanieren gibt es die Gelbe Karte, aber den Ex-Freund der Schwester darf man ohne Platzverweis ficken? Wie es aussieht, muss ich das Regelwerk fürs perfekte Kleinstadtleben noch mal genauer studieren, denn das ist mir entgangen.

Hannes schaut mich abwartend an. Das Treffen hatte ich nicht mehr auf dem Schirm. Die Mail mit der Einladung kam vor ein paar Wochen. Zu dieser Zeit bin ich noch jeden Abend mit Marcel durch die Straßen von Brüssel geschlendert und habe nicht einmal im Traum daran gedacht, dass ich den dreiundzwanzigsten Dezember und Weihnachten in Wetterbach verbringen würde und die Möglichkeit hätte, teilzunehmen.

»Ich weiß nicht«, sage ich vage. Es wäre schon interessant, alle wiederzusehen, gerade jetzt, wo ich womöglich erst mal eine Weile bleibe. Ich hatte niemanden außer Marcel und ein paar oberflächliche Bekannte in Brüssel und jetzt fühle ich mich einsam und brauche Gesellschaft. Aber sicher nicht die von Hannes und Marion …

»Die anderen kommen auch alle«, sagt Hannes, als hätte er meine Gedanken gelesen. Wen er damit meint, brauche ich nicht zu fragen. Simon, Erika, Jakob und Sonja, die ganze alte Clique. Naja, fast die ganze. Damit steht meine Entscheidung fest, ich kann mir das Treffen nicht entgehen lassen, wenn sie alle da sein werden. Das wird mir guttun, vor allem nach diesem Schock.

»Was ist mit dir?«, will ich vorsichtig wissen. Hannes war nicht in unserem Jahrgang – nicht einmal auf derselben Schule – gehörte aber zu unserer Clique unbestreitbar dazu, von Anfang an. Doch jetzt, wo ich das von ihm und Marion weiß, bin ich mir nicht sicher, was das für unseren Freundeskreis bedeutet.

»Ich komme später nach«, sagt Hannes freundlich. Er will also tatsächlich trotzdem Zeit mit mir verbringen. Ich atme angespannt aus, weil ich insgeheim ahne, dass das keine gute Idee ist. Gleichzeitig verspüre ich einen gemeinen Anflug von besserer Laune, weil ich mir vorstelle, wie sehr Marion das gegen den Strich gehen muss.

Mir liegt die Frage auf der Zunge, ob Hannes sie mitnehmen wird, aber ich bezweifle es. Meine Freunde konnten mit Marion genauso wenig anfangen wie andersherum, es wäre wirklich eigenartig. Andererseits ist bereits das hier, zwischen den beiden, der Gipfel der Eigenartigkeit. Es ist grotesk, eine Anomalie, der schlechteste Witz aller Zeiten. Ich nehme abwesend einen Bissen von meinem Brötchen, das nach gar nichts schmeckt, obwohl auf dem Marmeladenglas irgendwas von Zwetschgen und Zimt steht.

»Dann stoßen wir auf deine Rückkehr an.« Hannes lächelt mich an und ich sehe aus dem Augenwinkel, wie Marion rot anläuft und ihre Lippen noch schmaler werden, als sie ohnehin sind.

»Wie lange bleibst du denn in Wetterbach?«, fragt Hannes mich unbeirrt weiter aus. Entgeht ihm die Reaktion meiner Schwester? Er war zwar noch nie die hellste Kerze am Weihnachtsbaum, aber er kann unmöglich verpassen, dass es Marion nicht gefällt, wie nett er zu mir ist.

»Ich weiß es noch nicht«, antworte ich wahrheitsgemäß. Wenn das so weitergeht, nicht lange, fürchte ich. Wie soll ich mit Marion nach dieser Nummer umgehen? Sich Hannes zu schnappen, ich kann es einfach nicht fassen.

»Jedenfalls schön, dass du wieder da bist«, fügt er hinzu und unsere Blicke treffen sich. Seine Freude über diesen Umstand wirkt so ehrlich, dass es mich richtig durcheinanderbringt. So angeschaut zu werden, ist eigentlich etwas Gutes, aber ich kann es in Anbetracht der Umstände nicht genießen.

Und ich kenne jemanden, der meine Anwesenheit weit weniger schön findet. Jetzt habe ich auch begriffen, wieso – es steckt mehr dahinter als unser immer schon schlechtes Verhältnis oder die Tatsache, dass sich Marion allein um unsere Mutter kümmern musste. Ich reiße meinen Blick von Hannes los, schlinge den Rest meines Frühstücks herunter und verabschiede mich eiligst nach oben.

 

»Hannes also«, sage ich später, als er gegangen ist und ich es wagen kann, mein Zimmer wieder zu verlassen. Marion wird erneut rot, aber diesmal nicht vor Wut, zumindest kommt es mir so vor. Ihr ist bestimmt selbst klar, dass ihr Verhalten das Letzte ist. So eine Heuchlerin! Immer hat sie mich mit pikierten Blicken und neidischer Verächtlichkeit bedacht, wenn am Morgen irgendein Typ aus meinem Zimmer gekommen ist und mit verlegener Miene das Weite gesucht hat. Aber selbst macht sie sich an meinen Ex ran, als wäre das völlig in Ordnung!

»Ja. Und?«, fragt sie trotzdem provokant.

Ich weiß gar nicht, wie ich Marion am besten sagen soll, was ich von ihr halte. Ich schüttle den Kopf. »Eine hervorragende Wahl«, höhne ich. »Der treue, bodenständige Hannes, der Traum einer jeden Schwiegermutter. Umso besser, wenn er gleich beide Töchter vögelt, das spart eine Mitgift.« Ich erwarte ja nicht viel von ihr, aber dass Hannes da mitmacht!

Marion, die noch nie über Sex reden konnte, ohne verlegen zu stottern, wechselt ihre Hautfarbe von hellrot zu dunkelrot. Sie schnaubt. »Es ist ja nicht so, als würde er dir gehören«, höhnt sie.

Doch, das tut er. Und das wird sie früh genug merken.

»Du hast ihn damals nicht gewollt, also kann es dir doch egal sein, was er jetzt macht«, fügt Marion beleidigt hinzu.

»Natürlich, du bist ja meine Schwester. Da teilt man, so haben Mama und Papa es uns beigebracht«, fauche ich zurück und schleudere eine der Kaffeetassen auf den Fliesenboden, sodass sie zerspringt. »Christliche Nächstenliebe. Ich wette, auch Pfarrer Ehrenberg wäre stolz auf uns.«

Marion schaut entsetzt auf die Scherben zu ihren Füßen. Bestimmt gehörte die Tasse zu einem hübschen Set, und – oh Gott – jetzt fehlt ein Teil! Was tun? Statt sich zu bekreuzigen, holt sie den Besen und macht sich daran, aufzukehren.

Dabei zürnt sie: »Komm du mir nicht mit Schwestern-Kodex oder Moral! Ich bin dir nicht das Geringste schuldig. Du hast mich mit Mama im Stich gelassen!«

»Tu doch nicht so, als wäre es dir nicht ganz recht gewesen, dass ich weg war! Offenbar hast du die Zeit gut genutzt«, erwidere ich verächtlich und schiebe das schlechte Gewissen entschlossen beiseite. So wie Marion sich verhalten hat, brauche ich mich wirklich nicht schäbig zu fühlen.

Sie sieht aus, als würde sie sich am liebsten auf mich stürzen und mich verprügeln. Und ich muss zugeben, die Vorstellung, ihr einen Schlag in ihr dummes Gesicht zu verpassen, nimmt auch in meinem Kopf immer genauere Züge an.

»Ob es dir nun passt oder nicht«, sagt Marion kalt. »Hannes und ich sind ein Paar. Er liebt mich.«

Ich verdrehe ungläubig die Augen und stoße ein gehässiges Lachen aus. Ja klar, wer’s glaubt. Aber das ist ein anderes Thema und darüber werde ich mit Hannes selbst noch ein Wörtchen reden. Im Moment geht es um Marion und das, was sie getan hat. Sich an meinen Ex-Freund rangemacht und damit ein Tabu gebrochen, das all unsere alten Streitigkeiten beinahe lächerlich wirken lässt. Und jede Hoffnung auf eine Versöhnung zunichtemacht.

»Du bist armselig. Aber das weißt du sicher selbst.« Ich lege all meine Verachtung in diese Worte. »Mal schauen, wie lange dein Freund es schafft, so zu tun, als würde er auf dich stehen. Wenn er schon einen Tag nach meiner Rückkehr Pläne für gemeinsame Unternehmungen mit mir schmiedet.« Ich lächle fies. »Wird bestimmt ein schöner Abend.« Dann gehe ich zurück auf mein Zimmer.

3. Kapitel

Ich war etwa fünf Jahre alt, als mein Vater eines Morgens wie so oft am Samstag mit mir zu unserem Stammbäcker fuhr, um frisches Brot zu holen. Meine Mutter war mit Marion übers Wochenende zu den Großeltern gefahren und wir beide waren alleine in Wetterbach geblieben. Während er in seiner Tasche nach Kleingeld suchte, klingelte plötzlich sein Telefon.

»Berghoff?«, meldete er sich und sagte dann nach einer Pause: »Oh mein Gott, das ist ja schrecklich! Ich komme, so schnell ich kann, aber ich muss erst einen Babysitter organisieren.«

»Gibt’s Probleme?«, fragte der Mann hinter der Theke freundlich.

Fahrig fuhr sich mein Vater durchs Haar. »Ein guter Freund ist verunglückt«, sagte er abwesend und schaute auf mich herab. »Was machen wir denn jetzt mit dir, Prinzessin? Vielleicht kann Martha von nebenan für ein paar Stunden auf dich aufpassen.«

Der Bäcker musterte uns nachdenklich. »Wenn Sie es eilig haben, kann das Mädchen auch gerne hierbleiben, bis Sie zurück sind. Mein Sohn ist hinten in der Backstube und meine Frau und ich sind immer in der Nähe und haben ein Auge auf ihn.«

Mein Vater blickte überrascht auf und dachte über das Angebot nach. Wir kannten den Bäcker – eigentlich kannte sich fast jeder in Wetterbach – und er war ein netter Mann. Mein Vater beugte sich zu mir herunter. »Was meinst du, Conni? Würdest du gerne mal sehen, wo all die guten Sachen hergestellt werden?«

Ich nickte begeistert. Spannender als bei Martha wäre das sicher. Alles war spannender als Martha und ihre Sammlung pausbackiger Porzellanengel.

»Danke«, sagte mein Vater aufrichtig zum Bäcker. »Ich komme zurück, so schnell ich kann.«

»Kein Problem«, entgegnete der.

Ich verabschiedete mich und der Mann führte mich nach hinten. »Nina, wir haben Besuch. Könntest du ein Auge auf die Kleine haben, bis ihr Vater sie abholt? Es gab einen Notfall.«

Das Gesicht einer hübschen Frau erschien hinter einem Regal voller Bleche mit frischen, duftenden Brötchen. In der Hand hielt sie einen Besen.

»Aber sicher«, sagte sie freundlich und legte ihr Putzzeug einen Moment beiseite.

»Soll ich dich rumführen?«, wollte sie von mir wissen und ich nickte wieder.

Sie zeigte mir die Öfen, die Gärschränke, die Knetmaschinen und ich sog alle Informationen, die sie mir dazu nannte, gierig auf wie ein Schwamm. Wir gingen in einen Nebenraum, wo ein Junge mit großen braunen Augen gerade dabei war, Croissants mit geschmolzener Schokolade zu bestreichen. Neugierig musterte er mich und ich starrte genauso unverhohlen zurück.

»Darf ich das auch mal probieren?«, fragte ich.

»Klar«, antwortete der Junge und machte mir neben sich Platz.

»Kann ich euch für einen Moment allein lassen?« Die Frau schaute lächelnd zwischen uns beiden hin und her.

»Wir sind keine Babys mehr, Mama«, erwiderte der Junge und verdrehte die Augen.

Ich sah ihm eine Weile dabei zu, wie er mit geschickten Fingern die Schokolade aufpinselte, ohne dabei selbst etwas abzubekommen. Dann hielt er mir den Pinsel hin. Ich gab mein Bestes, aber so schön wie er kriegte ich es doch nicht hin, und am Ende arbeitete er alle meine verunglückten Croissants noch einmal ordentlich nach, während ich die Schokolade von meinen Fingern schleckte.

»Wirst du auch mal Bäcker?«, wollte ich neugierig wissen und der Junge nickte entschieden.

»Prima!«, sagte ich begeistert.

Sein Gesicht hellte sich sofort noch weiter auf. »Findest du?«

»Oh ja«, entgegnete ich und erzählte ihm von meiner Leidenschaft für Kuchen, süßes Gebäck und eigentlich Süßes im Allgemeinen. Aber das war nicht alles, was ich gerne mochte.

»Magst du Tiere?«, wollte ich von dem Jungen wissen.

»Jeder mag Tiere«, sagte er mit felsenfester Überzeugung.

Ich schüttelte den Kopf. »Meine Schwester nicht. Sie sagt, Tiere stinken.«

Der Junge schaute mich nachdenklich an. »Ich glaube, deine Schwester ist ein bisschen blöd.«

»Ja«, versicherte ich ihm vehement. »Das ist sie.«

Während wir darauf warteten, dass die Schokolade trocknete, fragte er: »Wie heißt du eigentlich?«

»Constanze«, sagte ich. »Aber fast alle nennen mich Conni. Und du?«

»Johannes«, erwiderte der Junge mit schüchternem Lächeln. »Aber fast alle nennen mich Hannes.«

4. Kapitel

Am Abend suche ich in meinem Koffer nach einem passenden Outfit für das Klassentreffen. Ich räume alles raus, was ich aus Marcels Apartment mitgenommen habe: Kleider, Röcke, Blusen, Hosen. Ich will so hübsch wie möglich aussehen, wenn ich auf meine alten Klassenkameraden treffe. Ihre schadenfrohen Blicke wegen meiner Trennung von Marcel und der ungeplanten Rückkehr nach Wetterbach lassen sich leichter ertragen, wenn ich dabei wenigstens schöner bin als sie.

Besser als Marion werde ich in jedem meiner Outfits aussehen, diese Gewissheit tröstet mich ein klein wenig. Enge Kleider, hohe Schuhe, schicke Blazer – an ihr wirkt alles immer unpassend und irgendwie schräg, das war schon immer so. Aber was kann ich dafür? Sie möchte weiterhin die verbitterte, missgünstige Schreckschraube sein, bitteschön! Ich frage mich ernsthaft, was ihr mehr Genugtuung bereitet: mit dem Mann zusammen zu sein, für den sie immer schon geschwärmt hat, oder mit dem Mann zusammen zu sein, der immer nur mich wollte.

Nach langem Hin und Her entscheide ich mich für ein violettes, enges Strickkleid und dunkle Strumpfhosen. Nach Weihnachten muss ich unbedingt einkaufen gehen. Doch bevor ich das tun kann, sollte ich noch mal mit meiner Mutter reden, sonst wird die Shoppingrunde spärlich ausfallen. Ich habe mich heute Morgen nicht getraut, direkt nach Geld zu fragen, und alles in mir sträubt sich dagegen, vor ihr als Bittsteller aufzukreuzen. Eigentlich bin ich weniger Maria, die um ein Quartier für die Nacht bittet, sondern vielmehr der verlorene Sohn, der nichts mehr hat: kein Geld, keinen Partner, keine Wohnung, keinen Ausbildungsplatz. Der BMW ist das Einzige von Wert, das sich in meinem Besitz befindet. Ob ich nach zwei Jahren Funkstille noch Freunde habe, wird sich heute Abend herausstellen.

Das Haar lasse ich offen, so mochte Marcel es am liebsten. Und Hannes auch. Ich geize nicht mit Make-up und entferne mich erst vom Spiegel, als ich sicher bin, alles aus mir herausgeholt zu haben.

Marion mustert mich argwöhnisch, als ich die Treppe herunterkomme. Sie sitzt mit unserer Mutter zusammen am Tisch und spielt Karten. Die Situation muss sie auf grausame Weise an früher erinnern, als ich an den Wochenenden von einer Party zur nächsten gezogen bin, während sie ohne Einladung zu Hause geblieben ist. Ich ziehe mir die Lippen extra noch einmal nach und sprühe mich mit Parfum ein, um sie zu provozieren. Statt einer weißen Flagge habe ich eine Kriegserklärung erhalten, und wenn Marion Krieg will, kann sie ihn haben.

»Ich bin dann mal weg«, verabschiede ich mich mit einem falschen Lächeln von den beiden. Marion ignoriert mich, Mama winkt mir unbeholfen zu und sie widmen sich wieder ihrem Spiel.

Ich brauche eine Weile, um das Auto freizuräumen, weil es völlig eingeschneit ist. Wieso haben wir keine Garage? Es passt mir nicht, dass der teure Wagen so ungeschützt herumsteht und das ganze Tausalz abkriegt. Ich lasse den Motor laufen, während ich in der einsetzenden Dunkelheit mit nackten Händen die Scheibe sauberkratze.

Ich bin nervös. Wie werden meine ehemaligen Freunde reagieren, wenn sie mich sehen? Tragen sie es mir nach, dass ich so mir nichts, dir nichts verschwunden bin? Oder werden sie sich freuen, dass ich wieder da bin?

Die Frage beschäftigt mich noch den ganzen Weg zum Eckstein, wo das Klassentreffen stattfindet. Ich habe Glück und finde einen Parkplatz in der Nähe, steige mit etwas wackligen Knien aus und stakse in meinen Stiefeln über die Straße. Die dampfige Wärme der Wirtsstube schlägt mir entgegen. Das Gasthaus ist proppenvoll, eine Firma oder ein Verein veranstaltet eine Weihnachtsfeier. Ich gehe durch bis nach hinten und suche in der Menge nach bekannten Gesichtern.

Allerdings nicht im Speziellen nach denen von Saskia und Yvonne, die plötzlich vor mir stehen.

»Ach nee, Conni ist wieder da«, sagt Saskia und verschränkt die Arme vor ihrer holzlosen Hütte.

Ich halte perplex inne, weil dieses Verhalten ganz und gar nicht zu dem Mädchen passt, das ich in Erinnerung habe. Als sie mich in der Elften beim Knutschen mit ihrem Freund erwischt hat, gab es nur ein bisschen Geheule und verletzte Blicke, dabei hatte ich nicht mal gewusst, dass er in festen Händen war. Was hat sich geändert?

Yvonne imitiert die Geste ihrer Freundin und giftet mit süßlichem Lächeln: »Rate mal, wer mittlerweile mit Thorsten verlobt ist?«

Oh mein Gott, es geht also wirklich immer noch um Thorsten?! Ich pruste los.

Saskia ignoriert mein Lachen, obwohl ich meine, dass sie ein bisschen rot wird. Im schummrigen Licht ist das schwer zu sagen.

»Tja, am Ende gewinne ich, siehst du?«, ätzt sie.

Ich klopfe ihr auf die Schulter. »Herzlichen Glückwunsch, Saskia«, gluckse ich. »Ein richtiger Hauptgewinn. Ich hoffe, er weiß mittlerweile, wie man seine Zunge richtig einsetzt. Oben- wie untenrum.« Ich lasse die beiden einfach stehen und gehe weiter nach hinten durch.

»Conni!« Das ist Erikas Stimme! Sie steht auf und da ist sie schon vor mir, das rabenschwarze Haar kürzer als früher, aber noch dieselben Grübchen in den Wangen. Sie strahlt vor Freude und mir fällt ein tonnenschwerer Stein vom Herzen, weil nichts an ihrer Miene darauf schließen lässt, dass sie wütend oder beleidigt oder verletzt ist, weil ich mich so lange nicht gemeldet habe. Wir umarmen uns überschwänglich und die Übrigen am Tisch rücken ein Stück zur Seite, um mir Platz zu machen.

Wo sind die anderen? Ich blicke mich um. Ich bin sicher nicht hergekommen, um mit Miriam und Helena, die gegenüber sitzen, über ihre Erfolge im Studium zu sprechen. Trotzdem quetsche ich mich zwischen Erika und Bastian, der mir kurz freundlich zunickt und sich dann wieder seinem Gespräch mit den beiden Mädels widmet.

»Hannes hat mir geschrieben, dass du nach Wetterbach kommst, aber er war sich nicht sicher, ob du beim Klassentreffen auftauchst«, sagt Erika mit roten Backen. »Du musst mir alles erzählen! Weshalb bist du wieder da? Was ist in Brüssel passiert?«

Ich erzähle ihr in Kurzfassung von meiner Trennung. Nach kurzem Zögern sogar den Part, in dem Marcel mich betrogen hat, aber ganz leise, sodass es außer ihr keiner mitkriegt. Glücklicherweise grinst Erika nicht hämisch, sondern nennt Marcel einen miesen Drecksack der untersten Kategorie.

»Soll er an seinem Geld ersticken!«, wettert sie. »Du hast was Besseres verdient!«

Als ich den Blick durch die Stube gleiten lasse, sehe ich doch noch den Rest unserer ehemaligen Clique hereinkommen: Simon, Jakob und Sonja. Simon ist in Begleitung eines blonden Mädchens, das ich nicht kenne, und sie halten Händchen. Ah ja, interessant. Mal sehen, wie lange es diesmal gut geht. Simon hat noch nie Schwierigkeiten damit gehabt, Mädels kennenzulernen, aber langfristiges Interesse hat er früher selten an einer gehabt, und ich bezweifle, dass zwei Jahre etwas daran geändert haben. Ich gebe den beiden ein paar Wochen. Nein, ein paar Tage. Nein, nur die Nächte.

Leider ist bei Erika und mir kein Platz mehr für unsere alten Freunde, sie setzen sich woandershin, winken uns aber aufgeregt zu und Sonja ruft quer und mit gespielter Strenge über den Tisch: »Wehe, du haust wieder ab, Conni! Wir reden noch!«

Ich grinse zurück und verbringe das Essen damit, mit Erika zu plaudern. Sie studiert immer noch Geschichte, genau wie gehabt. Aus Wetterbach ist sie kurz nach mir weggezogen und gerade über die Feiertage zu Besuch bei ihren Eltern.

»Was hast du denn jetzt vor?«, fragt sie mich neugierig. Ich beiße mir auf die Unterlippe. Tja, wenn ich das wüsste! Fest steht nur, dass ich Geld und einen neuen Plan für mein Leben brauche, und zwar dringend. Die Ausbildung zur Hotelfachfrau habe ich schon kurz nach Beginn abgebrochen und ich glaube nicht, dass ich mich dort noch einmal blicken lassen brauche. Ich hab auch keine Lust drauf.

Ich weiche dem Thema aus und lenke Erikas Aufmerksamkeit schnell auf etwas anderes. Ob sie momentan einen Freund hat, frage ich. Sie nickt ohne Begeisterung.

»Sein Name ist Martin und er ist Journalist.« Sie erzählt mir ein bisschen was über ihn, aber ich spüre, dass sie nicht ganz glücklich ist.

»Um ehrlich zu sein, mir ist irgendwie langweilig«, gesteht sie lachend, als ich sie darauf anspreche. »Ihr fehlt mir alle so. Das Weggehen und Feiern, das mag er nicht. Aber er ist schon ein guter Typ«, fügt sie seufzend hinzu. Ich will ihr da nicht reinreden. Während unserer Schulzeit war Erika jahrelang unglücklich in Paul aus dem Jahrgang über uns verliebt. Ich habe einen großen Teil meiner Jugend damit verbracht, mir ihre Schwärmereien anzuhören, so zu tun, als wäre ich nicht genervt davon und ihre Tränen zu trocknen. Dabei war Paul in etwa so spannend wie eine Scheibe Zwieback.

Das Essen kommt, ich stürze mich auf mein Steak und lausche. Um uns herum erzählen alle von ihrem Studium, der Ausbildung, von Praktika, die sie absolviert haben. Nicht nur Saskia ist in festen Händen, Meike hat inzwischen geheiratet und zeigt stolz ihren Ehering herum. Ich heuchle höfliches Interesse und Glückwünsche, während ich insgeheim schockiert über diese Neuigkeiten bin. Nicht, dass ich schon ans Heiraten denken würde, aber dass jemand wie Meike vor mir den Mann fürs Leben findet, will mir einfach nicht in den Kopf. Meine Laune wird von Minute zu Minute schlechter. Ich zerschneide das Steak auf meinem Teller und stelle mir vor, es wäre Meikes selbstgefällig lächelndes Allerweltsgesicht unter einem hübschen, weißen Brautschleier. Wahrscheinlich ist sie jungfräulich in die Ehe gegangen, um nicht Gefahr zu laufen, einen Bastard zu gebären, der dann in ganz Wetterbach geächtet wäre.

Miriam fragt, was ich in Brüssel gemacht habe, und ich erzähle von meinem Job im Klub, den mir ein Freund von Marcel verschafft hat.

»Was musstest du da machen?«, will sie wissen. In erster Linie einen kurzen Rock und einen tiefen Ausschnitt tragen und reiche Männer dazu bringen, freiwillig haufenweise Geld dazulassen. Ich berichte kurz und abweisend von den Veranstaltungen, die wir ausgerichtet haben und die ich promoten sollte.

»Eventmanagement klingt aufregend«, sagt Miriam. »Willst du da jetzt tiefer einsteigen? Wobei, Wetterbach ist dafür vielleicht nicht unbedingt der ideale Ort.«

Was du nicht sagst, Miriam! Für diese Erkenntnis gibt’s ein Sternchen ins Heft.