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Ursula Isbel

Reiterhof Dreililien 2 - Die Tage der Rosen

 

Saga

1

Als wir die Stadt hinter uns gelassen hatten, sagte mein Vater plötzlich: „Du bereust es doch nicht, Elinor?“

Ich wußte, was er meinte. Bereute ich es, daß ich mit ihm von München aufs Land übersiedelt war, in Kirstys kleines Haus, weg von allem, was vorher mein Leben ausgemacht hatte?

Ich schüttelte den Kopf. „Nein“, erwiderte ich.

Ein heller Schein ging über sein Gesicht. Ihn brauchte ich nicht erst zu fragen, ob er den Umzug bereute. Für ihn war eine alte Sehnsucht in Erfüllung gegangen. Er hatte sich ja schon immer gewünscht, auf dem Land zu leben; und ich hatte ihn nie glücklicher gesehen als in diesen vergangenen Monaten. Freilich, es war nicht nur das Landleben. Es war auch Kirsty, die ihn glücklich machte – vor allem sie.

Dieser Gedanke, der mir noch vor kurzem so unerträglich gewesen war, tat nun nicht mehr weh. Ich hatte Kirsty gehaßt und als meine Feindin betrachtet. Nach dem Tod meiner Mutter hatte ich lange allein mit meinem Vater gelebt, bis Kirsty kam. Noch jetzt erinnere ich mich gut an meine Furcht, sie könnte mir meinen Vater wegnehmen, könnte diese für mich wichtigste Beziehung zerstören, so daß ich plötzlich ganz allein war. Und diese Furcht hatte mich böse und verzweifelt gemacht, hatte bewirkt, daß ich mich gegen Kirsty verhärtete.

Jetzt aber begriff ich, daß mein Vater mich noch immer liebte, daß er sowohl mich als auch Kirsty lieben konnte. Ich hatte in Kirsty sogar noch eine Freundin dazugewonnen, jemanden, auf den ich mich verlassen konnte, der mich verstand.

Auch zwei andere Freunde hatte ich durch diesen Umzug aufs Land gewonnen – ich konnte mir keine besseren wünschen...

 

Wir fuhren durch Rosenheim, kamen dann an der alten Mühle vorbei, waren endlich wieder auf dem offenen Land, wo die Kühe auf den Berghängen weideten und das Korn schon gelb wurde.

Sommerland, dachte ich und atmete unwillkürlich auf. Die Luft, die durch die geöffneten Wagenfenster strich, trug uns den Duft von Heu und Blumen zu, den ich so liebte.

Auch mein Vater holte tief Atem. „Jetzt sind wir bald wieder zu Hause“, sagte er.

Ja, es war ein Nachhausekommen, obwohl wir doch nur für einen Tag in München gewesen waren, um eine kranke Tante zu besuchen. Als wir am frühen Morgen von der Autobahn auf den Mittleren Ring gefahren waren, als ich die ersten Häuser von München sah, hatte ich nicht wie jetzt dieses Gefühl gehabt, heimzukommen, obwohl ich doch fünfzehn Jahre meines Lebens in dieser Stadt verbracht hatte.

Jetzt aber, als wir uns Mariabrunn näherten, dachte auch ich, daß ich hier zu Hause war; und die Kirche, die in der Ferne auf dem Hügel stand, kam mir vertrauter vor als das Münchner Mietshaus, in dem ich aufgewachsen war.

Wir fuhren nicht den etwas kürzeren Weg nach Dreililien, der schon vor dem Dorf an einem Wildbach vorbeiführt, sondern die besser ausgebaute Zufahrtsstraße über den Schmiedberg. In Mariabrunn läuteten die Abendglocken. Wir mußten anhalten und warten, bis ein Bauernjunge seine Kuhherde über die Straße trieb. Das Läuten der Kuhglocken mischte sich mit dem Abendgeläut.

„Wie in einem Heimatfilm“, sagte ich halb spöttisch, halb liebevoll.

Als die Straße wieder frei war, fuhren wir weiter, hinaus aus dem Dorf, den Höhenweg zwischen frisch gemähten Wiesen hinauf. Plötzlich bemerkte ich eine Bewegung am Waldrand. Ein Pferd kam zwischen den Bäumen hervor, einen Reiter auf dem Rücken.

„Sieh mal“, sagte mein Vater, „ist das nicht Matty?“

Ich erwiderte: „Ja, Matty auf Hazel.“

Im gleichen Augenblick sah uns auch der Junge auf dem Pferd. Er beschattete die Augen mit der Hand, winkte dann und ritt näher.

Mein Vater bremste. Rasch sagte ich: „Fahr nur voraus, ich steige aus. Ich glaube, Matty will mit mir reden.“

Er nickte, und ich öffnete den Wagenschlag. Reiter und Pferd waren jetzt schon halbwegs über die Wiese geritten. Mein Vater fuhr wieder los.

Mit ein paar Galoppsprüngen war Hazel am Straßenrand, hielt schnaubend an, senkte den Kopf und wieherte zur Begrüßung, wie es ihre Art war. Matty schwang sich aus dem Sattel.

Matty von Dreililien... Ich wußte nicht, wen ich lieber mochte, ihn oder seinen Bruder. Eigentlich hegte ich für die beiden ganz verschiedene Gefühle. Ich hatte jeden auf seine Art gern. Matty war fast wie ein Bruder für mich, während Jörn...

Ich streichelte Hazel. Matty sagte atemlos: „Du, heute ist endlich ein Brief gekommen!“

„Was?“ Ich ließ die Hand sinken. Hazel puffte mich energisch. Offenbar war sie der Meinung, daß ich sie nicht ausreichend begrüßt hatte. „Ein Brief? Hast du ihn hier? Zeig her!“

„Jörn hat ihn“, erwiderte Matty und strich sein blondes Haar zurück, das er seit einiger Zeit wachsen ließ. „Aber er klingt gut. Ich meine, er ist nett geschrieben, richtig sympathisch. Der Typ heißt Mikesch – komischer Name übrigens. Er behauptet, daß er mit Pferden aufgewachsen ist. Er hat Tiermedizin studiert, aber nur ein paar Semester. Dann mußte er das Studium abbrechen, und jetzt ist er arbeitslos und sucht nach einem Job, der ihm Spaß macht. Er schreibt, er braucht nicht viel Geld; Hauptsache, er hat Unterkunft und Verpflegung. Das Stadtleben stinkt ihm, schreibt er.“ Matty holte Atem.

„Herrje“, sagte ich, „das klingt ja zu schön, um wahr zu sein! Alles genau richtig! Aber kann dieser Mikesch denn auch Reitunterricht geben?“

„Klar, hab ich das nicht gesagt? Er ist schon als ganz kleiner Junge geritten. Später hat er sogar bei einigen Jugendturnieren Preise gewonnen. Aber darauf ist er jetzt nicht mehr besonders stolz, schreibt er, weil...“

Wir begannen am Straßenrand entlang weiterzugehen, und Hazel folgte uns mit schleifenden Zügeln. Während Matty weiter von dem Brief erzählte, hörte ich mit halbem Ohr zu und dachte dabei, daß wir unserem Ziel nun vielleicht ein Stück näher waren. Einen Reitlehrer zu finden, war ein wichtiger Teil unseres Plans – und von diesem Plan hing eine ganze Menge ab. Nicht nur für mich, sondern vor allem für Matty und Jörn und für die Pferde ihres Vaters.

Matty und Jörn Moberg lebten mit ihren Eltern auf dem alten Gutshof Dreililien, gleich in unserer Nachbarschaft. Zum Hof gehörte ein Gestüt mit vielen Pferden. Zu Beginn dieses Sommers, nicht lange nach meinem Umzug aufs Land, war plötzlich die Katastrophe über uns hereingebrochen: Herr Moberg hatte Jörn und Matty eröffnet, daß er den größten Teil seiner Pferde verkaufen wollte, weil das Gestüt nicht mehr genug Geld einbrachte.

Die beiden waren verzweifelt gewesen, und ich mit ihnen, obwohl ich doch erst kurze Zeit hier lebte. Da war mir der Einfall gekommen, auf Dreililien eine Reitschule einzurichten und während der Ferien Jugendliche als zahlende Gäste aufzunehmen, die Reiten lernen wollten. Dafür waren auf Dreililien ja alle Voraussetzungen gegeben : gute Pferde, genug Platz im Gutshaus, eine herrliche Umgebung, Koppeln, Wiesen, Wälder, ein Weiher zum Baden...

Nach langem Hin und Her hatte Herr Moberg schließlich eingewilligt, den Versuch zu wagen; doch nur unter der Bedingung, daß wir Selbst alle anfallenden Arbeiten übernahmen und einen Reitlehrer fanden, der nur ein geringes Gehalt forderte.

Jetzt war der erste Schritt getan: Wir hatten in einer alternativen Münchner Zeitung eine kleine Anzeige aufgegeben, und es sah ganz so aus, als hätten wir diesen Reitlehrer auf Anhieb gefunden.

„Du hörst ja nicht richtig zu“, sagte Matty vorwurfsvoll in meine Gedanken hinein.

„Doch, tu ich schon“, versicherte ich hastig. „Aber du, wenn dieser Mikesch jetzt vielleicht ein ganz komischer Kauz ist, einer, der nicht hierher paßt oder nicht gut zu den Pferden ist oder...“

Wir wechselten einen Blick. Mattys Gesicht wurde ernst. „Das hab ich mir auch schon überlegt“, sagte er. „Wir müssen ihn uns vorher natürlich gründlich ansehen, das ist klar. Jörn will Mikesch heute abend anrufen, wenn das Telefonieren nicht so teuer ist. Er lebt in einer Wohngemeinschaft in München. Wir machen gleich einen Termin mit ihm aus, wann er herkommen kann.“ „Hoffentlich klappt’s!“ sagte ich inbrünstig. „Wenn ja, könnten wir sofort an ein paar Reisebüros schreiben. Und Anzeigen in die Zeitung setzen, damit wir gleich für die Wochenenden Reitschüler bekommen.“

Matty starrte vor sich hin. „Manchmal kommen mir schon Zweifel, ob wir’s schaffen, Nell“, murmelte er. „Das ist nämlich alles gar nicht so einfach. Schon Erwachsene haben oft Schwierigkeiten, sich mit einer Reitschule über Wasser zu halten. Und wir haben doch überhaupt keine Erfahrung mit solchen Sachen!“

Die gleichen Bedenken waren mir auch schon gekommen, aber ich hätte es ihm gegenüber nicht zugegeben. „Du bist ein schwarzseherischer Miesepeter!“ sagte ich freundschaftlich. „Klar, daß Leute Schwierigkeiten kriegen, die eine Menge Miete bezahlen müssen und Angestellte haben, die hohe Gehälter fordern, und die noch dazu das ganze Futter für die Pferde teuer kaufen müssen. Das ist doch hier alles anders! Es wird bestimmt klappen, du wirst schon sehen!“

„Dein Wort in Gottes Ohr“, sagte Matty.

2

Die Rosen blühten vor dem Haus, das Kirsty von ihrer Tante geerbt hatte – Kavaliershäusl nannten es Jörn und Matty. Mein Vater hatte das gemütliche kleine Haus in diesem Sommer mit gelber Farbe gestrichen und das alte Spalier erneuert, an dem sich Kletterrosen emporrankten. Die Fensterrahmen waren grün, und die Geranien in den Holzkästen leuchteten in sattem Rot. Das Kavaliershäusl sah aus wie aus einem Bilderbuch geschnitten.

Kirsty arbeitete in ihrer Töpferwerkstatt. Ich hörte sie dort rumoren. Als ich die Gartenpforte öffnete, kam Herr Alois angestürmt, Kirstys wuscheliger brauner Hund.

Ich bückte mich und kraulte ihn hinter den Schlappohren, wie er es gern hatte, und er leckte mir die Hand. „Geht’s dir gut?“ fragte ich. „Ich hab dir etwas mitgebracht – einen neuen Vollgummiball, weil du deinen alten wieder mal verloren hast.“

Bei dem Wort „Ball“ begannen seine Augen, die schwarz wie Kohlestücke waren, zu funkeln. Er steckte die Nase in meinen Umhängekorb und wühlte so lange, bis er den Ball fand. Dann zog er stolz damit ab.

Mein Vater tauchte am Küchenfenster auf. „Kirsty muß noch einen wichtigen Auftrag für die Deutschen Werkstätten fertig machen“, sagte er, „einen Satz Bauernschüsseln. Sie werden morgen gebrannt. Nimm dir etwas zum Abendessen aus dem Kühlschrank; es ist noch Käse da. Du hilfst doch nachher wieder bei den Pferden?“

„Klar“, erwiderte ich. „Ich ziehe mich nur schnell um.“ Ich ging die Treppe hinauf in mein Mansardenzimmer. Vom Fenster aus sah ich die Eiche im Garten und die Koppeln und Dächer von Dreililien. Die Sonne versank gerade hinter dem Wald. Schon stand eine bleiche Mondsichel am Himmel.

Kirsty hatte einen Strauß Lavendel im Vorgarten geschnitten und ihn auf meine Kommode gestellt. Die blauen Blüten dufteten wie eine ganze Parfumflasche.

Ich zog meine alte Latzhose an und ein verblichenes Herrenhemd meines Vaters mit abgeschnittenen Ärmeln. Dann warf ich einen prüfenden Blick in den Spiegel.

Meine Haare waren vom Fahrtwind zerzaust; ich bürstete sie mit kräftigen Strichen und flocht sie im Nacken zu einem dicken Zopf. Jetzt war ich stolz darauf, rotes Haar zu haben. Als Kind aber hatte ich richtig unter meiner auffallenden Haarfarbe gelitten, denn ich war oft deswegen verspottet worden. Heute aber war das anders. Erst vor kurzem hatte Jörn zu mir gesagt: „Im Mittelalter hätten sie dich wahrscheinlich als Hexe verbrannt –heute könntest du Reklame für Haarshampoo machen.“

Herr Alois saß in der Küche und nagte an einem Knochen. Er wedelte nur flüchtig mit dem Schwanz, als ich hereinkam, und kaute hingebungsvoll weiter. Ich aß zwei Käsebrote, trank von der Milch, die wir täglich bei einem Bauern in Mariabrunn holten, ging vors Haus und holte meine Gummistiefel unter der Bank hervor.

Im Gras am Wegrand raschelte es. Über den Wiesen kreisten zwitschernd die Lerchen und Schwalben. In den Hecken begannen die Grillen zu zirpen, und der Wind trug verwehte Glockenklänge aus dem Dorf in unser Tal herüber.

Während ich den Pfad zwischen den Haselnußsträuchern entlangging, mußte ich flüchtig daran denken, daß der Sommer in zwei Wochen fast vorüber war, daß dann wieder die Schule begann, eine neue Schule für mich mit neuen Mitschülern und neuen Lehrern. Doch ich schob die unangenehme Vorstellung rasch beiseite. Noch war Sommer, noch hatte ich vierzehn Tage vor mir – vierzehn Tage Freiheit mit Badeausflügen an den Waldweiher, Heuarbeit, Reitunterricht, Lesestunden unter der Eiche oder in der Hängematte, Tage mit Jörn und Matty und den Pferden...

Ich kam an die Kreuzung, wo sich die Wege nach Dreililien, zum Kavaliershäusl und zum Dorf gabeln. Hier begannen die Koppeln. Die Zäune waren zum Teil schon recht morsch und verwittert, und wir hatten uns vorgenommen, sie wenigstens teilweise noch in diesem Jahr auszubessern, ehe der Winter kam.

Durch eine Lücke in der Hecke sah ich die Stuten, wie sie sich vor dem Gatter drängten, voran Isabell mit ihrem Hengstfohlen Odin, das erst vor wenigen Wochen zur Welt gekommen war.

Als ich die Hofeinfahrt erreichte, stand da Jörn, über die Jagdhündin Diana gebeugt. „Sie hat wieder mal einen ganzen Schwung Zecken aufgegabelt“, sagte er, ohne aufzusehen. „Gibst du mir das Öl, bitte?“

Ich gab ihm die Flasche, und er betupfte zwei Zecken damit. „So, jetzt bekommen sie keine Luft mehr und lassen los; anders kriegt man die Biester kaum heraus, sie bleiben sonst mit dem Kopf in der Haut stecken“, erklärte er.

Ich sagte: „Hast du schon angerufen?“

Er richtete sich zu seiner vollen Länge auf. Wieder einmal dachte ich, daß Jörn keineswegs schön war. Und doch hatte er etwas an sich, das ihn ungemein anziehend machte. Waren es sein Blick oder seine Bewegungen, die Art, wie er die Augen verengte, wenn er lächelte, oder alles zusammen? Ich wußte es nicht; ich wußte nur, daß etwas Beunruhigendes an ihm war und daß ich mir manchmal wünschte, er wäre mehr wie Matty... doch wünschte ich mir das wirklich?

„Ich hab’s um sechs schon versucht“, sagte er. „Aber Mikesch war nicht da. Irgend so ein Typ aus der Wohngemeinschaft meinte, ich soll’s um acht noch mal versuchen.“

„Hm“, erwiderte ich. „Blöde Warterei.“

Diana benutzte den günstigen Augenblick, um sich wegzuschleichen. „War’s schön in München?“ fragte Jörn.

„Nein. Zu heiß, zu viele Menschen, zu viele Autos.“

Er sah mich prüfend von der Seite an. „Kein Heimweh?“

Ich schüttelte den Kopf. „Nach der Stadt? Bestimmt nicht. Wie’s hier im Winter sein wird, weiß ich nicht, aber jetzt ist es auf dem Land jedenfalls tausendmal schöner.“

„Langweilen wirst du dich dann bestimmt auch nicht“, prophezeite er. „Im Winter haben wir hier alle Hände voll zu tun, genau wie im Sommer.“

Ich freute mich, daß er „wir“ gesagt hatte; geradeso, als würde ich schon dazugehören. Dabei war ich erst seit einem Monat hier. Bei Matty wäre es mir selbstverständlich vorgekommen, doch aus Jörns Mund war es fast so etwas wie eine Auszeichnung.

Matty näherte sich vom Stall. „Du mußt morgen mit dem Lieferwagen zur Baywa fahren und Hafer holen, Jörn“, sagte er. „Ich glaube, mit der Melasse und den Rüben reichen wir auch nicht mehr lange.“

Jörn seufzte. „Ausgerechnet morgen! Da wollte ich mich eigentlich mit einem Freund treffen, der bei den Grünen ist.“

Matty hob den Kopf und musterte seinen Bruder aufmerksam. „Willst du bei den Grünen mitmachen?“ fragte er.

„Vielleicht.“

Das war wieder typisch Jörn. Es gab bestimmte Dinge, die er für seine Privatsache hielt, und nach denen man ihn nicht fragen durfte, wenn er nicht freiwillig davon erzählte. Ich sagte also gar nichts und nahm mir vor, abzuwarten, bis er einmal von selbst darüber sprach.

Gemeinsam gingen wir zur Sommerweide. Die Stuten standen am Gatter – alle bis auf Marnie, die noch unter den Bäumen lag.

Matty sagte: „Ich glaube, es ist bald soweit mit ihr. Sie hat schon Harztropfen am Euter. Wenn das Fohlen heute nacht nicht kommt, müssen wir sie morgen im Stall lassen. Allzu schwierig wird’s wohl nicht werden. Sie hat ihre Fohlen bis jetzt immer leicht gekriegt.“

„Diesmal möchte ich aber dabei sein!“ verkündete ich, während wir das Gatter öffneten.

Jörn nickte. „Nichts dagegen einzuwenden – im Gegenteil, wenn du so wild darauf bist, eine Nacht im Stall zu verbringen...“

Vermutlich rechnete er damit, daß ich es mir anders überlegen würde, aber ich sagte nur: „Ich werd’s überleben, wenn ich mal nicht in meinem Bett schlafe.“

Matty ging auf die Koppel, um Marnie „gut zuzureden, damit sie aufstand“, wie er sagte. Er schaffte es auch, und ich bewunderte wieder einmal seine unnachahmliche Art, mit Tieren umzugehen. Während die anderen Stuten Jörn zum Hofplatz folgten, sah ich, wie Marnie sich schwerfällig aufrichtete und an Mattys Seite zum Gatter ging.

„Gutes Mädchen“, sagte er. „Bei der Hitze ist es nicht gerade ein Vergnügen, trächtig zu sein, was? Aber jetzt hast du’s bald überstanden.“

Ich streichelte ihre dicke Flanke. „Ob es wieder ein Hengstfohlen wird wie bei Isabell?“

„Hoffentlich nicht“, sagte Matty.

„Wieso? Was hast du gegen Hengstfohlen?“

„Nichts, außer, daß wir sie verkaufen müssen und daß man dann nicht weiß, was aus ihnen wird“, erwiderte Matty. „Ein Stutfohlen würde Vater vielleicht behalten.“

Pferde verkaufen – das war ein ewiges Problem für Matty, eines, das immer wieder auftauchte, da Dreililien ja ein Gestüt war, das vom Pferdeverkauf lebte. Er hing an jedem einzelnen Tier. Der Gedanke, daß eines der Pferde vielleicht ein trauriges Schicksal hatte und nicht in gute Hände kam, machte ihm stets von neuem zu schaffen.

Die trächtige Stute bewegte sich nur langsam. Als wir in den Stall kamen, waren Jörn und der Stallknecht Sepp schon an der Arbeit. Gemeinsam tränkten und fütterten wir die Pferde und striegelten sie, was zum Glück an einem so trockenen Tag wie diesem recht schnell ging, da die Pferde nicht besonders schmutzig waren.