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Über dieses Buch

Die Gedichte des Buchs Suleika aus dem West-östlichen Divan gingen aus Goethes Austausch mit Marianne von Willemer hervor. Private Botschaften und Bezüge zum Werk des persischen Dichters Hafis fügen sich zu einem reizvollen poetischen Versteckspiel.

Hinweise zur E-Book-Ausgabe

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Enthält das E-Book in eckigen Klammern beigefügte Seitenzählungen, so verweisen diese auf die Printausgabe des Werkes.

Buch Suleika

Ich gedachte in der Nacht

Dass ich den Mond sähe im Schlaf;

Als ich aber erwachte

Ging unvermutet die Sonne auf.

Musst nicht vor dem Tage fliehen:

Denn der Tag den du ereilest

Ist nicht besser als der heut’ge;

Aber wenn du froh verweilest

Wo ich mir die Welt beseit’ge,

Um die Welt an mich zu ziehen;

Bist du gleich mit mir geborgen,

Heut ist heute, morgen morgen,

Und was folgt und was vergangen

Reißt nicht hin und bleibt nicht hangen.

Bleibe du, mein Allerliebstes,

Denn du bringst es und du gibst es.

Ist keine Kunst,

Er war jung, Jugend hat Gunst,

Er war schön, sie sagen zum Entzücken,

Schön war sie, konnten einander beglücken.

Aber dass du, die so lange mir erharrt war,

Feurige Jugendblicke mir schickst,

Jetzt mich liebst, mich später beglückst,

Das sollen meine Lieder preisen

Sollst mir ewig Suleika heißen.

Sollt ich auch benamset sein,

Wenn du deinen Geliebten preisest,

Hatem! das soll der Name sein.

Nur dass man mich daran erkennet,

Keine Anmaßung soll es sein.

Wer sich St. Georgenritter nennet

Denkt nicht gleich Sankt Georg zu sein.

Nicht Hatem Thai, nicht der Alles Gebende

Kann ich in meiner Armut sein,

Hatem Zograi nicht, der reichlichst Lebende

Von allen Dichtern, möcht’ ich sein.

Aber beide doch im Auge zu haben

Es wird nicht ganz verwerflich sein:

Zu nehmen, zu geben des Glückes Gaben

Wird immer ein groß Vergnügen sein.

Sich liebend aneinander zu laben

Wird Paradieses Wonne sein.

Nicht Gelegenheit macht Diebe,

Sie ist selbst der größte Dieb,

Denn sie stahl den Rest der Liebe

Die mir noch im Herzen blieb.

 

Dir hat sie ihn übergeben

Meines Lebens Vollgewinn,

Dass ich nun, verarmt, mein Leben

Nur von dir gewärtig bin.

 

Doch ich fühle schon Erbarmen

Im Karfunkel deines Blicks

Und erfreu’ in deinen Armen

Mich erneuerten Geschicks.

Hochbeglückt in deiner Liebe

Schelt ich nicht Gelegenheit,

Ward sie auch an dir zum Diebe

Wie mich solch ein Raub erfreut!

 

Und wozu denn auch berauben?

Gib dich mir aus freier Wahl,

Gar zu gerne möcht ich glauben –

Ja! ich bin’s die dich bestahl.

 

Was so willig du gegeben

Bringt dir herrlichen Gewinn,

Meine Ruh, mein reiches Leben

Geb’ ich freudig, nimm es hin.

 

Scherze nicht! Nichts von Verarmen!

Macht uns nicht die Liebe reich?

Halt ich dich in meinen Armen,

Jedem Glück ist meines gleich.

Wär’s um ihn her auch noch so trübe.

Sollten Leila und Medschnun auferstehn,

Von mir erführen sie den Weg der Liebe.

 

Ist’s möglich dass ich Liebchen dich kose!

Vernehme der göttlichen Stimme Schall!

Unmöglich scheint immer die Rose,

Unbegreiflich die Nachtigall.

Als ich auf dem Euphrat schiffte,

Streifte sich der goldne Ring

Fingerab, in Wasserklüfte,

Den ich jüngst von dir empfing.

 

Also träumt’ ich, Morgenröte

Blitzt ins Auge durch den Baum,

Sag Poete, sag Prophete!

Was bedeutet dieser Traum?

Dies zu deuten bin erbötig!

Hab’ ich dir nicht oft erzählt

Wie der Doge von Venedig

Mit dem Meere sich vermählt.

 

So von deinen Fingergliedern

Fiel der Ring dem Euphrat zu.

Ach zu tausend Himmelsliedern

Süßer Traum begeisterst du!

 

Mich, der von den Indostanen

Streifte bis Damaskus hin,

Um mit neuen Karavanen

Bis ans rote Meer zu ziehn.

 

Mich vermählst du deinem Flusse,

Der Terrasse, diesem Hain,

Hier soll bis zum letzten Kusse

Dir mein Geist gewidmet sein.

Einer sagt: ich liebe, leide!

Ich begehre, ja verzweifle!

Und was sonst ist kennt ein Mädchen.

Alles das kann mir nicht helfen,

Alles das kann mich nicht rühren;

Aber Hatem! deine Blicke

Geben erst dem Tage Glanz.

Denn sie sagen: Die gefällt mir,

Wie mir sonst nichts mag gefallen.

Seh ich Rosen, seh ich Lilien,

Aller Gärten Zier und Ehre,

So Zypressen, Myrten, Veilchen,

Aufgeregt zum Schmuck der Erde.

Und geschmückt ist sie ein Wunder,

Mit Erstaunen uns umfangend,

Uns erquickend, heilend, segnend,

Dass wir uns gesundet fühlen,

Wieder gern erkranken möchten.

Und gesundetest erkrankend,

Lächeltest und sahst herüber

Und Suleika fühlt des Blickes

Die